Konferenzen

»Nuclear Ban Week« in Wien

Austausch, Inspiration und praktische Schritte auf dem Weg zur Abschaffung von Atomwaffen

von Anne Balzer (ICAN Deutschland)

Auf drei separaten, aber dennoch wesentlich miteinander zusammenhängenden Veranstaltungen kamen in der gerade vergangenen Woche Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und politische Entscheidungsträger*innen in Wien, Österreich zusammen. Sie diskutierten die Herausforderungen der nuklearen Abschreckung und die Weiterentwicklung des UN-Vertrags zum Verbot von Atomwaffen (AVV). Anne Balzer fasst für uns die drei Konferenzen knapp zusammen und gibt einen kurzen Ausblick.

ICAN_Nuclear Ban Week

»The Ban is the Plan« – Weltweite Denuklearisierung

Das von ICAN organisierte »Nuclear Ban Forum« am 18. und 19. Juni hatte ein breites Programm zusammengestellt: 40 Workshops und rund 100 Speaker*innen boten etwa 600 Gäste die Gelegenheit, das Thema nukleare Abrüstung aus ganz verschiedenen Perspektiven zu diskutieren. Hochrangige Expert*innen wie u.a. Pavel Podvig vom Abrüstungsprogramm der Vereinten Nationen (UNIDIR); Zia Mian; Leiter des Programms für Wissenschaft und globale Sicherheit der Princeton University und Dr. Olamide Samuel gaben Einblicke in ihre Forschung, stellten Thesen zur Diskussion und kamen ins Gespräch mit den Gästen des Forums.

Das Forum bot ebenso Gelegenheit, einen regionalen Fokus auf Atomwaffen und Abrüstung zu vertiefen, unter anderem in Workshops zu Nordostasien (»Denuclearisation in North East Asia«) oder dem Nahen und Mittleren Osten (»In the Zone: The TPNW and the Middle East«). Aber auch Gäste, die sich noch nicht lange mit dem Thema beschäftigen, erhielten mit inspirierenden Reden wie »The Ban is the Plan«   einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Vertrags zum Verbot von Atomwaffen. Nicht zuletzt wartete das Forum mit reichlich Impulsen auf, wie der Diskurs zur Abschaffung der Atomwaffen mit Kraft der Zivilgesellschaft neu gestaltet werden kann.

Das »Nuclear Ban Forum«  war aber auch in sozialer Hinsicht von besonderer Bedeutung: Nach der langen Pandemie konnten wir endlich Menschen einmal wirklich begegnen, die wir in den letzten Jahren ausschließlich in kleinen Kacheln auf unseren PCs kennengelernt hatten. Es bot sich endlich die Gelegenheit, sich zu vernetzen und in Präsenz zu bestaunen, wie sich die »Abrüstungscommunity« weiterentwickelt. Nicht zu unterschätzen war auch der Mehrwert, den das Forum für das Lernen voneinander hatte – über Ländergrenzen und Arbeitsbereiche hinweg. Und das ist dringender denn je, wie die ICAN-Geschäftsführerin Beatrice Fihn schon zur Eröffnung des Forums zusammenfasste:

„Wir können die Abwesenheit von Atomwaffen nicht als gegeben hinnehmen. Deshalb sind wir und so viele Aktivist*innen heute hier.“

Humanitäre Auswirkungen von Atomwaffen

Dem »Nuclear Ban Forum« folgte die »Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen« , ausgerichtet vom österreichischen Außenministerium. Die Konferenz setzte die Reihe der ihr vorangegangenen humanitären Konferenzen von 2013 und 2014 in Wien, Oslo und Nayarit fort. Sie bildete ein Momentum der Besinnung auf die Grundlagen des AVV: auf die direkten und indirekten humanitären Folgen von Atomwaffen; der Besinnung auf die Unfähigkeit, auf diese Folgen reagieren zu können; auf die Risiken, die das Konzept der nuklearen Abschreckung mit sich bringt.

Doch bedurfte es dafür einer weiteren Konferenz? Kann ein solches Forum überhaupt noch einmal einen Effekt haben? Ist nicht bereits alles gesagt? Nein, war und ist es nicht. Die Organisator*innen haben es geschafft, Expert*innen mit exzellenter und seit 2014 fortgeschrittener Forschung zusammenzubringen, die eindringlich zeigt: Die Bedrohung durch die Existenz von Atomwaffen ist nicht hinnehmbar.

Es wurde außerdem klar, dass die Folgen von bisherigen Atomwaffeneinsätzen und -tests auf Betroffene und Umwelt weiterer Forschung bedürfen – um Gerechtigkeit und Betroffenheit festzustellen, Wiedergutmachung und Entschuldigungen zu erstreiten, um unsichtbar wirkende Spätfolgen in Umwelt und Gemeinschaften aufzudecken. Ebenso braucht es finanzielle Investitionen und institutionelle Anbindung, um Fragen nach den Auswirkungen auf Nachkommen der zweiten und dritten Generation der Betroffenen von Atomwaffentests- und einsätzen zu klären oder auch, um Wege der effektiven und notwendigen Unterstützung zu entwickeln.

Auch in der Forschung zu den Auswirkungen von Atomwaffeneinsätzen auf die Lebensmittelsicherheit und klimatische Veränderungen gibt es weiterhin Potential: Nicht nur im weiteren Zusammentragen von Fakten, sondern vor allem auch in der Vermittlung des Wissens. Denn innovative Wege der Wissenschaftskommunikation können einen dringend notwendigen Beitrag leisten, um die Dringlichkeit der Abrüstung in der Gesellschaft, bei politischen Entscheidungsträger*innen und Institutionen zu verankern. Eine solch innovative Art der Wissensvermittlung konnten die Teilnehmer*innen der »Nuclear Ban Week« durch die Simulation »On the Morning you wake« erfahren. In der Simulation einer virtuellen Realität tauchen die Teilnehmenden 20 Minuten lang in das Leben von Bewohner*innen auf Hawai’i ein, die 2018 einen Raketen-Fehlalarm erleben mussten. Die Simulation basiert auf realen Ereignissen und vermittelt ein beengendes Gefühl der Panik, den vermeintlich näher kommenden Raketen nicht entkommen zu können.

Mit Verspätung an den Start: Erste Vertragsstaatenkonferenz

Die dritte Veranstaltung der »Nuclear Ban Week« in Wien war die lange erwartete erste Vertragsstaatenkonferenz zum AVV vom 21. bis 23. Juni. Es nahmen die – nach einigen Ratifizierungen kurz vor der Konferenz– 65 Vertragsstaaten und viele weitere beobachtend   teil, darunter aus der NATO: Deutschland, Norwegen, Belgien, Niederlande sowie die potentiellen Mitglieder Finnland und Schweden. Deutschlands Teilnahme war auch im Vorhinein erwartbar gewesen, da sie im Koalitionsvertrag vereinbart worden war. Dies war ein wichtiger Schritt im Prozess der Auseinandersetzung mit dem AVV.

Die AVV-Vertragsstaatenkonferenz war zugleich auch die erste multilaterale Konferenz zu nuklearer Abrüstung seit Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine und der nuklearen Erpressung durch Präsident Putin. Die Konferenz zeigte, dass die Mehrheit der Staatengemeinschaft die aktuelle Bedrohung durch Atomwaffen ablehnt.

Diese erste Staatenkonferenz hat den AVV mit praktischen Maßnahmen weiter ausgestaltet, unter anderem durch die Festlegung von Fristen zur Abrüstung von Atomwaffen, die potentiell beitretende Atomwaffenstaaten abrüsten müssten, und Fristen für den Abzug der Waffen aus den Staaten, in denen die Atomwaffen bisher stationiert sind.

Die »Nuclear Ban Week« war ein Signal zur richtigen Zeit – eine dringend notwendige Plattform für Dialog und Inspiration, um die Herausforderungen der nuklearen Abrüstung weiter anzugehen.

Ein ausführlicher Konferenzbericht von der Vertragsstaatenkonferenz wird in W&F 3/22 (Juli/August) erscheinen.

Zur Autorin:

Anne Balzer (ICAN)

Anne Balzer hat Politikwissenschaft in Leipzig, Istanbul und Berlin studiert. Sie ist ausgebildete Mediatorin und bei ICAN Deutschland Referentin für Advocacy, Bildungsprojekte und Öffentlichkeitsarbeit.