W&F 2001/3

Zur Konversion von Gewaltökonomien

Eine Anregung zum Handeln

von Wolf-Christian Paes

Die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt, Ausbeutung und Widerstand, Ressourcenabfluss und Waffenimport erscheint nur schwer zu unterbrechen. Tatsächlich steht auch der Westen – mitsamt seinen humanistisch gebildeten Eliten – vor schwierigen Handlungsalternativen: Soll Nothilfe wirklich eingestellt werden, nur weil, wie etwa im Sudan, auch die Kriegsparteien von der ausländischen Hilfe profitieren – weil in Konflikten immer zuerst diejenigen essen, die Waffen haben? Und umgekehrt gefragt – sollen weit reichende Embargos, etwa gegen den Irak, aufgehoben werden, obwohl Bagdad sich weiterhin weigert, seine Abrüstungsmaßnahmen durch internationale Beobachter überprüfen zu lassen. Und wie lange hält der politische Atem unserer Regierenden bei der Durchsetzung einer an »ethischen Kriterien« orientierten Außenpolitik, wenn es um den Zugang der Industrienationen zu strategischen Rohstoffen geht?
Sanktionen gehören bereits seit langer Zeit zum diplomatischen Waffenarsenal – verhängt von einzelnen Staaten oder von internationalen Organisationen, sollen sie den Handel mit dem sanktionierten Staat unterbinden und einem bewaffneten Konflikt auf diesem Wege das Wasser abgraben. Häufig werden Sanktionen jedoch erst spät – in aller Regel erst nach dem Ausbruch eines Konfliktes verhängt, so dass beide Seiten ausreichend Zeit zur Aufrüstung bzw. zum Transfer von Werten in das Ausland haben. So wurde das UN-Waffenembargo gegen Äthiopien und Eritrea erst im Mai 2000 verhängt, nachdem die Regierungen beider Länder ausreichend Zeit für ausgedehnte Einkaufsreisen zu den Waffenmärkten der Welt hatten. Noch problematischer ist die mangelnde Treffsicherheit von Sanktionen. Gerade Wirtschaftssanktionen treffen eher die Unter- und Mittelschichten, während die Regierenden oft sogar – durch den Zugang zum Schwarzmarkt – von Embargos profitieren. Auch politisch ist die Wirkung von Sanktionen zumindest ein zweischneidiges Schwert. Internationaler Druck führt nur selten zu einem Volksaufstand gegen ein Regime, viel häufiger sind Solidarisierungseffekte, bei denen die Regierenden den Zorn der Massen gegen unpopuläre Maßnahmen zum eigenen Vorteil kanalisieren.

Auch die Frage, wer Sanktionen beschließen und durchsetzen darf, bleibt umstritten – so bestehen die US-amerikanischen Sanktionen gegen Kuba bereits seit zwei Generationen und werden von den meisten anderen Staaten als ein anachronistisches Stück aus der Mottenkiste US-amerikanischer Innenpolitik begriffen. Der Versuch, im Rahmen des Helms-Burton-Gesetzes auch Unternehmen aus Drittstaaten, die mit Kuba Handel trieben, in den USA gesetzlich zu belangen, scheiterte am wütenden Protest Kanadas und der europäischen Länder, deren Wirtschaftsinteressen durch die exterritoriale Wirkung des Gesetzes bedroht waren. Gleichzeitig reagieren dieselben Staaten pikiert, wenn die politische Legitimität von Maßnahmen, die etwa im Rahmen der Vereinten Nationen verhängt werden, mit zunehmenden Entfernung vom Hudson River abnimmt. Es scheint an der Zeit, verbindliche Regelungen für Sanktionen auf internationaler Ebene zu treffen, die erstens zwischen Regierenden und Regierten unterscheiden und zweitens auf alle Staaten der UN-Familie Anwendung finden. Die Grenzen einer werte-orientierten Politik dürfen nicht durch die strategischen Interessen der Großmächte definiert werden, die Forderung nach dem Schutz von Menschen- und Bürgerrechten muss nicht nur an die Staaten der Peripherie, sondern auch (und gerade) an Verbündete und Nuklearmächte gerichtet werden. Dabei dürfen Sanktionen nicht daran scheitern, dass die Industrienationen nicht bereit sind, die notwendigen Ressourcen zur Durchsetzung derselben zur Verfügung zu stellen. Viele Sanktionsbeschlüsse im multilateralen Rahmen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind, da es sowohl an Personal zur Überwachung der Grenzen als auch an Geldern mangelt, um die Nachbarn des sanktionierten Staates für den entgangenen Handel zu entschädigen. Vor diesem Hintergrund wundert es kaum, wenn internationale Beschlüsse kaum Wirkung zeigen.

Korruption beseitigen – Verbrechen verfolgen – Profiteure anklagen

Wirksamer als allgemeine Handelssanktionen gegen einen Staat kann es sein, die regierenden Eliten gezielt zu treffen. So ist es etwa möglich, den Bewegungsspielraum des Führungspersonals durch die Verweigerung von Einreiseerlaubnissen und die Sperrung von Auslandskonten zu beschneiden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass führende Funktionäre der angolanischen Rebellengruppierung UNITA mit ausländischen Diplomatenpässen durch Europa und Nordamerika reisen, Häuser und Wertpapierdepots im Ausland haben. Ähnliches gilt auch für andere Akteure auf den Schlachtfeldern dieses Planeten: Während die Bevölkerung leidet, haben die meisten Hintermänner für den Frieden vorgesorgt – und zwar in aller Regel im Ausland.

Ausländische Banken müssen noch stärker zur Kontrolle von Geldflüssen – sowohl zugunsten von Organisationen als auch von Privatleuten – angehalten werden. Die Durchsetzung international verbindlicher Standards zur Bekämpfung der Geldwäsche ist längst überfällig. Auch die Unterstützernetzwerke bewaffneter Gruppierungen, welche in der ethnischen Diaspora, etwa in Nordamerika und Westeuropa, häufig getarnt als kulturelle Vereinigungen existieren, müssen entschiedener bekämpft werden. Organisationen wie die kosovo-albanische »Befreiungsarmee« UCK, die kurdische PKK oder auch die Tamil Tigers beziehen ihren Nachschub an Rekruten und finanzieller Unterstützung im Wesentlichen aus der Diaspora, wo mehr oder weniger freiwillig Revolutionssteuern gezahlt werden.

Die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofes und die Verfolgung von in Drittstaaten begangenen Kriegsverbrechen gehören zu den bemerkenswertesten Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit. Während noch vor kurzem ein abgesetzter Potentat in aller Regel ein friedliches (und dank der vorsorglich außer Landes geschaffenen Schätze auch komfortables) Exil in einem freundlich gesonnen Drittstaat erwarten konnte, wächst nun der Druck der internationalen Gemeinschaft, die Kriegstreiber vor ein internationales Tribunal zu stellen. Auch hier gilt natürlich die Einschränkung, dass diese Politik nur dann von Erfolg gekrönt sein kann, wenn diese Regelungen auch für die Großmächte gelten. So wirkt etwa die Forderung der USA, den ehemaligen jugoslawischen Staatschef Milosevic vor ein internationales Gericht zu stellen, so lange unglaubwürdig, wie Washington sich weigert die Geltung des Internationalen Strafgerichtshofes für die eigenen Staatsbürger zu akzeptieren.

Erstaunlich wirksam ist auch das »naming and shaming«, die öffentliche Benennung von Staaten, individuellen Politikern oder Unternehmen, die an der Umgehung von Sanktionen beteiligt waren oder direkt oder indirekt wirtschaftliche Vorteile aus bewaffneten Konflikten gezogen haben. Die wütenden Reaktionen der ruandischen und ugandischen Regierung auf den Expertenbericht zum Kongokonflikt oder die Proteste Togos gegen die Bezeichnung als Nachschubbasis der UNITA zeigen, dass die Schaffung von Öffentlichkeit nicht ohne Wirkung auf Staatsmänner und Unternehmen bleibt, die Grund haben um den eigenen Ruf zu fürchten.

Internationalen Waffenhandel stoppen

Das Ende des Kalten Krieges hat dazu geführt, dass gebrauchte Waffen aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks die Gebrauchtwaffenmärkte überfluteten. Einerseits bereiten sich viele Staaten Mitteleuropas auf eine zukünftige NATO-Mitgliedschaft vor und trennen sich daher von Waffensystemen sowjetischer Bauart, andererseits gehören militärische Güter für eine ganze Anzahl von Staaten zu den wenigen Produkten, die auf dem Weltmarkt eine Chance haben. Rumänien, Bulgarien und eine Reihe von Nachfolgestaaten der Sowjetunion spielen heute eine wichtige Rolle auf dem Waffenmarkt als Produzenten oder Transitstaaten.

Auch westliche Staaten – inklusive der Bundesrepublik Deutschland – haben in der Vergangenheit alte Waffenbestände eher an Verbündete verschenkt, als sie zu vernichten. Trotzdem ist innerhalb der Europäischen Union ein Umdenken bei der Rüstungsexportpolitik erkennbar, die lange Zeit von einer Konkurrenz um Marktanteile anstelle von Kooperation gekennzeichnet war. Eine stärkere Abstimmung zwischen den europäischen Hauptstädten – und der Abschied von nationalen Erbhöfen, etwa im französischsprachigen Afrika – könnte einen Beitrag zur Deeskalation leisten.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass die meisten Konflikte der jüngeren Vergangenheit mit Waffen ausgetragen werden, die bereits in den Konfliktregionen existierten. Als Erbschaft des Kalten Krieges sind Kleinwaffen, d.h. automatische Gewehre, Granaten und Mörser, in den meisten Weltregionen weit verbreitet. Exportbeschränkungen können vor diesem Hintergrund nur einen kleinen Beitrag leisten; wichtiger ist es, vorhandene Waffen nach dem Ende eines Konfliktes konsequent einzusammeln und zu vernichten, um zu verhindern, dass sie ihren Weg in benachbarte Konfliktregionen finden. Das gilt übrigens gleichermaßen für Staaten der »Dritten Welt« wie für überzählige Bestände in den Arsenalen der NATO.

Es darf nicht übersehen werden, dass die friedenspolitische Maxime »Keine Waffen in Krisengebiete« ethisch durchaus angreifbar sein kann, wenn etwa – wie in Sierra Leone geschehen – eine Regierung um Waffen bittet, um einer Niederlage (und einem Massaker) durch eine besser bewaffnete Oppositionsgruppe zu entgehen. Die britische Regierung lieferte in diesem Fall die gewünschte Munition und verabschiedete sich somit von einem Grundpfeiler ihrer ethischen Außenpolitik. Auch die Forderung nach dem Gewaltmonopol des Staates kling wohlfeil im Kontext unserer demokratisch-verfassten Staatswesen, was aber ist mit sozialen Bewegungen in autoritären Staaten, denen der bewaffnete Kampf als einziger Ausweg erscheint.

Konsumentenbewusstsein

Erdöl aus Angola, Diamanten aus Sierra Leone oder Kaffee aus dem Kongo – Endverbraucher sind häufig Menschen in den Ländern des Nordens. Die erfolgreiche Strategie von Nichtregierungsorganisationen im Norden, durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit und den Aufruf zum Boykott von Shell-Tankstellen die Mineralölfirma zu einer transparenteren Politik in Nigeria aufzufordern, zeigt die Wirksamkeit dieses Instrumentes.

Eine internationale Kampagne zur Ächtung von Diamanten aus Kriegsgebieten (»Blutdiamanten«) unter dem Motto »Fatal Transactions« hat immerhin bereits eine Verunsicherung der Märkte erreicht. Während noch vor kurzem die Meinung vorherrschte, die Herkunft von ungeschliffenen Diamanten sei nicht zweifelsfrei zu klären und Kontrollen daher unmöglich, beschäftigt sich die Branche jetzt verstärkt mit diesem Thema. Das südafrikanische Diamantenunternehmen De Beers – mit Abstand der wichtigste Produzent – hat sich sogar, besorgt um das lukrative Privatkundengeschäft, selbst verpflichtet, keine Diamanten aus Bürgerkriegsregionen mehr zu verkaufen.

Auch bei anderen Produkten (Kaffee, Tropenhölzer etc.), bei denen eine Verbindung zur Kriegsfinanzierung erkennbar ist, wären vergleichbare Kampagnen denkbar und wünschenswert. Grundsätzlich sollten ethische Mindeststandards für internationale Unternehmen gelten, die mit Kriegsparteien Geschäfte machen. Der Anstoß für diese Diskussion muss wohl von kritischen Aktionären und Konsumenten kommen.

Demobilisierung und gute Regierungsführung

Wo die einzige Überlebensstrategie im Morden und Plündern besteht, müssen wirtschaftliche Anreize geschaffen werden, die Erfolg versprechender erscheinen. Eine Reintegration der ehemaligen Kämpfer und »Gewaltunternehmer« in das soziale Gefüge der Konfliktregion mag schwierig, ja vielleicht sogar aussichtslos,erscheinen, ist aber die einzige Möglichkeit für einen dauerhaften Frieden.

Schwache Staaten, die kaum genug Geld haben um die eigenen Grenztruppen mit Fahrzeugen und Treibstoff zu versorgen, können nicht ernsthaft den illegalen Handel mit ihren Nachbarn unterbinden. Wo es an Ressourcen fehlt um den Sold der Sicherheitskräfte zu bezahlen, steigen die Anreize, bei der nächsten Kontrolle nicht so genau hinzusehen. Die Reform des Sicherheitssektors ist daher ein wichtiger Bestandteil jeder Ausstiegsstrategie.

Der Aufbau von tragfähigen öffentlichen Institutionen erlaubt es, einerseits durch den Schutz von Recht und Ordnung den tödlichen Kreislauf von Gewalt, Selbstschutz und Gegengewalt zu unterbrechen, andererseits trägt ein funktionierendes, alle gesellschaftlichen Gruppen vertretendes Staatswesen auch zum Interessenausgleich bei und erlaubt es, Konflikte friedlich zu lösen.

Langfristig kann eine Konversion von Gewaltökonomien nur dann gelingen, wenn wirtschaftliche Ungleichheiten nicht nur innerhalb von Staaten, sondern auch im Welthandelssystem beseitigt und friedliche Entwicklungsperspektiven aufgezeigt werden können.

Wolf-Christian Paes ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bonner Konversionszentrums (BICC).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2001/3 Ökonomie der Bürgerkriege, Seite