Zurück auf Los
Philippinische Friedensverhandlungen in Oslo
von Rainer Werning
Manila signalisiert nach Jahren der Funkstille seine Bereitschaft, mit der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen in Norwegens Hauptstadt erneut über Frieden zu verhandeln. Rainer Werning berichtet von der Vorgeschichte und zieht eine Zwischenbilanz.
Vor einem Vierteljahrhundert, als im Februar 1986 die Marcos-Diktatur stürzte, war die Neue Volksarmee (NPA), die Guerillaorganisation der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), nach Einschätzung US-amerikanischer Militärexperten „die weltweit am schnellsten wachsende Guerillabewegung“. Mit Ausnahme von Vietnam, Laos und Kambodscha sind in den anderen Ländern Südostasiens– wie beispielsweise in Indonesien, Malaysia und Thailand – einst starke kommunistische Parteien von der politischen Bühne verschwunden oder durch langwierige »Counterinsurgengy« (Aufstandsbekämpfung) in die Knie gezwungen worden. Nicht so die CPP beziehungsweise die politische Dachorganisation der Nationalen Demokratischen Front (NDFP, siehe nebenstehender Text). Wenngleich es innerhalb der Partei in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zu erbitterten, teils blutig ausgetragenen, Debatten über die künftige Strategie und Taktik kam, ist es den Armed Forces of the Philippines (AFP) und der Philippine National Police nicht gelungen, ihr das Rückgrat zu brechen.
Noch zum Jahresbeginn konstatierte der AFP-Sprecher Brigadegeneral Jose Mabanta jr., die NPA stelle nach wie vor die „größte Herausforderung für die innere Sicherheit“ des Inselstaates dar. Deshalb erscheine sie zusammen mit der CPP in den USA und einigen europäischen Ländern auch noch immer auf der Liste »terroristischer Organisationen«. Mabantas Offizierskollege, Generalmajor Jorge Segovia, Divisionskommandeur in der Davao-Region auf der Südinsel Mindanao, traut den Rebellen indes nicht zu, den Kampf militärisch für sich zu entscheiden. Doch werde, so der Zwei-Sterne-General, der »kommunistische Aufstand« anhalten, solange grundlegende soziale Probleme nicht angegangen und gelöst würden. Eine bemerkenswerte Abkehr von jenen martialischen Tönen, mit denen AFP-Offiziere seit der Marcos-Ära (1966-86) jeweils im Tandem mit ihrem Oberkommandierenden, dem im Malacanang-Palast zu Manila residierenden Präsidenten, tremoloartig die alsbald bevorstehende „totale Niederlage“ der NDFP-CPP-NPA prognostiziert hatten.
Dialogbereitschaft in Oslo
Um eben diese virulenten sozialen (wesentlich aus Land- und Bodenbesitz resultierenden) Probleme anzugehen und den zwischenzeitlich gerissenen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, trafen sich unter der Schirmherrschaft des norwegischen Außenministeriums Mitte Januar 2011 die Chefunterhändler beider Seiten. Als Vertreter der seit Ende Juni 2010 amtierenden Aquino-Regierung war Alexander Padilla1 nach Oslo gereist, wo er vom 14. bis zum 18. Januar erste Sondierungsgespräche mit dem Emissär der NDFP-Führungsspitze, Luis G. Jalandoni,2 führte. In einem am 18. Januar gemeinsam veröffentlichten Kommuniqué kündigten Padilla und Jalandoni an, vom 15. bis zum 21. Februar in der norwegischen Hauptstadt die seit über sechs Jahren ins Stocken geratenen Friedensverhandlungen offiziell zu reaktivieren.3 Offensichtlich zeigt man sich im – gemäß chinesischem Kalender – Jahr des Hasen nach Jahren erbitterter Konfrontation wieder in Friedenslaune. Entsprechend optimistisch fielen denn auch die Statements beider Verhandlungsführer aus, die per Handschlag Freundlichkeiten austauschten.
Nach dem Sturz der Marcos-Diktatur Ende Februar 1986 war es unter der neuen Präsidentin und Mutter des jetzigen Präsidenten, Corazon C. Aquino, zur ersten Verhandlungsrunde zwischen Manila und der NDFP-Führung gekommen. Nach einem ständigen Auf und Ab und kurzzeitigen Unterbrechungen der Gespräche, für die sich beide Seiten gegenseitig die Schuld gaben, kam es bis 1998 (nach zahlreichen, vorwiegend in den Niederlanden stattgefundenen Treffen) immerhin zur Unterzeichnung zweier wegweisender Vereinbarungen: dem Gemeinsamen Abkommen über Sicherheits- und Immunitätsgarantien (JASIG) und dem Umfassenden Abkommen zur Wahrung der Menschenrechte und des Internationalen Humanitären Rechts (CARHRIHL).4 Letzteres sah die Schaffung eines Gemeinsamen Monitoring-Komitees (JMC) vor, das entsprechenden Beschwerden nachgehen und Rechtsverstöße gemeinsam prüfen sollte. Das JMC nahm seine Arbeit im Frühjahr 2004 auf, als – nunmehr unter der Ägide des norwegischen Außenministeriums – in Oslo zwischen dem Februar und Juni desselben Jahres weitergehende Verhandlungen stattfanden.
Aus den Fugen gerieten die beidseitigen Verhandlungen, nachdem die USA, die Europäische Union und andere Länder in wohlwollender Übereinstimmung mit der damaligen Regierung unter Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001-2010) die CPP und NPA sowie José Maria Sison, den Gründungsvorsitzenden der CPP und heutigen politischen Chefberater der NDFP, als »terroristisch« brandmarkten. Übrigens sehr zum Verdruss der norwegischen Regierung, die ihre Rolle als Konfliktmediatorin konterkariert sah und deren Unterhändler sich düpiert fühlten. Manila beharrte sodann auf dem Standpunkt, JMC-Treffen seien nicht vonnöten, solange die formellen Friedensgespräche stockten, bis die Unterhändler der Regierung die Verhandlungen schließlich im August 2005 einseitig und offiziell suspendierten.
Die Folge: Die nächsten sechseinhalb Jahre herrschte Funkstille, und die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und NPA-Einheiten eskalierten in einem Klima staatlich sanktionierter »Aufstandsbekämpfung«, in deren Verlauf bis zum Ende der Amtszeit Arroyos Ende Juni 2010 annähernd 1.200 Personen – vorwiegend linke Aktivisten, engagierte Bauern- und Arbeiterführer, Gewerkschafter, Medienleute und sogar medizinisches Personal – Opfer »außergerichtlicher Hinrichtungen« wurden. Nunmehr erklärten sich beide Parteien bereit, ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Im Rahmen einer Goodwill-Geste und als vertrauensbildende Maßnahme signalisierte die Regierungsseite überdies ihre Bereitschaft, zwischenzeitlich gefangen genommene Verhandlungsführer der NDFP auf freien Fuß zu setzen. Laut deren Angaben befinden sich gegenwärtig landesweit noch über 300 politische Gefangene hinter Gittern.5
Ambitionierte Agenda
In Oslo beherrschten folgende Punkte die Agenda:
1. Einvernehmlich sollen die bis dato gemeinsam unterzeichneten Abkommen (JASIG und CARHRIHL) gewürdigt und deren Gültigkeit bekräftigt werden.
2. Das JMC soll reaktiviert werden und dessen Mitglieder sollen regelmäßig Treffen abhalten.
3. Nachdem bereits im April und Juni 2001 eine erste Verhandlungsrunde stattgefunden hatte, ist jetzt die Ausarbeitung eines Umfassenden Abkommens über sozioökonomische Reformen (CASER) avisiert.
4. Eine neu zu bildende gemeinsame Arbeitsgruppe soll sich dem Themenkomplex Politische und Verfassungsmäßige Reformen (PCR) widmen.
5. Sollte darüber eine Übereinkunft erzielt und ein entsprechendes Vertragswerk unterschriftsreif sein, könnten abschließend die Modalitäten einer Beendigung der Feindseligkeiten sowie eine Demobilisierung der bewaffneten Guerillaeinheiten festgelegt werden.
Dieses Prozedere kam den Überlegungen und Erwartungen der NDFP weitgehend entgegen. In früheren Stellungnahmen hatte deren Führung auf eben diese Sequenz neuerlicher Gesprächs- und Verhandlungsrunden gedrängt. Angesprochen auf einen konkreten Zeitplan, gab Manilas Emissär Padilla zu verstehen, dass er davon ausgehe, innerhalb von drei Jahren ein »Gesamtpaket« schnüren zu können, so dass sich noch während der Amtszeit von Präsident Aquino (sie läuft im Sommer 2016 aus) die ersten Reformen implementieren ließen. Doch die ursprünglich für Juni 2011 angesetzte nächste Verhandlungsrunde wurde verschoben, da die NDFP der Regierung vorwirft, fortgesetzt Counterinsurgency-Maßnahmen im Hinterland durchzuführen und gegen den Geist des JASIG zu verstoßen.
Geteiltes Echo
Die Reaktionen auf diese Entwicklung waren überwiegend positiv, wenngleich auch kritische Töne zu vernehmen sind. Zunächst einmal ist es bedeutsam, dass wenigstens wieder miteinander geredet wird und somit unter der Zivilbevölkerung die Hoffnung keimen kann, nicht regelmäßig in die Schusslinien bewaffneter Auseinandersetzungen zu geraten. Zu würdigen ist auch die Zusammensetzung der Regierungsdelegation. Endlich ist diese nicht durchsetzt mit Kommissköpfen, abgehalfterten Generälen und ausrangierten Politikern, deren vorrangiges Ansinnen darin bestand, martialische Drohgebärden mit ständigen Kapitulationsforderungen zu verbinden. Die Diplomaten im Osloer Außenministerium genießen vollumfänglich das Vertrauen aller Beteiligten. In der Vergangenheit hatten sie gegen den Stachel gelöckt und sich dagegen verwahrt, im Sog der manisch-repressiven Politik der Bush-Administration Organisationen und Personen vorschnell als »terroristisch« zu etikettieren.
Unter den philippinischen Linken, von denen seit den 1960er Jahren der Löwenanteil im Spektrum der NDFP-CPP-NPA sozialisiert und politisiert wurde, herrscht nach hitzigen internen Debatten in den 1990er Jahren Uneinigkeit in der Beurteilung neuer Friedensverhandlungen. Dr. Carol Pagaduan-Araullo, seit Jahren eine engagierte Aktivistin, gegenwärtig Vorsitzende des Linksbündnisses BAYAN (Neue Patriotische Allianz) und Kolumnistin der führenden philippinischen Wirtschaftszeitung Business World, bewertet sie positiv und als einen Durchbruch. Dennoch ist ihr Fazit mit einer Portion Skepsis untermalt: „Gewiss werden altbekannte Spielverderber wie Militaristen, das Big Business, ausländische Interessensvertreter, die unter dem bestehenden System immens profitieren, auch weiterhin alles daran setzen, die Gespräche zu stören und Verhandlungsresultate zu vereiteln. Umso mehr gilt es deshalb, die Wachsamkeit und politische Teilnahme der Öffentlichkeit in einer Weise zu erhöhen, dass es solchen Kräften nicht gelingt, wie in den vergangenen Jahren zu schalten und zu walten.“ 6
Anmerkungen
1) Padilla ist Staatssekretär im Gesundheitsministerium und ein angesehener Menschenrechtsanwalt. Seinem Verhandlungsteam gehört mit Pablito Sanidad ein weiterer renommierter Menschenrechtsanwalt an, der bereits während der Ära Marcos zahlreichen politischen Gefangenen und politisch Verfolgten Rechtsbeistand leistete
2) Jalandoni und seine Frau, Coni Ledesma, leben seit Langem im niederländischen Utrecht im Exil.
3) Siehe: Manila wants quick end to communist rebellion. In: Philippine Daily Inquirer (Manila), January 19, 2011.
4) Näheres in: NDFP Declaration of Undertaking to Apply the Geneva Conventions of 1949 and Protocol I of 1977. Published by the NDFP Nominated Section to the Joint Secretariat of the GRP (Government of the Republic of the Philippines)-NDFP Joint Monitoring Committee with assistance from The Royal Norwegian Government. A Publication of the NDFP Human Rights Monitoring Committee, Booklet No. 6, Quezon City, 2005.
5) Peace talks set; gov’t to free 12 Reds, in: Philippine Daily Inquirer, January 20, 2011.
6) Carol Pagaduan-Araullo in ihrer Kolumne »Streetwise« in: Business World (Manila), January 21-22, 2011.
Die Nationale Demokratische Front der Philippinen (NDFP)
Die NDFP ist ein Bündnis von gegenwärtig 17 Mitgliedorganisationen, das am 24. April 1973 im politischen Untergrund entstand. Dabei handelt es sich wesentlich um sektorale Organisationen wie Gruppierungen von Jugendlichen, Frauen, Arbeitern, Bauern, Fischerleuten, Kunst- und Kulturschaffenden, medizinischem Personal etc. Politisch und ideologisch tonangebend ist bis heute die bereits Ende Dezember 1968 gegründete Kommunistische Partei (CPP) und deren Ende März 1969 formierte Guerilla der Neuen Volksarmee (NPA). Zu den frühen Mitgliedern zählten außerdem die Patriotische Jugend (KM), die Christen für Nationale Befreiung (CNL) und die revolutionäre Frauenorganisation MAKIBAKA. Die NDFP war landesweit die führende Kraft im (bewaffneten) Widerstand gegen das Regime von Ferdinand E. Marcos (1966-86), der im September 1972 das Kriegsrecht über den Archipel verhängt hatte und vor 25 Jahren stürzte und ins Exil auf Hawaii flüchtete.
Im November 1977 veröffentlichte die NDFP ihr Zehn-Punkte-Programm, das später zu einem Zwölf-Punkte-Programm erweitet wurde. Oberstes Ziel ist die Schaffung einer Volksdemokratischen Republik der Philippinen. Der Weg dorthin soll – im Sinne Mao Tse-tungs – über einen langwierigen Krieg führen, in dessen Verlauf die Städte schrittweise vom Hinterland her eingekreist und schließlich in einer Serie militärischer Endoffensiven eingenommen werden sollen. Zu den Minimalzielen, die bereits vielerorts im Hinterland verfolgt und umgesetzt werden, zählen: Verringerung der Ernteabgaben an (Groß-)Grundbesitzer, Abschaffung beziehungsweise Senkung von Wucherzinsen, Basisgesundheitsdienste für die ländliche Bevölkerung und Organisierung kollektiver Gegenwehr gegen Privatarmeen, die im Auftrag mächtiger Regionalpolitiker und/oder ausländischer Firmen (vor allem in der Holzindustrie und im Bergbau) operieren.
Bis zum Sturz der Marcos-Diktatur galt die NPA mit ihren damals annähernd 30.000 Kombattanten aus der Sicht des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums als weltweit am schnellsten wachsende Guerilla. Trotz oder gerade wegen dieser Erfolge verfestigte sich innerhalb der damaligen CPP-Führung ein Militarismus, was dazu führte, dass zeitweilige Rückschläge »eingeschleusten Agenten« angekreidet wurden. »Parteiinterne Säuberungsaktionen« kosteten über 1.000 Genossen/innen das Leben – das zweifellos dunkelste Kapitel in der Geschichte der CPP. Eine seit 1992/93 durchgeführte »Berichtigungsbewegung« innerhalb der Partei spaltete die revolutionäre Bewegung in zumindest zwei sich fortan unerbittlich befehdende Lager. Während die »Reaffirmists« am langwierigen Volkskrieg festhalten, verwarfen die »Rejectionists« dieses Konzept als unzeitgemäß, verließen scharenweise die NDFP (sofern sie nicht von deren Führungsorganen ausgeschlossen wurden) und konzentrieren sich fortan vorrangig auf den parlamentarischen Kampf.
Nach eigenem Bekunden unterhält die NDFP heute landesweit annähernd 120 Guerillafronten in 69 der insgesamt 80 Provinzen. Innerhalb von fünf Jahren soll ein »strategisches Patt« hergestellt sein, womit die NPA-Guerilla kräftemäßig mit den staatlichen Streitkräften gleichzöge. Im niederländischen Utrecht unterhält die NDFP ein internationales Verbindungsbüro. Dessen Chef und gleichzeitiger Verhandlungsführer bei den laufenden Friedensgesprächen in Oslo ist Luis G. Jalandoni, während José Maria Sison als politischer Chefberater der NDFP fungiert.
Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler und Publizist mit dem Schwerpunkt Südost- und Ostasien, ist u.a. Philippinen-Dozent bei der Deutschen Stiftung für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Lehrbeauftragter am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn.