Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kolumbien und die Frage der deutschen Verantwortung

Die Zivilbevölkerung in Kolumbien darf uns nicht egal sein

In den letzten Jahren wurde vor allem im Kontext der schleppenden Umsetzung des Friedensabkommens mit der damals ältesten Guerilla FARC-EP (2016) über Kolumbien gesprochen. Die Reaktion der Regierung auf die derzeitigen Proteste in 300 Städten des Landes, die sich in rassistischen, klassistischen und sexistischen Formen der Gewalt der (Militär-)Polizei gegen die Demonstrierenden ausdrückt, zeigen nicht nur die Verzweiflung einer autoritären Elite, die auch durch das Friedensabkommen ihr Feindbild (die FARC) verloren hat, sondern offenbart eine »Vernichtungsstrategie« gegen jene, die soziale Gerechtigkeit fordern. Dies zeigt, dass der bewaffnete Konflikt in Kolumbien ohne eine tiefgreifende strukturelle, kulturelle und mentale Dekolonisierung nicht zu lösen ist.

von Gina Cortés und María Cárdenas

Kolumbien ist in Aufruhr, die internationalen Medien berichten. Auslöser der Proteste schien zunächst eine Steuerreform zu sein, die die durch die Pandemie verarmte Mittel- und Unterschicht zusätzlich belastet hätte. Doch die Reaktionen auf die gewaltsame Repression der Proteste durch staatliche Sicherheitskräfte ließ keinen Zweifel daran, dass sich der Protest viel grundlegender gegen die aktuelle Regierungspolitik wendet. Der zugrundeliegende soziale Konflikt, der sich in den Protesten einerseits und der blutigen Niederschlagung andererseits widerspiegelt, ist in kurzer Zeit auf eine Weise eskaliert, die mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages 2016 der Vergangenheit hätte angehören sollen. Doch gerade hier liegt das Problem: die Aufarbeitung und Lösung dieser strukturellen Gewalt- und Konfliktursachen werden von der aktuellen Regierung blockiert und die Sehnsucht danach mit Terror beantwortet. Mittlerweile fordern auch immer mehr Bürgermeister*innen einen Wandel dieser Politik.

Seit Beginn des Nationalstreiks am 28. April 2021 mehren sich die Menschenrechtsverbrechen durch die Staatsgewalt und paramilitärische Milizen an friedlichen Protestierenden in den urbanen Zentren des Landes. Nach Stand vom 14. Mai 2021 werden 450 Menschen vermisst, 45 Demonstrierende zwischen 13 und 26 Jahren wurden von Militärpolizei und Milizen ermordet (sowie ein 86-Jähriger; Stand: 18. Mai 2021). Zudem hat die Polizei in 18 Fällen sexuelle Gewalt und zum Teil schwere Fälle von Vergewaltigung und drei Fälle von geschlechtsbasierter Gewalt gegen Demonstrant*innen angewendet. Zahlreiche Videos belegen diese unfassbare, skrupellose Gewalt1. Zusätzlich haben regierungsnahe Medien und Akteure, wie der Ex-Präsident Alvaro Uribe, explizit zur Waffengewalt aufgerufen und gegen die Proteste Indigener gehetzt bzw. sie als angebliche ELN-Terroristen markiert. Als direkte Folge dieser Hetze beschossen Milizen (offenbar in Zusammenarbeit mit der Polizei) einen Bus der Indigenen-Organisation CRIC, in dem sich auch Kinder befanden, und verletzten dabei elf Personen zum Teil lebensbedrohlich.

Diese Formen autoritärer, misogyner, rassistischer und klassistischer Gewalt von Polizei und Milizen bzw. Paramilitärs, die Kolumbien derzeit vor allem in den Städten und hier insbesondere Cali erschüttern, sind jedoch keine neuen Phänomene. Gerade die ländliche Bevölkerung kennt diese nur allzu gut: seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens sind insgesamt über 1.000 indigene und afrokolumbianische Aktivist*innen, Menschenrechts-, Umwelt- und Friedensaktivist*innen, Kleinbäuer*innen und Journalist*innen ermordet worden – allein 310 davon in 2020 (rund ein Viertel der Ermordeten sind Indigene2, obwohl sie nur 4,4% der Bevölkerung ausmachen.) Zudem gab es zwischen 2020 und 2021 35 Massaker mit über 130 Toten.

Die Gewalt gegen Zivilpersonen durch staatliche »Sicherheits«-kräfte war aber auch in den Städten schon vor dem Nationalstreik ein strukturelles Problem und betraf überproportional häufig Afrokolumbianer*innen, LGBTI-Personen, Frauen, Indigene, junge Erwachsene und Studierende: Zwischen 2017 und 2019 wurden 289 Menschen von der Polizei und 328 Menschen vom Militär ermordet, 139 Fälle sexueller Gewalt durch das Militär und 102 durch die Polizei sind bekannt (temblores.org 2021, S. 18, 25, 47). Es ist diese tyrannische, durch koloniale Kontinuitäten geprägte Gewalt, die sich nun gegen die Protestierenden des Nationalstreiks wendet, um den immer sichtbarer werdenden Widerstand der breiten Bevölkerung gegen das aktuelle Regime und gegen das, wofür es steht, zu brechen.

Strukturelle Gewalt und Konfliktursprünge

Die aktuelle Regierung war 2018 mit einer knappen Mehrheit ins Amt gewählt worden, nachdem sie versprochen hatte, das Friedensabkommen „in Stücke zu reißen“ (vgl. W6 2020). Seitdem hatte sie zwar die Umsetzung des Abkommens so gut wie möglich blockiert, doch auch unter diesen schwierigen Bedingungen konnten die Übergangsjustiz JEP und die Wahrheitskommission CEV die direkte und indirekte Verantwortung von Staatsorganen bei der Verübung und Vertuschung von Menschenrechtsverbrechen aufzeigen3. Zudem stärkten beide Organe – mit Verweis auf das »ethnische Kapitel« des Friedensabkommens (siehe hierzu auch Cárdenas 2019) – die Forderungen ethnischer Gemeinden, dass Rassismus, Kolonialität und Kapitalismus als treibende Faktoren der bewaffneten Gewalt gegen die Zivilbevölkerung anerkannt und sichtbar gemacht werden müssen. Konsequenterweise verlangt diese Erkenntnis dann auch, afrokolumbianische und indigene Gesellschafts- und Wirtschaftsformen zu stärken und der Privatisierung und dem Neo- Extraktivismus eine Absage zu erteilen.

Das Friedensabkommen hatte daher in den letzten Jahren, trotz seiner zähen Implementierung, der Bevölkerung die Hoffnung und auch die Zuversicht gegeben, dass eine andere Gesellschaft möglich sein könnte. So sind in diesen Jahren zahlreiche Allianzen über politische Grenzen hinweg entstanden. Eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung wurde allmählich aufgebaut. Dies zeigt sich auch an den immer stärker werdenden Bündnissen zwischen Studierenden, Afrokolumbianer*innen, Indigenen, Kleinbäuer*innen und LGBTQI+Personen – wie im aktuellen Nationalstreik. Es ist aber auch in der Politik zu erkennen, beispielsweise am sogenannten »historischen Pakt« für die Präsidentschaftswahl 2022, der jüngst Politiker*innen der Mitte mit verschiedenen linken und alternativen Parteien vereinte.

Mit der Pandemie kam es in Kolumbien, das eines der ungleichsten Länder Lateinamerikas ist, durch die Isolations- und Quarantänemaßnahmen jedoch zu einer weiteren Verarmung der Mittel- und Unterschicht. Die roten Tücher, die seit Beginn der Pandemie an den Fenstern vieler Häuser hingen, waren ein stummer Protestschrei der Hilfe und der Verzweiflung. Ein Schrei danach, das neoliberale Wirtschaftssystem zu durchbrechen, das den freien Zugang zu Grundrechten wie Gesundheit, Bildung oder Infrastruktur (Abwasser- und Trinkwassersysteme, Straßen etc.) im Laufe der letzten Jahrzehnte durch eine beinahe vollkommene Privatisierung dieser Bereiche verunmöglicht hat.

Statt in die Abschwächung der Pandemiefolgen zu investieren, hatte die Regierung einen Anstieg der wirtschaftlichen Verarmung auf ungeheuerliche 42,5 % in Kauf genommen (und somit 21 Millionen Menschen in die Armut und Informalität gedrängt) und stattdessen das Verteidigungsinvestitionsbudget von 9,2 Mrd. US$ im Jahr 2020 (Acosta 2021) auf 10,4 Mrd. US$ im Jahr 2021 erhöht (Ita María 2021). Dieser Anstieg der Militärausgaben, gepaart mit der weiteren Liberalisierung des Arbeitsmarkts, ist nicht nur besorgniserregend, sondern auch ein Risiko für die sozioökonomische Stabilität des Landes. Die nun kürzlich von der neoliberalen Regierung unter Iván Duque vorgeschlagene Steuerreform hätte die Ungleichheit noch verstärkt, da sie für bisher befreite Versorgungsleistungen wie Wasser, Strom und Gas sowie für Bestattungsdienste und elektronische Geräte die Mehrwertsteuer vorgesehen hatte. Insofern ist auch diese Reform nicht die Ursache der derzeitigen Proteste, sondern nur der letzte Baustein in einer langen Reihe an diskriminierenden und Ungleichheit schaffenden Maßnahmen.

Ein landesweites Aufbegehren

Die aktuellen Proteste, die am 28. April begannen, sind somit keine Folge der Pandemie oder einer fehlgeleiteten Steuerreform. Sie wenden sich gegen einen politischen Klientelismus, der sich nicht nur offen gegen den Frieden stellt und jegliche Aufarbeitung des Konflikts blockiert, sondern auch weiterhin quasifeudale Herrschaftsstrukturen aufrechterhält, die großen Wirtschaftszweige (u.a. Bananen, Zucker und Bergbau) in Oligopolen konzentriert und diese von Steuern und offenem Wettbewerb befreit hat (Pardo 2021). Und gegen eine politische Kultur, die polarisiert statt vereint. Der Protest wendet sich also gegen ein Amalgam aus sozialen Konflikten, die von Korruption, struktureller Gewalt und Ungleichheit, postkolonialen Machtverhältnissen und bewaffneter Gewalt geprägt sind, das die kolumbianische Bevölkerung in einem Kreislauf der Ungleichheit, Armut, des Misstrauens, der Spaltung und der Angst gefangen hält.

Der landesweite Streik setzt daher auch die Proteste vom November 2019 und September 2020 fort, denen sich auch damals schon verschiedene Wirtschaftssektoren, Studierende, Frauen LGBTQI+Personen, indigene und afrokolumbianische Bevölkerungsgruppen und Kleinbäuer*innen angeschlossen hatten. Die Protestierenden hatten höhere Investitionen in das Bildungssystem sowie die Auflösung der berüchtigten Aufstandsbekämpfungseinheit der Polizei (ESMAD) gefordert, die für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist (Arciniegas 2021). Gesellschaftlich fortschrittliche Folgen hatten diese Proteste keine. Vor diesem Hintergrund, zusammen mit der aktuellen globalen Gesundheitskrise, muss die Unzufriedenheit der Kolumbianer*innen und der anhaltende Protest auf der Straße analysiert werden.

Es wird geschätzt, dass sich in den letzten zwei Wochen rund 15 Millionen Menschen am Nationalstreik beteiligt haben – über ein Drittel der Bevölkerung. Auch wenn vor allem Jugendliche und junge Erwachsene in den (internationalen) Medien sichtbar und unter den Todesopfern sind, so ist die breite Masse des Protestierenden viel heterogener und wird in vielerlei Hinsicht von afrokolumbianischen Frauenorganisationen (wie z.B. COMADRE), Nachbarschaftskommittees, Indigenen und Organisationen der ländlichen Bevölkerung getragen. Die Unterstützung des Streiks in der Bevölkerung liegt laut Umfragen auch zwei Wochen nach seinem Beginn bei über 75% (Semana 2021).

Obwohl die Regierung die Steuerreform und die Gesundheitsreform mittlerweile zurückgezogen hat und der Finanzminister sowie die Außenministerin zurückgetreten sind, hat die Regierung die Gewalt gegen die Protestierenden in keiner Weise eingedämmt. Am 13. Mai 2021 haben daher Menschenrechtsorganisationen und der Senator Iván Cepeda vor dem Internationalen Strafgerichtshof in den Haag ein Ermittlungsersuchen gegen die kolumbianische Regierung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingereicht. Derweil haben die staatlichen Apparate Haftbefehle gegen vier soziale Aktivist*innen erlassen, denen eine Führungsverantwortung unter den Dissident*innen der demobilisierten FARC-EP vorgeworfen wird.

Auch die Bundesregierung steht hier in der Verantwortung

Denn obwohl das deutsch-kolumbianische Friedensinstitut CAPAZ (finanziert durch das Auswärtige Amt) die kolumbianische Regierung zu einem Ende der Gewalt aufrief, und auch der Menschenrechtsausschuss des Bundestags sich am 07. Mai 2021 an die kolumbianische Regierung gewandt hatte, blieb der deutsche Botschafter in Kolumbien, Peter Ptassek, noch bis zum 05. Mai dem Diskurs der kolumbianischen Regierung treu und stellte den »Vandalismus« als Ursache der Eskalation in den Vordergrund – und bekam dafür dementsprechendes Feedback.

Und das obwohl erwiesen ist, dass der deutsche Waffenhersteller Sig Sauer unerlaubterweise 38.000 Handfeuerwaffen an die kolumbianischen Sicherheitskräfte geliefert hatte. Ralf Willinger von terre des hommes sagte hierzu: „Unsere Recherchen in Kolumbien belegen, dass die Pistolen, die Sig Sauer illegal nach Kolumbien exportiert hat, dort für zahlreiche Verbrechen eingesetzt werden – von illegalen bewaffneten Gruppen wie Paramilitärs, Guerilla und Drogenkartellen, aber auch von Polizei- und Armeeangehörigen. […] Diese rücksichtslose Geschäftspolitik auf Kosten der Menschen vor Ort muss dringend gestoppt werden.“ (Aktion Aufschrei/ORL 2020) Das Urteil der zweiten Strafanzeige gegen Sig Sauer steht zwar noch aus, doch die Schusswaffen sind auf zahlreichen Videos zu sehen. Deutschland hat als Waffenexporteur also eine gewisse Mitverantwortung für das, was gerade in Kolumbien passiert.

Im Dezember 2020 wurden 509,3 Millionen Euro für neue Vorhaben der technischen und finanziellen Zusammenarbeit (Zuschüsse und Kredite) zugesagt – allen voran für die Umsetzung des Friedensabkommens, die Stärkung der Zivilgesellschaft und der guten Regierungsführung. Die Fortsetzung dieser Zusammenarbeit muss jetzt schnell an klare Bedingungen geknüpft und ihre Einhaltung eingefordert und kontrolliert werden – notfalls mit Konsequenzen.

Die Methodik der Gewalt

Die JEP hat in den letzten Jahren eindeutig aufgezeigt, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch kolumbianische Sicherheitskräfte keine Einzelfälle sind, sondern systemisch. Die aktuelle Situation zeigt, dass die kolumbianische Regierung nicht willens ist, hieran etwas zu ändern. Im Gegenteil: die vergangenen 15 Tage haben gezeigt, dass die Sicherheitskräfte auch jetzt methodisch vorgehen. Das wird aus den Formen der Gewalt (sexuelle Gewalt, Vergewaltigung, Exekutionen) ersichtlich und daraus, dass diese Gewalt verstärkt nachts ausgeübt wird und sich vor allem gegen marginalisierte Bevölkerungen (entlang Klasse, Raza, Gender) richtet.

Nun hat die kolumbianische Regierung zu allem Überdruss auch noch das Militär angewiesen, die von den Demonstrierenden blockierten Straßen zu räumen. Angesichts der Ausbildung des Militärs, u.a. durch bekennende Neonazis4, sind weitere Menschenrechtsverbrechen in den kommenden Tagen zu befürchten.

Fazit

Kolumbien hat weniger einen Mangel an technischer oder fachlicher Expertise oder an natürlichen Ressourcen, noch an Demokrat*innen und Friedensaktivist*innen – noch nicht. In Kolumbien herrscht ein Mangel an demokratischen Garantien, am Zugang zu grundlegenden Menschenrechten, an der Unantastbarkeit der Würde des Menschen und an einem Rechtsstaat. Das Problem des Landes ist die gewaltsame Herrschaft entlang kolonialer Kontinuitäten und deren Aufrechterhaltung durch Terror. Dass die Regierung im Krieg mit ihrer Bevölkerung ist, zeigen auch die Formen der Gewalt (sexuelle Gewalt, Vergewaltigung, gewaltsames Verschwindenlassen und Exekution) die von den Sicherheitskräften gegen Protestierende angewendet wurden. Die aktuelle Regierung und ihr Schattenkabinett aus wirtschaftlichen und politischen Eliten ist die zentrale Blockadekraft, die der demokratischen und friedlichen Veränderung im Weg steht, die mittlerweile von der Breite der Gesellschaft eingefordert wird.

Das u.a. vom BMZ finanzierte »Sympathie Magazine Kolumbien verstehen« hatte 2019 noch mit Verweis auf den Experten Ariel Avila5 geschrieben: „Er setzt auf neue Führungsfiguren und auf die junge Generation. Sie sei eine ‘Generation des Friedens‘, die ein fortschrittliches Land wolle, eine offene Gesellschaft, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit“ (Sympathie Magazine 2019). Es ist diese Generation, die gerade ihr Leben riskiert, um eine Zukunft zu haben. Deutschland muss hier deutlich Position beziehen – gegen Menschenrechtsverbrechen und Straflosigkeit.

letztes Update: 20.05.2021

Info

Kolumbianer*innen in Deutschland arbeiten Tag und Nacht daran, dass die Rufe der kolumbianischen Zivilbevölkerung in Deutschland ein Echo finden. Wer sie unterstützen möchte, kann sich u.a. an Aluna Minga e.V. (München; info@alunaminga.org), Red Colombia Rhein-Main (Frankfurt Main; redcol.rheinmain@gmail.com) oder Unidos Por La Paz (Berlin; unidosporlapazalemania@gmail.com) oder wenden.

Anmerkungen:

1) Der britische The Guardian sammelt und archiviert diese Videodokumente und persönliche Berichte von Gewalterfahrungen

2) Zwischen 2016 und 2020 wurden 242 indigene Führungspersonen ermordet, 2021 wurden weitere 20 indigene Aktivist:innen ermordet.

3) Ein Beispiel sind die Fälle der sogenannten »falsch Positiven«. Bislang war von über 2.000 Fällen ausgegangen worden, die JEP konnte jedoch zeigen, dass insgesamt 6.402 Zivilpersonen vom Militär einzig für den Zweck ermordet worden waren, um dann nachträglich als Guerilla-Kämpfer*innen verkleidet die Statistik vom Kampf gegen den Terror aufzubessern.

4) Für die Ausbildung des Militärs ist in Kolumbien die Militäruniversität Nueva Granada verantwortlich. An dieser lehrt auch der bekennende chilenische Neonazi Alexis López Tapia, Gründer einer neonazistischen ultrarechten Partei. Dieser betrachtet die Zivilbevölkerung als legitimes Objekt militärischer Gewalt und betont den Primat des Militärs.

5) Ariel Avila ist Politologe und Vizedirektor der NGO Paz y Reconciliación (Frieden und Versöhnung) . Er ist einer der führenden Analytiker*innen der kolumbianischen Gegenwart. Er vertritt u.a. die Position, dass es einen Ausweg aus der aktuellen Krise nur mit 1) einer tiefgreifenden Sicherheitssektorreform und dem Rücktritt allerverantwortlicher Führungspersonen, 2) einem zeitlich begrenzten Grundeinkommen für die verarmte Bevölkerung, um die Wirtschaft anzukurbeln, 3) der plangemäßen Umsetzung des Friedensabkommens und 4) einer Stärkung des Gesundheitssystems geben kann.

Literatur:

Acosta, C. (2021): Colombia es el segundo país en América Latina con la inversión más alta en gasto militar. Asuntos.legales, 28.04.2021.

Aktion Aufschrei/Ohne Rüstung Leben (2020): Aktion Aufschrei: Erneute Strafanzeige wegen illegaler Sig Sauer-Waffenexporte nach Mexiko, Kolumbien und Nicaragua. Pressemitteilung, 15.06.2020.

Arciniegas, Y. (2021): Colombia: el descontento sigue en las calles, más allá del retiro de la reforma tributaria. France24, 04.05.2021.

Cardenas, M. (2019): „Nicht ohne uns!“. Der partizipative Friedensprozess in Kolumbien. Wissenschaft und Frieden 2/2019, S. 13-16.

Ita María (2021): ¿Qué está pasando en Colombia? Volcanicas, 04.05.2021.

Pardo, D. (2021): Colombia: 3 cosas que se piden en las protestas más allá del logrado retiro de la reforma tributaria (y la renuncia del ministro Carrasquilla). BBC Mundo en Colombia, 04.05.2021.

Semana (2021): Paro nacional. El 75 % de los colombianos apoya las manifestaciones. 11.05.2021.

Sympathie Magazine (2019): Editorial. Kolumbien verstehen. Sympathiemagazin.de

Temblores (2021): Bolillo, Dios y Patria. temblores.org. Zugriff: https://issuu.com/temblores/docs/bolillo-dios-patria-digital

W6 (2020): ¿Se cumplió la promesa de campaña de hacer trizas los acuerdos de paz? Hablan el Procurador Fernando Carrillo y el Alto Consejero para la Estabilización, Emilio Archila. El Tiempo, 22.10.2020.

Autorinnen

Gina Cortes arbeitet bei der internationalen Organisation »Women Engage for a Common Future« zu Gender- und Klimapolitik. Sie ist Umweltingenieurin mit Abschluss von der Universidad El Bosque und hat einen Master in nachhaltigem Ressourcenmanagement der Technischen Universität München (TUM), mit Zusatzstudium an der Hong Kong University of Science and Technology (HKUST). Sie ist Teil verschiedener Programme und Netzwerke, u.a. der Heinrich-Böll Stiftung, der Global Solutions Initiative und UNITE 2030.

María Cárdenas war acht Jahre W&F-Redaktionsmitglied. Sie promoviert an der Justus-Liebig-Universität Gießen zum dekolonialen Potential von inter-ethnischem Aktivismus im Rahmen des kolumbianischen Friedensprozesses und seiner Implementierung. Sie ist außerdem Mitarbeiterin im ERASMUS+ Project BRIDGES (Building Inclusive Societies: Diversifying Knowledge and Tackling Discrimination through Civil Society Participation in Universities) und engagiert sich in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Friedensverbänden, u.a. in der DFG-VK.