W&F 1984/2

Zur Darmstädter Verweigerungsformel

von Gernot Böhme

Auch wir haben Appelle unterzeichnet, auch wir konnten für manche Mark unsere Namen in Wochenblättchen lesen. Appelle, Appelle an andere! Aber wir haben dabei nicht verdrängt, daß Wissenschaftler und Techniker einen ganz wesentlichen Beitrag zur Rüstungseskalation leisten, daß sie häufig sogar die Initiatoren neuer Waffenentwicklungen sind, daß in ihren Gehirnen, auf ihren Papieren, in ihren Computern bereits Waffen konzipiert werden, lange bevor noch Militärs auch nur von ihnen träumen, geschweige den Politikern ihre Notwendigkeit postulieren können. Schon die Atombombe ist dafür ein klares Beispiel.

Wir teilten auch nicht das Gefühl der Ohnmacht gegenüber einer im Waffenpoker erstarrten Politik, auch nicht die Verlegenheit in Bezug auf mögliche Widerstandsformen. Denn für uns als Wissenschaftler und Techniker gibt es eine klar zu bezeichnende Aufgabe: Abrüstung im eigenen Hause! Weg mit der Rüstungsforschung! Wir haben uns deshalb auch gar nicht erst auf so hehre und so vage Ziele wie den „Frieden“ eingelassen, sondern auf das Thema, zu dem unsere Berufsgruppe durch ihr Verhalten unmittelbar etwas beiträgt: Rüstung/Abrüstung. Es gibt keine Rüstungsentwicklung ohne die Arbeit von Wissenschaftlern und Technikern! Ihre Appelle werden deshalb hohl klingen, ihre Rede von der „Verantwortung“ der Authentizität ermangeln, solange sie nicht klar und öffentlich die Verantwortung dafür übernehmen, daß sie es sind, die die Möglichkeiten der Massenvernichtung beständig steigern. Sie? Die wissenschaftlich-technische Intelligenz im ganzen. Unsere erste Maxime muß sein, mit den Spaltungen aufzuhören – in Wissenschaft und Technik, in Grundlagenforschung und Anwendung, in Hochschul- und Industrieforschung , die immer den anderen die Verantwortung zuzuschieben erlauben. Wir müssen die Debatte in unserer Berufsgruppe eröffnen, wir müssen den Konflikt wagen.

Ja, den Konflikt, denn nicht die im kleinen Friedfertigen sind die Träger des Friedens im Großen, sondern umgekehrt: die Konfliktscheuen befördern den Krieg. So dialektisch ist die Geschichte.

Eine wirklich machtvolle Aktion wäre es, wenn die Wissenschaftler und Techniker kollektiv ihre Kompetenz dem Krieg und seiner Vorbereitung verweigern würden. Rüstungsforschungsfreie Institute, Fachbereiche, Hochschulen – das wäre etwas, nicht bloß symbolisch und schon wieder lächerlich in seiner Wirkungslosigkeit wie Atomwaffenfreie Fachbereiche. Doch leider, durch Mehrheitsbeschlüsse oder auch autoritäre Anordnungen philosophischer Institutsbeherrscher ist das nicht möglich: dem steht die Freiheit der Forschung entgegen, ein Grundrecht. Aber immerhin sind wir bei diesen Überlegungen auf den Paragraphen 6 des Hessischen Hochschulgesetzes gestoßen. Es sei hier zitiert, hat man doch selten genug Gelegenheit ein Gesetz zur Hebung der Moral und zur Stärkung der Zivilcourage zu zitieren:

Alle an Forschung und Lehre beteiligten Mitglieder und Angehörigen der Universitäten haben die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis mitzubedenken. Werden ihnen Ergebnisse der Forschung, vor allem in ihrem Fachgebiet, bekannt, die bei verantwortungsloser Verwendung erhebliche Gefahren für die Gesundheit, das Leben oder das friedliche Zusammenleben der Menschen herbeiführen können, sollen sie den zuständigen Fachbereichsrat oder ein zentrales Organ der Universität davon unterrichten.

Dieses Gesetz könnte auch die Basis institutioneller Aktionen sein, Sonst gibt es nur den Weg des klaren und deutlichen NEIN! des einzelnen Wissenschaftlers und Technikers und der vielen Einzelnen. Dadurch werden wenigstens Positionen klar, wird das Problem Rüstung als Problem der wissenschaftlich-technischen Intelligenz thematisiert, als das was es für Wissenschaft und Technik ist: eine „Lebens“-Frage. Wir haben deshalb in der THD-Initiative für Abrüstung die Darmstädter Verweigerungsformel entwickelt, die wir nun mit einer Liste von Erstunterzeichnern an alle Wissenschaftler und Techniker und solche, die es werden wollen, weitergeben.

Ich sage: wir haben sie entwickelt. Und in der Tat, wir haben Monate dazu gebraucht und endlose Sitzungen. Das zeigt, wie heikel das Thema ist und wie schwer es selbst Leuten „guten Willens“ fällt, hier eine klare Stellung zu beziehen. Die eigentliche Erklärung ist nur kurz und verrät kaum, wieviel Reflexion in ihr steckt. Ich möchte sie deshalb auf dem Hintergrund unserer Diskussion erleichtern und die Argumentation bei der Weitergabe stärken.

Ich erkläre hiermit, daß ich mich im Rahmen meiner Tätigkeit als Wissenschaftler oder Techniker an der Entwicklung militärischer Rüstung nicht beteiligen will. Ich werde mich vielmehr um eine Aufklärung des Beitrages meines Fachgebietes zur Rüstungsentwicklung bemühen und der militärischen Verwendung wissenschaftlicher und technischen Wissen entgegenwirken.

Viele sagten, sie seien doch keine radikalen Pazifisten, auch Landesverteidigung sei zu bejahen. Diesen ist zu antworten, daß darüber durch die Formel nichts entschieden ist. Aber eine prinzipielle Verteidigungsbereitschaft braucht ja nicht die Arbeit an der ständigen technischen Verbesserung (sog. Modernisierung) der Waffen einzuschließen. Vielmehr weiß der Wissenschaftler gerade, daß jede „Verbesserung“ der Rüstung sich über kurz oder lang gegen das eigene Lager richtet. Das folgt aus der Universalität von Wissenschaft und Technik.

Wir hätten ja lieber schlicht von der Verweigerung der wissenschaftlich-technischen Kompetenz gesprochen. Aber das trifft auf die Skrupel derer, die ihre Kompetenz in Ergebnissen materialisiert und publiziert von anderen zu Rüstungszwecken verwendet sehen. Deshalb haben wir nur von der aktuellen Tätigkeit gesprochen. Und auch die haben wir näher qualifiziert: verweigert soll werden die Beteiligung an der Entwicklung militärischer Rüstung. Damit haben wir an die Fähigkeit von Wissenschaftlern und Technikern appelliert, zu erkennen, worum es in ihrer Forschung und Entwicklung geht, Allerdings war uns klar, daß es manchmal nicht zu erkennen ist, daß insbesondere die Arbeitsteilung dem Einzelnen den Durchblick auf das verwehrt: Ich will mich nicht beteiligen. „Ich werde“ wäre klarer und entschiedener gewesen. Aber so steht es eben: daß man gerade noch für seinen Willen, kaum noch für seine Handlungen gutsagen kann.

Wir sprechen von Wissenschaftlern und Technikern. „Wissenschaftler“ scheint einigen zu weit. Da würde man gerade nur die zur Unterschrift kriegen, die nicht betroffen sind, da geht das Spalten schon wieder los. Und wer ist nicht betroffen! Philosophen, Psychologen! Hat denn das Pentagon nicht die Entscheidungstheorie gefördert, ist nicht die moderne Psychophysik auf den Finanzen der Navy gewachsen? So könnte man weitertragen. So muß man weitertragen. Deshalb schließt unsere Formel mit der Verpflichtung, sich um die Aufklärung des Beitrages des eigenen Fachgebietes zur Rüstungsentwicklung zu bemühen. Dieser Satz ist auch aufgenommen worden, weil einige die Formel für zu negativ hielten, andere das Unterschreiben für zu leicht. Die Verweigerung ist zugleich eine positive Verpflichtung, die Verwendung wissenschaftlichen und technischen Wissens für militärische Zwecke zu thematisieren und die Auseinandersetzung darüber in unserer Berufsgruppe zu entfalten.

Dr. Gernot Böhme ist Professor für Philosophie an der Technischen Hochschule Darmstadt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1984/2 1984-2, Seite