Alternativen: Zivile statt militärische Einmischung in den internationalen Beziehungen
von Achim Schmillen und Bund für soziale Verteidigung
zum Anfang I. Nichtmilitärische Konfliktbearbeitung im internationalen System
von Achim Schmillen
1. Einleitung
Nach Berechnungen kritischer Friedensforscher wurden im Zeitraum von 1985 bis 1992 68 Krieges geführt; Anfang Oktober 1992 wurden 44 laufende Kriege gezählt.1 Allgemein wird eine starke Zunahme bis zur Jahrtausendwende prognostiziert. In Anbetracht der unbestreitbaren Regelungsnotwendigkeiten bei laufenden kriegerischen Konflikten und bei der prognostizierten Zunahme von Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen ist die Frage einer Konfliktprävention und vor allem die Frage einer möglichst gewaltfreien und nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung und friedlichen Streitschlichtung von großer Brisanz und außerordentlicher politischer Relevanz. Es ist eine der entscheidenden Fragen der Zukunft, ob die Weltgemeinschaft in die Lage versetzt werden kann, auf diese vielfältigen Herausforderungen ohne eskalierende Gewaltanwendung zu reagieren. Auch für die zur Zeit heftig geführte, kontroverse und diffuse innenpolitische Debatte, mit welchem Beitrag sich die Bundesrepublik Deutschland verantwortungsvoll in den Entwicklungsprozeß einer Weltinnenpolitik einbringen kann, wäre die vordringliche Aufgabe, beispielgebend und mit außerordentlicher Symbolkraft zuvorderst auf zivile, gewaltfreie und friedliche Mittel einer Konfliktbearbeitung und Streitschlichtung zu setzen. Als einer der Staaten, auf die es bei der Entwicklung einer Weltinnenpolitik und bei der Reform der Vereinten Nationen in den nächsten Jahren ganz besonders ankommen wird, könnte die Bundesrepublik in dieser wichtigen Angelegenheit ein positives Zeichen setzen.
Deshalb sollten die Aktivitäten von Friedensbewegung und -forschung die zivile Stärkung der Vereinten Nationen zum Gegenstand haben, damit diese in die Lage versetzt werden, auf die neuen Herausforderungen angemessen zu reagieren. In der Zwischenzeit jedoch werden sich die Anforderungen an die konfliktregelnde und -lösende Tätigkeit der Weltgemeinschaft nicht bis zum Erreichen einer von allen akzeptierten Reform der Vereinten Nationen verschieben lassen, auch wenn eine baldige Reform der Vereinten Nationen, d.h. vor allem eine bessere Anpassung an die Weltlage nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation, für ein stärkeres Engagement förderlich wäre.
Es wird allerdings kaum Energie darauf verwendet, ein Brainstorming in heuristischer und analytischer Absicht zu initiieren, sich Gedanken über alternative Ansätze über das internationale Konfliktmanagement zu machen. Vielmehr ist das militärische Lösungsdenken, das D-Day-Denken, favorisiert. Es ist immer noch einfacher, nach erfolgter Diagnose möglicher Konfliktfelder oder bei der distanzierten Betrachtung bereits stattfindender ethno-nationalistischer Kriege über Intervention oder Nicht-Intervention zu räsonieren, als konkrete, glaubwürdige und transparente Methoden zu entwickeln, die eine zivile und gewaltfreie Konfliktbearbeitung und friedliche Streitschlichtung ermöglichen.
Bei der Frage, mit welchen Mitteln und Instrumenten Au-ßenpolitik auf internationale Krisen, Konflikte und Kriege reagieren sollte, gibt es zur Zeit in Deutschland eine seltsame Reduzierung dieser Fragestellung auf die rechtlichen Bedingungen eines Einsatzes der Bundeswehr außerhalb des NATO-Vertragsgebietes (out-of-area). Diesen Bestrebungen einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik wird von Teilen der Friedensbewegung und -forschung, insbesondere seit der blutigen Rückkehr des Krieges nach Europa, die Forderung nach gewaltfreier und nichtmilitärischer Konfliktlösung entgegengehalten. Dabei ist der Begriff nichtmilitärische Konfliktlösung allerdings nicht mißzuverstehen. Es soll nicht suggeriert werden, als gäbe es eine militärische Lösung von Konflikten. Vielmehr sollen mit diesem Terminus alle Verfahren, Methoden und Mittel einer Konfliktbearbeitung und Streitschlichtung bezeichnet werden, die eine Lösung ohne den Einsatz von militärischer Gewalt versuchen.
Es gibt also nach meiner Einschätzung einen enormen Forschungsbedarf. Kritische Friedensforschung und Friedensbewegung haben eine riesige Forschungslücke zu schließen. Ein Blick in die neuere Publikationslandschaft der Friedensforschung und der kritischen Politikwissenschaften offenbart ein großes Defizit. Soll militärischem Lösungs- und Effizienzdenken friedensorientiertes Denken entgegengesetzt werden, dann müssen alternative Lösungsansätze benannt werden, die über moralisch-ethische Forderungen hinausgehen. Der antagonistische Ost-West-Konflikt als das strukturierende Organisationsprinzip der internationalen Beziehungen war auch das bestimmende erkenntnisleitende Interesse der Friedensforschung und eine der wichtigsten handlungsleitenden Maximen der Friedensbewegung. Beide Gruppen haben hervorragende Handlungsspielräume gegenüber dem Herrschaftswissen und der Defintionsmacht herrschender Politik hervorgebracht. Gegenexperten konnten mit Militärs intensiv und kompetent über die Fragen der Nuklearabschreckung, über FOFA (Follow-on-forces-attack), über Air-Land-Battle, über die Gefahren chemischer und biologischer Waffen, über die Notwendigkeit von militärischem Tiefflug usw. diskutieren. Diese Arbeit war wichtig und ohne sie wäre diese Gesellschaft heute mit Sicherheit weitaus mehr militarisiert.
Dennoch muß festgehalten werden, daß kaum Kraft und Energie darauf verwendet wurde, wie Konflikte im Vorfeld, das heißt präventiv verhindert und wie sie aktiv bearbeitet und gelöst werden können, ohne daß es zwangsläufig zum Einsatz von Militär und Streitkräften kommt. Über die Chancen, Handlungsmöglichkeiten, aber auch über die Grenzen nichtmilitärischer Konfliktbearbeitung und friedlichen Streitschlichtung wurde bis auf wenige Ausnahmen kaum nachgedacht. Diese Überlegungen fristeten ein Schattendasein. Dieses Versäumnis schlägt gerade jetzt, nach dem Ende der bipolaren Blockkonfrontation, der Rückkehr des Krieges nach Europa und der daran anknüpfenden Neuorientierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in seiner ganzen Schärfe durch. Die theoretische Lücke und die Mängel beim praktischen Handeln sind evident.
Etablierte Außenpolitik und klassische Diplomatie als auch Friedensforschung und -bewegung verfügen über hervorragende Diagnosemittel und sind in der Lage mit sehr hoher Eintrittswahrscheinlichkeit künftige Konfliktpotentiale vorherzusagen, die auch die Gefahren von kriegerischen Auseinandersetzungen in sich bergen. Diese Vorhersagefähigkeiten sind allerdings nicht mit einem entsprechenden Handlungsspektrum begleitet, auf diese Prozesse gewaltfrei so einzuwirken, daß ein Ausbrechen der Konflikte u.U. verhindert werden kann. Sind Konflikte virulent und entwickeln Tendenzen, zu ernsthaften kriegerischen Auseinandersetzungen zu eskalieren, werden zwar einige erprobte klassische Bearbeitungsmittel versucht, aber eigentlich kann nicht davon gesprochen werden, daß die Beteiligten das volle Spektrum nichtmilitärischer, friedlicher Mittel mit der Absicht auf Erfolg konsequent ausschöpfen wollen. Vielmehr wird relativ schnell deren Erfolglosigkeit konstatiert, um dann möglichst rasch auf militärische Lösungsansätze zurückzugreifen. Dies um so unverzüglicher, je mehr eigene existentielle Interessen ernsthaft bedroht sind oder scheinen. So wartet die klassische Diplomatie nach erfolgter Diagnose fast in ergriffener Bewegungslosigkeit – wie das Kanninchen vor der Schlange – auf den gewalttätigen Ausbruch der Feindseligkeiten, um dann in einer D-Day-Mentalität den Konflikt mit militärischen Mittel zu lösen und den Frieden mit hochgerüsteten Interventionsstreitmächten zu erkämpfen. Lediglich in Konflikten mit geringen existentiellen, ökonomischen und/oder geostrategischen Interessen ist die Schwelle zum Militäreinsatz etwas höher gelegt oder überhaupt keine Bereitschaft zu deren Einsatz vorhanden.
Dieses Mißverhältnis, das sich auch in der aktuellen Diskussion um Kap. VI („Die friedliche Beilegung von Konflikten“) und VII („Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“) der Charta der Vereinten Nationen festmachen läßt, wird von fast allen Friedensbewegten so wahrgenommen und artikuliert. Man kann auch feststellen, daß die Forschungsarbeiten in den letzten Monaten sehr intensiviert worden sind, auch wenn die Rahmenbedingungen für kritische Friedens- und Konfliktforschung wegen der Kahlschlagpolitik der Bundesregierung zur Zeit alles andere als rosig sind.
Diese Arbeit will einen Beitrag dazu leisten, transparent zu machen, daß es eine Vielzahl elaborierter und erfolgversprechener Mittel für die nichtmilitärische Konfliktverhütung und -bearbeitung gibt und darüberhinaus auch einige neuere Forschungsergebnissen und -entwicklungen vorstellen. Das Ziel ist es, die bereits vorhandenen friedlichen Mittel, wie sie beispielsweise durch die Haager Abkommen, aber auch im Kap. VI der Charta der Vereinten Nationen entwickelt sind, mit den neuen Forschungsergebnisse der Conflict-Resolution aus ihrem Schattendasein in die aktuelle Diskussion zu holen, um damit auch deutlich zu machen, daß eine effektive Stärkung der Vereinten Nationen und eine verantwortungsvollere Rolle unserer Republik nicht eine Frage der punktuell-situativen Abstellung von Kampftruppen ist.
Im ersten Abschnitt wird auf die Hoffnungen eingegangen, mit denen die Verfahren und Methoden der nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung und friedlichen Streitschlichtung begleitet werden. Daran schließt sich eine Klärung des Begriffs »friedliche Mittel« an. Im nächsten Abschnitt wird auf die Voraussetzungen einer nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung eingegangen, ehe nachfolgend die verschiedenen Verfahren einer friedlichen Streitschlichtung betrachtet werden. Etwas außerhalb der eigentlichen Intention dieser Arbeit wird dann in einem Exkurs auf die Vorschläge einer präventiven Diplomatie, die der Generalsekretär der Vereinten Nationen in der »Agenda for Peace« niedergelegt hat, eingegangen. Am Schluß dieser Arbeit steht dann das zentrale theoretische und praktische Problem jeder (selbst einer idealtypisch verlaufenden) nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung und friedlichen Streitschlichtung. Wie sollen die internationale Gemeinschaft, die Garantiemächte, die Vermittler, die Schlichter reagieren, wenn sich eine Konfliktpartei nicht mehr an die ausgehandelten Ergebnisse und Kompromisse gebunden fühlt, eine friedliche und gerechte Lösung des Konflikts aber nach wie vor nur durch die Einhaltung dieser Ergebnisse möglich ist? Aktuelles Beispiel für eine solchen Verlauf ist die politische Entwicklung der Mission der Vereinten Nationen in Kambodscha (UNTAC).
2. Friedensforschung und Friedensbewegung
Als erster Schritt werden überblicksartig einige Ansätze einer friedlichen Konfliktbearbeitung und Streitschlichtung betrachtet. Der überwiegende Teil der deutschen Friedensbewegung reagiert auf den blutigen Krieg im früheren Jugoslawien mit einer entschiedenen und kompromißlosen Ablehnung einer militärischen Intervention durch die Vereinten Nationen und favorisiert als Alternative zu diesen Lösungsüberlegungen verschiedene Formen und Verfahren präventiver, gewaltfreier und friedlicher Konfliktlösungsmittel. Die Konfliktprävention stellt in der Tat eine wichtige politische und gesellschaftliche Aufgabe dar. Gesellschaftliche Gruppen und Organisationen haben vor allem in der jüngsten Zeit eine Reihe konkreter Initiativen unternommen, um mit ethnonationalen Spannungen friedlich umzugehen; selbst dort, wo diese Konflikte (wie im früheren Jugoslawien) bereits in kriegerische Auseinandersetzungen umgeschlagen sind. Es handelt sich um vereinzelte Initiativen, die außerdem von der offiziellen Seite weder materiell noch immateriell unterstützt werden. Ihre Vorstellungen dürfen in einer Arbeit über die nichtmilitärische und gewaltfreie Konfliktbearbeitung und friedliche Streitschlichtung nicht fehlen.
So schlägt Ebert z.B. gewaltfreie »Task-forces« vor und versteht darunter Einheiten, die unbewaffnet „in Situationen, in denen bewaffnete Gewalttätigkeiten auszubrechen drohen, sich rechtzeitig vor Ort (begeben), schlichtend und vermittelnd zwischen die Parteien stell(en) und auch dann, wenn Gewalttätigkeiten ausbrechen, bei der bedrohten Zivilbevölkerung bleib(en), (…) und damit vielleicht vermeiden (können), daß die Zivilbevölkerung flieht und den Streithähnen das Schußfeld frei macht.“ 2 Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe sollen möglichst viele Bürgerinnen und Bürger eine Grundausbildung in gewaltfreier Konfliktaustragung (Training in gewaltfreier Aktion) erhalten. Der Zivildienst soll auf derartige Einsatzmöglichkeiten ausgeweitet werden.
Der Bund für Soziale Verteidigung hat sich bereits frühzeitig im Konflikt und im Krieg im früheren Jugoslawien engagiert. Auch diese Organisation setzt auf die gewaltfreien Mittel der Konfliktbearbeitung. In einem Bericht an die Friedensbewegung heißt es, daß „Positive Sanktionen (…) mehr bewirken (könnten) als die Isolierung Serbiens. Dies könnte z.B. das Angebot an Serbien-Montenegro beinhalten, das dritte Jugoslawien diplomatisch anzuerkennen, das Angebot finanzieller Unterstützung oder ähnliches, alles an die Bedingung geknüpft, daß der Krieg in Bosnien-Herzegowina beendet und den in Serbien lebenden Minderheiten umfassende Rechte zugestanden werden. Im Kosovo und im Sandjak, vielleicht aber auch in Mazedonien kann ein Krieg wohl nur noch verhindert werden, wenn die internationale Gemeinschaft ausnahmsweise einmal handelt, bevor geschossen wird. Es ist dringend erforderlich, das Recht auf Selbstbestimmung der Mazedonier und der Kosovo-Albaner international anzuerkennen, Vermittler und internationale Beobachter in die Regionen zu schicken und sich um Vermittlung zwischen den Konfliktparteien zu bemühen. Auf jeden Fall sollten die vorhandenen Vermittlungsversuche nicht abgebrochen, sondern ausgeweitet werden. Nicht-Regierungsorganisationen sollten bei dem Versuch, eine friedliche Lösung der Probleme in Bosnien und den anderen Regionen zu finden, genauso hinzugezogen werden wie die Führer der extremistischen Gruppen; allein auf der Ebene der Regierungen der Staaten sind die Konflikte nicht zu beenden. Es geht auch um eine Stärkung der zivilen Gesellschaft.“ 3
Diese Forderungen unterstreicht der Bund für Soziale Verteidigung dadurch, daß er seit 1992 Ausbildungen in gewaltfreier Konfliktaustragung in allen Republiken des früheren Jugoslawien durchführt. Ziel ist es, Techniken der Gewaltfreien Aktion weiterzuvermitteln, wie z.B. eine Vorbereitung auf eine möglicherweise gewaltsam verlaufende Großdemonstration oder eine »Versöhnungsarbeit« mit Hilfe von Mediationstechniken, wie z.B. in Osijek, wo die Antikriegskampagne ein großangelegtes Programm zur gewaltfreien Konfliktlösung entwickelt hat. Über welche konkreten Handlungsspielräume nichtmilitärische und gewaltfreie Konfliktbearbeitung in kriegerischen Auseinandersetzung verfügt, zeigt ein Bericht von Traude Rebmann, einer der Trainerinnen vom Bund für Soziale Verteidigung: „Anfang März 1992 war ich zum zweiten Mal in Kroatien. Ich war von der Anti-Kriegskampagne eingeladen worden, Einführungs-Workshops über Mediation und weitere für das Friedenstiften notwendige Fähigkeiten durchzuführen. Von den Personen, die an den drei Nachmittags-Workshops teilnahmen, kannten sich nur wenige untereinander. Aber sie wurden gestärkt und ermutigt, als sie merkten, daß sie nicht allein waren mit ihrem Wunsch, etwas zu tun, um die Gewalt, die Verzweiflung, den Haß und die Zerstörung zu überwinden. Sie kamen aus allen Lebensbereichen. Einige warteten darauf, wieder an ihre Arbeitsstelle zurückzukehren (nur 10 % der Industrie war zu dem Zeitpunkt in Betrieb): Andere halfen Flüchtlingen und mittellosen Menschen, lehrten an der Universität oder arbeiteten im medizinischen Bereich. Sie waren sehr daran interessiert, Wege einzuüben, um das Bewußtsein anderer Menschen zu wecken, ihre Unterstützung zu bekommen und sie in die Lage zu versetzen, die andere Seite der Medaille zu sehen. Jede Seite hat ähnliche Vorurteile gegen die andere, einige davon eingeimpft durch die Medien. Die Menschen fangen an zu erkennen, daß sie das Opfer so vieler Interessen sind.“ 4
Andreas Buro, vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, geht davon aus, daß „aufgrund des tiefen Hasses und der Verfeindung zwischen den Nationalitäten, die durch Terror und brutalen Einsatz des Militärs in diesem hochgerüsteten Lande aufgebrochen sind“ eine „schnelle Befriedung weder mit militärischen noch mit nichtmilitärischen Mitteln möglich“ ist.
„Der grundlegende Unterschied besteht jedoch darin, daß Formen der Konfliktbewältigung vorgeschlagen werden, die nicht weiter zerstören und verfeinden; sondern Brücken bauen, Vertrauen bilden und die demokratischen und gegen den Krieg gerichteten Kräfte in den Gesellschaften stärken.“ 5
Er hat einen ganzen Katalog an möglichen Reaktionen ausgearbeitet, der u.a. folgende Punkte umfaßt:
„Gegenöffentlichkeit: Die nationalistische Propaganda durchbrechen, um einen Freiraum für eigenständige Beurteilung der Ereignisse in den Gesellschaften zu ermöglichen;
Den Anti-Kriegsgruppen in den jugoslawischen Folgerepubliken international Gehör verschaffen und sie durch Öffentlichkeit schützen;
Bürgerdiplomatie ausweiten und das Friedensgespräch der jugoslawischen Nationalitäten organisieren;
Die Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien in Deutschland gegen den Krieg zu Wort bringen;
Insbesondere in Deutschland ist die eigene parteiische Berichterstattung, als kämpften wir wieder gegen die Serben, zu korrigieren;
Durchsetzung von Menschen-, Nationalitäten- und Minderheitenrechten;
Planungsstäbe und Institutionen nichtmilitärisches Krisenmanagement als dauerhafte Institutionen aufbauen.“
Buro fordert vergleichbare Planungsstäbe für eine nichtmilitärische Konfliktbearbeitung, wie sie für den Militärapparat unterhalten werden. Es sollten Institutionen eingerichtet werden, die es erlauben, die vielfältigen Ebenen einer problemlösenden Friedensförderung zu bearbeiten und miteinander in Verbindung zu bringen. Das Aufgabenspektrum dieser Institutionen sei zudem auf eine vorbeugende Krisenbearbeitung zu erweitern. Einen hohen Stellenwert mißt auch Buro dem Instrument der positiven Sanktionen bei. Sie seien ein Anreiz für Frieden und Kooperation. Sie sollten aber nicht ohne Bedingungen gewährt, sondern an Kriterien wie die Einhaltung der Menschenrechte, die Gewährung von Minderheitenrechten und andere mehr geknüpft werden.
Positive Sanktionen sollen zudem die Wege zu weiteren Möglichkeiten einer friedlichen Konfliktbearbeitung und Streitschlichtung öffnen und zum Beispiel mit der Inanspruchnnahme einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit verbunden werden.
Der wohl bekannteste deutsche Friedens- und Konfliktforscher, Dieter Senghaas, präsentiert mit dem Begriff der »therapeutischen Konfliktintervention«, wie auf Konfliktparteien so eingewirkt werden könnte, daß „nicht autoritative Lösungen aufgezwungen, sondern verfestigte Einstellungs- und Verhaltensorientierungen überprüft, aufgelockert und damit korrekturfähig gemacht werden“.6 Senghaas geht davon aus, daß die Chancen einer erfolgreichen Konfliktintervention am größten sind, wenn frühzeitig genug in Konflikte und Streitigkeiten therapeutisch interveniert werden kann. Das bedeutet, daß „die Vorgeschichte eines Konfliktes sowie die aus dem Widerstreit unterschiedlicher Volksgruppen sich ergebende, eskalationsträchtige Konfliktdynamik (…) für alle Beteiligten durchsichtig zu machen (sind). Das heißt objektive und subjektive Konfliktumstände sind argumentativ aufzuarbeiten, um eine weitere Steigerung autistischer Feindschaft zu verhindern bzw. die Neigungen zu Autismus abbauen zu helfen; und es geht darum, Handlungsoptionen aufzuzeigen, die von starr auf ihre eigene Position fixierten Konfliktparteien nicht wahrgenommen werden können und also auch niemals erprobt würden.“ 7
Von der etablierten und institutionalisierten Friedensforschung werden die Überlegungen einer gewaltfreien Konfliktbearbeitung und Streitschlichtung skeptisch beurteilt. So schreibt z.B. Berthold Meyer von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, der sich insbesondere mit der Position von Ebert auseinandersetzt. „Bei aller Sympathie für gewaltfreie Widerstandformen (…) scheint mir der hier beschriebene Transfer von gewaltfreiem Training in der eigenen Gesellschaft zum Einsatz an internationalen Brennpunkten in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Ebert betont zwar die Notwendigkeit professioneller Ausbildung für derartige Aktionen. Trotzdem ist aber zu fragen, wie festgestellt werden kann, ob jemand »einigermaßen routiniert« gewaltfrei mit bewaffneten Konfliktsituationen umzugehen vermag. (…) Bewaffnete Raubüberfälle lassen sich aber z.B. nicht bestellen, um das eigene Verhalten dabei zu testen, obwohl sie vielleicht am ehesten der Situation entsprechen, die jemand antrifft, wenn marodierende Soldaten ein Dorf plündern wollen und dabei nicht davor zurückschrecken, diejenigen abzuknallen, die sich ihnen in den Weg stellen. Sodann ist zu fragen, wer jemanden, der oder die vermeintlich dem Anspruch der Routiniertheit entspricht, zu auswärtigen Einsätzen »heranzuziehen« verantworten will, denn anders als bei den Blauhelmen wird diesem weder beigebracht noch ein Mittel an die Hand gegeben, sich notfalls selbst zu verteidigen. (…) Nein, so vernünftig und richtig es ist, auch in anderen Regionen Menschen die in gewaltträchtige Konflikte verwickelt sind, über die eigenen Erfahrungen mit gewalffreien Austragungsformen zu informieren und sie zu ermutigen, ihre Streitfragen ebenfalls gewaltfrei auszutragen und ihnen dabei zu helfen, hierfür Formen zu finden, die ihre Gegner nicht zur weiteren Eskalation veranlassen, so unverantwortlich erscheinen mir »taskforce«-Einsätze ohne Selbstschutzmittel, wenn bereits geschossen wird.“ 8
3. Was sind friedliche Mittel?
Es ist wenig glaubhaft, wenn sich die Mitglieder eines Systems kollektiver Sicherheit völkerrechtlich verbindlich zusichern, militärische Gewalt nur als letztes Mittel anzuwenden und zur Regelung von Konflikten zuerst auf friedliche Verfahren zu setzen, aber kaum darauf vorbereitet sind, Konflikte vor dem Überspringen der Gewaltschwelle zu stoppen oder sie auf dem Weg der Vermittlung und des Ausgleichs zu lösen. Im folgenden soll deshalb versucht werden, den Begriff der friedlichen Mittel näher zu bestimmen.
Bereits in den ersten Abschnitten der Charta der Vereinten Nationen, nämlich im Art.1 Ziff.1 und im Art.2 Ziff.3, wird der Begriff »friedliche Mittel« verwendet. Im Art.33 der Charta werden verschiedene Verfahren zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten aufgeführt. Dennoch gestaltet sich eine trennscharfe und präzise Definition des Begriffs relativ schwierig. Interessanterweise wird die Begriffsannäherung über die Negation, über die Definition von unfriedlichen Mitteln versucht. Wenn die terminologische Annäherung von Tomuschat9 akzeptiert wird, können folgende Maßnahmen als unfriedliche Mittel verstanden werden:
rechtsverletzende Maßnahmen,
Maßnahmen, die gegen das Interventionsverbot (Art.2 Ziff.7) verstoßen,
Maßnahmen, die gegen das Gewaltverbot (Art.2 Ziff.4) verstoßen.
Diese begriffliche Annäherung ist allerdings sehr unbefriedigend, weil die Definition friedlicher Mittel nur durch eine negative Ausgrenzung im Hinblick auf andere Formulierungen der Charta versucht wird. Demnach sind friedliche Mittel all jene, die nicht unfriedlich sind. Das ist aber ein unfruchtbarer Zirkel. Leider verwendet Tomuschat bei der wichtigen Präzisierung friedlicher Mittel zu viel Energie auf eine ausführliche Darstellung möglicher Ausnahmemaßnahmen und leistet z.B. eine terminologische Abgrenzung zwischen Retorsion und Repressalien, bleibt aber bei der exakten Beschreibung friedlicher Mittel äußerst vage. Auch sein Hinweis auf die Verfahren der Streitbeilegung nach Art.33 der Charta der Vereinten Nationen hilft nicht weiter, da auch dort nach einer Aufzählung einiger Maßnahmen wiederum von anderen friedlichen Mitteln gesprochen wird, die auch nicht präzisiert werden. So bleiben völkerrechtliche Versuche einer Begriffsbestimmung, die genauer auf die friedlichen Mittel eingehen, auch bei ausgewiesenen Experten eine Ausnahme.
Die völkerrechtlichen Definitionsbemühungen haben in der Charta der Vereinten Nationen zum Art.33 Ziff.1 geführt, in dem verschiedene Verfahren und Mittel für eine friedliche Beilegung von Streitigkeiten präzisiert wurden. Dort heißt es: „(1) Die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden, bemühen sich zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl. (…)“
Ähnliche Formulierungen finden sich in Teil V der Schlußakte von Helsinki vom 1.8.1975 sowie in der „Friendly Relations-Declaration“. Nach Art.2 Ziff.3 der Charta sind alle Mitglieder der Vereinten Nationen aufgefordert, ihre Streitigkeiten durch friedliche Mittel beizulegen, damit der Weltfriede und die internationale Sicherheit nicht gefährdet werden. Diese Pflicht ist eine Ergänzung des Gewaltverbots und wird durch den Art.33 operationalisiert. Nachfolgende Ansätze, wie z.B. die Deklaration „Friendly Relations and Cooperation among States“ vom 24.10.1970 orientieren sich ebenfalls an dieser Vorstellung. Und auch in der am 15.11.1982 durch die Vereinten Nationen angenommenen „Manila-Declaration on the Peaceful Settlement of Disputes“ 10 wird auf die friedlichen Mittel zur Streitbeilegung hingewiesen.
Die im Art.33 genannten Verfahren können sowohl als Mittel präventiver Diplomatie sowie als Mittel der aktiven Konfliktaustragung und -bearbeitung eingesetzt werden. Der Unterschied zwischen beiden Verfahren liegt lediglich im Zeitpunkt ihrer Verwendung. Als Instrumente der Prävention sollen sie im Idealfall die Gewaltanwendung verhindern und bei bereits existierenden Auseinandersetzungen eine friedliche Konfliktbearbeitung ermöglichen.
Allerdings hat der Art.33 auch Kriterien für die Inanspruchnahme der Verfahren definiert. Es gibt nämlich eine Beschränkung auf Konflikte, deren Fortsetzung den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gefährden könnten. Mit dieser Einschränkung wird die Einmischung in die Entscheidungsfreiheit der Staaten stark abgemildert, allerdings auch die Eingriffsmöglichkeiten für präventive Konfliktbearbeitung und präventive Diplomatie erschwert, da präventive Mittel insbesondere in einem Konfliktstadium eingesetzt werden sollten, in dem sicherlich noch von keiner Gefährdung des Weltfriedens gesprochen werden kann.
Obwohl sich in der Charta der Vereinten Nationen also durchaus Hinweise auf friedliche und gewaltfreie Mittel und Verfahren finden lassen, sind der Charta Begriffe wie »Konflikt«, »Konfliktlösung« oder »Konfliktprävention« allerdings fremd. Und das, obwohl der Beitrag der Vereinten Nationen zur Lösung, Eindämmung und Kontrolle internationaler Konflikte keineswegs bestritten, vielmehr sogar als eine ihrer herausragenden Aufgaben angesehen wird. Die Sicherung des Weltfriedens wird durch das Kap. VI bereits auf das politische Vorfeld kriegerischer Auseinandersetzungen vorverlagert. Dies verdeutlicht, daß der Charta der Vereinten Nationen der Gedanke der Konfliktprävention nicht fremd ist, auch wenn er sich als Begriff nicht direkt nachweisen läßt.
4. Der Begriff »Konflikt«
Konflikte gibt es überall und zu jeder Zeit. Es gibt keine Welt ohne Konflikte. Jeden Morgen, wenn wir aufstehen, lesen wir bereits in der Morgenzeitung über eine Vielzahl unterschiedlicher Konflikte. Beim Betreten des Busses kann der alltägliche verdeckte Kampf um den Sitzplatz beobachtet werden, endlich am Arbeitsplatz wartet bereits der nächste Konflikt auf seine Bearbeitung und evtl. Lösung. Konflikte spielen in unserem Leben eine unübersehbare Rolle. Psychische, gesellschaftliche, ökonomische, nationale, ethnische Konflikte tagaus, tagein. Arbeitskampf, Tarifauseinandersetzungen, Streitbeilegung, Schlichtungskommission unter der Woche, Demonstration und Hooligans am Wochendende. Bürgerkrieg und kriegerische Auseinandersetzung fast auf jedem Kontinent. Konflikte sind omnipräsent. Und außer dieser Vielzahl an Konflikten selbst, die als Einzelfall für Zeitung oder Nachrichten interessant sein können, haben wir mittlerweile Indikatoren für die Konflikthaftigkeit der Welt ausgearbeitet: Selbstmordrate, Scheidungsquote, Waffen- und Rüstungsexportstatistiken und unterdessen gibt es auch schon Kriegsregister.
Seit Jahren bemüht sich die Friedens- und Konfliktforschung um die Aufklärung des Phänomens. Im Zentrum standen die Fragen nach der Verursachung und nach der Funktion von Konflikten. Nun steht das verstärkte Bemühen um die Frage nach den Möglichkeiten der Konfliktlösung oder -vermeidung an. Der Begriff »Konflikt« bezeichnet als soziologische Kategorie einen Interessengegensatz zwischen einzelnen Handlungssubjekten, wobei Konflikt in der Regel nicht als starre Konstellation widerstreitender Interessen, sondern als Prozeß zunehmender oder abnehmender Intensität begriffen wird. Insbesondere die kritische Friedensforschung hat den Begriff in den Bereich der internationalen Beziehungen übertragen. Dabei wird auch immer wieder zwischen Konflikt und Krieg unterschieden. Konflikte sind Interessengegensätze zwischen Gruppen, die noch nicht mit militärischen Mitteln ausgetragen werden, allerdings jederzeit zu Kriegen führen können.
Der Konfliktbegriff wird außerdem oft synonym mit den in Kap. VI gebrauchten Begriff der »Streitigkeit« verwendet. Eine Einschränkung des Konfliktbegriffs auf »Streitigkeit« wird der Praxis der Vereinten Nationen aber nur unzureichend gerecht. Die Einrichtung von Friedenstruppen geht wahrscheinlich über die Verfahrensvorschläge von Kap. VI hinaus. Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen behandelt die Wiederherstellung des Friedens und Kap. VI die friedliche Konfliktbearbeitung im politischen Vorfeld, wobei die Vereinten Nationen hier lediglich Empfehlungen ohne rechtsverbindliche Wirkung abgeben dürfen. Die friedliche Streitschlichtung und Konfliktbearbeitung ist somit im Regelwerk der Vereinten Nationen deutlich weniger rechtsverbindlich internationalisiert und operationalisiert als die Maßnahmen nach Kap. VII, die zur Wiederherstellung von Frieden ergriffen werden dürfen. Ob die Konfliktprävention überhaupt als wirkungsvolle Aufgabe der Vereinten Nationen gesehen werden kann, wird vor diesem Hintergrund fraglich. Zudem zeigen die Mitgliedsstaaten gerade in diesem Punkt offensichtlich nur wenig Reformbereitschaft, wie etwa die Manila-Deklaration von 1982 belegt, die in kaum einem Punkt über das Kap. VI der Charta der Vereinten Nationen hinausgeht.
Konflikt kann als eine Sammelbezeichnung für alle möglichen intra- und interpersonalen Spannungen, Problemsituationen und Auseinandersetzungen beschrieben werden. Der intrapersonale, innerpsychische Konflikt soll bei diesen Betrachtungen ausgespart bleiben. Ein interpersonaler, sozialer Konflikt ist ein spannungsgeladenes Geschehen zwischen verschiendenen Individuen, Gruppen, Klassen oder auch Staaten. Auch Spannungen, Kämpfe und Auseinandersetzungen zwischen Einzelpersonen und Gruppierungen fallen in diese Kategorie. Jedes soziale System, jede Gesellschaft lebt in der Spannung zwischen normativen Ansprüchen und Konstitutionsregeln sowie der Dynamik sozialer Interaktionen. Konflikte sind Forschungsgegenstand der politischen Wissenschaften, der Soziologie, der Sozialpsychologie und der Anthropologie. Diese haben sich der Erforschung von Konflikten und von Streitigkeiten innerhalb sozialer Gruppen, ihrer Entstehung, ihrer Funktion sowie der Form, Verfahren und Maßstäbe ihrer Beilegung gewidmet. Trotz der intensiven Forschung ist keine einheitliche Theorie des Konflikts entwickelt worden. Aus einer normativ orientierten Sicht werden Konflikte und Streitigkeiten als die Verletzung von rechtlichen Verhaltensregeln verstanden. Nach einer anderen Annäherung sind Konflikte ein normales Phänomen des gesellschaftlichen Lebens. Besonders stark umstritten ist die Bestimmung der Konfliktursachen. Das Spektrum möglicher Erklärungsversuche reicht von der Reduktion der Konfliktursachen auf materielle Interessenskolissionen bis hin zu ideellen Interessen wie z.B. Macht. Es gibt auch Versuche, nochmals eine terminologische Unterscheidung zwischen Konflikten und Streitigkeiten (conflict and disputes) zu treffen. Konflikte sind wie – oben gesagt – Interessenskolissionen, Streitigkeiten sind hingegen ein Konfliktstadium, in dem Ansprüche und Gegenansprüche aufeinanderstoßen. Eine weitere Unterscheidung wird zwischen antagonistischen Konflikten (entspricht in etwa Streitigkeiten) und gleichgerichteten Konflikten, (als einer Konkurrenz mit akzeptierten Mitteln um Ressourcen oder Positionen).
Während es in der Begriffsbestimmung und in der terminologischen Trennschärfeproblematik sichtbar ein breites Spektrum von lebensweltorientierten bis hin zu fachdiszipliniären Versuchen gibt, besteht eine stärkere Übereinstimmung hinsichtlich der Mittel, Formen und Verfahren der Konfliktbearbeitung und -lösung. Neben der Gewaltanwendung, die in der Menschheitsgeschichte das dominante Mittel der Auseinandersetzung war, wird die Bearbeitung und Lösung von Konflikten vor allem mit friedlichen Mitteln, wie etwa durch Verhandlungen und/oder Vermittlung versucht. Vor diesem Hintergrund verstehen sich auch die Bemühungen, sich sowohl auf die Verfahren der friedlichen Konfliktlösung als auch auf psychologische Aspekte zu konzentrieren, um eine rational orientierte und friedliche Konfliktlösung zu ermöglichen.
Dazu gehört auch die Erkenntnis, daß nicht jedes Verfahren einer friedlichen Konfliktbarbeitung und -lösung notwendigerweise zu einem friedlichen Wandel führt.
Für die Chancen und Grenzen nichtmilitärischer Konfliktbearbeitung und für eine aktive Konfliktaustragung werden in dieser Arbeit folgende grundlegende Prämissen gesetzt:
1. Konflikte gab, gibt und wird es auch weiterhin auf allen gesellschaftlichen Ebenen (auch in den internationalen Beziehungen) geben. Konflikte sind dem Menschen wesenseigen und jeder seiner Gesellschaftsformen konstitutiv. Das Auftreten von Konflikten ist in sozialen Gesellschaften unvermeidlich. Form und Verfahren der Konfliktbearbeitung und -lösung entscheiden darüber, ob ein Konflikt zu kriegerischen Auseinandersetzungen führt. Es geht also bei der Diskussion um eine präventive (Außen-)Politik, um die Chancen und Grenzen präventiver Politik und Diplomatie nicht um das Ob, nicht um die generelle Existenz einer konfliktbehafteten Welt, sondern um das Wie der Austragung und um die Formen und Regeln der Konfliktbewältigung. Konflikte können nicht weggedacht werden. Dahrendorf hat es in Anlehnung an Immanuel Kant wie folgt ausgedrückt: „Konflikte sind die Quelle des Fortschritts zur Zivilisation und am Ende zur Weltbürgerschaft.“ 11
2. Konflikte sind per se weder funktional noch dysfunktional. Es müssen überzeugende Strategien für einen zivilen, humanen Umgang mit Konflikten, Strategien für eine friedliche und gerechte Konfliktregelung, die bei ihrer Verwirklichung und Durchsetzung das Entstehen neuer Konflikte aus dieser Realisierung mitbedenkt und verhindert, entwickelt werden. Konfliktschlichtung muß mehr sein als nur eine „temporäre Trennung der Kampfhähne“.12
3. Stimmen die oben genannten anthropologischen Voraussetzungen, dann muß präventive Politik scheitern, wenn sie als Ziel die Verhinderung von Konflikten leisten will. Konflikte sind nicht zu verhindern. Es kommt vielmehr darauf an, die gewalttätige Austragung von Konflikten zu verhindern bzw. in friedliche Verhaltensformen zu überführen.
4. Eine tragfähige und dauerhafte Lösung von Konflikten kann nur von innen kommen und niemals von außen in die Menschen hineingebombt werden. Ein wichtiger Bestandteil der Strategie nichtmilitärischer Konfliktlösung ist deshalb eine weitgehende Zurückhaltung ausländischer Mächte als interessengeleitete Nationalstaaten. Dem steht eben genau das Bestreben der Konfliktparteien gegenüber, die ein Interesse daran haben, den Konflikt möglichst zu internationalisieren, nicht zuletzt in der Hoffnung auf Waffen- und Rüstungslieferungen. Die Internationalisierung des Konflikts ist in der Regel dabei weniger auf internationale Organisationen gerichtet, sondern oft eine klassische Suche nach Verbündeten, die korrespondierende nationalstaatliche Interessen haben.
5. Institutionell miteinander vernetzte demokratische Rechtsstaaten und Systeme kollektiver Sicherheit sind bei der Konfliktregelung sowohl der Konkurrenz der Nationalstaaten, als auch dem Konfliktlösungspotential der beteiligten Kräfte in der Regel überlegen.
5. Nichtmilitärische Konfliktbearbeitung und friedliche Streitschlichtung
Im folgenden Abschnitt soll sowohl auf die klassischen diplomatischen Mittel und Verfahren der nichtmilitärischen Konfliktlösung und friedlichen Streitschlichtung, wie sie vom Völkerrecht über die Jahrhunderte entwickelt und ausgearbeitet wurden, als auch auf einige neuere Ansätze eingegangen werden. Schon frühzeitig läßt sich das Bemühen feststellen, verschiedenen Verfahren und Methoden der friedlichen Streitbeilegung völkerrechtlich zu kodifizieren.
Die Haager Abkommen formulierten, ohne daß das heutige Gewaltverbot bereits als grundlegende völkerrechtliche Norm anerkannt war, daß die Anwendung von Gewalt wenn möglich zu verhüten sei. Auf der ersten Haager Friedenskonferenz 1899 wurde die friedliche Streitbeilegung institutionalisiert. Bereits in diesen völkerrechtlichen Verträgen wurden Verfahren wie »Gute Dienste«, Vermittlung, Untersuchungskommissionen und der ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag festgeschrieben. Darin wurde z.B. die Vermittlung – auch die Form, die auf Eigeninitiative des Vermittlers zustande kam – als freundliche Handlung und nicht als unrechtmäßige Einmischung verstanden. Ausgangspunkt der Haager Abkommen war das Ziel der Vertragsparteien, „in den Beziehungen zwischen den Staaten die Anrufung der Gewalt soweit wie möglich zu verhüten“ und „alle ihre Bemühungen aufwenden zu wollen, um die friedliche Erledigung der internationalen Streitfragen zu sichern“ (Art.1). In den verschiedenen Titeln des I. Haager Abkommen werden dann folgende Verfahren genannt:
Gute Dienste und Vermittlung (zweiter Titel; Art. 2 bis 8)
Internationale Untersuchungskommission (dritter Titel; Art.9 bis 36)
Internationale Schiedssprechung (vierter Titel)
mit den Kap. 1 Schiedswesen (Art.37 bis 40),
Kap. 2 Ständiger Schiedshof (Art.41 bis 51)
Kap. 3 Schiedsverfahren (Art.51 bis 85) und
Kap. 4 abgekürztes Schiedsverfahren (Art.86 bis 90).
Mit dem Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg und den Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Verfahren der friedlichen Konfliktbearbeitung und Streitbeilegung weiter institutionalisiert. Auf diese Epoche soll hier verzichtet werden, da die Verfahren der friedlichen Konfliktlösung zum großen Teil in der Charta der Vereinten Nationen auftauchen.
Hauptbezugspunkt der internationalen Diskussion über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten und internationalen Konflikten ist das ausgebildete Regelwerk der Vereinten Nationen. Die Charta der Vereinten Nationen knüpft an ähnliche Verfahren wie z.B. die der Haager Abkommen an. Bereits Art.2 Ziffer 3 der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet – wie weiter oben bereits ausgeführt – die Mitgliedsstaaten, internationale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln zu regeln. Dem Charakter nach und als trennscharfes Unterscheidungskriterium gegenüber Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen werden im Kap. VI nur Maßnahmen ohne Zwangscharakter verhängt. Die Auflistung möglicher Verfahren provozierte natürlich im völkerrechtlichen Fachschrifttum unmittelbar die Frage, ob damit eine Hierarchie verbunden sei und sie „nacheinander in Gang zu setzen“ 13 seien. Dies wird allerdings eindeutig verneint; den Konfliktparteien ist die Wahl ihrer Mittel freigestellt.
In den regionalen Organisationen sind diese Verfahrensweisen entsprechend aufgenommen worden. Für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften gilt seit 1958 die Europäische Konvention über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten vom 29.4.1957. Das europäische Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten vom 29.4.1957 nennt Verfahren, die sich an das Kap. VI der Charta der Vereinten Nationen anlehnen (Kap. I über die gerichtliche Beilegung, Kap. II über die Vergleichsverfahren und Kap. III über die Schiedsverfahren).
Die nachfolgend genannten Methoden friedlicher Streitbeilegung sind alt und wurden bereits in der Epoche des klassischen Völkerrechts entwickelt. Viele haben – so Kimminich – bereits im klassischen Völkerrecht ihre auch heute noch gültige Ausformung erhalten.14 An Aktualität haben sie nicht verloren. Grundlegend für die Verankerung dieser Verfahren und Mittel in der Charta der Vereinten Nationen ist die prinzipielle Orientierung an »Frieden durch Recht«, einem Fundament der heutigen Völkerrechtsordnung. Das Gewaltverbot wäre allerdings vollkommen unglaubwürdig und sinnlos, wenn das Völkerrecht keine Mittel der friedlichen Konfliktbeilegung anbieten würde. Grundlegende Orientierung der Verfahren nach Kap. VI der Charta der Vereinten Nationen ist, daß die Lösung des Konflikts bei den Streitparteien verbleiben und eine Dritte Partei darauf nur geringen Einfluß nehmen soll.
Im folgenden soll u.a. ausführlicher auf die verschiedenen Möglichkeiten einer nichtmilitärischen und friedlichen Konfliktbearbeitung und Streibeilegung eingegangen werden, die ausdrücklich im Kap. VI der Charta der Vereinten Nationen erwähnt sind.
a. Gute Dienste
Gute Dienste (Good Offices), die nicht ausdrücklich in der Charta erwähnt sind, aber auf eine lange Geschichte zurückblicken, werden durch einen Staat oder auch durch Einzelpersonen angeboten, der im Streit zwischen den Konfliktparteien durch direkte Verhandlungen eine Lösung ermöglichen wollen. Gute Dienste stellen eine sehr niedrige Form der Einflußnahme durch eine Dritte Partei dar. So kann z.B. ein Konferenzort für die Verhandlungen personell, materiell und technisch vorbereitet und angeboten werden. Sie erschöpfen sich darin, daß der Dritte die Parteien zu Verhandlungen überredet und ein günstiges Klima dafür schafft, ohne aber an den Verhandlungen selbst teilzunehmen (so die Definition in Art.IX Bogota-Pakt). Die »guten Dienste« können von einer Regierung, aber auch von Privatpersonen angeboten werden. So hat z.B. der britische Konzern LONRHO die Reisekosten für Delegationsmitglieder der mosambikanischen Rebellenorganisation RENAM0 übernommen, „damit diese überhaupt zu den Verhandlungen mit der Regierung außerhalb des Landes gelangen konnten.“ 15 In letzter Zeit hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen teilweise mit Erfolg gute Dienste zur Lösung von Konflikten durchgeführt.
b. Konsultationen (consultation)
Auch die Konsultationen werden nicht ausdrücklich als eigenständiges Verfahren erwähnt, sind aber ebenfalls in den Bereich der friedlichen Mittel einzuordnen. Unter Konsultationen versteht das Völkerrecht einen Prozeß, „in dem ein Staat, der eine bestimmte Maßnahme ergreifen will, nach Information der davon betroffenen Staaten deren Wünsche und Vorstellungen in Rechnung stellt und Einwände angemessen berücksichtigt.“ 16
Im angelsächsichen Sprachraum und insbesondere durch die Forschungsarbeiten zur Problematik der Conflict Resolution wird unter »consultation« eine problemlösungsorientierte Beratung verstanden, die auf der Ebene von Workshops oder Runden Tischen abläuft. Der »consultator« ist stärker in die Verhandlungen involviert als der »negotiator«, macht aber dennoch keine eigenen, neuen Eingaben. Oft handelt es sich um eine Gruppe von »consultators«, die in Konfliktmanagement und Gruppendynamik gut ausgebildet sind und den Konfliktparteien mit ihrem Wissen beratend zur Seite stehen.
c. Verhandlung (negotiation)
Verhandlung ist nicht nur eine Form der Streitbeilegung, sondern auch ein allgemeines Mittel des zwischenstaatlichen Verkehrs, das insbesondere bei der Vorbereitung von Verträgen Anwendung findet. Von Verhandlungen kann man nur sprechen, wenn beide Konfliktparteien Stellungnahmen zur Sache abgeben. Bei Verhandlungen treten die Parteien unmittelbar miteinander in Verbindung und erörtern die zwischen ihnen bestehenden Streitpunkte. Soweit sie der Konfliktbearbeitung und Streiterledigung dienen, unterscheiden sich die Verhandlungen von anderen Verfahren dadurch, daß ihnen das Element der Dritten Partei fehlt. Deshalb wird die Verhandlung einerseits als schwächstes Streitschlichtungsmittel betrachtet, so etwa bei Kimminich17, andererseits als der beste Weg zur Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten eingeschätzt.18
Die Verhandlungssituation ist dadurch charakterisiert, daß sich zwei oder mehr Konfliktparteien in einem Interessenkonflikt befinden und mittels direkter Kommunikation einen Ausgleich suchen. Ausgangspunkt für Verhandlungen ist ein eingestandenes Interessen der Konfliktparteien, daß eine Einigung und Übereinkunft für beide Parteien von größerem Vorteil ist als die Nicht-Einigung. Die Parteien haben also neben den konfligierenden Interessen auch ein gemeinsames Interesse. Bei Verhandlungen kommt es zum Austausch von Vorschlägen, Forderungen, von Informationen über Konsequenzen, über die Lage der Beteiligten, von Erläuterungen, Rechtfertigungen, Versprechungen, Drohungen und anderen relevanten Verhaltensgrößen.
d. Untersuchung (enquiry)
Eine mögliche Grundlage für die friedliche Beilegung von Konflikten kann des öfteren eine Untersuchung (»Fact-finding«) durch unparteiische Beobachter oder durch eine internationale Untersuchungskommission sein, die von den Konfliktparteien eingesetzt wird. Normalerweise wird die Untersuchung mit einem Bericht abgeschlossen, der lediglich die objektiven Tatsachen festhält, aber keine rechtsverbindliche Wirkung und teilweise noch nicht einmal Empfehlungen enthält. Diese Form der friedlichen Streitbeilegung war bereits in den Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vorgesehen. Auch nach diesem Abkommen hat der Untersuchungsbericht keine rechtsverbindliche Kraft. Die Konfliktparteien können souverän entscheiden, ob und welche Schlußfolgerungen sie aus dem Untersuchungsbericht ziehen. Die Vorteile der Untersuchung sind, daß Konfliktparteien zum ersten Mal Informationen vermittelt werden können, die einer Lösung des Konflikts zuträglich sind. Letztlich sind auch die Untersuchungen ein Dritte-Partei-Verfahren, da diese die Informationen sammelt und den Konfliktparteien zur Verfügung stellt. Die Verantwortung zur friedlichen Beilegung des Konflikts verbleibt allerdings bei den Konfliktparteien. Das Verfahren zur Einsetzung einer Untersuchungskommission ist hier nicht Gegenstand weiterer Erörterungen.
e. Vermittlung (mediation)
Auch die Vermittlung ist ein Verfahren der friedlichen Beilegung von Konflikten, das bereits in den Haager Abkommen ausführlich geregelt war. Vermittlung (mediation) ist ein äußerst schillernder Begriff, abseits jeder präzisen Begriffsbestimmung19, Vermittlungen sind Verhandlungen an denen eine dritte Partei als Vermittler teilnimmt. Es ist eine willkommene oder unerwünschte Einflußnahme durch Dritte. Die Konfliktparteien sollen von den Vorteilen einer friedlichen Konfliktaustragung überzeugt werden. Daran anknüpfend sollen verschiedene Wege zu einer langfristigen Lösung des Konflikts angegangen werden. Paffenholz hat einige Beispiele für erfolgreiche Vermittlung genannt, so etwa die des amerikanischen Präsidenten Carter 1978 zwischen Ägypten und Israel oder die Lancaster-House-Verhandlungen, in denen der britische Unterhändler Lord Carrington durch Vermittlung zwischen den Konfliktparteien im Rhodesien-Konflikt 1979 die Unabhängigkeit Simbabwes erreichte.20 In der Vergangenheit haben vor allem die Vereinten Nationen oft in Person ihres Generalsekretärs Vermittlungsdienste durchgeführt. Die Vermittlung überschreitet die infrastrukturelle Dienstleistungsangebote der »Guten Dienste« in die Richtung, daß der Vermittler selbst Vorschläge zur Lösung des Konflikts unterbreitet. Eine Vermittlungstätigkeit kann nur mit der Zustimmung der Konfliktparteien zustande kommen und setzt meist eine strikte Neutralität voraus. Entfällt diese grundlegende Voraussetzung oder wird sie willentlich ausgeschlossen, ist die Grenze zur Intervention überschritten. Die Vermittlung hat völkerrechtlich eine sehr lange Geschichte, die bis weit ins Mittelalter zurückreicht. Kimminich ist der Auffassung, daß die neuere völkerrechtliche Literatur allerdings kaum noch eine Unterscheidung zwischen Vermittlung und Ausgleich trifft, diese viel eher meist zusammen behandelt. Dies ist eine Verschiebung gegenüber den früheren Annäherungen, wo eher die Guten Dienste und Vermittlung als eng verknüpft thematisiert wurden.21
Die in letzter Zeit vor allem von der US-amerikanischen Friedens- und Konfliktforschung in die europäische Debatte eingebrachten Ansätze der friedlichen Konfliktlösung und -bearbeitung durch Mediationsprojekte stellen keine Neuerung im eigentlich Wortsinn dar. Hier handelt es sich um einen durchaus weit verbreiteten Irrtum. Die Verfahren und Methoden, die unter dem Oberbegriff der Conflict Resolution diskutiert und intensiv erforscht werden, sind keine neuen Ansätze. Fast alle Verfahrensvorschläge finden sich bereits in der Charta der Vereinten Nationen (hier im Kap. VI) und in den Haager Abkommen. Dennoch transportieren diese Forschungsansätze ein enorm wichtiges Anliegen. Es ist das Bemühen, die elaborierten und theoretisch entwickelten sowie völkerrechtlich kodifizierten Verfahrensvorschläge zur friedlichen Konfliktbearbeitung und Streitschlichtung mit aussagekräftigem Inhalt zu füllen und sie als wirkungsvolle Instrumente gegenüber der Dominanz militärischer Mittel in die internationale Diskussion einzuführen und sie als unentbehrlichen Verhaltensstandard bei internationalen Konflikten und Streitigkeiten zu etablieren. Es ist insofern ein konzentrierter Versuch, das brachliegende Kap. VI der Charta der Vereinten Nationen mit Leben zu füllen. Die Nähe zur Charta der Vereinten Nationen wird auch durch die enge begriffliche Anlehnung deutlich.22
Als einer der Hauptvertreter der amerikanischen Forschung über Conflict Resolution gilt seit den frühen 60er Jahren John Burton. Er hat in Zusammenarbeit mit vielen anderen Forschern, wie etwa Kelman oder Azar, entscheidende Anstöße gegeben. Theoretisch ist die Gruppe um Burton wesentlich durch die Arbeiten des Psychologen Kurt Lewin23 beeinflußt, dessen gruppendynamische Untersuchungen erhebliche Auswirkungen auf die theoretischen Überlegungen von Burton u.a. gehabt haben. Burton u.a. konzentrierten sich auf die Ansatzmöglichkeiten sozialpsychologischer Forschungsergebnisse für Konflikte in den internationalen Beziehungen. Burton bettete seinen Ansatz der Conflict Resolution in einen umfangreichen theoretischen Rahmen, die sogenannte „Human Needs Theory“ 24, wonach die Konfliktparteien beiderseitig auf eine umfassende Befriedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse orientiert sind. Die Gruppe um Burton hat in einer vierbändigen Ausgabe ihre umfangreichen Ergebnisse vorgestellt, sowie ein breites Spektrum an Methoden und Verfahren dargelegt. Bei den Verfahren werden beispielsweise Mediation, Verhandlungen, Schiedssprüche, problemorientierte Konfliktlösung, citizen diplomacy u.a., bei den Methoden Workshops, Gesprächskreise, Runde Tische u.a. angeführt.25 Aufbauend auf seiner Human-Needs Theorie, entwickelten Burton u.a. eine Vielzahl an Verfahren und Methoden, um die einseitige Gewinnorientierung einer Partei in eine für beide Seiten annehmbare Situation umzuwandeln. Die sozialpsychologischen Wurzeln werden deutlich sichtbar, wenn Burton davon ausgeht, daß der Vermittler neben der Fachkenntnis entsprechend gut im Konfliktmanagement ausgebildet ist und über ausreichende Kenntnisse der Gruppendynamik verfügt.
Eine weitere amerikanische Forschergruppe hat sich um den Soziologen Louis Kriesberg26 gebildet. Auch nach seiner Konzeption wird die Vermittlung durch neutrale Experten wahrgenommen. Dieser Grundsatz gilt aber nicht absolut, da er bei allseitiger Akzeptanz durch die Konfliktparteien, unter Umständen auch parteiisch sein darf. Kriesberg ist sehr stark am Mediationsgedanken orientiert und setzt in der Methodik auf vergleichbare Verfahren wie Burton, nämlich auf Workshops und z.B. auch auf Runde Tische. In der Analyse der Probleme gewaltfreier Konfliktlösung und -bearbeitung hat er einen Fragenkatalog nach Methoden und Einstiegszeitpunkt, nach Bedingungen und Beteiligten erarbeitet und dabei betont, daß auch »nonofficials« Deeskalationsoptionen frühzeitig untersuchen können.27 Im Mittelpunkt weiterer Studien steht für die Gruppe um Kriesberg unter anderem die Frage nach dem richtigen »timing«. Kriesberg mißt dieser Frage, also der Wahl eines günstigen Zeitpunktes für eine erfolgreiche Vermittlung sehr große Bedeutung bei.28
Mit der Vorstellung, daß der Vermittler seine Neutralität aufgeben muß und sogar nicht nur parteiisch sein soll, sondern auch noch über Macht und Druckmittel gegenüber den Konfliktparteien verfügt, hat der amerikanische Politologe William Zartman29 die Debatte um friedliche Vermittlungswege sicherlich enorm belebt. Auf ihn geht die Einführung des Begriffs der Reife (ripe moment) zurück. In gedanklicher Nähe zu Kriesberg liegt ein entscheidender Faktor für die Erfolgsaussichten der friedlichen Konfliktlösung darin, den richtigen Zeitpunkt für vermittelnde Aktivitäten zu erkennen. Der Vermittler hat sich voll darauf zu konzentrieren, besonders günstige Bedingungen für die Vermittlung zu finden. Ein Konflikt muß »reif« für seine Lösung werden. Interessanterweise müssen diese »Reife«-Situationen gar nicht in der Realität, sondern lediglich im Bewußtsein der beteiligten Konfliktparteien vorhanden sein. Paffenholz30 hat auf das Beispiel der Guerilla in El Salvador hingewiesen. Diese waren »reif« für Verhandlungen, als sie annahmen, keine Waffenlieferungen mehr von der Sowjetunion zu erhalten, obwohl diese ununterbrochen weiterliefen. Vor einem solchen theoretischen Hintergrund wird schnell deutlich, wieso Zartman die Frage der Neutralität des Vermittlers als eine vernachlässigbare Größe gegenüber seinen Macht- und Druckmitteln einstuft. Denn ist eine Situation reif für entschiedene Vermittlungsaktivitäten, dann sollen diese konsequenterweise umgesetzt werden. Zartman schließt dabei weder positive Anreize noch Drohungen oder verschiedene Formen von Zwang aus. Die Aufgabe der Neutralität und die mögliche Durchführung von Zwangsmaßnahmen verläßt sicherlich die klassische Vorstellung der Vermittlung. Es ist allerdings noch nicht hinreichend geklärt, ob und welche Form der verschiedenen Vermittlungsaktivitäten den gegenwärtigen und zukünftigen Konfliktszenarien angemessener ist. In Anbetracht der offenkundig vorhandenden Problematik, wie konsensual ausgehandelte Verhandlungsergebnisse eingehalten bzw. gegenüber einer oder mehreren Konfliktparteien durchgesetzt werden können, ist zu erwarten, daß vor allem der Ansatz von Zartman eine bedeutende Rolle spielen wird. Wie der neuseeländische Forscher Bercovitch31 in einer empirischen Untersuchung über die Bedingungen der Vermittlung herausfand, kommt es zumindest bei zwischenstaatlichen Konflikten in der Tat wohl mehr auf die Ressourcen des Vermittlers als auf seine Neutralität an. Damit sind einige Annahmen von Zartman im Ansatz bestätigt.
Von der deutschen Friedens- und Konfliktforschung wurden zwei Ansätze etwas ausführlicher aufgegriffen. Es handelt sich dabei um den Ansatz der citizen diplomacy sowie um die Verfahren der transnationalen Mediationsprojekte. Ropers und Schlotter haben erst kürzlich beide Verfahren im Hinblick auf die Möglichkeiten einer Konfliktprävention durch die KSZE in die Diskussion eingebracht.32 Hintergrund ihrer Bemühungen ist die Analyse, daß das bisherige KSZE-Instrumentarium für ethnonationalistische Konflikte nicht ausreicht, da sich diese hauptsächlich auf inner- bzw. zwischengesellschaftlicher Ebene abspielen. Es ist offenkundig, daß die klassischen diplomatischen Konfliktlösungsmittel hier nur begrenzt greifen.
Sie unterscheiden zwei Ansätze der friedlichen Konfliktbearbeitung auf der gesellschaftlichen Ebene: Zum einen die Gesamtheit der Bemühungen privater Personen, Initiativen und Organisationen, die Spannungen zwischen verschiedenen Kulturen bzw. Staaten durch Begegnungen, Austauschprogramme, Partnerschaften und andere informelle Kontakte zu überbrücken. Dieses Bemühen wird im angelsächsischen Sprachraum mit dem treffenden Begriff »citizen diplomacy«33 beschrieben; zum anderen verweisen sie auf die professionellen Ansätze einer friedlichen Konfliktbearbeitung auf der zwischengesellschaftlichen Ebene durch die Intervention einer »dritten Partei« – die transnationalen Mediationsprojekte. Die transnationalen Mediationsprojekte, die sich stark am Ansatz des „problem-solving Conflict Resolution“ 34 von John Burton u.a. orientiert, erscheinen den Autoren insbesondere zur Bearbeitung ethnonationalistischer Konflikte besonders geeignet. Im Mittelpunkt dieser Projekte stehen Workshops, zu denen mehr oder weniger einflußreiche, repräsentative Vertreter der Konfliktparteien eingeladen werden. Die Mediatoren sind in diesem Prozeß »Dritte Partei«, die eine gemeinsame Problemlösung ermöglichen will. Ropers und Schlotter nennen die wichtigsten Elemente des problemlösungsorientierten Konfliktmanagements in vier Punkten:
„(a) Workshops mit Vertretern der Konfliktparteien unter Leitung einer dritten Partei. Hinter der Idee von Workshops mit Vertretern der Konfliktparteien steht zunächst die Vorstellung, daß die beteiligten und betroffenen Individuen in einen direkten und persönlichen Kontakt miteinander treten sollten, weil es letztlich nur auf diesem Wege möglich sei, sich als Menschen mit ähnlichen Grundbedürfnissen nach Sicherheit, Identität and Partizipation kennenzulernen. Mit Hilfe von Methoden des interkulturellen Lernens und der humanistischen Psychologie geht es dann darum, die Kommunikationsbarrieren zwischen den verfeindeten Gruppen zu überwinden und eine gemeinsame Arbeitsbasis zu finden. Der nächste Schritt besteht in der Analyse des Konflikts und seiner Vorgeschichte. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den wechselseitigen Verletzungen, Kränkungen und Verstrickungen. Schließlich geht es darum, auf möglichst kreative Weise neue Lösungen für die gemeinsamen Probleme zu finden. D.h. am Ende der Workshops sollen praktische Vorschläge, Empfehlungen und Vereinbarungen stehen, wie der Konflikt so geregelt werden kann, daß beide Seiten dabei gewinnen bzw. ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. Mit anderen Worten: Es geht um gleichsam private Erfahrungen in einem lernfördernden Milieu, aber mit dem Ziel einer konstruktiven Konfliktaustragung. Die Verantwortung für den Prozeß liegt zu einem großen Teil bei dem Initiator, der »dritten Partei« . Ihre Rolle sollte weniger die Vermittlung in der Sache sein, sondern sich mehr auf das Verfahren konzentrieren.
(b) Kommunikationsfähigkeit und Krisenbewältigung. Die wichtigste Voraussetzung für einen gemeinsamen Lern- und Arbeitsprozeß ist allerdings, daß die Konfliktakteure überhaupt bereit und fähig sind, gewaltfrei miteinander zu kommunizieren. Der erste Schritt besteht deshalb darin, die infolge der Konfliktdynamik entstandenen Wahrnehmungsverzerrungen und Kommunikationsbarrieren offenzulegen und zu bearbeiten. Diese Phase dürfte zu den schwierigsten Teilen des gesamten Prozesses gehören, da die Beteiligten dem Projekt noch sehr viel Mißtrauen und Skepsis entgegenbringen.
(c) Konfliktanalyse und Neudefinition der Beziehungsstruktur. Die Betonung der Konfliktanalyse als Teil des Konfliktmanagements bezieht sich sowohl auf die Vermittlung genereller Einsichten durch die dritte Partei als auch auf Rückmeldungen zu konkreten Konfliktsituationen. Ideal ist es, wenn sich beide Interventionsformen miteinander verknüpfen lassen. Dazu eignen sich vor allem Mißverständnisse und Eskalationssequenzen, die aus den unterschiedlichen, aber gleichermaßen ethnozentrischen Lebenswelten der Beteiligten entstehen. Die Angehörigen der dritten Partei müssen deshalb Qualifikationen auf dem Gebiet der Konfliktforschung und dem der Kommunikationsberatung mitbringen.
(d) Problemlösung als Kreativitätstraining. Die letzte, wenngleich entscheidende Stufe des transnationalen Konfliktmanagements zielt auf eine Lösung, bei der alle Beteiligten gewinnen können. Dabei wird die Lösung nicht als Endzustand begriffen, bei dem alle Probleme beseitigt sind, sondern als Zwischenstufe in dem Bemühen, den Grundbedürfnissen aller Beteiligten gerecht zu werden. Entscheidend ist die Idee, die klassische »Nullsummensituation« eines zugespitzten Konfliktes (Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen) in eine Konstellation mit einer positiven Gesamtsumme (Jeder kann gewinnen) umzuwandeln. Bei ethnonationalen Konflikten gehört dazu die Bereitschaft, die Grundbedürfnisse der anderen Gruppen nach Sicherheit, Identität und Partizipation ebenso ernst zu nehmen wie die eigenen. Auf dieser Basis können dann verschiedene Methoden zur Kreativitätsforderung die Problemlösung in der Sache unterstützen.“ 35
f. Vergleichs- oder Schlichtungsverfahren (conciliation)
Die Vergleichs- oder Schlichtungsverfahren haben die Aufgabe die umstrittenen Fakten festzustellen, wie auch einen friedlichen Ausgleich zwischen den Parteien zu suchen. Es werden das Untersuchungs- und das Vermittlungsverfahren kombiniert, wobei gleichzeitig eine starke Formalisierung des Verfahrens und damit eine Annäherung an die Schiedsgerichtsbarkeit erfolgt (vgl. dazu Art.XV-XXX Bogota-Pakt). Anders als im schiedsgerichtlichen Verfahren werden aber die Parteien durch den Spruch einer Vergleichskommission nicht gebunden. Das Vergleichsverfahren war in den Haager Abkommen noch nicht vorgesehen. Es wurde erstmals im deutsch-schweizerischen Schiedsvertrag von 1921 eingeführt und dann in die Locarno-Verträge von 1925, die revidierte Generalakte über die friedliche Beilegung internationaler Konflikte vom 28.4.1949 sowie den Bogota-Pakt und das Europäische Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten vom 29.4.1957 übernommen.
g. Schiedsspruch (arbitration)
Die Schiedsgerichtsbarkeit verfügt wohl über die am weitestens zurückreichenden Wurzeln. Dieses Verfahren ist ansatzweise bereits bei den Germanen anzutreffen.36
Im Mittelalter erfreute sich die Schiedsgerichtsbarkeit einer regen Inanspruchnahme. Insbesondere der Papst wurde häufig als schiedssprechende Instanz beansprucht. Die Stellung der Päpste in der völkerrechtlichen Ordnung des Mittelalters war von dem Bemühen gekennzeichnet, jenseits der unzweifelbaren geistlichen Gerichtsbarkeit, die Schiedsgerichtsbarkeit und die oberste Jurisdiktionsgewalt auch auf andere Bereiche zu erweitern. Auch wenn dies nicht gelang, so verfügten die Päpste innerhalb der Christenheit über ein außerordentliches Machtmittel. Wilhelm Grewe hat in seinem Werk „Epochen der Völkerrechtsgeschichte“ eine eindrucksvolle Liste der Schiedssprüche der Päpste aufgeführt, die, obwohl nicht vollständig, einen sehr aufschlußreichen Einblick in den hohen Stellenwert dieser Konfliktlösungsbemühungen deutlich werden läßt.37 In den folgenden Jahrhunderten geriet die Schiedsgerichtsbarkeit etwas in Vergessenheit. Im 19. Jahrhundert erlebte sie dann eine Renaissance, so z.B. die Regelung von Grenzstreitigkeiten und Nutzungsrechte in Folge der amerikanischen Unabhängigkeit.
Ein Schiedsspruchverfahren hat einen verbindlichen Charakter. Geschwächt wird dieses prinzipiell zu begrüßende Verfahren allerdings dadurch, daß die Konfliktparteien der Einsetzung eines Schiedsgerichtes vorher zustimmen müssen. Die Parteien entscheiden sogar über die Zusammensetzung des Gerichts, das paritätisch besetzt sein muß, d.h. jede Konfliktpartei entsendet eine gleiche Zahl von Schiedsrichtern. Beide Schiedsrichter-Parteien einigen sich dann in der Regel auf einen neutralen Vorsitzenden. Es können aber auch ständige Schiedsgerichte eingesetzt werden, die kaum noch Unterscheidungsmerkmale gegenüber gerichtlichen Entscheidungen z.B. durch den Internationalen Gerichtshof (IGH) aufweisen. Der im völkerrechtlichen Fachschrifttum aufgezeigte Unterschied zu etablierten Gerichten wird vor allem in der größeren Flexibilität der Schiedsgerichte gesehen.
h. Gerichtliche Entscheidung (judicial settlement)
Mit diesem Verfahren sind Instanzen wie der Internationale Gerichtshof (IGH), der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, der Internationale Menschenrechtsgerichtshof sowie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften angesprochen, auf deren völkerrechtliche Grundlagen, Verfahren und Möglichkeiten hier nicht näher eingegangen werden soll.
i. Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen (resort to regional agencies or arrangements)
Regionale Abmachungen im Sinne der Charta der Vereinten Nationen sind die Liga der Arabischen Staaten, die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) die Organisation Afrikanischer Einheit (OAU). Art.52 der Charta sieht ausdrücklich vor, daß den Regionalabmachungen eine besondere Bedeutung bei der Regelung von Konfliktfällen in ihrem Organisationsbereich zufällt. Sie sollen als erste Instanz einen Versuch der friedlichen Streitbeilegung unternehmen.
Die Regionalabmachungen haben sich in der Geschichte der Vereinten Nationen bereits mehrmals um eine friedliche Beilegung von Konflikten bemüht, so z.B. die OAS in den Konflikten zwischen Guatemala und Honduras/Nicaragua/USA im Jahr 1954, zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik im Jahr 1963 und den USA und Panama im Jahr 1964.
Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die langfristig auf eine Abmachung gemäß der Charta der Vereinten Nationen hinausläuft, hat bereits seit langem einen Mechanismus zur friedlichen Regelung von Streitfällen ausgebildet. Im KSZE-Prozeß spielte der Gedanke, Streitigkeiten zwischen Staaten durch friedliche Mittel und Verfahren zu regeln, von Anfang an eine wichtige Rolle. Die Umsetzung läßt allerdings bis heute zu wünschen übrig. In der Grundorientierung sind die Unterschiede zwischen dem KSZE-Mechanismus zur Beilegung von Konflikten und den Verfahrensvorschlägen der Charta der Vereinten Nationen nicht sonderlich groß. Für die KSZE fand allerdings Anfang 1991 ein Expertentreffen in La Valletta statt, das wesentliche positive Veränderungen brachte. Die KSZE-Staaten konnten sich erstmals auf ein Dokument zur friedlichen Streitbeilegung einigen und sie trennten sich vom absoluten Konsensprinzip, d.h. der Mechanismus kann somit einseitig eingeleitet werden.38 Um die Dritte-Partei-Verfahren zu optimieren, wurde beschlossen, daß jeder KSZE-Mitgliedsstaat bis zu vier Personen benennen darf, aus denen dann eine gemeinsame Liste erstellt werden wird. Auf diesen personellen Pool kann bei der Inanspruchnahme einer Dritten Partei zurückgegriffen werden.
Allerdings gelten hier Einschränkungen. Wenn sich eine Konfliktpartei in „Fragen ihrer territorialen Integrität oder ihrer Landesverteidigung, ihrer Hoheitsansprüche auf Landgebiete oder konkurrierende Ansprüche hinsichtlich der Hoheitsgewalt über andere Gebiete“ berührt sieht, kann sie ein schlichtes Njet aussprechen. Um innerhalb der KSZE mehr Spielraum für Ansätze einer nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung und friedlichen Streitschlichtung zu erreichen, fordern Ropers und Schlotter deshalb auch die Einrichtung einer KSZE-Stiftung für Konfliktforschung und Mediation, die Einzelprojekte fördert, Weiterbildungs- und Beratungsmaßnahmen organisiert und für eine Abstimmung mit den anderen Instituutionen im KSZE-Netzwerk für friedliche Streitbeilegung sorgt.
j. Andere friedliche Mittel (other peaceful means)
Während die vorangegangenen Verfahren relativ ausführlich im Fachschrifttum diskutiert werden, fehlt es an ernsthaften Bemühungen, eine exaktere terminologische Eingrenzung von »anderen friedlichen Mitteln« zu leisten (siehe dazu Kap. „Was sind friedliche Mittel?“). Durch die relative Offenheit des Begriffes können auch nicht explizit genannte Verfahren angewendet sowie verschiedene Verfahren kombiniert werden.
6. Probleme und Grenzen nichtmilitärischer Konfliktbearbeitung und friedlicher Streitschlichtung
Das mögliche Einsatzspektrum nichtmilitärischer Einmischung zur Konfliktbearbeitung und friedlicher Streitschlichtung ist also sehr weit gefächert, aber dennoch bleibt – selbst bei einer idealtypisch verlaufenden nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung und einer friedlichen Streitschlichtung – ein zentrales theoretisches und auch praktisches Problem bestehen, nämlich die Durchsetzung von konsensual ausgehandelten Ergebnissen und Kompromissen. Hier liegt ein Hauptdefizit. Wie sollen die internationale Gemeinschaft, die Garantiemächte, die Vermittler, die Schlichter reagieren, wenn sich eine Konfliktpartei nicht mehr an die ausgehandelten Ergebnisse und Kompromisse gebunden fühlt, eine friedliche und gerechte Lösung des Konflikts aber nach wie vor nur durch die Einhaltung dieser Ergebnisse möglich ist? Aktuelles Beispiel für einen solchen Verlauf ist die politische Entwicklung der Mission der Vereinten Nationen in Kambodscha (UNTAC).
Die Grenzen nichtmilitärischer Konfliktlösung und somit letztlich auch von präventiver Diplomatie liegen – wie bereits erwähnt – in der Einhaltung einmal ausgehandelter Beschlüsse und Kompromisse. Spätestens wenn die Verhandlungsergebnisse gegen einen oder mehrere Beteiligten durchgesetzt werden sollen oder müssen, kommt der präventive Gedanke an seine Grenzen. Neben dem Androhen negativer Sanktionen könnten noch Gratifikationsstrategien greifen, wie zum Beispiel umfassende Kooperationsangebote an alle Konfliktparteien in Form von Finanz- und technischer Hilfe, in Form von humanitärer Hilfe oder auch in Form von Hilfe zum Aufbau demokratischer Verhaltensformen, die selbst während laufender Konflikte deeskalierend eingesetzt werden können. Mit dem Androhen des Entzuges der Kooperation beginnt dann der Bereich der negativen Sanktionen. Zu diesen sollte übergeleitet werden, wenn das völkerrechtlich verbindliche Ergebnis trotz des Angebots von Gratifikation für erwünschtes Verhalten nicht erfüllt werden.
Kommt es letztlich zur Anwendung von Zwang zur Einhaltung bzw. auch zur Durchsetzung von konsensual ausgehandelten Verhandlungsergebnissen hat der präventive Gedanke versagt. Jetzt kommt es darauf an, die weitere Eskalation möglichst von militärischen Lösungsüberlegungen frei zu halten. Auch hier gibt es durchaus noch Reaktionsmöglichkeiten, die weit vor potentiellen Militäreinsätzen vorgeschaltet sein können. Wirkungsvolle nichtmilitärische Reaktionen wären die Androhung von Kooperationsentzug, dann ein stufenweiser Abbau der Kooperation und nachfolgend ein langsamer, aber unmißverständlicher Aufbau konfrontativer Elemente. Die Verwendung negativer Sanktionen sollte von dem Wissen begleitet sein, daß ihr Einsatz die Gefahr in sich birgt, daß dann eine Konfliktlösung ausschließlich durch die Unterwerfung einer Seite erzielt wird.
Auch wenn diese Annäherung sicherlich unbefriedigend erscheint, so muß in diesem Bereich der Einhaltung bzw. Durchsetzung ein zentrales Problem gesehen werden. Gerade hier wird die »Nagelprobe« der Praxistauglichkeit der verschiedenen Konzepte und Verfahren einer nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung und Streitschlichtung zu sehen sein. Die Friedens- und Konfliktforschung muß sich m.E. vor allem auf diesen Aspekt konzentrieren, weil hierin u.U. das Einfallstor für weitergehende und auch militärische Eskalationsmöglichkeiten zu sehen ist.
7. Schlußbemerkung
Handelnde Akteure für eine nichtmilitärische Konfliktlösung und friedliche Streitschlichtung können bei der derzeitigen und prognostizierten Weltlage nur Systeme kollektiver Sicherheit sein, das heißt die Vereinten Nationen bzw. deren regionale Abmachung gemäß der Charta der Vereinten Nationen. Selbst die Nichtregierungsorganisationen werden langfristig in einer globalen, interdepenten Kooperation in den Vereinten Nationen ihren Resonanz- und Aktionsboden finden müssen.
Mit Sicherheit muß sich im Rahmen der Vereinten Nationen ein praxistaugliches Spektrum für die nichtmilitärische Konfliktbearbeitung und friedliche Streitschlichtung weiterentwickeln und verfestigen. Die Gründe für die zur Zeit nicht sonderlich befriedigende Praxis der Vereinten Nationen in bezug auf die Anwendung der friedlichen Mittel gemäß Kap. VI der Charta liegen in der Struktur und dem Willensbildungsprozeß des Weltsicherheitsrates. Hinzu kommt eine ausgesprochen geringe Bereitschaft der Staaten, die Vereinten Nationen bereits frühzeitig in ihre Streitigkeiten einzuschalten. Weder der Sicherheitsrat noch die Generalversammlung haben bisher wirklich praxisgerechte und gleichzeitig attraktive Institutionen für eine nichtmilitärische Konfliktlösung im Rahmen der Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt. Obwohl es eine Vielzahl an gut klingenden Resolutionen39 gibt, fehlt es bis einschließlich heute und auch im aktuelle Krieg im früheren Jugoslawien an ernsthaften Bemühungen, diese Buchstaben mit wirklichem Leben zu erfüllen. Weder die Manila-Erklärung vom 15.11.1982, die ein Recht der Staaten festschreibt, frei über die Verfahren und Institutionen der Streitbeilegung zu verfügen, noch die „Declaration on the Prevention and Removal of Disputes and Situations which May Threaten International Peace and Security and on the Role of the United Nations in this Field“ vom 5.12.1988 konnten diesen strukturellen Mangel beseitigen. Neu ist dabei der Hinweis auf regionale Streitschlichtungsverfahren und -institutionen. Insgesamt zielt die Entwicklung in den Vereinten Nationen allerdings nicht auf eine Verstärkung des Instrumentariums der Vereinten Nationen zur friedlichen Streitbeilegung ab.
Hinzu kommt die Schwierigkeit, die durch die neuen Konfliktformationen ethnonationaler Konflikte entstehen, die sicherlich andere Konfliktmanagementstrategien erfordern. Bei der Suche nach konstruktiven Formen im Umgang mit Konflikten sollte man sich weder auf die Vorstellungen einer »heilen Welt« noch auf eine ausschließlich konfliktorientierte Betrachtungsweise einlassen. Entscheidend für eine nichtmilitärische Konfliktlösung und -bearbeitung sind die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich den existierenden Konflikten zu stellen und sie zu bewältigen. Es geht nicht um die Beseitigung oder um die Negation von Konflikten oder um Ausweichen. Aber Konfliktlösungstechniken sind erlernbar. Dazu wird oft nicht mehr als eine gewisse Sensibilität für das Erkennen von Konflikten und die Fähigkeit zu offenen Gesprächen über schwelende Konflikte benötigt. Im Zentrum aller friedlichen und gewaltfreien Konfliktlösungsversuche steht das Bemühen, deutlich werden zu lassen, daß es in den meisten Konfliktsituationen nicht um Sieg oder Niederlage geht, sondern um eine Kompromißlösung, die möglichst allen Ansprüchen gerecht wird. Eine Mitbeteiligung an Entscheidungen ist eine zentrale Vorausetzung, weil dadurch vermieden wird, daß sich eine Partei überfahren fühlt.
Aber man sollte sich auch keine Illusionen darüber machen, daß die einzige Lösung des Konflikts u.U. eben nur noch darin bestehen kann, daß man die Unlösbarkeit des Konflikts eingesteht. Auch dieses Verhalten trägt letztlich zu einer Entschärfung bei, weil damit unnütze und frustrierende Lösungen verhindert werden.
Die erkennbaren und hier ausführlich beschriebenen Defizite bei der Anwendung von Verfahren und Mitteln nichtmilitärischer Konfliktbearbeitung und friedlicher Streitschlichtung belegen, daß die Friedens- und Konfliktforschung nicht durch eine kurzsichtige Kahlschlagpolitik der Bundesregierung ruiniert werden darf, sondern im Gegenteil intensiv ausgebaut werden muß. Die Friedens- und Konfliktforschung sollte die wenigen personellen und materiellen Kräfte nicht weiter für den Ausbau von militärischem Gegenexpertentum beanspruchen, sondern auf Strategien nichtmilitärischer Konfliktbearbeitung und friedlicher Streitschlichtung konzentrieren.
8. Überblicksliteratur
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Touval, S./Zartman, W.I.: International Mediation in Theory and Practice, Boulder 1984.
Wolfrum, R. (Hrsg.): Handbuch Vereinte Nationen, München 1991
Achim Schmillen ist Diplompädagoge und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestag.
von Bund für soziale Verteidigung
zum Anfang II. Der Zivile Friedensdienst im In- und Ausland
1. Einleitung
Durch die Anregung der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg, einen zivilen Friedensdienst aufzubauen (siehe nebenstehenden Kasten), ist in der Friedensbewegung wie in manchen Kirchen und Parteien eine wichtige Diskussion angestoßen worden. Eine Institution, in der gewaltfreie Konfliktlösung eingeübt und praktizierbar gemacht werden kann, ist gerade in dieser Zeit notwendig, in der sich das Militär mit einem erweiterten Sicherheitsbegriff für immer mehr Konflikte zuständig erklärt. Sowohl innen- wie außenpolitisch wird immer häufiger eine Stimmung erzeugt, daß nur gewaltsame Lösungen möglich seien. Um die Diskussion über mögliche Alternativen weiterzuführen, soll hiermit eine Konzeption für den Friedensdienst vorgelegt werden, die aus der Arbeit der Arbeitsgruppe „Ziviler Friedensdienst“ im Bund für Soziale Verteidigung entstanden ist. (…)
2. Einsatzfelder des Zivilen Friedensdienstes
Das Ziel des Zivilen Friedensdienstes (ZF) ist es, mit gewaltfreien Mitteln Konflikte zu schlichten, gewaltsamen Bedrohungen standzuhalten und Bedrohten zu helfen. Der ZF macht sich Erfahrungen zunutze, die in der Vergangenheit mit gewaltfreien Aktionen gesammelt wurden. Durch den Umstand, daß es sich beim ZF jedoch nicht um spontane Aktionen von Bürgergruppen, sondern um Einsätze einer Organisation von Ausgebildeten und auf Dauer oder auf Zeit Verpflichteten handelt, hat der Einsatz des ZF je nach Einsatzgebiet auch eine andere Qualität als das bislang bekannte Engagement von Bürgergruppen.
Für den Vorschlag der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg ist charakteristisch, daß der ZF auch im Ausland tätig werden soll. Anlaß für die Entwicklung dieses Konzeptes war die öffentliche Diskussion um eine deutsche Beteiligung an Blauhelm-Einsätzen der VN und um »out-of-Area«-Einsätze der Bundeswehr. Auswärtige Einsätze von gewaltfreien Gruppen waren in der Geschichte der gewaltfreien Aktionen bisher selten. Die Möglichkeiten und Grenzen eines gewaltfreien Einsatzes im Ausland werden wahrscheinlich dann besonders deutlich, wenn man die auswärtigen Einsätze in Beziehung setzt zu den bekannteren Einsatzfeldern im Inland.
Das Ziel der folgenden Ausarbeitung ist es, aufzuzeigen, wie die Fähigkeit zum auswärtigen Einsatz aus der Befähigung zur gewaltfreien Konfliktaustragung im Inland erwächst. Dieses Vorgehen scheint gerechtfertigt durch den Umstand, daß der Vorschlag der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg auch davon ausgeht, daß der ZF auch im Inland tätig werden soll und daß bei der Ausbildung zunächst die Inlandseinsätze im Vordergrund stehen sollen.
Die folgenden Überlegungen gehen von der Annahme aus, daß eine solche Ausbildung bei Alltagskonflikten ansetzt und dann stufenweise zum Umgang mit immer schwierigeren Konfliktszenarien fortschreitet und schließlich zu auswärtigen Einsätzen hinführt. Auch wenn sich das gegenwärtige Interesse auf die Möglichkeiten des auswärtigen Einsatzes konzentriert, ist es dennoch um des Erfolges willen angezeigt, systematisch vorzugehen und die fortgeschrittenen Erfahrungen im Inland zu berücksichtigen und auch das didaktische Vorgehen bei der Vermittlung der Fähigkeiten zum gewaltfreien Handeln im Auge zu haben.
Bei der folgenden Systematisierung des gewaltfreien Handelns kann nicht auf eine »herrschende Lehre« der gewaltfreien Aktion zurückgegriffen werden. Die Theoriebildung hat sich immer wieder an aktuellen Herausforderungen orientiert. Die folgende Einteilung greift auf theoretische Ordnungsversuche der Vergangenheit zurück, versucht nun aber insbesondere das neue Anliegen, den auswärtigen Einsatz, zu berücksichtigen. Es wird jedoch diesem Ordnungsversuch nicht anders ergehen als früheren Versuchen: Es wird sich zeigen, daß die Definitionen nicht eindeutig sind und daß die Grenzen der Einsatzbereiche in der Praxis dann doch immer wieder ineinander übergehen. Dennoch halten wir eine solche vorläufige Orientierungshilfe unter besonderer Berücksichtigung aktueller Fragestellungen für sinnvoll.
1. Der Umgang mit Konflikten in der Familie und in der Nachbarschaft und der Umgang mit unpolitischer Kriminalität.
Gemeint ist also der Bereich der zwischenmenschlichen Konflikte, gewissermaßen die »kleinen Kräche«, die ihre Brisanz nicht von großen politischen Streitfragen erhalten, aber mitunter einen sehr gewalttätigen Verlauf nehmen und durchaus mit dem Einsatz von Waffen und Kampfinstrumenten aus dem normalen Haushalt verbunden sein können. Dazu gehören die Kindererziehung, gewalttätige Auseinandersetzungen in der Schule, das Zusammentreffen mit Einbrechern oder Straßenräubern, Vergewaltigungsversuche usw. Es geht um den eskalierenden Streit zwischen Partnern in familiären, geschäftlichen oder nachbarschaftlichen Beziehungen.
In Konflikte dieser Art wird der ZF in der Regel nicht als Organisation eingreifen. Es sei jedoch darauf verwiesen, daß es in den USA Prototypen einer organisierten nachbarschaftlichen Streitschlichtung gibt. Auch wenn es in der Bundesrepublik zu keiner solchen flächendeckenden Nachbarschaftshilfe in der Streitschlichtung und Abwehr von alltäglichen gewaltsamen Bedrohungen kommen sollte, ist doch anzunehmen, daß Menschen, die den gewaltfreien Umgang mit Konflikten im Rahmen des ZF erlernt haben, ihr Können nutzen, um auf eigene Verantwortung schlichtend oder Gewalt abwehrend einzugreifen.
In der Ausbildung zum ZF wird der Umgang mit den potentiell gewalttätigen Konflikten des Alltags eine wichtige Rolle spielen, weil anzunehmen ist, daß alle Auszubildenden auf diesem Konfliktfeld praktische Erfahrungen mitbringen und sich auch im Alltag ständig im richtigen Verhalten üben können. Offiziell wird der ZF sich damit aber nur befassen, wenn er herangezogen wird, um das Schlichten von Konflikten und das gewaltfreie Verhalten in bedrohlichen Situationen des Alltags zu lehren. Dies könnte u.a. auch im Rahmen von Veranstaltungen zur kirchlichen Erwachsenenbildung geschehen.
2. Der zweite Einsatzbereich ist der Gebrauch gewaltfreier Mittel bei Protestaktionen von Bürgerinitiativen, sozialen Bewegungen und Gruppen von Arbeitnehmern.
Daß diese Proteste in aller Regel nur von einem Teil der demokratisch gesinnten Bürger eines Landes getragen werden und häufig auch die Regierung zu den Adressaten gehört, kann der ZF, der auch bei kirchlicher oder anderer gesellschaftlicher Trägerschaft wahrscheinlich auf staatliche Mittel angewiesen sein dürfte, nicht als Institution für die protestierenden Gruppen offen Partei ergreifen oder gar Aktionen Zivilen Ungehorsams organisieren. Das müssen die Protestgruppen, die sich gewaltfreier Mittel bedienen wollen, selbst machen.
Der ZF könnte jedoch – ohne inhaltlich Partei zu ergreifen – protestierende Gruppen dabei beraten, ihren Protest gewaltfrei zu halten. Wenn auch mit gewaltsamen Protestaktionen zu rechnen ist, könnte der ZF sich im Vorfeld mit potentiellen Gewalttätern ins Benehmen setzen, zu ihren Versammlungen gehen und die Protestaktionen begleiten, um Gewalttaten zu verhindern oder einzudämmen. Der ZF darf bei solchen Einsätzen seine Identität nicht verleugnen.
3. Der dritte Bereich des gewaltfreien Handelns ist die Abwehr von Gewalttaten extremistischer Gruppen, welche verfassungswidrige Ziele verfolgen.
Zu denken ist hier insbesondere an die Abwehr von Gewalttaten gegen Ausländer oder andere, in verfassungswidriger Weise diskriminierte Gruppen. Der ZF könnte hier vor allem mit den Ausländerbeauftragten in Bund und Ländern zusammenarbeiten. Der Bund für Soziale Verteidigung hat zu dieser Thematik mehrere Stellungnahmen und Anleitungen ausgearbeitet, die insbesondere den Schutz von Flüchtlingsheimen und das Eingreifen zugunsten bedrohter Ausländer im Auge haben.
Wenn ein wesentlicher Teil der Ausbildung des ZF im Zusammenhang mit der Abwehr von Gewalt gegen Ausländer erfolgt, dann werden dadurch auch bereits wichtige Voraussetzungen für spätere auswärtige Einsätze geschaffen. Der ZF gewinnt dann in der Ausbildungszeit einen persönlichen Zugang zu Flüchtlingen aus möglichen künftigen Einsatzgebieten.
Für die bisher genannten Bereiche des gewaltfreien Einsatzes ist charakteristisch, daß sie parallel zu funktionsfähigen, rechtsstaatlichen Organen erfolgen. Der ZF hat die Vorgehensweisen von Polizei und Justiz bei seinen Aktionen zu berücksichtigen, kann die Hilfe dieser Organe aber auch nutzen.
4. Der vierte Einsatzbereich ist der Gebrauch der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen umfassende bewaffnete Bedrohungen von innen oder außen, also durch regelrechte Staatsstreiche und Invasionen oder durch bewaffnete separatistische Bewegungen.
Solche Bedrohungen gibt es zur Zeit in der Bundesrepublik zwar allem Anschein nach nicht, aber sie sind für die Zukunft nicht auszuschließen, so daß die Soziale Verteidigung ein wichtiger Teil der regulären Ausbildung des ZF sein und bleiben muß. Es gibt zudem viele Staaten auf der Erde, in denen die Fähigkeit zur Sozialen Verteidigung erforderlich wäre. Sie können diese Fähigkeit aber wahrscheinlich nur entwickeln, wenn sie dabei Rat und Hilfe finden. Die Einübung der Sozialen Verteidigung in der Bundesrepublik würde also von vornherein unter Berücksichtigung bedrohlicher Lagen in anderen Ländern und im Blick auf eine eventuelle Beratertätigkeit erfolgen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Bemühungen der Albert Einstein Institution in Boston, Massachusetts (USA), die Regierungen in Litauen und Lettland zu beraten und auf eine Erkundungsreise des Bundes für Soziale Verteidigung nach Litauen und Lettland im Sommer 1992. Ebenso können die Erfahrungen, die der Bund für Soziale Verteidigung und andere friedenspolitische Organisationen aus der Bundesrepublik Deutschland in der Zusammenarbeit mit nicht Regierungsorganisationen in den Republiken des ehemaligen Jugoslawien machen, ausgewertet und in die konzeptionelle Entwicklung des ZF nutzbringend eingearbeitet werden. Gerade um dieses vierten Einsatzbereiches willen ist auch eine staatliche Trägerschaft des ZF anzustreben. Eines der wichtigsten Ziele der Sozialen Verteidigung ist bekanntlich, die Staatsorgane trotz bewaffneter Bedrohung funktionsfähig zu erhalten. Die Einübung des zivilen Widerstands auf dieser Ebene kann am besten in der Zusammenarbeit mit den gefährdeten Staatsorganen erfolgen. Die Kirchen könnten allerdings ihren Anteil an der Sozialen Verteidigung – zum Beispiel unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Ev. Kirche in Norwegen im Zweiten Weltkrieg – untersuchen und das Erforderliche einüben. Das könnte staatlichen Stellen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen (Gewerkschaften, Sportverbänden, Rechtsanwalts-Vereinigungen usw.) demonstrieren, wie Soziale Verteidigung im Bedrohungsfall funktioniert. (…)
5. Der auswärtige Einsatz zugunsten von Gewalt bedrohter Menschen.
Den bisher genannten vier Dimensionen des gewaltfreien Handelns ist gemeinsam, daß die Handelnden unmittelbar betroffen sind oder doch den Konflikt hautnah erleben, d.h. die Angehörigen des ZF sind keine Außenseiter, sondern gehören zumindest zum Umfeld des Konflikts, der bearbeitet werden muß. Das ist insofern bedeutsam, als es zu den Prinzipien des gewaltfreien Handelns gehört, daß die Betroffenen ihre Interessen selbst vertreten, und daß der ZF, sofern er nicht wie bei der Sozialen Verteidigung selbst zu den Betroffenen gehört, in erster Linie diese Betroffenen zu befähigen sucht, die gewaltfreien Methoden selbst zu gebrauchen.
Obwohl das gewaltfreie Handeln in erster Linie die bislang genannten vier Einsatzbereiche betrifft, gibt es nun auch noch als fünften Bereich das Eingreifen im Ausland zugunsten von Einzelnen und Gruppen oder sogar von Regierungen, die in ihrer verfassungsmäßigen oder völkerrechtlichen Position von bewaffneter Gewalt bedroht sind.
Wie eingangs bemerkt, hatte das Konzept des ZF diesen fünften Bereich von vornherein und sogar vornehmlich im Auge. Die Suche nach einer Alternative zur Entsendung von bewaffneten Blauhelmen oder von Interventions-Truppen war der eigentliche Anlaß für den Vorschlag, einen ZF zu bilden.
So wichtig es angesichts zahlreicher Menschenrechtsverletzungen und der gewaltsamen Bedrohung demokratisch legitimierter Regierungen auch ist, für diesen fünften Bereich ein Instrumentarium zu schaffen, so muß als Erfolgsbedingung doch festgehalten werden, daß das gewaltfreie Intervenieren an die Erfüllung einer Reihe von Voraussetzungen geknüpft sein sollte.
a) Der ZF muß sich selbständig (und nicht nur aufgrund der Informationen einer Partei) ein Bild der Lage verschaffen und er muß für sich selbst klären, was mit gewaltfreien Mitteln in dem Konfliktfeld zu erreichen ist. Dies ist notwendig, damit der ZF nicht von Unterstützungs-Suchenden instrumentalisiert wird.
b) Der ZF sollte im Ausland nur tätig werden, wenn er dies im Einverständnis mit Einheimischen tun kann. Bei diesen Einheimischen sollte es sich tunlichst um Organisationen handeln, die ihrerseits aufgeschlossen sind für den Einsatz gewaltloser Mittel. Zumindest muß den Hilfesuchenden klar sein, daß der ZF sich nicht instrumentalisieren läßt zur direkten oder indirekten Unterstützung bewaffneter Aktionen. Letzteres läßt sich nur ausschließen, wenn der ZF sich im voraus über das Konfliktfeld genau informiert hat und einen zuverlässigen einheimischen, möglichst gewaltfreien Partner gefunden hat und auch sicher ist, daß seine eigenen Angehörigen nicht für eine bewaffnete Gruppe Partei ergreifen.
Weil diese Bedingungen schwer zu erfüllen sind, sollte der ZF sich zunächst auf die Beratung und Ausbildung einheimischer Kräfte konzentrieren, eventuell unter Nutzung von Kontakten, die er zu Flüchtlingen bereits geknüpft hat. Betroffene Ausländer sollten – soweit möglich vor Ort, andernfalls in Deutschland oder in einem anderen Land – zur Ausbildung in gewaltfreier Konfliktaustragung eingeladen werden. Die solchermaßen Ausgebildeten wären dann die geeigneten Partner für auswärtige Einsätze des ZF und sie könnten nach ihrer Rückkehr in ihre Herkunftsländer bei der Förderung gewaltfreier Methoden auch finanziell unterstützt werden. Auf diese Weise könnte präventiv auf eine größere Zahl von Konfliktherden eingewirkt werden. In dem Bereich der Unterstützung hat der BSV eine Fülle von Erfahrungen in der schon erwähnten Arbeit im ehemaligen Jugoslawien gesammelt, die er gern in die weiteren Beratungen einbringt.
Die Annäherung der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg an die Möglichkeit des Einsatzes eines deutschen ZF im Ausland ist realistisch, weil die auswärtigen Einsätze nach diesem Konzept ihre Basis in der Ausbildung des ZF im Umgang mit heimischen Konflikten haben, und für die auswärtigen Einsätze – je nach Aufgabe – auf ein großes Reservoir von Ausgebildeten zurückgegriffen werden kann. Es ist wahrscheinlich nicht sinnvoll, nur eine einzige hochmobile Spezialistengruppe zu schaffen, die dann ohne gewachsene Beziehung zu den jeweiligen Konfliktfeldern eingesetzt wird. Es sollten für auswärtige Einsätze Hauptamtliche und Freiwillige gewonnen werden, welche die Einsatzländer, deren Kultur und vor allem deren Sprache bereits kennen und es darum leichter haben, sich mit den berechtigten Anliegen von Betroffenen zu identifizieren. Dies bedeutet, daß man für Einsätze in Guatemala, Südafrika oder im Vorderen Orient wahrscheinlich nicht ohne weiteres auf dieselben Personen zurückgreifen kann. (…)
3. Organisation nach außen
Um diese verschiedenen Aufgaben erfüllen zu können, ist es sinnvoll, daß der Friedensdienst in pluralistischer Trägerschaft organisiert wird – daß sogar verschiedene Organisationen unabhängig voneinander arbeiten können, ähnlich, wie es in der Entwicklungshilfe möglich ist. Neben einem staatlichen Friedensdienst sollen auch andere tätig werden, ohne staatlicher Weisungsbefugnis zu unterliegen. Allerdings muß eine Finanzierung von staatlicher Seite gewährleistet sein, damit der Friedensdienst eine Größenordnung erreichen kann, die ihn dem Militär vergleichbar macht. Das heißt, daß Friedensdienste in einer Größe bis zu ca. 100 000 Dienstleistenden aufgebaut werden sollen. Die pluralistische Trägerschaft gewährleistet dabei die Einsetzbarkeit des Friedensdienstes auch in Konflikten, in denen ein allein staatlicher Träger des Dienstes wegen eines möglichen eigenen Anteils an der Geschichte eines Konfliktes handlungsunfähig wäre.
Um eine solche Organisationsstruktur zu ermöglichen, muß der Bundestag ein Gesetz erlassen, das die Einführung des Friedensdienstes auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips (d.h. der Delegation der Aufgaben, die auch nichtstaatliche Organisationen übernehmen können) gewährleistet. Dazu ist dann ein Amt einzurichten, an das gemeinnützige Vereine, Wohlfahrtsverbände und Körperschaften öffentlichen Rechts Anträge auf Anerkennung als Trägerorganisation des Friedensdienstes und auf finanzielle Unterstützung stellen können.
Für die Anerkennung der Trägerorganisationen soll ausschlaggebend sein, inwieweit sie
auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen;
die Prinzipien der gewaltfreien Konfliktlösung glaubwürdig vertreten können und
eine angemessene Ausbildung gewährleisten können.
Durch dieses Friedensdienstgesetz müßte auch gewährleistet werden, daß Personen, die sich diesem freiwilligen Dienst zur Verfügung stellen, regelmäßig vom Arbeitgeber für Fortbildungen wie auch für längerfristige Einsätze freigestellt werden müssen. Die Lohnfortzahlungen und der Versicherungsschutz müßte in diesen Zeiten durch den Friedensdienst finanziert werden.
4. Innere Struktur
Die innere Organisation eines Friedensdienstes muß daran gemessen werden, in wie weit sie eine gewaltfreie Gemeinschaft ermöglicht – ein glaubwürdiger und effektiver Einsatz wäre sonst kaum denkbar. Das bedeutet einerseits, daß keine unhinterfragbare Hierarchie herrscht, sondern daß Koordinatoren, Fachleute und Ausbildende ihre Autorität durch ihr Wissen und ihre Erfahrung gewinnen, und andererseits, daß der Dienst trotz der hohen Verbindlichkeitsanforderung, die gewaltfreies Handeln an die Einzelnen stellt, ein freiwilliger bleibt. (…)
Schon aus Kostengründen sollten die meisten Mitglieder des Friedensdienstes Freiwillige sein, die eine Ausbildung in gewaltfreier Konfliktaustragung durchlaufen haben und auf dieser Grundlage in bestimmten Konflikten eingesetzt werden können. Dies sollen Frauen und Männer unterschiedlichen Alters sein – wobei wichtig ist, daß lebensgeschichtliche Erfahrung für Konfliktlösung sehr wichtig sein kann, weshalb der Dienst nur Erwachsenen offenstehen sollte. Die Freiwilligen können ihrem Beruf nachgehen und werden für ihre Einsätze oder für Fortbildungskurse freigestellt.
Doch braucht ein Friedensdienst auch Hauptamtliche. Dazu zählen die Ausbildenden, die in festen Schulungseinrichtungen arbeiten sollten. Dazu zählen auch Fachleute, die über genügend Wissen und Erfahrung verfügen, um Konfliktsituationen einschätzen zu können. Sie sollten dann gemeinsam entscheiden, wo ein Einsatz sinnvoll sein kann, wobei sie auch Ziele und Einsatzpläne festlegen sollten – in dem Bewußtsein, daß sich diese durch die Freiwilligen und durch die Konfliktentwicklung ändern können. Ihnen müßten Fachleute zur Seite stehen, die z.T. auch nebenamtlich für einen Friedensdienst arbeiten können: Dabei ist an WirtschaftswissenschaftlerInnen, EthnologInnen, PolitologInnen und andere gedacht, die mit ihrem Fachwissen sehr spezielle Beiträge zur Konfliktanalyse geben können. Nicht zuletzt müssen auch hauptamtliche MitarbeiterInnen für die Verwaltung und die technische Seite des Friedensdienstes tätig sein.
5. Ausbildung
Der Ausbildung von freiwillig Dienstleistenden und der Fortbildung der hauptamtlichen Fachleute ist für den ganzen Friedensdienst wichtig, da einerseits die Methodik gewaltfreien Handelns den meisten Menschen bisher eher unbekannt ist, andererseits aber seine Effektivität sehr von entsprechendem Wissen und Erfahrungen abhängt. Die Erfahrungen, die die Sozialen Bewegungen (d.h. Ökologie-, Frauen-, Friedensbewegung usw.) bisher gemacht haben, müssen deshalb zusammen mit anderen historischen Beispielen sorgfältig aufgearbeitet werden und können als Grundlage für die Ausbildung genutzt werden. (…)
Die Freiwilligen sollen eine Ausbildung durchlaufen, die etwa ein Jahr umfaßt. Sie soll möglichst praxisorientiert sein, ohne den Wert theoretischer Forschung zu vernachlässigen – das heißt, daß möglichst viele Vorerfahrungen der Lernenden einfließen, daß die Lernschritte möglichst situationsbezogen sind und daß Praktika die Theorieblöcke unterbrechen.
Als leitende Zielvorstellungen der Ausbildung können gelten:
Stabilisierung der Bereitschaft und Fähigkeit, ohne Aggression und Regression auf Grenzen der eigenen Möglichkeiten, auf Einschränkungen von dritter Seite oder auf Versagen bei sich und anderen zu reagieren;
Stabilisierung eines von Angst freien Verhaltens gegenüber Institutionen und Personen;
Ausbau der Bereitschaft und Fähigkeit, Ideen anderer gegenüber aufgeschlossen zu sein;
Differenzierung der Bereitschaft und Fähigkeit zu erkennen, daß Sprache gesellschaftliche Tatbestände rechtfertigen, verdecken, infragestellen oder verändern kann;
Verstärkung der Bereitschaft und Fähigkeit, nicht aufzuhebende Widersprüche und Spannungen zu ertragen und zu verarbeiten;
Differenzierung der Bereitschaft und Fähigkeit, von den Prämissen anderer her zu denken und zu argumentieren.
Die sich hieraus ergebenden konkreten Lernziele und Themen sind dann auch auf die jeweils aktuellen Konfliktlagen, die die Lernenden bewegen, abzustimmen.
6. Aufbauphase
Für den Aufbau des Friedensdienstes ist es vor allem wichtig, daß in der öffentlichen Diskussion erkannt wird, daß eine gewaltfreie Alternative zu den bisher vorherrschenden Konfliktlösungsstrategien notwendig ist. Deshalb ist es wichtig, daß sich möglichst viele und möglichst große gesellschaftliche Gruppen – Kirchen, Parteien, Gewerkschaften usw. – dieser Denkrichtung gegenüber öffnen.
Wenn ein politischer Wille vorhanden ist, kann bald mit dem Aufbau von Strukturen für einzelne Friedensdienste begonnen werden. Größere Organisationen wie z.B. eine Ev. Landeskirche könnten sich mit kleineren Vereinen zusammentun und damit beginnen, Fachleute einzustellen und Ausbildungszentren aufzubauen. Dabei könnte auf das Fachwissen aus Verbänden zurückgegriffen werden wie dem Bund für Soziale Verteidigung mit seinen Trägerorganisationen, den in der AGDF zusammengeschlossenen Organisationen, den Flüchtlingsräten und nicht zuletzt den Peace Brigdes International. Dabei sollte den verschiedenen Friedensdienst-Trägerorganisationen Freiheit gelassen werden, ihre eigenen Schwerpunkte für ihren Dienst zu setzen, solange sie eine Organisation im Sinne der Gewaltfreiheit gewährleisten.
Angesichts der vielfältigen Probleme, die das Überleben unserer Gesellschaft und der Menschheit überhaupt infragestellen, wird es notwendig sein, auf verschiedenen Ebenen und mit viel Verständnis für die jeweils anderen Interessen an die Konflikte heranzugehen. Daß die überall aufbrechenden Konflikte nicht durch die stärkeren Waffen und die größere Brutalität entschieden werden, dazu kann die Einübung in gewaltfreies Handeln im Friedensdienst vielleicht einen Beitrag leisten.
7. Beispiele gewaltfreier Krisenintervention
Die folgenden Beispiele sollen umrißartig verdeutlichen, welche Art von Einsätzen zu gewaltfreier oder gewaltmindernder Konfliktlösung wir uns vorstellen, wenn wir vor allem an internationale Aufgaben eines »Zivilen Friedensdienstes« denken.
Es handelt sich in den beschriebenen Fällen entweder um den spontanen Widerstand von Menschen, die keinerlei Training oder sonstige Vorbereitung erfahren hatten, oder um geplante Einsätze kleiner und kleinster Gruppen, die zwar aus großer innerer Überzeugung, aber oft nach nur sehr knapper Vorbereitung als Freiwillige bewußt in das Spannungsgebiet gingen. Sie können daher zwar als beispielhaft, aber keineswegs als Vorbild für künftige Einsätze gut ausgebildeter, erfahrener Gruppen mit einer gesicherten materiell-finanziellen Basis und gestützt durch tragfähige Organisationsstrukturen gelten.
Es gibt andere Beispiele gewaltfreier Konfliktlösung, die hier nur stichwortartig erwähnt werden sollen, da sie den Umfang dieser Ausarbeitung sprengen würden.
Der Kampf Gandhis für die Selbstbestimmung Indiens.
Der Kampf gegen die Rassendiskriminnierung unter M. Luther-King in den USA.
Die Sicherung der Grenzen Nicaraguas gegen einen befürchteten Einmarsch amerikanischer Truppen. Die »Peace Witness« genannte Aktion war getragen von vor allem amerikanischen PazifistInnen und eingebunden in ein internationales »Alarmnetz« für den Fall eines Einmarsches.
Das mutige Eintreten chinesischer Studenten für Demokratie und Menschenrechte auf dem »Platz des Himmlischen Friedens«, Peking.
Die Abwehr des Putschversuches gegen die Perestroika in Moskau.
Der Widerstand der estnischen Bevölkerung gegen den Versuch der Sowjetunion, die Unabhängigkeit Estlands zu verhindern.
Und schließlich die November-Demonstration und ihre Vorläufer, getragen von der Bürgerrechtsbewegung in der damaligen DDR, die zum Zusammenbruch des SED-Regimes führten.
Bei all diesen Versuchen mischten sich Erfolg und Mißerfolg in kaum zu trennender Weise. Was kurzfristig wie ein Fehlschlag aussah, führte oft zu weitergehenden Aktionen, die Erfolge vorbereiteten oder direkt zu einer Änderung der Verhältnisse führten. Eines aber beweisen diese Beispiele: Es ist möglich, mit gewaltfreien Methoden gegen Unrecht und Bedrohung vorzugehen, und es finden sich in aller Welt Menschen, die bereit sind, diesen schwierigen Weg zu versuchen.
Die für eine erfolgreiche gewaltfreie Truppe notwendigen Voraussetzungen müssen gründlich erforscht, Konflikte müssen auf Ursachen und Entstehung hin analysiert und klare Organisationsstrukturen müssen – neben der notwendigen Ausbildung der Freiwilligen – aufgebaut werden – dann haben wir die Chance, endlich in Alternativen zu militärischen Auseinandersetzungen zu denken und zu handeln.
1942: Widerstand der LehrerInnen im besetzten Norwegen
12.000 der insgesamt 14.000 LehrerInnen Norwegens weigern sich, dem Befehl Quislings, des Führers der norwegischen Nationalsozialisten, Folge zu leisten und in den nationalsozialistischen Lehrerverband einzutreten. Auch die Schließung der Schulen, die drohende Entlassung aus dem Schuldienst, und die Verhaftung von 1.000 KollegInnen brachte sie nicht zur Kooperation mit dem Besatzungsregime; sie blieben, gestützt durch ihre Familien und unzählige Freunde, trotz aller Drohungen standhaft. Die Schüler und SchülerInnen und deren Eltern solidarisierten sich mit ihren LehrerInnen, sie starteten verschiedene Protestaktionen, an denen sich 200.000 Menschen beteiligten; Kinder sangen auf den Bahnhöfen, wenn die Waggons mit ihren LehrerInnen an ihnen vorbei in die KZs rollten.
Als schließlich ein Übergreifen des Widerstands auf andere soziale Gruppen befürchtet wurde, mußte Quisling einlenken: Er ließ die Verhafteten frei und verzichtete auf seine Idee eines vom Nationalsozialismus geprägten »nordischen Ständestaates«.
1968: Widerstand gegen die Unterdrückung des »Prager Frühlings« durch die sowjetische Armee
Der sog. »Prager Frühling«, der Versuch eines »Sozialismus' mit menschlichem Antlitz« droht durch den Einmarsch sowjetischer Truppen im Keim erstickt zu werden. Die Bevölkerung wehrt sich auf fantasievolle, opferbereite, aber letztlich doch unkoordinierte und unvorbereitete Weise gegen die Besatzung. Durch geheime Rundfunkstationen und Untergrundzeitungen, durch Plakate und Flugblätter ermuntern sie sich gegenseitig zum Widerstand. Sie üben Sabotage gegenüber dem gesamten Verkehrssystem einschließlich des Flughafens. Sie verweigern jegliche Zusammenarbeit und stoppen durch Sitzblockaden die anrollenden Panzer. Sie isolieren die fremden Truppen, indem sie auf die einzelnen Soldaten ebenso freundlich wie entschlossen zugehen und ihnen mitteilen, daß sie »unerwünscht« seien. Schon nach wenigen Tagen müssen ganze Truppenverbände ausgetauscht werden, weil ihre Kampfkraft psychisch erlahmt ist.
Das Ende dieses tapferen Versuchs durch kluge Diplomatie Moskaus und das Nachgeben des tschechisch-slowakischen Präsidenten gegenüber dem massiven Druck des Politbüros ist allgemein bekannt.
1990/91: Krise und Krieg am Golf
Irak hat Kuwait besetzt und ist nicht bereit, sich dem Votum der Vereinten Nationen und den verhängten Sanktionen zu beugen. Der Sicherheitsrat setzt ein Ultimatum für die Räumung Kuwaits für Anfang Januar 1991. Die Krise spitzt sich zu; ein Krieg steht bevor. In dieser Situation der Hochspannung beschließt eine Gruppe aus Deutschland in das Krisengebiet zu reisen, um „durch unsere Anwesenheit, durch Fasten und Beten ein Zeichen des Friedens“ zu setzen. Sie schließen sich verschiedenen internationalen Gruppen an, die in einem sog. Friedensdorf bei Bagdad leben, Kontakte mit der Bevölkerung und Regierungsstellen suchen und humanitäre Hilfe leisten. Schließlich errichteten sie an der Grenze zwischen Saudi-Arabien und Kuwait ein internationales Friedenscamp. Einige bieten sich als Geiseln an, damit inhaftierte Ausländer freigelassen werden. Auch breit angelegte internationale Unterstützung kann den Ausbruch des Krieges nicht verhindern; die meisten von ihnen bleiben im Land und erleben die Bombennächten in einem Hotel in Bagdad, in das die Regierung sie bringen ließ.
300 Menschen reichten nicht aus, um die Kriegsmaschinerie zu stoppen. Was aber wäre gewesen, wenn es 3000 oder gar 300.000 Freiwillige gewesen wären?
Januar 1991: Kampf um die Unabhängigkeit Litauens
Die am 11. Januar 1990 vom litauischen Parlament verkündete Unabhängigkeit des Landes wird von der Sowjetunion nicht anerkannt, militärische Intervention wird angedroht.
Kurz nach Mitternacht des 13.1.1991 stürmen sowjetische Soldaten die Rundfunk- und Fernsehstation in Vilnius, der zweitgrößten Stadt Litauens. Hunderttausende von Bürgern haben die Stationen schützend umringt. Die Soldaten schießen in die wehrlose Menge und überrollen mit ihren Panzern unbewaffnete Demonstranten; es gibt Tote und Verletzte – die Litauer müssen aufgeben.
Dennoch versammeln sich in der nächsten Nacht erneut 150.000 Menschen, nunmehr vor dem Parlamentsgebäude. Auch hier drohen Militärs das Gebäude zu stürmen. Diesmal ist der gewaltfreie Widerstand erfolgreich: Die Panzer werden abgezogen. Das Parlament kann weiterhin in seinem Gebäude arbeiten, der Präsident bleibt unversehrt.
In der Folge weigern sich mehr als 90% aller jungen Wehrpflichtigen den Wehrdienst in der sowjetischen Armee zu leisten; viele verbrennen öffentliche ihre Wehrpässe: „Es ist möglich, uns unter Anwendung von Gewalt physisch zu vernichten oder uns zum Schweigen zu bringen, aber niemand wird uns zwingen, die Freiheit und Unabhängigkeit zu widerrufen.“ (STERN, Jan. 1991)
1992/93: Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien
Die mit menschenverachtender Brutalität geführten Kämpfe in Bosnien-Herzegowina machen – besonders auch angesichts der begründeten Ohnmacht der Militärs – in besonderer Weise deutlich, welch weites Aufgabenfeld eine hochqualifizierte gewaltfreie Taskforce dort hätte. Nach Meinung von FriedensarbeiterInnen, die mehrfach im Krisen- und Kriegsgebiet waren, wäre folgendes nötig – und bei entsprechenden Voraussetzungen auch möglich:
Analyse der Konfliktursachen und Konfliktebenen unter Einbeziehung von historischen, sozialen, ethnischen, religiösen und psychologischen Gesichtspunkten.
Beobachtung und Beschreibung des Konfliktverlaufs unter starker Einbeziehung der Beteiligten/Verbreitung dieser Informationen.
Kontakte zu den verschiedenen oppositionellen Gruppen/ideelle und materielle Stützung und Ermutigung ihrer Arbeit durch internationale Aufmerksamkeit.
Aufbau eines unabhängigen Kommunikationsnetzes/elektronische Vernetzung.
Impulse für humanitäre Hilfe im In- und Ausland/was ist wo nötig.
Kontrolle von Vereinbarungen oder Sanktionen z.B. Waffenembargo, Waffenstillstand, Grenzziehungen.
Vermittlungs- und Versöhnungsarbeit, Schlichterfunktionen, auch präventiv z.B. im Kosovo.
Januar 1993: Rückkehrer-Begleitung nach Guatemala
Am 20. Januar kehrten die ersten guatemaltekischen Flüchtlinge aus Mexiko in ihre Heimat zurück. Die 2.280 Menschen wurden auf dem Transport von 75 internationalen BeobachterInnen begleitet. Es waren Frauen und Männer aus Europa und Amerika, die sich freiwillig zu diesem Dienst gemeldet und sich einer speziellen Ausbildung unterzogen hatten. Durch ihre Anwesenheit in den etwa 40 Bussen wollten sie sicherstellen, daß die Zielorte auch wirklich erreicht würden. Die Aufgabe, die Flüchtlinge vor gewaltsamen Übergriffen und erneuten Verschleppungen zu schützen, wurde voll erfüllt. Zur endgültigen Eingliederung in Guatemala bedürfte es jedoch einer schützenden Dauerpräsenz, die nur von Freiwilligen kaum zu leisten sein wird.
Bei den Beiträgen zum Zivilen Friedensdienst handelt es sich um Auszüge aus der Broschüre „Blau-oliv oder gewaltfrei“ ; mit Tagungsdokumentation und Beiträgen zu den Out-of-area-Einsätzen der Bundeswehr, gewaltfreien Alternativen und einem Zivilen Friedensdienst. Herausgegeben vom Bund für Soziale Verteidigung, zusammengestellt und bearbeitet von Barbara Müller, Mai 1993, 75 S. DINA 4, für 8,- DM zu bestellen bei: BSV, Friedensplatz 1a, 4950 Minden.
Unter 2. handelt es sich um Auszüge aus dem Text von Roland Vogt und Kurt Südmersen, unter 1., 3., 4., 5. und 6. handelt es sich um Auszüge aus dem Text zusammengestellt von Berthold Keunecke und die Autorin des Textes „Beispiele gewaltfreier Krisenintervention zwischen 1972 und 1993“ (7.) ist Helga Tempel.
zum Anfang Exkurs: Agenda for Peace
Mit der Agenda for Peace40, die Generalsekretär Boutros-Ghali im Juni 1992 vorlegte, wird der Vorschlag unterbreitet, das friedensschaffende Instrumentarium der Vereinten Nationen zu erweitern und vorhandende Mittel mit Inhalt und Leben zu füllen. Der Generalsekretär thematisiert in einem eigenen Abschnitt das Thema der vorbeugenden Diplomatie.
Spannungen zwischen Konfliktparteien sollen vermindert und die ihnen zugrunde liegenden Ursachen beseitigt werden und zwar bereits in einem Stadium, bevor ein Konflikt eskaliert. Dazu schlägt der Generalsekretär der Vereinten Nationen den Ausbau von Einrichtungen zur Tatsachenermittlung und zur Frühwarnung41 vor. Vertrauensbildende Maßnahmen sollen auf regionaler Ebene eingeleitet und entmilitarisierte Zonen geschaffen werden. Allerdings kann er sich auch den vorbeugenden Einsatz der Vereinten Nationen in den Krisengebieten vorstellen. Bei der Friedensschaffung mit zivilen und militärischen Mitteln wird das Kap.VI der Charta der Vereinten Nationen und die in Art. 33 festgeschriebene umfangreiche Liste der Instrumente zur friedlichen Streitbeilegung angesprochen. Dieses Instrumentarium sollte nach Meinung des Generalsekretärs systematisch ausgebaut werden.
Eine zentrale Forderung ist, daß sich Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2000 der Gerichtsbarkeit des IGH unterwerfen sollten. Neben der ausreichenden Finanzierung für die Durchführung von Vermittlungsdiensten durch dritte Parteien sollen beim Scheitern friedlicher Mittel die im Kap.VII der Charta der Vereinten Nationen vorgesehenen Maßnahmen verwirklicht werden. Im Zentrum steht, daß dem Sicherheitsrat permanente Streitkräfte nach Art.43 der Charta der Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt werden. Für die Zwischenzeit strebt Boutros-Ghali die Schaffung von »Truppen zur Friedensdurchsetzung« an, die vom Sicherheitsrat beschlossen werden müssen. Diese Kontingente sollten dem Generalsekretär unterstellt werden. Es sind aber keine Blauhelmtruppen, weshalb sie auf Kampfeinsätze vorbereitet und entsprechend bewaffnet sein müssen.
Zur Absicherung von Ergebnissen friedlicher Konfliktlösungsbemühungen gehören nach Vorstellungen des Generalsekretärs auch Einsätze der Blauhelme. Die Voraussetzungen für dieses bereits traditionelle Instrument sollten erheblich verbessert werden, d.h. vor allem sollen die Verfügungsbereitschaftsabkommen mit den Mitgliedstaaten abgeschlossen werden.
Die Agenda for Peace lenkt den Blick auf einen Aspekt, der für die friedliche Beilegung von Konflikten von großer Bedeutung ist, allerdings oft aus dem Blick gerät. Und zwar handelt es sich um die Friedenskonsolidierung in der Konfliktfolgezeit. Ein Waffenstillstand oder eine durch Zwang herbeigeführte Beilegung kriegerischer Auseinandersetzungen ist noch längst keine dauerhafte Friedenssicherung. Zur »Konfliktnachsorge« schlägt Boutrous Ghali die Entwaffnung der Kriegsparteien, die Entsorgung von Minen, die Rückführung von Flüchtlingen, die politische Neuordnung und den wirtschaftlichen Wiederaufbau vor.
zum Anfang Beschluß der Kirchenleitung der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg vom 23.10.92
Der Zivile Friedensdienst soll zunächst in kleineren Versuchseinheiten aufgebaut werden und aus beruflichen Mitgliedern und für diesen Dienst optierenden Wehrpflichtigen bestehen. In einigen Jahren könnte der Zivile Friedensdienst in seinem Umfang einer Armee von Berufssoldaten, Wehrpflichtigen und Reservisten durchaus vergleichbar sein. Das demokratische Interesse an gewaltfreier Konfliktbearbeitung und solidarischer Hilfestellung läßt sich nicht an wenige Spezialisten delegieren, so wichtig diese für bestimmte Aufgabengebiete im In- und Ausland auch sein mögen.
Der Zivile Friedensdienst soll aus einem Kern von hauptamtlichen Männern und Frauen bestehen. Diese Aufbauorganisation soll möglichst bald in der Lage sein, sich in einigen Konfliktfeldern einzusetzen, um Erfahrungen zu sammeln. Sie soll aber auch damit beginnen, Wehrpflichtige und Freiwillige, die sich für einen einjährigen Dienst melden, so auszubilden, daß sie vornehmlich im Inland aktiv werden können. Den »Einjährigen« soll aber ähnlich wie Soldaten die Möglichkeit offenstehen, sich nach Bedarf auch für einen länger dauernden Dienst zu verpflichten. Bei den Freiwilligen kann es sich um Männer und Frauen handeln. Die »Einjährigen« sollen nach Ablauf ihrer Dienstzeit nur eingeschränkt – bei dringendem Bedarf und in der Nähe ihres Wohnorts – zu Fortbildungskursen und Einsätzen verpflichtet sein – bei entsprechender Aufwandsentschädigung.
Der Zivile Friedensdienst soll im Blick auf seine geistigen und praktischen Grundlagen auf einer breiten »Alphabetisierung in gewaltfreier Konfliktaustragung« aufbauen, die Teil des Schulunterrichts werden sollte.
Das Ziel der Ausbildung für den Zivilen Friedensdienst soll es sein, vielfältige Einsätze zu ermöglichen, weil die künftigen Konflikte sich nicht vorhersehen lassen. Im Blick auf die augenblickliche Eskalation von Gewalttaten gegen Ausländer könnte eine Form des Einsatzes des Zivilen Friedensdienstes sein, daß er in Flüchtlingsheimen und ihrer Umgebung tätig wird, um Spannungen im Vorfeld abzubauen und im Notfall zu gewaltfreier Selbstbehauptung und Solidarität anzuleiten.
Im Ausland könnten erfahrene und vornehmlich hauptamtliche Angehörige des Zivilen Friedensdienstes in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen Aufgaben übernehmen, für die bisher nur bewaffnete »Blauhelme« zur Verfügung standen. Eine spezielle Ausbildung im aktiven Vermitteln und in der Deeskalation von Konflikten könnte z.B. bei der Überwachung des demmokratischen Charakters von Wahlen wichtig werden. Auch zurückkehrenden Flüchtlingen könnte der Zivile Friedensdienst zur Seite stehen.
(aus: Gewaltfreie Aktion 93/94, 4. Quartal, S. 4 ff)
Anmerkungen
1) Gantzel, H.J./Schwinghammer, T./Siegelberg, J.: Kriege der Welt. Ein systematisches Register der kriegerischen Konflikte 1985 bis 1992; Stiftung Entwicklung und Frieden. Nr. 13, Bonn 1992 Zurück
2) Ebert, T.: Neue Konfliktlösungen fordern eine gewaltfreie Einsatzgruppen, in: Gewaltfreie Aktion, 1.+ 2. Quartal 1992, S. 2-18 Zurück
3) Bund für Soziale Verteidigung, in: Friedens-Forum; Heft 1, Bonn 1993, S. 16 Zurück
4) in: Friedens-Forum, Heft 1, Bonn 1993, S. 36 Zurück
5) in: Friedens-Forum, Heft 1, Bonn 1993, S.42 – 48 Zurück
6) Senghaas, D.: Therapeutische Konfliktintervention in Europa. Eskalation und Deeskalation ethnonationalistischer Konflikte, SWP-Arbeitspapier 2704, Ebenhausen 1991, S.6 Zurück
7) Senghaas, D.: a.a.O. Zurück
9) in Simma, B. (Hrsg.) Kommentar Charta der Vereinten Nationen, München 1991 Zurück
10) Siehe zu diesen Deklarationen auch Wolfrum, R. (Hrsg.): Handbuch Vereinte Nationen, München 1991 Zurück
11) Dahrendorf, R.: Der moderne soziale Konflikt, Stuttgart 1992 Zurück
12) Krippendorf, E.: Freitag vom 17.6.1992 Zurück
13) Handbuch für Vereinte Nationen, München 1991 Zurück
14) Kimminich, O.: Einführung in das Völkerrecht, München 1990, S. 301 Zurück
15) Paffenholz, T.: Wege der Vermittlung in internationalen Konflikten, in: der überblick, Heft 1, Hamburg 1993 Zurück
16) Verdross, A./Simma, B.: Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, Berlin 1984 Zurück
17) Kimminich, O.: Einführung in das Völkerrecht, München 1990 Zurück
18) Verdross, A./Simma, B.: Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, Berlin 1984 Zurück
19) Vgl. Burton, j./Dukes, F.: Conflict: Practices in Management, Settlement & Resolution, London 1990, S. 25. Zurück
20) Paffenholz, T.: Wege der Vermittlung in internationalen Konflikten, in: der überblick, Heft 1, Hamburg 1993 Zurück
21) Vgl Kimminich, O.: Einführung in das Völkerrecht, München 1990 Zurück
22) Der Art.33, Ziffer 1 lautet in der englischen Fassung: „(1) The parties to any dispute, the continuance of wich is likely to endanger the maintenance of international peace and security, shall, first of all, seek a solution by negotiation, enquiry, mediation, conciliation, arbitraition, judicial settlement, resort to regional agencies or arrangements, or other peaceful means of their own choice.“ Zurück
23) Lewin, K.: Group decision and social change, in: Newcomb, T.M./Hartleys, E.L. (Eds.): Readings in social psychology, New York 1947; Ders.: Feldtheorie in den Sozialwissenschaften, Bern 1963; Ders.: Grundzüge der topologischen Psychologie, Bern 1969. Zurück
24) Burton, J.: Human Needs Theory, London 1990 Zurück
25) Burton, J. (Ed.): Conflict: Human Needs Theory, London 1990; Burton, J./Dukes, F. (Ed.): Conflict: Readings in Management & Resolution, London 1990; Burton, J./Dukes, F.: Conflict: Practices in Management, Settlement & Resolution, London 1990; Burton, J.: Conflict: Resolution and Provention, London 1990 Zurück
26) Kriesberg, L.: International Conflict Resolution, New Haven 1992 Zurück
27) Kriesberg, L.: Dilemmas in Nonviolent Settling International Conflict, in: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr (Hrsg.): Armed Forces After the Cold War, München 1992 Zurück
28) Kriesberg, L./Thorson, S.J. (Ed.): Timing the Deescalation of international Conflicts, Syracuse, New York 1991 Zurück
29) Zartman, W.I.: Ripe for Resolution, Conflict and Resolution in Africa, New York 1989; Touval, S./Zartman, W.I.: International Mediation in Theory and Practice, Boulder 1984 Zurück
30) Paffenholz, T.: a.a.O. Zurück
31) Bercovitch, J./Rubin, J.: Mediation in International Relations, London 1992 Zurück
32) Ropers, N./Schlotter, P.: Die KSZE. Multilaterales Konfliktmanagement im weltpolitischen Umbruch. Zukunftsperspektiven und neue Impulse für regionale Friedensstrategien, in: HSFK-Report 11-12, Frankfurt 1992 Zurück
33) Zum Begriff selbst und zu den positiven Möglichkeiten von Citizen diplomacy siehe Burton, J./Dukes, F.: a.a.O., S. 124ff. Zurück
34) Vgl. Burton, J./Dukes, F.: a.a.O. Zurück
35) Ropers, N./Schlotter, P.: a.a.O. Zurück
36) Krause, H.: Die geschichtliche Entwicklung des Schiedsgerichtswesens in Deutschland, 1930 Zurück
37) Grewe, G.W.: Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1988 Zurück
38) Vgl. dazu Senghaas, D.: Friedliche Streitbeilegung und kollektive Sicherheit im neuen Europa, in: Europa-Archiv 10/1991 Zurück
39) So z.B. die revidierte Generalakte, „das Panel for Inquiry and Conciliation (GA res. 268 D (III) vom 28.4.1949), die Peace Observation Commission (GA res. 377 B (V) vom 3.11.1950) sowie das Register of Experts for Fact-finding (GA res. 2329 (XXII) vom 18.12.1967)„. Vgl.: Wolfrum, R. (Hrsg.).: a.a.O., S. 812-820. Zurück
40) Siehe Agenda for Peace, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 9, Bonn 1992. Ausführliche Besprechung durch Paech, N.: UN-Gewaltmonopol oder Recht der Stärksten?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 9, Bonn 1992 und Weiss, Th.G.: New Challenges for UN Military Operations: Implementing an Agenda for Peace, in: Washington Quarterly, Winter 1993 Zurück
41) Zum Aspekt der Frühwarnung siehe auch Rupesinghe, K.: Early Warning and preventive Diplomacy, Discussion Paper prepared for the Annual Meeting of the Internationale Negotiation Network, February 1993 Zurück