Dossier 7

Abrüstung und Konversion: Eine Problemskizze

von Paul Schäfer, Burkhardt J. Huck, Peter Barth, Olaf Achilles und Kristina Steenbock

Die in diesem Dossier zusammengefassten Beiträge handeln von Abrüstung & Konversion. Die international vereinbarte und die einseitig eingeleitete Abrüstung sind die logische Vorbedingung für eine größere Umstellung rüstungsorientierter Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser Prozeß hat mit den ersten Abkommen über die nukleare Abrüstung (INF, START) und dem ersten Vertrag über die Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa (VKSE) gerade erst begonnen. Gerade der VKSE-Vertrag bringt im wesentlichen eine starke Abrüstung in den osteuropäischen Ländern, allen voran in der UdSSR – also dort, wo sie ohnehin stattfindet. Eine spürbare Demilitarisierung setzt sich ferner im vereinigten Deutschland infolge der 2+4-Verhandlungen durch.

Grundsätzlich gilt:

  1. den jetzigen Verträgen über eine Rüstungsminderung müssen weiterreichende folgen, wenn eine substantielle, nur schwer reversible »Zivilisierung« der internationalen Beziehungen erreicht werden soll.
  2. ohne einschneidende Strukturveränderungen der Streitkräfte wird schwerlich mehr Sicherheit zu erreichen sein. Das ungebremste qualitative Wettrüsten wird die quantitativen Reduzierungen nahezu problemlos kompensieren. In künftigen Vereinbarungen sind vernünftige Beschränkungen der qualitativen Rüstungsdynamik ebenso fällig, wie Übereinkünfte hinsichtlich der Militärdoktrinen und Armeestrukturen.

Konversion als Ressourcentransfer

In diesem Prozeß geht es also um eine erhebliche Umorientierung personeller und materieller Ressourcen, die bislang im militärischen Sektor gebunden waren, auf zivil-nützliche Zwecke. Dieser möglichst effektiv zu organisierende Ressourcentransfer kann mit dem Begriff »Konversion« erfasst werden. »Personelle Konversion« hat im Anschluß an Kriege in diesem Jahrhundert mehrfach in großem Umfang stattgefunden. Dabei geht es um die möglichst reibungslose Wiedereingliederung der Soldaten und Zivilbeschäftigten im Rüstungsbereich in das zivile Berufsleben. Beispiele »betrieblicher Konversion« gibt es weniger – wenn darunter die direkte Nutzbarmachung der personellen und materiell-technischen Kapazitäten eines Betriebes für andere Zwecke verstanden wird. In den meisten Fällen haben betreffende Unternehmen auf versiegende Rüstungsaufträge mit Entlassungen und Schließungen reagiert. Die eingeleitete Ausweitung der Produktionspalette wurde oft durch den Wiedereinstieg in das privilegierte und einträgliche Rüstungsgeschäft zurückgedrängt. Wenig Erfahrung gibt es auch in der »regionalen bzw. lokalen Konversion«. Zwar wurden in früheren Jahren – z.B. in den USA – aufgelöste Truppenstandorte in Geschäftszentren oder Freizeitparks umgewandelt, aber die Umstrukturierung ganzer Regionen, die hochgradig militärisch abhängig waren, wurde bislang nicht versucht.

Die neue Dimension des Problems

Wir haben daher heute eine neuartige Situation, die dadurch charakterisiert ist, daß uns mehr und mehr die Gesamtdimension des Problems erst jetzt bewußt wird.

  1. das gesamte Ausmaß militärischer Belastung der Kalten-Kriegs-Konfrontation schält sich erst langsam heraus. Dazu sind in erster Linie die Umweltbelastungen durch das Militär zu rechnen.
  2. bestimmte Regionen und Wirtschaftszweige sind vom militärischen Faktor besonders abhängig geworden.
  3. die wissenschaftlich-technische Entwicklung ist besonders von der militärischen Mittel- und Auftragsvergabe, von rüstungsorientierten Industrien geprägt worden. Dies gilt für die verschiedenen Länder sicherlich in unterschiedlichem Maße (in den USA werden über 50% der staatlichen Mittel für Forschung & Entwicklung vom Pentagon vergeben, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland ist der Anteil des BMVg im letzten Jahrzehnt auf über 20% gebracht worden). Auch disziplinär sind große Unterschiede feststellbar. Aber dennoch hat der militärische High-Tech-Komplex auch die Entwicklung »ziviler« Technologielinien geprägt.

Die Analysen der Belastung der Gesellschaft durch den militärischen Faktor haben nachhaltig die lange Zeit gängige These von der »Rüstung als Fortschrittsmotor« erschüttert. Erst jüngst hat eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (s. FAZ v. 6.10.90, S. 13) belegt, daß von einer innovations- und wachstumsfördernden Rolle der Rüstung keine Rede sein kann. Der Entzug wirtschaftlicher und geistiger Ressourcen ist dagegen heute von allergrößtem Gewicht. Die neuen globalen Herausforderungen verlangen gebieterisch nach einer Konversion der bisher im Rüstungssektor vergeudeten Mittel.

Heute wird immer klarer, daß die durch die Abrüstung freiwerdenden Mittel, die sog. Friedensdividende, in absehbarer Zeit kaum für anderweitige Aufgaben zur Verfügung stehen werden.

  • Die Krise der Staatsfinanzen, in den USA und in der UdSSR durch den ruinösen Rüstungswettlauf bedingt, in Deutschland durch die Kosten der Vereinigung, bindet in den nächsten Jahren einen erheblichen Teil der Mittel. Horrende Summen müssen aufgebracht werden, allein um die Schulden zu tilgen.
  • Die teure Beseitigung der erwähnten ökologischen Schäden muß in Angriff genommen werden.
  • Um die Demilitarisierung »sozial verträglich« zu gestalten, sind große Geldsummen für sozial abfedernde Unterstützungen, für Umschulungen und Weiterbildung, für regionale Strukturmaßnahmen aufzubringen.

Definitionsprobleme

Der im Zuge der Abrüstung nötige wirtschaftliche Übergangsprozeß kann auf verschiedene Art gemanagt werden. Der US-amerikanische Wissenschaftler Lloyd J. Dumas unterscheidet drei verschiedene Ansätze: Konversion, Diversifikation, staatlich gestützte ökonomische Anpassung. (L.J.Dumas, Economic Conversion: From Vision to Reality, Paper präsentiert auf einer Konferenz des Internationalen Instituts für den Frieden, Wien, Nov. 1990) Unter Diversifikation ist die Ausweitung der Produktpalette rüstungsinvolvierter Unternehmen zu verstehen. Sie ist daher ein Mittel, um die Abhängigkeit von staatlichen Rüstungsaufträgen zu verringern. Während im »monopolistischen« Rüstungsgeschäft der Zwang marktwirtschaftlicher Behauptung weitgehend entfällt, sind die Unternehmen durch Diversifikation gehalten, mehr Flexibilität und Kosteneffektivität zu erreichen. Diese Form der Umstellung ist die bisher gängige und erweist sich in bestimmten rüstungsbezogenen Branchen als wenig problematisch – z. B. in der Elektronik- und in der Luft- und Raumfahrtindustrie.

Unter »staatlicher Ordnungspolitik« (community economic adjustment) versteht Dumas die Bereitstellung öffentlicher Mittel zur Unterstützung militärabhängiger Städte und Gemeinden. Eine solche finanzielle Hilfe ist in den USA bisher vornehmlich gewährt worden. Die Städte und Gemeinden konnten dadurch die Schließung von Basen oder den Rückgang von Rüstungsaufträgen besser verkraften.

Diese beiden Ansätze, wiewohl nicht direkt im Gegensatz zur Konversion stehend, hält Dumas für unzureichend. Nur der Konversionsansatz stelle die Frage der Umschulung in den Mittelpunkt und betrachte sie als notwendigen Bestandteil des ökonomischen Wandels. Konversion ist für ihn ein „menschenzentrierter Prozeß“, nur mit ihr würden die Fertigkeiten und Fähigkeiten der im Rüstungssektor Tätigen nicht einfach abgeschrieben.

Ein vernünftiger Umstellungsprozeß verlangt daher in der Tat eine genaue Bestandsaufnahme der vorhandenen technischen und geistigen Ressourcen. Im zweiten Schritt sind konkrete Pläne für alternative, zivil orientierte Nutzbarmachung zu entwickeln. Die öffentlichen Einrichtungen müssen vor allem die erforderlichen Prozese der Um- und Weiterqualifizierung unterstützen. Ein anderes wesentliches Thema ist die Umorientierung der staatlichen Nachfrage, ist der Staat doch im Rüstungsgeschäft der Monopolnachfrager. Eine Ausweitung der staatlichen Aufträge im Umweltschutz-, Energie- und Verkehrsbereich könnte eine Neuorientierung der rüstungsorientierten Industrie erleichtern.

Bei der Konversion geht es – dies haben die Erfahrungen in den Staaten des Warschauer Pakts gezeigt – nicht nur um die technischen Möglichkeiten der Betriebe zur Umstellung. Die ökonomische Effizienz ist ein unverzichtbares Kriterium. Die Stillegung »überspezialisierter« oder hochriskanter (z.B. Plutoniumproduktion) Betriebe wird sich unter dieser Prämisse nicht immer vermeiden lassen.

Nicht jede beliebige Umstellung ist wünschenswert. Ein Schlüsselelement der alternativen Einsatzpläne ist die Orientierung an ökologischen Erfordernissen. So hat die Luft- und Raumfahrtindustrie keine allzugroßen Probleme, sich auf zivile Projekte einzustellen. Doch wird hier immer die Frage gestellt werden müssen: Sind bspw. neue Hyperschallflugzeuge mit ökologischen Geboten zu vereinbaren, sind sie gesellschaftlich nützlich? Das Kriterium umweltorientierter Regionalentwicklung gilt auch bei der Neugestaltung bisheriger Militärstandorte.

Der Abrüstungsprozeß wird nur dann letztlich erfolgreich sein, wenn es gelingt, dem rüstungsinteressierten Machtkomplex sukzessive die Basis zu entziehen. Dabei ist die Unterstützung durch die Betroffenen in den Betrieben oder rüstungsabhängigen Regionen wichtig. Diese ist nur zu erreichen, wenn realisierbare Pläne vorgelegt werden, wie sie ihre Arbeit behalten und ihren Lebensstandard sichern können. Die Ausgaben der öffentlichen Hand v.a. für Qualifizierungsmaßnahmen werden dazu kräftig aufgestockt werden müssen.

Schließlich erfordert die Konversion eine Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten »von unten«: durch die Beschäftigten, die Gewerkschaften, die Gemeinderäte usw. usf.

Offene Fragen

  1. In den USA und einigen anderen Ländern ist staatliche Industriepolitik offiziell verpönt. Die Umstellung der Rüstungsindustrie wird daher ausschließlich als Aufgabe der betreffenden Unternehmen angesehen. Auch die Bundesregierung steht bisher auf diesem Standpunkt. In der Tat kann die Frage gestellt werden, sollen die Unternehmen, die bisher am staatlichen Rüstungstropf hingen, weiter durch öffentliche Aufträge privilegiert werden? Soll ihre einseitige Abhängigkeit konserviert werden? In welchem Verhältnis also sollen privatwirtschaftliche und staatliche Instrumente im Konversionsprozess stehen? Dabei ist weniger an einen starren Gegensatz staatlich-planerischer und marktwirtschaftlicher Maßnahmen zu denken. Ohne staatliche Intervention sind die sozialen, die infrastrukturellen und ökologischen Probleme der Gesellschaft nicht zu bewältigen. Konkret erörtert werden muß die Frage nach den adäquaten Instrumenten. Reichen z.B. die hierzulande gegebenen Möglichkeiten regionaler Struktur- und Arbeitsmarktpolitik aus? Stehen genügend Geldmittel zur Verfügung? Und: Wie müsste die staatliche Nachfrage nach zivilen Gütern und Dienstleistungen erhöht werden? Dabei ist die besondere Situation in den neuen Bundesländern zu beachten. Für die dortigen Betriebe ist die massive staatliche Unterstützung (z.B. bei der Entschuldung! ) z.T. unverzichtbar, wenn sie Zukunftsperspektiven haben sollen.
  2. Eine Schlüsselrolle bei der Zivilisierung der hochindustrialisierten Gesellschaften spielt m.E. die Forschungs- und Entwicklungspolitik. Die Frage lautet also: Wie könnte eine vorausschauende öffentliche Wissenschaftspolitik den Weg für umweltverträglichere Technologie-Entwicklungslinien öffnen, die auch die privaten Firmen zu einer Abwendung von rüstungsinduzierter High-Tech zwingt? Wie wären die Prioritäten neu zu setzen? Ein diskutierenswertes Beispiel hat Hermann Scheer (SPD-MdB) für den Jäger `90 entwickelt. (s. Kasten)
  3. Staatliche Planung kann sich effektiv und demokratisch nur dezentral vollziehen. Dies gilt gerade für die regional und lokal zu gestaltenden Konversionsprozesse. Dennoch müssen gesamtstaatliche und regionale Infrastrukturpolitik ineinandergreifen. Wie diese Abstimmung zwischen zentralen und dezentralen Prozessen institutionell gesichert werden kann, bedarf noch genauerer Klärung. Wie können die Entscheidungsprozesse staatlicher Politik transparent gemacht und demokratisiert werden? Die Priorität sollte in jedem Fall bei der Formulierung regionaler, bzw. lokaler Entwicklungsbedürfnisse liegen. Auf diesen Punkt sollte auch die Forschungs- und Technologiepolitik hinorientiert werden. Ein gutes Beispiel in diesem Zusammenhang stellt das Augsburger Projekt PUR dar. (s. Kasten S. III)

Anstösse zum Weiterdenken

Das vorliegende Dossier versteht sich in erster Linie als Arbeitsmaterial. Daher haben wir darauf verzichtet, eine möglichst einhellige Meinung der Autoren in Sachen Konversion herzustellen und zu vermitteln. Diese Übereinstimmung ist auch nicht gegeben. Dies tut der Sache, nämlich einen möglichst kompakten Überblick über die Ausgangs- und Problemlage zu eröffnen, keinen Abbruch. Es ist sozusagen eine Art Zwischenbericht, der weiteres Nachdenken bzw. konzeptionelles Vordenken unterstützen soll.

zum Anfang | Abrüstung und Konversion: Abrüstung und Konversion in Deutschland

von Burkhardt J. Huck

1. Vereinbarte und angekündigte Streitkräftereduzierungen:

Mit der Regelung der Wiedervereinigung Deutschlands durch die 2+4 Vereinbarungen und den bevorstehenden Ergebnissen der Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa verbessert sich die sicherheitspolitische Situation Deutschlands deutlich. Die Wiedervereinigung Deutschlands wird begleitet von vertraglich vereinbarten multilateralen Abrüstungsschritten. Das konventionelle Potential der Warschauer Vertragsorganisation in Europa wird drastisch beschnitten, das Potential der Bündnispartner Deutschlands in der NATO durch Obergrenzen auf geringerem Niveau eingefroren. Mit der Ratifizierung der 2+4 Vereinbarungen wird Deutschland als Mitglied der NATO auch sicherheitspolitisch souverän. Diese Souveränität geht mit einem drastischen Abbau der auf dem Staatsgebiet der früheren zwei deutschen Staaten massierten Potentiale der beiden Bündnisse und der Streitkräfte des vereinten Deutschlands einher. Die Nachbarstaaten Deutschlands in Osteuropa können dadurch die einseitigen Abrüstungsschritte des letzten Jahres durch weitere Reduzierungen fortsetzen und leiten tiefgreifende Veränderung der Streitkräftestrukturen ein. In dem Maß, in dem die Kooperation zwischen den Staaten der Bündnisse die Konfrontation der Bündnisse abzulösen beginnt, verändert sich auch die strategische Doktrin für die Verteidigung der Staaten Osteuropas. Mit dem Verblassen des Feindbilds des kalten Krieges werden der Verteidigung neue Ziele gesetzt wie etwa die Rundumverteidigung gegen jeden möglichen Aggressor auf möglichst niedrigem militärischem Niveau.

Reduzierung der deutschen Streitkräfte

Die einschneidensten Reduzierungen werden jedoch in Deutschland vorgenommen. Seit der überraschenden Übereinkunft zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem sowjetischen Staatspräsidenten vom Juli 1990 über den Verbleib Deutschlands in der NATO und einen gesamtdeutschen Streitkräfteumfang von 370.000 Soldaten, beginnt die künftige Bundeswehrplanung Struktur anzunehmen. Als erster Schritt wurde die Kürzung des Grundwehrdienstes auf 12 Monate beschlossen. Der inzwischen von der Regierung wieder zurückgezogene Entwurf für den Verteidigungshaushalt für 1991 sah eine Reduzierung um 35.000 Soldaten der Bundeswehr vor. Außerdem ist die Reduzierung der früheren Nationalen Volksarmee auf 30 bis 40.000 Soldaten im Bereich des Kommandos Ost beabsichtigt; mithin also eine reale Kürzung um etwa 80.000 Soldaten im Jahre 1991.

Abzug alliierter Streitkräfte

In welchen Einzelschritten der Rückzug der allierten und sowjetischen Streitkräfte in den nächsten Jahren sich vollzieht, ist noch nicht bekannt. Wenn die geplanten bzw. vereinbarten Ziele erreicht werden sollen, kann mit dem Abzug von durchschnittlich 150.000 Soldaten jährlich gerechnet werden. Das würde einen geschätzten durchschnittlichen Verlust von 20.000 Zivilbeschäftigten der Bundeswehr und etwa 6.000 bis 7.500 Zivilbeschäftigten bei den Alliierten bzw. sowjetischen Streitkräften mit sich bringen.

Haushaltsplanung hinfällig

Mit solch drastischen Reduzierungen konnte im Frühsommer dieses Jahres noch nicht gerechnet werden. Der Entwurf für den Verteidigungshaushalt wurde dadurch ebenso hinfällig wie die Absichtserklärungen des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers, durch Abrüstung freiwerdende Mittel aus dem Verteidigungshaushalt in die Entwicklungshilfe umzulenken. Abrüstung und Umstrukturierung in Folge der Wiedervereinigung und der strategischen Umorientierung der NATO werden den Haushalt mittelfristig eher be- als entlasten.

Dazu bedarf es keiner Rechnungen, die die Höhe des Verteidigungsetats auf Grund der Vergößerung des Verteidigungsgebietes durch die neuen Bundesländer mit dem Anteil am Bruttosozialprodukt in Beziehung setzen, um einen Anstieg der Verteidigungsausgaben zu rechtfertigen. Mit dem dritten Nachtrag zum Bundeshaushalt 1990 kommt das Verteidigungsministerium ohnehin auf ein Ausgabenvolumen für die vereinigten deutschen Streitkräfte von 57,5 Mrd. DM. Wenn die Folgekosten von Abrüstung und Konversion sachgerecht im Einzelplan 14 ausgewiesen würden, müßte dieser Etat auf der Grundlage der jetzigen Planung bei gleichzeitig sinkendem Streitkräfteumfang noch weiter ansteigen. In den USA sind im Verteidigungshaushalt für 1991 Kosten und Nutzen der Veränderungen der Streitkräftestruktur genau berechnet. Für die Außerdienstsetzung von zwei Heeresdivisionen sind etwa 1,2 Mrd. Dollar veranschlagt. 817 Mio. Dollar sind für die Beseitigung von Umweltschäden vorgesehen1.

Tabelle 1: Angekündigte und erwartete Reduzierungen der Streitkräfte und Zivilbeschäftigten in Deutschland
   1990 1994
Deutschland:    
Bundeswehr (gesamt) 635.000 370.000
Zivil (gesamt) 230.000 150.000(4)
Bundeswehr 465.000 325.000
Zivil 180.000 130.000
frühere NVA 170.000(1) 45.000
Zivil 50.000(2) 20.000
USA 237.000 100.000(3)
Zivil USA 41.000 20.000
Zivil Deutsch 65.000 30.000
Sowjetunion 360.000 ---.---
Zivil SU ?  
Zivil Deutsch 4.000 ---.---
Großbritannien 65.000 32.000
Zivil GB 4.000 2.000
Zivil Deutsch 17.000 10.000
Frankreich 52.000 25.000(5)
Zivil F 2.500 1.000(5)
Zivil Deutsch 6.000 3.000
Belgien 26.000 15.000 ?
Zivil Deutsch 1.200 0.800 ?
Niederlande 7.000 3.000 ?
Kanada 8.000 6.400
Zivil Deutsch 1.000 0.800
Gesamt: 1 761.700 768.000
Militärisch 1 390.000 551.400
Zivil 371.700 217.600
Zivil Deutsch 330.200 197.600
davon ausl. finanz. 94.200 44.600
Zivil ausl. 47.500 23.000
Rüstungsindustrie:
Bundesrepublik 1989 200.000 120.000 ?
DDR 1989 50.000 20.000 ?
Gesamt: 2 015.700 908.000
1) Diese Zahl kann auf etwa real unter 100.000 angesetzt werden
2) Dürfte inzwischen unter 50.000 liegen
3) Angekündigt ist eine Reduzierung um 60.000 in Europa; im Kongress werden 100.000 gefordert
4) Die Bundesregierung geht von einem nichtproportionalen Rückgang aus.
5) Setzt voraus, daß Frankreich den vollständigen Rückzug auf deutschen Wunsch nicht realisiert.
Dazu kommen 331.500 Familienangehörige der alliierten Streitkräfte. Wieviele der insgesamt 240.000 nichtmilitärischen Mitglieder der sowjetischen Streitkräfte Zivilangestellte bzw. Familienangehörige sind, ist unbekannt. Daten sind zu erwarten, wenn Ende November der Zeitplan für die erste Etappe des Rückzugs der sowjetischen Streitkräfte vorgelegt wird.
Reduzierung von Waffen der Bundeswehr nach Abkommen über konventionelle Streitkräfte in Europa
  Bundeswehr 1990 ehem. NVA 1990 künftige Obergrenze anstehende Reduzierung
Panzer 5.110 2.250 4.166 3,194
Gepanzerte Kampffahrzeuge 3.400 5.420 3.446 5.373
Artilleriesysteme 2.500 2.500 2.705 2.295
Kampfhubschrauber 306 87 309 87
Kampfflugzeuge 687 394 900 151
Zusammengestellt nach Presseinformationen vom 20. und 21.11.90

2. Kosten von Abrüstung und Konversion:

2.1 Reduzierung des deutschen Streitkräfteumfanges und Kosten der Stationierung ausländischer Streitkräfte

Ein Großteil der durch Abrüstung und Konversion ausgelösten Kosten sind indirekte Kosten. Der Personalabbau lässt sich auf den ersten Blick zum größten Teil durch Ausnutzung der natürlichen Fluktuation, Ruhestandsregelungen, einen Einstellungsstopp und die Verringerung der Wehrdienstzeiten einfach lösen und führt auch zu Haushaltsentlastungen. Zugleich bringt diese einfache Lösung aber eine ganze Reihe von Folgeproblemen mit sich, die aus anderen Einzelhaushalten finanziert werden müssen. Der Bundesminister für Wirtschaft hat in seiner Antwort vom 20.6.90 auf die große Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion zur Rüstungs- und Standortekonversion2 bereits daraufhin gewiesen, daß der größte Teil der Standorte, die nicht in strukturstarken Verdichtungsräumen liegen, zum Fördergebiet der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur« und der Strukturhilfe gehören. Der größte Kostenanteil wird jedoch den Sozialhaushalt belasten, aus dem Vorruhestand und die Folgen der Beschäftigungseinbrüche in besonders betroffenen Regionen zu finanzieren sind. Besonders betroffen sind Regionen, die von Kaufkraft und Steuereinnahmen durch alliierte Streitkräfte profitierten und zumeist strukturschwach sind wie etwa Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Nordbayern, Osthessen, die nordöstlichen Regionen Baden-Württembergs, insbesondere aber alle fünf neuen Bundesländer.

Der Personalabbau wird zwar über vier Jahre gestreckt ablaufen und generell soll das Prinzip der Ausdünnung Vorrang vor Schließungen haben. Dennoch sind Friktionen unvermeidlich. Das zeigt sich schon an der bevorstehenden Stillegung von insgesamt 87 Bataillonen des Heeres, mit dem die Heeresführung ab Sommer 1991 auf die Verkürzung des Wehrdienstes und damit die Verringerung der Zahl der Wehrpflichtigen um 30.000 im Jahre 1991 reagiert. Das Heer will nämlich zugleich auch die Materialdepots von 76 Bataillonen auflösen, um die Kosten für den Materialerhalt zu senken. Durch das »Kalbungsprinzip«, d.h. der Stillegung von jeweils einem Bataillon von zwei Bataillonen eines Standortes bleibt zwar der Standort selbst erhalten. Wenn nach dieem Prinzip jedoch vier weitere Jahre verfahren wird, ist die Stillegung vieler Standorte schon aus Kostengründen unvermeidlich.

Stationierungskosten

Zudem wird der Haushalt bis 1994 durch die im Überleitungsabkommen mit der Sowjetunion vereinbarten Zuschüsse von 12 Milliarden DM und mit Zinsen für den zinslosen Kredit von 3 Mrd. DM für die Sowjetunion belastet. Da diese vereinbarten Zuschüsse auch die Deckung der Hälfte der Aufenthaltskosten der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland von jährlich 1 Mrd. DM bis 1994 beinhalten, kann damit gerechnet werden, daß auch andere Entsendungsländer den Abzug bzw. den Verbleib von Kontingenten an ähnliche Konditionen knüpfen werden. Das heißt, daß auch der vom Verteidigungsminister angestrebte Verbleib von 170.000 Soldaten der Bündnispartner in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach nur gesichert ist, wenn die Bundesrepublik einen Teil der Stationierungskosten dieser Kontingente übernimmt.

2.2 Umwandlung militärischer Anlagen und Liegenschaften für zivile Nutzung

Analog dürfte auch dieser Vorgang nicht kostenneutral abzuwickeln sein. Die im Überleitungsvertrag mit der Sowjetunion vereinbarten Konditionen werden sicherlich auch die Begehrlichkeit der Bündnispartner wecken. Nach den Vereinbarungen mit der Sowjetunion sollen Grundstücke und Anlagen in Deutschland von einer gemeinsamen Kommission geschätzt werden, die Vermögenswerte mit den Kosten für die Beseitigung von Umweltschäden verrechnet werden. Die bisher aus der CSFR bekannt gewordenen Zahlen für die Kosten der Beseitigung der durch sowjetische Truppen verursachten Umweltschäden3 von jährlich fast 300 Mio. DM geben Anlaß zu der Vermutung, daß diese Zahl für das Gebiet der DDR, auf dem fast fünf Mal soviele Soldaten stationiert waren, entsprechend höher sein dürfte. Inzwischen sind durch einen Bericht der Los Angeles Times Ende Juni 1990 Inhalte eines geheimen Berichts des Pentagons über Umweltschäden auf Stützpunkten der USA in der Bundesrepublik bekannt geworden. Danach sind 300 Stützpunkte, darunter 30, die demnächst aufgegeben werden sollen, mit Schadstoffen aller Art verseucht, 25 davon so sehr, daß langwierige Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind (FR, 29.6.90; Der Spiegel, 1.10.90). Es darf angenommen werden, daß auch hier nach dem Modell des Überleitungsvertrages freiwerdende Vermögenswerte mit den Kosten der Sanierungsmaßnahmen verrechnet werden dürften.

Da es mit den Anlagen und Bauten der ehemaligen NVA nicht viel besser bestellt ist, muß auch hier mit langfristigen Haushaltsbelastungen gerechnet werden. Weitere Kosten dürften sich aus den Aufwendungen für die Umwandlungen militärischer Anlagen und Bauten für zivile Zwecke ergeben, auch dann, wenn etwa Truppenübungsplätze in Naturschutzparks umgewandelt werden sollen4. Dazu kommt der Sanierungsaufwand an einigen hundert Standorten, die in den Jahren vor 1945 verseucht und noch immer nicht saniert wurden wie ehemalige Produktionsstandorte der Rüstungsindustrie, Munitionslager, Sprengplätze und Lagerstätten für chemische Kampfmittel. Für die Beseitigung dieser durch Korrosion und chemische Zersetzung hochgefährlichen Zeitbomben bezahlt der Bund 1990 nur 56 Mio. DM für Kriegsfolgelasten an die Länder. Durch die inzwischen bekanntgewordenen Daten über das Ausmaß zu entsorgender Altlasten auf dem Gebiet der DDR (Blick durch die Wirtschaft, 28.9.90; Der Spiegel, 1.10.90) kann ein Kostenanstieg auf 2-3 Mrd. DM jährlich erwartet werden.

2.3 Außerdienststellung, Verschrottung bzw. Vernichtung von Waffen und Gerät

Mit der Reduzierung der Sollstärke der Bundeswehr und im Gefolge der Vereinbarungen der Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa wird auch eine noch nicht genau feststellbare Zahl von Waffen, Gerät und Munition obsolet. Die am dringendsten zu lösenden Probleme ergeben sich aber bereits im nächsten Jahr durch die Außerdienststellung, Verschrottung bzw. Vernichtung der Ausrüstungen der NVA. Der Staatsekretär im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung der DDR, Frank Marczinek hat auf der UNO-Konferenz über Konversion Mitte August in Moskau den Bestand der NVA im Beschaffungswert von 86 Mrd. Mark aufgelistet:

80.000 Radfahrzeuge

7.000 gepanzerte Fahrzeuge

2.600 Panzer

2.500 Artilleriesysteme

2.000 Panzerabwehrsysteme

3.000 Luftabwehrsysteme

450 Kampf-, Trainings- und Transportflugzeuge

180 Kampf- und Transporthubschrauber

70 Schiffe

290.000 Tonnen Munition

2.300.000 Einheiten an Kleidung und Ausrüstung

Nach einem inzwischen bestätigten Bericht des Spiegels vom 24.9.90 will die Bundesregierung einen Teil ihrer Verpflichtungen zur Unterstützung der Truppen der USA im Golfgebiet mit der Lieferung von Lastwagen, Wassertransportern und Gasmasken aus NVA-Beständen einlösen. Panzer, Flugzeuge und Artilleriegeschütze aus diesen Beständen sollen ebenso wie ein Teil des Bundeswehrgeräts, das nach den VKSE-Vereinbarungen ausgesondert werden muß, im Rahmen der Rüstungshilfe an die Türkei geliefert werden. Trotz aller Schlupflöcher, die die Rüstungshilfe für die Türkei, Griechenland und Portugal bietet, wird ein beträchtlicher Teil dieser Ausrüstungen beseitigt werden müssen. Besonders die Beseitigung der immensen Munitionsvorräte der NVA und zusätzlicher 70.000 Tonnen Altlasten dürfte sehr kostenintensiv werden, da diese Munition aus 400 verschiedenen Arten besteht. Zudem wird damit gerechnet, daß die Sowjetunion nach ihrem Abzug bis zu 1 Million Tonnen Munition in der DDR zurücklassen wird. Auch die Kosten für die Zerlegung gepanzerter Fahrzeuge und Panzer sind nicht zu unterschätzen: Mindestens 32.000 DM werden für die Zerlegung eines Panzers angesetzt, wobei die Erlöse aus dem gewonnenen Schrott gegen Null sinken. Die Rüstungsindustrie hat inzwischen die neue Chance erkannt und bietet sich wie Diehl, Thyssen oder Buck an, Panzer und gepanzerte Fahrzeuge oder Munition industriell wiederaufzuarbeiten.

2.4 Umstrukturierung und Verifikation

Schließlich wird auch der Übergang zu einer neuen militärischen Struktur in Deutschland nicht kostenneutral verlaufen. Die Auflösung des Korpsgürtels entlang der früheren Ostgrenze der Bundesrepublik wird dabei der geringere Kostenfaktor sein. Die Umrüstung der Bundeswehr im Rahmen der neuen »reconstitution strategy« der NATO und die Integration des neuen Bundeswehrkommandos Ost machen vorerst Einsparungen im Bereich der militärischen Beschaffungen unwahrscheinlich. Das gilt besonders für die neuen operativen Konzepte für das Heer, die auf hohe Mobilität durch Luftbeweglichkeit zielen. Die Entscheidung vom September dieses Jahres für die Entwicklung des NATO-Hubschraubers für die 90er Jahre (NH 90) ist nur ein Beispiel dafür, daß auch in den kommenden Jahren mit kostspieligen Beschaffungsvorhaben gerechnet werden muß. Die Entwicklung und Beschaffung von 272 NH-90, über die 1993 entschieden wird, wird bis 1998 an die 10 Mrd. DM kosten. Da kaum zu erwarten ist, daß im Rahmen der neuen Strategie Konzepte wie Air-Land-Battle oder Battlefield 2000 Makulatur werden, ist kaum damit zu rechnen, daß es zu drastischen Abstrichen bei den verteidigungsintensiven Ausgaben kommen wird. Das zudem auch in Hinblick auf die Beschaffung von Systemen zur Verifikation der Abrüstungsvereinbarungen. So werden etwa die Kosten für das Höhen-Aufklärungsprogramm Lapas voraussichtlich bei 1,6 Mrd. DM liegen, ein Aufklärungssatellit wird gar 3 Mrd. DM kosten.

2.5 Schrumpfung und Umstrukturierung der Rüstungsindustrie

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn den Wehrtechnikunternehmen Zukunftsprognosen schwerfallen (FAZ, 30.8.90). Während der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aerospace erneut ankündigt, daß sein Unternehmen den Rüstungsanteil in den nächsten Jahren von 45% auf 25% senken will, erwartet man sich bei Rheinmetall im Bereich Wehrtechnik für 1990 einen Ausgleich der Umsatzlücke des letzten Jahres und verzeichnet eine Umsatzsteigerung von über 40% auf etwa 1 Mrd. für dieses Jahr. Insgesamt jedoch rechnet die Industrie mit einem Rückgang, der sich nicht nur in der wenig aussagekräftigen Relation des Umsatzanteils von ziviler zu militärischer Produktion, sondern in realen Umsatzeinbußen in den wehrtechnischen Geschäftsbereichen niederschlägt. Die Industrie steht vor der bisher wohl einschneidendsten Umstrukturierung. Munitions- und Sprengstoffhersteller wie Diehl oder Dynamit Nobel, Produzenten von Panzern und gepanzerten Fahrzeugen wie Thyssen-Henschel, Krauss-Maffei, Wegmann oder Krupp MaK sind davon stärker betroffen als die Luft- und Raumfahrtindustrie. Überhaupt nicht betroffen zeigt sich bisher die Elektronikindustrie, allen voran der Branchenführer Siemens. Selbst von den Werften kommen keine Klagen, sondern die Kapazitäten sind wie bei Blohm + Voss oder bei Howaldtswerke-Deutsche Werft bis Mitte der neunziger Jahre ausgelastet. Die Industrie selbst spricht nur selten von Rüstungskonversion und bevorzugt den Begriff Substitution. Es ist bisher noch kein Fall bekannt, daß in einem Betrieb der wehrtechnische Bereich für zivile Produktion umgestellt wurde. Die Industrie scheint sich insgesamt auf einen leichten Rückgang der staatlichen Nachfrage von etwa 10% im nächsten Jahr einzustellen und rechnet sich steigende Absatzchancen im Bereich Aufklärungstechnik, flexible Waffensysteme und elektronische Kampfführung aus. Es sieht insgesamt so aus, als ob die Industrie die Maxime der in der Regierung vertretenen Parteien akzeptiert, daß sie die Umorientierung auf zivile Produktion ohne staatliche Unterstützung lösen muß. Die Konversion von Rüstungs- in Umwelttechnologie, wie sie etwa von der Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Adam-Schwaetzer während der Moskauer UNO-Konferenz vorgeschlagen wurde, hat vor solchem Hintergrund allenfalls deklaratorischen Stellenwert. Da mit einer drastischen Reduzierung der Rüstungsnachfrage und einer gesteigerten Nachfrage nach entsprechenden Produkten vorerst nicht zu rechnen ist, wird sich die Industrie vor solchen Abenteuern hüten.

Ansätze zur Umorientierung

Andererseits ist eine steigende Bereitschaft der Industrie zu verzeichnen, technologisches Know-How aus dem Rüstungsbereich in zivile Bereiche wie Verkehrs-, Energie- und Umwelttechnik zu transferieren und entsprechende neue Produkte zu entwickeln und zu produzieren. (Etwa bei der Deutschen Aerospace, FAZ, 30.8.90) Solange dieser Bereitschaft aber nicht durch eine Umorientierung der Nachfrage des Staates, der auch in diesen Bereichen als Nachfrager dominiert, erwidert wird, bleibt Rüstungskonversion in Deutschland ein Desideratum. Das betrifft auch die Situation im ehemaligen Gebiet der DDR, wo in den meisten Unternehmen die insgesamt 50.000 direkt in der Rüstungsindustrie Beschäftigten zum größten Teil kurzarbeiten und mit Betriebsschließungen zu rechnen ist5. Als Folge solcher Politik muß auch in diesem Bereich mit Kosten gerechnet werden, etwa in Form von Sozialleistungen, Steuer- und Sozialabgabenausfällen. Dazu dürften langfristig die Kosten für Kompensationszahlungen für nicht erfüllte Verpflichtungen kommen, denn vor dem Hintergrund der oben genannten anderen Kostenfaktoren dürften größere Abstriche, als sie bisher kalkuliert wurden, auch am Beschaffungshaushalt wohl unvermeidlich werden. Für Ausgleichszahlungen für die Stornierung von Aufträgen der NVA hat der Bundesfinanzminister eben 400 Mio. DM in den 3. Nachtragshaushalt eingestellt.

3. Schwerpunkte der Konversionsdebatte in Deutschland:

Angesichts solcher vielfältiger Kostenfaktoren, die sich zudem regional und sektoral unterschiedlich auswirken, ist es nicht verwunderlich, wenn Konzepte oder gar ein Gesamtkonzept fehlen. Konnte noch im letzten Jahr die Problematik allenfalls in Szenarios verdeutlicht werden, so hat die Dynamik der Ereignisse des Jahres 1990 jedes Szenario übertroffen. Seit dem Gipfeltreffen im Kaukasus zeigt sich zudem klar, daß mit allen Kostenfaktoren parallel und nicht nur sequentiell gerechnet werden muß. Im Hinblick auf jährliche Kosten, die im ungünstigsten Fall selbst drastische Einsparungen im EP 14 aufzehren können, wird ein Gesamtkonzept für Abrüstung und Konversion unausweichlich. Dazu bedarf es zuallererst klarer politischer Vorgaben.

Impulse aus dem Auswärtigen Amt

Die bisher kräftigsten Impulse von Seiten der Regierungsparteien kommen aus dem Auswärtigen Amt. In Reden über “Rüstungskonversion als Beitrag zur Schaffung friedensstabilisierender Strukturen” bzw. über “Konversion: Ökonomische Anpassung im Zeitalter der Abrüstung” haben sowohl der Außenminister, wie die Staatsministerin im Auswärtigen Amt klar festgestellt, daß ohne irreversible und verifizierbare Konversion auch Abrüstung nicht irreversibel und verifizierbar sein wird.

Allerdings fehlt in beiden Reden der deutliche Hinweise darauf, daß Konversionskonzepte, die lediglich eine Reduzierung des militärischen zugunsten des zivilen Produktionsanteils anstreben, wohl kaum ein Klima des Vertrauens und der Kooperation schaffen können, wenn diese Konzepte nicht von weiteren Maßnahmen flankiert werden. Die in beiden Reden vorgeschlagenen Maßnahmen wie etwa eine von beiden Bündnissen gebildete Studiengruppe Konversionsforschung, die Einbeziehung der Konversionsproblematik in die Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen und die Konferenz über Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit (Korb 2), werden den Einstieg ganz sicher erleichtern. Aber all das wird wenig effizient sein, wenn nicht beide Bündnisse, sofern man bei der WVO noch davon sprechen kann, damit beginnen, ihre rüstungsbezogenen Bündnisstrukturen ebenfalls zum Ziel von Konversion zu machen. Nationale Konzepte können allenfalls Umstellungsprobleme lindern; ob sie zu irreversibler und verifizierbarer Abrüstung und einer neuen europäischen Friedensordnung beitragen, die die bisherigen bündnisbezogenen Sicherheitsstrukturen ablöst, wird jedoch vor allem davon abhängen, wieweit sich die Bündnisse selbst dem Umbau öffnen. Wenn die vielfältigen institutionellen und organisatorischen Strukturen der Bündnisse, die in vierzig Jahren auch friedlichen wirtschaftlichen und technologischen Interessensausgleich zwischen den Bündnispartnern ermöglichten, nicht selbst zum Gegenstand von Konversion werden, bleibt unklar, wann und wie sich der Übergang der Bündnisse von militärischen zu politischen Aufgaben eigentlich vollziehen soll.

Debatten in der Öffentlichkeit

Die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion über die nationalen wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Abrüstung und die Möglichkeiten, den Umstellungsprozess mit wirtschaftspolitischen Instrumenten zu steuern, ist seit dem Fall der Mauer sehr lebhaft geworden. Bis in den Herbst des letzten Jahres galt das Interesse fast ausschließlich der Konversion der Rüstungsindustrie. Der mit dem Fall der Mauer einsetzende Abbau der Nationalen Volksarmee und die Ankündigung der USA und der Sowjetunion vom Februar 1990, ihre Streitkräfte in Deutschland auf 195.000 Mann zu reduzieren, belebte denn auch die Diskussion über die regionalen und strukturellen Folgen des Truppenabbaus in Deutschland. Noch im Dezember 1989 sah die Bundeswehrplanung ja lediglich eine Reduzierung des Friedensumfanges der Bundeswehr von 495.000 auf 420.000 aktive Soldaten, 10.000 ständige und 40.000 kurzfristig einzuberufende Reservisten im Jahre 1995 vor. Jetzt steht im selben Zeitraum eine Reduzierung um 170.000 Soldaten der Bundeswehr und etwa 50.000 der ehemaligen NVA bevor.

Parlamentarische Aktivitäten

Seit Beginn des Jahres ging eine Flut von Anfragen zu Fragen der Rüstungs- und Standortekonversion an die Regierungen der Länder und des Bundes. In kurzer Zeit wurden Daten verfügbar, die die durch mühselige Kleinarbeit ermittelten Ergebnisse der Konversionsforschung bestätigten und durch viele neue Details ergänzen. So wurden nicht nur endlich offizielle Daten über Anzahl und Verteilung der deutschen und ausländischen Streitkräfte z.B. für Rheinland-Pfalz, Bayern oder Baden-Württemberg verfügbar, sondern etwa auch über Anzahl und Verteilung der von diesen Streitkräften und ihren zivilen Beschäftigten genutzten Wohungen oder die ausbezahlten Gehaltssummen an einzelnen Standorten6. Über die bei den zivilen Beschäftigten am stärksten vertretene Gewerkschaft ÖTV wurden z.B. Qualifikationsprofile der zivilen Beschäftigten bei den US-Streitkräften in Rheinland-Pfalz erstellt7. Die bereits zitierte Antwort des BMWi auf die große Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion enthält eine seit längerem von der Konversionsforschung eingeforderte Auflistung der Aufträge des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung nach Raumordnungsregionen.

Strukturpolitische Steuerung notwendig

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß das bekannt gewordene Datenmaterial die bisher von der Konversionsforschung erarbeiteten Ergebnisse8 vor allem in einem Punkt bestätigt: Abrüstung kann in Deutschland vor allem in strukturschwachen oder monostrukturierten Regionen bereits vorhandene Strukturkrisen verschärfen. Ohne strukturpolitische Steuerung kann mittelfristig mit einem nicht unbeträchtlichen Rückgang der regionalen Wirtschaftsentwicklung gerechnet werden. Dieser Befund gilt sowohl für die Standorte- wie für die Rüstungskonversion.

Die Bundesregierung und die in ihr vertretenen Parteien verweisen wie oben schon gesagt in Sachen Standortekonversion vor allem auf die Handhabung der vorhandenen Instrumente wie die GA »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur« oder Strukturhilfe. Die FDP fordert zudem, den Truppenabbau vornehmlich auf Ballungszentren und industrielle Verdichtungsräume zu konzentrieren9. Dem Problem der Rüstungskonversion wird ein insgesamt geringer Stellenwert zuerkannt. In der oben zitierten Antwort des BMWi wird nochmals die bisherige Haltung der Bundesregierung bekräftigt, daß die Umstellung von militärischer auf zivile Produktion vor allem Aufgabe der betroffenen Unternehmen sei. Nur im Falle “größerer Schwierigkeiten beim industriellen Umstellungsprozeß ist die Bundesregierung bestrebt, durch geeignete Maßnahmen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bruchartige Entwicklungen zu vermeiden.”

Verknüpfung von Regional- und Bundespolitik

Eine Verknüpfung von Standorte-, Rüstungskonversion und Regionalpolitik zu einem Programm ist hier nicht zu erkennen. Global konzipierte flankierende Maßnahmen werden zwar zu Gunsten regionalspezifischer Lösungen abgelehnt, die regionalspezifischen Lösungen aber letztendlich den betroffenen Ländern überlassen. Der Bund bietet lediglich die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes und das Beratungsangebot der Bundesanstalt für Arbeit an. Schließlich erwartet sich das BMWi eine Lösung des Problems vor allem durch die “günstige Wirtschaftslage und die zusätzlichen Wachstumschancen, die sich aus der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes und der deutsch-deutschen Entwicklung ergeben.” Eine Anpassung der Strukturhilfe bzw. einer Erhöhung der erst 1988 mit dem »Gesetz zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft« beschlossenen Mittel wurde bisher noch nicht in Erwägung gezogen. Das Gesetz aus dem Jahre 1988 sieht vor, daß der Bund den Ländern über einen Zeitraum von 10 Jahren jährlich 2,45 Mrd. DM zur Verfügung stellt, um die Infrastruktur zu verbessern, Forschung und Technologie, berufliche Aus- und Fortbildung oder städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen zu fördern10. Durch eine beträchtliche Aufstockung dieser Mittel könnte den betroffenen Regionen am gezieltesten geholfen werden. Das setzt allerdings auch entsprechende Harmonisierungen der Regionalhilfe innerhalb der EG voraus.

Die SPD setzt wesentlich stärker auf Steuerung der Strukturpolitik auf politischer Ebene. Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft soll durch aktive Strukturpolitik vorangetrieben werden. Rüstungs- und Standortekonversion erhalten in diesem Zusammenhang einen besonderen Stellenwert.

Rüstungskonversion soll aktiv in die geplante ökologische Umorientierung der Verkehrs-, Energie- , Forschungs- und Technologiepolitik einbezogen und als Pilotmodell genutzt werden. Da inzwischen in der Industrie und den Großforschungseinrichtungen eine ähnliche Umorientierung zu beobachten ist, ist zu erwarten, daß Konversion in Deutschland in den nächsten Jahren vor allem durch eine Umlenkung der staatlichen Nachfrage in die o.g. Bereiche gesteuert wird.

Das Umdenken hat begonnen

Wieweit das Umdenken schon vorangekommen ist, zeigt die Eröffnungsrede von Heinz Häberle, Vorstandsmitglied der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt vor der Gründungsversammlung der Umweltakademie am 18.10.90: “Die Wissenschaft hat sich in breiter Front der Umweltforschung angenommen. So ist z.B. heute unter den Großforschungseinrichtungen die Gesellschaft für Strahlenforschung völlig auf Umweltforschung ausgerichtet. Ebenso das GKSS-Forschungszentrum und das Alfred-Wegner-Institut. Auch die Kernforschungsanlage Jülich und das Kernforschungszentrum Karlsruhe betreiben nur noch mit 20% ihrer Kapazitäten Kernforschung. Auch viele Institute der Fraunhofer Gesellschaft und der Max-Planck-Gesellschaft haben sich der Umweltforschung angenommen. Das gleiche gilt für eine ganze Reihe von Universitäts- und Hochschulinstituten. Auch die DLR hat sich in den letzten Jahren der Anwendung der Luft- und Raumfahrt für die Umweltproblematik verschrieben.” Diese Liste läßt sich noch weiter fortführen, denn auch die Industrie folgt diesem unausweichlichen Trend. Das gilt auch für die Rüstungsindustrie, die in zunehmenden Maße die zivilen Anwendungsmöglichkeiten etwa von bisher vor allem militärisch genutzten Systemen etwa zur Luft- und Wasserüberwachung anpreist oder ihr Potential im Bereich alternativer Energieanlagen, neuer Antriebs-, Verkehrs- oder Umwelttechnologien. Die Aussicht auf einen Rückgang militärischer Aufträge hat inzwischen auch in der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft ebenso wie in der FEG-Gesellschaft für Logistik zu Grundsatzdebatten über die Zukunft dieser Unternehmen geführt. Beide Gesellschaften unterstehen dem Bundesminister für Verteidigung und werden aus dessen Haushalt mit zusammen fast 400 Millionen DM jährlich alimentiert.

Ein Gesamtprogramm für die neunziger Jahre

Es bietet sich geradezu an, die vorhandenen Ressourcen in einem Programm für die neunziger Jahre neu zu bündeln und damit auch eine ressort- und unternehmensbezogene Organisationsreform durchzuführen. Weitere Privatisierungen von Teilen bisher in staatlicher Alleinregie geführten Unternehmen sind damit nicht ausgeschlossen. Die vielfältigen Beteiligungen des Bundes und der Länder sind ein vorzügliches Instrument, um marktwirtschaftliche Industriepolitik zu betreiben. Vor allem in den zentralen Bereichen Verkehr, Energie und Umweltbündelung geht es ja um eine Neugestaltung der Rahmenbedingungen, in denen sich Wettbewerb auf neuen Märkten entfaltet und der Ausgleich von Angebot und Nachfrage in einem freien Markt stattfinden kann11. Aber solange die Zuständigkeiten der Ressorts bei Bund und Ländern zersplittert sind, verhindert diese Zersplitterung nicht nur “zukunftsgerichtete Planung durch bürokratische Verzögerung”, sondern auch die Neugestaltung der Rahmenbedingungen durch eine koordinierte Forschungs- und Entwicklungspolitik. Das Versagen der bisherigen Planung und Koordination vor allem in der Energie- und Verkehrspolitik wird sich in den nächsten Jahren noch krasser zeigen.

Das enorme technologische Potential der Industrie und der staatlichen Großforschungsanlagen bieten ein gutes Instrument, um durch aktive Konversionspolitik auch Beschäftigung in den vom Personalabbau betroffenen Regionen und den neuen Bundesländern zu schaffen. Da der Staat als Kunde im Bereich Verkehr, Energie, Kommunikation und Umwelttechnologie ohnehin dominiert, kann dies durch eine Umlenkung der Staatsnachfrage und Ansiedlungsanreize in den betroffenen Regionen geschehen. Diese Anreize könnten denen entsprechen, die der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium für Investitionen in den fünf neuen Bundesländern in einem am 4. November vorgestellten Gutachten empfahl:

Abschreibungserleichterungen, Investitionszulage von 12% zusätzlich zur bestehenden Regionalförderung, Einkommensentwicklung gekoppelt an die Arbeitsproduktivität, dafür Steuersenkungen in besonders betroffenen Regionen.

Langfristige Finanzplanung

Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, daß Konversion in Deutschland nicht nur ein Problem langfristig angelegter sektoraler und regionaler Wirtschafts- und Umweltpolitik, sondern auch der langfristigen Finanzplanung ist. Die Probleme der Rüstungs- und Standortkonversion werden sich fast von selbst lösen, wenn es gelingt, durch eine konzertierte Aktionen über diese Pfade neue Arbeitsplätze dort zu schaffen, wo die Beschäftigungssituation sich durch Abrüstung verschlechtert. Da dies nun einmal ohnehin die Regionen sind, die schon seit längerem strukturschwach sind, kann Abrüstung somit zu einer Renaissance der regionalen Strukturpolitik führen. Es ist höchste Zeit, denn mit dem Europäischen Binnenmarkt und der deutsch-deutschen Einigung drohen diese Regionen im Gegensatz zur Auffassung des BMWi auf Grund des Wettbewerbs der strukturstarken Regionen weiter ins Abseits zu geraten.

zum Anfang | Abrüstung und Konversion: Konversion in den Streitkräften

von Peter Barth

Mit der deutschen Wiedervereinigung geht das Ende der NATO-Vorneverteidigung und ein massiver Abbau fremder Truppenpräsenz einher. Die amerikanische Restpräsenz dürfte am Schluß der Reduktion nicht mehr als ein Armeekorps umfassen, während andere NATO-Kontingente noch erheblich weiter zusammenschrumpfen und die Franzosen voraussichtlich vollständig von deutschem Boden abziehen werden. Welche neue Doktrin anstelle jener der »flexible response« treten, welche geschrumpften, verstärkt auf Kaderung und Mobilmachungsfähigkeit abstellenden Einheiten in den bisherigen Korpsstreifen die jetzigen Verbände der Deutschen, Amerikaner, Briten, Niederländer und Belgier ablösen werden und was mit den französischen Truppen im zweiten Glied sowie mit dem kleinen kanadischen Kontingent geschehen wird, zeichnet sich nur sehr fragmentarisch in vagen Umrissen ab.

Deutlich zu erkennen ist vorerst allein ein durchwegs drastischer Abbau der deutschen wie auch der alliierten Streitkräfte. Vertraglich vereinbart ist zudem der Abzug aller 380.000 Mann sowjetischer Truppen von deutschem Boden bis spätestens 1994. Verteidigungsminister Stoltenberg rechnete vor, daß in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts in Deutschland insgesamt nur noch etwa eine halbe Million Mann deutscher und westalliierter Soldaten stationiert sein werden gegenüber bisher rund anderthalb Millionen.

Deutschland als bisherige »Waffenkammer der NATO«

Allein in Deutschland, West und Ost, standen rund 1,5 Millionen Soldaten ständig unter Waffen; auf 54 Einwohner kam ein Soldat. Selbst in gewaltträchtigen Krisengebieten, z. B. dem Nahen Osten, war die Truppendichte vor der Golf-Krise geringer gewesen.

In keinem Land der NATO waren mehr Streitkräfte stationiert, als in der mit 280 Einwohnern pro Quadratkilometer dicht besiedelten Bundesrepublik Deutschland, das in der militär-strategischen Planung als »Kampfzone« (Combat-Zone) bezeichnet wird. Mit 820.000 Soldaten und ca. 10.000 Panzern auf dem Boden der Bundesrepublik war die Truppendichte damit 26mal so hoch wie in den Vereinigten Staaten. Der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Alfred Dregger, bezeichnete 1985 die Bundesrepublik als die »Waffenkammer der NATO«.

Die Zukunft der Bundeswehr

Was aber wird nun aus der Bundeswehr? Ein rational geplanter Krieg in Europa ist nicht mehr vorstellbar, weil es nichts zu gewinnen gibt. Die Legitimation einer Streitmacht der »Heimatverteidigung« also liegt darin, andere Staaten von einer Politik des Abenteuers abzuhalten, zu der Regierungen Zuflucht suchen können, wenn sie innenpolitisch in einer Malaise stecken.

Die Form von »Bedrohung« ist viel weniger konkret als jene, die in den ersten 30 NATO-Jahren von der Sowjetunion ausging. Weil das so ist, braucht Deutschland in Zukunft auch nicht mehr präsente Streitkräfte in dem Ausmaße wie früher.

Die Bundeswehr muß kleiner, internationaler und spezialisierter werden. Es besteht nicht mehr die Notwendigkeit, ganze Jahrgänge unter den Helm zu zwingen; es reicht aus, eine mobile Armee von länger Dienenden und parallel dazu eine Territorialorganisation zu schaffen, ein Modell, angelehnt etwa an das britische oder amerikanische Wehrsystem. »Internationaler« bedeutet dabei eine Verklammerung nationaler Teileinheiten, etwa in Form von gemischten Brigaden (dies wäre auch eine Art Kontrolle der deutschen Streitkräfte). Und Spezialisierung schließlich heißt, bewußt auf die Armee zu verzichten, die »alles« können soll: Verteidigung und Gegenangriff zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Im Vordergrund muß der Schutz des Territoriums und seiner Küsten stehen, das heißt, das Heer und eine entsprechende Marine. Dies ist nun kein Grund, Deutschland ganz zu entmilitarisieren. Solange Gewalt in der Weltpolitik eine immer noch dominierende Rolle spielt, solange es Staaten gibt, die ihre Interessen mit Panzern und Flugzeugen durchsetzen, muß auch der Friedliche für den Notfall Soldaten bereithalten. Freiheit und Wohlstand sind Güter, die der Verteidigung wert sind, und letztlich kann nur eine präsente Armee die Bereitschaft dazu glaubwürdig demonstrieren.

Eine Berufsarmee ist ausreichend

Aber: Staaten, die schon demokratisch waren, als in Deutschland noch nicht einmal Wilhelm I. regierte, haben keine Armee von Wehrpflichtigen. Sie greifen notfalls auf die Bürger zurück, die nach Scharnhorst die »geborenen Verteidiger« ihres Landes sind. In den ganz normalen Zeiten aber, in denen die Nation nicht bedroht ist, wohl aber immer wieder Präsidenten und Premierminister militärische Einsätze beschließen, reicht eine Berufsarmee völlig aus.

Mehr als das: Eine Berufsarmee ist militärisch besser, sie ist effizienter, weil ihre Angehörigen mehr Zeit und Motivation für Ausbildung und Training haben. Je stärker auch das Militär von Arbeitsteilung und Spezialistentum geprägt wird, desto anachronistischer wird es, junge Männer, in der Mehrzahl unwillig, für zwölf oder evtl. in Zukunft nur noch 9 Monate unter den Stahlhelm zu zwingen. Dazu kommt, daß ein mögliches Kriegsbild der Zukunft nicht mehr die Millionenheere verlangt, sondern vielmehr kleine, mobile und technisierte Einheiten.

Die Kriterien, nach denen Deutschland teilabgerüstet wird, sind sehr willkürlich gewählt. Es ist nicht zu erkennen, warum ein künftiges deutsches Heer nun 370.000 Soldaten haben soll, warum nicht 200.000 oder gar nur 100.000 Mann. So gibt es beispielsweise aus Großbritannien vom Vorsitzenden der Liberalen Partei, Paddy Ashdown, den Vorschlag, in Deutschland nicht ein Militär im herkömmlichen Sinne beizubehalten, sondern nur eine Art Peace-Keeping-Force. Diese könnte unter 100.000 Mann stark sein, in Ausrüstung und Aufbau dem Bundesgrenzschutz gleichen – ohne schwere Waffen und ohne Luftwaffe.

Abrüstung in ganz Europa

Wir sollten daher diese einmalige Chance nutzen, mit einer Entmilitarisierungskampagne zu versuchen, nicht nur Deutschland in großen Teilen zu entmilitarisieren, sondern damit auch eine Abrüstungsdynamik in ganz Europa freizusetzen. Es geht in dieser einmaligen Situation darum, die Entmilitarisierung des Denkens und Handelns sowie den Wegfall des Militärs radikal zu vertreten, um den Stopp des Wettrüstens und der Rüstungsdynamik zu erreichen. Man muß in Zukunft grundsätzlich auf das Mittel des Krieges in der Politik verzichten und sich fragen, ob nicht eine Art »Friedenstruppe« ausreicht, die gering bewaffnet für Sicherheit zu sorgen hat.

Deutsche Blauhelme?

Und was – so hört man fragen – ist am Golf? Soll die Bundeswehr dort eingesetzt werden? Manches geht in der inländischen Diskussion durcheinander. Entsendung deutscher Soldaten an ferne Konfliktherde in nationaler Verantwortung; Entsendung im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung unter der Fahne der NATO, der WEU und, eines Tages, der Europäischen Gemeinschaft oder neuer KSZE-Institutionen; Entsendung zu Friedensmissionen unter den Blauhelmen der Vereinten Nationen – das sind ganz verschiedene Dinge. Man sollte sie nicht durcheinanderbringen. Hier hilft die rein juristische Betrachtung nicht weiter. Das Grundgesetz sagt uns, was wir dürfen, und dies höchst undeutlich, ja zweideutig. Die politische Debatte jedoch muß klären, was wir wollen sollen. Dann erst kann es darum gehen, ob das Grundgesetz geändert werden muß.

Es kann nicht darum gehen, einfach im amerikanischen Kielwasser zu schwimmen; dafür haben schon zu viele US-Präsidenten mit ihrem Urteil daneben gelegen: Wenn schon in den Golf, dann nur unter UN-Flagge. Es geht vielleicht auch darum, sich kollektiven Aktionen der UNO nicht länger im Prinzip zu entziehen.

Die Welt der Staaten ist kein Kinderspielplatz: Kranker Ehrgeiz, böse Absichten und ein Überfluß an gefährlichen Waffen können bedrohliche Situationen heraufbeschwören. Sie meistern zu helfen, darf sich das neue Deutschland wohl nicht zu schade oder zu fein sein.

Bedrohungen und Risiken

Die Mehrheit der Menschen in Deutschland hält heute wohl die Armee grundsätzlich für überflüssig, betrachtet andererseits aber auch mit relativer Gleichgültigkeit, was »die« in Bonn und Berlin mit den Soldaten vorhaben. Verkündete man jetzt die bevorstehende Auflösung der Bundeswehr, gäbe es wahrscheinlich kaum mehr Resonanz in der Bevölkerung, als bei der Verkürzung der Wehrpflicht auf zwölf Monate. Die einzig stichhaltige Begründung für das Weiterbestehen der Bundeswehr ist schwer an den Mann zu bringen: Es könnte sein, daß als Folge des innenpolitischen Verfalls der Sowjetunion irgendwann wieder eine militärische Bedrohung erwächst. Aber die alten NATO-Kriegsziele und Kriegsgegner sind wohl in Frage gestellt, auch wenn die Sowjetunion aufgrund ihres Kernwaffenpotentials eine militärisch eindrucksvolle Macht darstellt. Aber von Bedrohung kann man wohl nicht mehr sprechen, eher von eventuellem Risiko.

Armee ohne Auftrag

Wie sich damit heute die sicherheitspolitische Lage darstellt, wird die deutsche Armee der Zukunft den vagen Auftrag haben, präsent zu sein, eine Wehrhaftigkeit zu demonstrieren, die in der Gesellschaft keine Entsprechung mehr findet, Pläne zur Verteidigung eines möglichen Gegners zu wälzen, der – wenn überhaupt jemand – am wahrscheinlichsten sich selbst angreift. Mit Gorbatschows Reformpolitik und dem Zerfall des Warschauer Pakts hat die Bundeswehr die Existenzgrundlage verloren, auf der sie seit 1956 lebt. Sie ist in diesem Sinne zu einer Armee ohne Auftrag geworden.

Dasselbe gilt im verschärften Sinne für die Nationale Volksarmee. Sie wurde gegründet als die Verteidigerin eines Staates, dessen Volk ebenso sehnsüchtig wie hastig nichts anderes wollte, als sich in jene Gesellschaft einzugliedern, die noch vor Jahresfrist den NVA-Rekruten als hassenswerter Klassenfeind dargestellt wurde. Mit dem Ende des Staates, den die SED nach ihren Vorstellungen zu formen bemüht war, ist auch das Ende dieser Armee gekommen.

Man räumt selbst den gutwilligen Offizieren der NVA keine Chance ein, die NVA nach westdeutschem Muster zu demokratisieren:

  1. westdeutsche Bundeswehr-Offiziere wurden der NVA vor die Nase gesetzt,
  2. westdeutsche Bundeswehr-Offiziere und Beamte werden die Übernahmeausschüsse besetzen und die Bewerber der NVA auswählen,
  3. ein Selbstreinigungsprozeß der NVA wird damit verhindert (was für die preußische Armee nach Jena und Auerstedt vor fast 200 Jahren unter feudalaristokratischen Strukturen möglich war, ist für die NVA tabu).

    Damit wird eine kleine, hochspezialisierte Intelligenzschicht stigmatisiert. Schon jetzt kann man in der NVA Denk- und Verhaltensmuster beobachten, die einmal für die ganze DDR-Bevölkerung typisch werden könnten. Die beginnende Kolonialisierung der DDR muß aber nicht in Anpassung, sie kann auch in Rebellion umschlagen.

Vielleicht wäre es im militärischen Bereich möglich, wenigstens eines aus der ehemaligen DDR zu übernehmen, nämlich die Erfahrung mit der Konversion der NVA. Vollständige Konversion meint im konkreten Fall der NVA allmähliche Überführung praktisch des gesamten Personalbestandes sowie aller Liegenschaften der NVA in zivile Bereiche bzw. Verwendung und parallele Abrüstung aller Waffen und sonstigen militärischen Ausrüstungen.

Ein solcher Prozeß muß dabei so gestaltet werden, daß er:

  • nach innen und außen politisch stabilisierend wirkt;
  • sozial verträglich ist, vor allem für die Armeeangehörigen und ihre Familien, aber nicht weniger für die Gesellschaft insgesamt;
  • marktwirtschaftlich, d.h. ökonomisch effektiv und stimulierend ausfällt und
  • ökologische Gesichtspunkte im notwendigen Maße mit berücksichtigt.

Konversion der NVA

Die vollständige Konversion der NVA stellt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar und wird vermutlich eine Zeitspanne von 5 bis 10 Jahren in Anspruch nehmen. Nicht nur, daß die meisten Berufskader der Armee der DDR keine ohne weiteres in zivilen Berufen verwendbaren Qualifikationen haben, wodurch umfangreiche Umschulungs- und Neuausbildungsprogramme erforderlich sind. Auch die geregelte Abrüstung der immensen Waffenberge in der ehemaligen DDR läßt einen kürzeren Zeithorizont nicht als mit Verantwortung vertretbar erscheinen.

Noch bevor die erste demokratisch gewählte Regierung der DDR Mitte April 1990 ihre Tätigkeit aufnahm, belegten Untersuchungsergebnisse aus der DDR folgende sich zuspitzende Situation:

  • Während bisherige internationale Erfahrungen besagen, daß sich positive Effekte der Konversion nur erreichen lassen, wenn die entsprechenden Maßnahmen gründlich und längerfristig vorbereitet werden, fehlten für diese Prozesse unter den komplizierten Existenzbedingungen der DDR Zeit und konzeptioneller Vorlauf. Die tatsächliche Reduzierung der Streitkräfte, der Grenztruppen und der Produktion von militärischen Gütern begann in hohem Tempo und beträchtlichem Ausmaß ohne diese Vorbereitungen.
  • Konversionsprozesse dürfen – darin sind sich Experten international einig – nicht allein den Marktgesetzen überlassen werden. Sie erfordern die aktive Einschaltung und Steuerung durch den Staat und die aktive Mitwirkung der tragenden gesellschaftlichen Kräfte. Sie müssen in ein wirtschafts- und sozialpolitisches Gesamtkonzept eingebettet sein, was jedoch in der DDR nicht der Fall war. Initiativen mußten oft von den Betrieben allein entwickelt werden.
  • Je günstiger die Gesamtheit der Rahmenbedingungen, um so effektiver die Konversion. In der DDR begannen diese Prozesse unter Bedingungen einer tiefen ökonomischen Krise, also unter ungünstigsten ökonomischen und sozialen Voraussetzungen.
  • Klare Vorgaben entscheiden über den Verlauf solcher komplizierten Prozesse, so in der DDR über den künftigen Streitkräfteumfang, den materiellen Bedarf sowie hinsichtlich Verpflichtungen gegenüber der WVO. Hier fehlten entsprechende Entscheidungen.

Nationaler Konversionsplan nötig

Wie könnte nun eine vollständige Umgestaltung der NVA praktisch in Angriff genommen werden, was könnten, ja müßten grundlegende Schritte sein:

Notwendig wäre die unverzügliche Erarbeitung eines Nationalen Konversionsplanes, der alle sozialen, ökonomischen und budgetären, technologischen, ökologischen sowie sonstigen Aspekte in ihrem Zusammenhang erfaßt und in alternativer Weise Grundlinien und Möglichkeiten ihrer Bewältigung aufzeigt. Besonderes Schwergewicht müßte hierbei u.a. gelegt werden auf ein Berufsbildungsprogramm für NVA-Kader, das an künftigen marktwirtschaftlichen Erfordernissen orientiert ist; auf der Suche nach industriellen und anderen effektiven Technologien und Methoden der Abrüstung; auf das Problem der ökologischen Altlasten der NVA – wie etwa überalterte Treibstofflager u.ä. – und nicht zuletzt auf Standortgebiete, die in ihrer sozialen Lebensfähigkeit heute hochgradig vom Militär abhängen. Das könnte eine Hauptaufgabe für ein innerministeriales Amt für Rüstungskontrolle und Abrüstung sein.

Das Problem der Standorte und Liegenschaften

So positiv die beginnende Abrüstung ist, so bringt sie auch eine Reihe von Problemen mit sich, beispielsweise für München, die Stadt in der Bundesrepublik, in die bisher rund 40 Prozent aller Rüstungsaufträge flossen, in der rund 30.000 Arbeitsplätze direkt von der Rüstung abhängen. Hierzu kommt der geplante Abzug der amerikanischen Streitkräfte, die einerseits neue Perspektiven für die Stadtplanung und Stadtentwicklung eröffnet, andererseits aber auch viele Arbeitsplätze gefährdet.

Oberbürgermeister und Stadträte in den Ballungsgebieten verplanen bereits die Liegenschaften der Army. Und alle wollen die Flächen entweder »günstig« wie Frankfurts Oberbürgermeister Volker Hauff, oder gar, wie sein Wiesbadener Kollege Achim Exner, »entgeltlos« übernehmen.

Daraus wird vermutlich nichts. Denn der Bundesfinanzminister muß, so verlangt es die Bundeshaushaltsordnung, die an den Bund zurückfallenden Flächen »zum Verkehrswert« veräußern.

Wenn beispielsweise die Amerikaner einen Stützpunkt verlassen, fällt dieser zunächst der NATO zu. Die entscheidet, ob sie den Stützpunkt »einmottet« – er bleibt dann für Krisenfälle und Manöver weiterhin nutzbar – oder ob sie ihn an die Streitkräfte eines NATO-Landes vergibt. Gelangt der Stützpunkt dann in die Verfügung der Bundeswehr, muß sich der Verteidigungsminister mit dem Finanzminister verständigen, ob daraus ziviles Bundeseigentum werden soll. Dann erst kann die Landesregierung oder die Kommune das Gelände vom Bund erwerben. Solche Vorgänge dauern oft Jahre, so z. B. in Zweibrücken. 1977 zogen die Franzosen ihre Garnison aus der Stadt ab und hinterließen mitten in der Stadt ein Casino. Zwölf Jahre vergingen, ehe die Stadt über das Gebäude verfügen durfte: Mittlerweile war es weitgehend verfallen.

Der Finanzminister kann in den nächsten Jahren mit Einnahmen in vielfacher Milliarden-Höhe rechnen. Für den Bund wird der Transfer eines der besten Geschäfte der Nachkriegszeit. Nach US-Schätzungen beträgt der Liegenschaftswert der derzeitigen sechs »Besatzungsmächte« in der BRD rund 28 Milliarden DM.

Denn nicht nur die Amerikaner ziehen Truppen aus Deutschland ab. Das belgische Kontingent (26.000 Mann) plant, seine Kasernen und Übungsplätze in Nordrhein-Westfalen und Hessen zu verlassen, die gesamte französische Streitmacht (53.000 Mann) bereitet den Rückzug aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg vor. Auch die britische Rheinarmee (56.000 Mann) wird ausgedünnt.

In Frankfurt etwa, wo 25.000 Anwärter auf Sozialwohnungen ohne feste Bleibe sind, rechnen die Kommunalpolitiker mit Entlastung schon durch einen Teilabzug der Amerikaner. Denn mit 1072,57 Hektar – das entspricht einem Areal von mehr als 2.000 Fußballplätzen – belegen die US-Einrichtungen, ähnlich wie in Mannheim oder Heidelberg, satte 20 Prozent der bebauten Fläche in der Stadt.

Doch ob die Kommunen von dieser Konversion tatsächlich profitieren, ist längst nicht ausgemacht. Die Flächen und Gebäude werden den Städten womöglich gar nicht oder nur zum Teil angeboten.

Die Finanzbehörden müssen nach dem Haushaltsrecht nämlich erst prüfen, ob »weiterer Bundesbedarf« besteht, etwa für »preiswerte Dienstwohnungen«. Bedienstete des zuständigen Frankfurter Bundesvermögensamtes weisen zum Beispiel schon jetzt darauf hin, daß einige hundert Zöllner und Grenzschützer, die von der aufgelösten innerdeutschen Grenze an den Main versetzt wurden, »die örtlichen Mieten nicht zahlen können«.

Hinzu kommt, daß die Kommunen mit den saftigen Preisen für ehemalige US-Areale überfordert sind. Der »jüngste Preis«, den das Bundesvermögensamt für ein Staatsgrundstück in Frankfurt erzielte, lag bei 1.700 DM pro Quadratmeter. Zwar darf der Bonner Finanzminister nach der Haushaltsordnung einen Abschlag von 15 Prozent zulassen, wenn auf der Fläche Sozialwohnungen entstehen sollen. Der Endpreis liegt aber dann immer noch so hoch, daß an preiswerten Wohnungsbau gar nicht zu denken ist.

Zudem hat sich das Pentagon schon 1971, in einem deutsch-amerikanischen Verwaltungsabkommen, über die Rückgabe von militärischen Einrichtungen für den Fall eines Truppenrückzuges abgesichert.

Danach müssen die amerikanischen Milliarden-Investitionen für Neubauten in den Stützpunkten von Army und Air Force an Washington zurückfließen. Diese hohen Kosten muß sich der Bund von einem Käufer ebenfalls erstatten lassen.

Wie teuer bei solcher Berechnungsweise die US-Grundstücke werden können, hat die Stadt Mannheim schon vor zwölf Jahren erfahren. Die Kommune wollte ein marodes GI-Depot, die Spinelli-Barracks im Vorort Freudenheim, für den Wohnungsbau übernehmen.

Aus dem Handel wurde nichts. Nach einer »geschätzten Wertermittlung« verlangten die amerikanischen Streitkräfte schon damals für die heruntergekommenen Hallen den stolzen Betrag von 155 Millionen – den Bodenwert gar nicht gerechnet.

Bis zur zivilen Nutzung der vormals militärischen Liegenschaften ist also noch ein langer Weg.

Die Erfahrungen der NVA-Konversion nutzen

Von der DDR wird – auch im militärischen Bereich – nicht sehr viel übrig bleiben. Vielleicht ist die Erfahrung mit der Konversion der NVA das einzige, was in das neue, vereinigte Deutschland übernommen wird. Es steht zu hoffen, daß dieser Prozeß vernünftig geregelt wird und diese Erfahrungen auf die Bundeswehr angewendet werden. Vergleichbare Probleme, wie sie mit einer Konversion der NVA entstehen, kommen im Zuge der Wiener Abrüstungsprozesse früher oder später auf alle Teilnehmerstaaten der Warschauer Vertrags-Organisation und der NATO zu.

Ein zweiter Punkt muß sein, eine rechtzeitige Erhebung aller Daten der militärischen Liegenschaften einschließlich militärischer Altlasten zu erstellen, damit rechtzeitige Planungen für die Zukunft durchgeführt werden können.

Eine dritte Überlegung wäre, ob man den Anregungen der GRÜNEN im Landtag von Rheinland-Pfalz folgen sollte, die vorschlagen, die »Pfründe des Friedens«, die bei einer Freigabe militärischer Nutzung von Liegenschaften entstehen, in eine »Stiftung Ökologischer Land- und Bodennutzung Rheinland-Pfalz« einzubringen. Ähnlich würde man in allen Bundesländern verfahren.

All dies sollte mit vollständiger Transparenz nach innen und außen realisiert werden. Zugleich müssen alle Fragen, die sich damit stellen, in internationaler Kooperation gelöst werden.

zum Anfang | Abrüstung und Konversion: Regionale Konversion

von Olaf Achilles

Im Frühjahr 1990 war ein Wort in aller Munde, daß vorher noch kaum Politiker kannten oder bewußt aus ihrem Sprachgebrauch ausgegrenzt hatten: »Konversion.« Primär ging es in den betroffenen Gebieten und Ländern um den geplanten Truppenabzug vor allem durch die Amerikaner und die Auflösung ganzer Standorte. In Ost-Deutschland ging die Diskussion um den Abbau der (ehemaligen) NVA und den Rückzug der Truppen der UdSSR. Diese Standortkonversion (auch Regionale Konversion genannt) wurde außer durch einige Friedensarbeiter und Friedensforscher bisher nirgends in Deutschland thematisiert.

Die Gemeinden setzten auf Militär als Wirtschaftsfaktor und die Landespolitik wurde ebenso militärfreundlich ausgerichtet. Schlichtweg wurden Weisungen aus Bonn, Washington, Paris etc. empfangen bzw. zur Kenntnis genommen. In der ehemaligen DDR gab es keine Widerspruchsmöglichkeiten. Bundes- und Landesregierungen haben inzwischen (gemeinsame) Arbeitsgruppen eingerichtet, Parteien erarbeiteten Argumentationspapiere, auch wurden ein paar Anhörungen und Podiumsgespräche durchgeführt. Länderchefs gingen auf Auslandreisen (zumeist nach Washington) und Bürgermeister versuchten vergeblich, Informationen über Truppenbewegungen einzuklagen. Die Bevölkerung denkt, daß eine Abrüstung in schnellen Schritten nun erfolgen wird und deplaziert sie von der Liste der wahlbestimmenden Themen. Doch in dieser Zeit wurde noch keine einzige Militär-Liegenschaft zur zivilen Nutzung freigeben. Lediglich das Giftgas-Depot in Clausen ist nach einer Verfügung des BMVg für die zivile Nutzung frei. Ein Kommission habe keine »Restlasten« gefunden (FR 18.10.90). Bis diese Liegenschaft wirklich zivil genutzt werden kann, wird allerdings noch einige Zeit vergehen, denn das BMVg kann nur auf eine »Anschlußnutzung« dieser alliierten Liegenschaft verzichten. Zuständig wäre dann der Bundesminister der Finanzen. Erst er könnte dann die Liegenschaft freigeben. Ob sie den betroffenen Gemeinden zurückgegeben oder meistbietend verkauft wird, ist bis heute politisch noch nicht entschieden worden. Die Bundeswehr annektiert zur Zeit alle Militärflächen in Deutschland-Ost, um sie dann vor allem als Übungsgebiete – mit weniger als der Hälfte aller Soldaten in Deutschland – weiter zu nutzen.

Rationalisierung oder Reduzierung

Der gesamte Konversionsprozeß, die gesamte Diskussion auf allen politischen Ebenen muß aufmerksam begleitet werden. Momentan handelt es sich eher um Truppenbewegungen. Wir haben es hier mit einer Rationalisierung und Modernisierung der Militärapparate zu tun. Es wird weitergebaut wie bisher. Die Bundesregierung versucht dieses zu vertuschen. So steht in einem Beschluß der Landesmitgliederversammlung der GRÜNEN in Hessen v. 26.8.90: „Das Ergebnis (der Abrüstung O.A.) für Hessen ist nicht Entmilitarisierung sondern Umgruppierung und Verdichtung militärischer Einrichtungen (…). Die derzeitige Landesregierung (…) bekennt sich ungebrochen zu Hessen als strategischen Militärstandort. (…)(Sie) betreibt die Verlagerung von US-Einrichtungen aus dem Rhein-Main-Gebiet in strukturschwächere Regionen innerhalb wie außerhalb Hessens, deren Abhängigkeit vom Militär damit zementiert wird. Über militärische Belastungen durch die Bundeswehr schweigt sie 'in Treue fest'. Sie überläßt die Initiative zum Abbau den Militärs selbst und läßt die Betroffenen im Stich.“

Diese Analyse gilt auch für andere Bundesländer! Auf Anfrage der SPD erklärte die Bundesregierung, daß das Militär bereits aus Umweltgründen die Zurückstellung des Baus von Sperren, Sperrmittelhäuser und Ersatzübergangsstellen angeordnet habe (Vgl. Bt-Drs. 11/7826). Dies ist natürlich eine politische Maßnahme, da dieser Bau

  • von der Bevölkerung nicht mehr geduldet und
  • in Herleshausen in Hessen dies gerichtlich vom Verwaltungsgericht in Kassel sogar untersagt wurde.

In Wirklichkeit waren von den ca. 1.7 Milliarden DM für große Baumaßnahmen 1990 im Juni des Jahres nach einer Information von der Hardthöhe ca. 1.6 Milliarden bereits bewilligt gewesen! Konversion kann nur unsere Unterstützung finden, wenn sie in einen unumkehrbaren Abrüstungsprozeß eingebunden ist, der ökologisch, partizipatorisch und »von unten« durchgeführt wird. Eine Abrüstung »von oben« berücksichtigt die Interessen der Militärs und nicht die der betroffenen Bevölkerung. Ohne Beteiligung aller wichtigen lokalen politischen Gruppen, wie z.B. insbesondere der Wirtschaft und ihrer verschiedenen Verbände, der Gewerkschaften, der Parteien, der Kirchen, der Bürgerinitiativen und Umweltverbänden etc. wird die Chance eines ökologischen Umbaus von Teilen der Gesellschaft nicht genutzt werden. »Abrüstung von unten« ist das Gebot der Stunde.

Regionale Abrüstungskonferenzen

In ganz Deutschland gibt es ca. 1500 Gemeinden mit mehr als 5000 militärischen Anlagen. Sie alle stehen, wie auch immer, in einem Abrüstungsprozeß zur Disposition. Die Idee der regionalen Konversion beinhaltet, (militärdominierte) Städte, Dörfer, Gemeinden und Regionen mit möglichst vielen kommunalen Ressourcen zu einem ausglichenen, entmilitarisierten Mensch-Natur-Gefüge zu entwickeln. Initiativen hatten sich in der Bundesrepublik bisher ausschließlich um die GRÜNEN etabliert. Als erstes ist das »Projekt Regionale Konversion« in Kaiserlautern (Rheinland-Pfalz) zu nennen, welches von Roland Vogt initiiert wurde. Die Idee wurde aus der Notwendigkeit geboren, daß ganze Regionen, und einzelne Gemeinden sozusagen vom Militär besetzt gehalten werden und es darum ging, Lösungen für einen zivilen Umbau aufzuzeigen. Dabei spielte nicht nur die ökonomische Abhängigkeit sondern gerade auch die ökologische Belastung eine wichtige Rolle in der Argumentation betroffener Akteure.

Ein erster Schritt zur Umsetzung wäre die ständige Einrichtung einer »regionalen Abrüstungskonferenz« (Abrüstungs-o. Konversionsratschlag), der den Prozeß des notwendig gewordenen »zivilen Umbaus« der Region beratend begleitet. An der Konferenz sollten Vertreter der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen aus dem Kreis insbesondere der Wirtschaft und ihrer verschiedenen Verbände, der Gewerkschaften, der Parteien, der Kirchen, der Bürgerinitiativen und Umweltverbänden etc. teilnehmen. Die Konferenz müßte in Abstimmung mit den kommunalen Parlamenten insbesondere des Kreistages Forderungen für die Region v.a. an das Land und den Bund erarbeiten. Alle Maßnahmen in der Region sind auf eine nicht-militärische Zukunft auszurichten. Für die einzelnen Gebieten der Region sind gemeinsam Zukunftsmodelle erarbeiten. Dabei steht vor allem die Frage nach alternativen Arbeitsplätzen und einer »eigenständigen Regionalentwicklung« im Vordergrund. „Wir brauchen eine Antwort auf die Frage: Wie kann der Wegfall bestimmter bestehender Beschränkungen und Belastungen des Kreises durch das Militär möglichst schnell in einen Standortvorteil umgesetzt werden?“

Das Institut für Regionale Konversion hat in seinem Gründungsdokument im März dieses Jahres in Berlin zu diesem Komplex folgende Sätze aufgeschrieben:

„Parallel zur Schaffung von internationalen und nationalen Rahmenbedingungen ist dieser Prozeß vor allem auf lokaler und regionaler Ebene zu realisieren. Wird diese Regionale Konversion nicht demokratisch gestaltet, drohen die Gefahr von neuer Arbeitslosigkeit in erheblichem Ausmaß, das Aufbrechen sozialer

Konfliktpotentiale, die Einschränkung demokratischer Rechte, die Verschärfung von regionalen Strukturproblemen sowie die Fortentwicklung und Erhöhung ökologischer Belastung. Deshalb müssen die verschiedenen betroffenen Interessengruppen in einem partizipatorischen Diskussions- und Arbeitsprozeß den Umbau ihrer Region ökonomisch, ökologisch und sozial verträglich herbeiführen.

Sie müssen dafür ihr eigenes gestalterisches Potential erkennen und entfalten. Nur eine »Abrüstung von unten« kann den anstehenden demokratischen und ökologischen Zukunftsanforderungen für unsere Gesellschaften gerecht werden.“

Militärische Belastung

Alle militärische Anlagen haben ein Belastungspotential. Es gibt mehrere Kreise und Gemeinden, für deren Gebiet bereits eine »militärische Belastungsanalyse« durchgeführt wurde. Diese Erfassung ist sehr wichtig, da sie Daten und Aussagen gerade auch für eine potentielle Standortkonversion bereitstellt. Militärische Belastungsanalysen entwickelten sich parallel zur kommunalen Friedensarbeit. Sie haben die Auswirkungen des mobilen und stationierten Militärapparates in einer bestimmten Region zum Untersuchungsgegenstand. Dabei kommen, je nach Autor, Anlaß und nicht zuletzt Auftraggeber die sozialen, politischen, kulturellen, juristischen, ökologischen und ökonomischen Belastungen zur Diskussion. Militärische Belastungsanalysen dienen vor allem als Argumentations- und Abwägungsmaterial und sind auch für die Bauleitplanung relevant (Beispiele sind in der Studie »Militärische Belastungsanalysen und Regionale Konversion« genannt; Achilles 1990). In der jetzigen Diskussion taucht z.B. immer wieder auf, daß die Liegenschaften »altlastenfrei« zurückgegeben werden müssen. Dabei definiert die Bundesregierung Altlasten zumeist als Rüstungsaltlasten. „Erkenntnisse über gravierende Altlasten-Fälle auf den ausländischen Streitkräften überlassenen Liegenschaften liegen nicht vor“ (Bt.Drs. 11/7441). Neue Altlasten, also Belastungen und Verseuchungen durch den (Übungs-)Betrieb der Militärapparate werden, zumindestens für das Gebiet der BRD vor der Wiedervereinigung nicht wahrgenommen. „Von den überlassenen Liegenschaften möglicherweise ausgehende Umweltbelastungen kann ich nicht quantifizieren. Die ausländischen Streitkräfte erfüllen jedoch im Einklang mit ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung die Anforderungen, die das deutsche Umweltrecht stellt“ (Bt.-Drs. 11/7826). Diese Aussage ist nicht beschönigend sondern schlicht falsch. Zu dieser Thematik hat die MÖP e.V. zahlreiche Publikationen erarbeitet. Eine Stellungnahme zu der genannten Anfrage existiert (Achilles 1990b); eine Kritik der neuesten internen Bundeswehr-Umweltstudie ebenfalls (Achilles 1990c).

Rüstungsaltlasten

Der Begriff Rüstungsaltlasten wurde von den Initiativen gegen Rüstungsaltlasten, die sich im November 1987 auf Initiative der Altlastengruppe im BUND im Harz zu einem bundesweiten Dachverband zusammengeschlossen haben, geprägt. Erst 45 Jahre nach dem 2. Weltkrieg fangen die Behörden langsam an, sich diesen gefährlichen Kriegsfolgen zu widmen. In ganz Deutschland gibt es einige Hundert Rüstungsaltlasten. Dazu zählen ehemalige Sprengstoff-, Pulver-, Kampfstoff- und Nebelstofffabriken, Füllstellen und MUNA's ebenso wie Plätze in denen nach dem 2. Weltkrieg Munition gelagert, gesprengt oder vergraben wurde. Aktuelles Beispiel ist die vollständige Sperrung des Truppenübungsplatzes Munster-Nord (113 qkm!) Anfang des Jahres wegen Arsenbelastung durch alte Kampfstoffe.

Die USA streben an, die Sanierung ihrer NATO-Liegenschaften durch das NATO-Infrastrukturprogram zu finanzieren. Die Bundesregierung unterstützt diese Forderung mit dem Ziel, entsprechende Liegenschaften anderer Gaststreitkräfte miteinzubeziehen (Wimmer 1990). In verschiedenen US-Papieren werden mehrere Milliarden DM an Kosten genannt. Andrea Hoops, von den GRÜNEN in Niedersachsen, machte mit einer Anfrage an den Landtag (deren Beantwortung ungewöhnlich lang dauert und noch aussteht) darauf aufmerksam, wie wichtig schon heute die Erfassung der Umweltschäden auf den einzelnen Liegenschaften ist. In einem Papier heißt es dazu, daß gemäß Art. 41 NATO-Truppenstatut Zusatzabkommen ein vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Schaden ausgemacht werden muß. „Da vorhandene Schäden bei Rückgabe der Liegenschaften mit dem Restwert von Investitionen, die aus eigenen Mitteln des Entsendestaates finanziert worden sind, abgegolten werden (Art. 52 Abs. 1 ZA-NTS), sollte eine Schadensregulierung zu diesem Zeitpunkt einvernehmlich erzielt sein“. Für eine sinnvolle kommunale Planung ist die zügige Rückgabe der Flächen wichtig (Die GRÜNEN Niedersachsen 1990b). So hat die Landesregierung in Rheinland-Pfalz im Juli des Jahres bekanntgegeben, daß von 33 überprüften US-Standorten 19 als sanierungsbedürftig erscheinen. Dennoch hat sie, wie aus internen Papieren hervorgeht, keine Datengrundlage bisher erstellt. Andere Landesregierungen haben ebenfalls zu diesem Punkt keine oder nur wenige Informationen. Inzwischen fordert die rheinland-pfälzische Landesregierung, daß der Bund eine Kontaminations-Analyse mit anschließender Sanierung für alliierte Liegenschaften veranlassen muß (FAZ 21.9.90).

In den USA wird seit Jahren praktiziert, daß zu jeder zu schließenden militärischen Anlage ein »Draft Environmental Impact Statement Proposed Closure« durchgeführt wird. In einer Studie vom November 1989 wird z.B. der Umwelt-Schaden bei 15 Anlagen auf 661 Millionen US-Dollar geschätzt, die das Pentagon als Verursacher zu zahlen habe und die nicht in die Schließungskosten miteingerechnet werden dürfen. Einzelne Umweltstudien sollen erstellt werden (GAO 1989).

Umwandlung der Übungsplätze in Naturschutzgebiete

Für die Bundesrepublik ist es dringend geboten, daß der Rat für Umweltfragen der Bundesregierung ein Sondergutachten zur militär-ökologischen Gesamtbelastung der Bundesrepublik erstellt, was von den Ländern in den einzelnen Standorten ergänzt werden muß. Während Umweltschützer und einige Politiker fordern, daß die Übungsgebiete zu Naturschutzgebieten werden, begutachtet die Bundeswehr alle Manöverplätze in der ehemaligen DDR zwecks Übernahme. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Wolfgang Weng, verlangte von der Bundeswehr Zurückhaltung und warnte davor, die einmalige Chance zu vergeben, großräumige Naturreservate zu schaffen (SZ 25.9.90). Die Teilnehmer des 10. internationalen Wattenmeertages in Bremen haben das Vordringen der Bundeswehr in Naturschutzgebiete (!) der DDR protestiert. Es wurden 34.000 Unterschriften gegen die Nutzung des Truppenübungsplatz in Colwitz durch die Bundeswehr gesammelt (FR 18.9.90). Mehrere Tausend Menschen demonstrierten bereits für die Entmilitarisierung des sowjetischen Truppenübungsplatz Colbitz-Letzlinger-Heide (taz 25.9.90).

Vier Studien werden erarbeitet

Vier offizielle Studien wurden uns durch die Recherche bekannt:

  • Die Hessische Landestreuhandgesellschaft (HLT) arbeitet im Auftrag der Landesregierung an einer Studie über militärische Abhängigkeiten in strukturschwachen Gebieten.
  • Die Forschungsstelle für nationale und internationale Finanzordnung des Lorenz-vom Stein-Instituts für Verwaltungswissenschaften an der Universität Kiel hat eine umfangreiche Untersuchung über die Folgen des geplanten Truppenabbaus in Schleswig-Holstein vorgelegt.
  • Die Bundesregierung läßt mit einer (!) Studie die Auswirkungen von Veränderungen der Rüstungsplanung (!) erfassen. Im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft wird diese vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München unter dem Titel „Die Produktion von Wehrgütern in der Bundesrepublik Deutschland“ erstellt. „Spätestens nach Vorliegen der Ergebnisse der oben genannten Ifo-Studie wird die Frage eines zusätzlichen Forschungsbedarfs, insbesondere zu regionalwirtschaftlichen Aspekten, erneut geprüft“! Über Standort-Konversion gibt es also bei der Bundesregierung anscheinend keinen Forschungsbedarf (Anmerkung: Die Studie wurde vor ca. zwei Jahren in Auftrag gegeben und sollte lediglich ein »Branchenbild« der Rüstungsindustrie erstellen. Konversion, so war auf Anfrage in München zu erfahren, war und blieb ein Randkapitel. Die ersten Kapitel sind seit Mitte Oktober in Bonn. Ein Abschluß der Studie kann sich aber noch hinziehen.)
  • Das Ministerium für Wirtschaft und Verkehr, Rheinland-Pfalz legte eine Kurzstudie mit dem Titel „Die wirtschaftliche Bedeutung des militärischen Sektors für die Städte und Kreise in Rheinland-Pfalz“ am 28.September 1990 vor.

Arbeitsgruppen

Auf Bundesebene besteht seit Februar 1990 eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums mit Ressorts aus dem Auswärtigem Amt, Bundesministerium der Finanzen, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Bundesministerium der Verteidigung, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bundesministerium für Forschung und Technologie sowie das Bundeskanzleramt.

Es gibt ebenfalls eine Arbeitsgruppe der Länderwirtschaftsministerkonferenz.

Der Unterausschuß für Gemeinschaftsaufgabe, an dessen Sitzungen neben Vertretern der Bundesministerien und der Wirtschaftsministerien der Länder auch Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit, der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung, des Deutschen Städtetags, des Deutschen Landkreistags und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes teilnehmen, gibt „breite Informationsgrundlage für die Behandlung der mit Truppenreduzierungen und Abrüstungsmaßnahmen zusammenhängenden strukturpolitische Fragen“.

Die CSU-Landesregierung in Bayern hat eine interministerielle Arbeitsgruppe auf Beamtenebene unter Beteiligung des Staatskanzlei sowie der Staatsministerien des Innern, der Finanzen, für Wirtschaft und Verkehr, für Arbeit und Sozialordnung und für Landesentwicklung und Umweltfragen eingerichtet.

Die SPD-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese wird aufgefordert, bis zum 1.12.90 ein Bericht zu erstellen.

Die SPD-GRÜNEN-Landesregierung in Niedersachsen konzipierte im April 1990 eine interministerielle Arbeitsgruppe „Auswirkungen von Strukturveränderungen von Streitkräften“, die im September eine Kabinettsvorlage erarbeitet hat, die allerdings zur Zeit noch einmal ergänzt werden muß.

Die SPD-Landesregierung in Schleswig-Holstein hat am 26.1.90 eine Interministerielle Arbeitsgruppe zur Begutachtung der wirtschaftlichen Folgen der Abrüstung eingesetzt. Im Mai gab es einen umfangreichen Zwischenbericht. Es wurde bereits ein Papier „Eckpunkte für ein Landesprogramm 'Perspektiven zur Um-

strukturierung bisheriger Militärstandorte'“ erstellt und im einzelnen mit der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Landesverbände, der Arbeitsverwaltung, den Gewerkschaften, Unternehmensverbänden, Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern erörtert.

In Hessen hat die CDU-Landesregierung eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt.

Der Ausschuß für Wirtschaft und Europäischer Binnenmarkt des Deutschen Städtetages in Köln hat ebenfalls eine Arbeitsgruppe eingerichtet.

In Rheinland-Pfalz werden verschiedene Arbeitsgruppen genannt.

Außer einzelnen kleinen Zwischenergebnissen wurde von Seiten dieser Gruppen nichts bekannt oder gar veröffentlicht. Papiere werden sehr diskret gehandhabt (s.o.).

Umfrage bei den Landtagsfraktionen

Die Arbeits-und Forschungsstelle »Militär, Ökologie und Planung« (MÖP) e.V. begleitet in Zusammenarbeit mit dem Institut für Regionale Konversion e.V., Büro Bonn, den Konversionsprozeß für das Gebiet der ehemaligen BRD. Neben der Auswertung von Zeitungs-und Archivdokumenten wurde eine Umfrage an alle Fraktionen in den Länderparlamenten und eine weitere Umfrage an alle kommunalen Spitzenverbände durchgeführt. Bei den Umfragen ging es darum zu erfassen, wie die Kommune, als letztendlich Betroffener, aber auch das jeweilige Bundesland in die gesamte Truppenabbaudiskussion miteinbezogen wird und wie die Parteien im Ganzen den Prozeß gestalten und ausrichten wollen. Folgende Fragen wurden an alle Parteien in allen Länderparlamenten gerichtet:

„Welche Aufgabe hat die Landespolitik im Zuge des Abbaus der Militärapparate in Europa?

Wie sehen Sie die Rolle der Kommunen innerhalb dieses Prozesses? Gibt es bereits Detailinformationen über den Umfang der betroffenen Standorte sowie einzelne, detailierte Konversionsprojekte?“

Bei den kommunalen Spitzenverbänden sollte geklärt werden, wo sie bereits in die Diskussion integriert wurden und ob sie in diesem Zusammenhang neue Arbeitsstrukturen geschaffen haben, und welche Aufgaben und Kompetenzen den Ländern und den Kommunen übernehmen sollen. Die Auswertung der Parteienumfrage ist mit diesem Beitrag abgeschlossen worden. Die Umfrage bei den Kommunalen Spitzenverbänden dauert noch an. Sie wird ebenfalls öffentlich ausgewertet.

Von den Parteien haben geantwortet:

Baden-Württemberg FDP; Bayern SPD/ Die GRÜNEN: Bremen CDU / SPD / Die GRÜNEN/FDP: Hessen CDU/Die GRÜNEN; Nordrhein-Westfalen SPD / FDP / CDU / DIE GRÜNEN; Niedersachsen Die GRÜNEN; Rheinland-Pfalz SPD / Die GRÜNEN; Schleswig-Holstein CDU; Saarland?

Nach Sichtung des Materials lassen sich einige Schlüsse ziehen. Militär ist weiterhin ein Tabuthema in Deutschland. Für viele Politiker schien es selbstverständlich, daß kaum Daten vorlagen. Immerhin ist die Datenerhebung für eine umfassende Diskussion in Gang gesetzt worden, wird aber den Ansprüchen und den Folgen des zu erwartenden Konversionsprozesses nicht gerecht. Außerdem dient der Hinweis auf Arbeitsgruppen und Datenerhebung als »Vertröstungsargument«. Die meisten Parteien haben noch keine Konzepte oder vertrauen auf althergebrachte »Wirtschafts-Weisheiten«, Militär mit Großindustrie zu ersetzen etc. Die Rolle der Betroffenen wird klein geschrieben. Die Kommunen und die Ökologie tauchen zum großen Teil am Rande und/oder als Schlagwort auf. Konzeptionelle Einbindungen oder das Aufzeigen von Zusammenhängen unterblieben entsprechend. Auch auf die Informationen der Friedensforschung wird selten zurückgegriffen. Kollegen von der HSFK machten z.B. wichtige Angaben für die Diskussion auf Landesebene: obwohl die US-Truppen in Hessen demnächst um ein Viertel geschmälert sind, werden lediglich 50 ha Fläche aufgegeben (FR v.27.8.90). (Dies führt zu einer ganz einfachen aber wichtigen Forderung: In Relation zum Truppenabbau muß der Übungsbetrieb abnehmen und entsprechende Militärfläche zivilisiert werden!) Auch bei den Konzepten der GRÜNEN gab es Hilfestellung aus der Friedensforschung.

Allein das Militär nutzt die Zeit, um sich selbst abzurüsten. Das dies nichts mit Konversion sondern mit Truppenbewegung zu tun hat, wurde schon erwähnt.

Im Folgenden wurden die wichtigsten Aussagen der uns zugeschickten Papiere zitiert und zusammengefasst.

Einzelne Aussagen

Detailierte Angaben über das »wie« des Vorgehens bei der Abrüstung gibt es wahrlich wenig. Die Meinung der Bundesregierung kann man einzelnen Antworten auf parlamentarische Anfragen im Bundestag entnehmen. Auf die gezielt gestellten Fragen ist bei der Beantwortung der Umfrage seitens der Parteien selten eingegangen worden. Deshalb mußte für einzelne Parteien auf Anfragen, Anträge und Redebeiträge zurückgegriffen werden. Es gilt das gesprochene (geschriebene) Wort.

Die Bundesregierung antwortete auf die Frage der GRÜNEN nach Konzepten für die Regionale Konversion:

„Die Erarbeitung von Programmen zur regionalen Konversion ist Aufgabe der Bundesländer und der Gemeinden. Der Bund kann – erforderlichenfalls – nur flankierend tätig werden“ (Wimmer 1990). Aus der Beantwortung einer Anfrage der SPD zur Rüstungs-und Standortkonversion (Bt. Drs. 11/7441 v. 20.6.90) geht hervor, daß die Bundesregierung ehemals militärische »wirtschaftliche Ressourcen« in Umweltschutzmaßnahmen fließen lassen möchte. Zwar könnte es durch Abrüstung regionale und sektorale Anpassungsschwierigkeiten geben, doch läßt sich mangels Daten noch nichts sagen. Die Sozialverträglichkeit bei der Umstrukturierung wird geprüft, wobei Abrüstung vor allem in Ballungsgebieten stattfinden soll. Für die Region: „Flankierende Maßnahmen können nicht global konzipiert werden. Sie müssen konkret bei den jeweiligen Regionen ansetzen. Da die betroffenen Regionen und der Anpassungsbedarf gegenwärtig noch nicht bekannt sind, gilt es rechtzeitig Vorbereitungen für eventuell notwendig werdende Maßnahmen zu treffen“. Und weiter: „Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß die notwendige Anpassung in manchen Regionen, oder bei einzelnen Unternehmen besonderer Anstrengungen bedarf. Hier sind alle gefordert, Unternehmen ebenso wie Arbeitnehmer und politisch Verantwortliche auf allen Ebenen“. Es werden mögliche, wirtschaftliche Hilfen genannt, aber immer wieder darauf verwiesen, daß es keine Daten gibt. „Der wirtschaftliche Verlust, der als Folge von Standortauflösung oder Verkleinerungen zu erwarten ist, kann jeweils nur im konkreten Einzelfall ermittelt werden.“

  • Die Bundesregierung will die Konversionsproblematik und die Vereinbarkeit von national flankierenden Maßnahmen mit EG-rechtlichen Vorschriften mit der Kommission der Europäischen Gemeinschaften erörtern.
  • Die Raumwirksamkeit der militärischen Anlagen ist zu berücksichtigen. Die »Gemeinschaftsaufgabe 'Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur' nach Artikel 91 a GG« soll herangezogen werden.
  • Finanzhilfen nach dem auf Artikel 104 a Abs. 4 GG beruhenden Strukturhilfegesetz sind ebenfalls denkbar. Für 10 Jahre sind lediglich 2,45 Mrd. DM veranschlagt.
  • Das Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes steht zur Verfügung.
  • Die Bundesregierung geht weiter davon aus, daß „ein Großteil“ der durch militärische Standorte geprägten Regionen zum „Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe“ gehört. Verplanbar jährlich nur 1,5 Mrd DM. Es sei aber Sache der Länder beim Einsatz der Bundesmittel „zusammen mit den Gemeinden eine sachliche und regionale Schwerpunktsetzung vorzunehmen“. Gravierende Altlastenfälle auf alliierten Liegenschaften sind der Bundesregierung jedoch nicht bekannt und die Sanierung müßten die Alliierten selbst tragen!

Es besteht seit Februar 1990 eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundeswirtschaftsministerium mit Ressorts aus dem Auswärtigem Amt, Bundesministerium der Finanzen, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Bundesministerium der Verteidigung, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bundesministerium für Forschung und Technologie sowie das Bundeskanzleramt. Diese Arbeitsgruppe trägt (wahrscheinlich) den Namen »Konversion«. Erst am 24.4.1990 wurde beschlossen, Ländervertreter zur nächsten Sitzung einzuladen. Dies war jedoch bis zum 16.7.90 nicht der Fall gewesen, wie die schleswig-holsteinische SPD-Landesregierung bedauerte (Lt.-Drs Sch.-H. 12/941). BundestagsAbgeordneter Nolting (SPD) fragte nach, ob in der Arbeitsgruppe „neben den Ländern auch die Spitzenverbände der Kommunen teilnehmen sollten“, was am 18. Mai mit Beantwortung der Frage noch vonder Bundesregierung geprüft wurde (Vgl. Bt-Drs. 11/7229 Frage 26).

Zum Thema wissenschaftliche Begleitung des Abrüstungsprozeßes: Die Bundesregierung läßt mit einer Studie die Auswirkungen von Veränderungen der Rüstungsplanung erfassen. Sollten Flächen freiwerden, prüft der Bundesminister der Verteidigung, „ob für die Liegenschaften militärischer Anschlußbedarf der Bundeswehr oder anderer alliierter Streitkräfte besteht“. Erst dann gehen sie eventuell an den Eigentümer oder in das Bundesvermögen über.

Bayern

In Bayern fordern die Gewerkschaften „runde Tische auf allen Ebenen“. Die Landesregierung verweist in einer Antwort auf eine Interpellation der SPD »Truppenreduzierung« (Pl.-Pr. 11/130 Anl. 3 v. 16.5.90) ebenfalls auf das Instrumentarium der Gemeinschaftsaufgabe »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur«. Falls das Gebiet noch gar nicht förderungswürdig ist, kann es zur Ausweisung als Sonderförderungsgebiet vorgeschlagen werden. Eine »regionalpolitische Flankierung« des Truppenabbaus sollte jedoch in allen Bundesländern nach gleichen Maßstäben verlaufen. Strukturpolitisch findet sie einen Abzug in Ballungsgebieten sinnvoller als in strukturschwachen Räumen. Auf Initiative Bayerns hat sich eine Arbeitsgruppe der Länderwirtschaftsministerkonferenz gebildet. Breite Informationsgrundlage für die Behandlung der mit Truppenreduzierungen und Abrüstungsmaßnahmen zusammenhängenden strukturpolitische Fragen erhält die Staatsregierung aus dem Unterausschuß für Gemeinschaftsaufgabe, an dessen Sitzungen neben Vertretern der Bundesministerien und der Wirtschaftsministerien der Länder auch Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit, der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung, des Deutschen Städtetags, des Deutschen Landkreistags und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes teilnehmen. Weiterhin wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe auf Beamtenebene unter Beteiligung des Staatskanzlei sowie der Staatsministerien des Innern, der Finanzen, für Wirtschaft und Verkehr, für Arbeit und Sozialordnung und für Landesentwicklung und Umweltfragen eingerichtet. Es gäbe keinen Anlaß ein Gremium (Kommission) für Abrüstungsfolgen einzurichten. Kein Bundesland hat, so die Landesregierung, bisher soviel Information herausgegeben, wie in der Antwort auf die Interpellation. Selbstverständlich sei die Staatsregierung bereit, bei der Entwicklung von Konzepten (die noch ausstehen wegen fehlender Daten), „auch regionale Vorstellungen zu berücksichtigen“ (S.8). Verläßliche Daten für Konzeptionen sieht sie allerdings erst im Jahre 1991 gewährleistet (S.7). Regionale Vorstellungen können im Rahmen der bestehenden Verwaltungsstrukturen „ggf. unter Einschluß der regionalen Planungsverbände“ aufgenommen werden. „Sollten sich gegenwärtig noch nicht absehbare regionale Belastungen ergeben, ist die Staatsregierung bereit zu prüfen, ob hierfür (…) besondere administrative Vorkehrungen getroffen werden müssen“ (S.11).

„Systematische Untersuchungen von militärisch genutztem Gelände auf Altlasten sind nach Kenntnis des Staatministeriums des Innern nicht vorgenommen worden“ (S.11).

Die GRÜNEN glauben, daß man mit diesen Arbeitgruppen der Flächenkonversion, die jetzt im Mittelpunkt steht, nicht gerecht werde. Der neuen Entwicklung werden sie nach ihren Worten gerecht durch einen Antrag auf einen »ökologischen Land- und Bodennutzungsfond«. Echte Abrüstung unterscheidet sich von Pseudoabrüstung anhand der Freigabe der Liegenschaften für zivile Zwecke. Träger des Bodennutzungsfonds sind das Land, die Kommunen und die Verbände umweltschützender Belange, Arbeitsämter, die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern und die Gewerkschaften. Aufgabe ist die Vergabe der Liegenschaften für die ökologisch sinnvollste Nutzung. Dies können sowohl Naturschutzgebiete als auch umweltschonende Industrien sein. Es wird ein Sonderfond „Umbau militärisch belasteter in zivile Regionen“ gefordert, der dezentral verfügt und verwaltet werden kann. Ein landesweites Programm zur „eigenständigen Regionalentwicklung“ soll ebenfalls entwickelt werden. Der Bund soll Geld für wissenschaftliche Militärbelastungsstudien zur Verfügung stellen. Weiterhin soll es ein Sofortprogramm zur Finanzierung von Arbeit und subsidäre Beschäftigungsgarantien geben. Aus lokalen Initiativen müssen lokale Planungsgruppen erwachsen.

Die SPD bemängelt die Kriterienlosigkeit der Staatsregierung. Auch gäbe es keine Listen über Verkehrs- oder Umweltbelastung oder Wohnungssituation einzelner Standorte. Es wird gefragt, warum noch keine Gespräche mit Oberbürgermeistern, Landräten, Gewerkschafter etc, geführt wurden. Bei der Erarbeitung von Kriterien darf es nicht nur danach gehen, wo der Abbau am geringsten soziale, wirtschaftlich und politische Schwierigkeiten verursache. Kriterien der Belastung sind ebenfalls zu berücksichtigen. Die Kommissionen müßen durch Runde Tische auf allen Ebenen ergänzt werden, an denen Oberbürgermeister, Landräte, Gewerkschaften, Kammern „und was man sich sonst noch vorstellen kann“, zusammenkommen.

Hessen

In Hessen gab es bereits am 8.2.90 eine Debatte zur Konversion.Das Anliegen der CDU-Landesregierung ist es, vorrangig in Ballungsgebieten Truppen zu reduzieren. Ministerpräsident Wallmann hat den Staatsminister für Finanzen beauftragt, „sich in Verhandlungen mit dem Bund für eine Abgaberegelung einzusetzen, die den Interessen der Kommunen gerecht wird. (…) Die Landesregierung hat aber stets deutlich gemacht, daß freiwerdende Flächen in erster Linie für Kommunale Aufgaben, insbesondere für den Wohnungsbau, zur Verfügung stehen müssen“ (Wallmann 1990 S.2). In einem gemeinsamen Eilantrag mit der FDP „Entlastungen von Verteidigungsmaßnahmen auf der Grundlage der Erfolge der Abrüstungspolitik und der Revolution in Osteuropa“ v. 5.2.90 werden einige bemerkenswerte Forderungen aufgestellt. Auszüge: „6. Abschluß von Überlassungsvereinbarungen für alle den ausländischen Streitkräften überlassenen Liegenschaften.(…) 9. Benennung von Ländervertretern durch den Bund, denen im Rahmen der Vorschriften des Zusatzabkommens (Art.6 des Unterzeichnungsprotokolls zu Art. 53 Zusatzabkommen) Zutritt zu den Liegenschaften zu gewähren ist.(…) 11. Das Einräumen der Möglichkeit für die betroffenen Kommunen, möglichst frühzeitig an der Abstimmung und Vereinbarung von Programmen für die notwendigen Bauvorhaben ausländischer Truppen teilzuhaben (Art. 49 Abs. 1 und II ZA). (…) 14. Die Einführung des »Benehmens« mit dem betroffenen Land und der Gemeinde bei Landbeschaffungsmaßnahmen für ausländische Truppena“.

Allerdings handelt es sich anscheinend nur um Maßnahmen für eine demokratisierte Aufrüstung.

Die GRÜNEN bescheinigen in der Debatte zu diesem Antrag der Landesregierung „zögerliche Reduzierungsforderungen“ und halten z.B. den Abschluß von Überlassungsvereinbarungen für „historisch restlos überholt“.

Die FDP fragt im gleichen Zusammenhang, warum es bisher keine vertraglich fixierten Möglichkeiten gab, „daß Vertreter der Länder regelmäßig Zutritt zu den Liegenschaften haben, (…) daß Gemeinden möglichst frühzeit an der Abstimmung und Vereinbarung von Programmen für die notwendigen Bauvorhaben der ausländischen Truppen beteiligt werden?“

Die SPD nennt neun Baumaßnahmen, die sofort gestoppt werden sollten.

Weiteren Dokumenten und Anträgen der GRÜNEN kann man ein umfassendes Konversionskonzept entnehmen. In Ihrem Antrag »Sofortprogramm zur Entmilitarisierung und Rüstungskonversion« (Lt-Drs. 12/6582 v. 3.5.90) heißt es u.a.: „2. Die Landesregierung wird aufgefordert, im Bundesrat auf ein Gesetz zur zivilen Neunutzung militärischer Liegenschaften hinzuwirken. Militärische Liegenschaften sollen in einen Land- und Bodennutzungsfond eingebracht werden. Hierzu ist den Kommunen Vorkaufsrecht einzuräumen. 3. (…) Möglichkeiten einer sinnvollen Umnutzung sind in den betroffenen Kommunen und Regionen durch Einrichtung von Runden Tischen öffentlich zu erörtern. 4. Die Beschäftigungsprobleme der Entmilitarisierung sollen nicht durch Förderung von Arbeitsplätzen „um jeden Preis“, sondern vielmehr unter Berücksichtigung ökologischer un sozialer Aufgabenstellungen gelöst werden. Daher soll die Landesregierung unter finanzieller Beteiligung des Bundes ein landesweites Förderprogramm »Eigenständige Regionalentwicklung« auflegen (…). 5. Die Landesregierung setzt sich über den Bundesrat für die Schaffung eines blockübergreifenden europäischen Entwicklungsfond ein, dessen Aufgabe besonders der Umbau militärisch belasteter in zivil genutzte Regionen ist.(…) 7. Die Landesregierung wird aufgefordert, eine Kommission für Entmilitarisierung und Konversion unter Einbeziehung der Landkreise und Kommunen einzurichten, der die erforderlichen Schritte und Maßnahmen laufend berät.“ (Die GRÜNEN Hessen 1990b)

In dem Programm „Ein militärfreies Hessen in einem entmilitarisierten Deutschland“ (Die GRÜNEN Hessen 1990c) verlangen sie eine umfangreiche Bestandsaufnahme (landesweite militärische Belastungsanalyse). Es soll eine öffentliche Erörterung in ständigen Gesprächskreisen (runden Tischen) „auf Ebene der Kommunen und Kreise erfolgen“. Eine Stiftung auf Landesebene soll den geforderten Bodennutzungsfond verwalten. Träger wären Land, Kommune, Kreise, Umweltverbände etc. „Die betroffenen Kommunen sollen Vorschläge zur Nutzung machen und bei Nutzungsentscheidungen nicht überstimmt werden können“. Weiterhin soll ein Sofortprogramm Regionale Konversion zur Neuorientierung der Wirtschaftsstrukturen in den betroffenen Gebieten eingerichtet werden. „Zur Abwicklung des Programms und zur Beratung von Kommunen, Landkreisen, Betrieben und Arbeitsämtern ist auf Landesebene ein Konversionsbeirat einzurichten, in dem betroffene Unternehmen, Gewerkschaften, Wissenschaftler, Verbände und Initiativen vertreten sind. Konversion ist als Teil einer alternativen Regionalentwicklung zu sehen. (…)“

Niedersachsen

In Niedersachsen haben Die GRÜNEN ein umfangreiches Konversionskonzept erstellt. Eine Reduzierung in Ballungsgebieten, wie sie sich z.B. der niedersächsische Innenminister Glogowski (SPD) vorstellt, sei „abrüstungstechnisch nicht möglich“. Die GRÜNEN verweisen in ihrem Papier (Die GRÜNEN Niedersachsen 1990b) darauf, daß die Übergabe der Liegenschaften ein äußert komplexer Vorgang ist. Deswegen müssten schon heute notwendige Sanierungsmaßnahmen geprüft werden. Dabei gilt es gemäß Art. 41 NATO-Truppenstatut Zusatzabkommen einen vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Schaden auszumachen. „Da vorhandene Schäden bei Rückgabe der Liegenschaften mit dem Restwert von Investitionen, die aus eigenen Mitteln des Entsendestaates finanziert worden sind, abgegolten werden (Art. 52 Abs. 1 ZANTS), sollte eine Schadensregulierung zu diesem Zeitpunkt einvernehmlich erzielt sein“. Für eine Planung ist die zügige Rückgabe der Flächen wichtig. „Eine Änderung der Verwaltungsvorschriften zur Bundeshaushaltsordnung, wonach der Bund in seinem Besitz befindliche Flächen nur zum vollen Verkehrswert mit einem maximalen Abschlag von 15% veräußern darf“ ist ebenfalls erforderlich, um sie den Kommunen als „Ausgleich für die jahrelang durch die militärische Nutzung getragenen Belastungen“ kostengünstig übergeben zu können. Der Finanzausgleich gemäß Art. 114 Grundgesetz an die betroffenen Kommunen muß mindestens drei Jahre weitergezahlt werden. Mit der Umstrukturierung des NATO-Infrastrukturprogramms und anderen Maßnahmen soll ein Sonderprogramm »Abrüstungsfolgen« im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur« eingerichtet werden, welches aufgrund der in dem Papier gemachten Rechnungen auf Landesebene 900 Millionen und auf Bundesebene insgesamt 4,5 Milliarden DM betragen muß.

Die FDP fordert in Ihrem Antrag „Abbau der militärischen Belastung in Niedersachsen“ (Lt-Drs. 12/11 v.13.6.90) ein Mitspracherecht der Länder beim Truppenabzug. Auch sollen die betroffenen Gemeinden möglichst frühzeitig an der geplanten Schließung von Militärstandorten beteiligt werden. Sie sollen auch möglichst frühzeitig bei der Aufstellung von Bauprogrammen beteiligt werden. Eine weitere Gesetzesänderung soll beim Landbeschaffungsgesetz ergehen: „Die Landbeschaffungsmaßnahmen der ausländischen Truppe sind von der Herstellung des 'Benehmens' mit dem Land bzw. mit der Gemeinde abhängig zu machen. Von der Landesregierung erwarten sie ein Konzept“ zur Verwendung bisher militärisch genutzter Flächen für Zwecke des Umwelt- und Naturschutzes, des Fremdenverkehrs oder der Gewerbeansiedlung. „Insbesondere ist verstärkt auf die Rückgabe von Liegenschaften bei fehlendem Bedarf oder einseitig überwiegenden deutschem Interesse zu dringen (Art. 48 Nato-Truppenstatut-Zusatzabkommen Abs. 5).“. Im Plenum ermahnte der FDP-Abgeordnete Rehkopf, „die Veränderungen planerisch und demokratisch zu begleiten. Dies erfordert ein Mitspracherecht der Länder und der Gemeinden. Dies ist sowohl aus ökologischen und raumordnerischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen geboten“.

Die SPD-GRÜNEN-Landesregierung konzipierte im April 1990 eine interministerielle Arbeitsgruppe »Auswirkungen von Strukturveränderungen von Streitkräften« die im September eine Kabinettsvorlage erarbeitet hat, die allerdings zur Zeit noch einmal ergänzt werden muß. In dem Koalitionsregierungspapier wurde dieser Arbeitsgruppe ein detailierter Arbeitsauftrag gegeben, der weit über eine normale Bestandsaufnahme hinaus geht. Auch wurde unter einem eigenen Punkt die zivile Rückführung Alliierter Liegenschaften geregelt: „Die Landesregierung wird die Bundesregierung auffordern, bei den Alliierten auf eine Freigabe militärisch genutzter Liegenschaften zu drängen und zwar auf Grundlage

der laufenden Überprüfung (Art. 48 Abs. 5 lit a.S. 1 ZA-NTS)

  • einer Überprüfung auf Verlangen der deutschen Behörden (Art. 48 Abs. 5 lit. a. S.2 ZA-NTS)
  • eines eindeutig überwiegenden deutschen Interesses an der Nutzung (Art. 48 Abs. 5 lit. b. ZA-NTS). Die Voraussetzung für eine Auswahl nach (lit.) c) erfolgt auf Grundlage der Ergebnisse der Interministeriellen Arbeitsgruppe“.

„Das Land erwartet vom Bund auch finanzielle Unterstützung bei der Standortkonversion. Soweit notwendig wird durch Weiterzahlung der Schlüsselzuweisungen für eine näher zu bestimmende Übergangszeit und durch gezielte Strukturhilfen ein eigener Beitrag geleistet“.

Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen schrieb die SPD in der Antwort auf die Umfrage: „Land und Gemeinden müssen jetzt, in einem sehr frühen Stadium des Entscheidungsprozesses, deutlich machen, wie die Truppenreduzierung aus ihrer Sicht sinnvoll ablaufen sollte. Möglichst frühzeitig müssen das Land, die Gemeinden und nicht zuletzt auch die betroffenen Arbeitnehmer informiert werden, damit sie sich rechtzeitig auf die neue Situation einstellen können. Informationen über den Umfang der betroffenen Standorte, oder gar über einzelne Konversionsprojekte liegen noch nicht vor“ (SPD-NRW 24.9.1990). In einem Antrag „Folgen und Chancen des Truppenabbaus in NRW“ (Lt-Drs. 11/165) v. 14.8.90 heißt es u.a., daß die durch den Truppenumbau freiwerdenden Kapazitäten und Ressourcen „zu einem ökologischen und ökonomischen Umbau der betroffenen Regionen genutzt werden (können). Dazu müssen die bisher militärisch genutzten Liegenschaften in eine zivile und umweltverträgliche Nutzung unter Beteiligung der Verantwortlichen in den Regionen überführt werden“. Die SPD-Landesregierung wird aufgefordert „Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Stellen in den betroffenen Regionen zu ergreifen (…).“ Weiterhin wird die Landesregierung gebeten darauf hinzuwirken, daß

  • unbeschadet einer notwendigen Änderung des NATO-Truppenstatuts die deutschen Behörden und kommunalen Instanzen an Truppenstandorten rechtzeitig über Veränderungen informiert und in den Entscheidungsprozeß miteinbezogen werden;
  • der Bund ehemals militärisch genutzte Gelände und die dazu errichteten Wohnanlagen den Kommunen zu angemessenen Bedingungen zur Verfügugn stellt.“

Die SPD-Landesregierung hat eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese wird aufgefordert, bis zum 1.12.90 ein Bericht zu erstellen. In der Debatte zum Antrag am 23.8.90 sagte der Abgeordnete Homberg (SPD): „Wir müssen die Abrüstung sozial, ökologisch, arbeitsmarktpolitisch, strukturpolitisch und städtebaulich begleiten“.

Die FDP will, daß die Landesregierung über „die Folgewirkungen des Truppenabbaus berichten und auch ein Konzept über landespolitische Maßnahmen vorlegen soll“. Bei den freiwerdenden Flächen sieht sie neuen Wohnraum für Asylbewerber und Naturschutzgebiete als eine der Alternativen.

Die CDU fordert in ihrem Antrag „Strukturhilfeprogarmm für die künftige Nutzung bisheriger Militärstandorte“ (Lt-Drs. 11/221 v. 22.8.90) für einen „ausreichenden zeitlichen Vorlauf“ eine enge Abstimmung zwischen Landes- und Bundesregierung mit den Streitkträften. Es soll eine gemeinsame Arbeitsgruppe »Truppenabbau« mit Vertretern der Länder, des Bundes und der alliierten Streitkräfte gebildet werden. Im Rahmen eines Nutzungsprogrammes sollen „alle derzeit militärisch genutzten Grundstücke im Hinblick auf künftige Folgenutzungen“ erfasst und überprüft werden. „Hierbei sind Truppenübungsplätze vorrangig einer ökologischen Nutzung zuzuführen“.

Die Landesregierung wird aufgefordert, die landeseigenen Investitions- und Förderprogramme dahingehend umzuändern, daß vom Truppenabbau betroffene Kommunen vorrangig bedacht werden“.

Die GRÜNEN fordern in ihrem umfassenden Antrag v. 22.8.90 u.a. „die Regionalförderung (…) auch auf Entmilitarisierungs- und Konversionsaufgaben auszurichten“ sowie auf Landesebene „ein Institut für Friedensforschung, Entmilitarisierung und Rüstungskonversion“ einzurichten. Freiwerdendes Gelände soll zivilisiert bzw. der Natur zurückgegeben werden. „Der Bund soll diese Gelände den Ländern (…) zu finanziell tragbaren Konditionen übereignen; hierzu wird ein ökologischer Land- und Bodennutzungsfond eingerichtet, dessen Träger jeweils die Landesregierungen, Kommunen und Umweltschutzverbände sind“ (Die GRÜNEN Nordrhein-Westfalen 1990).

Rheinland-Pfalz

Rheinland-Pfalz ist das Konversionsland. Hier begann die Diskussion um den Abzug der US-Truppen und hier wurden bereits weit vor dieser Diskussion einzelne Konzepte der Reginalen Konversion erarbeitet.

Die GRÜNEN reichten am 26.4.90 einen umfassenden Antrag mit dem Titel „Entmilitarisierung und Konversion in Rheinland-Pfalz“ (Lt-Drs. 11/4014) in den Landtag ein, der für alle GRÜNEN Anträge bundesweit als Argumentationshilfe bzw. als Vorlage für Anträge in anderen Landesparlamenten genutzt wird. „I.2.(…) Die durch eine Entmilitarisierung freiwerdenden Kapazitäten und Ressourcen könnten zu einem ökologischen und demokratischen Umbau der Regionen in Rheinland-Pfalz genutzt werden. 3. Der Landtag Rheinland-Pfalz stellt fest, daß eine solche zivile und ökologische Umgestaltung nur dann möglich ist, wenn die bisher militärisch genutzten Liegenschaften in eine zivile und umweltverträgliche Nutzung überführt werden (…). (…) II.5. Die Landesregierung wird aufgefordert, einen Gesetzentwurf im Bundesrat einzubringen, der die Überführung von Liegenschaften, die bisher zum Zwecke der Verteidigung genutzt wurden, in die zivile Nutzung regelt.

In diesem 'Gesetz zur zivilen Neunutzung' sollen die Verfügungsberechtigung über die bislang militärisch genutzten Liegenschaften, ihre Sanierung und die spezifischen ökologischen Bedingungen für eine zivile Neunutzung geregelt werden. 6. Damit sichergestellt wird, daß die 'Pfründe des Friedens', die bei einer Freigabe militärischer Nutzung entstehen, nicht verschleudert werden, sollen die Liegenschaften in eine 'Stiftung Ökologische Land- und Bodennutzung Rheinland-Pfalz' eingebracht werden. (…) Träger dieser Stiftung sind das Land, die Kommunen, die Verbände umweltschützender Belange und die Gewerkschaften. Aufgabe dieser Stiftung (ist) die Vergabe und die Sicherstellung der ökologisch sinnvollsten Nutzung der Liegenschaften. 7. Unter finanzieller Beteiligung des Bundes legt die Landesregierung ein landesweites Förderungsprogramm `Eigenständige Regionalentwicklung'auf. (…) (Es) soll schwerpunktmäßig in den militärisch belasteten Regionen in Rheinland-Pfalz zum Zuge kommen. (…) 11. Die Landesregierung setzt sich für die Schaffung eines blockübergreifenden Europäischen Entwicklungsfond ein, dessen Aufgabe speziell der Umbau militärisch belasteter in zivile Regionen ist. (…) 13. Die Landesregierung setzt sich im Bundesrat dafür ein, daß die Bundesregierung einen Finanztopf einrichtet, aus dem die von der Militarisierung betroffenen Gemeinden und Kreise wissenschaftliche Militär-Belastungs-Studien und kleinräumige Entwicklungsgutachten in Auftrag geben und finanzieren können. 14. Die Landesregierung wird aufgefordert,

  • ein Amt für Entmilitarisierung und Konversion zur Abwicklung der erforderlichen Schritte und Maßnahmen einzurichten und
  • darüber hinaus den Aufbau eines unabhängigen rheinland-pfälzischen Friedensforschungs-Institutes finanziell zu stützen.“

Die SPD legte am 25.1.90 ein Konzept „Umbau in militärisch geprägten Regionen“ (SPD-Rheinland-Pfalz 1990a) vor, welches am 14.3.1990 in einer Anhörung im Landtag erörtert wurde (Vgl. SPD-Rheinland-Pfalz 1990b). Der Bund wird in dem Konzept aufgefordert, die Verantwortung zu übernehmen und in den nächsten 10 Jahren jährlich min. 500 Mio DM bereitzustellen. Ein Flughafen muß geräumt werden und als Fracht- und Charterflughafen genutzt werden. „Dessen Attraktivität steigt, wenn sein Standort mit dem Bau der geplanten Schnellbahntrasse verbunden wird“. Weiter soll eine große Industrieansiedlung im Raum Trier/Eifel mit Siemens, Daimler u.a. vereinbahrt werden. Es soll eine „Abrüstungsagentur“ geschaffen werden und die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut werden. Bundeswehreinrichtungen seien aus den Städten (z.B. entlang des Rheins) herauszunehmen. „Damit soll die Bundeswehr aufs Land gehen (! O.A.) und Wohnungen und Grundstücke in den Ballungsgebieten räumen. Damit wird zusätzliche Kaufkraft aufs Land gebracht(…)“.  Es wird eine landesweite Konferenz mit Kommunalpolitikern und Vertretern der Wirtschaft und der Arbeitnehmer der Städte und Gemeinden mit den militärischen Einrichtungen in Rheinland-Pfalz gefordert. Die Datenlage soll verbessert werden und die Konzepte sollen vorort vertieft werden, um „örtlichen Sachverstand zu erschließen“.

Die CDU-Landesregierung erarbeitete geheimgehaltene Papiere, aus denen hervorgeht, wie wenig Sachkenntnis über Art und Umfang der militärischen Nutzung des Landes bekannt ist. Sie entwickelte und veröffentlichte ein „18 Punkte Sofortprogramm zur wirtschaftlichen Entwicklung bisheriger Militärstandorte“ (Landesregierung Rheinland-Pfalz 1990). Darin fordert sie ein Mitspracherecht bei der Festlegung der zu schließenden Standorte. Sie will Standorte auf Umnutzung überprüfen. Sie fordert ein „Militärstandorte Sonderprogramm im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe 'Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur'(GA)“ mit jährlichen Mitteln von 50 Mio DM über einen Fünfjahres-Zeitraum. Weiterhin soll es ein Regionales Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft zur wirtschaftlichen Umstrukturierung der militärisch besonders belasteten Gebiete mit einem Volumen von ebenfalls 50 Mio. DM geben. Die Gelände sollen den Kommunen altlastenfrei übergeben werden. Industrie- und Gewerbeparks sollen angesiedelt werden, die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut und Flughäfen zivil genutzt werden. „Die Planungshoheit von Gemeinden bei der Umwandlung von bisher militärisch genutzten Liegenschaften ist in besonderer Weise gefordert. Die Landesregierung wird die betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften bei der Aufstellung kommunaler Entwicklungskonzepte unterstützen“. Es soll weiterhin eine Beratungs- und Betreuungsgruppe vor Ort eingesetzt werden, „die die Kommunen über Möglichkeiten zur Verbesserung der Infrastruktur und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze im Rahmen des Abbaus militärischer Einrichtungen berät und in der späteren Phase betreut“.

Der CDU-Landesvorsitzende Wilhelm forderte am 26.9.90, „freiwerdende militärische Liegenschaften (…) den Kommunen kosten- und altlastenfrei zurückzugeben“.

Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein antwortete die CDU, daß auch die jeweilige Kommune im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbstverständlich Verantwortung dafür trägt, die Folgen der Truppenreduzierung möglichst sozialverträglich und wachstumsfördernd zu gestalten (CDU-Sch-H. 1990).

Die Landesregierung hat am 26.1.90 eine Interministerielle Arbeitsgruppe zur Begutachtung der wirtschaftlichen Folgen der Abrüstung eingesetzt. Im Mai gab es einen umfangreichen Zwischenbericht. Die Landesregierung hat beschlossen „Eckpunkte für ein Landesprogramm 'Perspektiven zur Umstrukturierung bisheriger Militärstandorte' demnächst im einzelnen mit der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Landesverbände, der Arbeitsverwaltung, den Gewerkschaften, Unternehmensverbänden, Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern im Lande zu erörtern“, wie sie auf Anfrage der CDU bekanntgab. (Lt-Drs. 12/941).

Literatur

Achilles, Olaf: Militärische Belastungsanalyse und Regionale Konversion; köf-Reihe Bd. 2; Verlagshaus Riedmühle; Alheim 1990
ders./MÖP e.V.: Stellungnahme zu der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD „Zivilisationsverträglichkeit von Verteidigungsvorhaben im Frieden“ (Bt-Drs. 11/7826 v. 10.9.90) v. 11.10.90 (1990b)
ders./MÖP e.V.: „Verschwiegene Umweltbilanz der Bundeswehr“; in: Ökologische Briefe 42/90
Bayrische Staatsregierung: Antwort auf die Interpellation der Abg. … und der Fraktion der SPD »Truppenreduzierung« (Lt-Drs. 15 659) in: Plenar-Protokoll 11/130 Anlage 3 v. 16.5.90)
Bundesregierung: Antwort auf die Große Anfrage der SPD „Rüstungs- und Standortkonversion – Maßnahmen zum Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen der Abrüstung in strukturschwachen Regionen“ (Bt-Drs. 11/7441 v. 20.6.90)
dies.: Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD „Zivilisationsverträglichkeit von Verteidigungsvorhaben im Frieden“ (Bt-Drs. 11/7826 v. 10.9.90)
CDU-NRW: „Strukturhilfeprogarmm für die künftige Nutzung bisheriger Militärstandorte“ (Lt-Drs. 11/221 v. 22.8.90)
CDU-Schleswig-Holstein: Brief an die MÖP e.V. v. 25.9.90
Die GRÜNEN-Hessen: Brief an die MÖP e.V. vom 16.10.90 (Die GRÜNEN Hessen 1990a)
dies.: „Sofortprogramm zur Entmilitarisierung und Rüstungskonversion“ (Lt-Drs. 12/6582 v. 3.5.90) (Die GRÜNEN Hessen 1990b)
dies.: „Ein militärfreies Hessen in einem entmilitarisierten Deutschland“; Landesdelegiertenversammlung v. 26.8.90 (Die GRÜNEN Hessen 1990c)
Die GRÜNEN Niedersachsen: „Ohne Rüstung ins nächste Jahrtausend“,; Hannover 10.4.90 (1990a)
dies.: „Sozialverträgliche Gestaltung der Abrüstung in Niedersachsen“; Hannover 20.8.90 (1990b)
Die GRÜNEN-Nordrhein-Westfalen: „Änderungsantrag der Fraktion die GRÜNEN zum Antrag der Fraktion der SPD Folgen und Chancen des Truppenabbaus in NRW“ 11/222 v. 22.8.90
Die GRÜNEN Rheinland-Pfalz: „Entmilitarisierung und Konversion in Rheinland-Pfalz“ (Lt-Drs. 11/4014 v. 26.4.90)
FDP-Niedersachsen: „Abbau der militärischen Belastung in Niedersachsen“ (Lt-Drs. 12/11 v.13.6.90)
Frankfurter Rundschau: „Potsdam lehnt Exerzierplätze ab“ 13.10.90
dies.: „Friedensforscher: Army müßte mehr Fläche räumen“ 27.8.90
dies.:„Gilftgas-Depot zivil nutzbar“ v. 18.10.90
GAO: „Military Bases – An Analysis of the Commission's Realignment and Closure Recommendations“
Landesregierung von Baden-Württemberg : Stellungnahme auf den Antrag der FDP: „Strukturpolitische Auswirkungen der geplanten Truppenreduzierung verbündeter Streitkräfte“ (Lt-Drs. 10/2971)
Landesregierung Rheinland-Pfalz: „18 Punkte Sofortprogarmm zur wirtschaftlichen Entwicklung bisheriger Militärstandorte“; (Mai 1990)
dies./Ministerium für Wirtschaft und Verkehr, Rheinland-Pfalz: „Die wirtschaftliche Bedeutung des militärischen Sektors für die Städte und Kreise in Rheinland-Pfalz“; Mainz 28.September 1990
SPD-NRW: „Folgen und Chancen des Truppenabbaus in NRW“ (Lt-Drs. 11/165) v. 14.8.90
SPD-Rheinland-Pfalz: „Umbau in militärisch geprägten Regionen“ v. 25.1.90 (SPD-Rheinland-Pfalz 1990a)
dies.: „Umbau militärisch geprägter Regionen – Anhörung der SPD-Landtagsfraktion am 14.3.90 im Plenarsaal des Landtages Rheinland-Pfalz. Behandlung des Ideenkonzepts der SPD-Landtagsfraktion vom Januar 1990 (SPD-Rheinland-Pfalz 1990b).
Wimmer, W., PStS d. BMVg.: Brief an Gertrud Schilling MdB v. 13.9.90

zum Anfang | Abrüstung und Konversion: Die Vorstellungen von Bundesregierung und SPD

von Kristina Steenbock

Die Neuvermessung der militärischen Kräftebalance in Mitteleuropa im Zuge der deutschen Vereinigung wird für den deutschen Raum bereits jetzt absehbar über die VKSE-Ergebnisse hinausgehende Truppenreduzierungen bei den alliierten Streitkräften mit sich bringen. Zumindest die Ergebnisse der Wiener Verhandlungen sind seit 1 1/2 Jahren abzusehen gewesen. Haben sich die beiden großen Blöcke, Bundesregierung (CDU/CSU, FDP) und SPD, auf diese neue Situation politisch-programmatisch eingestellt? Es gibt bereits in nahezu allen Bundesländern Anfragen von Kommunen und Gemeinden, welche Kaserne, welcher Standort geschlossen wird, welche Liegenschaft in Zukunft frei wird etc.. Und es gibt, natürlich vor allem in den besonders stark von der militärischen Präsenz alliierter Truppen abhängigen Regionen, wie z. B. Rheinland-Pfalz, wo die US-Armee der drittgrößte Arbeitgeber ist, erschrockenes Erwachen der Verantwortlichen in Kommunen und Land.

Der Abzug der alliierten Truppen hinterläßt Verwüstungen: Liegenschaften mit vergiftetem Boden und zerstörter Natur, Arbeitslose, ehemalige Zivilangestellte der Armee, in zum Teil hoffnungslos strukturschwachen Gebieten, gescheiterte Existenzen kleiner und mittlerer Betriebe, die der Armee als Zulieferer, Gastwirte usw. gedient haben. Nach Auskunft der Bundesregierung betrug in den Jahren 1987-89 der Auftragswert der Beschaffung der Stationierungsstreitkräfte in deutschen Unternehmen 8,246 Milliarden DM. – Eine Größenordnung, die noch nicht den Kaufkraftverlust durch die abziehenden Soldaten und ihre Familienangehörigen beschreibt12.

Probleme der regionalen Konversion dürften mithin in unmittelbar nächster Zeit vorrangige Aufgabenstellung von Verantwortlichen in Bund, Ländern, Gemeinden und den politischen Parteien sein. Struktur- und regionale Förderprogramme und neue Überlegungen für ihre Finanzierung sind notwendig, um die Folgen militärischer Präsenz in der Bundesrepublik und der ehem. DDR sozial, ökonomisch und ökologisch aufzufangen.

Probleme der industriellen Konversion, die Umwandlung industrieller Potentiale und Ressourcen inklusive der damit verbundenen Arbeitsplätze in zivile Nutzung, werden dem nachgeordnet und zu einem großen Teil in die regionale Konversion eingeordnet sein müssen. Die Rüstungsindustrie, in der Vergangenheit Schwerpunkt makro-ökonomischer Überlegungen einerseits und gewerkschaftlicher Beschäftigungsinitiativen andererseits, beginnt, trotz konservativer Grundstrukturen in den Führungsetagen, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Nachdenken über Produktionszweige jenseits der rüstungsrelevanten Güter gibt es in diesem Bereich allenthalben.13

Bei den beiden großen Parteien noch bei der FDP sind allerdings weder Umfang noch Intensität der Beschäftigung mit

Rüstungskonversion der Lage angepaßt. Man könnte den Eindruck gewinnen, niemand glaube so recht an die neuen Zeiten.

Die Bundesregierung

Am 2. August 1990 ließ Außenminister Genscher eine mehrseitige Pressemitteilung veröffentlichen, die den Titel hatte „Rüstungskonversion als Beitrag zur Schaffung friedensstabilisierender Strukturen“. Seine Staatssekretärin Adam-Schwaetzer hielt knapp zwei Wochen später auf der UNO-Konferenz zur Rüstungskonversion in Moskau eine entsprechende Rede14.

Für wie gehaltvoll man diese Initiativen im einzelnen auch beurteilt, interessant ist, daß sich hier das erste Mal Regierungsvertreter, noch dazu ranghohe, bemüßigt fühlen, das Thema Rüstungskonversion aufzugreifen. Bisher gab es seitens der Bundesregierung nur das Reagieren auf entsprechende Anfragen oder Anträge der SPD oder der GRÜNEN. Ausschlaggebend für beide Äußerungen wird aber wohl eher die Situation in der UdSSR als die zu erwartenden Probleme in der Bundesrepublik Deutschland gewesen sein. Offenbar in großer Sorge darüber, daß das ambitionierte Konversionsprogramm Gorbatschows, immerhin eines der größten Wirtschaftsprogramme der Perestroika, an den Hindernissen in der Sowjetunion scheitert, bemüht sich Genscher, die bundesdeutsche Wirtschaft zur Beteiligung am sowjetischen Konversionsprogramm zu motivieren. „Konversionskooperation mit der Sowjetunion ist ein wirtschaftliches, politisches und sicherheitspolitisches Gebot. Hier sind unternehmerische und staatliche Initiativen und Kreativität gefordert“. Genscher schlägt eine Reihe von Maßnahmen vor, um der Sowjetunion bei ihren Konversions-Anstrengungen unter die Arme zu greifen. So z. B. die Gründung eines deutsch-sowjetischen Instituts zur Umschulung von Militärpersonal, „in das die großen Erfahrungen der Bundeswehr eingebracht werden“(??); Kredite für den Wohnungsbau in der Sowjetunion für aus Deutschland heimkehrende Armeeangehörige, ein europäisches Konversionsinstitut und andere Einrichtungen europäischer Informationsvermittlung zum Thema Konversion.

Presseerklärung und Rede enthalten neben den erfreulichen (und vom Außenminister gewohnten) Aussagen über Möglichkeiten für die stabile Entfaltung kooperativer Sicherheitsstrukturen in Europa und Distanzierung von Waffenexporten in Dritte-Welt Länder, leider vor allem potemkinsche Dörfer: Sinnvolle Vorhaben (z.B. eine europäische »Studiengruppe Konversionsforschung«, ein europäisches Konversionsforschungsinstitut, eine Kooperationsbörse für Konversionsunternehmen) bleiben vage im Konjunktiv und machen mehr den Eindruck, Ergebnis eines schnellen brainstormings im Außenministerium zu sein, als durchdachte Vorschläge; eine „deutsch-sowjetische Expertengruppe, die sich mit Fragen der Konversion von Rüstungsgütern von Militärtechnik und Beschäftigung“ befassen soll, entpuppt sich bei Nachfragen als die Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion; die aufgeführte Ausstellung »Konversion '90« hat nicht die deutschen sondern die sowjetischen Konversionsbemühungen dargestellt usw.

Laut Aussage des Bundesministeriums der Verteidigung15 hat die Bundesregierung ein einziges Forschungsvorhaben, das sich mit Konversionsfragen der wehrtechnischen Industrie beschäftigt, in Auftrag gegeben.

Genscher führt eine weitere Pilotstudie an, „in der konkrete Felder vertiefter deutsch-sowjetischer Zusammenarbeit in der Betriebskonversion ausgelotet werden sollen“. Skepsis ist allerdings angebracht, ob es diese Studie wirklich gibt oder vielleicht auch hier die Arbeitsgruppe der SPD »beliehen« wurde. Es ist nie mehr von ihr die Rede.

Bei freundlicher Betrachtung könnte man meinen, daß hier offenbar die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Richtiger ist wohl eher: Es gibt zur Zeit keine eigenen Vorstellungen der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien zu Konversionsfragen.

Eine vom Bundesforschungsminister Riesenhuber angekündigte und von der UNO von allen beteiligten Ländern angeforderte Untersuchung zum Thema nationale Erfahrungen der Bundesrepublik Deutschland mit Rüstungskonversion für die UNO-Konferenz in Moskau lag dort nicht vor (auch dieserart Peinlichkeiten erklären wohl mit das plötzlichen Auftauchen von Staatssekretärin Adam-Schwaetzer in Moskau). Darüberhinaus bestätigen die Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Anfragen der SPD und Grüne, daß es keine wesentlichen eigenen Anstrengungen gibt:

a. Die Bundesregierung verweist z.B. auf die Bremische Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung, die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, universitäre Forschungen usw., um zu folgern, es gebe angesichts „breitgefächerten und international-verzahnten wissenschaftlichen Aktivitäten in der Bundesrepublik“ „gegenwärtig keinen thematisch definierten Bedarf für zusätzliche staatliche Forschungsförderungsmaßnahmen“. „Die Gründung eines Instituts oder einer Stiftung für Konversionsforschung wird nicht für zweckmäßig gehalten.“ 16

b. Eine im Februar 1990 von der Bundesregierung eingesetzte interministerielle Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft, die „rechtzeitig Vorbereitungen für eventuell notwendig werdende Maßnahmen“ zur Unterstützung der Regionen treffen soll 17, die von Truppenreduzierungen und Abzug ausländischer Streitkräfte betroffen sind, hat offenbar noch nie getagt. Niemand hat bisher von Planungen, Diskussionen – geschweige denn vom Eingreifen dieser Arbeitsgruppe gehört.

c. Stereotype in verschiedenen Antworten auf Anfragen der Opposition: Wenn es soweit ist, werden wir uns mit den anstehenden Fragen befassen. Staatssekretär Riedl vom Bundesministerium für Wirtschaft: „Programme der Bundesregierung zur Förderung der Konversion gibt es nicht“ 18. Bezüglich der Aufgaben des Bundes bei einer Umstellung von Rüstungsproduktion in zivile Bereiche zieht sich die Bundesregierung auf die Aussage zurück, dies sei Aufgabe der Unternehmen selbst19. In einem Stadium größerer Konkretion von Konversionsmaßnahmen würden hierbei sicherlich Differenzierungen zu erwarten sein.

Was bleibt seitens der Bundesregierung, CDU/CSU und FDP in Sachen Konversion? Neben ersten schüchternen verbalen Gehversuchen Genschers in diesem Bereich (auf dem FDP-Parteitag forderte er die „Konversion von Rüstungsindustrien in Friedenswirtschaften“, (FAZ vom 1. Oktober 1990) so gut wie nichts. Bis heute gibt es vom Bundesverteidigungsministerium keine Angaben darüber, wo Bundeswehrstandorte im Zuge der Reduzierung geschlossen werden. Entscheidungen mit abrüstender Wirkung werden von der Bundesregierung offenbar nicht als Abrüstungsentscheidungen verstanden und konsequenterweise dann auch nicht mit Konversionsinitiativen begleitet. Reflexhaft, sich um das »Unaussprechliche« herumdrückend, wird auf personelle und finanzielle Engpässe und Legitimationsverlust der Streitkräfte reagiert: Die Reduzierung von Bundeswehrhöchstgrenzen und Wehrpflicht sind Resultate der demographischen Entwicklung und darüberhinaus Preis für die Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands20. Eine radikale Umstellung und Neuorientierung der Militärdoktorin gibt es nicht. Selbst Großprojekte wie der Jäger 90 bleiben nach wie vor auf der Tagesordnung. Bis heute hat sich die Bundesregierung als abrüstungsunfähig erwiesen.

SPD und Rüstungskonversion

Eine systematische Beschäftigung mit dem Thema Rüstungskonversion gibt es bei der Bundestagsfraktion der SPD seit auf Initiative des Abgeordneten Gert Weisskirchen die Arbeitsgruppe Rüstungskonversion eingerichtet wurde, in der Abgeordnete, Mitarbeiter der Fraktion, Wissenschaftler und Gewerkschaftsvertreter mitarbeiten.

Die Einrichtung der Arbeitsgruppe ist Zeichen für den realpolitischen Stellenwert, den die Fraktion, besser: Teile derselben, dem Thema inzwischen beimißt. Auch wenn die Stellung der Arbeitsgruppe nach wie vor nicht unumstritten ist, signalisiert ihre Existenz, daß die SPD-Fraktion parlamentarische Initiativen in diesem Bereich für nötig hält. Man kann wohl davon ausgehen, daß die Bedeutung dieser zentralen Stelle in der kommenden Legislaturperiode wachsen wird:

Mit Ankündigung der Verringerung der gesamtdeutschen Streitkräfte, mit Verkündung des bevorstehenden VKSE-Abschlusses und dem Rückzug der alliierten Truppen gibt es in den Wahlkreisen, in denen sich Standorte, Liegenschaften usw. von Bundeswehr und alliierten Truppen befinden, Unsicherheiten bei Kommunen und Gemeinden, Anfragen bei den entsprechenden Abgeordneten, die Forderung nach Aufklärung über bevorstehende Reduzierungen und hohen Bedarf nach Handlungsperspektiven, um die Veränderungen sozialverträglich zu gestalten. Die Arbeitsschwerpunkte der Fraktionsarbeitsgruppe haben sich im Laufe der Zeit stark verändert:

In der Phase der Problemsichtung konzentrierte sich die Anhörung, die die Arbeitsgruppe im März 1989 veranstaltete, v.a. auf das Problem der industriellen Konversion, der abrüstungsdisponiblen Arbeitsplätze dort, wo direkt militärisch verwendete Produkte in Auftrag gegeben und hergestellt wurden.

Zusammengefaßt hatte die Diskussion folgende Ergebnisse:

1. Es gibt für die Rüstungsindustrie selbst bereits absehbar durch die veränderte politische Lage eine Zwangssituation, mittelfristig die Konzentration auf Rüstungsproduktion aufzubrechen und neue Produktionslinien und Märkte zu erschließen.

Rüstungsunternehmen wie die DASA-Töchter MBB und MTU, Diehl, Krauss-Maffei und andere planen bereits den »Ernstfall« der ausbleibenden Rüstungsaufträge. Finanzmanager Broschwitz (MBB) will „bis 1994 die Abhängigkeit vom Rüstungsgeschäft um mindestens 2,7 Milliarden DM reduzieren“ 21. MTU-Geschäftsführer Dunkler: „Ich bin Realist. Ich gehe fest davon aus, daß der Rüstungsbedarf weiter sinkt“ 22

Osteuropa, insbesondere die UdSSR, bietet sich bei diesen Überlegungen sowohl als Kooperationsfeld bei konversionsbedingten Produktionsumstellungen als auch als Markt für zivile Produkte an23. Einzelne Kontakte zwischen bundesdeutschen und sowjetischen Unternehmen sind durch die SPD-Arbeitsgruppe zum Teil vermittelt worden. Zentrale Voraussetzungen, um Initiativen seitens der Rüstungsindustrie zu befördern, stehen allerdings aus: Weder ist die sowjetische Industrie ökonomisch und finanziell in der Lage, westliche Investoren und Kooperationspartner zu befriedigen, noch sind wichtige Handelsbeschränkungen, allen voran die COCOM-Liste, bisher aufgehoben.

2. „Die rechtzeitige Umstellung der Rüstungsunternehmen auf zivile Produktion ist ureigenste Aufgabe der Unternehmen“ hieß es noch im Entwurf des SPD-Regierungsprogramm »Fortschritt 90«. Staatliche Hilfen bei der Umstellung werden von den Konversionspolitikern der SPD abgelehnt, um zu erreichen, daß es zu einer tatsächlichen Konversion auch der Finanzmittel kommt und um einen Problemdruck, der in Richtung Umstellung wirkt, herzustellen.

Wieweit die von Industriestandortschließung in Zukunft betroffenen Länder und Gemeinden und die von Arbeitsplatzverlusten betroffenen Gewerkschaften, vor allem die IG Metall, dies mittragen werden, bleibt dahingestellt.

Kleine, monostrukturierte Unternehmen werden auf jeden Fall mit dieser Linie in große Schwierigkeiten kommen. Die nach wie vor verbreitete unflexible Unternehmensstruktur im Zusammenspiel mit dem Gestus der Bundesregierung »weitermachen wie bisher« läßt darüber hinaus erahnen, daß in Zukunft Adhoc-Hilfestellungen unter dem Druck von Massenentlassungen von der Industrie erpreßt werden. Entsprechend schwankt dann auch die SPD zwischen rigoroser Ablehnung staatlicher Hilfen und vorsichtigeren Formulierungen, wie in der beschlossenen Fassung von »Fortschritt 90«: „Die rechtzeitige Umstellung der Rüstungsunternehmen auf zivile Produktion ist vorrangige Aufgabe der Unternehmen. Die Rüstungskonversion soll auch durch staatliche Industrie-, Struktur- und Arbeitsmarktpolitik gefördert werden.“ 24

3. Es gibt für die Umstellung keine gravierenden technischen Probleme. Auch die Qualifikation der Beschäftigten in Rüstungsbetrieben erleichtert die Umstellung.

Als denkbar werden folgende Maßnahmen zur Unterstützung der Konversionsmaßnahmen u. a. vorgeschlagen:

  • Bildung eines Konversionsfonds, der durch eine Besteuerung der Rüstungsumsätze und der Rüstungsexporte gespeist wird;
  • schrittweise Umstellung der öffentlich geförderten militärischen Forschung und Entwicklung auf die Entwicklung alternativer Produkte;
  • Auftragsvergabe eines Rüstungsproduktes mit der Auflage, einen Konversionsplan vorzulegen;
  • Bildung von Beschäftigungsgesellschaften bzw. die Entwicklung von Beschäftigungsplänen;
  • Einrichtung eines Bundesamtes für Konversion, u. a. zur Strukturanalyse, Vergabe von Mitteln aus dem Konversionsfonds und anderes;
  • öffentliche Förderung von regionalen, lokalen, betrieblichen Konversionsarbeitsgruppen, in denen Konversionsmodelle erarbeitet werden.

Spätestens seit Ende des Jahres 1989 verlagerte sich der Schwerpunkt der Fraktionsarbeit auf das Problem der regionalen Konversion.

Neben Initiativen einzelner Abgeordneter, z.B. Alternativen zur Herstellung des Jäger 90 zu entwickeln25, gibt es seit Beginn 1990 eine Reihe parlamentarischer Initiativen der Sozialdemokratie, die sich mit regionaler Konversion beschäftigen26. Z.T. auch unabhängig von der AG – ein Hinweis auf wachsenden Problemdruck an der Basis.

Zentralen Stellenwert hat dabei der Antrag „Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen von Abrüstung, Truppenreduzierungen und Standortauflösungen in strukturschwachen Regionen“ vom Mai 1990, zu dem die parlamentarische Debatte noch aussteht.

Der Antrag ist ein Papier der ersten Schritte, v.a. auf praktische Maßnahmen orientiert.

Ausgehend von der „Überwindung der Blöcke in Europa“, dem damit einhergehendem Truppenabzug und den zu erwartenden Ergebnissen der Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte, wird in dem Antrag gefordert,

  1. die Vorlage einer differenzierten Bestandsaufnahme und Analyse der militärischen Standorte der Bundeswehr und der ausländischen Streitkräfte durch die Bundesregierung,
  2. die Vorlage eines Planes über Zahl und Ort der Reduzierungen bei Bundeswehr und alliierten Truppen und der Vorstellungen der Bundesregierung, „wie und nach welchen Plänen die Folgen für die Beschäftigten sowie für die betroffenen Regionen aufgefangen werden sollen“…,
  3. die Vorlage eines nationalen Konversionsprogramms. Die Vorstellungen der SPD für ein solches Programm werden genauer skizziert:
    1. Standortauflösungen sollen vorrangig zunächst außerhalb strukturschwacher Regionen stattfinden. Ein Herangehen, das nicht ausschließlich nach sicherheitspolitischen sondern auch nach wirtschaftspolitischen Kriterien vorgeht, sei angesichts der politischen Entwicklungen in Osteuropa möglich, heißt es in den Erläuterungen des Antrags für die Fraktion.
    2. die Erarbeitung eines Sozialplans für die betroffenen Arbeitnehmer, der Umschulungen, Weiterqualifizierungsmöglichkeiten, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Abfindungsangebote für ausscheidende Soldaten, Frühverrentung, Übernahmen in den Öffentlichen Dienst vorsieht.
    3. die Durchführung von regionalen Sonderprogrammen zur Schaffung von „Ersatzarbeitsplätzen außerhalb des militärischen Bereiches und zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur“. Dabei sollen „die betroffenen Regionen beteiligt und alle berührten Politikbereiche einbezogen werden“. Bezüglich des Verhältnisses der Probleme von Regionen und Unternehmen wird in den Erläuterungen betont:„Wir wollen mit unseren Maßnahmen immer bei den Regionen ansetzen – unabhängig davon, ob eine Ursache die Schließung eines Rüstungsbetriebes oder die Schließung einer Kaserne ist. Die Unternehmen sollen keine direkte Förderung erhalten“<5> .

Weitere Maßnahmen im Antrag:

  • Bildung eines Unterausschusses des Bundestagswirtschaftsausschusses für Rüstungskonversion
  • Finanzierung des Konversionsprogramms aus den durch Abrüstung freiwerdenden Verteidigungshaushaltsmitteln und durch Verringerung des Einsatzbereitschaftsgrades und Rationalisierung bei der Bundeswehr
  • die Altlastensanierung bisher militärisch genutzter Liegenschaften nach dem Verursacherprinzip
  • Liegenschaften sollen zu günstigen Bedingungen für zivile Verwendung zur Verfügung gestellt werden und Wiederherstellung der Planungshoheit der Gemeinden für die vom Bund belegten Flächen, soweit sie bisher der kommunalen Planung entzogen sind
  • die Aufgabe des Flugplatzes Zweibrücken, Rheinland-Pfalz, durch die US-Armee soll zum Modellfall für künftige Bemühungen werden, wie für die betroffene Region ein angemessener Ausgleich geschaffen weren kann. Dafür soll eine Initiativgruppe gebildet werden, in der alle Ministerien, kommunale Behörden und Ämter, Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen vertreten sind, die von der Schließung betroffen sind. „Diese Initiativgruppe soll ein Programm vorlegen, das u.a. aufzeigt, wie die militärischen Liegenschaften verwendet und wie zukunftsorientiert Arbeitsplätze geschaffen werden können.“

Der Antrag ist in seinen Maßnahmen, würde er angenommen und umgesetzt werden, ein erster Schritt, um Voraussetzungen zu schaffen, das Konversionsproblem in den Regionen zu erfassen und eingreifen zu können.

Der Antrag leistet allerdings kaum programmatische Arbeit: es ist zwar davon die Rede, daß wir „die bisher für Rüstung und Militär aufgewandten Mittel dringend für andere, den Menschen dienenden sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Zwecken“ benötigen. Ein Allgemeinplatz inzwischen. Es gibt im Antrag aber keine dezidiert aufgefächerten Kriterien für die Zielrichtung der Konversionsbemühungen, außer derjenigen, daß sie sozialverträglich sein und die Regionen nicht ruinieren soll.

Ökologische Verträglichkeit, keine neuen Lärm- oder Schmutzbelastungen für die Bevölkerung sind Kriterien, die zumindestens in dieser Frage bei den Wirtschaftspolitikern der SPD wohl nur schwer durchsetzbar sind.

So wird zu den Konversionsvorstellungen der SPD weiterhin gehören die „Umwandlung eines stillgelegten Militärflugplatzes in einen zivil nutzbaren regionalen Luftverkehrslandeplatz“27, statt umgekehrt programmatische Voraussetzungen dafür zu schaffen, in erster Linie nach wirtschaftlich, sozial und ökologisch orientierten Lösungen zu suchen.

Darüberhinaus ist die politische Praxis der SPD in den Ländern, in denen sie die Regierung stellt bzgl. Konversionsbemühungen unbefriedigend. Lediglich in Schleswig-Holstein gibt es, seit die Landesregierung SPD-geführt wird, planerische Bemühungen, Rüstungskonversion in der Region vorzubereiten: das interdisziplinäre Friedensforschungsprojekt an der Uni Kiel hat sich die Erarbeitung einer Regionalentwicklungsstudie vorgenommen. Dafür wurden entsprechende personelle Kapazitäten geschaffen. Dagegen unterstützt die Bremer SPD zwar die »Bremische Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung«, ist aber als Senatstragende Partei nicht bereit, eine Senatorische Stabsstelle einzurichten – wie die Stiftung es fordert – die planerische und koordinierende Aufgaben für Konversion übernehmen könnte. Trotz des »Vorlaufes« durch die Arbeit der Bundestagsfraktions-AG kann nicht davon die Rede sein, die Partei sei darauf eingestellt, sich in den Ländern ernsthaft, über Propagandistisches hinausgehend, mit Konversionsfragen zu beschäftigen.28

Dokument: Die SPD im deutschen Bundestag, 24. Juli 1990

Ausstieg aus dem Jagdflugzeug 90 durch Einstieg in die Entwicklung umweltverträglicher ziviler Luftfahrttechnologien

Zur Veröffentlichung des »Berichts über den Entwicklungsstand des Jagdflugzeugs 90« erklärt der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Abrüstung und Rüstungskontrolle der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Hermann Scheer:

Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht Kosten in Höhe von 4,5 Mrd. DM für einen Abbruch der Entwicklung des Jagdflugzeugs 90 angegeben. Der deutsche Kostenanteil für das Programm beläuft sich auf 6,4 Mrd. DM; da davon bereits etwa 20% ausgegeben sind, würde demnach der Ausstieg aus der Entwicklung fast so viel kosten wie die Weiterführung. Außerdem betonte die Bundesregierung erneut das prinzipielle Erfordernis der internationalen Vertragstreue mit den Partnerländern (Großbritannien trägt wie die Bundesrepublik 33% der Entwicklungskosten, Italien 21%, Spanien 13%). Damit soll offenbar suggeriert werden: ein Ausstieg stiftet auch noch politischen Schaden.

Die Argumente der Bundesregierung überzeugen nicht. Sie sind Ausdruck mangelnder politischer Phantasie und unzureichender Einstellung auf die wirklichen Zukunftsprobleme. Die Fortführung der Entwicklung soll der Erhaltung der deutschen Luftfahrtindustrien dienen, die zweifellos eine der modernsten technologischen Sektoren unserer Volkswirtschaft sind. Dieses Ziel läßt sich aber auch erreichen, indem der Ausstieg aus dem Jäger 90-Programm verbunden wird mit dem Einstieg in eine umweltverträglichere technologische Entwicklung der Zivilluftfahrt.

Die Notwendigkeit dafür ergibt sich angesichts des zunehmenden Anteils der Luftfahrt an der Entstehung des Treibhauseffektes: Besonders die Strahlenflugzeuge sind in der für den international üblichen Luftverkehr in Luftschichten von 10.000 bis 12.000 m Höhe, im Falle von Überschallflugzeugen sogar darüber, der einzige Emittent von Stickoxiden (NOx), die zum Abbau der Ozonschicht beitragen. Die Wasserdampfausstöße in dieser Höhe führen zu Eisbildungen, die zum Treibhauseffekt beitragen, Hinzu kommen die CO2- und die CO-Emissionen, die treibhausfördernd sind und in Flughafenregionen neben der Lärmbelästigung zu regionalen Klimaveränderungen führen. Angesichts der drastischen internationalen Zunahme des Flugverkehrs ist es von hoher Dringlichkeit, mit einem öffentlich kräftig geförderten technologischen Sofortprogramm umweltverträgliche Technologien für die Zivilluftfahrt zu entwickeln. Die Luftfahrtindustrie kann hier eine auch in ihrer wissenschaftlichen Perspektive zukunftsweisendere Aufgabe erfüllen als mit der Weiterführung von Rüstungsprojekten.

Im einzelnen schlage ich folgendes Konzept vor:

  1. Die Bundesregierung steigt aus dem Jäger 90-Projekt aus und verbindet dies mit einem Kompensationsauftrag für die Entwicklung umweltverträglicher ziviler Luftfahrttechnologien auf folgenden Gebieten:
    • die Förderung der Entwicklung von Wasserstoffantrieben für Strahlenflugzeuge und Propellerflugzeuge – um damit einen CO2-freien Treibstoff im Flugverkehr nutzen zu können und einen Beitrag gegen den Treibhauseffekt zu leisten;
    • die Entwicklung von (nachrüstbaren) „Low-NOx«-Brennkammern und neuen »Ultra-Low-NOx«-Brennkammern für konventionelle Strahlenflugzeuge – um damit die Stickoxid-Emissionen zu reduzieren und dem Abbau der Ozonschicht entgegenzuwirken;
    • die Entwicklung eines internationalen Flugleitsystems für Flüge unter 8000 m – um damit die durch die Wasserdampfausstöße hervorgerufenen treibhausfördernden Eisbildungen in der Tropopause und der Stratosphäre zu vermeiden.
  2. Die Bundesregierung schlägt den Jäger 90-Partnerländern Großbritannien, Italien und Spanien vor, dieses Alternativprojekt ebenfalls gemeinsam zu tragen. Allein die Bundesrepublik würde dann etwa 5 Mrd. DM alternativ einsetzen können, alle Partnerländer zusammen 15 Mrd. DM.
  3. Ergänzend dazu ist die Bundesregierung aufgefordert, dieses Zukunftsprojekt gemeinsam mit der Sowietunion durchzuführen, die bereits 1988 ein Versuchsflugzeug mit Wasserstoffantrieb erstmals gestartet hat. Grundlage dafür ist die von der Deutschen Airbus GmbH ohnehin schon getroffene Vereinbarung für eine entsprechende Kooperation.
  4. Die Haushaltsmittel für dieses zivile Kooperationsprogramm könnten zeitlich gestreckt werden, weil in der Anlaufphase für diese Entwicklung nicht so viele Mittel gebraucht werden.
  5. Parallel zu diesem Entwicklungsprojekt fördert die Bundesregierung mit ihren europäischen Partnerländern die Herstellung von Wasserstoff mit billiger Wasserkraft in Skandinavien einschließlich der dazu erforderlichen Transportsysteme. Dies ist der gegenwärtig kostengünstigste Weg zur Erzeugung von Wasserstoff mit Hilfe des aus erneuerbaren Energien gewonnenen Stroms. Sie kann sich dabei auf Vorarbeiten des Forschungsinstituts der Europäischen Gemeinschaften in Ispra, der Ludwig-Bölkow-Stiftung und des Vereins zur Einführung des Wasserstoffs in die Energiewirtschaft in Hamburg stützen.

Auf diesem Weg könnte aus dem teuersten Rüstungsprojekt der europäischen Nachkriegszeit das umfangreichste Konversionsprojekt werden, das je durchgeführt wurde. Es wäre ein Signal in eine bessere ökologische Zukunft, das auch erhebliche ökonomische Vorteile bringt: der Markt für neue Jagdflugzeuge ist kleiner als für ökologisch verträgliche Zivilflugzeuge.

Anmerkungen

1 Administration's Defense Budget. Hearing./ Committee on the Budget / House of Representatives, 101st Congress – GPO: Washington, 7.2.1990 Zurück

2 Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordenten Weisskirchen, Blunck u.a. und der Fraktion der SPD. Rüstungs- und Standortkonversion – Maßnahmen zum Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen der Abrüstung in strukturschwachen Regionen. / Deutscher Bundestag – Drucksache 11/7441 – Bonn 20.6.90 Zurück

3 Jiri Pehe: The Ecological Damage Caused by Soviet Troops. – In: RFE – Report on Eastern Europe, 3.8.1990, S.28-31 Zurück

4 Vgl. zum Umfang militärisch genutzter Flächen und die Auswirkungen und Belastungen für Regionen und Kommunen z.B. G. Richter, H. Biehler, D. Sträter: Regionale Konversionsforschung. – In: Abrüstung und Konversion. / L. Köllner; B.J. Huck (Hrsg.) – Frankfurt/Main : Campus 1990, S.435-490 Zurück

5 Vgl. Werner Hänsel: Zur Rüstungskonversion in der DDR. / Berghof-Stiftung für Konfliktforschung – Berlin 1990=Materialien und Dokumente zur Friedens- und Konfliktforschung Nr. 5; sowie Erny Hildebrand : Chaotische Abwicklung. – In: highTech 11, 1990, S.64-66 Zurück

6 So etwa in der Antwort der Bayerischen Staatregierung auf die Interpellation von Abgeordenten und Fraktion der SPD »Truppenreduzierung«, Bayerischer Landtag Drucksache 11/15 659, Anlage 2 Zurück

7 Etwa für Baumholder und Bad Kreuznach Zurück

8 Vgl. dazu die Aufsätze, Literaturhinweise und Bibliographie in: Abrüstung und Konversion. Politische Voraussetzungen und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik. Zurück

9 Vgl.Freie Demokratische Partei: Positionspapier. Entwurf der Arbeitsgruppe »Wirtschaftliche Folgen des Truppenabzuges«.- Bonn 1.10.90 Zurück

10 Vgl. dazu: Eva Henning-Bekka: Regionale Aspekte von Rüstungsausgaben. – In: Abrüstung und Konversion, S.414-431 Zurück

11 Vgl. dazu: Otto May; Gerhard Wollnitz: Ein Miti ist noch keine Sünde. FAZ, 3.11.90  Zurück

12) Bundestagsdrucksache 11/7441: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD „Rüstungs- und Standortekonversion“, S.10 Zurück

13) Hightech, 3/90, S. 77 ff Zurück

14) Der Bundesminister des Auswärtigen: Mitteilung für die Presse Nr. 1162/90 vom 2.Aug.1990, Mitteilung für die Presse Nr. 1169/90 vom 13.Aug.1990 Zurück

15) Staatssekretärin Hürland-Büning in Bundestagsdrucksache 11/7373. Die Untersuchung wird vom Ifo-Institut in München durchgeführt und hat den Titel „Die Produktion von Wehrgütern in der Bundesrepublik Deutschland“. Von einer Konversionsuntersuchung zu sprechen scheint allerdings übertrieben: Forschungsminister Riesenhuber spricht etwas bescheidener davon, die Untersuchung werde „auch ein gesondertes Kapitel zur Konversionsforschung enthalten“ (Brief vom 25.4.1990) Zurück

16) Bundestagsdrucksache 11/7373, S. 25 Zurück

17) Bundestagsdrucksache 11/7441 vom 20.6.90, S. 3 Zurück

18) Bundestagsdrucksache 11/7794 vom 5.9.90, 5. 2 Zurück

19) ebenda, S. 3 Zurück

20) siehe auch: Friedensgutachten 1990, S. 258 Zurück

21) Hightech, 3/90, S.78 Zurück

22) ebenda S.91 Zurück

23) siehe auch: Gorbatschow-Rede in der Industrie- und Handelskammer Köln, in: Sondernummer der SU-heute, 6/89 Zurück

24) Der neue Weg. Regierungsprogramm der SPD. Beschlossen vom SPDParteitag in Berlin am 28.September 1990. S. 22 Zurück

25) Presseerklärung Dr. Hermann Scheer, MdB, vom 24.Juli 1990 Zurück

26) Drucksache 11/5720 „Zivile Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften“, Große Anfrage; Ors.11/6518 „Rüstungs- und Standortekonversion“, Große Anfrage; Drs.11/7167 „Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen von Abrüstung, Truppenreduzierungen und Standortauflösungen in strukturschwachen Regionen“; Ors.11/7975 „Altlasten auf Liegenschaften der in Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte“, Kleine Anfrage. Zurück

27) Antrag „Rüstungs- und Standortekonversion…“ des SPD-Landesvorstands Rheinland-Pfalz an den Landesparteitag am 15.5.1990 Zurück

28) Die Vorstellungen der GRÜNEN sind v.a. im Abschnitt »Regionale Konversion« abgehandelt. Zurück

Paul Schäfer, Soziologe, Redakteur des Informationsdienstes Wissenschaft & Frieden;
Burhardt J. Huck befasst sich insbesondere mir Fragen der Rüstungsökonomie;
Olaf Achilles, wiss. Mitarbeiter an der Arbeits- und Forschungsstelle Militär, Ökologie, Planung (MÖP), Bonn;
Dr. Peter Barth, Friedensforscher, Mitarbeiter am European Center for International Security (EUCIS), Feldafing;
Kristina Steenbock
, Historikerin, wiss Mitarbeiterin im Dt. Bundestag