von Damon Taleghani

Die Revolution in Iran wird auch durch Akteure im Exil mitgestaltet. Allerdings stellt der Autor unheimliche Allianzen fest und merkt an: Vielleicht zeigt dieses Beispiel, was im Kleinen passiert, wenn Linke in Deutschland nicht ihre Stimmen gegen das »Hijacking« einer Bewegung der Entrechteten und Ausgebeuteten durch Eliten und ihre Helfershelfer_innen erheben und sich gegenseitig bilden.

Der erweiterte Gastkommentar aus Ausgabe 1/2023.

"In Mahsa Aminis memory" von Gerry Popplestone
"In Mahsa Aminis memory" von Gerry Popplestone

Mai 1967, München: Politisch organisierte iranische Studierende werden der Stadt verwiesen – durch deutsche Behörden. Der »Schah« soll in einigen Tagen zu Besuch kommen. Verfassungsschutz und SAVAK, der brutale Geheimdienst des Diktators Mohammad Reza Pahlavi, arbeiten zu diesem Zeitpunkt schon seit über einem Jahrzehnt eng zusammen, um linke Iraner_innen zu verfolgen, wie Bahareh Sharifi in ihrem Artikel über iranische Linke in der 68er-Bewegung beschreibt. Deutsche Angehörige der aufkeimenden Studierendenbewegung basteln Papiertüten mit dem Konterfei Pahlavis für ihre kriminalisierten Genoss_innen.

Die iranischen Studierenden ziehen sich diese über und gehen trotz Verbot gegen ihren Unterdrücker auf die Straße, in München und wenig später auch in Berlin, wo der Demonstrant Benno Ohnesorg von der Polizei ermordet wird und prügelnde »Jubelperser«, wie sie die Presse damals nannte, auf Anweisung des SAVAK Protestierende niederknüppeln.

Februar 2023, ebenfalls in München: Reza Pahlavi, Sohn des oben genannten Diktators, wird zur »Münchner Sicherheitskonferenz« eingeladen, als offizieller Vertreter einer feministischen Revolution, die ihren Anfang in Rojhelat (Ostkurdistan, Staatsgebiet Iran) nahm – unter Arbeiter_innen, Arbeitslosen, kämpferischen Frauen, Männern, Queers.

Pahlavi: Ein Exilant, ein Aktivist?

Die konservative »Welt« titelt im Nachgang: „So plant die Exil-Opposition einen Neuanfang im Iran“ (Welt, 23.02.2023). In der Bild-Zeitung wird „Persiens letzter Prinz“ als Demokrat dargestellt, der „die Mullahs stürzen will“, seinen Vater darf er hier unhinterfragt als gutmeinenden Herrscher darstellen (Bild, 19.02.2023). Wie schon in den Monaten zuvor wird in deutschen Medien iranische Geschichte umgeschrieben und der revolutionäre Sturz des Schahs durch einen breiten Volksaufstand mit der sogenannten »Islamischen Revolution« verwechselt, die danach folgte und nie eine Revolution war, sondern eine schleichende, autoritäre Machtergreifung.

Auch die Idee einer „innovativen Wahlmonarchie“ deutet Pahlavi in der Bild-Zeitung (ebd.) an, wie zuvor schon in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz, und versucht so, ein archaisches Konzept als »politisches Start-Up« zu verkaufen. Zwischen Erbmonarchie und Republik würde er eine Republik wählen, aber wenn die Iraner_innen sich auf sein „innovatives“ Wahlmonarchie-Konzept einließen – warum nicht? „Wir haben eine perfekte Gelegenheit, dies zu tun“, wird Pahlavi in der Welt zitiert, „(…) innovativ (zu) sein, um etwas völlig Neues zu schaffen.“ (Welt, 19.02.2023)

»Taz« und »Süddeutsche Zeitung« nennen ihn einen „Autor“ und „Exil-Iraner“ (Süddeutsche, 19.02.2023, taz, 20.02.2023) – einen Mann, der zum Zeitpunkt der Revolution 1979 in den USA studierte, 1980 in Kairo vergeblich versuchte, sich zum neuen Shah zu erklären und nun seit Jahrzehnten von dem immensen Vermögen lebt, das sein Vater und Großvater erst durch Landnahme und dann durch Ölgeschäfte erbeutet haben, während sie große Teile des Volkes verarmt und unterdrückt hielten.

Pahlavi steht für eine im Januar angekündigte »Koalition« zur Formung einer iranischen Übergangsregierung. Teil dieser Koalition sind auch Masih Alinejad, eine Anti-Kopftuch-Aktivistin, die noch nie Scheu hatte, mit Rechten und Chauvinisten wie Mike Pompeo und Jordan Peterson zusammenzuarbeiten sowie Nazanin Boniadi, eine britisch-iranische Schauspielerin, der kurdische Exil-Politiker Abdullah Mohtadi, die Menschenrechtlerin Shirin Ebadi und Hamed Esmaelion, dessen Familie beim Abschuss des Ukraine-International-Airlines-Flug 752 getötet wurde.

Familiäre und nationalistische Kontinuitäten

Weshalb ist die Kritik an Pahlavi so wichtig? 1923 begann Reza Pahlavi, Großvater des vermeintlichen Oppositionsführers von 2023, die kurdische Sprache und Kultur sowie alle anderen Sprachen Irans brutal zu unterdrücken, nachdem er bereits andere politische und ethnische Gruppen im ganzen Land massakriert und verfolgt hat. Auch sein Sohn Mohammad Reza wird 1967 über tausend Kurden massakrieren als diese die unabhängige »Republik Mahabad« ausrufen. Alles im Namen der iranischen Nation, deren Erhalt den Herrschenden stets wichtiger war als jedes Menschenleben. Man wünschte fast, dies sei nur polemische Überspitzung, doch es ist vielmehr die historische Realität die Geschichtswissenschaftler_innen seit Jahrzehnten aufarbeiten. Für diese Aufarbeitungsleistung zu nennen wären hier der kurdische Wissenschaftler Abbas Vali (Kurds and the State in Iran, 2011), linke Historiker wie Ervand Abrahamian (A History of Modern Iran, 2008) oder die jüngere Generation mit Eskandar Boroujerdi-Sadeghi (Revolution and its Discontents: Political Thought and Reform in Iran, 2019) oder auch Golnar Nikpour (The Incarcerated Modern: Prisons and Public Life in Iran, tba). Wenn der junge Reza Pahlavi also diese Taten heute nicht verurteilt oder die Verantwortlichen gar zu verklären beginnt, dann wirft dies ein problematisches Licht auf seine »liberalen« Überzeugungen.

Nach 1979 setzte die »Islamische Republik« die mörderische, nationalistische Politik der Vorgängerdiktaturen potenziert fort, tötete seither mindestens 10.000 kurdische Menschen, vertrieb Hunderttausende. Bis heute gehört Rojhelat, u.a. mit Sistan-Belutschistan und Lorestan zu den Regionen, die wirtschaftlich und politisch am extremsten unterdrückt werden.

Der iranische Nationalismus hat also Geschichte und Kontinuitäten. Genau diese Geschichte wird jetzt in diesem Moment erneut gewaltvoll weitergeschrieben, sprichwörtlich »in die Haut« einer blutenden anti-hierarchischen Freiheitsbewegung mit ungewisser Zukunft. Einer Bewegung, die für alle erkennbar den namen »Jina-Revolution« trägt und sich nicht in »Reza-Revolution« umbenennen lässt.

Doch genau jetzt, während ich diesen Text schreibe, greifen faschistische Monarchist_innen mit Pahlavis Namen auf den Lippen kurdische und nicht-kurdische Menschen an, die »Jin Jiyan Azadi« rufen, den linken Slogan, mit dem diese Revolution ihren Anfang nahm. In Brüssel sollte heute, am 20. Februar 2023, eigentlich gemeinsam und friedlich für eine sogenannte »Terrorlistung« der iranischen Revolutionsgarden durch die EU protestiert werden – doch dies ist nicht möglich.

Die nationale Einheit – Monarchist_innen nennen sie auch »Solidarität« – wird von rechten Iraner_innen nicht nur beschworen, sondern aggressiv eingefordert, sobald jemand ihren »Prinzen« Pahlavi kritisiert. Egal wie diplomatisch dies erfolgt. Oft reicht aber nur die Verwendung der kurdischen Sprache, die bloße Anwesenheit linker Menschen und Gedanken oder eine kurdische Flagge, um die Wut der Nationalist_innen auf das gefährliche »Andere« hochkochen zu lassen. Doch das Problem liegt nicht nur bei den offen nationalistisch denkenden Iraner_innen im Exil.

Liberales Hijacking der Revolution und ungewöhnliche Bündnisse

„Debattieren können wir nach der Revolution“ – so lautet auch der Tenor vieler liberaler Angehöriger der iranischen Diaspora im »Globalen Norden«. Jetzt ginge es eben erst einmal um Einheit, »etehad«, alles andere würde den gemeinsamem Kampf gegen die Islamische Republik nur unnötig schwächen. So dominierten von Beginn der Proteste an auch eher solche Protagonist_innen die europäische Medienberichterstattung, die einen vermeintlich objektiven Menschenrechtsaktivismus für sich beanspruchen. Da hat niemand Zeit für Debatten, im Gegenteil, zu viel Kritik ist auch hier tendenziell verdächtig. Verhindert werden damit kritische Auseinandersetzungen darüber, wofür hier eigentlich genau gekämpft und sich solidarisiert wird. Die Islamische Republik mordet unterdessen wie immer unbekümmert weiter.

Die Liste an bürgerlichen »Revolutions«-Influencer_innen hierzulande ist lang, ihre Kontakte zu Regierungsparteien oder Organisationen wie der Deutschen Atlantischen Gesellschaft oder dem Pahlavi-nahen »Iran Transition Council« (ITC) sind zahlreich.

Ein gutes Beispiel für eine solche Aktivistin, die eng mit deutschen Regierungsparteien zusammenarbeitet, ist die jesidisch-deutsche Sozialunternehmerin Düzen Tekkal. Schon Ende September 2022 veranstaltete sie am Brandenburger Tor eine »Jin Jiyan Azadî«-Kundgebung mit CDU-Politiker_innen wie Dorothee Bär, Julia Klöckner und sogar Serap Güler, die in Vergangenheit hauptsächlich durch ihre Nähe zum türkischen Faschismus aufgefallen ist. Im Dezember lässt Tekkal eben jenes deutsche Triumphtor mit dem inzwischen weltweit berühmten Slogan anleuchten – und dem Logo ihrer Organisation »hawar.help« auf allen Seiten.

Dass die PKK-Frauenbewegung (von der der bekannte Slogan stammt), türkischer Faschismus und deutsche Konservative eigentlich wirklich gar nichts miteinander zu tun haben und auch nie haben werden, muss man normalerweise nicht mal Rechten erklären.

Doch Tekkal ist auch mit dem »Iran Transition Council« verbunden, ohne dass dies in den letzten Monaten in den Medien zu lesen war. Mehran Barati, ein kurdischer Sprecher des »Iran Transition Councils« (und Schwiegervater Joschka Fischers), sprach mehrfach auf Tekkals Iran-Kundgebungen, ließ sich mit seiner Tochter Minu Barati-Fischer u.a. vom Focus interviewen. Auch bei der Übergabe von Tekkals »Iran-Petition« (mit mehr als 64.000 Unterschriften) im Bundestag und der anschließenden Pressekonferenz war zumindest Minu Barati-Fischer anwesend, während Tekkal lautstark forderte, dass die Bundesregierung ihre Kontakte zum Regime kappen und stattdessen mit Exilvertreter_innen sprechen sollte – zu diesem Zeitpunkt wusste allerdings wohl niemand außer Tekkal, wer diese Vertreter im Exil eigentlich sein sollten. In der gleichen Petition forderte Tekkal vom Bundestag, dass Exil-Iraner_innen vom deutschen Verfassungsschutz »beschützt«, also wohl auch beobachtet werden sollen („4.) Erhöhte Schutzmaßnahmen für Exil-IranerInnen durch den deutschen Verfassungsschutz.“).

Transatlantische Verbindungen

Doch wie genau ist jene Organisation mit Pahlavi verbunden? Zum einen teilt sich der »Transition Council« mindestens eine Adresse in Washington, D.C. mit dem monarchistischen »Phoenix Project of Iran«, was auch auf inhaltliche Nähe schließen lässt. Weiter sind personelle Verknüpfungen zentral. Shahriar Ahy, ein Vorstandsmitglied des ITC, ist Berater und enger Freund Reza Pahlavis. Über ihn war bereits 2006 im New Yorker zu lesen: „Wenn Reza je zurück an die Macht kommen sollte, dann wird das durch das Wirken von Shahriar geschehen.“

Ahy war zudem laut der Washington Post (25.06.2006) und den Memoiren eines ehemaligen Mitarbeiters Pahlavis in den 1980er-Jahren für die Kontakte und den Geldtransfer zwischen CIA und der Pahlavi-Familie verantwortlich, als diese endgültig in die USA übersiedelte und ihre enge, vorrevolutionäre Beziehung zur US-Regierung natürlich weiterpflegte (siehe: Ahmad Ali Massoud Ansari, Nagofteh-haee Az Tarikh E Mo’aser (An Insider View of Contemporary Iranian History) (Persian Edition), 2018)

Der ITC war mit Redebeiträgen seines weiteren Vorstandsmitglieds Mehran Barati auch immer wieder auf Tekkals Iran-Demonstrationen vertreten. Barati, ein kurdischer Exilpolitiker aus Iran, sucht bereits seit den Achtzigern die Nähe zu monarchistischen Kräften. Auch der kurdische Exilpolitiker Abdullah Mohtadi ist wichtiges Mitglied des ITC. Mohtadi, wie oben erwähnt, ist es auch, der nun als »kurdisches Feigenblatt« der Pahlavi-Koalition dient. Er tritt zwar noch selten mit der »Koalition« um Pahlavi und Alinejad auf, aber das Bündnis formiert sich – und findet doch in deutschsprachigen Medien kaum (kritische) Beachtung.

Ein weiteres unwahrscheinliches Vorstandsmitglied des ITC ist Mohsen Sazegara, der Gründer der mörderischen Revolutionsgarden, heute konservativen US-Think Tanks nahestehend. Sazegara hat sich zwar vor zwanzig Jahren mit dem islamistischen Regime überworfen, mahnte aber auch in den letzten Jahren stets zur Mäßigung bei Protesten in Iran und war lange ein lauter Reform-Befürworter.

Inhaltlich lässt sich aber auch eine Kontinuität nachweisen. Auf der Website des »Transition Councils« sind in eher amateurhaften Videos die selben Talking Points zu hören, mit denen auch Pahlavi jetzt auf der Sicherheitskonferenz für sich als zukünftige politische Kraft geworben hat:

  • Eine stabile Energieversorgung durch iranisches Erdgas sowie eine Reduktion der Geflüchtetenzahlen in Europa durch mehr politische Stabilität in Westasien.
  • Wie auch Pahlavi auf der Sicherheitskonferenz, so spricht der ITC eher oberflächlich von Umweltschutz – erklärt aber nicht, wie dieser bei Ausbeutung fossiler Energien zu gewährleisten wäre. Iran besitzt mindestens die zweitgrößten Erdgas-Reserven der Welt und Pahlavi nutzt diese Tatsache schamlos als Lockmittel für eine Unterstützung seiner Person.
  • Pahlavi erwähnte bei der Sicherheitskonferenz ausschließlich das Thema der Wasserknappheit in Iran als umweltbezogenes Problem, in der Bild-Zeitung erhoffte er sich zur Lösung des Problems die Hilfe des israelischen Staates.

Wirken des ITC in die deutsche Politik

Der Iran Transition Council wurde bereits 2019 von Omid Nouripour in den Bundestag eingeladen, um sich mit allen Fraktionen außer der AfD zu treffen. Damals berichtete Natalie Amiri für die Öffentlich-Rechtlichen darüber und beschrieb den ITC auch in ihrem Buch »Zwischen den Welten«, erwähnte unter anderem deren Unterstützung Donald Trumps (Amiri, 2021).

Insgesamt bestehen gute Kontakte in die deutsche Politik und Parteienlandschaft.

Mehran Barati scheint bei den Grünen gut vernetzt zu sein, so ist zumindest zu vermuten: Omid Nouripour zog 2006 auf dem Direktmandat von Baratis Schwiegersohn Joschka Fischer in den Bundestag ein. Auch zur Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung bestehen spätestens seit dem Jahr 2000 Kontakte, da diese die von Barati mitbetreute Website »Iran Journal« bis 2022 finanzierte.

Tekkal hingegen gehörte in den letzten Jahren zu zwei CDU-Schattenkabinetten in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, wurde 2018 sogar als Merkels Migrationsbeauftragte gehandelt und bewarb mit Jens Spahn in der FAZ einen »neuen Patriotismus«.

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz trat sie nun erneut u.a. als Aktivistin für die iranische Revolution auf, war auch bei der »Fish Bowl« mit Reza Pahlavi anwesend (Timestamp „13:44“).

Seit einiger Zeit sucht Tekkal offensiv die Nähe von Außenministerin Baerbock, wie verschiedene gemeinsame Auftritte, Unterstützung ihres Vereins »hawar.help« durch die Außenministerin sowie jüngst gemeinsame Fotos auf der Sicherheitskonferenz zeigen.

Seit Beginn der Proteste im letzten Jahr an steht sie außerdem in Kontakt mit der oben erwähnten Masih Alinejad, führte bereits im September 2022 ein Interview mit dieser, das eher einer Lobeshymne auf das „Gesicht der Protestbewegung“ gleichkam. Alinejad bezeichnete sich wenig später selbst als »Anführerin« der Revolution und erntete dafür vehemente Kritik.

Die sozialen und politischen Positionen der beschriebenen Charaktere stehen in krassem Gegensatz zu denen der oftmals ethnischen Minderheiten angehörenden Arbeiter_innen und mehrheitlich jungen Arbeitslosen, die in den ärmsten Provinzen Irans unter Einsatz ihres Lebens auf die Straße gehen, um für ein anderes Leben zu kämpfen.

Dieses »andere Leben« schließt auch Veränderungen der Besitzverhältnisse und des Wirtschaftssystems in Iran mit ein. Für diese grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderungen kämpften und starben Linke auch schon unter der Diktatur der Pahlavis und in den 1980ern, als die Islamische Republik Linke aller Parteien massakrierte. Diese historischen und sozialen Realitäten muss ein rechte prokapitalistische »Iran-Bewegung« zwangsläufig relativieren oder verschweigen, weil sie sonst auch grundlegende Fragen zur Rolle Deutschlands, Europas und der USA im globalen Kapitalismus beantworten müsste. Weil das unangenehm wäre, hält nun ein „menschenrechtlicher Ausnahmezustand“, der in Wahrheit seit Jahrzehnten herrscht, als Legitimation für jede nur denkbare politische Allianz her, ob mit Politiker_innen von CDU und FDP oder einem nationalistischen Diktatorensohn, der sich noch immer gerne mit »Seine Exzellenz« oder »Euer imperiale Hoheit« ansprechen lässt (beispielsweise bei einer Anhörung am 28.2.2023, im  Europäischen Parlament).

All die selbsternannten deutschen Vertreter_innen der »Women, Life, Freedom«-Bewegung eint, dass sie die Bundesregierung oder wahlweise die Europäische Union als mögliche Befreier der Bevölkerungen Irans betrachten. Historische Beispiele für eine Befreiung und Demokratisierung irgendeines Landes in Westasien (oder der Erde) durch EU, BRD oder USA gibt es natürlich keine – im Gegenteil, Deutschland ist weiterhin Irans Wirtschaftspartner Nr. 1 in der EU.

Wie umgehen mit dem Hijacking?

Aber ein gewisser »Iranischer Exzeptionalismus« – also im Grunde ein ganz alltäglicher Nationalismus, ein nationalistisches Überlegenheitsgefühl, gemischt mit politischem Opportunismus – dient als Grundlage für die Annahme, dass die geopolitische Realität für »uns« nicht gilt. Dieses nationale Selbstbild basiert, wie jeder andere Nationalismus auch, auf mächtigen Märchen, die gerade in den vergangenen Wochen wieder im Rückbezug auf die ehemals herrschende Pahlavi-Familie erzählt werden. So wie die Erzählung von der »jahrtausendealten Zivilisation der Perser«. In Wirklichkeit werden hier unzählige ethnisch, religiös und territorial völlig unterschiedliche Dynastien und widersprüchliche historische Fragmente zu einer Nationalerzählung verwoben, deren Hauptziel die »Einheit« der Nation, also die Unterwerfung aller ausgebeuteten Ethnien und Klassen durch ein Staatsprojekt, das äußerlich seine Form verändert, aber in seiner Essenz stets nationalistisch, kapitalistisch und auch militaristisch bleibt.

Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit wird historisch wie aktuell immer als erstes aus den Forderungskatalogen gestrichen, wenn Menschen gegen ihre Unterdrückung protestieren. So war es 1921 und nach der iranischen Revolution 1979.

Vielleicht zeigt dieses Beispiel, was im Kleinen passiert, wenn Linke in Deutschland nicht ihre Stimmen gegen das »Hijacking« einer Bewegung der Entrechteten und Ausgebeuteten durch Eliten und ihre Helfershelfer_innen erheben und sich gegenseitig bilden. Gerade weil wir gewisse Freiheitsrechte und Ressourcen zur Verfügung haben, tragen wir auch die Verantwortung, uns kollektiv mit den geopolitischen Interessen der Staaten auseinanderzusetzen, in denen wir leben, von der BRD bis in die USA. Dafür ist es unerheblich, ob man Teil der iranischen Diaspora ist oder nicht. Wer »Freiheit« nicht nur für die besitzende Klasse fordert, ist hier gefragt.

Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien als Gastbeitrag in W&F 1/23, S. 5.

Zum Autor:

Damon Taleghani ist Autor und Künstler. Er lebt in Berlin und arbeitet an einem Roman über das Exil der marxistisch-leninistischen Tudeh-Partei des Iran in der DDR.