Dossier 63

2008: Yes we can - 2010: No I can´t?

Ein Jahr US-Außen- und Militärpolitik unter Obama

von Claudia Haydt, Joachim Guilliard, Regina Hagen, Andreas Henneka, Ali Fathollah-Nejad, Jürgen Nieth, Jürgen Scheffran, Jürgen Wagner und Tobias Lambert

Beilage zu Wissenschaft und Frieden 1/2010
Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden

zum Anfang | Hoffnungsträger - Friedensnobelpreis - Kriegsherr

von Jürgen Nieth

Gesundheitsreform, eine andere Klimapolitik, Abzug aus dem Irak, Auflösung Guantanamo, Folterverbot, die Respektierung der Verbündeten und der anderen Regierungen sowie der internationalen Institutionen, die Achtung anderer Religionen und Kulturen - das alles gehörte zu Obamas Wahlkampfthemen. Davor lagen zwei Amtsperioden Bush mit einem unter falschen Vorzeichen begonnenen Irakkrieg, mit Lug und Trug gegenüber Freund und Feind, einer Missachtung der UN, internationaler Organisationen und Vereinbarungen, mit einer kaum zu überbietenden Islamphobie.

Der Redaktionsschluss dieses Dossiers war am 15. Januar 2010; aus diesem Grund konnten zwei Ereignisse nicht mehr berücksichtigt werden, die für die Perspektive Obamas und seiner Politik sehr wichtig werden können:

1. Am 20. Januar 2010 gewann bei einer Nachwahl zum US-Senat in Massachusetts - einer alten Hochburg der Demokraten - ein Republikaner. Die Demokraten verloren hier den 60. Senatssitz und damit die Möglichkeit, auch umstrittene Projekte zügig gegen die Republikaner durchzusetzen. Damit dürfte vor allem die bereits abgespeckte Gesundheitsreform gefährdet sein. Aber auch auf die im Frühjahr stattfindende Konferenz zur nuklearen Nichtweiterverbreitung dürfte dies Auswirkungen haben. Es droht wieder einmal ein fauler Kompromiss - weil mehr in den USA nicht durchzusetzen ist.

2. Nach der Erdbebenkatastrophe in Haiti haben die USA dort praktisch die Macht übernommen. 15.000 GIs sollen die Sicherheit garantieren, sie kontrollieren den Flughafen, die Ein- und Ausreise, sie bestimmen, welche Flugzeuge mit Hilfsgütern landen können und welche nicht, usw. Anstatt die vor Ort durch das Erdbeben betroffene UNO-Peace-Keeping-Truppe zu stärken, wurden deren Checkpoints handstreichartig übernommen. Selbstverständlich erfordert eine Katastrophe, wie die in Haiti, ein schnelles umfassendes internationales Handeln. Der Einsatz von Militär kann notwendig sein, wenn nur dieses über technische Mittel verfügt, die für Rettungs- und Versorgungsaktionen notwendig sind und die die Hilfsorganisationen nicht haben. Im konkreten Fall aber wurden alle Relationen verschoben, und vor allem lässt das selbstherrliche Auftreten der USA aufhorchen, das an die alte »Hinterhofpolitik« erinnert.

Von allen KandidatInnen hatte Obama das schärfste Kontrastprogramm zu seinem Vorgänger, und zusammen mit dem optimistischen »Yes we can« mobilisierte er Millionen, die sich selbst aktiv und mit Geld im Wahlkampf engagierten und Obama schließlich zum Sieger machten. Obama war Hoffnungsträger, national, vor allem aber auch international. Und wie fast immer: Wenn einer erst mal zum Symbol für Veränderungen geworden ist, verbinden sich damit auch viele unrealistische Erwartungen. Auch bei Obama gab es Erwartungen, die weit über das hinaus gehen, was er im Wahlkampf versprochen hat. Er hat den Abzug aus dem Irak versprochen, aber nie Krieg als Mittel der Politik ausgeschlossen. Nach dem Einmarsch der USA in den Irak bekannte er im Oktober 2002: „Ich bin nicht gegen alle Kriege, nur gegen dumme Kriege.“ Obama hat nie eine schnelle Beendigung des Afghanistankrieges in Aussicht gestellt, auch wenn die Kampagnen der Republikaner, die ihn mal als Muslim, mal als Pazifisten oder sogar Sozialisten bezeichneten, diesen Eindruck erwecken konnten. Was ist aus den Wahlkampfversprechen geworden, wie sieht es mit den Erwartungen in Obamas Politik aus, ein Jahr nach seinem Start als Präsident der USA?

Neue Töne aus Washington

In seiner Antrittsrede als Präsident versprach Obama am 20.01.2009 den Rückzug aus dem Irak sowie seinen Einsatz für Frieden in Afghanistan und für ein Ende der atomaren Bedrohung. Zwei Tage später ordnete er die (bis heute nicht erfolgte) Schließung des Gefangenenlagers und Folterzentrums Guantanamo Bay an. Später im Jahr verurteilte er mehrfach Folter, die Verantwortlichen der Bush-Administration für die Folter blieben aber straffrei.

Das Thema Rüstungsbegrenzung und atomare Abrüstung griff Obama das ganze Jahr über immer wieder auf. Bereits am 1. April vereinbarte er mit dem russischen Präsidenten Medwedew Gespräche über eine atomare Abrüstung, und fünf Tage später formulierte er seiner Prager Rede die Vision von einer atomwaffenfreien Welt. Am 17. September erklärte der amerikanische Präsident den Verzicht auf die Stationierung von Abwehrraketen in Polen und den Bau einer Radarstation in Tschechien. Beide Projekte der Bush-Regierung hatte Russland als Provokation und Bedrohung empfunden.

Eine Woche später stellte Obama vor dem UN-Sicherheitsrat seinen Plan für eine atomwaffenfreie Welt vor, der danach einstimmig vom UN-Sicherheitsrat als Resolution verabschiedet wurde. Es ist eine Absichtserklärung, die den Staaten leider keinerlei bindende Verpflichtungen auferlegt.

Auf vielen politischen Handlungsfeldern agiert Obamas anders als sein Vorgänger:

Im April verfügte er, dass alle Reisebeschränkungen für Exilkubaner aufgehoben werden und dass diese ihren Verwandten auf Kuba wieder Geld senden dürfen.

Gleichfalls im April sprach sich Obama in der türkischen Hauptstadt für einen »neuen Dialog« mit der islamischen Welt aus. Seine Formulierung, dass die USA sich »nicht im Krieg mit dem Islam befinden« wird als Bruch mit der Bush-Doktrin »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns« verstanden. In seiner Rede an der Universität von Kairo vertiefte er im Juni diese Gedanken. Er rief die muslimische Welt zur Versöhnung mit den USA auf, ging auf die islamische Welt zu, ganz ohne die Arroganz der Hegemonialmacht, die seine Vorgängerregierungen ausgezeichnet hatte. Obama kündigte an, die Hamas in die Gespräche zur Lösung des Nahostkonflikts einzubeziehen, dem Iran sprach er das Recht auf zivile Nutzung der Atomenergie zu und er bot direkte Gespräche ohne Vorbedingungen an.

Im September erklärte sich die US-Regierung bereit zu direkten Gesprächen mit Nordkorea, die die Bush-Regierung ausgeschlossen hatte. Nach jahrelanger Brüskierung der UN und anderer internationaler Gremien durch die USA kam es unter Obama zur Wende.

Ende Juni verabschiedete das US-Repräsentantenhaus ein Klimaschutzgesetz, in dem erstmals Obergrenzen für den Ausstoß von Kohlendioxid festgelegt werden. Auch wenn die in diesem Gesetz festgelegten Obergrenzen deutlich zu hoch und die Klimapolitik insgesamt nach wie vor kritikwürdig ist (siehe J. Scheffran in diesem Dossier), muss festgehalten werden, dass diese Fragen unter Bush kein Thema gewesen waren.

Im September gaben die USA ihren Widerstand gegen den UN-Menschenrechtsrat auf, sie nahmen erstmals als Vollmitglied an einer Sitzung teil.

Gleichfalls im September leitete mit Obama zum ersten Mal nach vielen Jahren ein US-Präsident eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates.

Nach 122 Jahren wurde im Dezember vereinbart, dass die USA den Indianern Entschädigung zahlen für die Landnahme. Die Summe von 3,4 Milliarden US-Dollar klingt läppisch, die damit verbundene Anerkennung, dass Hunderttausenden Indianern Unrecht geschehen ist, hat aber einen hohen symbolischen Wert für die Betroffenen.

Friedensnobelpreisträger Obama

Außen- und militärpolitische Fragen standen auch im Mittelpunkt, als das Nobelpreiskomitee am 9. Oktober 2009 Obama den Friedensnobelpreis zusprach. In der Begründung heißt es: „Barack Obama erhält den Friedensnobelpreis für seinen außergewöhnlichen Einsatz zur Stärkung der internationalen Diplomatie und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern. Das Komitee hat besonderes Gewicht auf seine Vision und seinen Einsatz für eine Welt ohne Atomwaffen gelegt. Obama hat als Präsident ein neues Klima in der internationalen Politik geschaffen. Multilaterale Diplomatie steht wieder im Mittelpunkt, mit besonderem Gewicht auf der Rolle, die die UN und andere internationale Organisationen spielen. Dialog und Verhandlungen sind hier die bevorzugten Mittel, um auch die schwierigsten internationalen Konflikte zu lösen. Die Vision einer atomwaffenfreien Welt hat auf kraftvolle Weise Verhandlungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle neu belebt. Durch Obamas Initiativen spielen die Vereinigten Staaten jetzt eine konstruktive Rolle zur Bewältigung der Klima-Herausforderungen, mit denen die Welt konfrontiert ist.

Demokratie und Menschenrechte sollen gestärkt werden. Es geschieht selten, dass jemand wie jetzt Obama die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zieht und neue Hoffnungen auf eine bessere Zukunft entfacht. Seine Diplomatie fußt auf der Vorstellung, dass diejenigen, die die Welt führen sollen, dies auf der Grundlage von Werten... tun müssen, die von der Mehrheit der Weltbevölkerung geteilt werden...“

Man darf sicher davon ausgehen, dass das Nobelpreiskomitee nicht zu den Institutionen zählt, die illusionäre Erwartungen in die Politik Obamas hatten. Eher sollte wohl mit der Preisvergabe die in der Begründung skizzierte Politik gestärkt werden. Jedoch gerade dieser Effekt wird international stark angezweifelt.

Der »Stern« zitiert über Seiten kritische, ja hasserfüllte Stimmen aus den USA. Er kommt zu dem Schluss: „Mit dem Friedensnobelpreis sind Barack Obamas Sorgen nicht kleiner, sondern größer geworden. Ein Jahr nach seiner Wahl zum Präsidenten muss er den Gegnern im Land nun erst recht beweisen, dass er Amerikas Interessen vertritt.“ (Stern, 15.10.09, S.24) Ähnliche Stimmungsbilder vermitteln auch die US-Korrespondenten der anderen Zeitungen. Zusammengefasst im »Tagesspiegel« (12.10.09, S.6) mit: „Rechts Häme, links Sorge“. Die FR (10.10.09, S.5) stellt für eine andere Region fest: „In Nahost versteht keiner den Nobelpreis-Entscheid“. Die „Palästinenser beklagen, dass es ihm, dem Hoffnungsträger aller Unterdrückten, im Nahost-Konflikt an Mumm und Nachdruck fehle. Und die Israelis finden sich von Obama nicht genügend gemocht und beachtet.“ (siehe auch C. Haydt in diesem Dossier)

Die wichtigste Kritik geht aber in die Richtung, dass es vor allem Ankündigungen, Versprechen, Reden sind, die in der Begründung der Nobelpreisvergabe gewürdigt werden. Die Schlagzeile auf der Titelseite der »Neuen Zürcher Zeitung« (17.10.09) lautet denn auch: „Der Zauber großer Worte“. Und der »Stern« (15.10.09, S.24) fast zusammen: „Obama ist wie ein Architekt, der für seine Zeichnungen geehrt wird, aber noch kein einziges Haus gebaut hat. Es ist eine Wette auf eine bessere Zukunft. Die Norweger haben »Hope« und »Change« gewählt, wie seine Wähler vor einem Jahr, aber nicht seine Leistungen“ (Stern, 15.10.09, S.24) Auch »Der Spiegel« überschreibt seine Titelstory zum Friedensnobelpreis mit „Die Worte und die Welt“ (12.10.09, S.96). Weiter heißt es: „Der Friedensnobelpreis belohnt nicht sein Handeln, sondern eine Idee und die neue Bescheidenheit der Weltmacht.“

Bescheiden gab sich auch Obama selbst, nachdem er von der Preisvergabe erfuhr. Er sei „beschämt..., er sehe die Auszeichnung nicht als Bestätigung für Erreichtes, sondern als »Aufruf zum Handeln«“ (FAZ 10.10.09, S.2). Eine große Chance zum Handeln hat er jedoch verpasst. Ende November ließ er durch seinen Sprecher Ian Kelly mitteilen, dass die USA entgegen früheren Bekundungen doch nicht dem internationalen Abkommen zur Ächtung der Landminen beitreten. Man habe die bisherige Position noch mal überdacht und sei zu dem Schluss gekommen, „weder unseren nationalen Verteidigungsanforderungen noch unseren Sicherheitsverpflichtungen gegenüber unseren Freunden und Verbündeten genügen zu können, wenn wir diese Konvention unterzeichnen.“ Landminen töten auch noch nach den Kriegen und vor allem Zivilisten. Nach Angaben der »Internationalen Kampagne zur Ächtung von Landminen« (die 1998 den Friedensnobelpreis erhielt) wurden alleine 2008 über 5.000 Todesfälle registriert, ein Drittel davon Kinder.

Die USA sind das einzige NATO-Mitglied, das den »Ächtungsvertrag« bisher nicht unterzeichnet hat. Sie haben zwar seit dem Golfkrieg von 1991 keine Landminen mehr eingesetzt, produzieren auch keine mehr und sind mit 1,5 Milliarden US-Dollar jährlich der größte Zahler zur Beseitigung dieser heimtückischen Waffen; sie behalten sich aber weiterhin die Einsatzoption offen. Ein Beschluss zur Verschrottung der 10 Millionen in den USA lagernden Landminen wäre auch ein Signal an Russland, China und Israel gewesen, die drei anderen prominenten Nichtunterzeichner. So kommentierte die FR (26.11.09) den Rückzieher mit „Nobel dreht sich im Grabe um“.

Kriegsrechtfertigung zur Friedenspreisvergabe

Die fünf Damen und Herren im Osloer Komitee haben sich zur Preisverleihung wahrscheinlich einen Friedenspräsidenten gewünscht, bekommen haben sie aber den Oberbefehlshaber einer Armee, die in fremden Ländern zwei Kriege führt. Der Abzug aus dem Irak rückt weiter weg (s. J. Guilliard in diesem Dossier), und der Afghanistankrieg eskaliert. Noch bevor Obama zur Entgegennahme des Friedensnobelpreises noch Norwegen reiste, verfügte er die Entsendung weiterer 30.000 SoldatInnen. Zu Beginn seiner Amtszeit waren 32.000 US-AmerikanerInnen in Afghanistan im Einsatz, nach dieser Aufstockung sind es fast 100.000 (s. J. Wagner in diesem Dossier). Sie bekamen einen Präsidenten, der den Friedenspreis nutzte, um Kriege zu rechtfertigen.

Ja, es gab sie auch diesmal, die sprichwörtliche Bescheidenheit: „Verglichen mit einigen Großen der Geschichte, die diese Auszeichnung erhalten haben - Schweitzer und King, Marschall und Mandela - sind meine Verdienste gering.“ Auch die kritische Sicht des Krieges fehlte nicht: „In den Kriegen von heute sterben mehr Zivilisten als Soldaten; sie säen die Saat künftiger Konflikte, schwächen die Volkswirtschaften, brechen Zivilgesellschaften entzwei, vermehren die Zahl der Flüchtlinge und versetzen Kinder in Angst und Schrecken.“ Der Friedensbegriff in seiner Rede ist ein umfassender. Es geht nicht nur um die Abwesenheit des sichtbaren Konflikts. „Nur ein Frieden, der auf den unveräußerlichen Rechten und der Würde des Einzelnen beruht, kann ein dauerhafter Friede sein... Ein gerechter Friede beinhaltet nicht nur zivile und politische Rechte - er muss wirtschaftliche Sicherheit garantieren.“ Die Vision dagegen blieb eher schwammig, nebulös: „Lasst uns nach einer Welt streben, wie sie sein sollte - danach, dass der Funken des Göttlichen sprüht, der unsere Seelen nach wie vor berührt... Irgendwo jetzt nimmt sich eine Mutter, die von Armut gestraft ist, die Zeit, ihrem Kind beizubringen, dass die grausame Welt auch einen Platz für seine Träume hat.“

Dominierend dagegen die Rechtfertigung von Kriegen: „Es wird Zeiten geben, in denen die Nationen den Einsatz ihres Militärs nicht nur für nötig halten, sondern auch für moralisch gerechtfertigt... Ich sehe die Welt, wie sie ist, und ich kann die Augen nicht verschließen... Das Böse existiert in der Welt. Eine gewaltfreie Bewegung hätte Hitlers Truppen nicht aufhalten können. Verhandlungen können die Anführer der El Kaida nicht dazu bringen, ihre Waffen niederzulegen. Zu sagen, dass Krieg manchmal notwendig ist, ist kein Aufruf zum Zynismus. Es ist die Wahrnehmung der Geschichte, der Unzulänglichkeiten der Menschheit und der Begrenztheit der Vernunft.“

Das ist nicht „Die Friedensbotschaft des Kriegspräsidenten“ (FR 11.12.09, S.2), es ist eher »eine Kriegsbotschaft zur Friedenspreisvergabe«. Selbst für die FAZ (11.12.09., S.1) ist es nur „eine nüchterne, ernüchternde Rede... (mit) wenig... Visionen für eine neue, friedliche Welt“. Und in der FR (11.12.09.) schreibt D. Ostermann: „Zur Frage aber, wie er den Nobel-Vorschusslorbeer in den verbleibenden drei Jahren seiner Amtszeit zu rechtfertigen gedenkt, hat er erstaunlich wenig gesagt. Da war viel Theorie über das Führen gerechter Kriege und wenig Konkretes zum Frieden.“

Reflektierend und differenzierend - wie diese Rede in TAZ und FAZ bezeichnet wird - ist sie eben nur bis zu dieser Kriegsrechtfertigung. Die bedient eher alte Klischees. Wieder einmal wird Hitler bemüht, um Krieg zu rechtfertigen. Das faschistische Deutschland hat fast ganz Europa und Nordafrika überfallen - welches Land hat denn die USA angegriffen, oder von welchem Land aus droht den USA ein Angriff? Die Führung von Al Kaida operierte gestern von Afghanistan aus, heute sitzt sie wahrscheinlich in Pakistan (oder bereits im Jemen?), morgen unter Umständen in Somalia - Krieg ist ganz offensichtlich nicht das geeignete Instrument zur Bekämpfung des Terrors. Im Gegenteil: Vor dem Einmarsch der USA in den Irak hatte Al Kaida dort keine Chance, danach bekamen die Terroristen dort Zulauf. Krieg und Besatzung sind eine gute Voraussetzung zur Rekrutierung in Terrornetzwerke. Obama ist (im Gegensatz zu Bush) nicht zuzutrauen, dass er das nicht weiß, aber er bemüht die alten Klischees.

Fazit

Wenn nach einem Jahr Bilanz gezogen wird, gilt es die Ergebnisse an den tatsächlichen Versprechen zu messen und nicht an den eigenen Wünschen. Gleichzeitig sollte berücksichtigt werden, dass nach einem Regierungswechsel nicht alle Aufgaben gleichzeitig angegangen werden können - manchmal ganz objektiv innenpolitische Fragen wichtiger sein können als außenpolitische. Hinzu kommt, dass ein angekündigter Politikwechsel Gegenkräfte mobilisiert - manchmal auch in der eigenen Partei. Was ein Präsident will und was er kann, ist also nicht unbedingt identisch.

Obama hat nach acht Jahren Bush ein schweres Erbe angetreten. Die innenpolitischen Herausforderungen sind enorm. Obama selbst hat erklärt, dass er ohne ökonomische Fortschritte, ohne Bewältigung der Krisenfolgen, seine Wiederwahl in drei Jahren gefährdet sieht. Die Wirtschaftskrise hat aber ganze Landstriche in Amerikas Industrieregionen verwüstet, die Arbeitslosenquote ist so hoch wie seit einem Viertel Jahrhundert nicht mehr, der Dollar ist so schwach wie selten zuvor. Lediglich bei der Gesundheitsreform zeigt sich innenpolitisch für Obama Licht am Horizont.

Die außen- und umweltpolitischen Herausforderungen sind riesig. Die USA führen zwei Kriege, die den Handlungsspielraum - auch finanziell - einengen; die Rolle als dominierende Weltmacht bröckelt sichtbar. Obamas Reden machen deutlich, dass vor diesem Hintergrund für ihn eine einfache Fortsetzung der US-Politik der letzten Jahrzehnte nicht in Frage kommt. Die Auftritte in Prag, Kairo und vor der UNO, die aktive Rückkehr in internationale Gremien sind Signale für eine den Realitäten Rechnung tragende und politische Lösungen bevorzugende Politik - in deren Mittelpunkt bei ihm selbstverständlich die Interessen der USA stehen. Nur auf diesem Feld fehlen bisher die Erfolge. Der innenpolitische Widerstand - auch der aus den eigenen Reihen - spielt hier sicher eine wichtige Rolle. Die Nichtkooperation anderer Regierungen - darunter auch verbündeter, wie die Israels - kommt hinzu. Aber auch das eigene Handeln ist oft - zu oft - durch ein Zurückweichen vor dem innenpolitischen Gegner, durch Inkonsequenz gekennzeichnet. Es mehren sich die Stimmen derer, die sich im Wahlkampf für ihn engagiert haben und die jetzt tief enttäuscht sind.

Obamas Wahlkampfslogan hieß »Yes we can« und nicht »Yes I can«. Es war ein beispielloser Wahlkampf, indem sich mehr Menschen engagierten als jemals zuvor, im Internet genauso wie auf der Straße und auch mit Millionen Kleinspenden. Es war eine breite Koalition aus Gebildeten und Künstlern, Gewerkschaftern und Jugendlichen, Frauen, Latinos und Afroamerikanern, die ihm zur Nominierung und später zum Wahlsieg verhalf. Dieses Potenzial ist unverzichtbar für einen wirklichen Politikwechsel. Obama braucht außerparlamentarische Bewegung - national für soziale Maßnahmen und die Beendigung der Kriege, international für erste Schritte Richtung atomarer Abrüstung. Er muss zurück zum »Yes we can«!

Jürgen Nieth, Journalist, ist Mitglied des Redaktionsteams von W&F.

zum Anfang | Hoffnungsschimmer oder Realität?

Barack Obama und die atomwaffenfreie Welt

von Regina Hagen

Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Hoffnungsschimmer kein Ersatz ist für tatsächliche Ergebnisse“ erinnerte Jayantha Dhanapala, ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär für Abrüstungsangelegenheiten, knapp ein Jahr nach Antritt der Regierung Obama die Öffentlichkeit. Seine Mahnung - der Anlass war die Umstellung der Weltuntergangsuhr von »5 vor 12« auf »6 vor 12« - beschreibt die Lage recht treffend.

Schon im Wahlkampf hatte Barack Obama versprochen, sich für eine Welt ohne Atomwaffen stark zu machen. Einige Wochen nach Amtsantritt stellte er im April 2009 in einer programmatischen Rede in Prag seine Pläne für nukleare Abrüstung vor. Die gaben zwar noch keinen Weg zur atomwaffenfreien Welt vor, wurden angesichts von rund 23.000 weiterhin existenten Atomwaffen - 95% davon im Besitz der USA und Russlands - aber positiv aufgenommen. Eine fast schon euphorische Stimmung erfasste kurz darauf viele Diplomaten, die in New York zusammentrafen, um die Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages vom Mai 2010 vorzubereiten. Sonst nüchterne Herren klammerten sich im düsteren Sitzungssaal der Vereinten Nationen an die Hoffnung, dass ein Richtungswechsel möglich sei: „Yes, we can!“

Kein Jahr danach weicht die Euphorie der Ernüchterung. Was ist passiert? Hat Präsident Obama seine Vision schon verloren? Erliegt er dem Druck der rüstungsverliebten »Falken« in Repräsentantenhaus und Senat? Sind die Lobbyisten aus Industrie, Militär und Forschungsestablishment einfach zu stark? Oder mit Brecht: „Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so“?

Obamas Rede in Prag

In seiner Prager Rede betonte Obama „...als Nuklearmacht - als einzige Nuklearmacht, die eine Atomwaffe eingesetzt hat - haben die Vereinigten Staaten eine moralische Verantwortung zu handeln. ...“ Dieses Eingeständnis war ein Novum, und schon für sich Applaus wert. Obama versicherte ferner, „dass die Vereinigten Staaten entschlossen sind, sich für den Frieden und die Sicherheit einer Welt ohne Atomwaffen einzusetzen.“ Eine solche Absicht hatte ein US-Präsident erst zwei Mal bekundet: Harry S. Truman vor den neu gegründeten Vereinten Nationen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg (damals arbeitete die Sowjetunion mit Hochdruck an der Entwicklung einer Atombombe und ließ sich nicht auf eine entsprechende Regelung ein) und 1986 Ronald Reagan, als er mit Michail Gorbatschow, damals Generalsekretär der KPdSU, kurz vor dem Abschluss eines Abkommens über die vollständige Abrüstung des gesamten Nukleararsenals stand; dieses Vorhaben scheiterte, weil Reagan nicht auf seinen weltumspannenden Raketenabwehrschirm verzichten wollte.

Obama weiter: „Zunächst werden die Vereinigten Staaten konkrete Schritte in Richtung einer Welt ohne Atomwaffen unternehmen. Um die Denkmuster des Kalten Kriegs zu überwinden, werden wir die Rolle von Atomwaffen in unserer nationalen Sicherheitsstrategie reduzieren und andere anhalten, dasselbe zu tun. ... Um unsere Sprengköpfe und Vorräte zu reduzieren werden wir noch dieses Jahr einen neuen strategischen Abrüstungsvertrag mit Russland abschließen.“ Er sagte aber auch folgende Sätze - und die wurden von vielen Bürgern und Journalisten überhört: „Dieses Ziel wird nicht schnell erreicht werden - möglicherweise nicht zu meinen Lebzeiten. ... Täuschen Sie sich nicht: Solange es diese Waffen gibt, werden wir ein sicheres und wirksames Arsenal zur Abschreckung potenzieller Feinde aufrechterhalten und die Verteidigung unserer Verbündeten garantieren.“ Und: „Solange eine Bedrohung von Iran ausgeht, planen wir ein kosteneffektives und bewährtes Raketenabwehrsystem zu bauen.“ (Übersetzung der Zitate: Amerikadienst)

Mit dieser Rede hatte Obama das Spannungsfeld vorgegeben, in dem seine Politik jetzt aufgerieben wird: Er skizzierte eine Politik, die sich nur mit Unterstützung sämtlicher demokratischer und etlicher republikanischer Senatoren umsetzen lässt. Und er versprach Fortschritte in der Abrüstung bei gleichzeitiger Wahrung, ja sogar gleichzeitigem Ausbau der unangefochtenen militärischen Stärke der USA.

Der Kongress bestimmt mit

Spätestens am 28. Oktober holte die Realität Obama ein: Er unterzeichnete den »National Defense Authorization Act 2010«, das Gesetz über den Verteidigungshaushalt der USA für das Finanzjahr 2010, das am 1.10.2009 begann.1 Im Gesamtumfang von 680,2 Mrd. US$ sind u.a. 16,5 Mrd. US$ für militärische »Nuklearaktivitäten« und 9,2 Mrd. US$ für Raketenabwehr enthalten.

Ein wichtiges Element des Verteidigungshaushaltes sind die »Sense of Congress«-Texte. In diesen äußert der Kongress seine Ansicht zu bestimmten Themenbereichen. So mischt sich der Kongress etwa in die Verhandlungen über das START-Nachfolgeabkommen mit Russland und die Debatte über den Abzug von Atomwaffen aus Europa ein. „Es ist die Ansicht des Kongresses, dass - (1) der Präsident an der von den Vereinigten Staaten geäußerten Haltung festhalten sollte, dass der Nachfolgevertrag des START-Abkommens ballistische Raketenabwehrsysteme, Weltraumfähigkeiten oder hoch entwickelte konventionelle Waffensysteme der Vereinigten Staaten in keiner Weise einschränken wird; (2) die erweiterte Sicherheit und Zuverlässigkeit des Nuklearwaffenarsenals, die Modernisierung des Nuklearwaffenkomplexes und die Aufrechterhaltung der nuklearen Trägersysteme Voraussetzung sind, um weitere Einschnitte in das Nuklearwaffenarsenal der Vereinigten Staaten zu ermöglichen; ...“ (Sec. 1251)

Im Klartext sagen diese sperrigen Sätze, dass Obama nur dann auf die Ratifizierung eines neuen START-Vertrags durch den Senat hoffen kann, wenn die Stationierung von Raketenabwehr, die Militarisierung des Weltraums, der Ausbau der konventionellen Kriegsführungsfähigkeiten sowie die Modernisierung des Atomwaffenarsenals samt Trägersystemen gewährleistet ist. »Fewer and newer« (weniger, dafür besser) hieß der Slogan für dieses Verfahren schon während der Bush-Administration.

Dass sie ihre Forderungen an Obama ernst meinen, zeigten Mitte Dezember 2009 alle 40 republikanischen Senatoren und Joe Lieberman, einer von zwei Parteilosen im Senat. In einem Brief an den Präsidenten forderten sie ein „substantielles Programm zur Modernisierung unserer nuklearen Abschreckung[skapazitäten]“ einschließlich der umfassenden und raschen Aufrüstung der W76- und B61-Sprengköpfe. Die W76-Modernisierung würde zur Entwicklung eines neuen Sprengkopftyps beitragen - ein weiterer Versuch zur Wiederbelegung des eingestampften »Reliable Replacement Warhead«-Programms. Die B61-Bomben sind von den USA im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO in fünf Ländern Europas stationiert, darunter auch in Deutschland. Während die neue Bundesregierung nach zähem Ringen die Vereinbarung traf, dass „wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden“, stellten die gewählten Repräsentanten der USA zeitgleich die Weichen für die Modernisierung just dieser Waffen.

Geben und Nehmen

Die Lage des demokratischen Präsidenten Obama ist nicht einfach. Die Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages, beispielsweise des START-Nachfolgevertrages oder des seit Jahren überfälligen umfassenden Teststoppabkommens, bedarf im 100-köpfigen Senat einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Folglich muss Obama alle 58 demokratischen, die zwei parteilosen und sieben republikanische Senatoren für die Sache gewinnen. Das ist bei Obamas Partei»freunden« schon schwierig genug und scheint bei den Republikanern fast ausgeschlossen, obschon auch ihr letzter Präsidentschaftskandidat McCain sich mehrfach für die atomwaffenfreie Welt ausgesprochen hat.

Weiter kompliziert wird die Gemengelage durch andere Faktoren.

Der russische Präsident Putin ließ Ende Dezember unmissverständlich wissen, Voraussetzung für ein START-Nachfolgeabkommen sei die Beschränkung der US-Raketenabwehr. Nicht zuletzt deshalb konnten sich die Unterhändler der USA und Russlands bislang nicht auf Details zur Verifikation des neuen Vertrags einigen: Moskau will den USA keine telemetrischen Daten über Raketentests mehr liefern, die Einblick in die Fähigkeiten dieses Arsenals liefern. So verschieben sich der Vertragsabschluss und damit die Ratifizierung immer weiter nach hinten, und inzwischen betonte Russlands Präsident Medwedew, die „strategische nukleare Komponente ist die wichtigste Mission“ für das laufende Jahr.

Präsident Obama und Außenministerin Clinton läuft schon jetzt die Zeit für die Kompromissfindung davon. Im Herbst dieses Jahres werden ein Drittel der Senatoren und das ganze Repräsentantenhaus neu gewählt. Dabei können sich die Mehrheitsverhältnisse im Kongress schon wieder erheblich verschieben und die Durchsetzung von Obamas Gesetzesvorhaben weiter erschweren. Um zu großem Unmut vorzubeugen, wird Obama in seinem Entwurf zum Verteidigungshaushalt 2011, den der Kongress am 1. Februar erwartet, erhebliche Zugeständnisse machen. In der Diskussion sind Milliardensummen für den Ausbau des Nuklearwaffenkomplexes (Forschungs-, Test- und Fertigungseinrichtungen) wie für Entwicklung und Produktion eines neuen Sprengkopftyps.

Fällige Arsenal-, Doktrin- und verteidigungspolitische Berichte

Durch Gesetze bzw. Anweisungen des Präsidenten ist die US-Regierung gezwungen, dem Kongress in nächster Zeit etliche Berichte vorzulegen, in denen Arsenale, Fähigkeiten, Doktrinen und Politiken untersucht und Vorschläge für die Zukunft ausgearbeitet werden. Die Berichte werden parallel erarbeitet und beziehen sich aufeinander.

Quadrennial Defense Review (QDR)

Muss dem Kongress alle vier Jahre vorgelegt werden, und zwar jeweils Anfang Februar gleichzeitig mit dem Entwurf für den Verteidigungshaushalt für das folgende Jahr.

Der QDR soll nationale Verteidigungsstrategie, Struktur der Streitkräfte, Modernisierungsbedarf, Infrastrukturanforderungen, Finanzbedarf und Verteidigungsdoktrine und -politiken beschreiben und auf dieser Basis das Militärprogramm der USA für die nächsten 20 Jahre vorgeben.

Nuclear Posture Review (NPR)

Überprüft Nuklearwaffenpolitik und -fähigkeiten und gibt für die nächsten fünf bis zehn Jahre die Eckpunkte zur nuklearen Abschreckung, Strategie und Arsenalgröße vor. Der NPR sollte dem US-Kongress eigentlich Ende Dezember 2009 vorgelegt werden, Obama war aber nach Insider-Berichten mit den bisherigen Entwürfen unzufrieden und hat erhebliche Änderungen eingefordert.

Neben Zielgrößen für das künftige Arsenal an Sprengköpfen und Trägersystemen soll der Bericht auch die Rolle der Nuklearstreitkräfte in den USA, politische Rahmenbedingungen, den Zusammenhang zwischen Abschreckungspolitik, Zielstrategie und Rüstungskontrolle, die Wechselwirkungen zwischen nuklearen, konventionellen und Raketenabwehr-Kapazitäten, Pläne zur Modernisierung von nuklearen Sprengköpfen und Trägersystemen sowie die Aufrechterhaltung und Modernisierung des Nuklearwaffenkomplexes abdecken.

Der Inhalt des NPR wird maßgeblich mit darüber entscheiden, ob das angestrebte START-Nachfolgeabkommen und weitere Rüstungskontrollverträge eine Chance auf Ratifizierung durch den Senat bekommen.

Ballistic Missile Defense Review (BMDR)

Der Bericht zur Überprüfung der Raketenabwehr-Politik und -Strategie ist im Januar 2010 fällig. Der BMDR soll die Rolle der Raketenabwehr in der nationalen Sicherheits- und Militärstrategie darlegen, den strategischen Kontext für die aktuellen und künftigen Raketenabwehrprogramme und -budgets festlegen und die Raketenabwehr auf strategische Anforderungen abstimmen. Ausgangspunkt ist der Beschluss der Regierung Obama, bei der Raketenabwehr all das umzusetzen, was technisch möglich ist. Das bedeutet Vorrang für den Schutz von „US-Streitkräften und Verbündeten“ vor Kurz- und Mittelstreckenraketen, wofür schon einigermaßen brauchbare Testergebnisse vorliegen. Parallel soll die Entwicklung von Systemen zur Abwehr von Langstreckenraketen, von denen zwar bereits zwei Dutzend stationiert aber noch nie realistisch getestet wurde, weiter betrieben werden. Ausdrücklich einbezogen ist der „schrittweise, anpassungfähige“ Ausbau von Raketenabwehr in und um Europa.

Space Policy Review

Präsident Obama wies vergangenes Jahr seine Behörden an, bis Oktober 2009 die nationale Weltraumpolitik zu überprüfen und auch die Aktivitäten unter die Lupe zu nehmen, die der Geheimhaltung unterliegen. Die Berichterstellung verzögert sich bis mindestens März 2010, es ist aber davon auszugehen, dass der Text Ausgangspunkt wird für eine neue Weltraumstrategie und -politik. Die letzte Weltraumpolitik (Space Policy) der Ära Bush postulierte 2006 die Ablehnung jeglicher vertragsbasierter Rüstungskontrolle, die die Handlungsoptionen der USA einschränken würde.

In allernächster Zeit muss die Regierung eine Reihe von Berichten und Planungen mit erheblichen Auswirkungen auf Verteidigungspolitik und -doktrin abliefern (siehe Kasten). Der »Nuclear Posture Review« wäre ein guter Ansatzpunkt, um, wie von Obama in Prag versprochen, „die Rolle von Atomwaffen in unserer nationalen Sicherheitsstrategie [zu] reduzieren“. Das erfordert allerdings gewaltigen Mut: Missbilligt der Senat die dort vorgezeichnete Richtung, verspielt Obama jede Chance auf Unterstützung seines Abrüstungskurses durch den Senat.

Fortschritte bei der Nichtverbreitung sind ebenfalls keine zu verzeichnen. Nordkorea spielt weiterhin Katz" und Maus, Birma scheint sich für Atomwaffen zu interessieren, und die Gespräche mit Iran brachten noch keinen Erfolg. Die »nukleare Energie-Renaissance« mit einer fast ungehinderten Verbreitung nuklearer Technologien und -materialien macht den Versuch der Eindämmung zunehmend schwer.

Im Mai 2010 findet in New York die nächste Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag statt. Nach dem Scheitern der Konferenz von 2005 müssen hier Fortschritte her. Kann Obama dann weder START-Nachfolge noch die Zustimmung des Senats zum Teststoppabkommen vorweisen, ist Sand im Getriebe, bevor das Treffen beginnt.

Im September 2009 erregte Präsident Obamas Ankündigung, auf die Raketenabwehr in Polen und der Tschechischen Republik zu verzichten, große Aufmerksamkeit. Auch hier haben viele aber nicht richtig hingehört. Angekündigt wurde kein Verzicht auf Raketenabwehr per se. Ganz im Gegenteil. Am 19.9.2009 schrieb US-Verteidigungsminister Robert Gates höchstpersönlich einen Kommentar für die »New York Times«. Überschrift: „A Better Missile Defense for a Safer Europe“ (eine bessere Raketenabwehr für ein sichereres Europa). Der Artikel beginnt mit dem Satz „Die Zukunft von Raketenabwehr in Europa ist gewährleistet.“ und endet mit „Damit wird Raketenabwehr in Europa gestärkt, nicht verschrottet.“ Gates erläutert, dass es die für Osteuropa vorgesehenen Systemkomponenten noch gar nicht gibt und eine Stationierung mittelfristig aus technischen Gründen kaum möglich wäre. Jetzt hingegen wird integriert, was es gibt - boden- und seegestützte SM3-Abfangsysteme gegen kurz- und mittelreichende Raketen, luft-, weltraum- und bodengestützte Sensorsysteme, Radarsysteme überall auf der Welt - und gleichzeitig laufen Forschung und Entwicklung der Langstreckensysteme weiter. „Auf jeden Fall sind die Fakten klar: Amerikanische Raketenabwehr auf dem [europäischen] Festland geht weiter, und zwar nicht nur in Mitteleuropa, wo die Stationierung von SM-3 am wahrscheinlichsten ist, sondern hoffentlich auch in anderen NATO-Ländern“ schreibt Gates. Im Blog des Weißen Hauses heißt es dazu „stärkere, schlauere und schnellere Abwehr“ (17.9.2009).

Konnten sich die osteuropäischen NATO-Partner auf diese Neuplanung gut einlassen, so setzen sie dem Wunsch Deutschlands nach Abzug der US-Atomwaffen Widerstand entgegen. Polen ist angeblich gar bereit, die Atomwaffen auf eigenem Territorium zu stationieren. Dies ist Folge des anhaltenden Misstrauens gegen Russland, das seinerseits auf die Bedrohung durch US-Raketenabwehr wie auf die überlegenen konventionellen Kräfte der NATO verweist.

Und wie von kritischen Experten seit Jahren prognostiziert, setzte die Raketenabwehr inzwischen eine eigene Rüstungsspirale in Gang. Mitte Januar 2009 triumphierte China mit einem erfolgreichen Abwehrtest; die gleiche Technologie hatte sich drei Jahre zuvor schon beim Abschuss eines Weltraumsatelliten bewährt. Größere Raketenabwehrprogramme einschließlich ihrer inhärenten Tauglichkeit zum Antisatellitensystem werden außerdem von Russland, Indien und Israel betrieben. Die NATO liegt noch etwas zurück, und Länder wie Taiwan, Japan und Südkorea kaufen einfach US-Technologie ein.

In diesem Bereich rächt sich besonders, dass die Regierung Bush hartnäckig auf Raketenabwehr beharrte, ein Moratorium für Raketentests verweigerte und Verhandlungen über einen völkerrechtlichen Vertrag zum Verbot von Weltraumwaffen ausschloss. Da Raketenabwehr die Erstschlagfähigkeit erhöht, behindert sie überdies die nukleare Abrüstung.

Die Liste ließe sich fortführen, es ist aber auch so schon klar, dass Obama vor einem kaum bewältigbaren Berg von Aufgaben steht und die Hindernisse groß sind. Überdies ist er selbst keineswegs Pazifist und will die unbestrittene (militärische) Führerschaft seines Landes aufrecht erhalten. Da bleibt der friedensbewegten Zivilgesellschaft hier wie andernorts nur eins: Nicht aufgeben, weiter um eine bessere Welt streiten. Und was wir heute nicht schaffen: Morgen ist wieder ein Tag.

Anmerkungen

1) Das Gesetz zum Verteidigungshaushalt steht am Ende eines monatelangen, mühsamen Aushandlungsprozesses zwischen den beiden Kammern des Kongresses, also dem Repräsentantenhaus und dem Senat, zwischen »Tauben« und »Falken«, zwischen nationalen Interessen und Projekten zugunsten einzelner Wahlbezirke und dort ansässiger Unternehmen, und zeichnet sich durch ein erstaunliches Sammelsurium an informativen Details, Meinungsäußerungen des Kongresses, Handlungsanweisungen an Regierung und Verwaltung, Einforderung von Regierungsberichten und sachfremden Ausgabenposten und Gesetzen aus (zu letzteren zählt im aktuellen Fall z.B. ein Strafgesetz, das die Höchststrafen für Gewaltverbrechen gegen Minderheiten ausweitet).

Regina Hagen ist Abrüstungsberaterin des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) und aktiv im Kampagnenrat „unsere zukunft - atomwaffenfrei“ sowie Mitglied der W&F-Redaktion.

zum Anfang | Obamas Afghanistan-Strategie:

Bürgerkrieg unter westlicher Beaufsichtigung

von Jürgen Wagner

Bereits kurz nach seinem Amtsantritt hatte US-Präsident Barack Obama den Einsatz am Hindukusch zur Chefsache erklärt und eine grundlegende Überprüfung der Afghanistan-Strategie angeordnet. Im März 2009 wurden die Kernelemente der neuen US-Strategie präsentiert: Im Detail setzt sie erstens auf eine massive Aufstockung der westlichen Truppen und die Ausweitung der Kampfzone nach Pakistan (AFPAK); zweitens sollen sich die EU-Verbündeten, allen voran Deutschland, künftig noch stärker beteiligen als dies ohnehin bereits der Fall ist; schließlich soll drittens eine »Afghanisierung« des Krieges über den Ausbau der staatlichen Repressionsapparate (Armee und Polizei) die westlichen Truppen erheblich entlasten.

Nachdem diese Maßnahmen den Krieg wie absehbar noch weiter eskaliert haben, entbrannte in Washington eine heftige Debatte um das weitere Vorgehen. Auf der einen Seite fand sich US-General Stanley McChrystal, Kommandeur der NATO Truppen in Afghanistan, der nachdrücklich eine weitere Truppenaufstockung forderte. Auf der anderen Seite plädierte Vizepräsident Joseph Biden dafür, das Engagement künftig auf die Bekämpfung von Al-Kaida zu beschränken und die Truppen-Präsenz deutlich zu reduzieren. Am 1. Dezember 2009 verkündete Obama seine Entscheidung in dieser Frage, die augenscheinlich auf einen schlechten Kompromiss dieser beiden Ansätze zielt: Zunächst wird Zahl der Soldaten nochmals erhöht, perspektivisch (ab 2011) soll aber die »Afghanisierung« des Krieges eine Truppenverringerung in Richtung der Biden-Lösung ermöglichen.

Allerdings beabsichtigt man keineswegs, vollständig aus dem Land abzuziehen, wie sowohl Außenministerin Hillary Clinton als auch Verteidigungsminister Robert Gates kurz nach Obamas Rede klarstellten (Antiwar.com, 23.12.2009). Vielmehr sollen erhebliche westliche Truppenteile als »Rückversicherung« im Land verbleiben, um bei Bedarf einzugreifen, wenn die afghanischen Regierungstruppen in allzu große Schwierigkeiten geraten. Der vollmundig versprochene (Teil)Abzug ist also eine Mogelpackung: »Bürgerkrieg unter westlicher Beaufsichtigung«, mit dieser Formel lässt sich Obamas Afghanistan-Strategie bündig zusammenfassen.

Truppenaufstockung und Ausweitung der Kampfzone

Als Obama Anfang 2009 sein Amt antrat, befanden sich etwa 32.000 US-Soldaten am Hindukusch. Innerhalb von nicht einmal 12 Monaten wurde diese Zahl im Rahmen der neuen US-Afghanistanstrategie auf 68.000 mehr als verdoppelt. Vor dem Hintergrund der - trotz Truppenverdopplung - qualitativ wie quantitativ weiter eskalierenden Kampfhandlungen wurden Obama laut »New York Times« (11.11.2009) vier verschiedene Optionen vorgelegt. Sie sahen einen weiteren Truppenaufwuchs von entweder 20.000, 25.000 oder 30.000 Soldaten vor (die letzte Option wird nicht näher beschrieben, schien aber keine Truppenerhöhungen beinhaltet zu haben). Am 1. Dezember verkündete der US-Präsident seine Entscheidung: 30.000 zusätzliche US-Soldaten sollen „so schnell wie möglich“ entsendet werden, damit wären fast 100.000 US-SoldatInnen im Afghanistan-Einsatz.

Ein weiteres zentrales Element der neuen US-Strategie ist die Ausweitung des Kampfgebietes auf Pakistan: Afghanistan und Pakistan seien nunmehr als einheitliches Kriegsgebiet zu begreifen und der Kampf fortan auf beiden Seiten der Grenzen auszutragen. Seither setzen die USA verstärkt auf den Einsatz unbemannter Drohnen, während gleichzeitig Pakistan massiv dazu gedrängt wird, seine Angriffe gegen tatsächliche oder mutmaßliche Rückzugsgebiete des Widerstands auszuweiten. Laut »Los Angeles Times« (03.08.2009) wurde mittlerweile im Pentagon eine »Pakistanisch-Afghanische Koordinationseinheit« ins Leben gerufen, die die Kampfhandlungen zusammenführen soll. Vor diesem Hintergrund stellt Lothar Rühl, von 1982-1989 Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium, zutreffend fest: „Der afghanische Krieg hat sich schon seit längerem über die Grenze ausgebreitet und begonnen, beide Länder zu einem Kriegsgebiet Südwestasien zu verschmelzen.“ (FAZ, 25.05.2009)

Druck auf die Verbündeten

Unmissverständlich macht die US-Regierung deutlich, dass sie nicht gedenkt, die neuerlichen Truppenaufstockungen vollständig im Alleingang zu schultern. So erklärte der amerikanische NATO-Botschafter Ivo Daalder Anfang Juli 2009: „Die Vereinigten Staaten erfüllen ihren Teil, Europa und Deutschland können und sollten mehr tun.“ (FAZ, 01.07.2009) Obwohl die EU-Verbündeten allein zwischen Ende 2006 und Frühjahr 2009 ihre Beteiligung an der NATO-Truppe ISAF um über 50% erhöhten, forderte Obama weitere 7.000-9.000 Soldaten.

Allerdings hält sich die Begeisterung dafür in den Reihen der EU-Staaten angesichts der Skepsis in der eigenen Bevölkerung in engen Grenzen. Washington wird jedoch zumindest in anderen Bereichen auf Kompensationsleistungen drängen. Eine Kompromisslösung könnte in einem deutlich erhöhten Beitrag zum Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte liegen, ein Bereich, in dem die Europäische Union bereits heute massiv engagiert ist. So sagte US-Verteidigungsminister Robert Gates: Ich denke offen gestanden, da wir unsere Anforderungen auf zivile Experten und Polizeiausbilder konzentrieren werden, wird dies für Europäer zu Hause einfacher sein, als die Bitte, mehr Soldaten zu schicken. Die Dinge, um die wir bitten, sind für sie politisch einfacher, so dass sie trotz ihrer Wirtschaftsprobleme diese Anforderungen erfüllen werden.“ (Streitkräfte & Strategien, 04.04.2009)

»Afghanisierung« des Krieges

Das US-Militär hat schon lange vorgerechnet, dass für eine »erfolgreiche« Aufstandsbekämpfung 20-25 Soldaten auf 1.000 Einwohner erforderlich sind. Für Afghanistan wären demnach 640.000-800.000 SoldatInnen notwendig.1 Da ein solch großes Kontingent niemals mobilisiert werden kann, beabsichtigt man die Lücke zwischen verfügbaren Truppen und tatsächlichem Bedarf durch eine massive »Afghanisierung« des Krieges zu schließen.

Für diesen Zweck wurden die Zielgrößen der afghanischen Polizei und Armee drastisch nach oben gesetzt. Sollte die afghanische Armee ursprünglich 70.000 Soldaten umfassen, so wurde diese Zahl schnell auf 134.000 angehoben. Inzwischen hat ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal als neue Zielgröße 270.000 ausgegeben. Auch die afghanische Polizei, de facto Paramilitärs, soll deutlich vergrößert werden. Ursprünglich waren 62.000 anvisiert, nun sind 140.000-160.000 Polizisten vorgesehen (CNN, 04.08.2009).

Baldmöglichst sollen also einheimische Kräfte in der Lage sein, den Großteil der Kampfhandlungen im Alleingang zu schultern. Sehenden Auges wird hierdurch jedoch ein neuerlicher Bürgerkrieg in Kauf genommen - die Szenarien, was passiert, wenn diese »Strategie« weiter verfolgt wird, liegen bereits auf dem Tisch.

Afghanistans Zukunft: Dauerbürgerkrieg

Das »Center for a New American Security«, eine Denkfabrik mit engsten Verbindungen zur Obama-Administration, veröffentlichte im Oktober 2009 ein Papier, in dem drei mögliche Zukunftsszenarien für Afghanistan präsentiert werden.2 Unwahrscheinlich, aber möglich sei eine nachhaltige Stabilisierung des Landes ebenso wie der - aus westlicher Sicht - schlimmste Fall, ein Sieg der Widerstandsgruppen über die Karzai-Regierung. Vermutlich werde die Entwicklung aber in folgende Richtung gehen: „...die Obama-Regierung (wird) vorsichtig zu einer koordinierten Anti-Terror-Mission übergehen, bei der das alliierte Engagement sich auf das Training der afghanischen Armee, die Durchführung von Präzisionsangriffen aus der Luft und Spezialoperationen am Boden beschränkt. [..] Dieses wahrscheinlichste Szenario erlaubt es den USA und ihren Verbündeten weiterhin Einfluss in Zentralasien auszuüben und eine vollständige Rückkehr der Taliban zu verhindern.“ Damit wären dann auch die Präferenzen Joseph Bidens berücksichtigt, der, wie bereits erwähnt, das US-Engagement genau hierauf beschränkt wissen will. Allerdings betont das Papier auch: „Eine kurzfristige Truppenerhöhung wird diesem Übergang vorausgehen.“ Genau dies ist nun ebenfalls eingetreten.

Recht unverblümt wird zudem beschrieben, was ein solches Szenario für Afghanistan bedeuten würde: „Afghanistan bleibt im Bürgerkrieg zwischen der Regierung in Kabul, die im Wesentlichen von den Politikern und Warlords geführt wird, die das Land zwischen 1992 und 1996 befehligten, und einer entrechteten paschtunischen Gesellschaft im Süden und Osten gefangen.“

Pro-westlicher Militärstaat

Auffällig ist, wie gebetsmühlenartig Barack Obama versucht, jede Gruppierung, die gegen die US-Präsenz vorgeht, unterschiedslos mit den Taliban und - noch absurder - mit Al Kaida gleichzusetzen und hierdurch als religiöse Fanatiker zu diskreditieren. Eine im Oktober 2009 veröffentlichte Untersuchung des US-Militärs über die Zusammensetzung des Widerstands kommt jedoch zu einem vollständig anderen Ergebnis: „Bei lediglich 10 Prozent der Aufständischen handelt es sich um Hardcore-Ideologen, die für die Taliban kämpfen“, so ein Geheimdienstoffizier, der an der Abfassung des Berichts beteiligt war (»Boston Globe«, 09.10.2009).

Noch deutlicher sind die Aussagen des US-Militärs Matthew P. Hoh, der in Afghanistan an prominenter Stelle für den zivilen Wiederaufbau zuständig war. Er quittierte im September 2009 seinen Dienst und begründete diesen Schritt in seinem Rücktrittsschreiben folgendermaßen: „Der paschtunische Aufstand, der sich aus zahlreichen, scheinbar endlosen lokalen Gruppen zusammensetzt, wird durch das gespeist, was die paschtunische Bevölkerung als einen andauernden Angriff auf ihre Kultur, Traditionen und Religion durch interne und externe Feinde ansieht, der seit Jahrhunderten anhält. Die amerikanische und die NATO-Präsenz und Operationen in paschtunischen Tälern und Dörfern stellen ebenso wie die afghanischen Polizei- und Armeeeinheiten, die nicht aus Paschtunen bestehen, eine Besatzungsmacht dar, vor deren Hintergrund der Aufstand gerechtfertigt ist. Sowohl im Regionalkommando Ost als auch Süd habe ich beobachtet, dass der Großteil des Widerstands nicht das weiße Banner der Taliban trägt, sondern eher gegen die Präsenz ausländischer Soldaten und gegen Steuern kämpft, die ihm von einer Regierung in Kabul auferlegt werden, die sie nicht repräsentiert.“ Anschließend schreibt Hoh über die Karzai-Regierung: Sie zeichne sich u.a. durch „eklatante Korruption und unverfrorene Bestechlichkeit“ aus und an der Spitze stehe ein Präsident, „dessen Vertraute und Chefberater sich aus Drogenbaronen und Kriegsverbrechern zusammensetzen, die unsere Anstrengungen zur Drogenbekämpfung und zum Aufbau eines Rechtsstaats lächerlich machen.“ (Antiwar.com, 28.10.2009)

Ausgerechnet dieser, spätestens seit den »Wahlen« im Sommer 2009 vollkommen diskreditierten Regierung gibt man nun also die Repressionsapparate in die Hand, um sich gegen den Widerstand in der eigenen Bevölkerung an der Macht halten zu können. Dies ist umso bedenklicher, da diese »Sicherheits«kräfte bereits heute ein beängstigendes Eigenleben entwickeln und zum gegenwärtigen Zeitpunkt vollkommen unklar ist, woher künftig die Gelder für diesen Repressionsapparat kommen sollen - aus dem derzeitigen (und wohl auch künftigen) afghanischen Haushalt jedenfalls nicht.

Laut Rory Stewart, Direktor des »Carr Center on Human Rights Policy«, dürften sich die Kosten für die afghanischen Sicherheitskräfte auf zwei bis drei Mrd. US-Dollar im Jahr belaufen - ein Vielfaches der gesamten Staatseinnahmen. „Wir kritisieren Entwicklungsländer dafür, wenn sie 30% ihres Budgets für Rüstung ausgeben; wir drängen Afghanistan dazu 500% seines Haushalts hierfür aufzuwenden. ...Wir sollten kein Geburtshelfer eines autoritären Militärstaats sein. Die hieraus resultierenden Sicherheitsgewinne mögen unseren kurzfristigen Interessen dienen, aber nicht den langfristigen Interessen der Afghanen.“3

Hauptsache die Herrscher in Kabul bleiben weiterhin pro-westlich, alles andere scheint mittlerweile weitgehend egal zu sein. Ein Kommentar von Sven Hansen in der »taz« (13.09.2009) fasste das folgendermaßen zusammen: „Das Maximum, das der Westen in Afghanistan noch erhoffen kann, ist, einen autoritären Potentaten zu hinterlassen, der, getreu dem US-amerikanischen Bonmot ›Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn‹, die Regierung auf prowestlichem Kurs hält. Sicherheitspolitisch könnte das sogar funktionieren, weil dessen Terror sich dann »nur« gegen die eigene Bevölkerung und vielleicht noch gegen Nachbarstaaten, nicht aber gegen den Westen richtet.“

Anmerkungen

1) Fick, Nathaniel & Nagl, John: Counterinsurgency Field Manual: Afghanistan Edition, in: Foreign Policy Januar/Februar 2009.

2) Exum, Andrew: Afghanistan 2011: Three Scenarios, CNAS Policy Brief, 22.10.2009.

3) Stewart, Rory: The Irresistible Illusion, London Review of Books, 07.07.2009.

Jürgen Wagner ist Politologe, Geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung und Mitarbeiter im W&F-Redaktionsteam.

zum Anfang | Irak: Kein Ende der Besatzung in Sicht

von Joachim Guilliard

Offiziell ist das Ende der Besatzung nun eingeleitet. Wie im Truppenstationierungsabkommen (SOFA) vom Herbst 2008 vereinbart, zogen sich im Juni 2009 Tausende US-Soldaten aus den Städten in die umliegenden Militärbasen zurück. Viele Iraker feierten den Abzug überschwänglich und Regierungschef Nuri al-Maliki sprach von einem „großen Sieg“ über die Besatzer. Doch entgegen den großen Hoffnungen, die viele in den Amtsantritt Barack Obamas setzten, ist der vollständige Abzug der Besatzungstruppen noch lange nicht in Sicht. Generell hat sich die Irakpolitik Washingtons seither kaum geändert und auch die Lage vor Ort blieb katastrophal.

Washingtons »Stabilisierungsstrategie«

Zentraler Punkt in Washingtons Irak-Strategie ist, das neue Regime durch eine bessere Beteiligung von oppositionellen Kräften an der Macht zu stabilisieren. Bei jeder Gelegenheit fordern Präsident Obama und die kommandierenden US-Generäle die irakische Regierung auf, endlich die »Aussöhnung« zwischen den Konfessionen und den verschiedenen politischen Kräften in die Wege zu leiten. Genauso gut könnten sie aber auch deren Selbstauflösung fordern. Besteht das Wesen des neuen, von den Besatzern maßgeblich gestalteten, sektiererischen und völlig korrupten Regimes doch exakt darin, dass die Regierungsparteien ihre Ministerien als Pfründe verwalten und dazu nutzen, ihre mit US-Hilfe geschaffenen Machtpositionen dauerhaft zu sichern.

Auch unter Obama setzt die Besatzungsmacht auf den neuen starken Mann im Irak, Ministerpräsident Nuri al-Maliki, der im Laufe des Jahres seine Machtposition weiter ausbauen konnte. Sukzessive besetzte er - am Parlament vorbei - Schlüsselposition in Regierung, Verwaltung, Polizei und Militär mit Getreuen aus seiner Partei oder seinem Familienclan. Mit US-Hilfe hat er sich zudem einen eigenen Geheimdienst und mächtige militärische Spezialeinheiten zugelegt. Diese, von »Green Berets« ausgebildeten, 4.500 Mann starken »Iraq Special Operations Forces« (ISOF) operieren völlig verdeckt - unter Malikis Oberbefehl und unter Aufsicht der US-Armee, aber ohne sonstige Kontrolle irakischer Institutionen. Die neuen Todesschwadrone gelten mittlerweile als schlagkräftigste Truppe des Landes (»Le Monde diplomatique«, 10.07.2009).

Viele Beamte, Geistliche und Politiker im Irak, so der britische »Guardian« (30.04.2009), sprechen bereits von einer neuen Diktatur und vergleichen Maliki mit Saddam Hussein. Sechs Jahre nach Kriegsbeginn würde das Land nach ziemlich vertrauten Linien aufgebaut, so das Fazit der Zeitung: „Konzentration von Macht, schattenhafte Geheimdienste und Korruption.“

Auch andere Zeitungen, wie »The Economist« (03.09.2009) oder »Der Spiegel« (19.10.2009) charakterisieren den »neuen Irak« immer öfter als Polizeistaat. Typisch bei all diesen Berichten ist, dass sie zwar die irakische Seite sehr kritisch beschreiben, die dominierende Rolle der Besatzer jedoch völlig ausblenden. Dabei sind diese durch unzählige ?Berater« in allen wesentlichen Bereichen involviert und waren auch von Anfang an in hohem Maße in die Korruption verwickelt. Besatzung und »Polizeistaat« sind zwei Seiten einer Medaille.

Der versprochene Truppenabzug blieb aus

Im Wahlkampf hatte Obama versprochen, die im Irak stationierten US-Truppen innerhalb von sechzehn Monaten abzuziehen - beginnend mit seinem Amtsantritt jeden Monat fünf bis zehntausend Mann. Als er Ende Februar 2009 seine Pläne für den Irak vorstellte, war nur noch vom Abzug der Kampftruppen bis August 2010 die Rede. Der Rest, mehr als die Hälfte der ca. 130.000 Soldaten, soll - wie von Amtsvorgänger Bush bereits im Stationierungsabkommen zugesichert - bis 2012 das Land verlassen.

Der Rückzug soll, so Obama, verantwortungsvoll erfolgen, also lediglich dann, wenn es die politische und militärische Lage vor Ort erlaubt. Wirklich verlässlich bei seinen Ankündigungen war somit nur die definitive Verlängerung der Besatzung um drei weitere Jahre.

Die Lage vor Ort verhinderte bisher auch einen nennenswerten Abzug von Truppen. Sie werden zur Absicherung der kommenden Parlamentswahlen und der anschließenden Regierungsbildung noch gebraucht. Letzteres kann sich leicht bis Sommer 2010 hinziehen. Dadurch liegt die Zahl der US-Soldaten zur Zeit im Irak nur geringfügig unter dem Niveau, das sie vor der Anfang 2007 begonnenen Truppenerhöhung hatte. Da ein guter Teil der abgezogenen Soldaten durch private Söldner ersetzt wurde, liegt die Gesamtzahl der bewaffneten Besatzungskräfte sogar noch höher als damals.

Der gefeierte Rückzug aus den Städten ist vielerorts ebenfalls nur Etikettenschwindel. Zehntausende US-Soldaten sind in den Städten verblieben und führen nun als »Trainings- und Unterstützungstruppen« den Kampf gegen die Opposition fort. Offener Krieg herrscht insbesondere noch in den Nordprovinzen, rund um Mosul und Baquba, wo US-Truppen regelmäßig große Militäroperationen durchführen.

Laut Stationierungsabkommen müsste die US-Armee nun ihre Operationen stets mit der irakischen Regierung abstimmen. Auch dies konnten die Iraker bisher nicht durchsetzen. „Mag sein, dass etwas bei der Übersetzung [des Abkommens] verloren ging“, erwiderte der Kommandeur der für Bagdad zuständigen US-Division dreist den Kritikern des vertragswidrigen Vorgehens. Sie hätten auf keinen Fall vor, vollständig aus der Stadt zu verschwinden und würden garantiert auch keine Einschränkungen ihrer Operationsfreiheit hinnehmen. Dies könnte von ihren Gegnern ausgenutzt werden und so ihre Sicherheit gefährden. Seine Truppen würden daher auch weiterhin Gefechtsoperationen im Stadtgebiet von Bagdad durchführen - mit oder ohne Hilfe der Iraker (»Washington Post«, 18.07.2009).

Das Stationierungsabkommen legt an sich klar fest, dass der Abzug der US-Truppen Ende 2011 vollzogen sein muss. Die kommandierenden US-Generäle haben jedoch von Anfang an deutlich gemacht, dass sie diesen Termin keinesfalls für verbindlich halten. Mittlerweile hat auch der irakische Präsident Nouri al-Maliki - u.a. in seiner Rede vor dem »U.S. Institute of Peace« am 24. Juli 2009 - laut über eine Verlängerung der US-Truppen-Präsenz über 2011 hinaus nachgedacht (»Washington Independent«, 23.07.2009). Er weiß, dass sich seine Regierung ohne US-Truppen nicht lange halten kann.

Nicht nur der Abzug der fremden Truppen lässt auf sich warten, sondern auch die Normalisierung der Lebensbedingungen. Noch immer ist die Versorgungslage schlecht, gibt es sauberes Wasser und Strom nur stundenweise und liegt das Gesundheits- und Bildungswesen am Boden. Millionen Iraker hungern und der Nahrungsmangel weitet sich sogar noch aus, wie die UN-Nachrichtenagentur IRIN am 08.11.2009 vermeldete.

Gründe sind der Rückgang der heimischen landwirtschaftlichen Produktion aufgrund der 2003 erzwungenen Öffnung des Landes für zollfreie Importe und dem Wegfall staatlicher Unterstützung, sowie Inflation, Arbeitslosigkeit und das Zusammenbrechen des Systems zur Verteilung verbilligter Nahrungsmittelhilfe, von denen 60% der Bevölkerung völlig abhängig sind. Nach offiziellen irakischen Angaben beträgt die Arbeitslosigkeit noch 18-20%, fast ein Viertel der 25 bis 28 Millionen Iraker lebt unter der Armutsgrenze. Unabhängige Hilfsorganisationen gehen noch von wesentlich höheren Zahlen aus. Nur wenige der mehr als zwei Millionen ins Ausland geflohenen Flüchtlinge wagten unter diesen Bedingungen die Rückkehr.

Besatzung in der Sackgasse

Unabhängig davon, wie viele US-Truppen im Land bleiben, befindet sich die Besatzung in einer Sackgasse. Die USA kommen mit ihren Plänen im Irak nicht voran. Sie sind nach wie vor die dominierende Macht, ihr Einfluss hat sich aber deutlich verringert. Auch das SOFA, obwohl nur halbherzig befolgt, schränkt den Handlungsspielraum der US-Truppen und letztlich auch ihre Autorität im Land spürbar ein.

Obama möchte durchaus die Truppenzahl deutlich verringern - die Rede war oft auf 30.000 bis 50.000 Mann -, um so den sichtbaren Eindruck von Besatzung zu vermindern, die immensen Kosten zu reduzieren und vor allem auch um Kräfte für Afghanistan freizumachen. Doch noch sitzen die verbündeten irakischen Politiker nicht fest im Sattel und die USA haben ihr wesentliches Ziel, die dauerhafte Kontrolle über den Irak, noch nicht erreicht. Nichts zeigt diese Absicht so deutlich, wie die riesige Festung im Zentrum Bagdads, die als US-Botschaft firmiert. Auch Obama machte bisher keinerlei Anstalten, den riesigen Stab von über tausend Mitarbeitern - weit mehr als das britische Empire für das zehnmal so große Indien im Einsatz hatte - zu reduzieren. Dieser Stab aus Diplomaten, Geheimdienstleuten, Verwaltungs-, Wirtschafts- und sonstigen Experten soll auch in Zukunft das eigentliche administrative Herz Iraks bilden, das mit Hilfe der zahlreichen Berater auf allen Ebenen der irakischen Regierung und Verwaltung, alle wesentlichen Entscheidungen im Irak beeinflusst.

Aufgrund des breiten Widerstands in der Bevölkerung, dem auch die Maliki-Regierung Rechnung tragen muss, sind jedoch die meisten Maßnahmen und Projekte blockiert, von der Gründung einer »staatlichen Anstalt für Privatisierung« bis zum neuen Ölgesetz, das eine Privatisierung der Ölproduktion ermöglichen würde. In spektakulären Auktionen bot der Irak ausländischen Konzernen nun zwar Abkommen über die Ausbeutung umfangreicher irakischer Ölfelder an. Diese sind aber weit von den Wunschvorstellungen der westlichen Öl-Multis entfernt, für die die Bush-Regierung nicht zuletzt in den Krieg zog. Es handelt sich um reine Dienstleistungsverträge mit dem Ziel, die Fördermengen von Ölfeldern drastisch zu steigern. Die Auftragnehmer bekommen als Entgelt nur einen festen Betrag zwischen 1,20 und 2,00 US-Dollar für jedes zusätzlich geförderte Barrel Öl. Bei Laufzeiten von 20 Jahren sind dabei durchaus zweistellige Milliardenbeträge zu verdienen. Sie erhalten aber nach wie vor weder Anteile am geförderten Öl noch an den Reserven. Von den großen US-Konzernen kam allein Exxon Mobil zum Zuge, ansonsten dominieren asiatische Firmen, allen voran die staatliche chinesische National Petroleum Corporation CNPC. (siehe »Magere Beute«, junge Welt, 31.12.2009)

Noch sind die Verträge nicht unter Dach und Fach. Im Parlament, das gemäß des immer noch gültigen Gesetzes aus der Baath-Ära alle Verträge mit ausländischen Firmen billigen muss, regt sich Widerstand, und mehr noch in der staatlichen Ölindustrie - vom Management bis zu den Gewerkschaften.

Niemand weiß, wie es nach den Parlamentswahlen im Frühjahr 2010 weitergehen wird. Neue Regierungen könnten die auf wackliger Rechtsgrundlage geschlossenen Verträge jeder Zeit annullieren. Vor allem für die westlichen Konzerne gibt es dagegen nur eine Garantie: die dauerhafte Präsenz der US-amerikanischen Truppen.

Joachim Guillard ist Verfasser zahlreicher Fachartikel zum Thema Irak und Mitherausgeber bzw. Koautor mehrerer Bücher zu diesem Bereich

zum Anfang | Iran: Gescheiterter Auftakt im Atompoker

von Ali Fathollah-Nejad

Der Verhandlungsprozess zwischen dem Westen und dem Iran war in der Vergangenheit nicht von Erfolg gekrönt, vielmehr hat sein Misslingen zur Eskalation des Konfliktes beigetragen. Es war ein vorhersehbares Scheitern, der vom Westen bevorzugte »Zuckerbrot-und-Peitsche«-Ansatz setzte auf Letzteres, ohne das Erstere ernst zu nehmen.1 Durch die machtpolitisch forcierte rechtliche Diskriminierung Irans im sog. Atomstreit, perpetuiert von den den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) missachtenden Atommächten USA, Großbritannien, Frankreich und Israel, wurde mit der Konstruktion des Schreckgespenstes iranische, »islamische« Bombe politischer Druck auf Teheran erzeugt.

Nach acht Jahren der konfrontativen Bush-Politik, deren neokonservatives Säbelrasseln die Welt an den Abgrund eines Krieges mit Iran brachte, wurden an Obamas versöhnlichere Töne viele Hoffnungen geknüpft. Mit seiner Ankündigung mit Teheran in direkte Verhandlungen zu treten, wurde dann auch formal betrachtet ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen beiden Ländern eröffnet. Die erste Episode begann am 1. Oktober 2009, als in Genf Verhandlungen zur Beilegung des »Atomstreits« zwischen Iran und den G5+1 (den fünf ständigen UN-Sicherheitsratsmitgliedern und Deutschland) begannen.

Zu der strategischen Notwendigkeit für die USA, angesichts ihrer Kriege im Irak und in Afghanistan mit der Regionalmacht Iran direkte Gespräche zu führen, kam eine nuklearpolitische Dimension hinzu. Für seine von den USA zu Schah-Zeiten erbaute Teheraner Forschungsanlage, die medizinische Radio-Isotope herstellt, benötigt der Iran auf 20% angereichertes Uran. Teheran hatte 23 kg dieses Brennstoffes zwischen 1988 und 1993 von Argentinien erhalten. Da diese Lieferung im Laufe des Jahres 2010 verbraucht sein wird, rief Irans Außenminister Manouchehr Mottaki in einem Schreiben vom Juni 2009 die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) an, um unter deren Aufsicht das benötigte Uran für den weiteren Betrieb der Anlage zu erwerben. Zu den Aufgaben der IAEA gehört es, Mitgliedsländern, wie dem Iran, beim Betrieb ihres zivilen Atomprogramms behilflich zu sein. Dem stehen in diesem Fall jedoch die gegen Iran verhängten UN-Sicherheitsratsresolutionen diametral entgegen. Das ist auch ein Grund dafür, warum Teheran die Legalität dieser UN-Resolutionen anzweifelt.

Iranische Break-Out Capability verzögern

Als Washington von der iranischen Anfrage erfuhr, wurde eine diplomatische Strategie erarbeitet, die darauf abzielte, die iranischen Bestände an leicht angereichertem Uran (low enriched uranium, LEU) zu reduzieren, um somit zu verhindern, dass das Land genügend Brennstoff für eine Atombombe habe (break-out capability). Bei einem Moskau-Besuch im Juli 2009 stellte der Berater des Weißen Hauses für Fragen des iranischen Atomprogramms im Besonderen und nuklearer Proliferation im Allgemeinen, Gary Samore, einen Plan vor, womit Teherans »break-out capability« um ein Jahr verzögert werden würde. Damit sollte Spielraum für Verhandlungen gewonnen werden. Iranisches LEU sollte demnach in Russland in höher angereicherte Brennstäbe umgewandelt werden.

Eine Woche nachdem Iran seine Teilnahme an den Genfer Gesprächen zusagte, wurde der Bau einer bis dato unbekannten Atomanlage in Qom bekanntgegeben. Eine Flut der Empörung setzte insbesondere in westlichen Hauptstädten ein. Eine Untersuchung der Hintergründe - der später von IAEA-Direktor Mohammad El-Baradei als „Loch in einem Berg“ bezeichneten geplanten Atomanlage - deutete auf sicherheitspolitische Motive hin. So bestätigte Irans IAEA-Vertreter, Ali-Asghar Soltanieh, dass die Anlage für den Fall geplant sei, dass Israel die Haupt-Anreicherungsanlage in Natanz zerstöre.2 Kein so unrealistisches Szenario, schließlich hatte auch US-Vizepräsident Biden im Juli 2009 einen Angriff Israels für durchaus möglich gehalten. Gary Samore hatte bereits vor seiner Berufung zum Regierungsbeauftragten dafür geworben, israelische Angriffsdrohungen für die US-Diplomatie gegenüber Iran nutzbar zu machen.

Am Rande der UN-Vollversammlung im September 2009 sagte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana, dass die G5+1 bei den geplanten Verhandlungen weiterhin auf einer Beendigung des iranischen Atomprogramms bestehen würden. Anfang Oktober in Genf legten die G5+1 ein Angebot vor.3 Danach sollte 80% des iranischen LEU zur 20prozentigen Anreicherung nach Russland gebracht und danach in Frankreich zu Brennstoff für die Teheraner Anlage weiterverarbeitet werden. Die wieder in den Iran gebrachten Brennstäbe könnten dann nicht mehr bis zu einem waffentauglichen Grade angereichert werden. Für Washington wäre es ein diplomatischer Sieg gewesen, wenn Iran tatsächlich den Großteil seines angereicherten Urans außer Landes geschafft hätte.

Prinzipielle Zustimmung einer geschwächten Regierung

Zu diesem Zeitpunkt war die Regierung von Mahmoud Ahmadinejad durch die innenpolitische Krise infolge der Präsidentschaftswahlen vom Juni in die Defensive geraten. Sie hoffte, durch einen diplomatischen Erfolg in Form eines Durchbruchs in der Atomfrage, der Opposition im eigenen Land Wind aus den Segeln nehmen zu können. Der dem Präsidenten nahestehende Atomunterhändler und Vorsitzende des Obersten Nationalen Sicherheitsrats, Saeed Jalili, wurde angehalten, sich kooperativ zu zeigen, und er hat denn auch das Angebot der Großmächte nicht ausgeschlagen. Laut Angaben eines hochrangigen US-Vertreters (vermutlich der oberste US-Diplomat William Burns) hatte Iran dem Vorschlag sogar »im Prinzip« zugestimmt und war bereit, von seinem Bestand von ca. 1.800 kg LEU 1.200 kg zur Weiterverarbeitung ins Ausland zu verschicken.4 Zwei Wochen später und somit wenige Tage vor der für den 19. bis 21. Oktober anberaumten zweiten Verhandlungsrunde in Wien dementierte ein iranischer Offizieller die westlichen Medienberichte über eine Zustimmung seines Landes zu dem unterbreiteten Genfer Vorschlag.

Teheraner Konsens versus ideale Lösung des Westens

In der österreichischen Hauptstadt stand ein von Mohammad El-Baradei vorbereiteter Entwurf eines Atomabkommens zwischen den G5+1 und Iran im Zentrum der Gespräche, der den Genfer Vorschlag widerspiegelte. Ein französischer Diplomat bekundete gegenüber der »Washington Post«, dass der Entwurf „nicht sehr weit“ von der für den Westen idealen Lösung liege. Am letzten Tag der Wiener Gespräche meldeten westliche Medien wieder eine Zustimmung Irans. Soltanieh sah den Entwurf „auf dem richtigen Weg“, eine Entscheidung könne aber erst nach sorgfältiger Prüfung erfolgen. El-Baradei selbst unterstrich, dass es keine Einigung gegeben habe, forderte Teheran aber auf, innerhalb von zwei Tagen zu antworten.

Die iranische Antwort ließ jedoch auf sich warten. In den dortigen Machtzirkeln setzte eine Diskussion über das Für-und-Wider des vorliegenden Entwurfs ein, die fast eine Woche dauern sollte. Protest meldete sich auch aus der inneriranischen Opposition, so von den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir-Hossein Mousavi und Mohsen Rezai (amtierender Vorsitzender des mächtigen Schlichtungsrates). Die Kritikpunkte umfassten den Vorwurf des Ausverkaufs des Atomprogramms, zumal die Rückkehr des höher angereicherten Urans nicht ohne Weiteres garantiert werden könne. Der ehemalige Atomunterhändler und amtierende Parlamentspräsident Ali Larijani sowie der Vorsitzende des Parlamentsausschusses zu Fragen nationaler Sicherheit und Außenpolitik, Alaeddin Boroujerdi, schlugen stattdessen vor, dass Iran das benötigte Uran aus dem Ausland käuflich erwerben solle. Als am 29. Oktober Mousavis Anprangerung des westlichen Vorschlags veröffentlicht wurde, wonach dieser „alle Anstrengungen von tausenden [iranischen] Wissenschaftlern in den Wind schlägt“, gab Teheran seinen Gegenvorschlag bekannt.5 Dieser spiegelte den drei Tage zuvor dargelegten Vorschlag Boroujerdis wider, der im Kern einen »simultanen Austausch« vorsieht.6 Demnach soll das LEU in mehreren Schritten außer Landes gebracht werden und nicht in einer einzigen Lieferung, sodass ein gleichzeitiger Austausch zwischen Irans LEU mit dem höher angereicherten Brennstoff aus dem Ausland stattfände. Bahman Nirumand erfasst die westliche Perspektive wie folgt: „Ein sofortiger Tausch des niedrig angereicherten Urans gegen höher angereichertes Material, wie es Iran nun offenbar fordert, würde dagegen keinen Spielraum für Gespräche garantieren. Auch eine schrittweise Lieferung des Urans ins Ausland dürfte auf Ablehnung stoßen, weil dadurch die kritische Menge von spaltbarem Material für den Bau einer Atombombe nicht unterschritten werden dürfte.“ 7

Iran will Trumpfkarte nicht aus der Hand geben

Während der Westen durch die signifikante Reduzierung des Bestands an LEU auf iranischem Boden aus einer Position der Stärke verhandeln will, wittert Teheran die Gefahr, dadurch nicht auf Augenhöhe Gespräche führen zu können. Ganz in diesem Sinne führt Gareth Porter ein strategisches Motiv Teherans ins Feld: „Diese [iranische] Ablehnung des Plans spiegelt die Erkenntnis wider, dass der El-Baradei-Entwurf Iran seines Verhandlungsgewichtes entledigen würde, den sie [die Iraner] so schmerzhaft in der Form von LEU-Beständen angehäuft hatten. Hochrangige iranische Offizielle in Fragen nationaler Sicherheit hatten in informellen Gesprächen zugegeben, dass der Hauptzweck der Anhäufung leicht angereicherten Urans darin bestünde, die Vereinigten Staaten dazu zu bringen, sich an den Tisch zu setzen und ernsthaft mit Iran zu verhandeln. Sie hatten beobachtet, dass in der Vergangenheit - bevor das Anreicherungsprogramm begann - die Vereinigten Staaten kein Interesse in Verhandlungen hegten. Von dieser strategischen Perspektive aus ist Iran in einer Position, mit den Vereinigten Staaten in einer Weise zu verhandeln, was unter den Regierungen von Rafsanjani und Khatami der Fall war.“ 8

Der Teheraner Konsens vom »simultanen Austausch« sollte nunmehr die iranische Position wiedergeben, sodass man das für Ende 2009 angesetzte US-Ultimatum bezüglich des IAEA-Vorschlags verstreichen ließ. Nachdem ein Anfang Dezember von Iran unterbreiteter Vorschlag, dieses Tauschgeschäft auf der im Persischen Golf gelegenen Insel Kish vorzunehmen, von den USA (da auf iranischem Territorium) brüsk abgelehnt wurde, zeichnete sich Ende 2009 eine vielversprechende Option ab. Die Türkei, die mit Iran und den USA gute Beziehungen unterhält, soll als Land dienen, in dem der Austausch unternommen werden könnte.9

Washington pokerte zu hoch

Für das vorzeitige Scheitern der Verhandlungen kommt der diplomatischen Strategie Washingtons eine zentrale Rolle zu. Gemeinsam mit seinen EU-Partnern sahen die USA die goldene Möglichkeit, einen diplomatischen Sieg einzufahren, indem man mit einem nebulösen Deal Irans Atomprogramm quasi physisch aushebeln wollte. Diese unrealistische Aussicht machte indes blind dafür, dass Verhandlungen zwischen beiden Seiten Spannungen abbauen und einen Interessenausgleich anstreben sollten. Stattdessen haben die USA und ihre EU-Partner die Erfahrungen aus dem Verhandlungsprozess der letzten Jahre vollkommen ignoriert und nunmehr zu hoch gepokert.10 Und auch nach wie vor setzt man auf das bankrotte »Zuckerbrot-und-Peitsche-Model«, das nur dazu geeignet ist, Fronten zu verhärten und durchaus existente Initiativen zur Konfliktbeilegung außen vor zu lassen.

Risiken der geschwächten iranischen Position

Die inneriranische Herrschaftskrise nach den Präsidentschaftswahlen vom Juni 2009 hat dazu geführt, dass die an Legitimität leidende iranische Regierung im andauernden Konflikt mit dem Westen geneigt ist, Zugeständnisse ans Ausland zu machen. Das war bereits bei den Genfer Verhandlungen zu beobachten. Der Westen wiederum hofft, aus eben jener Schwäche Teherans Profit schlagen zu können.11

In Washington ist man parteiübergreifend zuversichtlich, bereits aus der Tatsache, direkte Verhandlungen »versucht« zu haben, politisches Kapital schlagen zu können. Von einem maßgeblichen Teil der strategischen Kreise in den USA wird (Schein-)Diplomatie als notwendiger Schritt der Kriegslegitimation erachtet. Sanktionen - bis hin zu »lähmenden« - werden denn auch angestrebt, um Teherans Weigerung, sich dem US-amerikanischen Willen zu beugen, zu bestrafen. Doch wirtschaftliche Sanktionen gehen in der Regel zu Lasten der Bevölkerung, während sie die Hardliner auf allen Seiten eher stärken.12

In Iran stehen turbulente Monate bevor. Es wird darauf zu achten sein, dass das Ausland diese Situation nicht rücksichtslos zugunsten eigener, wenn auch kurzsichtiger, strategischer Vorteile ausnutzt. Es gilt nach wie vor, dass die vom Westen betriebene Zwangsdiplomatie gegenüber Iran - wie man es in diplomatischen Studien zutreffend formuliert - eine für die Entwicklung des westasiatischen Landes nachteilhafte Dynamik erzeugt. Solange Obamas Iran-Politik dem Bush-Modus verfangen ist - das statt auf einen Ausgleich auf eine Unterwerfung unter US-Interessen abzielt -, ist der sog. Iran-Konflikt weit davon entfernt, beigelegt zu werden.

Anmerkungen

1) Ali Fathollah-Nejad, »Don"t blame the messenger for the message«? Wie die EU-Diplomatie den Weg für einen US-Angriff auf Iran ebnet, Tübingen: Informationsstelle Militarisierung (Studien zur Militarisierung Europas, Nr. 28/2007).

2) Gareth Porter, New Doubt Cast on U.S. Claim Qom Plant is Illicit, Inter Press Service (IPS), 02.10.2009; ibid., Secrecy shrouds Iran"s contingency centers, Asia Times Online, 19.11.2009.

3) Vgl. Jim Lobe, Iran: New Nuke Charges Raise Stakes in Upcoming Talks, IPS, 25.09.2009.

4) Julian Borger, Iran agrees to send uranium abroad after talks breakthrough, The Guardian, 02.10.2009, S.21; Louis Charbonneau, Iran nuclear talks with U.S. and allies eases tension, Reuters, 02.10.2009.

5) Vgl. Yossi Melman, Iran to IAEA: Access to nuclear fuel before uranium deal, Haaretz.com 30.10.2009.

6) Es wird weithin angenommen, dass der Vorsitzende des zuvor genannten Ausschusses, dem Boroujerdi vorsitzt, die Meinung des tonangebenden Staatsoberhaupts Ali Khamenei wiedergibt.

7) Bahman Nirumand, Iran-Report, Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung, Jg. 8, Nr. 11 (Nov. 2009), S.10.

8) Gareth Porter, The US/Iran Talks: The Road to Diplomatic Failure, CounterPunch 10.12.2009.

9) Vgl. Iran warming to Turkish role in nuke dispute, todayszaman.com 31.12.2009.

10) Vgl. Porter (Fußnote 8).

11) Für ein markantes Beispiel vgl. Jürgen Bätz, Bewegung im Atomstreit? Die innere Instabilität des Iran als Chance für den Westen, Internationale Politik und Gesellschaft Nr. 4/2009, S.65-81.

12) Vgl. Ali Fathollah-Nejad & Miriam Shabafrouz, Zenith - Zeitschrift für den Orient Jg. 11 (2009), Nr. 4, S.38-39.

Ali Fathollah-Nejad ist Politologe und lehrt zurzeit an der University of Westminster/GB. Im Universitätsverlag Potsdam ist von ihm erschienen: Der Iran-Konflikt und die Obama-Regierung - Alter Wein in neuen Schläuchen?; Homepage: fathollah-nejad.com.

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Wenig Hoffnung im Israel-Palästina-Konflikt

von Claudia Haydt

Der ermordete israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin fasste seine Motivation für den Osloer-Friedensprozess in die Worte: „Frieden schließt man nicht mit seinen Freunden. Frieden schließt man mit seinen Feinden.“ Auch der Wahlkampf des nun nicht mehr ganz so neuen US-Präsidenten Barack Obama war von dieser versöhnlichen Rhetorik gegenüber den Konfliktparteien des Nahen und Mittleren Ostens geprägt. Bereits im Sommer 2008 kündigte Obama an, dass er im Nahost-Friedensprozess „eine aktive Rolle“ übernehmen werde: „Ich werde mich persönlich engagieren und alles tun, was mir möglich ist, um die Sache des Friedens vom Beginn meines Amtes an voranzutreiben“ 1

Ein Jahr nach der Amtseinführung Obamas ist es Zeit für eine erste Bilanz der neuen US-Politik gegenüber Israel und Palästina.

Schwerer Start

Zwischen der Wahl Obamas am 4. November 2008 und seiner Amtseinführung am 20. Januar 2009 eskalierte die Situation im Nahen Osten dramatisch. Die israelische Armee starte am 27. Dezember 2008 die Operation »Gegossenes Blei« im Gazastreifen. Bis zum Ende der Invasion starben 1.434 PalästinenserInnen, darunter viele Zivilisten, und 13 Israelis. Der neue US-Präsident hatte noch in seinem Wahlkampf im Sommer 2008 die israelische Stadt Sderoth besucht, die immer wieder Ziel palästinensischer Raketen geworden war, und dort erklärt, auch er würde alles unternehmen, um sein Zuhause und seine Töchter vor drohenden Hamas-Raketen zu schützen. Dies betrachtete die israelische Regierung offensichtlich als Freibrief für den Angriff auf Gaza. Drei Tage vor Obamas Amtseinführung stellte Israel die Kampfhandlungen allerdings ein, vielleicht um ihn nicht allzu stark zu provozieren.

Wohlwollende Kommentatoren sahen in Obamas Schweigen während des Gaza-Krieges eine Rücksichtnahme gegenüber seinem Amtsvorgänger George W. Bush in dessen »Amtsführung der letzten Tage« er sich nicht einmischen wolle.

Bereits am zweiten Tag von Obamas Präsidentschaft schien sich dann die Hoffnung auf eine neue Politik in der Region zu erfüllen. Der neue Präsident machte den erfahrenen Diplomaten und Ex-Senator George Mitchell zum Sondergesandten für den Nahen Osten. Dieser hatte sehr ausdauernd und schlussendlich erfolgreich das Ende des Nordirlandkonfliktes begleitet und ihm war auch die politische Gemengelage im Nahen Osten nicht fremd. Er hatte 2001 den nach ihm benannten »Mitchell-Report« verfasst, der später zur Grundlage der Road-Map wurde.

Doch Mitchells Bilanz ist nach sieben Vermittlungsmissionen im Jahr 2009 äußerst mager. Das liegt auch an den politischen Rahmenbedingungen. Einerseits haben nach dem Gaza-Krieg die israelischen Parlamentswahlen zu einem weiteren Rechtsrutsch in der israelischen Regierung geführt. Andererseits gibt es auf der palästinensischen Seite eine tiefe Spaltung zwischen der von der Fatah dominierten West-Bank und dem Hamas kontrollierten Gazastreifen. Mahmud Abbas wird als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) faktisch nur noch von außen an der Macht gehalten. Selbst in seiner eigenen Fatah-Partei hat er kaum noch Rückhalt.

Obamas Kairoer Rede

Barack Obama beherrscht den Umgang mit symbolischen Gesten. In einer Rede vor Studierenden an der Universität in Kairo am 4. Juni 2009 sprach er von „neuen Anfängen“ in der Beziehung zwischen den USA und der arabischen Welt, er sprach von „Frieden“ und vor allem von „gegenseitigem Respekt“. Obama verglich in seiner Rede die Situation der PalästinenserInnen mit denen der Schwarzen in den USA oder in Südafrika. Diese Äußerungen wurden in vielen arabischen Ländern positiv aufgenommen, sie wurden als Zeichen für eine neue Ebene der Verständigung gesehen. Gleichzeitig kam es zu starkem Widerspruch aus Israel und auch von vielen US-amerikanischen Politikern (Republikanern wie Demokraten).

Die große Begeisterung nach dieser Obama-Rede verblasste im arabischen Raum, spätestens als klar wurde, dass seine Vertreter in der UN den »Goldstone-Report« ablehnen würden - jenen Report, der im Auftrag der UN erstellt worden war, um eine völkerrechtlich Bilanzierung des Gaza-Krieges vorzunehmen. Der 575 Seiten umfassende Bericht beschuldigte sowohl Israel als auch die Hamas der Kriegsverbrechen. Die israelische Armee sieht sich in dem Bericht jedoch mit deutlich weitergehenden Vorwürfen konfrontiert als ihre palästinensischen Gegner. Dazu gehört die unterschiedslose Tötung von Zivilisten, der Einsatz international geächteter Phosphormunition und die gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur - einschließlich Schulen und Krankenhäusern.

Einfrieren des Siedlungsbaus?

»Land für Frieden«, das ist die Formel die dem Oslo-Prozess und der Road-Map zugrunde liegt. Durch einen Verzicht Israels auf die 1967 eroberten Gebiete soll die Grundlage für einen lebensfähigen palästinensischen Staat gelegt werden. Eine vertraglich garantierte friedliche Koexistenz und Friedensverträge mit den arabischen Nachbarn sollen den Friedensprozess absichern. Doch ein großer Teil des Landes, das für einen palästinensischen Staat vorgesehen ist, wird massiv durch Mauerbau, Straßen und Siedlungsbau von Israel in Besitz genommen. 460.000 Siedler leben in den besetzten Gebieten, beinahe 200.000 davon im annektierten Ost-Jerusalem.

Nach internationalem Recht sind die israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland illegal. Sie verstoßen gegen das Völkerrecht, das einer Besatzungsmacht verbietet, Bürger aus ihrem eigenen Territorium in besetztes Gebiet zu transferieren (Vierte Genfer Konvention, Artikel 49), und sie befinden sich in Widerspruch zur UN-Resolution 478 von 1980. Bereits in der Road Map wurde deswegen ein Siedlungsstopp festgelegt, doch noch keine US-Administration hat bisher entschlossen auf eine Durchsetzung gedrängt.

Im Gegenteil, George W. Bush hat im April 2004 in einem Briefwechsel mit Ariel Sharon signalisiert, die USA würden die geschaffenen Fakten als „realities on the ground“ 2 anerkennen und von Israel nicht verlangen, die Hauptsiedlungsblöcke zu räumen. Daraus leitet die israelische Regierung bis heute das Recht ab, wenigstens innerhalb dieser Hauptsiedlungsblöcke (einschließlich des annektierten Ost-Jerusalem) neuen Wohnraum für Israelis bauen zu können. Entsprechend groß war die israelische Irritation, als plötzlich unter Obama von Seiten der US-Administration ein totaler Baustopp als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Palästinensern verlangt wurde. Bei einem Treffen Mitchells mit Netanjahu im August 2009 in London wurde allerdings deutlich, dass die Position der USA doch nicht so fest war und die US-Administration einen Kompromiss suchte.

Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Mitchell und der israelischen Regierung war dann ein zehnmonatiges Moratorium, in dem keine neuen Bauten entstehen sollen. Ostjerusalem bleibt von dieser Regelung aber ausgenommen.

Die israelische Friedensgruppe »Peace Now« beobachtet seit Jahren die Entwicklung der Siedlungen und sie wies in einer Studie im Dezember 2009 daraufhin, dass durch Ausnahmen und Tricks während des Siedlungsmoratoriums mit einem höheren Bauvolumen zu rechnen ist als im Jahr zuvor (Lara Friedman, Peace Now, 10.12.2009). Insgesamt wird trotz des offiziell »eingefrorenen« Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten zur Zeit mehr gebaut als im gesamten israelischen Kernland. US-Außenministerin Hillary Clinton bezeichnete Netanyahus Siedlungsbaukompromiss dessen ungeachtet als „bisher einmaliges“ Angebot.

Für die Palästinenser und die arabischen Nachbarn Israels ist diese Entwicklung extrem enttäuschend. Dennoch ist durch die Auseinandersetzung um ein Siedlungsmoratorium die internationale öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema stark gewachsen. Folgen dieser erhöhten Aufmerksamkeit jedoch keine konkreten Veränderungen, kann die Situation regional eskalieren, möglicherweise bis hin zu einer dritten Intifada.

Gemeinsame Sicherheitsinteressen

Vor dem Amtsantritt Obamas spekulierte die israelische liberale Tageszeitung Ha"aretz (25.12.2008), dass Obama Israel zwingen könnte, Inspektionen im israelischen Reaktor Dimona zuzulassen. Obama setzte die Frage der atomaren Abrüstung durch seine engagierte Rede in Prag im Vorfeld des NATO-Jubiläumsgipfels Anfang April 2009 dann auch tatsächlich wieder auf die internationale Agenda. Im Nahen Osten hat die Frage der atomaren Bewaffnung eine besondere Brisanz. Israel, das nie dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist, verfügt über geschätzte 200 bis 500 atomare Sprengsätze (vgl. Jürgen Rose in W&F, 4/2004, S.51-54). Es wachsen die Spannungen zwischen Israel und Iran, und gleichzeitig nimmt der internationale Druck auf den Iran zu, die Urananreicherung einzustellen, um keine eigenen Atomwaffen produzieren zu können. Unter diesen Umständen ist es sehr zu begrüßen, dass es - wohl auf Druck der US-Administration - Ende September 2009 seit 30 Jahren ein erstes Treffen zwischen Israel und Iran gab (vgl. Silke Mertins in Financial Times Deutschland vom 23.10.2009). Das Geheimtreffen fand im Rahmen einer Konferenz der Kommission zur atomaren Nichtverbreitung und Abrüstung statt. Bereits im Mai 2009 hatte die US-Regierung sehr deutlich vor einem israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen gewarnt (Aluf Benn in Ha"aretz 14.5.2009), was in Israels rechter Regierung für eine gewisse Verstimmung gesorgt hatte. Allerdings ist damit ein israelischer Angriff auf den Iran nicht ausgeschlossen, sondern lediglich an eine vorherige Koordination mit den USA gekoppelt. Offensichtlich versucht die US-Administration, Israel als treibenden Akteur im Nahen Osten in seine Schranken zu weisen, hält aber gleichzeitig an seiner Politik der Stärke und der »gemeinsamen Sicherheitsinteressen« zwischen Israel und den USA fest.

Nur wenige Tage nach dieser Warnung signalisierte am 21. Mai 2009 die Obama-Administration, dass sie Israel nicht zur Offenlegung seiner atomaren Fähigkeiten zwingen würde, sondern weiterhin die israelische Politik der nuklearen Ambiguität stützen wird.3 Ein Schritt in Richtung eines atomwaffenfreien Nahen Osten sieht anders aus.

Verbal ist bei Obama der Anti-Terror-Kampf aus dem Fokus verschwunden. Er positioniert sich nicht - wie sein Vorgänger - rhetorisch gegen eine »Achse des Bösen«. Dennoch bleibt es bei den wesentlichen Grundlagen des gemeinsamen »Antiterrorkampfes«, und in diesen ist und bleibt Israel eng eingebunden. Bereits in Oktober 2009 gab es gemeinsame Übungen zwischen NATO und der israelischen Marine zur Überwachung des Mittelmeers. Anschließend wurde öffentlich bekannt gegeben, dass Israel an der NATO-Antiterror-»Operation Active Endeavour« (OAE) mit einem Kriegsschiff teilnehmen wird. Dies kann auch als Anzeichen interpretiert werden, dass der Plan einer möglichen NATO-Mitgliedschaft Israels von den USA ernsthafter als bisher verfolgt wird. Auf jeden Fall beteiligt sich die NATO damit direkt an der seeseitigen Blockade Gazas.

An der Nase herumgeführt?

Viele Kommentatoren urteilen, dass sich der in der internationalen Politik noch unerfahrene Obama von der israelischen Regierung an der Nase herumführen lasse. Sollte das stimmen, dann nur deshalb, weil Obama und seine Berater es akzeptiert haben. Die USA sind alles andere als machtlos gegenüber Israel. Sie können z.B. ankündigen, zukünftig kein Veto mehr gegen Verurteilungen Israels im Sicherheitsrat einzulegen. Ebenso hängt Israel von Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützung für diese Waffenlieferungen ab.

Nach wie vor erhält Israel Militärhilfe in Milliardenhöhe. Am 23. November 2009 boten die USA die Kooperation bei hochmodernen Kampfflugzeugen an, das Arrow 3 Raketensystem wird vollständig von den USA für Israel beschafft. Und am 21. Dezember hat Obama 202 Millionen Dollar für ein israelisches Raketenabwehrprogramm genehmigt.

Ein weiterer wichtiger Hebel, den die USA in der Hand halten, ist die Kreditgarantie, die die USA regelmäßig für israelische Anleihen im Ausland geben. Unter George Bush Senior wurde dieser bereits erfolgreich gegenüber dem israelischen Premierminister Yitzhak Shamir eingesetzt. Als Shamir Ende 1991 nicht zur Madrider Friedenskonferenz mit der PLO kommen wollte, drohte Bush damit, die Garantien in Höhe von 10 Milliarden Dollar zurückzuziehen. Shamir fuhr nach Madrid. Jetzt hat Mitchell laut überlegt (BBC 10.1.2010), dass die USA diesen Schritt wiederholen könnten. Dass von dieser Drohung aber zur Zeit kein größerer Druck ausgeht, liegt daran, dass im Juni letzten Jahres entsprechende Kreditgarantien für die nächsten zwei Jahre gegeben wurden. Hinzu kommt, dass Stimmen aus dem Weißen Haus zu hören waren, die sich gegen die Streichung der Garantien aussprachen.

2009: Ein verlorenes Jahr für den Friedensprozess

Das Jahr 2009 war ein verlorenes Jahr für den Friedensprozess. Wird 2010 besser? „Irgendwann muss die Administration der Tatsache ins Auge sehen, dass die Gräben zwischen beiden Seiten heute größer sind als gestern, und selbst gestern waren sie schon unüberwindba“ 4, schreibt Robert Malley, Direktor des Nahost-Programms der »International Crisis Group« und ehemaliger Nahostberater Bill Clintons.

Am 4. Januar 2010 berichtete die israelische Tageszeitung Ma"ariv von einer neuen Initiative des US-Vermittlers Mitchell, die Verhandlungen auf zwei Jahre zu begrenzen und ohne Vorbedingungen sofort beginnen zu lassen. Ob dies wirklich erfolgversprechend sein wird, hängt neben dem Ende der Belagerung des Gazastreifens von zwei wesentlichen Punkten ab. Zum einen müssen die Vermittler, und da spielen im Nah-Ost-Quartett die USA die wichtigste Rolle, tatsächlich entschlossen sein, auch Druck auf die israelische Regierung auszuüben. Zum anderen sind auf der palästinensischen Seite dringend Neuwahlen nötig. Abbas hat keine Autorität mehr. Die Wahlen müssen von der PA und der Hamas gemeinsam organisiert werden, wenn die Spaltung zwischen Westbank und Gaza nicht dauerhaft zementiert werden soll. Das Nahost-Quartett muss nach dieser Wahl die Entscheidung der palästinensischen Bevölkerung - wie auch immer diese ausfallen sollte - anerkennen. Nur eine solche repräsentative palästinensische Regierung wird in einen Verhandlungsprozess stark und glaubwürdig agieren können und gleichzeitig auch die Autorität haben, dafür sorgen zu können, dass der Raketenbeschuss auf israelische Städte eingestellt wird.

Es bleibt zu hoffen, dass Obamas angeschlagene Administration die Kraft und vor allem den politischen Willen findet, einen Verhandlungsprozess in Gang zu setzen, in den alle beteiligten Kräfte einbezogen werden und der einem gerechten Frieden zum Ziel hat.

Anmerkungen

1) http://www.aipac.org/Publications/SpeechesByPolicymakers/PC_08_Obama.pdf

2) Vgl. Settlement Report, Vol. 14 No. 3, May-June 2004.

3) Steve Sheffey, The Huffington Post - 13 Jan 2010.

4) http://de.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-468/_nr-1260/i.html

Claudia Haydt ist Religionswissenschaftlerin und Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung.

zum Anfang | Barack Obamas Ostasienpolitik: Eine Zwischenbilanz

von Andreas Henneka

Mit dem Eintritt in den Pazifikkrieg im Dezember 1944 und den sich daraus ergebenden Konsequenzen sind die USA zu einer ordnungsbestimmenden Kraft in Ostasien geworden. Der Wunsch, eigene Interessen zu wahren, sowie eine Vielzahl von Bündnisverträgen und die machtpolitische Rivalität gegenüber Russland und der VR China sorgen dafür, dass die Entwicklung in der Region unter fortwährender Beobachtung der Entscheidungsträger in Washington steht. Zu den außenpolitischen Herausforderungen der neuen US-Regierung unter Barack Obama zählt deshalb die Ausarbeitung eines klaren Konzepts, das den USA auch in den kommenden Jahrzehnten Handlungsfähigkeit und Einfluss in Ostasien sichert.

Enge Partnerschaft trotz vorhandener Spannungen

Mit Blick auf dieses im Wahlkampf formulierte Selbstverständnis ist zu erwarten gewesen, dass die politische Agenda, mit der Barack Obama sich Anfang November 2009 zu seinem Antrittsbesuch nach Tokio, Beijing und Seoul aufmachte, ambitioniert und couragiert klingen würde. Neben Fragen zur Klima- und Wirtschaftsentwicklung standen sicherheitspolitische Themen im Vordergrund. Grundsätzlich kann die Situation hinsichtlich der US-amerikanischen Außenbeziehungen zu den Staaten in der Region als günstig beschrieben werden. Das strategische Bündnis mit Südkorea, Japan und Taiwan steht ungeachtet mancher Kontroversen auf einem festen Fundament. Auch die Beziehung zur Volksrepublik China hat sich gefestigt, wie sich am Besuch George Bushs jun. während der Olympischen Spiele und einem im Juni 2008 getroffenen Abkommen über Zusammenarbeit in den Bereichen Energie und Umweltschutz zeigen lässt. Gleichzeitig prägt eine Reihe von Konflikten das Verhältnis der USA zur Region und damit ihre Politik. Im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung stehen die Auseinandersetzung um das nordkoreanische Raketen- und Nuklearprogramm sowie die Kontrolle über die Meerenge von Taiwan. Ein Blick auf die geostrategischen Gegebenheiten an Ort und Stelle macht deutlich, dass die politischen Leitlinien der in der Region aktiven Akteure von weiteren Konstanten beeinflusst werden.

Für die Vereinigten Staaten gehört Ostasien zu den strategisch wichtigsten Regionen. Festmachen lässt sich das schon an der Stärke der amerikanischen Truppen, die im gesamten Pazifikraum operieren. Laut Selbstauskunft des amerikanischen Oberkommandos im Pazifik, dem »U.S. Pacific Command«, beläuft sich die Zahl des Personals auf annähernd 250.000. Das entspricht einem Fünftel der Gesamtstärke der amerikanischen Streitkräfte. Allein die Seestreitkräfte unterhalten an Ort und Stelle mehr als 135.000 Personen sowie 180 Schiffe und 1.400 Flugzeuge. Es folgen die Landstreitkräfte mit 50.000 Angehörigen, davon vier Stryker Großverbände, die Luftstreitkräfte mit ca. 39.000 Personen und 350 Flugzeugen, über 13.000 Personen der U.S. Küstenwache sowie 1.200 Angehörige von teilstreitkräfteübergreifenden Spezialeinheiten. Es liegt auf der Hand, dass die ständige Bereitstellung dieser Militärmacht nicht allein der Einhegung des nordkoreanischen Nuklear- und Raketenprogramms bzw. der Sicherung der Schifffahrtswege in der Meerenge von Taiwan gilt. Auch die Ausübung der »Schutzmachtfunktion« gegenüber seinen regionalen Verbündeten macht die Aufrechterhaltung eines solch gewaltigen Militärapparats nicht zwingend erforderlich. Angesichts seiner technischen Fähigkeiten im Militärbereich wäre Washington zweifelsfrei in der Lage, die Sicherheit seiner Verbündeten mit weniger Personal und Gerät an Ort und Stelle zu garantieren. Es liegt deshalb nahe, die Zurschaustellung militärischer Stärke mit dem politischen Willen zu verknüpfen, gegenüber den beiden regionalen Großmächten VR China und Russland Präsenz zu zeigen. Denn ungeachtet mannigfaltiger Zusammenarbeit vertreten Washington, Moskau und Beijing in Ostasien unterschiedliche Interessen. Das Aufgabenfeld der amerikanischen Streitkräfte in der Region lässt sich demnach folgendermaßen zusammenfassen: Das Verhindern militärischer Auseinandersetzungen, Schutz der Verbündeten, Sicherung der Handelswege sowie die demonstrierte Fähigkeit, militärisch gegen jeden potentiellen Gegner zu bestehen.

Erwartungen an Obama

Die Kommentare ostasiatischer Tageszeitungen zur Wahl Barack Obamas zum 44. Präsidenten der USA fielen insgesamt verhaltener aus als die euphorische Berichterstattung ihrer westlichen Pendants. Das mag kulturelle Gründe haben. Zurückhaltung und leises Auftreten sind Attribute, die im Westen mit Blick auf asiatische Eigenschaften häufig auffallen. Sachlich betrachtet ist die Ursache für die gesetzten Reaktionen darin zu suchen, dass die Erwartungshaltung der ostasiatischen Staats- und Regierungschefs an den neuen Mann im Weißen Haus eine völlig andere ist als die der Europäer und der arabischen Welt. In europäischen Hauptstädten ist Erleichterung darüber zu spüren, dass die von der vergangenen US-Regierung gezogene Grenze zwischen einem »alten« und einem »neuen« Europa aufgehoben wurde. Gegenüber der arabischen Welt hat Barack Obama mit seiner versöhnlichen Rede in Kairo politischen Boden gut machen können. In Ostasien waren diese Debatten nie von sonderlichem Interesse, weil man schlicht nicht direkt davon betroffen war. Gleichwohl man das weniger polarisierende Auftreten des neuen Präsidenten wohlwollend zur Kenntnis nimmt, findet die Bewertung Obamas in Ostasien auf einer anderen Ebene statt. Dank wirtschaftlicher und militärischer Prosperität treten die ostasiatischen Länder mit großem Selbstbewusstsein auf. Institutionell rücken sie dank verschiedener Plattformen wie beispielsweise dem »Asean Regional Forum« immer enger zusammen. Die VR China ist mittlerweile zum größten Gläubiger der USA geworden. Und angesichts der politischen Veränderungsprozesse hat sich die Kooperation zwischen der VR China und den traditionellen Verbündeten der USA in der Region verstärkt. Im Mai 2008 stattete Präsident Hu Jintao Tokio einen Besuch ab, in dessen Verlauf eine Vereinbarung geschlossen wurde, die Gasvorkommen im ostchinesischen Meer gemeinsam zu erschließen. In Reaktion auf das Erdbeben in Sichuan leistete Japan große Hilfe. Auch im Militärbereich ist ein wachsender Austausch beider Länder zu beobachten. Verbessert hat sich auch das innerchinesische Verhältnis. Direkte Flüge zwischen der VR China und Taiwan und der wirtschaftliche Handel nehmen zu. Ungelöst bleibt die Einbindung Taiwans in internationale Organisationen, was Beijing wegen seiner Ein-China-Politik weiter blockiert. Im Verhältnis zwischen Südkorea und der VR China haben die Besuche auf höchster politischer Ebene zugenommen. Weitgehende Kooperationsvereinbarungen wurden getroffen, wie z.B. in den Bereichen Terrorismusbekämpfung, Klimaschutz und Freihandelsabkommen. Das beschriebene Bild zeigt, dass Obama in seiner Außenpolitik große Flexibilität und politische Geschicklichkeit an den Tag legen muss, wenn er sich in die wachsende Kooperation zwischen den ostasiatischen Staaten in einer für die USA gleichermaßen vorteilhaften Weise einbringen will. Die Rolle eines bestimmenden Akteurs werden die USA nur dann weiter füllen können, wenn es ihnen gelingt, allen Entscheidungsträgern in der Region das Gefühl zu vermitteln, als Partner ernst genommen zu werden.

Zugpferd oder lahmer Gaul

Barack Obama ist mit dem Versprechen in sein Amt gestartet, die Außenpolitik seines Landes auf ein neues, von gegenseitigem Vertrauen und Respekt geprägtes Fundament zu stellen. Damit hat er sich zum Hoffnungsträger jener stilisiert, die den offenen Dialog als eigentliches Werkzeug politischen Handelns verstehen. Ob sich Obama zum Zugpferd oder zum lahmen Gaul entwickelt, wird die Zukunft zeigen. Zum jetzigen Zeitpunkt, da auch in Washington die Konsolidierung der Wirtschaft im Vordergrund steht und die bevorstehenden Kongresswahlen Barack Obamas politischen Spielraum einschränken, ist es unmöglich, ein sicheres Urteil über seine weitere diese Region betreffende Außenpolitik zu fällen. Hingewiesen sei an dieser Stelle darauf, dass schon vor seiner Wahl Anzeichen zu erkennen waren, die gegen den von Vielen prophezeiten radikalen Neubeginn in der amerikanischen Außenpolitik sprachen. Wahrgenommen wurden sie angesichts der rasch um sich greifenden »Obamanie« kaum. Ein Blick auf die Mitglieder von Obamas engstem Beraterkreis macht deutlich, dass die Mehrzahl zu jenem Teil des politischen Establishments gehört, für den ein starkes Militär einen Eckpfeiler erfolgreicher Außenpolitik bildet. Ungeachtet des Bekenntnisses zur friedlichen Koexistenz wird die Option militärischer Gewalt als ultima ratio weiterhin Bestand haben. Ob sich so Dialogangebote beispielsweise gegenüber Nordkorea glaubhaft vermitteln lassen, ist fraglich. Vor allem zu Hause werfen Kritiker dem US-Präsidenten vor, mit seinem moderaten Auftreten in den vergangenen Monaten Schwäche gegenüber jenen signalisiert zu haben, die gegenüber dem Westen im allgemeinen und den USA im besonderen negativ eingestellt sind. Auch in Ostasien lassen sich Stimmen vernehmen, die Obamas Führungsstil, den seine Befürworter als besonnen, seine Gegner als zögerlich charakterisieren, als nicht angemessen betrachten. Sie warnen davor, dass in ihrer internationalen Bedeutung stetig wachsende Länder wie die VR China den gefälligen, bisher wenig verbindlichen Regierungsstil zum Anlass nehmen, Washingtons Bemühungen nur wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen, ohne sich auf konkrete Zusagen einzulassen. Stattdessen würden sie angesichts ihrer gewachsenen Machtstellung eigene Forderungen und Vorgaben formulieren. Im Westen wie im Osten verbindet die Kritiker die Einschätzung, dass Barack Obama in seiner Leistung durchschnittlich bleiben und nicht die erhoffte Kraft zur Erneuerung entfalten wird.

Mühsamer Start

In Peking ist es dem neuen US-Präsidenten nicht gelungen, seinen Gesprächspartner, Präsident Hu Jintao, in Kernfragen auf verbindliche Zusagen zu verpflichten. Was die Themen Klimaschutz und Wirtschaftskrise betrifft, ist es bei allgemein formulierten Absichtsbekundungen geblieben. Im Umgang mit Iran konnten keine für Washington befriedigenden Zusagen erreicht werden. Und auch in anderen sicherheitspolitischen Fragen, wie dem nordkoreanischen Nuklearprogramm oder der Nutzung des Weltraums, blieb es bei Formulierungen, die eine enge Zusammenarbeit in diesen Bereichen in Aussicht stellen. Immerhin wurde unter Obama der Austausch ranghoher Militärs zwischen beiden Länder wieder aufgenommen, der im Oktober 2008 wegen eines geplanten Waffengeschäfts mit Taiwan auf Eis gelegt worden war. Ob Obama dem Verkauf amerikanischer Waffen zustimmen wird oder nicht, ist auch nach seiner Rückkehr aus Ostasien noch nicht endgültig entschieden. Das bedeutet, dass weder Beijing noch Taipei auf ein klares Konzept Washingtons setzen können. Was die Beziehungen zu Japan betrifft, so stand der Antrittsbesuch in Tokio im Zeichen der neu gewählten Regierung unter Yukio Hatoyama und der wieder entbrannten Diskussion um die Verlagerung des amerikanischen Militärflughafens in Futenma auf Okinawa. Obwohl unter der Vorgängerregierung schon ein Abkommen über die Restrukturierung des Stützpunktes ausgehandelt wurde, hat die neue japanische Regierung durchgesetzt, das Thema in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe nochmals zu diskutieren. Zukünftig möchte Tokio nicht länger als »Juniorpartner« behandelt werden und erwartet in allen bilateralen Bereichen Gespräche auf Augenhöhe. Die Grundlagen des zwischen beiden Ländern bestehenden Sicherheitsvertrags stehen nicht zur Diskussion, beispielsweise aber die Frage, ob mit Nuklearwaffen bestückte amerikanische Zerstörer japanische Häfen anlaufen dürfen. Die in diesem Zusammenhang jüngst bekannt gewordene Existenz eines 1969 zwischen beiden Ländern unterzeichneten Geheimabkommens, das es mit Nuklearwaffen bestückten US-Kriegsschiffen erlaubt, japanische Häfen anzulaufen, hat in der japanischen Bevölkerung für großen Unmut gesorgt. Wie in Beijing, so lässt sich in Tokio der Versuch beobachten, das Ansehen und den politischen Einfluss durch den Ausbau nachbarschaftlicher Beziehungen zu stärken und den politischen Spielraum gegenüber den USA zu vergrößern. Manche Kommentatoren haben das Auftreten der chinesischen und japanischen Führung gegenüber Obama als arrogant und unnachgiebig beschrieben. Viele gehen davon aus, dass es dem US-Präsidenten in Tokio und Beijing nicht gelungen ist, sich als willenstarkes und durchsetzungsfähiges Zugpferd zu präsentieren. Demzufolge lässt sich als Höhepunkt seiner Ostasienreise der Besuch in Seoul bewerten, wo Obama keinen substantiellen Widerstand zu gewahren hatte. Das weitere Engagement Seouls in Afghanistan ist in »trockenen Tüchern«, und in Bezug auf Nordkorea scheint man sich über die Politik eines umfassenden Handels mit Pyongyang einig, der die bisherige Schritt-für-Schritt Strategie ablösen soll.

Leerlauf

Im Rückblick lässt sich festhalten, dass sich die Probleme in Ostasien seit Obamas Antritt nicht wesentlich verschärft haben. Konkrete Ergebnisse, geschweige denn Durchbrüche in den hier angerissenen Bereichen, hat es ebenfalls nicht gegeben. Harmonisch scheint unter dem Eindruck der bisherigen Zusammentreffen das Verhältnis zu Südkorea. Auch die Beziehung zu Japan wird stabil bleiben, wenngleich sich in Tokio unter der aktuellen Regierung neue Akzente im Umgang mit Washington abzeichnen. Schwierig bleibt die Politik gegenüber der VR China. Die wachsenden Investitionen in die chinesischen Luft- und Seestreitkräfte beobachtet Washington mit Sorge. Dennoch wird eine abgestimmte Politik mit der VR China allein wegen der wirtschaftlichen Verflechtung beider Länder immer wichtiger werden. In welche Richtung sich dabei die Allianz mit Taiwan bewegt, bleibt offen. Skeptisch ist insbesondere die Entwicklung zwischen Washington und Pyongyang zu sehen. Obamas Ankündigungen im Wahlkampf, sich ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch setzen zu wollen, stehen die Statements ranghoher Mitarbeiter - wie seiner Außenministerin Hillary Clinton - entgegen, dass ein offener und gleichberechtigter Dialog erst in Frage kommt, wenn Pyongyang sein Nuklearprogramm nachprüfbar aufgegeben hat. Dass die nordkoreanische Regierung ihr stärkstes Druckmittel ohne Gegenleistung aus der Hand gibt, ist freilich nicht zu erwarten. Die jüngsten Gespräche zwischen dem amerikanischen Sondergesandten Stephen Bosworth und nordkoreanischen Vertretern hatten die Funktion, die Lage zu sondieren. Konkrete Vorgaben für das weitere gemeinsame Vorgehen sind dabei nicht herausgekommen.

Andreas Henneka ist Doktorand und Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Sein Forschungsinteresse gilt insbesondere den Bereichen der Friedens- und Konfliktforschung, Rüstungskontrolle sowie Außen- und Sicherheitspolitik mit dem regionalen Schwerpunkt Ostasien. Er gehört der W&F-Redaktion an.

zum Anfang | Rein rhetorischer Neubeginn

Die Obama-Administration setzt in ihrer Politik gegenüber Lateinamerika auf Kontinuität

von Tobias Lambert

Eine »Partnerschaft auf Augenhöhe« versprach Barack Obama seinen lateinamerikanischen AmtskollegInnen zu Beginn seiner Amtszeit. Das Verhalten gegenüber den PutschistInnen in Honduras und der Ausbau der militärischen Präsenz der USA in Kolumbien erstickten die Hoffnungen auf gleichberechtigte Beziehungen jedoch im Keim.

Das erste Zusammentreffen mit seinen lateinamerikanischen und karibischen AmtskollegInnen verlief vergleichsweise harmonisch. Auf dem Amerika-Gipfel im April 2009 in Trinidad und Tobago weckte US-Präsident Barack Obama große Hoffnungen auf dem Subkontinent. Bereits im Vorfeld hatte er bezüglich Geldsendungen und Telekommunikation eine leichte Lockerung der mittlerweile in fast ganz Lateinamerika abgelehnten Blockadepolitik gegenüber Kuba bekannt gegeben. Auf dem Gipfel selbst schlug Obama einen ungewohnten Ton an: „Wir haben uns manchmal abgekoppelt und manchmal wollten wir unsere Bedingungen diktieren“, kommentierte er den seit Formulierung der Monroe-Doktrin (1823) praktizierten Hegemonialanspruch der USA gegenüber Lateinamerika. Als künftige Leitlinie kündigte er eine Politik des „gegenseitigen Respekts und Zuhörens“ sowie eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“ an.

Neues Selbstbewustsein in Lateinamerika

Noch auf dem vorherigen Amerika-Gipfel in Argentinien 2005 wurde der damalige US-Präsident George W. Bush mit zahlreichen Protestaktionen begrüßt und die US-amerikanische Vision einer gesamtamerikanischen Freihandelszone (ALCA) vorerst beerdigt. Das Scheitern von ALCA offenbarte, dass die USA in ihrem »Hinterhof« im vergangenen Jahrzehnt deutlich an Einfluss verloren haben. Während Bushs Präsidentschaft wurden in den meisten lateinamerikanischen Ländern US-freundliche Eliten abgewählt. Zahlreiche politische Initiativen entstanden unter Ausschluss der USA. Venezuela und Kuba initiierten Ende 2004 einen solidarischen Staatenbund als Gegenentwurf zu ALCA, dem als Bolivarianische Allianz für die Amerikas (ALBA) heute unter anderem Bolivien, Nicaragua und Ecuador angehören. Auf Initiative Brasiliens hin wurde im Mai 2008 zudem die Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) gegründet, der alle zwölf unabhängigen Länder Südamerikas angehören. Daneben wurden von Venezuela ausgehend Projekte wie der multistaatliche Fernsehsender »Telesur« und die »Bank des Südens« ins Leben gerufen.

Von den USA dominierte Finanzinstitutionen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Interamerikanische Entwicklungsbank büßten hingegen an Bedeutung ein. Gleiches gilt für die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), in deren Rahmen der Unilateralismus der USA stets als Multilateralismus verkauft wurde, und die militärische Zusammenarbeit mit den USA unter Führung des US-Südkommandos (US-SOUTHCOM).

Das Scheitern von ALCA führte in der Folge zu einer Ausdifferenzierung der US-Lateinamerikapolitik nach Ländern und Regionen. Freihandelsabkommen werden heute bilateral, politische und militärische Bündnisse ad-hoc nach der jeweiligen politischen Konjunktur geschlossen. Grob schematisiert zielt die aktuelle US-Lateinamerikapolitik auf eine politische Isolierung Venezuelas, Boliviens und der übrigen ALBA-Staaten ab. Als Gegenpol sollen sozialdemokratisch regierte Länder wie Uruguay, vor allem aber die aufstrebende Regionalmacht Brasilien nach Möglichkeit in die eigene Politik eingebunden werden. Die neoliberalen Regierungen in Kolumbien, Peru, Panama, Mexiko und Chile genießen hingegen breiten US-amerikanischen Rückhalt bei weiteren Privatisierungen von Staatsunternehmen und Bodenschätzen, die in den Ländern selbst häufig zu gewalttätigen Konflikten führen. Besondere Beziehungen pflegen die USA zu Mexiko und den zentralamerikanischen Staaten, die durch Freihandelsabkommen und Migration eng mit dem Norden verbunden sind. In dem innerhalb Mexikos eskalierenden Krieg zwischen Regierung und verschiedenen Drogenkartellen unterstützt Obama wie sein Vorgänger Bush die massive Militarisierung innerhalb des Nachbarstaates. Doch für eine Kontinuität in der US-Lateinamerikapolitik sprechen am deutlichsten das Verhalten der US-Regierung gegenüber dem Putsch in Honduras und der Ausbau der US-Militärpräsenz in Kolumbien.

Der Putsch in Honduras als erster Test

Der Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya, den die rechten honduranischen Eliten am 28. Juni 2009 mit Hilfe des Militärs durchführten, wurde zum ersten ernsthaften Test für Barack Obama in Lateinamerika. Die Eliten warfen Zelaya unter anderem vor, mittels einer Verfassunggebenden Versammlung eine weitere Amtszeit angestrebt und Honduras durch den Beitritt zu ALBA dem (diesmal chavistischen) »Kommunismus« ausgeliefert zu haben.

Die Haltung der USA gegenüber der international isolierten De-Facto-Regierung blieb dabei von Beginn an abwartend. Obama stellte sich zwar zunächst rhetorisch hinter Zelaya und verhängte geringe Sanktionen. Von einem Putsch sprach er aber offiziell nicht. Das Flugzeug, das Zelaya am 28. Juni nach Costa Rica brachte, hatte zudem einen Zwischenstopp auf der nördlich von der Hauptstadt Tegucigalpa liegenden US-Militärbasis Soto Cano eingelegt.

Letztlich unterstützten die USA mit Nachdruck die Konsolidierung der auf dem Putsch basierenden politischen Machtverhältnisse. US-Unterhändler Thomas Shannon sorgte Ende Oktober dafür, dass ein Abkommen zwischen Zelaya und der de-facto-Regierung zustande kam. Dabei ließ sich die Verhandlungsdelegation von Zelaya offensichtlich über den Tisch ziehen: Dessen Rückkehr ins Präsidentenamt wurde in dem Abkommen nicht verpflichtend festgelegt, sondern dem Parlament überlassen. Anfang Dezember sprach es sich mehrheitlich dagegen aus.

Am 27. November ließ die Putschregierung zudem die bereits vor dem Putsch für diesen Tag geplanten Wahlen durchführen. Obwohl diese in einem Klima der Repression gegen die Widerstandsbewegung sowie unter Einschränkung der Pressefreiheit stattfanden, erkannten die USA neben US-freundlichen Ländern wie Costa Rica, Panama, Peru und Kolumbien Wahlsieger Pepe Lobo von der Nationalen Partei umgehend an.

Am Beispiel Honduras zeigt sich die Umsetzung der von Hillary Clinton bereits vor Obamas Amtsantritt beschworenen Strategie der »smart power« (»intelligente Macht«). Diese stellt eine Mischung aus Elementen der »hard power« (»harte Macht«) und »soft power« (»weicher Macht«) dar. Während »harte Macht« die Durchsetzung politischer Ziele durch militärischen Druck bedeutet, beschränkt sich »weiche Macht« darauf, die Gefolgschaft anderer Staaten mit sanfteren Mitteln wie Diplomatie oder kulturellen Einflüssen herzustellen. »Intelligente Macht« hingegen kann von Fall zu Fall unterschiedlich eingesetzt werden und ist aufgrund der großen Bandbreite möglicher Instrumente schwerer zu durchschauen.

Viele soziale Bewegungen in Lateinamerika und die Regierungen der ALBA-Staaten sehen in dem Putsch in Honduras einen Angriff auf ALBA selbst und die demokratischen Transformationsprozesse in der Region. Ähnliche Bestrebungen mit teils massiver Einflussnahme seitens der US-Regierung unter George W. Bush waren 2002 beim kurzzeitigen Putsch in Venezuela und 2008 bei den sezessionistischen Unruhen im oppositionell dominierten Tiefland in Bolivien gescheitert. Die venezolanische Regierung selbst geht fest davon aus, dass ihr Einfluss in Zukunft auch mit militärischen Mitteln eingedämmt werden soll und der enge US-Verbündete Kolumbien dafür als Brückenkopf herhalten muss.

Kolumbien als Brückenkopf der USA

Am 30. Oktober 2009 unterzeichneten die USA und Kolumbien ein »Abkommen über Kooperation in militärischen Fragen«, das den US-Streitkräften für die kommenden zehn Jahre die Nutzung von sieben kolumbianischen Militärstützpunkten ermöglicht. Bereits seit dem Jahr 2000 unterstützten die USA Kolumbien im Rahmen des »Plan Colombia« mit bisher etwa sechs Milliarden US-Dollar. Die Unterstützung wurde mit dem »Krieg gegen die Drogen« begründet, diente aber von Anfang an auch der Bekämpfung der kolumbianischen Guerillagruppen und ziviler linker Strukturen. Das neue Militärabkommen soll laut Obama ausschließlich auf den innerkolumbianischen »Krieg gegen Drogen und Terrorismus« beschränkt sein. Die Nachbarländer Kolumbiens trauen diesen Aussagen allerdings spätestens seit dem gezielten Raketenangriff, den die kolumbianischen Streitkräfte mit Hilfe der USA im März 2007 auf ein Versteck der FARC-Guerilla in Ecuador verübten, kaum.

Fast alle südamerikanischen Staatschefs meldeten auf dem UNASUR-Gipfel Ende August letzten Jahres offen Bedenken hinsichtlich des Militärabkommens an, ohne dass sich die USA und Kolumbien davon abbringen ließen. Die Befürchtungen, dass von den Basen eine Bedrohung für die Region ausgehen könnte, sind dabei keineswegs aus der Luft gegriffen. Als die US-Luftwaffe im Mai 2009 beim US-Kongress 46 Millionen US-Dollar zum Ausbau der kolumbianischen Luftwaffenbasis Palanquero beantragte, hieß es zur Begründung, Palanquero sei „eine einmalige Gelegenheit, umfassende Operationen in einer kritischen Teilregion unserer Hemisphäre durchzuführen, in der Sicherheit und Stabilität ständig durch Rauschgift-finanzierte Aufstände, Anti-US-Regierungen, vorherrschende Armut und wiederkehrende Naturkatastrophen bedroht sind.“

Am deutlichsten protestiert die venezolanische Regierung gegen die Nutzung der Basen. Insgesamt elf Stützpunkte werden die USA künftig in unmittelbarer Nähe des Erdöl-Staates betreiben oder nutzen, darunter zwei Luftstützpunkte auf den Niederländischen Antillen, die nur wenige Kilometer vor der venezolanischen Küste liegen. Zusätzliche Sorge bereitet Venezuela die bereits Mitte 2008 erfolgte Reaktivierung der vierten Flotte des US-Südkommandos. Diese kreuzt an der lateinamerikanischen Atlantikküste und war seit 1950 nicht mehr aktiv. Wie groß die Skepsis gegenüber US-amerikanischer Militärpräsenz in Lateinamerika ist, zeigte sich auch im Zuge des US-Engagements nach dem Erdbeben in Haiti Mitte Januar dieses Jahres. Die Regierungen Venezuelas, Boliviens und Nicaraguas befürchten, dass die Militarisierung der Insel in die Errichtung einer weiteren dauerhaften US-Basis münden könnte.

Die US-Regierung lässt kaum eine Möglichkeit aus, die ihrer Meinung nach »den Fortschritt bedrohende« Rolle Venezuelas und dessen Präsidenten Hugo Chávez in der Region zu kritisieren und bekommt dabei tatkräftige Unterstützung durch die kolumbianischen Verbündeten. Seit letztem Jahr verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Venezuela und Kolumbien rapide. Venezuela rüstet mit Hinweis auf die mögliche Bedrohung weiter auf und vergibt Milliardenaufträge nach Russland, weil die USA bereits seit 2005 keine Waffen mehr nach Venezuela verkaufen. Brasilien gab im vergangenen September sogar noch umfangreichere Waffendeals mit Frankreich bekannt. Hillary Clinton zeigte sich allerdings nur über die venezolanischen Waffenkäufe „besorgt“. Dabei beliefen sich die Militärausgaben Venezuelas im Jahr 2008 auf vergleichsweise geringe 1,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), während sich der Wert in Brasilien auf 1,6 Prozent und in Kolumbien gar auf 5,6 Prozent des BIP belief.

Das State Departement und vor allem das Pentagon verfolgen gegenüber Lateinamerika eine Politik, die den von Obama zu Beginn seiner Amtszeit getroffenen Aussagen teilweise offen entgegen steht und das Konfliktpotenzial in der Region deutlich erhöht. Im Rahmen einer Strategie der »intelligenten Macht« stellt dies womöglich keinen Widerspruch dar. Für einen Neubeginn und eine »Partnerschaft auf Augenhöhe« reicht ein rein rhetorischer Schwenk jedoch nicht aus.

Tobias Lambert ist Mitarbeiter der Zeitschrift »Lateinamerika-Nachrichten«.

zum Anfang | Die Klimapolitik der Obama-Regierung

von Jürgen Scheffran

Als US-Präsident Barack Obama am 10. Dezember 2009 in Oslo den Friedensnobelpreis in Empfang nahm, wurde seine Rede bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen auf einer Leinwand übertragen. Bald waren zahlreiche Konferenzteilnehmer, darunter internationale Medienvertreter, um das Spektakel versammelt. Nachdem Obama seine Rede beendet hatte, erhielt er mäßigen Applaus. Manchen schien entgangen zu sein, dass er den Friedensnobelpreis zum Anlass genommen hatte, aktuelle und zukünftige Kriege der USA in der Welt zu rechtfertigen.

Als Obama dann eine knappe Woche später am 18. Dezember in Kopenhagen auftrat, waren die Erwartungen groß. Die seit zwei Wochen andauernden Verhandlungen waren festgefahren. Der Konflikt zwischen dem Schutz des Weltklimas und den Interessen an einem anhaltenden Wirtschaftswachstum schienen unüberwindlich. Längst verlief die Trennungslinie nicht mehr nur zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Aufstrebende Länder wie China und Indien wollten sich ihre nachholende Entwicklung nicht von den reichen Indutrienationen beschneiden lassen, die selbst über Jahrzehnte hinweg ungehemmt die Atmosphäre als Deponie für ihre Treibhausgase benutzt hatten. Das Dilemma wurde besonders für die ärmsten Länder offenkundig: sie haben bislang am wenigsten zur globalen Erwärmung beigetragen, werden jedoch am stärksten betroffen sein.

Dass Obama diesen gordischen Knoten auflösen könnte, sahen manche als letzten Hoffnungsschimmer, die Klimaverhandlungen noch zu retten. Sie wurden jedoch enttäuscht. Statt substanzieller Zugeständnisse, die die Fronten hätten in Bewegung bringen können, hatte der Repräsentant des historisch größten Umweltverschmutzers lediglich weitere Rhetorik im Gepäck. Daher konnte der Versuch, die Staats- und Regierungschef der Welt zu einem Deal in letzter Minute zu bewegen, nicht erfolgreich sein. Obamas Strategie, eine Vereinbarung der USA mit den Schwellenländern China, Indien, Brasilien und Südafrika zu erzielen, schloss die Europäer ebenso aus wie die ärmeren Entwicklungsländer, also die Staatengruppen, die am stärksten auf konkrete Verpflichtungen gedrängt hatten. Dementsprechend blieb der weniger als vier Seiten umfassende »Copenhagen Accord« ein Minimalkompromiss der Staaten, die konkrete Klimaschutzmaßnahmen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben wollen. Die politische Erklärung sieht vor, die Erderwärmung auf zwei Grad bis Ende des Jahrhunderts begrenzen zu wollen (was für die USA immerhin ein Novum bedeutet), sowie finanzielle Zusagen der Industrieländer gegenüber den Entwicklungsländern. Die von vielen geforderten und erwarteten konkreten Reduktionsziele für den Ausstoß von Treibhausgasen konnten nicht erreicht werden. Zudem blieb die Vereinbarung unverbindlich, da eine Zustimmung anderer Staaten, die bei der Aushandlung nicht beteiligt waren, nach einer teilweise chaotischen Nachtsitzung nicht mehr möglich war. Damit war nach Ansicht der meisten Kommentatoren der Klimagipfel von Kopenhagen gescheitert.

Der amerikanische Präsident, der vor dem Ende der Konferenz bereits abgereist war, bezeichnete das Ergebnis jedoch als „bedeutsamen und beispiellosen Durchbruch“, als ersten Schritt auf dem Weg zu einem rechtlich bindenden Abkommen. Besonders auf die heimische Öffentlichkeit zielte die Aussage, er habe China wichtige Zugeständnisse bei der Überprüfung zukünftiger Emissionsverpflichtungen abgerungen. In Teilen der US-Medien wurde der Eindruck erweckt, erst durch den persönlichen Einsatz des Politstars aus Washington sei es möglich geworden, einer zerstrittenen Weltgemeinschaft den Weg zu weisen. Mit dem Ergebnis zufrieden war, neben China, auch Saudi Arabien, dessen Delegierter sich bemüht hatte, den von einem Meeresspiegelanstieg am stärksten betroffenen kleinen Inselstaaten entgegen zu halten, die Vermeidung von CO2-Emissionen würde für sein Land ein großes Opfer bedeuten.

Nach dem Debakel von Kopenhagen begannen die gegenseitigen Schuldzuweisungen. Dabei wurde von westlichen Politikern und Medien vor allem der seit kurzem größte Emittent China als Hauptverantwortlicher ausgemacht, ungeachtet der Tatsache, dass hier die CO2-Emissionen pro-Kopf ein Vielfaches unter denen der USA liegen (und auch deutlich unter denen Europas). Nicht-Regierungs-Organisationen gingen auch mit der US-Regierung hart ins Gericht, wobei einige US-NGOs aber angesichts der Widerstände im eigenen Land immer noch Verständnis für Obama hatten.

Als frischgebackener Präsident hatte Barack Obama noch große Versprechungen für den Klimaschutz gemacht: „Meine Präsidentschaft wird ein neues Kapitel in der Führerschaft Amerikas zum Klimawandel markieren, das unsere Sicherheit stärkt und in diesem Prozess Millionen neuer Jobs schafft. ... Jetzt ist die Zeit, dieser Herausforderung ein für alle Mal zu begegnen. ... Aufschub ist keine Option mehr. Leugnung ist nicht länger eine akzeptable Antwort.“ 1 Konkret stellte er in Aussicht, die CO2-Emissionen der USA bis 2050 um 80% zu reduzieren und 150 Milliarden US-Dollar in Technologien zur Energieeinsparung zu investieren.

Wie das erfolgen könnte, haben verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen aufgezeigt. Gerade weil der »American Way of Life« auf einem verschwenderischen Umgang mit natürlichen Ressourcen gründet, gibt es hier große Veränderungs- und Einsparpotenziale, die Spielräume für Politik schaffen. Von dem 80% Reduktionsziel wäre der allergrößte Teil durch technische Effizienzverbesserungen und Einsparungen in Transport, Energieerzeugung und in der Elektrizitätsversorgung zu erreichen, wobei die sogenannten »niedrig hängenden Früchte« wirksamer Maßnahmen besonders kostengünstig zu erreichen wären. Der Rest könnte durch die Umstellung des fossilen Energiesystems auf erneuerbare Energien erreicht werden sowie eventuell auch durch Maßnahmen der CO2-Lagerung, sofern diese kostengünstig und sicher zu realisieren sind. Die Voraussetzungen für ein Umdenken hatte u.a. der Schock durch den Hurricane Katrina im Jahr 2005 geschaffen, der die US-Gesellschaft aufgerüttelt hat. Aber auch der Klimafilm von Al Gore, der unbequeme Wahrheiten ans Licht gebracht hat, das Bewusstsein über die fatale Abhängigkeit vom Erdöl sowie zahllose Aktivitäten in Kommunen, Unternehmen und Bundesstaaten haben Veränderungen bewirkt.

Nach der Wirtschaftkrise von 2008 ist jedoch ein gegenläufiger Trend erkennbar. Eine treibende Kraft bleibt dabei die Lobby aus US-Erdölkonzernen, Kohleindustrie und andere Industriezweigen, die von dem alten ressourcenintensiven System profitieren und lieber auf nachsorgende Konzepte wie »saubere Kohle« (clean coal), Kernenergie und Manipulation des Klimasystems durch Geoengineering setzen. In jüngsten Umfragen hat der Klimaschutz in der US-Bevölkerung unter der Obama-Administration an Priorität verloren. Nur noch knapp die Hälfte aller US-Bürger glaubt an den Klimawandel und dass dieser von Menschenhand verursacht wird - rund 20% weniger als zwei Jahre zuvor.2 Dies überrascht nur bedingt in einem Land, in dem große Teile der Bevölkerung die Evolutionstheorie in Zweifel ziehen und eine Antihaltung zur Wissenschaft zum guten Ton unter Konservativen gehört. Die Enthüllung der E-Mails von britischen Klimaforschern war Wasser auf die Mühlen der Klimaskeptiker, wobei die Substanz dieser E-Mails weniger eine Rolle spielte als vielmehr ihre Nutzbarmachung in einer ideologisch zugespitzten Debatte. Dies wird daran erkennbar, dass republikanische Kongressabgeordnete ankündigten, nach Kopenhagen zu reisen, um dem »wissenschaftlichen Faschismus« entgegen zu treten.3

Angesichts anhaltender Widerstände ist die Realität in der Energie- und Klimapolitik der USA deutlich hinter den Wahlkampfversprechungen Obamas zurückgeblieben. Bedeutsam ist die Erklärung der Umweltschutzbehörde EPA (Environmental Protection Agency), Treibhausgase seien eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt, was es erlaubt, bestehende Gesetze anzuwenden. Bislang wurden einige staatliche Programme zum Umbau des Energiesystems aufgelegt, teilweise aus Extramitteln zur Belebung von Wirtschaft und Infrastruktur (»Stimulus Package«). Die EPA setzt in starkem Maße auf die Unterstützung freiwilliger Maßnahmen der Unternehmen, die im Umbau des Energiesystems einen Wachstumsmarkt der Zukunft erkennen. Hierzu gehören etwa die Programme »Climate Leaders«, »Energy Star« und »Clean Energy-Environment State Partnership«, mit der Energieeffizienz und -einsparung und saubere Energieerzeugung gefördert werden sollen. »WasteWise« ist ein freiwilliges Programm zur Reduzierung und Nutzung von Haushaltsabfällen, um klimaschädliche Methanemissionen aus Abfalldeponien zu vermeiden.

Unter den Gesetzes-Initiativen ist besonders das von den demokratischen Abgeordneten Henry A. Waxman (Kalifornien) und Edward J. Markey (Massachusetts) im Repräsentantenhaus vorgelegte »American Clean Energy and Security Act« (ACES, H.R. 2454) zu nennen, das am 26. Juni 2009 mit 219 gegen 212 Stimmen angenommen wurde. Damit hat erstmals eines der beiden Häuser im US-Kongress der Begrenzung von klimaschädlichen Treibhausgasen zugestimmt und einen rechtlichen Rahmen für die Schaffung eines Emissionshandelssystems vorgelegt. Um rechtlich verbindlich zu werden, bedarf der Entwurf jedoch der Zustimmung im US-Senat. Der von den Senatoren John Kerry (Massachussetts) und Barbara Boxer (Kalifornien) vorgelegte »Clean Energy Jobs and American Power Act« (Senate 1733) sieht die Verteilung von Emissionsrechten auf energieintensive Industriezweige vor, die ab 2012 gehandelt werden können, mit dem Ziel, die Treibhausgas-Emissionen im Zeitraum 2005 bis 2020 um 20% zu reduzieren (und nicht, wie im Kyoto-Protokoll vorgesehen im Zeitraum 1990 bis 2012). Die Kosten seien nach Schätzung der EPA moderat: Pro Haushalt werden zusätzliche Kosten von 80-111 US-Dollar pro Jahr erwartet, also rund 30 Cent pro Tag. Die Demokraten beabsichtigen, dieses Klimagesetz im Frühjahr 2010 im US-Senat durchzubringen, was angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnisse zu einem Kraftakt werden dürfte.

Während diese und andere Gesetzes-Initiativen in die richtige Richtung weisen, ist eine umfassende und integrierte Strategie, die die langfristig erforderlichen Klimaziele angehen würde, nicht erkennbar. Als Grund wird angeführt, dies sei im US-Kongress angesichts des anhaltenden Fundamentalwiderstandes der republikanischen Partei nicht durchsetzbar, ungeachtet einiger Stimmen, die sich zum Fürsprecher für den Klimaschutz gemacht haben wie der republikanische Gouverneur Kaliforniens, Arnold Schwarzenegger. Dementsprechend hat Präsident Obama der Klimapolitik auf nationaler Ebene bislang keine hohe Priorität gegeben und auch international wenig Engagement gezeigt. Die moderaten nationalen Ziele, die deutlich hinter den für eine internationale Vereinbarung notwendigen Zielen bleiben, müssen erst noch durchgesetzt werden.

Nach Ansicht von Naomi Klein reicht es nicht, das bisherige Versagen der US-Klimapolitik allein durch die Widerstände im US-Kongress zu erklären, denn die Regierung hätte durchaus Steuerungsmöglichkeiten gehabt, die sie aber nicht genutzt hat.4 Zu den verpassten Gelegenheiten gehöre das »Stimulus Package«, mit dem Obama die Chance hatte, Milliardensummen für den Ausbau des öffentlichen Transportsystems und die Schaffung intelligenter und dezentraler Elektrizitätsnetze auf Grundlage erneuerbarer Energien einzusetzen. Statt die Mittel für einen umfassenden Umbau des Energiesystems zu nutzen, machte er Zugeständnisse für Steuersenkungen, um die Unterstützung von Republikanern zu gewinnen, was diese jedoch eher als Schwäche auslegten und dazu nutzten, ihren Widerstand gegen Obama zu organisieren. Ebenso wenig nutzte er staatliche Hilfsprogramme für die danieder liegende Automobilindustrie, um diese zur Herstellung emissionsärmerer Fahrzeuge und Technologien zu veranlassen oder gar vom Auto weg zukommen. Und schließlich investierte die Regierung riesige Geldmittel in die Rettung von Banken, ohne dies etwa mit Auflagen zur Kreditvergabe für umweltfreundliche Unternehmen und Projekte zu verbinden.

Wenn der Staat die Wirtschaft retten muss, warum dann nicht auch zur Durchsetzung staatlicher Umweltziele? Wie Naomi Klein bemerkt, habe kein anderer US-Präsident seit Roosevelt so viele Gelegenheiten gehabt, „die USA in etwas zu transformieren, das die Stabilität des Lebens auf diesem Planeten nicht bedroht.“ Die Chancen für eine Transformation der Industriegesellschaft, für einen »Green New Deal«, seien verpasst worden.

Wäre Obama mit einer entsprechenden weitblickenden Agenda nach Kopenhagen gekommen, so hätte er die Führungsrolle für eine internationale Zusammenarbeit übernehmen können, die er in seinen Reden so gerne beansprucht. Ohne ein gemeinsames Vorgehen der Weltgemeinschaft besteht die Gefahr, dass sich die mit dem Klimawandel verbundenen Probleme und Risiken bestehende Konfliktlinien verschärfen und letztlich zu einem „Kampf aller gegen alle“ (Elinor Ostrom) führen.5 Obama selbst hatte in seiner Nobelpreisrede darauf hingewiesen: „Aus diesem Grund muss die Welt zusammen gegen den Klimawandel vorgehen. Es gibt wenig wissenschaftliche Zweifel daran, dass wir, wenn wir nichts tun, mehr Dürren, mehr Hunger, mehr Massenvertreibungen sehen werden - alles Entwicklungen, die noch jahrzehntelang weitere Konflikte verursachen werden. Aus diesem Grund fordern nicht nur Wissenschaftler und Umweltaktivisten schnelle und umfassende Maßnahmen - sondern auch militärische Befehlshaber in meinem Land und in anderen, die wissen, dass unsere gemeinsame Sicherheit auf dem Spiel steht.“ 6

Hier zeigt sich die Ambivalenz der Debatte über die sicherheitspolitischen Folgen des Klimawandels. Wenn das Kind (in diesem Falle die Welt) erst einmal in den Brunnen der Klimakatastrophe gefallen ist, dann könnte Politik zum Katastrophen- und Konfliktmanagement werden. Schon jetzt wird in den USA das Klimaproblem von Think Tanks und Politikern (wie jüngst von Joe Lieberman) als zukünftige Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen. Das dürfte nicht die Lösung des Klimaproblems sein, die Obama im Wahlkampf versprochen hat.

Anmerkungen

1) John Broder: Obama Affirms Climate Change Goals, New York Times vom 18. November 2008.

2) Obamas Problem: Klima ist für US-Bürger Nebensache, 07.12.2009, www.klimaktiv.de/article253_9266.html

3) Republikaner marschieren nach Kopenhagen gegen Obama, ZEIT Online vom 9. Dezember 2009.

4) Naomi Klein, For Obama, No Opportunity Too Big To Blow, http://www.commondreams.org/print/50882.

5) Interview mit Elinor Ostrom, SPIEGEL Online vom 17.12.2009, http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,667497,00.html

6) Für eine deutsche Übersetzung siehe: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Friedenspreise/obama.html

Prof. Dr. Jürgen Scheffran, Physiker, lehrt am Klima-Campus und Institut für Geographie der Universität Hamburg. Er ist Mitglied des W&F Redaktionsteams.