Nachruf

Dem eigenen Gewissen folgen

Ein Nachruf auf Egbert Kankeleit

Egbert Kankeleit

Am 23. Dezember 2022 verstarb Egbert Kankeleit, der wie kaum ein anderer den Mut und die Kraft hatte, die Ambivalenz des eigenen Fachs zu problematisieren.

Geboren wurde Kankeleit am 16. April 1929 in Hamburg, in München studierte er Physik, wo er im Jahre 1961 in der Gruppe von Heinz Maier-Leibnitz promoviert wurde. Über einen Umweg zum CalTech in Pasadena (USA) folgte er im Jahre 1966 einem Ruf an die TH Darmstadt (heute TU), wo er dann bis zu seiner Emeritierung 1997 blieb.

Als einer der Pioniere der Mößbauerspektroskopie und mit Studien zu myonischen Atomen, zur Paritätsverletzung beim Gammazerfall und zur Positronenforschung hatte er schon früh wissenschaftlichen Erfolg in den »normalen« Bahnen eines experimentell arbeitenden Kernphysikers. Dies gipfelte in der Analyse der chemischen Beschaffenheit der Marsoberfläche mittels eines in seiner Arbeitsgruppe entwickelten Spektrometers, das an einer NASA-Doppelmission zum Mars mitflog.

Kankeleit begnügte sich aber mit diesen Erfolgen nicht, sondern fragte auch nach den gesellschaftlichen Folgen. Könnte durch Wiederaufarbeitung abgetrenntes Reaktorplutonium in Atomwaffen verwendet werden? In den 1980er Jahren nutzte er seine kernphysikalische Expertise, um in einer viel beachteten Studie nachzuweisen, dass dies tatsächlich möglich ist. Was heute allgemein als Stand der Wissenschaft anerkannt ist, stand damals noch im Widerspruch zu Behauptungen aus der Industrie.

So sah sich Kankeleit zunehmend auch als Akteur der »Citizen Scientists«, die ihre persönliche und gesellschaftliche Verantwortung als Wissenschaftler*innen nach der Erfahrung mit der Atomwaffenforschung und den Bombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki durch öffentliche Aufklärung wahrnehmen wollten. Er engagierte sich in der internationalen Pugwash-Bewegung, der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und der Darmstädter Friedensinitiative, in der Studierende und Lehrende eng zusammenarbeiteten. Ihm wurde klar, dass die Forderung nach Verantwortbarkeit unseres wissenschaftlichen Tuns heute weit über das fachspezifische Korrektheitsethos hinausgehen müsse. Angesichts der lebensweltlichen Problemlagen müsste viel eher fachübergreifende Zusammenarbeit als gemeinsame Suche nach nachhaltigen Zukunftspfaden etabliert werden.

Ende der 1980er Jahre wagte er einen an deutschen Universitäten außergewöhnlichen Schritt: Stipendiat*innen der VW-Stiftung, die nach ihren Physikpromotionen zu naturwissenschaftlich-technischen Fragen der Rüstungskontrolle arbeiteten, gab er durch Aufnahme an sein Institut eine universitäre Heimstätte. Aus dieser Keimzelle und mit weiteren Lehrenden der Friedensinitiative entwickelte sich die »Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit« (IANUS). Kankeleits »schützende Hand« und sein Renommee ermöglichten die Etablierung als wissenschaftliche Einrichtung der TUD. Gegen erheblichen Widerstand engagierte er sich in den Folgejahren für die Anerkennung von interdisziplinär angelegten Promotionen mit physikalischem Kern, bei denen es vor allem um Fragen der Ambivalenz nuklearer Technologien und Materialien ging.

IANUS wurde zum Anziehungspunkt für junge engagierte Wissenschaftler*innen aus mehreren Disziplinen. Viele arbeiten heute national und international in angesehenen Positionen, universitär und außeruniversitär. Zusammen mit anderen Arbeitsgruppen wurde dann 1997 der »Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit« (FONAS) gegründet. IANUS erhielt im Jahr 2000 den Göttinger Friedenspreis.

Egbert Kankeleits Wirken wird uns weiter anspornen, um so mancher Fehlentwicklung, die heute unter dem Emblem wertfreier Forschung getrieben wird, kompetent und mutig entgegenzutreten.

Franz Fujara, Jürgen Scheffran (im Namen der früheren IANUS-Mitglieder)

Dieser Nachruf erscheint im Print in W&F 1/2023, S. 54.