von Corinna Hauswedell und Jürgen Nieth

Kennengelernt haben wir Otfried Anfang 1983 im Koordinierungsausschuss (KA) der Friedensbewegung, der, wie im Oktober des Jahres sichtbar wurde, die größten Friedensdemonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik auf über zwei Millionen Beine stellen konnte. Otfried, damals 27 und parteiloser Experte, half kenntnisreich und listig, den Streit um die Bewertung von Pershing-II, Cruise Missiles und SS-20 in die großen gemeinsamen Aktionen gegen Raketenstationierung, nukleare Abschreckung und Kalte Krieger auf beiden Seiten des »Eisernen Vorhangs« münden zu lassen.

Damals und auch später immer wieder, wenn Otfried mit seinen peniblen militär- und sicherheitspolitischen Recherchen und Analysen Bewegung und Wissenschaft, Medien und Politik trefflich beriet, schien er sich von einem Marx‘schen Credo leiten zu lassen: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen.“ Seine präzisen Kenntnisse, wie Atomwaffen, Drohnen, Kleinwaffen, neue Cybertechnik und der Export dieser Waffen »funktionieren«, versetzten ihn und folgerichtig auch diejenigen, die er beriet, in die Lage, die mit Militär und Rüstung grundlegend verbundenen (Un-) Sicherheitsstrategien und Gefahren zu erkennen und zu kritisieren.

So wurde der studierte Theologe Otfried für viele von uns ein Friedens- und Konfliktforscher ganz besonderer Qualität – und er wird mit seinem enzyklopädischen Wissen, das in seinem Kopf lebendiger war als in den Regalen seines Berliner Instituts für Transatlantische Studien (BITS), unersetzbar bleiben! Wie kaum einem anderen ist es ihm gelungen, von außerhalb des »Mainstream« in eben diesen Mainstream hinein zu wirken – die hohe Kunst des wirklichen (Gegen-) Experten! Das hat ihm zwar nicht die materiellen Ressourcen beschert, die er so nötig gebraucht hätte, um noch wirksamer sein zu können. Aber es entstand eine Art vertrauensvoller Anerkennung als Gesprächspartner, die eben weit in die Kreise des sicherheitspolitischen Establishments wie auch der Bundeswehr hineinreichte – ein »Aufklärer« im besten Sinne.

Er war ein Wanderer und Streiter in den verflixt schwierigen und gefährlichen Welten von Krieg und Frieden, der nie den friedenspolitischen Kompass oder den Humor verlor. Wenn man mit ihm beim Bier, im Zug oder im Auto saß und über die Kontroversen einer gerade stattgefundenen Diskussionsveranstaltung sinnierte, war da nie ein zynischer, selten ein sarkastischer Ton zu hören, eher ein wieherndes Lachen, ein verschmitzter Blick, eine Erinnerung daran, wie wir in den Achtzigern über Aufrufinhalte, Rednerlisten und Aktionsformen gestritten hatten und wie daraus eine tiefe Freundschaft entstand. Oft zeigte er auch Verständnis für die Sturheit des »Gegners«. Otfried war ein Menschenfreund, der das Leben liebte und dafür mit Leidenschaft brannte.

Etwas mehr Würdigung seiner Arbeit, so, wie es jetzt in den vielen Nachrufen anklingt, hätte ihm sicher zu Lebzeiten gut getan.

Dankbar sind wir, dass wir so lange Jahrzehnte gemeinsam mit ihm streiten und kämpfen konnten, dass er auch für unsere Zeitschrift so viele wertvolle Beiträge geleistet hat, zuletzt noch in diesem Jahr »Weniger Sprengkraft, aber mehr Risiko – Kleine Atomsprengköpfe auf großen U-Boot-Raketen« (W&F 2/2020, S. 43-46). Weitere Beiträge von Otfried Nassauer sind auf der W&F-Website zu finden.

Wir vermissen Dich bereits jetzt sehr, lieber Otfried! Es wird verdammt viel schwerer ohne Dich.

Corinna Hauswedell (ehem. Mitherausgeberin des Friedensgutachtens, Vorsitzende der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden)
Jürgen Nieth (ehemaliger verantwortlicher Redakteur von W&F)