Dossier 99

Feministische Friedensforschung

Impulse für Frieden

herausgegeben von Christine Buchwald, Patricia Rinck und Michaela Zöhrer für den Arbeitskreis Feministische Friedensforschung der AFK

Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) und Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e.V. (IWIF)

erscheint als Beilage zu W&F 1/2025

Editorial: Feministische Impulse für Frieden

von Christine Buchwald, Patricia Rinck und Michaela Zöhrer

Feministische Friedensforschung verfolgt einen normativen Auftrag. Sie erforscht Bedingungen, Strukturen und Dynamiken von Konflikten und Gewalt, in dem Bemühen, mit ihren Erkenntnissen Frieden zu befördern. Dabei zeichnen sich feministische Ansätze in der Friedens- und Konfliktforschung dadurch aus, dass sie die androzentrische (männerzentrierte) Ausrichtung des Forschungsfeldes und seiner Untersuchungsgegenstände aufdecken und darauf hinwirken, dass die Perspektiven und Belange von Frauen und weiteren diskriminierten und marginalisierten Personengruppen berücksichtigt werden. Zentrale Ziele und Aufgabenfelder feministischer Friedensforschung sind entsprechend sowohl Kritik als auch Emanzipation (Väyrynen et al. 2021, S. 3).

Feministische Kritik und Emanzipation

Die Kritik richtet sich zuerst auf das, was als „epistemisch geronnene Männlichkeit“ (Lang 1992, S. 131) bezeichnet werden kann, die in der Friedens- und Konfliktforschung – und weit über sie hinaus – tiefgreifende Spuren hinterlassen hat: im Wahrnehmen, Denken und Handeln. Anfang der 1990er Jahre hat sich Tordis Batscheider (1993, S. 126-130), eine der frühen Protagonist*innen feministischer Friedensforschung im deutschsprachigen Raum, für eine an zwei Punkten ansetzende Wissenschafts- und Gesellschaftskritik ausgesprochen: für Kritik am androzentrischen Universalismus einerseits und an einem androzentrischen Objektivismus andererseits. Kritisiert wird damit, dass eine partikulare männliche Sichtweise durch die Ausblendung oder Abwertung nicht-männlicher Perspektiven zur universellen Sichtweise v/erklärt wird, sowie die Vorstellung, dass Subjektivität (nicht zuletzt in Forschung) »störe« und ausgeblendet werden müsse und könne.1

Feministische Kritik in der Friedens- und Konfliktforschung richtet sich gegen entsprechende Ausdrucksformen des Androzentrismus in Wissenschaft und Gesellschaft, werden damit doch nicht nur bestimmte Themen und Belange ausgeblendet oder marginalisiert, sondern zudem solche Perspektiven weitgehend ignoriert oder abgewertet, die gängigen Standards »wertvollen« (zum Beispiel objektiven statt subjektiven, rationalen statt auch emotionalen) Wissens vorgeblich nicht entsprechen – und mitunter auch gar nicht entsprechen können oder wollen. Daraus leitet sich ein für feministische Friedensforschung zentraler emanzipatorischer Gedanke ab: „Epistemologisch basiert Feminismus auf einem relationalen und verkörperten Commitment, marginalisiertes Wissen miteinzubeziehen, unabhängig davon, ob Frauen oder andere (vergeschlechtliche) Menschen, Ideen oder sonstige empfindungsfähige Wesen diese Ränder (margins) des Wissens darstellen“ (Väyrynen et al. 2021, S. 3).2

Das normative Selbstverständnis feministischer Friedensforschung, gekoppelt mit einem emanzipatorischen, transformativen und oft progressiven Anspruch, schlägt sich vor allem in herrschaftskritischen, bewegungsnahen und/oder partizipativen Zugängen nieder. Dabei schöpft feministische Friedensforschung aus dem großen und bereichernden Fundus an Wissen feministischer sozialer Bewegungen und multidisziplinärer feministischer Forschung. Und sie orientiert sich zugleich – und häufig kritisch – an Perspektiven und Kenntnissen deutschsprachiger wie internationaler Friedens- und Konfliktforschung.

Gender, Gewalt und Frieden

In konventioneller Friedens- und Konfliktforschung wird die Bedeutung von »Geschlechterfragen« – und damit von wirkmächtigen sozialen Gender-Kon­struktionen und Geschlechterhierarchien – bis heute häufig vernachlässigt. Demgegenüber zeigt feministische Friedensforschung auf, dass Geschlechterkonstruktionen und -stereotype – »weibliche« wie »männliche« – verbreitet sind, die als (ab-)wertende, hierarchisierende Zuschreibungen soziale Wirkmächtigkeit entfalten, indem sie soziale Ungleichheiten mit hervorbringen und legitimieren sowie geschlechtsbezogener Gewalt zugrunde liegen.

Feministische Friedensforschung nimmt die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in ihren Analysen ernst. Sie betrachtet, wie Geschlecht als sozial wirkmächtige Konstruktion und Machtstruktur mit Konflikten, Gewalt und Frieden zusammenhängt. Feministische Friedensforschung untersucht insbesondere „die vergeschlechtlichten Gesellschaftsordnungen, die Gewalt (re-)produzieren, indem sie versuchen, die Welt in eine binäre Hierarchie aus männlich/weiblich, maskulin/feminin zu unterteilen“ (Wibben et al. 2019, S. 87).

Viele feministische Friedensforscher*innen gehen davon aus, dass Gewalt strukturell mit dem Patriarchat und anderen Unterdrückungsformen sowie strukturellen Ungleichheiten verbunden ist, und berücksichtigen daher, wie sich Geschlecht, aber zum Beispiel auch Sexualität, Ethnie oder Klasse, als Machtstrukturen in verschiedenen sozialen Kontexten, auf zwischenmenschlicher bis hin zur globalen Ebene, auswirken (Wibben und Donahoe 2020, S. 1). Dieses breitere Verständnis von Gewalt hat zu der wichtigen Einsicht feministischer Friedensforschung geführt, dass die Beziehung zwischen Krieg und Frieden nicht als Dichotomie, sondern als Kontinuum zu verstehen sei. Damit wird der Blick dafür geschärft, dass es nicht nur Praktiken des alltäglichen Friedens auch in Kontexten gewaltsamer Konflikte geben kann (Väyrynen et al. 2021, S. 4f.), sondern dass Formen alltäglicher Gewalt, wie zum Beispiel das Schikanieren von trans Personen, häusliche Gewalt oder Femizide, in vermeintlich friedlichen Gesellschaften vorherrschen (Cockburn 2004). Nicht zuletzt Frauen, People of Color, queere Menschen und Menschen mit Behinderungen haben historisch gesehen in öffentlichen und privaten gesellschaftlichen Bereichen Gewalt erfahren und erfahren sie weiterhin – und das unabhängig davon, ob sie sich in einem Konflikt- oder vermeintlich friedlichen Umfeld bewegen (Forde, Kappler und Björkdahl 2021, S. 332). Die feministisch ausbuchstabierte Idee des Kontinuums der Gewalt ermöglicht es Friedensforscher*innen zu erfassen, dass Krieg als eine Art »spektakulärer Gewalt« etwa nach Geschlecht unterschiedene Personen unterschiedlich (be-)trifft, ohne Formen alltäglicher Gewalt in sogenannten Friedenszeiten auszublenden oder hintanzustellen.

Plurale Feminismen

Verallgemeinernd gesprochen adressiert Feminismus in der Gesellschaft wirkende patriarchale Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse und die aus ihnen hervorgehenden, sie reproduzierenden sowie legitimierenden androzentrischen Institutionen, Strukturen, Diskurse und Praktiken. In der Friedens- und Konfliktforschung – wie allgemein in der Gesellschaft – existieren jedoch verschiedene (Selbst-)Verständnisse von Feminismus, verschiedene Feminismen, parallel. Diese weisen zugleich bestimmte Konjunkturen auf. So werden heute zum Beispiel essentialistische Konzeptionen von Geschlecht nur mehr selten als die eigene kritische Friedensforschung anleitend ausgewiesen und damit weder biologisch noch sozialisatorisch begründete stereotype Vorstellungen von Geschlechterspezifika und -unterschieden zugrunde gelegt. Das heißt auch, dass kaum mehr Ansätze zum Tragen kommen, die von einem homogenen und generalisierten – zum Beispiel stets friedfertigen – Kollektivsubjekt »Frau« ausgehen oder davon, dass Frauen stets und überall die gleichen Erfahrungen der Unterdrückung machen.

Stattdessen werden vor allem konstruktivistische Verständnisse von Geschlecht herangezogen. Zudem wird von Forschenden zunehmend eine intersektionale Perspektive eingenommen und erforscht, wie in bestimmten Kontexten Geschlecht, Sexualität, Ethnie, Klasse, Alter und weitere soziale Kategorisierungen als Machtstrukturen miteinander verschränkt Wirkung entfalten.

Feministische Friedensforschung hat sich über die Jahrzehnte als selbstkritisch und lernfähig erwiesen und besitzt infolgedessen ein zunehmend feinfühliges Sensorium dafür, dass nicht nur Frauen – und nicht alle Frauen gleichermaßen – von vielfältigen genderspezifischen und intersektionalen Formen von Unterdrückung und Gewalt betroffen sind. Innerhalb der feministischen Friedensforschung im deutschsprachigen Raum werden allmählich queer-feministische Ansätze stärker rezipiert, womit beispielsweise Formen von Gewalt, denen Personen unterschiedlicher (auch nicht-binärer) Geschlechtsidentitäten, (auch nicht heteronormativer) sexueller Orientierungen, »Gender Expressions« und Geschlechtsmerkmale ausgesetzt sind, systematischer in der Analyse und Kritik von Friedenspolitiken Berücksichtigung finden (Akı 2023). Das gilt ebenso für Kämpfe von LGBTIQ+ Personen um Menschenrechte (Reiss 2024), wie auch für Formen der politischen (nationalistischen, militaristischen) Instrumentalisierung ihrer Forderungen und Belange (Stichwort: Homonationalismus).

Eine zunehmend wichtige Rolle spielen ferner postkolonial-feministische Ansätze, welche die kritische Aufmerksamkeit zusätzlich auf die Dominanz eurozentrischer Denk- und Handlungsweisen sowie auf globale, kolonial-tradierte soziale Ungleichheiten und Unterdrückungsmechanismen lenken (zum Beispiel: Rinck 2023, sowie einzelne Artikel im ZeFKo-Forum »Dekolonialisiert euch!«, siehe Buckley-Zistel und Koloma Beck 2022).

Die Beiträge in diesem Dossier

Ausgehend von dieser Bandbreite möglicher Zugänge und der Tatsache, dass feministische Friedens- und Konfliktforschung im deutschsprachigen Raum noch immer wenig Sichtbarkeit hat, entstand die Idee zu diesem Dossier. Die Autor*innen sind dem Aufruf des Arbeitskreises Feministische Friedensforschung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) gefolgt, Anliegen und Perspektiven feministischer Friedensforschung ausgehend von eigens gewählten Themenschwerpunkten greifbar zu machen. Der Arbeitskreis, der die Institutionalisierung feministischer Friedensforschung im deutschsprachigen Raum zum Ziel hat, will – genauso wie dieses Dossier – einen Raum des inhaltlichen Austauschs für alle schaffen, die sich als feministische Friedensforscher*innen verstehen.

Mit der Einladung zu eigenen Schwerpunktsetzungen geht einher, dass die im Dossier vertretenen Perspektiven keinen repräsentativen, doch aber einen informativen Querschnitt feministischer Friedensforschung im deutschsprachigen Raum darstellen. Vertreten sind verschiedenste thematische und geografische Fokussierungen, disziplinäre Hintergründe und soziale Positionalitäten. Die Bandbreite der Beiträge zeigt, dass es verschiedene Blickwinkel auf das Feld der Friedens- und Konfliktforschung gibt und dass es den einen Feminismus jedenfalls nicht gibt.

Die ersten Beiträge des Dossiers illustrieren auf je unterschiedliche Weise das große Erkenntnispotential, das feministische Friedensforschung – oft inspiriert von oder gemeinsam mit feministischen sozialen Bewegungen – als Forschung für Frieden birgt. Sie bieten wichtige Einblicke, die ohne die dezidierte Berücksichtigung von Geschlecht in der Analyse und ohne feministische Methodologien nicht möglich wären – und damit »konventioneller« Friedens- und Konfliktforschung verwehrt bleiben müssen. So gibt Rawina Trautmann einen Überblick über epistemologische und methodologische Kernelemente einer feministischen Friedensforschungsperspektive und kann deren jeweilige Relevanz und Konsequenzen anhand ihrer Forschung zu kurdischen Frauen veranschaulichen, die sich im Norden Iraks der Peschmerga angeschlossen haben. Maéva Clément zeigt auf, was (und wie) sich aus einer feministischen, geschlechterbezogenen Perspektive auf Prozesse der Versöhnung in sogenannten Post-Konflikt-Gesellschaften Neues und anders sehen lässt, und arbeitet unter anderem heraus, wie Emotionsdarstellungen in Versöhnungsdiskursen und -praktiken geschlechtsspezifisches Wissen und Machthierarchien legitimieren und wie sich dies nicht zuletzt auf Geschlechterungleichheiten auswirkt. Jannis Kappelmann untersucht, wie in Politik und (Pop-)Kultur Nuklearwaffen in einer gegenderten Weise por­trätiert und wahrgenommen werden, von der »Geburt« im Manhattan Project bis heute, und wie dies zur Normalisierung und Legitimierung dieser Waffengattung beiträgt. Rita Schäfer gewährt Einblicke in hierzulande noch zu wenig wahrgenommene, dabei aufschlussreiche feministische Ansätze in Friedensforschung, -aktivismus und -politik in afrikanischen (Nachkriegs-)Gesellschaften, die wichtige Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit sowie Frauen- und Menschenrechten mit solchen nach sozial-ökonomischer Gerechtigkeit verbinden.

Die zwei sich daran anschließenden Beiträge widmen sich stärker der Frage, wie feministisches Forschen und Arbeiten innerhalb des Wissenschaftssystems aussehen könnte oder aussehen müsste, wenn der Anspruch feministischer Friedensforschung, diese als Praxis der Fürsorge zu verstehen und zu praktizieren, ernstgenommen werden würde. Hannah Neumann problematisiert in ihrem Artikel die fehlende Sichtbarkeit und Wertschätzung von Care-Arbeit am Arbeitsplatz »Hochschule«, ohne die das Hochschulsystem nicht funktionieren würde, und fordert, feministische Friedensforschungsansätze auch in die eigene Arbeitshaltung zu transformieren. Juliana Krohn und Viktorija Ratković widmen sich dem vermachteten (Nicht-)Umgang mit Gewalt im institutionellen Kontext der Hochschule und benennen das Einüben von Praktiken der Fürsorge und Solidarität als ein Kernanliegen feministischer Friedensforschung.

Feministische Friedensforschung verfolgt immer – mal impliziter, mal expliziter – den normativen Anspruch, transformatorisch in die Gesellschaft zu wirken. Das Dossier schließt mit zwei Beiträgen, die sich Herausforderungen für feministische Friedensforschung angesichts aktueller Bedrohungen des Friedens – durch Militarisierung einerseits und Rechtsextremismus andererseits – explizit annehmen. Claudia Brunners Beitrag entwickelt ein starkes Plädoyer für eine antimilitaristische feministische Friedensforschung, die ein lautes und deutliches »Nein zum Krieg!« an den Anfang stellt. Ausgehend von intersektionaler Kritik an den systemischen Zusammenhängen von Militarismus, Nationalismus, Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat brauche es eine „Praxis des Widersprechens“ als Antwort auf die gegenwärtig und zukünftig zunehmende, und zunehmend vergeschlechtlichte, Militarisierung. Victoria Scheyer wiederum problematisiert aufgrund der aktuell beobachtbaren rechten »Backlashes« in fast allen gesellschaftlichen Feldern in ihrem Beitrag die möglichen und wahrscheinlichen Konsequenzen rechtsextremer Politik für die Errungenschaften (nicht nur) feministischer Friedensforschung und -praxis und wirft die wichtige Frage auf, wie feministischer Widerstand für den Frieden aussehen kann/muss.

Wie im Dossier gezeigt wird, kann feministische Friedensforschung in Zeiten um sich greifender Wissenschaftsskepsis, zunehmender gesellschaftlicher Militarisierung und antifeministischer Backlashes wichtige gendersensible – und allgemeiner diskriminierungskritische und machtsensible – Impulse für gesellschaftliches Zusammenleben sowie die Gestaltung von Forschungs- und Lernräumen der Friedens- und Konfliktforschung selbst geben. In diesem Sinne ist das Dossier als Angebot zu weiteren Debatten und weiterem Austausch innerhalb der Disziplin, aber eben auch über die Grenzen von Wissenschaft hinaus gedacht.

Danksagung

Unser Dank gilt den Autor*innen, die ihre Gedanken und Forschungen als Impulse feministischer Friedensforschung einbringen, und dem W&F-Redakteur David Scheuing für seine Umsicht und Kreativität im Prozess der Realisierung des Dossiers.

Wir danken ferner der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) und dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung für die finanzielle Förderung des Dossiers. Ohne diese Unterstützung wäre es nicht möglich gewesen, das Dossier und seine Inhalte in der vorliegenden Form einer breiten Leser*innenschaft zugänglich zu machen.

Anmerkungen

1) Ausführlicher hierzu und zu einem Blick zurück in frühe deutschsprachige feministische Friedensforschung: Zöhrer 2022. Dazu, inwiefern sich Feminismus zwischen Ideal und Realität in genderbezogener Friedensforschung bewegt: Buchwald 2022. Das W&F-Dossier 94, in dem die beiden zitierten Texte abgedruckt sind, gibt zudem einen Überblick über den Entstehungs- und Entwicklungsprozess des Netzwerks Friedensforscherinnen der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung unter Bezugnahme auf deutschsprachige Literatur feministischer Friedensforschung.

2) Alle englischsprachigen Zitate in diesem Text wurden ins Deutsche übersetzt.

Literatur

Akı, E. Irem (2023): Queering Peacebuilding. W&F 4/2023, S. 35-38.

Batscheider, Tordis (1993): Friedensforschung und Geschlechterverhältnis. Zur Begründung feministischer Fragestellungen in der kritischen Friedensforschung. Schriftenreihe Wissenschaft und Frieden, Band 18. Marburg: BdWi-Verlag.

Buchwald, Christine (2022): Ein Netzwerk zum Vernetzen und für gelebte Solidarität. Wissenschaft und Frieden Dossier 94 (Frauen, Friedensforschung, Feminismus), S. 11-16.

Buckley-Zistel, Susanne; Koloma Beck, Teresa (Hrsg.) (2022): Dekolonisiert Euch! ZefKo-Forum. Zeitschrift für Friedens-und Konfliktforschung (ZeFKo) 11(2), S. 141-241.

Cockburn, Cynthia (2004): The continuum of violence. A gender perspective on war and peace. In: Giles, Wenona; Hyndman, Jennifer (Hrsg.): Sites of violence: Gender and conflict zones. Los Angeles: University of California Press, S. 24-44.

Forde, Susan; Kappler, Stefanie; Björkdahl, Annika (2021): Peacebuilding, structural violence and spatial reparations in post-colonial South Africa. Journal of Intervention and Statebuilding 15(3), S. 327-346.

Lang, Susanne (1992): Ist Friedensforschung eine männliche Wissenschaft? Grundsätzliche Gedanken zu einem variationsreichen Thema. In: Wasmuht, Ulrike C. (Hrsg.): Ist Wissen Macht? Zur aktuellen Funktion von Friedensforschung (Schriftenreihe der AFK, Bd. 19). Baden-Baden: Nomos, S. 127-139.

Reiss, Mariel (2024): Advocating for human rights of LGBTIQ+ persons in multilevel governance systems. Journal of Civil Society 20(3), S. 269-284.

Rinck, Patricia (2023): Geschlechtsspezifische Ausgrenzung, Krieg und Frieden in Sierra Leone: Eine feministische Perspektive auf Gewalt und Ordnung. Zeitschrift für Internationale Beziehungen 30(2), S. 38-65.

Väyrynen, Tarja; Parashar, Swati; Féron, Élise; Confortini, Catia Cecilia (2021): Introduction. In: Dies. (Hrsg.): Routledge handbook of feminist peace research. London und New York: Routledge, S. 1-10.

Wibben, Annick T. R.; Confortini, Catia Cecilia; Roohi, Sanam; Aharoni, Sarai B.; Vastapuu, Leena; Vaittinen, Tiina (2019): Collective discussion: Piecing-up feminist peace research. International Political Sociology 13(1), S. 86-107.

Wibben, Annick T. R.; Donahoe, Amanda E. (2020): Feminist peace research. In: The Palgrave encyclopedia of peace and conflict studies. Cham: Springer International Publishing, S. 1-11.

Zöhrer, Michaela (2022): Hier sind die Friedensforscherinnen! Feministische Interventionen in die Friedens- und Konfliktforschung. Wissenschaft und Frieden Dossier 94 (Frauen, Friedensforschung, Feminismus), S. 4-8.

Feministische Friedensforschung

Menschenzentriert, intersektional, selbstreflexiv1

von Rawina Trautmann

Feministische Forschung ist vielfältig – sowohl in ihrer disziplinären Ausrichtung als auch in den theoretischen Strömungen und methodologischen Herangehensweisen. Sie eint jedoch das übergeordnete emanzipatorische und normative Ziel, durch ihre Forschung die Lebenssituation von Individuen und marginalisierten Gruppen, die von unterschiedlichen Formen von Gewalt betroffen sind, zu verbessern, und Machtstrukturen kritisch zu hinterfragen (Väyrynen et al. 2021, S. 3). Was zeichnet also feministische Friedensforschung aus und warum ist diese Art der Forschung wichtig?

Basierend auf meiner Forschung zu Frauen, die sich der Peschmerga in der kurdischen Region des Iraks angeschlossen haben, argumentiere ich, dass sich für mich feministische Forschung durch drei Elemente auszeichnet: Erstens orientiert sich feministische Forschung auf der Analyse-Ebene an Menschen beziehungsweise am Mikro-Level. Zweitens werden auf der sozial-theoretischen Ebene durch intersektionale Perspektiven diverse Machtverhältnisse aufgezeigt, wodurch ein mehrdimensionales Verständnis von Gewalt und Unterdrückung ermöglicht wird. Drittens ist auf einer methodologischen Ebene Selbstreflexion zentral, um stets die eigene Perspektive kritisch zu hinterfragen. Diese drei Punkte sind in feministischen Elementen verankert. Sie helfen dabei, ein nuanciertes Bild von Frieden und Gewalt zu erlangen und werden in den nächsten Abschnitten genauer erläutert.

Analyse-Ebene: Mikro (Mensch) statt Makro (Staat)

Oftmals werden in der Friedens- und Konfliktforschung die Umstände, Ursachen und Prozesse von Frieden und Konflikten untersucht. Dabei wird insbesondere in traditionellen Ansätzen, wie zum Beispiel im (Neo-)Realismus, der Staat als Hauptanalyseeinheit genommen, um Staatsverhalten, nationale Sicherheit und militärische Macht im Kontext von globalen Konflikten zu untersuchen. Allerdings sind es Individuen, die an diversen Formen von Frieden und Gewalt beteiligt sowie von deren Auswirkungen betroffen sind. Warum sich also nicht mit der Mikro-Ebene (wie Individuen und Gruppen) beschäftigen, um aus Frieden und Konfliktsituationen Erkenntnisse zu gewinnen?

Dieser Punkt wird von feministischer Forschung aufgegriffen, indem sie bei den Lebensrealitäten von Frauen und marginalisierten Gruppen beginnt und daraus Rückschlüsse auf unterschiedliche Formen von Unterdrückung und Gewalt zieht (Sjoberg und Tickner 2013, S. 175). Die Bezeichnung »Frauen« sollte hierbei – wie postkoloniale Feminist*innen argumentieren – nicht als universelle Kategorie verstanden werden, da dies der Diversität und Pluralität von Lebensrealitäten und unterschiedlichen Formen von Unterdrückung nicht gerecht wird (Mohanty 1984, S. 351; Sjoberg und Tickner 2013, S. 171).

Eine Analyse auf der Mikro-Ebene aus einer Gender-Perspektive erlaubt es zum Beispiel, Wissen über die Beweggründe von Frauen, die sich der Peschmerga angeschlossen haben, zu gewinnen. Dabei werden Erkenntnisse zu den diversen Lebensrealitäten von Frauen und deren Erfahrungen mit individuellen oder geteilten Ungerechtigkeiten hervortreten. Darüber hinaus lassen sich durch die Analyse auf der Mikro-Ebene unterschiedliche Vorurteile widerlegen: Erstens widersprechen die kurdischen Frauen der Peschmerga oftmals vernommenen Annahmen von der ausschließlichen Passivität von Frauen. Zweitens widersprechen sie orientalistisch geprägten Stereotypen über die vermeint­liche »Unterwürfigkeit« und »Hilflosigkeit« von Frauen im Nahen Osten im Vergleich zu Frauen im sogenannten Globalen Norden (Gentry und Sjoberg 2015, S. 123). Diese Erkenntnisse würden staatszentrierten Perspektiven mangels Berücksichtigung der Mikro-Ebene verwehrt bleiben.

Sozial-theoretische Ebene: Intersektional

Wer feministisch forscht, erforscht gleichzeitig auch Macht(-verhältnisse). Wibben und Donahoe argumentieren, dass feministische Friedensforschung die Bedeutung von Gender „– aber auch von Sexualität, Race, Klasse und anderen Beziehungen – als Machtstrukturen in jedem empirischen Setting“ anerkennt (Wibben und Donahoe 2020, S. 1)2. Hier lässt sich eine emanzipatorische Komponente erkennen, denn für intersektional denkende Feminist*innen sind Kämpfe gegen jegliche Form der Unterdrückung immer gleichzeitig auch mit weiteren Kämpfen für Gerechtigkeit verbunden. So darf Frieden nicht bloß im Kontext von bewaffneten Konflikten angestrebt und verstanden werden, sondern in allen Bereichen, in denen menschliche Entwicklung stattfindet und die von Gewalt betroffen sein können (ebd., S. 2-4). Die intersektionale Perspektive innerhalb der feministischen Friedensforschung ermöglicht es, aufzuzeigen, dass das sogenannte »Kontinuum der Gewalt« nicht zeitlich und geographisch auf Kriegsgewalt beschränkt ist, denn auch wenn die Waffen wieder schweigen, bleiben andere Formen der Gewalt – wie zum Beispiel geschlechtsspezifische häusliche Gewalt – bestehen (Väyrynen et al. 2021, S. 4f.; Wibben und Donahoe 2020, S. 4). Gewalt auf einen einzigen Bereich – meist den der öffentlichen Sphäre und des bewaffneten Konflikts – zu beschränken, reduziert die Komplexität des Friedensbegriffs und schränkt dementsprechend die Möglichkeiten ein, Gewalt nachhaltig auf unterschiedlichen Ebenen einzudämmen und zu beenden (True 2020, S. 88, 95).

Wenn also feministische Forschung unter anderem das emanzipatorische Ziel hat, auf die Unterdrückung von Menschen hinzuweisen und diese zu beenden, so müssen unterschiedliche Ebenen von Unterdrückung und Macht berücksichtigt werden, um ein tieferes Verständnis von Frieden und Gewalt zu erhalten. Laut Shahrzad Mojabs Forschung sind beispielsweise viele kurdische Frauen einem »internen Krieg« und einem »externen Krieg« ausgesetzt. Der interne Krieg bezieht sich auf geschlechtsspezifische Gewalt gegen kurdische Frauen, während der externe Krieg sich auf unterdrückerische Staatsgewalt gegen alle Kurd*innen als Mitglieder des größten Volkes ohne eigenen Staat richtet (Mojab 2000, S. 89).

Dieses empirische Beispiel der mehrfachen Unterdrückung kurdischer Frauen unterstreicht zwei Kernpunkte feministischer Friedensforschung: Erstens verdeutlicht es das Kontinuum der Gewalt, denn »Gewalt« und »Frieden« sind nicht klar trennbar zeitlich und örtlich begrenzt (Väyrynen et al. 2021, S. 5). Dadurch können Dichotomien wie Frieden/Gewalt durchbrochen werden (Wibben und Donahoe 2020, S. 4). Zweitens zeigt die intersektionale Analyse unterschiedliche Formen von Macht, Gewalt und Unterdrückung auf, die individuell oder geteilt sind. Somit hilft eine intersektionale Analyse, Frieden und Gewalt auf unterschiedlichen Ebenen zu berücksichtigen und so dem bereits erwähnten emanzipatorischen Ziel feministischer Friedensforschung nachzugehen.

Methodologische Ebene: Selbstreflexiv

Wer feministisch forscht, untersucht Macht und Machtverhältnisse nicht nur auf einer inhaltlichen Ebene, sondern hinterfragt Macht in der Regel auch selbstreflexiv in der eigenen Rolle als Forscher*in. Feministische Forschung folgt demnach eher interpretativen als positivistischen Ansätzen (Wibben et al. 2019, S. 88). Vertreter*innen Letzterer glauben unter anderem an die Möglichkeit der Objektivität sowie einer strikten Trennung von Forscher*in und Forschungsgegenstand. Feministische Forscher*innen stehen diesen Annahmen kritisch gegenüber, indem sie hinterfragen, inwiefern von objektivem Wissen gesprochen werden kann, wenn dieses Wissen aus einer homogenen Gruppe stammt. Wie können wir beispielsweise verstehen, warum Kriege entstehen und wie Frieden hergestellt werden kann, wenn dieses Wissen in konventionellen Ansätzen hauptsächlich von Männern und über Männer entstanden ist (Sjoberg und Tickner 2013, S. 173)? Feminist*innen argumentieren, dass gerade die Inklusion einer Vielzahl an Perspektiven insbesondere von Frauen und marginalisierten Gruppen durch bottom-up Ansätze zu einer Erweiterung unseres Wissensstands hinsichtlich Frieden und Gewalt führen kann (Sjoberg und Tickner 2013, S. 175; Tickner 2006, S. 26). Zudem argumentieren Wibben und Donahoe, dass vielmehr die Anerkennung davon, dass Forscher*innen unterschiedlich positioniert sind, und dass diese Positionierungen die Wissens­erzeugung beeinflussen, zu „akkuraterer („objektiver“) Wissenschaft“ führt (Wibben und Donahoe 2020, S. 6). Selbstreflexion hinsichtlich der eigenen Positionalität, inklusive der diversen Identitäten, welche Menschen innehaben können (unter anderem Geschlecht, Nationalität, Ethnizität, kultureller Hintergrund, Beruf) (Wilkinson 2013, S. 134), sowie das kritische Hinterfragen der Machtverhältnisse zwischen Forscher*in und an der Forschung teilnehmenden Personen sind Kernelemente feministischer, interpretativer Forschung (Ackerly und True 2008, S. 698).

Laut Ackerly und True ist es für feministische Forscher*innen essentiell, sich über den eigenen „Korb an Privilegien und Erfahrungen“ bewusst zu sein und darüber, wie diese den Forschungsprozess beeinflussen (ebd., S. 695) – insbesondere, da sich feministische Forscher*innen oftmals an Methoden orientieren, die sie direkt in Kontakt mit zu untersuchenden Bevölkerungsgruppen oder Personen bringen – so beispielsweise Ethnographie und Interviews (Wibben und Donahoe 2020, S. 6).

Ein viel diskutiertes Thema innerhalb der ethnographischen und feministischen Forschung sind Reflexionen zu Insider-Outsider-Positionalitäten, welche mich auch im Rahmen meiner Forschung zu Kurdistan beschäftigen: Welche Vor- und Nachteile bringt es für die Forschung, Teil der Gruppe zu sein, die untersucht wird? Ich bin als Tochter kurdischer Eltern in Europa aufgewachsen und sozialisiert worden. Ich habe mich immer stark mit meinen kurdischen Wurzeln identifiziert – zu Hause wurde Kurdisch gesprochen, kurdische Geschichte und kurdische Feste sowie Traditionen waren ein fester Bestandteil meiner Erziehung. Mitunter aus diesen Gründen sehe ich mich teilweise als »Insider« der kurdischen Kultur. Doch Identitätsfragen, die mich (und wahrscheinlich viele Personen mit Migrationsgeschichte) in meiner Jugend beschäftigt haben, sind im Rahmen meiner Feldforschung und somit durch Selbstreflexion wieder verstärkt hervorgetreten: Zu welcher Kultur gehöre ich? Wie werde ich von wem wahrgenommen? Kann man von strikten Insidern und Outsidern einer Kultur sprechen? Wie verhält es sich mit Menschen und Forscher*innen wie mir, die zwischen zwei Kulturen aufgewachsen sind?

Ich bin dankbar für die Sprachkenntnisse sowie ein gewisses Maß an Vertrautheit mit der kurdischen Kultur, die meine Positionalität und meinen Wissensstand zu den kurdischen Peschmerga beeinflusst haben. Ich bin aber auch dankbar für die feministische, interpretative, ethnographische Praxis der Selbstreflexion. Sie ermöglicht mir die bewegende Erfahrung, mein Wissen zu hinterfragen, mir meiner Privilegien auf unterschiedlichen Ebenen meiner Identität bewusst zu werden und zu versuchen, jede Lebensgeschichte im Laufe der Interviews und der Beobachtung im Rahmen der Feldforschung mit einer Offenheit und Bereitschaft zum Lernen und Verstehen zu betrachten. Dabei bin ich mir aber auch bewusst, dass diese (begrenzte) Vertrautheit mit der kurdischen Kultur durch meine Positionalität dazu führen kann, dass mir bestimmte Erkenntnisse eben deswegen nicht ins Auge fallen und somit nicht Teil meiner Wissenserkenntnis werden. Die dargestellten Überlegungen verdeutlichen, dass Selbstreflexion der forschenden Person für den Forschungsprozess und die Wissenserzeugung von entscheidender Bedeutung ist, um die relative Aussagekraft der jeweiligen Forschungsergebnisse und daraus ableitbarer begrenzter Erkenntnisse benennen zu können.

Fazit

Abschließend möchte ich anmerken, dass alle drei Kategorien, die ich hier als Grundlagen feministischer Friedensforschung herausgearbeitet habe, eng miteinander verflochten und komplementär sind: Beispielsweise führen die methodologischen Annahmen hinsichtlich Subjektivität und Situiertheit von Wissen(-sproduktion) zu Methoden, die eben diese aufgreifen, wie ethnographische Vorgehensweisen und Interviews. Diese Methoden sind wiederum exemplarisch für bottom-up Ansätze, in denen unter anderem Individuen und Gruppen als Ausgangspunkt der Analyse stehen. Dieser Fokus auf die Mikro-Ebene erlaubt seinerseits empirische Phänomene aus einer intersektionalen Perspektive zu analysieren, die zu einer differenzierten Betrachtungsweise von verschiedenen, einander überschneidenden Unterdrückungsformen beiträgt. Wie die drei Elemente zeigen, ermöglicht also feministische Friedensforschung universelle Kategorien wie »Frauen« sowie Konzepte wie »Macht« und »Gender« kritisch zu hinterfragen, dabei die Vielschichtigkeit von Gewalt und Frieden tiefer zu verstehen und sich selbstreflexiv situiertem Wissen, Macht und Privilegien in der Rolle als Forscher*in bewusst zu werden.

Anmerkungen

1) Ich danke Mitja Sienknecht und Jürgen Neyer sowie den Herausgeberinnen dieses Dossiers (Christine Buchwald, Patricia Rinck, Michaela Zöhrer) für ihr konstruktives Feedback zu einem früheren Entwurf dieses Artikels. Mein ewiger Dank gilt den Menschen in Kurdistan, die mich vor, während und nach meiner Feldforschung geprägt haben und ohne die die Gedanken zu diesem Text nicht möglich wären.

2) Alle englischsprachigen Zitate in diesem Text wurden ins Deutsche übersetzt.

Literatur

Ackerly, Brooke; True, Jacqui (2008): Reflexivity in practice: Power and ethics in feminist research on International Relations. International Studies Review 10(4), S. 693-707.

Gentry, Caron Eileen; Sjoberg, Laura (2015): Terrorism and political violence. In: Shepherd, Laura J. (Hrsg.): Gender matters in global politics: A feminist introduction to International Relations (2. Aufl.). London: Routledge, S. 120-130.

Mohanty, Chandra Talpade (1984): Under western eyes: Feminist scholarship and colonial discourses. boundary 2 12(3), S. 333-358.

Mojab, Shahrzad (2000): Vengeance and violence. Canadian Woman Studies 19(4), S. 89-94.

Sjoberg, Laura; Tickner, Judith Ann (2013): Feminist perspectives on International Relations. In: Carlsnaes, Walters; Risse, Thomas; Simmons, Beth A. (Hrsg.): Handbook of International Relations (2. Aufl.). London: Sage, S. 170-194.

Tickner, Judith Ann (2006): Feminism meets International Relations: Some methodological issues. In: Ackerly, Brooke A.; Stern, Maria; True, Jacqui (Hrsg.): Feminist methodologies for International Relations. Cambridge: Cambridge University Press, S. 19-41.

True, Jacqui (2020): Continuums of violence and peace: A feminist perspective. Ethics and International Affairs 34(1), S. 85-95.

Väyrynen, Tarja; Parashar, Swati; Féron, Élise; Confortini, Catia Cecilia (2021): Introduction. In: Dies. (Hrsg.): Routledge handbook of feminist peace research. London: Routledge, S. 1-11.

Wibben, Annick T. R.; Confortini, Catia C.; Roohi, Sanam; Aharoni, Sarai B.; Vastapuu, Leena; Vaittinen, Tiina (2019): Collective discussion: Piecing-up feminist peace research. International Political Sociology 13(1), S. 86-107.

Wibben, Annick T. R.; Donahoe, Amanda E. (2020): Feminist peace research. In: Richmond, Oliver; Visoka, Gëzim (Hrsg.): The Palgrave encyclopedia of peace and conflict studies. Cham: Palgrave Macmillan, S. 1-11.

Wilkinson, Cai (2013): Ethnographic methods. In: Shepherd, Laura J. (Hrsg.): Critical approaches to security. An introduction to theories and methods. London: Routledge, S. 129-145.

Versöhnung, Gender und Emotionen

von Maéva Clément

Obwohl gleichzeitig vage und überladen, ist Versöhnung eines der zentralen Themen der Friedensforschung und Friedenspraxis (Bloomfield 2006, S. 4f.). Über die Kern­idee hinaus, den (Wieder-)Aufbau von Beziehungen, wurde der Begriff von Wissenschaftler*innen, politischen Entscheidungsträger*innen und Praktiker*innen auf sehr unterschiedliche Weise und für sehr unterschiedliche Projekte verwendet. Zugegebenermaßen ist es schwierig, Versöhnung von damit zusammenhängenden soziopolitischen Diskursen und Praktiken wie z.B. »Wiederaufbau«, »Transitional Jus­tice« (Übergangsjustiz), »Peacebuilding« (Friedensförderung) und sich möglicherweise überschneidenden sozialpsychologischen, emotionalen und affektiv-verkörperten Phänomenen (z.B. »Heilung«, »Vergebung«) abzugrenzen. Aufgrund dieser Elastizität und der durchlässigen Grenzen wird Versöhnung einerseits als ein Eckpfeiler von Peacebuilding und Konflikttransformation betrachtet, andererseits aber auch als ambivalent für das Wohlergehen von betroffenen Bevölkerungsgruppen und die Möglichkeit einer (radikalen) Konflikttransformation.

Ich plädiere dafür, Versöhnung innerhalb und außerhalb von Transitional Jus­tice aus einer feministischen, geschlechtsspezifischen Perspektive zu betrachten. Ganz grundsätzlich leben Opfer/Überlebende und Täter*innen oft nahe beieinander und begegnen sich in sozialen Räumen, die durch geschlechtsspezifische Rollen und Hierarchien strukturiert sind. Versöhnungsdiskurse und -praktiken kommen in solchen Räumen zum Tragen. Überdies verbinden viele Graswurzelorganisationen von Frauen Geschlechtergerechtigkeit mit Versöhnung (Porter 2016, S. 218). Schließlich fungiert Versöhnung als eine der Hauptkategorien, auf die internationale Geber für friedensfördernde Maßnahmen fokussieren (Bloomfield 2006, S. 5), nicht zuletzt für solche, die aus der UN-Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit hervorgegangen sind (Nesiah 2012, S. 152). Kurz gesagt, Gender-Anliegen sind von zentraler Bedeutung für Versöhnungsdiskurse und -praktiken.

Feministische Forscher*innen arbeiten seit langem zu Themen, die mit dem (Wieder-)Aufbau von Beziehungen zusammenhängen, verwenden dabei aber oft andere Ansätze als Versöhnung, wie z.B. relationalen Frieden, die »Care«-Beziehungen in den Mittelpunkt setzen. Es gibt also nur wenige feministische Arbeiten über den Wert von Versöhnung“ (Porter 2016, S. 210). Porter spekuliert, dass viele Autor*innen der Meinung sind, dass in Räumen ohne bzw. mit unzureichender Transitional Justice „Versöhnung auf ungleichen Beziehungen aus der Zeit vor dem Konflikt beruht und somit das transformative Potenzial zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit untergraben würde“ (ebd.).1 Feministische Forscher*innen sind womöglich auch wegen der emotionalen Untertöne von Versöhnung zurückhaltend. Genau dieser Dimension von Versöhnung jedoch hat sich die Emotionsforschung in den Internationalen Beziehungen (IB) in den letzten Jahren zunehmend zugewendet und bietet sich daher als ergänzende Perspektive geradezu an (Clément und Koschut 2024, S. 291ff.).

In diesem Beitrag wird daher eine feministische Friedensforschungsperspektive mit einem Fokus auf Emotionen (als soziale Phänomene) umrissen. Mein Argument ist, dass ein solcher Ansatz einerseits diejenigen Emotionsverständnisse aufzudecken hilft, die geschlechtsspezifische Rollen und Hierarchien aufrechterhalten, andererseits aber auch hilft, den ergebnisoffenen, emergenten und potenziell transformativen Charakter von Versöhnung für Geschlechtergerechtigkeit und positiven Frieden wiederzuentdecken.

Gendering von Versöhnungskonzepten

Was an der wissenschaftlichen, policy- und praxisorientierten Literatur über Versöhnung auffällt, ist, wie oft sie die Frage von Machtverhältnissen, insbesondere geschlechtsspezifischen Machtverhältnissen, ausklammert. Als ob der (Wieder-)Aufbau von Beziehungen von den (sich verändernden) Machtdynamiken auf allen Ebenen von Gesellschaften im Übergang abgekoppelt wäre – eine geheimnisvolle Übung (eine Kunst?), die in Räumen vollzogen wird, die von Politik scheinbar unberührt wären. Vasuki Nesiah (2012) zeigt am Beispiel von Sri Lanka, wie Versöhnung als ein Prozess dargestellt wird, der nach allgemeiner Auffassung notwendig sei – eine »gute« Sache – und als apolitische Arbeit daherkomme, die von scheinbar unpolitischen Akteuren, in diesem Fall transnationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), geleistet wird. Überdies werden Versöhnungsinitiativen häufig von Frauengraswurzelorganisationen geleitet. Da sie sich jedoch häufig auf die Erbringung von Dienstleistungen für die Gemeinschaft konzentrieren und sich nicht parteipolitisch beteiligen, wird ihnen oft beispielsweise eine angemessene Anerkennung für ihren substanziellen Beitrag zur Friedensförderung vorenthalten (Wibben und Donahoe 2020, S. 8f.).

In den Berichten von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen zu Versöhnungsdynamiken finden sich auch kaum Hinweise auf geschlechtsspezifische Belange, nicht mal solche, die auf binäre Verständnisse von »Männern« und »Frauen« beschränkt sind. Ein Beispiel: In einem der wenigen Berichte über Versöhnung, die sich auf die Belange von Frauen konzentrieren, schreibt Barry Hart 2001 über die Durchführung von Workshops mit bosnischen Frauengruppen über Community-Grenzen hinweg. Hart reflektiert zwar über seine Außenseiterposition und räumt ein, dass die Unterstützung durch einheimisches Personal entscheidend dafür war, dass seine Fachkenntnisse in der Traumaberatung von den Teilnehmerinnen anerkannt wurden. Auffallend ist jedoch das erstaunliche Schweigen des Textes zu seiner Position als weißem Mann, der Traumaberatungs-Workshops mit Frauen durchführt, die Gewalt am eigenen Leib erfahren haben (teilweise durch die Ehemänner und Söhne der anderen Frauen) und von denen erwartet wird, dass sie erste Schritte zur »Heilung« in einem relativ unsicheren und zeitlich begrenzten Raum unternehmen.

Diese Beispiele zeigen, dass die Beteiligung von Frauen an Versöhnungsinitiativen zu erforschen nicht nur bedeutet, die vielfältigen Beiträge von Frauen zum Frieden sichtbar zu machen, sondern auch aufzuzeigen, wie Versöhnungsdiskurse und -praktiken fundamental vergeschlechtlicht sind.

Dies wird besonders deutlich, wenn man heranzoomt und sich die Konzeptualisierung der emotional-affektiven Dimension von Versöhnung genauer ansieht. Dass Versöhnung mit emotionalen Phänomenen2 zu tun hat, ist unbestritten. Die politikwissenschaftliche Versöhnungsforschung neigt jedoch dazu, diese Dimension unkritisch auf eine (sozial-)psychologische Lesart festzulegen. Beispiele für die behauptete Notwendigkeit, „mentale Haltungen zu verändern“, „weniger feindselige Identitäten zu fördern“ und „positive Einstellungen zur Vergebung“ zu entwickeln, gibt es zuhauf. Diese Tendenz ist in mindestens zweierlei Hinsicht überraschend: i) Die sozialwissenschaftliche Emotionsforschung hat seit langem gezeigt, dass Emotionen sozial konstruiert und erlebt werden und nicht auf den individuellen Geist/Körper reduziert werden können. ii) Psycholog*innen und Psychiater*innen sind geteilter Meinung darüber, ob therapeutische Ansätze, die aus der Individualpsychologie stammen, für die Art von Versöhnung, die Gesellschaften im Übergang brauchen, geeignet sind (Potter 2006). Sharon Lamb fordert zum Beispiel dazu auf, die Popularität von Vergebung zur Förderung von Heilung nach (zwischenmenschlichen) Konflikten und vergangenem Unrecht kritisch zu betrachten. Sie zeigt, dass »Vergebungstherapie« befürwortet wird für die Behandlung von Frauen, insbesondere im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und sexuellem Missbrauch. Ein solcher Ansatz bürdet dem (weiblichen) Opfer die Last der Veränderung auf und weist ihr „die geschlechtsspezifische ‚nettere, schmackhaftere Rolle des vergebenden Opfers‘“ zu (Lamb 2006, S. 242ff.).

Vergebung ist historisch gesehen geschlechtsspezifisch, wird mit den Machtlosen assoziiert und mit weiblichen Attributen wie Fürsorge geschmückt. Die Vergeschlechtlichung von Versöhnung erfordert daher eine gewisse Vorsicht vor Diskursen und Praktiken, die Vergebung und Heilung ankündigen.

Gendering von Versöhnungs­diskursen und -praktiken

Dies führt mich dazu, wieder herauszuzoomen und die Diskurse und Praktiken von Peacebuilding, die sich mit Versöhnung befassen, näher zu betrachten. Die IB-Emotionsforschung zeigt, dass eine binäre Vorstellung von Emotionen die Logiken von Peacebuilding durchzieht, die auf Wandel in der Bevölkerung abzielen: »negative« Emotionen führten zu Konflikten und »positive« Emotionen zu deren Transformation. Diese Vorstellung reproduziert Wissens- und Machthierarchien zwischen »rationalen« westlichen Friedensstiftern und »affektiven«, »lokalen« Gesellschaften, die der Orientierung bedürfen (Travouillon 2021). Besonders deutlich wird dies bei den »therapeutischen Interventionen«, die der Bevölkerung helfen sollen, Traumata zu überwinden. Emotionen, „die als negativ bewertet werden, werden systematisch als Pathologien behandelt, die es zu managen oder zu kontrollieren gilt“, wobei Traumata „individualisert“, „versicherheitlicht“ und „medikalisiert“ würden (Ferreira 2014, S. 100ff.). Binäre Konstruktionen von Emotionen überschneiden sich eindeutig mit Geschlecht und race und tragen dazu bei, das Bild von feminisierten, allzu emotionalen, hilflosen und verwirrten »Post-Konflikt«-Gesellschaften zu reproduzieren.

Darüber hinaus zielen solche Maßnahmen in der Regel auf Frauen und andere marginalisierte Gruppen ab. In der Tat konzentrieren sich die Diskurse über die Versöhnung von Gemeinschaften häufig sowohl auf die Traumata von Frauen als auch auf die Rolle der Frauen bei Versöhnungsbemühungen, wodurch die Überwindung »ihrer« Traumata mit der Möglichkeit von Versöhnung verbunden wird. Abgesehen davon, dass die soziale Dimension von Trauma ignoriert wird, wird denjenigen, die als »Frauen« gelesen werden, eine unglaubliche Last auferlegt, indem von ihnen umfangreiche Emotionsarbeit verlangt wird (d.h. »negative« Emotionen zu unterdrücken, zu vergessen oder zu verzeihen, »positive« Emotionen zu kultivieren usw.).

Transnationale Versöhnungsdiskurse und -praktiken heben die Bedeutung von vermeintlich friedensfördernden Emotionen wie Empathie hervor – ungeachtet der multidisziplinären Debatten über deren ambivalente Auswirkungen auf die Bildung exklusiver Gemeinschaften. Umgekehrt legen sie nahe, dass »negative« Gefühlsäußerungen in Versöhnungsräumen unterdrückt werden sollten. Dies setzt individuelle und kollektive Emotionsarbeit voraus. Im Kontext von Timor-Leste zeigt Renée Jeffery, dass die Befürworter*innen von Versöhnung die Parameter legitimer emotionaler Reaktionen so definierten, dass Wut unterdrückt werden sollte und jene Gruppen und Einzelpersonen „stigmatisiert“ wurden, die an der Vergangenheit festhielten und nicht vergaben (2020, S. 84f.). In ihrer oben erwähnten Arbeit über Vergebung fragt Lamb: „Warum müssen Opfer dazu gebracht werden, ihre Wut im Austausch für psychische Gesundheit aufzugeben? Was macht Wut so ungesund für Frauen? Gibt es Räume – oder können wir uns welche vorstellen –, in denen das Äußern von Wut zu mehr Gesundheit für Frauen und für Männer führen kann?“ (2006, S. 244) Das Gleiche gilt für Versöhnung: Warum sollte das Äußern von Wut so schädlich für Versöhnung sein? In welchen Räumen könnte Wut zum Aufbau tieferer Beziehungen beitragen?

Eine Emotionsperspektive auf Versöhnungsdiskurse und -praktiken einzunehmen trägt dazu bei, geschlechtsspezifische Annahmen über Emotionen und ihre Beziehung zu soziopolitischem Wandel hinterfragen zu können. Auch wenn sie nicht immer explizit feministisch ist, betont die IB-Emotionsforschung zentral die Pluralität affektiver Erfahrungen und emotionaler Kontinuitäten vor, während und nach Konflikten und erforscht die potenziell transformative Kraft von Emotionen, die moralisch verpönt sind (z.B. Wut, Angst) und/oder als schmerzhaft erlebt werden (z.B. Trauer, Schmerz). So kann Schmerz beispielsweise Gemeinschaftszusammenhalt und Solidarität nach kollektivem Trauma fördern (Hutchison 2016), aber auch auf fortbestehende Ungerechtigkeiten hinweisen und Energie für soziale Veränderungen freisetzen (Jeffery 2020). Der Blick für solche gemischten Emotionen ist wichtig, da ihr Widerstand dagegen, »besänftigt« zu werden, auf sich fortsetzende oder neue geschlechtsspezifische Ungerechtigkeiten auf zwischenmenschlicher, gemeinschaftlicher, nationaler und internationaler Ebene hinweist.

Versöhnung aus einer Perspektive feministischer Emotionsforschung

Wie oben dargelegt, trägt die Kombination einer feministischen Friedensforschungs- und einer Emotionsperspektive wesentlich dazu bei, Forschung und Praxis auf dem Weg zu einem geschlechtergerechten positiven Frieden voranzubringen. Erstens offenbart sie die blinden Flecke im Verständnis der emotionalen Dynamiken von Versöhnung und rückt damit die Frage nach geschlechtsspezifischen Machtverhältnissen in den Vordergrund. Zweitens erlaubt sie zu untersuchen, wie Emotionsdarstellungen in Versöhnungsdiskursen und -praktiken geschlechtsspezifisches Wissen und Machthierarchien legitimieren und wie sich dies auf die (Un-)Gleichheit der Geschlechter auswirkt. Drittens ist eine solche kombinierte Perspektive in einzigartiger Weise in der Lage, (feministische) Alternativen sichtbar zu machen, indem sie z.B. auf die emotionalen Verständnisse und affektiven Erfahrungen von Frauen und anderer marginalisierter Gruppen fokussiert.

Feminist*innen sind der Ansicht, dass sich Bemühungen um Frieden in internationalen Räumen, im Alltag und überall dazwischen manifestieren (Wibben und Donahoe 2020) und neigen dazu, Frieden als ein Spektrum zu betrachten, an dessen Ende Geschlechtergerechtigkeit und positiver Frieden stehen. Dies deckt sich mit der neueren Forschung zu Versöhnung als »Spektrum« (Porter 2016). Darüber hinaus öffnet die hier anvisierte Wiederverankerung der Versöhnungsforschung in den Erfahrungen »von unten« mehrere miteinander verbundene Perspektiven, insbesondere in Bezug auf die alltäglichen, emotionalen, verkörperten und emergenten Manifestationen von Versöhnung. Freilich gibt es dazu nur wenige wissenschaftliche Arbeiten im Kontext von Versöhnung (Brett et al. 2024, S. 103). Doch schwingt in der Einnahme derart miteinander verbundener Perspektiven eine starke Resonanz mit der feministischen Friedensforschungspraxis der transdisziplinären Neugier und der „konzeptionellen und methodologischen Querbefruchtung“ mit (Wibben und Donahoe 2020, S. 2).

Der Rückgriff auf feministische Epistemologien und Methodologien, die sich auf Verkörperung, Narrative und das Alltägliche sowie auf Care-Theorien beziehen, scheint ein naheliegender Ausgangspunkt zu sein. Eine Emotionsforschungsperspektive auf die Vielfalt emotionaler Phänomene (z.B. das Zusammenspiel von Affekt, Gefühlen und kollektiven Emotionen) und ihre Zeitlichkeit (z.B. von flüchtig bis strukturierend) einzunehmen, ist ein weiterer. Die Verknüpfung beider Aspekte birgt das Potenzial, die flüchtigen Momente von Versöhnung wiederzugewinnen, die aus einer Reihe von alltäglichen Begegnungen, verkörperten Praktiken, Emotionsarbeit und dem Widerstand dagegen entstehen, und das in Räumen, die durch sich mehrfach überschneidende Formen von Machtungleichheiten strukturiert sind. Kurz gesagt, es würde die Koexistenz von flüchtigen, aber zielgerichteten Instanzen von Versöhnung (als ein Spektrum) mit der andauernden Erfahrung von Diskriminierung und Gewalt anerkennen. Vielleicht liegt darin der ergebnisoffene, potenziell transformative Charakter von Versöhnung für Geschlechtergerechtigkeit und positiven Frieden.

Anmerkungen

1) Alle englischsprachigen Zitate in diesem Text wurden ins Deutsche übersetzt.

2) Darunter versteht man Gefühle, Emotionen, Stimmungen und Affekte.

Literatur

Bloomfield, David (2006). On good terms. Clarifying reconciliation. Berghof Report 14, S. 1-35.

Brett, Roddy; English, Richard; Féron, Élise; Rosoux, Valérie (2024): Embodied reconciliation: A new research agenda. Peacebuilding 12(1), S. 102-119.

Clément, Maéva; Koschut, Simon (2024): Emotions in International Relations. In: Flam, Helena (Hrsg.): Research handbook on the sociology of emotion. Institutions and emotional rule regimes. Cheltenham: Edward Elgar Publishing, S. 380-399.

Ferreira, Renata B. (2014): Healing and reconciliation in contemporary post-conflict scenarios. In: Resende, Erica S. A.; Budryte, Dovile (Hrsg.): Memory and trauma in International Relations. London: Routledge, S. 92-106.

Hart, Barry (2001): Refugee return in Bosnia and Herzegovina. Coexistence before reconciliation. In: Abu-Nimer, Mohammed (Hrsg.): Reconciliation, justice and coexistence. Lanham: Lexington, S. 291-310.

Hutchison, Emma (2016): Affective communities in world politics. Collective emotions after trauma. Cambridge: Cambridge University Press.

Jeffery, Renée (2020): Emotions and reconciliation rhetoric – banishing the dark emotions in Timor-Leste. In: Koschut, Simon (Hrsg.): The power of emotions in world politics. London: Routledge, S. 83-99.

Lamb, Sharon (2006): Forgiveness therapy in gendered contexts: What happens to the truth? In: Potter, Nancy N. (Hrsg.): Trauma, truth and reconciliation. New York: Oxford University Press, S. 229-256.

Nesiah, Vesuki (2012): Uncomfortable alliances. Women, peace, and security in Sri Lanka. In: Loomba, Ania; Lukose, Ritty A. (Hrsg.): South Asian feminisms. Durham: Duke University Press, S. 139-161.

Porter, Elisabeth (2016): Feminists building peace and reconciliation: Beyond post-conflict. Peacebuilding 4(2), S. 210-225.

Potter, Nancy N. (Hrsg.) (2006): Trauma, truth and reconciliation. Healing damaged relationships. New York: Oxford University Press.

Travouillon, Katrin (2021): Emotions and post-liberal peacebuilding. In: Jeong, Ho-Won (Hrsg.): Transition to peace. Between norms and practice. London: Rowman & Littlefield, S. 51-70.

Wibben, Annick T. R.; Donahoe, Amanda E. (2020): Feminist peace research. In: Richmond, Oliver; Visoka, Gëzim (Hrsg.): The Palgrave encyclopedia of peace and conflict studies. Cham: Palgrave Macmillan, S. 397-407.

Gender und Atomwaffenpolitik

Die Rolle von Geschlecht in der Repräsentation, Rezeption und dem Diskurs über Nuklearwaffen

von Jannis Kappelmann

Die Kinder sind auf zufriedenstellende Weise geboren“ und ließen dann den „ersten Schrei einer neugeborenen Welt“ folgen, so wurden der »Trinity Test« und die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki von der damaligen US-Administration beschrieben (Schwab 2020, S. 119).1 Diese Metapher der »Geburt« der Nuklearwaffe wirkt erst einmal irritierend, sie wurde aber von den als »Väter der Atombombe« bekannten Personen häufig benutzt. Eine solch gegenderte (und sexistische) Weise über Atomwaffen zu sprechen ist keinesfalls außergewöhnlich; noch im 21. Jahrhundert fühlt sich Donald J. Trump bemüßigt zu betonen, dass er den „größeren Atomknopf“ als Kim Jong Un habe. Wenn jetzt George E. Marcus (1995, S. 108) als Inspiration herangezogen wird, kann man die ethnografische Methode des »Folgens« anwenden: Folgen wir also der Metapher! Wieso werden Nuklearwaffen als Kinder der Väter der Atombombe porträtiert? Wie ist die Metapher »geboren«, wie wächst sie und differenziert sich im weiteren Verlauf aus? In diesem Artikel möchte ich erst auf die Narrative rund um das Manhattan Project, dann auf weitere Geschlechter­stereotype im Rahmen der Nuklearwaffenpolitik in (Pop-)Kultur und Gesellschaft eingehen.

Die vor allem sprachliche Verbindung von Gender und Atomwaffen, insbesondere häufig stereotype Genderrollen bedienend, ist so alt wie Atomwaffen selbst. Sowohl diskursiv als auch symbolisch lässt sich beispielsweise häufig eine Assoziation von Nuklearwaffen mit Männlichkeit und von nuklearer Abrüstung und Diplomatie im Allgemeinen mit Weiblichkeit und Entmännlichung beobachten. Diese Assoziationen sind aus feministischer Forschung zu binären sozialen Symbolen bekannt: So assoziiert eine Gesellschaft häufig Macht, Stärke, Rationalität, Status oder Mut mit Männlichkeit, und andersherum Schwäche, Irrationalität, Emotionalität oder Angst mit Weiblichkeit. Ein Streben nach nuklearer Abschreckung wird so zu einem Streben nach Männlichkeit eines Staates, und versucht über diese symbolische Markierung diese Politik als »rationales« Streben zu legitimieren (Cohn, Hill und Ruddick 2005, S. 2).

Die Erkundung symbolischer und narrativer Rezeptionen kann helfen, Strukturen von Macht, normative Grundlagen und Probleme von Atomwaffenpolitik zu Tage zu bringen. Praktiken, Narrative, Diskurse und Sprache allgemein konstituieren soziale Zusammenhänge und damit auch internationale Beziehungen, Krieg und Frieden (Frost 2024, S. 127). Dieser Beitrag versucht sich in einer post-positivistischen, intersektionalen Weise an feministischer Forschung: Ich betone und untersuche die Rolle von Praktiken, Narrativen, Diskursen und Sprache und begreife Marginalisierungsphänomene als miteinander verflochten und häufig strukturell bedingt. Wie Friedensforschung und Feminismus ist auch deren Melange, die feministische Friedensforschung, vielfältig und nicht auf einzelne Grundlagen zu reduzieren, wird aber als transdisziplinär, intersektional, transnational und normativ beschrieben (Wibben et al. 2019, S. 86). Auch mein Beitrag ist von diesen Attributen geprägt. Feministische Friedensforschung behandelt oft Fragen zu patriarchalen Strukturen und Ungleichheiten in spezifischen Kontexten von Frieden und Gewalt. Nuklearwaffenpolitik wird oft mit den »großen« Fragen der internationalen Beziehungen assoziiert. Ich möchte in diesem Beitrag aber den Fokus auf die »kleineren« diskursiven und kulturellen Ereignisse lenken und zeigen, dass Studien über Sprache und Gesellschaft gerade bei Themen wie Nuklearwaffenpolitik besonders wichtig sind.

Nukleare Geburt: Ein Narrativ beginnt

Um die Verbindung von Atomwaffen und Geschlechterstereotypen zu verstehen, ist es sinnvoll mit Betrachtungen zu jener Unternehmung einzusteigen, die als Beginn der Atomwaffenentwicklung wahrgenommen wird: in das Manhattan Project und vor allem die gesellschaftliche kollektive Erinnerung daran. Viele Leser*innen werden nun zuerst an den 2023 erschienenen Film »Oppenheimer« denken, und dieser ist in der Tat ein tragfähiges Beispiel. Der Physiker und Leiter des Projektes, Robert J. Oppenheimer, steht im Zentrum: Der heroisch-zerrissene Protagonist muss sich mit den ethischen Implikationen »seiner« Entwicklung auseinandersetzen (Faux 2023). Diese Umsetzung des Manhattan Project passt zur Einschätzung von Laura Considine, die die kollektive Erinnerung daran als Geschichte von „fetischisierter männlicher Genialität“ (Considine 2021, S. 1) liest. Considine beschreibt die heutige, über Jahrzehnte gewachsene Rezeption des Manhattan Project als Geschichte des Wettlaufs gegen die Zeit“ und der „Nuklearwaffen als Produkt maskuliner Brillanz“ (ebd., S. 8).

Das Manhattan Project steht heute für den Startpunkt der Nuklearwaffengeschichte. Es wären aber auch alternative narrative Startpunkte denkbar, die eine gänzlich andere Geschichte zu erzählen erlaubten: Die Kolonisation der heutigen Demokratischen Republik Kongo und der dortige Abbau von Uran durch Zwangsarbeit ebenso wie die Umsiedelung von indigenen Gruppen aus dem Gebiet von Los Alamos erzählen alternative Geschichten eines nuklearen Anfangs (Considine 2021, S. 16). Gabriele Schwab argumentiert, dass am Ende das Bild der männlichen, brillanten Wissenschaftler entscheidend für die herausgehobene Rolle des Manhattan Projects ist. Insbesondere frühe Narrative, die von den passenderweise als »Väter« der Atombombe bekannten Wissenschaftlern geschaffen wurden, deuten auf das Phänomen der Atombombe als einer männlichen Geburt hin – anstatt des durch die Atombomben verursachten massenhaften Todes steht hier die Erzählung von der Entstehung neuen »Lebens« im Vordergrund (Easlea 1983, S. 58). In einer an Winston Churchill übermittelten Nachricht über den Trinity Test hieß es dann auch, wie eingangs erwähnt, „die Kinder sind auf zufriedenstellende Weise geboren“ (Schwab 2020, S. 119). Die Kompensation des schon von Sigmund Freud und Karen Horney beschriebenen »Gebärmutterneids« wurde in diesem Fall als eine durch männliche Wissenschaftler initiierte Geburt zelebriert und wurde auch darin sichtbar, dass die Bomben, die in den Angriffen auf Hiroshima und Nagasaki verwendet wurden, »Little Boy« (kleiner Junge) und »Fat Man« (dicker Mann) »getauft« wurden. William Lawrence, offizieller Sprecher des Manhattan Project, beschrieb dann auch den Abwurf der Atombombe auf Nagasaki als den „ersten Schrei einer neugeborenen Welt“ (Lawrence 1945 in Schwab 2020, S. 119).

Nukleares Leben: Die Omnipräsenz von Gender

Wissenschaftler des Manhattan Project hatten also, der Sichtweise des dominanten patriarchalen Narrativs folgend, die Nuklearwaffen geboren. Nun folgte ein Kalter Krieg, nukleare Tests und, bis heute, die Weiterentwicklung von Nuklearwaffen und andauernde nukleare Abschreckung. Auch hier spielen Praktiken, Narrative, Diskurse und Sprache, soziale Zusammenhänge konstituierend (Frost 2024, S. 127), eine zentrale Rolle und sind somit ein wichtiges Forschungsgebiet. In ihrem vielbeachteten Artikel »Sex and Death in the Rational World of Defense Intellectuals« spricht Carol Cohn von zwei miteinander verschränkten Sprachkonstruktionen: technostrategische Sprache und sexualisierte Bildsprache. Wenn in technostrategischer Sprache, so Cohn, beispielsweise von einem „Erstschlag“, einem „Counterforce-Austausch“ oder einem „begrenzten Nuklearkrieg“ die Rede ist, so verharmlost diese scheinbare Rationalisierung die hinter den Begrifflichkeiten verborgenen Realitäten des Nuklearkrieges. Es wird nicht von realen Auswirkungen von Atomwaffenangriffen gesprochen, sondern abstrahiert; reale Folgen für Individuen werden möglichst verschleiert und damit eine Distanz zwischen den, in Cohns Fall, Militärangehörigen und den Folgen von Nuklearwaffeneinsätzen geschaffen (Cohn 1987, S. 704). Strukturell und mit der Zeit differenzierte sich technostrategische Sprache immer weiter aus und half, damit das Gefühl von Kontrollierbarkeit zu verstärken.

Auch eine sexualisierte Bildsprache zu nuklearer Bewaffnung entwickelte sich seit dem Kalten Krieg bis heute und verschränkte sich mit technostrategischer Sprache. Die sexualisierten Sprachbilder, von „vertical erector launcher“ bis hin zu „deep penetration“, assoziieren Nuklearwaffen mit männlichen Sexualakten und sexueller Potenz. Durch die Verbindung von Männlichkeit und Nuklearwaffen wollen Akteure Stärke zeigen und abschrecken, sie (re-)produzieren so patriarchale Rhetorik. Während Nuklearwaffen mit Männlichkeit gleichgesetzt werden, wird im Umkehrschluss nukleare Abrüstung zur Entmännlichung – und somit uninteressant für jeden Staat, der patriarchale Diskurse bedient (Cohn 1987, S. 693).

Einen guten Einblick in sexualisierte Sprachbilder über Nuklearwaffen in der Gesellschaft bietet die (Pop-)Kultur: Sie ist nicht nur ihr Spiegel, sondern co-konstituiert eine Gesellschaft und ihre Sichtweisen auf Gewalt (oder Atomwaffen), beeinflusst diese direkt und wird gleichzeitig von ihnen beeinflusst (Faux 2023). Zuletzt gab die popkulturelle Meta-Rezeption der gleichzeitig erschienenen Filme »Barbie« und »Oppenheimer« als »Barbenheimer« einen Einblick in die gesellschaftlichen Assoziationen zu Gender und Atomwaffen. Das durch Memes und Kurzvideos entstandene Phänomen »Barbenheimer« funktioniert vor allem durch Assoziationen: Pink symbolisiert »Barbie« als traditionell mit Femininität assoziierte Farbe, schwarz symbolisiert »Oppenheimer«, oder konkret eine unspezifische dunkle Welt aus „Mangel an Vorstellungsvermögen in Hinblick auf einen Nuklearkrieg“ (Faux 2024, S. 7). Auch Assoziationen von Praktiken perpetuieren eine Gender-Binarität und reproduzieren Geschlechterstereotype: Vor »Oppenheimer« berichteten »Barbenheimer«-Rezipient*innen in sozialen Medien, einen schwarzen Kaffee und Zigaretten zu konsumieren, nach »Barbie« Cocktails. Mit solch dezidiert gegenderten Rezeptionen wird Kaffee mit Stärke und Ernsthaftigkeit assoziiert und Cocktails mit Unbekümmertheit und Trivialität (Faux 2024, S. 11). Männlichkeit und Weiblichkeit werden hier als Gegensatz konstruiert, als unvereinbar: Nuklearwaffen sind auch in der kulturellen Imagination mit Männlichkeit und Rationalität verbunden (Faux 2023). Auch eine junge Generation schlägt hier also intuitiv eine Brücke von Nuklearwaffen zu Männlichkeit und von einem (zumindest oberflächlich) feministischen Film zu Weiblichkeit und zelebriert die binären Assoziationen online.

Koloniale nukleare Lebenswelten

Generell wurden in der Forschung zu Nuklearwaffen und (Pop-)Kultur bislang vor allem Ereignisse im Globalen Norden herausgehoben (Eschle 2023, Hogue und Maurer 2022). Beispiele aus Ozeanien zeigen allerdings, dass es noch zahlreiche unterrepräsentierte, aber bereichernde Perspektiven zu beachten gilt. Déwé Gorodé hebt in einem Gedicht aus dem Jahr 1974 etwa die „sexistische Dynamik, die die Militarisierung in der Region strukturiert“ (Hogue und Maurer 2022, S. 1272) hervor und symbolisiert die Auswirkungen nuklearer Tests auf die pazifische Bevölkerung mit „polynesischen Göttinnen“, die mit Parfüm aus Hibiskus und Opium betäubt werden (ebd.). Viele Einsichten späterer Forschung zu pazifischer Politik, zur Exotisierung pazifischer Inseln oder zur Vermengung von militärischer und touristischer Ausbeutung wurden in Gedichten pazifischer Künstler*innen bereits in den 1970ern und 1980ern thematisiert. Seit den 1980er-Jahren werden anti-nukleare Gedichte als feministische Praxis wahrgenommen und bewusst in diesem Kontext produziert: Pazifische Feminist*innen nutzen internationale Netzwerke, um ihre Botschaft auch außerhalb der Region zu verbreiten (Hogue und Maurer 2022, Eschle 2023).

Inwiefern Kolonialismus und sexualisierte Bildsprache in der popkulturellen Verarbeitung des Atomzeitalters verwoben sind, zeigt auch das Beispiel des Bikinis. Designer Louis Reard bezog sich 1946 auf die als revolutionär wahrgenommenen Atomwaffentests im Bikini-Atoll und wollte seine Bademode damit verbunden wissen, weckt bei Betroffenen aber gänzlich andere Reaktionen: „Der Bikini exotisiert generische weibliche Körper, indem er sie als Verweise auf […] ein Südseeparadies konstruierte; in dieser Genealogie wurde die unmittelbare koloniale und nukleare Abstammung bequemerweise marginalisiert“ (Teaiwa 1994, S. 93). Diese Verbindung von sexistischen und rassistischen Marginalisierungen ist nicht ungewöhnlich, oft ähneln und überschneiden sich Unterdrückungsprozesse. Auch die Auswahl der nuklearen Testgebiete war höchst rassistisch motiviert: Die USA, die UDSSR, Frankreich, Großbritannien und China testeten ihre Nuklearwaffen so, dass vor allem Personen von den Auswirkungen betroffen waren, denen die jeweiligen Regierungen einen geringen Wert beimaßen und die meist in Kolonien lebten (Jacobs 2022). Koloniale und rassistische Praktiken und Narrative spielen also, ähnlich wie Geschlechterstereotype und Sexismus, eine zentrale Rolle in der Atomwaffenpolitik. Diese oft wenig beleuchteten Perspektiven in den Mittelpunkt zu stellen kann sowohl in der Atomwaffenpolitik als auch in den Internationalen Beziehungen helfen, ungerechte Machtstrukturen in Frage zu stellen und zu dekonstruieren.

In diesem kurzen Beitrag habe ich ein für die feministische Friedensforschung besonderes Beispiel beleuchtet: wie Politik und Gesellschaft Nuklearwaffen in einer gegenderten Weise porträtieren und wahrnehmen, von der »Geburt« im Manhattan Project bis heute, und wie dies zur Normalisierung und Legitimierung dieser Waffengattung beiträgt. Dieser Beitrag soll damit zeigen, dass die Reflexion über Gender und Nuklearwaffen auf vielfältige Weise Ergebnisse produziert, die für die gesamte feministische Friedensforschung interessant sind. Von der Masse an gesellschaftlichen und (pop-)kulturellen Narrativen rund um Nuklearwaffen ist nur ein Bruchteil wissenschaftlich aufgearbeitet – insbesondere weitere Forschung zu nicht-westlichen Narrativen kann neue, wichtige Erkenntnisse bringen.

Anmerkung

1) Alle englischsprachigen Zitate in diesem Text wurden ins Deutsche übersetzt.

Literatur

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Cohn, Carol; Hill, Felicity; Ruddick, Sara (2005): The relevance of gender for eliminating weapons of mass destruction. Weapons of Mass Destruction Commission (WMDC) (38), S. 1-13.

Considine, Laura (2021): Narrative and nuclear weap­ons politics: The entelechial force of the nuclear origin myth. International Theory 14(3), S. 551-570.

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Frost, Mervyn (2024): International Relations today: A long list of theories! In: Goodman, Michael S.; Kerr, Rachel; Moran, Matthew (Hrsg.): An introduction to war studies. Cheltenham: Edgar Elgar Publishing.

Hogue, Rebecca H.; Maurer, Anais (2022): Pacific women’s anti-nuclear poetry: Centring Indigenous knowledges. International Affairs 98(4), S. 1267-1288.

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Marcus, George E. (1996): Ethnography in/of the world system: The emergence of multi-sited ethnography. Annual Review of Anthropology (24), S. 95-117.

Schwab, Gabriele (2020): Radioactive ghosts. Minneapolis: University of Minnesota Press.

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Wibben, Annick T. R.; Confortini, Catia Cecilia; Roohi, Sanam; Aharoni, Sarai B.; Vastapuu, Leena; Vaittinen, Tiina (2019): Collective discussion: Piecing-up feminist peace research. International Political Sociology 13(1), S. 86-107.

Feministische Friedensforschung in Afrika

von Rita Schäfer

Forschungen zum Friedensverständnis afrikanischer Aktivist*innen sind auf dem Kontinent für konzeptionelle und praxisrelevante Diskussionen wichtig. Sie können der Friedenswissenschaft in Deutschland wichtige Impulse – auch zur kritischen Selbstreflexion – geben. Denn etliche afrikanische Kolleg*innen argumentieren mit einem umfassenden Friedensbegriff im Sinne grundlegender gesellschaftlicher Strukturveränderungen einschließlich der Überwindung von Geschlechterungleichheiten und positionieren sich als feministisch. Der vorliegende Artikel gibt Einblicke in den Forschungsstand. Er konzentriert sich auf relevante Schlüsselbereiche, das heißt auf Konzepte, die direkt aus der Arbeit bedeutender afrikanischer Friedensaktivist*innen auf kontinentaler, (inter-)nationaler und lokaler Ebene abgeleitet sind.

Umfassendes Friedensverständnis

Afrikanische Friedensaktivist*innen gelten auf dem Kontinent und in internationalen friedenspolitischen Kontexten als Vorbilder, was Friedensforscher*innen beispielsweise am Women’s International Peace Centre in Kampala dokumentieren. Deshalb ist es erkenntnisreich, diesen empirisch fundierten Studien in der deutschen Friedenswissenschaft systematisch mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Sie zeigen: Basierend auf einem umfassenden Friedensverständnis engagieren sich Frauen in etlichen Konfliktregionen für Frieden und verbinden damit Forderungen nach sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit, die sie als Beitrag zu demokratischen und gerechten Nachkriegsordnungen verstehen (Oroma et al. 2021).

Das Verständnis, Friede sei nur mit gerechten ökonomischen und politischen Neuordnungen nachhaltig zu erreichen, geht auf die Zeit nach der Entkolonialisierung und die beginnende Demokratisierung zurück – insbesondere in Staaten, in denen Kolonialkriege zuvor viele zivile Opfer forderten. Maßgeblich dafür war auch die UN-Frauendekade (1976-1985) zu »Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden«, spezifisch die Ereignisse bei der Abschlusskonferenz in Kenia, das früher eine Siedlerkolonie mit massiver britischer Militärpräsenz gewesen war. Während dieser Weltfrauenkonferenz 1985 in der kenianischen Hauptstadt Nairobi betonten afrikanische Aktivist*innen die Interdependenzen der Dekade-Ziele, also dass Friede nur mit Gleichberechtigung und Entwicklung gemeinsam zu erreichen sei. Das war auch ein Signal an diejenigen afrikanischen Länder, die damals noch Schauplätze des Kalten Krieges waren, wie zum Beispiel Namibia. In dieser früheren deutschen Siedlerkolonie versuchte das ebenfalls rassistische Apartheidregime, das seit Jahrzehnten unrechtmäßig das Land beherrschte, einen von der Sowjetunion unterstützten bewaffneten Unabhängigkeitskampf mit großer Grausamkeit an der Zivilbevölkerung niederzuschlagen.

Solche spezifischen historischen Kontexte (nach-)kolonialer bewaffneter Konflikte, Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse analysieren feministische Friedenswissenschaftler*innen. Sie bewerten die militaristischen Gewalt- und Herrschaftsstrukturen des Kolonialismus als Ursache für die Verschärfung patriarchaler Machtmuster, die in anti-kolonialen Kriegen nicht grundlegend revidiert wurden. Demnach sind in etlichen nach-kolonialen Staaten Militarismus und die Unterdrückung von Frauen – vor allem verarmter und marginalisierter ethnischer oder religiöser Minderheiten – eng miteinander verwoben (Kezie-Nwoha 2020). Dieses Zusammenwirken forciert latent gewaltsame Konflikteskalationen, anstatt in Krisenzeiten auf Deeskalation zu bauen.

Feministische Friedensforscher*innen am Women’s International Peace Centre in Kampala monieren solche Defizite, für die sie nicht nur korrupte und auf Militarismus bauende nach-koloniale Regierungen, sondern auch die Ignoranz der auf ein rudimentäres Sicherheitskonzept fixierten internationalen Staatengemeinschaft verantwortlich machen. Sie ergründen das interdependente Zusammenwirken der Folgen kriegerischer Gewalt, konkret von martialischer Maskulinität, ökonomischen Strukturproblemen, wie massive Ausbeutung und Armut, und den Vergehen gegen Frauen-/Menschenrechte in privaten oder öffentlichen Räumen. Als analytische Schlussfolgerungen verlangen sie deren Überwindung als Grundlage für einen umfassenden Frieden (zum Beispiel Kahuubire 2022). Sie argumentieren mittels eigener, empirisch basierter Konzepte – bezugnehmend auf friedenspolitische Forderungen von Friedensaktivist*innen und deren Netzwerken. Bereits im Kontext der UN-Frauenkonferenz in Peking 1995, konkret im dort verabschiedeten Aktionsplan, forderte die Federation of African Women’s Peace Networks den Schutz von Frauen in Kriegen und ihre Mitwirkung an Friedensprozessen. Und beim afrikanischen Vorbereitungstreffen dieser Weltfrauenkonferenz 1994 in Dakar verlangten Jurist*innen der Association of Female Lawyers of Liberia (AFLL) ein Ende des 1989 begonnenen Krieges in ihrem Land und die Einhaltung von Frauenrechten.

Auseinandersetzungen mit der Afrikanischen Union

Nicht nur auf internationaler und lokaler Ebene, sondern auch gegenüber der Afrikanischen Union (AU) traten feministische Friedensaktivist*innen im Lauf der Jahre immer wieder strategisch mit ihren Forderungen auf. So nutzten sie die afrikanische Dekade für Frauen 2010-2020 zur Institutionalisierung und konkreten Umsetzung ihrer friedenspolitischen Ziele, deren Erfolg wiederum afrikanische Forscher*innen analysiert haben (zum Beispiel Hendricks 2017). Sie zeigten: Die AU setzt institutionell sukzessive auf Gender-Mainstreaming, etwa in der Friedens- und Sicherheitsarchitektur.1 Bereits 2014 etablierte die AU das Amt einer Sondergesandten für Frauen, Frieden und Sicherheit. 2017 gründete sie das Friedensnetzwerk FEMWISE-Africa zur Konfliktprävention und Friedensmediation und 2019 entstanden Leitlinien zum Monitoring der Umsetzung der Frauen-Friedensagenda in Afrika (2018-2028). Dem folgte ein gender-inklusiver Zeitplan für Frieden und Sicherheit 2015-2020 (Abdullah 2017). Gender in der Friedensarbeit ist auch ein Teilbereich der AU-Vorgaben zur Verankerung von Frauenrechten und Geschlechtergerechtigkeit, etwa in der »Gender und Empowerment«-Strategie (2018-2028).

Gemeinsam mit der UN veröffentlichte die AU 2022 eine Podcastserie und das Buch »She stands for peace« mit zwanzig Porträts vorbildlicher afrikanischer Friedensaktivist*innen. Basierend auf deren Erfahrungen kritisieren Forscher*innen jedoch die mangelnde Umsetzung der AU-Gender-Vorgaben und die fehlende systematische Beachtung zivilgesellschaftlicher Frauen-Friedensarbeit, obwohl diese keineswegs nur lokal, sondern auch auf regionaler und internationaler Ebene politische Strukturveränderungen einfordern (Abdullah 2017). Diese seien notwendig, weil etliche Regierungen der AU-Mitgliedstaaten auf Militarismus setzten und damit gemeinsame friedenspolitische Ziele konterkarierten.

Bezugnehmend auf diese Ziele der AU verlangte die liberianische Friedensaktivistin und Trägerin des Friedensnobelpreises 2011, Leymah Gbowee, in einer öffentlichen Stellungnahme: Afrikanische Staats­chefs sollten die Waffen zum Schweigen bringen, Staatsausgaben für Waffen und Munition reduzieren, integer regieren, gegen Korruption vorgehen, Rechtsgrundlagen reformieren und Gewalt gegen Frauen und Kinder stoppen. Zudem forderte Gbowee konkrete Entwicklungsförderung, insbesondere funktionierende Gesundheitsdienste und bessere Bildungsangebote. Ihr Friedensverständnis umfasst also die Überwindung von Ausbeutung, Unrecht und Straflosigkeit.

Reformen und Blockaden

Auch nationale Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit (2000) werden in einigen Nachkriegsländern nur unzureichend implementiert, wie Aktivist*innen monieren (Kezie-Nwoha 2020). Dazu zählen mangelnde Strukturreformen repressiver staatlicher Institutionen und unzureichende Gesetzesnovellen, etwa beim patriarchalen Land-, Erb- und Familienrecht. Feministische Forscher*innen zeigen: Gesetzliche Neuerungen, beispielsweise zur Bestrafung häuslicher und sexualisierter Gewalt, werden dadurch erschwert, dass gleichzeitig religiöse oder traditionelle Eliten vielerorts frauenfeindliche Vorstellungen als Rückkehr zur kulturell legitimierten sozialen Ordnung propagieren, obwohl multiple Ungleichheiten die Kriegsbereitschaft maßgeblich schürten.

Exemplarisch für solche Tendenzen ist Liberia, das unter der ersten Präsidentin Afrikas, Ellen Johnson-Sirleaf (Amtszeit 2006-2018), nach dem Kriegsende 2003 Rechtsreformen verabschiedete und staatliche Frauenförderprogramme auflegte. Während die alten Eliten gegen diese Förderprogramme eiferten, ließen sie gleichzeitig gravierende sozio-ökonomische Ungleichheiten – u.a. ein Erbe der Militärdiktatur ab 1980 – unangetastet, obwohl diese zu den Kriegsursachen gezählt hatten.

Seit einigen Jahren analysieren auch männliche, an Gender interessierte Friedensforscher in afrikanischen Nachkriegsländern solche Interessenkonflikte, indem sie lokalspezifisch die multiplen Geschlechterungleichheiten und Machtstrukturen sowie deren kriegsbedingte Dynamiken, Kontinuitäten und Brüche dokumentieren: Martialische Gewaltmuster – auch zwischen Männern – bleiben nach Kriegen erhalten, vor allem wenn Männer keine oder kaum Möglichkeiten haben, ihre oft widersprüchlichen Kriegserfahrungen, z.B. als Kämpfer und Gefangene, zu reflektieren und Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramme ihnen keine ökonomischen Perspektiven sowie Neuorientierungen maskuliner Selbst- und Rollenbilder bieten (Hearn et al. 2021).

Geschlechterhierarchien analysieren und ändern

Feministische Friedensaktivist*innen fordern situationsspezifisch angepasste und nachhaltig angelegte Programme für entsprechende Überwindungen martialischer Maskulinitätsmuster. Sie verstehen Gender-Strukturen als wandelbar und versuchen, gezielten Rückschlägen durch zumeist einflussreiche, männliche kulturnationalistische Traditionalisten oder religiöse Eiferer gegenzusteuern. Feministische Forscher*innen, die solche gegenläufigen Dynamiken dokumentieren und analysieren, betrachten Frauen nicht als homogene Gruppe, sondern veranschaulichen Unterschiede basierend auf Alter, Religion, Bildung, Besitz und Status (Kezie-Nwoha 2020). Zudem unterstreichen sie: Die Kriegsfolgen für Frauen betreffen nicht nur die Bewältigung sexualisierter Gewalt, sondern auch die Zerstörung von wirtschaftlichen Existenzgrundlagen und Häusern oder Wohnraum sowie daraus resultierende Flucht und Vertreibung (Olaitan 2023; Oroma et al. 2021).

Aus empirischen Beispielen komplexer Konfliktkonstellationen und Kriegsfolgen in afrikanischen Staaten leiten feministische Forscher*innen ab: Friedensarbeit verlangt reaktive und präventive Deeskalationen auf unterschiedlichen Ebenen, um ökonomische Zerstörungen zu vermeiden, die aufgrund von Mehrfachdiskriminierungen vor allem zu Lasten von Frauen gehen würden (Tadesse, Tesfaye und Beyene 2010). Vorbildlich für eine solche erfolgreiche Friedensarbeit war der Einsatz von Dekha Ibrahim Abdi im kenianischen Grenzgebiet zu Somalia, wofür sie 2007 den Right Livelihood Award erhielt. Bereits seit 1992 hatte sie Frauen und Männer zerstrittener Clans und Ethnien zur friedlichen Lösung lokaler Ressourcen- und Machtkonflikte, u.a. zwischen nomadischen und bäuerlichen Gruppen, mobilisiert. Aus ihrer Sicht brauchten erfolgreiche Friedensprozesse, zu denen die von ihr mitinitiierten Dialogplattformen und Friedenskomitees beigetragen hatten, Vielfalt, Diversität, Partizipation und Identifikation aller Konfliktparteien und aller Menschen in einem Konfliktgebiet. Abdi tauschte sich über die lokale bzw. regionale Ebene in der Coalition for Peace in Africa mit anderen Aktivist*innen auf dem Kontinent aus.

In Kenias Nachbarland Somalia, wo männlich dominierte Clans seit Jahren militant um politische Macht kämpfen, gründete Asha Haji Elmi im Jahr 2000 einen »sechsten Clan«, der Frauen unterschiedlicher Herkunft einte und ihre parlamentarische Partizipation forderte. Sie nahm als erste Somalierin an Friedensverhandlungen teil und bewertete die Friedensarbeit von Frauen als Beitrag zur Demokratisierung. Ranghohe männliche politische Amtsträger müssten sicherstellen, dass Frauenrechte und -interessen nach einem Kriegsende bei Sicherheitssektor- und Justizreformen systematisch beachtet werden, nur so lasse sich Straflosigkeit beenden. 2008 erhielt Asha Haji Elmi den Right Livelihood Award.

Umfassende Gerechtigkeit versus geopolitisch forcierte Instabilität

Dieser Beitrag veranschaulicht, wie afrikanische Friedensaktivist*innen gezielt an konkreten friedenspolitischen Machtveränderungen vor allem während und nach Kriegen oder Gewaltkonflikten mitwirken, die wirtschaftliche Entwicklung und Rechtsreformen betreffen (Oroma et al. 2021). Das analysieren afrikanische Friedensforscher*innen, beispielsweise am Women’s International Peace Centre in Kampala. Die Expert*innen dokumentieren auch: Für einen erfolgreichen zivilgesellschaftlichen Austausch und gemeinsame feministische Forderungen an Regierende, insbesondere zur Überwindung von martialischem Militarismus, etablieren Aktivist*innen neue organisatorische Strukturen. Sie transformieren gesellschaftliche Institutionen in ihrem Sinn oder arbeiten mit ausgewählten Männern in (Führungs-)Funktionen, um Geschlechtergerechtigkeit als soziale Gerechtigkeit zu entwickeln. Dazu zählen gleicher Zugang zu Landrechten, Menschenrechten und Rechtssicherheit – Ziele, die Gesellschaften insgesamt nachhaltig befrieden. Männlichen Funktionsträgern kommt in diesem Verhältnis Verantwortung als »Change Agents« zu, wie auch einige männliche Forscher unterstreichen (Hearn et al. 2021).

Wer in diesem Beitrag Forschungen über sexuelle und geschlechtliche Minderheiten als Friedensstiftende vermisst hat, möge berücksichtigen, dass diese ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in den meisten Nachkriegsländern nicht öffentlich zeigen können, was beispielsweise Amnesty International, Human Rights Watch und menschenrechtsbasierte Interessenvertretungen von sexuellen Minderheiten wie Human Dignity Trust, Pan Africa ILGA und Outright kritisieren, wobei sie sich auf Berichte von – vielfach geflohenen – Betroffenen berufen. Denn in den meisten Postkonfliktgesellschaften steigen Homo- und Transphobie, sie werden von alten oder neuen Eliten taktisch geschürt – oft um von eigenen kriminellen Machenschaften abzulenken. Die finanzielle und ideologische Aufrüstung solcher Eliten, die beispielsweise Verschärfungen von Anti-Homosexuellen-Gesetzen forcieren, kommt vielfach von fundamentalistischen evangelikalen Kirchen aus den USA, deren mehrheitlich männliche Geber sich als gönnerhafte Förderer von Familienwerten nach Kriegen inszenieren, während etliche aber selbst kriminell agieren. Nicht nur die Rüstungsindustrie hat Interesse an instabilen Ländern als Absatzmärkten, was Aktivist*innen und Forschende, u.a. in Afrika, seit Jahrzehnten beobachten, zumal ambitionierte fundamentalistische Interessengruppen die kritische Zivilgesellschaft insgesamt ins Visier nehmen. Deutsche Friedens- und Konfliktforschende sollten solche Kontexte und Agitationen nicht ignorieren, sondern gezielt erste themenrelevante Studien afrikanischer Kolleg*innen rezipieren (Msosa et al. 2022).

Anmerkung

1) Zur Auseinandersetzung damit in der deutschen Friedens-, Konflikt- und Sicherheitsforschung siehe Engel 2022.

Literatur

Abdullah, Hussaina (2017): Women and the African peace and security architecture. APN Working Paper no. 12. New York.

Engel, Ulf (2022): Women, Peace and Security in Africa. An agenda beyond a place at the peace table? Working Paper no. 27, SFB 1199. Leipzig.

Hearn, Jeff; Ratele, Kopano; Shefer, Tamara; Khan, Anisur Rahman (2021): Men, masculinities, peace and violence. A multi-level overview on justice and conflict. In: Väyrynen, Tarja; Parashar, Swati; Féron, Élise; Confortini, Catia Cecilia (Hrsg.): The Routledge handbook of feminist peace research. London: Routledge, S. 313-323.

Hendricks, Cheryl (2017): Progress and challenges in implementing the Women, Peace and Security Agenda in the African Union’s peace and security architecture. Africa Development, XLII (3), S. 73-98.

Kahuubire, Pauline (2022): Why intersectionality must be central to feminist peacebuilding. Feminist Peace Series Magazine 3(1), S. 9-14.

Kezie-Nwoha, Helen (2020): Feminist peace and security in Africa. Oxford: Oxfam Discussion Paper.

Msosa, Alan et al. (Hrsg.) (2022): Queer lawfare in Africa. Legal strategies in contexts of LGBTIQ criminalisation and politisation. Pretoria: Pretoria University Law Press.

Olaitan, Zainab (2023): Feminist rethinking of the representation of African women in peacebuilding. A theoretical analysis. African Journal of Gender, Society and Development 12(1), S. 185-207.

Oroma, Diana; Aemo, Mary; Dranjowa, Christine; Birungi, Evelyn; Tumwesigye, Sandra (2021): 20 years of grassroot women achievements. Good practices, challenges and the desired way forward 2020. Women’s International Peace Centre. Kampala.

Tadesse, Bamlaku; Tesfaye, Yeneneh; Beyene, Fedaku (2010): Women in conflict and indigenous conflict resolution among the Issa and Gurgura clans of Somali in Eastern Ethiopia. African Journal on Conflict Resolution 10(1), S. 85-108.

Feministische Arbeitsweisen

Für eine größere Sichtbarkeit der Care-Arbeit in Wissenschaft und Forschung

von Hannah Neumann

Als 2020 die Taliban Afghanistan wieder einnahmen, arbeitete ich an einem Projekt über den Kulturaustausch zwischen Afghanistan und internationalen Kulturinstitutionen. Viele afghanische Kooperationspartner*innen, mit denen sich über Jahre ein enges, oft freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hatte, waren in eine (lebens-)bedrohliche Situation geraten. Über Stipendien, Kooperationen und Petitionen versuchte ich, soweit es ging, zu unterstützen. Das bedeutete einen immensen bürokratischen Aufwand, aber vor allem auch unzählige Gespräche mit afghanischen Kolleg*innen – Gespräche, die aufgrund der Situation belastend waren. In jener Zeit erreichten mich Anfragen von Journalist*innen. Es ging um die Einschätzung der Lage in Afghanistan, um Kontakte und Hintergrundinformationen. Ich gab sämtliche Informationen preis, denn genau dazu dient Wissenschaft: Wissen zu generieren und weiterzugeben. Dass es sich dabei um mein Wissen handelte, das ich mir mühsam erarbeitet hatte und dass ich eigentlich selbst publizieren wollte, war in diesem Moment für mich nebensächlich. Auch, dass ich durch das Schreiben von Anträgen und Ausfüllen von Formularen selbst kaum mehr Zeit zum Schreiben hatte, schien mir der Situation angemessen. Nicht aber meinen Vorgesetzten: Ich solle mich, so der Tenor, entscheiden, ob ich Wissenschaftlerin oder Aktivistin sei. Schließlich tickte die Uhr: Die Projektdauer war begrenzt und am Ende mussten Ergebnisse stehen. Und Ergebnisse bedeuten Publikationen. Was ich stattdessen getan hatte, war, die Kooperation mit meinen afghanischen Kolleg*innen aufrechtzuerhalten, mich um mögliche Ausreisemöglichkeiten zu kümmern und sie bei einem Neustart in Deutschland zu unterstützen.

Eine Wissenschaftspraxis, in der Verantwortung und (damit einhergehende) Care-Aufgaben aktiv berücksichtigt werden, ist nicht nur auf abstrakter Ebene friedensstiftend. Ein Arbeitsumfeld zu gestalten, in dem alle Beteiligten sicher, respektvoll und fürsorglich miteinander arbeiten, sollte ein zentrales Tätigkeitsfeld der feministischen Friedensforschung sein. Im Folgenden werde ich darlegen, wie dieser Ansatz das tägliche Miteinander in der Hochschularbeit nachhaltig bereichert.

Warum Care-Arbeit in der Wissenschaft feministisch ist

Seit einigen Jahren gewinnt das Thema »Care-Arbeit« zunehmend an Bedeutung in der akademischen Welt. Dabei richtet sich der Fokus vor allem auf die außeruniversitäre Sorgearbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird (Criado-Perez 2020, S. 103-133). Sie übernehmen den Großteil der Betreuung von Kindern, pflegebedürftigen Angehörigen und die Haushaltsführung. Die Sichtbarmachung dieser Arbeit ist ein erster Schritt in Richtung einer besseren Vereinbarkeit von Karriere und Care, eine gerechtere Verteilung der Care-Arbeit zwischen allen Geschlechtern ein notwendiger Zweiter.

Doch noch kaum Beachtung findet Care-Arbeit, die innerhalb des Wissenschaftsbetriebs selbst geleistet wird, die aber für das Funktionieren der Institutionen unabdingbar ist. Das beginnt bei Aufgaben, die scheinbar außerhalb des eigentlichen Wissenschaftsbetriebs verortet werden – wie dem Organisieren von Geschenken zu Jubiläen oder der Planung von Weihnachtsfeiern –, setzt sich bei der Betreuung von Gastwissenschaftler*innen und der Mitarbeit in Gremien fort und endet noch lange nicht mit der Beratung hilfesuchender Studierender. Leistungen dieser Art erfahren selten angemessene Anerkennung oder Vergütung.

Außerhalb von Hochschulen kann die Übernahme von Care-Aufgaben die Karriere durchaus fördern. Jedoch nur bei Männern: Ihnen wird Hilfsbereitschaft als Arbeitsleistung anerkannt, was sich in Beförderungen niederschlägt, während sie bei Frauen als selbstverständlich vorausgesetzt wird (Eagly und Carli 2007). Den daraus resultierenden Frust zu äußern, kann einer Frau zudem nachteilig ausgelegt werden: Gemeinhin wird angenommen, dass Wut bei Männern einen externen Auslöser hat, während sie bei Frauen ihrem (fehlerhaften) Charakter zugesprochen wird (Brescoll und Uhlmann 2008, S. 268). Zu den reaktionären Gendervorstellungen kommt der überdurchschnittlich hohe Konkurrenzdruck hinzu. Um diesem Druck zu begegnen, wird bis heute in Frauen-Mentoring-Programmen häufig empfohlen, sich in Auftreten und Strategie den männlich konnotierten Verhaltensweisen (z.B. zielstrebig und selbstbewusst zu agieren) anzupassen.

Das kritisierte bereits 1987 (also vor fast vierzig Jahren!) die Friedensforscherin Ute Volmerg: Um beruflich aufzusteigen und Anerkennung zu finden, haben sich Frauen an männliche Konkurrenzbedingungen anzupassen (Volmerg 1987). Diese binär-geschlechtliche Einteilung wird natürlich der vorhandenen Vielfalt nicht gerecht. Doch blickt man allein auf die unzureichende Geschlechterteilung in »Mann« und »Frau«, wird die fehlende Gleichstellung deutlich: Bis heute mangelt es an Mentoring-Programmen für Männer, die das Einüben eher weiblich konnotierter Verhaltensweisen fördern. Dabei gibt es natürlich sehr viele Männer, die teamorientiert und kollegial arbeiten – Eigenschaften, die wiederum häufig Frauen zugeschrieben werden.

Vor diesem Hintergrund und in Abgrenzung zu den durch patriarchale Strukturen geprägten Arbeitsstilen spreche ich hier von »feministischen Arbeitsweisen«. Diese von Anfang an mitzudenken wäre bei der Institutionalisierung einer feministischen Friedensforschung ein konsequenter Schritt. Fürsorge und Verantwortung für andere fördern nicht nur ein positives und friedliches, sondern letztlich auch ein produktives Arbeitsklima.

Es wäre ein möglicher Ansatz, Care-Arbeit im Wissenschaftsbetrieb karrierefördernd anrechenbar zu machen. Diese Idee folgt zwar neoliberalen Strukturen, in denen Leistung die höchste Währung ist. Da aber die Gebote des akademischen Kapitalismus kaum rückgängig zu machen sind (Fleming 2021, S. 12), sollten die Strukturen zumindest so verändert werden, dass Care-Arbeit angemessene Anerkennung erhält. Bisher jedoch kommen vor allem jene voran, die sichtbare Qualifikationen nachweisen können – ein System, das zwangsläufig zu Stress und Konkurrenz führt und die konstruktive Zusammenarbeit erschwert (vgl. Bahr, Eichhorn und Kubon 2022).

Wissenschaft und Teamarbeit

Ein Schritt in diese richtige Richtung wäre es, Teams zu ermöglichen, verschiedene »Arbeitscharaktere« zu integrieren, anstatt nur diejenigen zu fördern, die mit scheinbarer Effizienz ein Ziel verfolgen. In mehreren Studien der NASA untersuchten Wissenschaftler*innen die Zusammensetzung funktionierender Teams und fanden heraus, dass Menschen mit Humor eine zentrale Rolle spielen. Ebenso jene, die dafür sorgen, dass Spannungen abgebaut werden und alle im Team an einem Strang ziehen (Sample 2019). Der Anthropologe Jeffrey Johnson beschreibt diese Personen als »Schlüssel«, die durch das Entschärfen von Konflikten und den Aufbau von Zusammenhalt für eine produktive Arbeitsatmosphäre sorgen (Abadie 2019). Eine weitere interessante Erkenntnis aus den Studien der NASA war, dass sich das Verhalten in männlichen Teams änderte, sobald auch nur eine Frau hinzukam: Stress und Aggression nahmen ab, die Arbeitsleistung hingegen nahm zu (vgl. Stuster 2011).

Die NASA interessiert sich vor allem für die Zusammensetzung von Teams, die lange isolierte Reisen ins All bewältigen müssen. Die Erkenntnisse lassen sich dennoch auch auf andere Arbeitskontexte übertragen, etwa auf den Hochschulbetrieb. Leider wird diesen Überlegungen an Hochschulen im Bereich Wissenschaft und Lehre jedoch kaum Bedeutung beigemessen.

Der Deutsche Hochschulverband thematisiert zwar auf seiner Homepage die Bedeutung von sozialen Kompetenzen im Kontext der Anforderungen für eine Professur, verwendet dafür jedoch den unpräzisen Begriff »Soft Skills« und vermeidet eine klare Definition oder spezifische Kriterien. Diese vage Anerkennung spiegelt die geringere Wertschätzung wider, die solchen essenziellen Aufgaben in der akademischen Praxis zuteilwird:

„Die Bedeutung von Soft Skills wird in vielen Ratgebern beschworen, ihr Vorhandensein in Stellenausschreibungen gefordert, ihr angebliches Fehlen bei manchen Wissenschaftlern von Studenten moniert. Allgemein beschreibt dieser neudeutsche Ausdruck nichts anderes als eine Reihe von menschlichen Eigenschaften, die für die Ausübung eines Berufs bezogen auf andere Personen nötig oder förderlich sind.“ (Hohenhaus 2008)

Welche menschlichen Eigenschaften an einer Hochschule relevant sind und wie sie von Berufungskommissionen bewertet werden können, wird dabei jedoch nicht konkretisiert. Die eigentlich zentrale Frage lautet aber: Wie kann diese Arbeit – denn Fürsorge ist keine Freizeitbeschäftigung – sichtbar gemacht werden, um auch für die Karriere förderlich zu sein? Gerade für eine feministische Friedensforschung wäre es wichtig, nicht nur theoretisch über diese Strategien zu sprechen, sondern sie direkt in der eigenen Praxis umzusetzen.

Die Personen »dahinter«

Ein weiterer Blick in die Praxis kann helfen, mögliche Stellschrauben zu erkennen. So entstehen beispielsweise wissenschaftliche Publikationen selten isoliert, sondern meist im Austausch mit anderen. Oft handelt es sich um Kooperationsprojekte, bei denen alle Beteiligten die Arbeit für ihren akademischen Werdegang nutzen können. Häufig werden auch externe Lektor*innen, Kritiker*innen oder Expert*innen hinzugezogen. In einem Graduiertenkolleg ist es üblich, im Wechsel die Themen und Texte der verschiedenen Kollegiat*innen zu besprechen. Dabei bringen sich die Teilnehmer*innen unterschiedlich ein. Eine Kollegin, mit der ich zusammenarbeitete, fiel durch ihre gewissenhafte Beschäftigung mit den Beiträgen der anderen auf. Sie gab hilfreiche fachliche Hinweise und lektorierte Texte stets im Sinne der Autor*innen. Diese Sorgfalt machte sie zu einer gefragten Ansprechperson für das Redigieren von Artikeln, und sie wurde regelmäßig in konzeptuelle Überlegungen anderer Forschungsvorhaben einbezogen. Dabei unterstützte sie nicht nur fachlich, sondern ermutigte und bestärkte ihre Kolleg*innen in ihren Vorhaben.

Als ich sie auf ihre beeindruckende Fähigkeit ansprach, sich in die Forschung anderer hineinzudenken, antwortete sie: „Aber das braucht Zeit.“ So investierte Zeit findet jedoch kaum Niederschlag in einem Lebenslauf. Während andere ihre Publikationsliste erweitern, verzögert sich die eigene Forschung solcher Menschen. Doch genau diese Personen sind für die Wissenschaft unverzichtbar. Sie wirken als »Œil extérieur« – als Blick von außen –, die Forschungsvorhaben oder Ergebnisse im größeren Kontext betrachten, ähnlich wie Dramaturg*innen im Theater. Sie helfen über Durststrecken hinweg, motivieren, beraten und tragen maßgeblich zum Gelingen von Projekten bei. Häufig werden sie in den Danksagungen von Publikationen erwähnt, was zwar eine Anerkennung darstellt, aber keinen Niederschlag im Lebenslauf findet.

Es könnte daher sinnvoll sein, bei Berufungsverfahren nicht nur Vortragslisten, Drittmitteleinwerbungen oder Publikationen zu berücksichtigen, sondern auch die Unterstützung bei »fremden« Projekten. Ob eine Person nicht nur eigene Vorhaben vorantreibt, sondern auch das erfolgreiche Arbeiten des Teams fördert, könnte so transparenter gemacht werden, wie beispielsweise durch die Nennung des »Œil extérieur«. Aktuelle wissenschaftsethische Leitfäden, wie jener des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung, fordern Ähnliches:

„Bei den Publikationen der aus dem Projekt hervorgegangenen Ergebnisse sollten alle, die zum Forschungsprozess beigetragen haben, entsprechend ihrer Leistungen genannt werden.“ (BMBWF 2020, S. 14)

Verantwortung ist Care-Arbeit

Dass mein eingangs erwähntes Beispiel kein Einzelfall ist, legen die globalen Entwicklungen nahe. Wissenschaftler*innen und Student*innen aus verschiedenen Regionen der Welt sind gezwungen, aufgrund diverser Bedrohungen ihr Heimatland zu verlassen. Viele Hochschulen haben in den letzten Jahren Programme zur Unterstützung und Integration dieser Menschen ins Leben gerufen. Beide Seiten profitieren von diesem Austausch, und das Engagement wird gerne auf den Homepages von Hochschulen und Instituten präsentiert. Veranstaltungen oder Publikationen, die im Rahmen solcher Kooperationen stattfinden, gelten als besondere Leistungen und werden auch in der akademischen Bewertung anerkannt. Vor allem Kooperationsprojekte mit Partner*innen, die Fluchterfahrung haben, werden in akademischen Kreisen positiv wahrgenommen.

Aber es reicht eben nicht aus, Tagungen zu organisieren, Publikationen zu redigieren, Workshops durchzuführen oder Vortragsreihen zu konzipieren, um eine gute Integration in die Hochschulwelt zu gewährleisten. Zusätzlich braucht es Menschen, die bei Behördengängen unterstützen, Krankenversicherungen vergleichen, Betreuungsplätze für Kinder finden, psychologische Hilfe organisieren – und auch solche, die ein offenes Ohr haben. Diese Aufgaben werden oft von anderen Personen übernommen, als jenen, die als offizielle Veranstaltungs- oder Publikationsverantwortliche gelistet sind. Doch beide Personengruppen tragen zum Erfolg solcher Verständigung fördernder Kooperationen bei.

Da Care-Tätigkeiten nicht als wissenschaftliche Arbeiten im engeren Sinne betrachtet werden, ist es schwierig, sie als akademische Leistung zu bewerten. Dass sie aber notwendig für einen guten, kollegialen Wissenschaftsbetrieb sind, steht außer Frage. Daher wäre zu überlegen, wie es möglich ist, diese wichtige Leistung transparenter zu machen. Denn letztlich fördert Fairness am Arbeitsplatz nicht nur Vertrauen und Zufriedenheit, sondern stärkt auch den betrieblichen Frieden: Konflikte werden minimiert und es entsteht ein Klima des gegenseitigen Respekts.

Résumé

Wird über feministische Friedensforschung gesprochen, blickt man damit gewöhnlich primär auf die Forschungsfelder, Theorien und deren Methoden. Mit diesem Beitrag plädiere ich dafür, das Aufgabenfeld der feministischen Friedensforschung um den Aspekt des Miteinanders zu erweitern. Denn feministisches Arbeiten im Hochschulkontext heißt, das Wohl aller im Blick zu behalten und sicherzustellen, dass Projekte die notwendige Unterstützung erhalten, um erfolgreich zu sein. Dabei bedeutet Erfolg nicht nur die Herausgabe eines wissenschaftlichen Beitrags. Erfolg ist auch, dazu beizutragen, für die nötigen Rahmenbedingungen zu sorgen, damit andere gut forschen, lernen und – im Extremfall – gut leben können. Die damit verbundene Care-Arbeit sollte im akademischen Lebenslauf sichtbar gemacht werden. Dafür bedarf es einer Sensibilisierung für diese Art von Arbeit sowie einer bewussten Wahrnehmung dafür, wer welche Care-Aufgaben im Hochschulbetrieb übernimmt. Eine Institutionalisierung der feministischen Friedensforschung bietet hierbei die Chance, von Beginn an Strukturen dementsprechend zu gestalten und damit eine Vorbildfunktion zu übernehmen.

Literatur

Abadie, Laurie (2019): Clowning around lightens the load: NASA studies team dynamics in Antarctica. NASA, 02.05.2019.

Bahr, Amrei; Eichhorn, Kristin; Kubon, Sebastian (2022): #IchBinHanna – Prekäre Wissenschaft in Deutschland. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Brescoll, Victoria; Uhlmann, Eric Luis (2008): Can an angry woman get ahead? Status conferral, gender, and expression of emotion in the workplace. Psychological Science 19(3), S. 268-275.

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) (2020): Praxisleitfaden Integrität und Ethik in der Wissenschaft. Wien: BMBWF.

Criado-Perez, Caroline (2020): Unsichtbare Frauen – Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. München: btb Verlag.

Eagly, Alice; Carli, Linda L. (2007): Women and the labyrinth of leadership. Harvard Business Review 85(9), S. 63-71.

Fleming, Peter (2021): Dark academia. How universities die. London: Pluto Press.

Hohenhaus, Jörn (2008): Was sind Softskills? Zitiert in: Der Weg zur Professur. Bonn: Forschung und Lehre (Homepage: Deutscher Hochschulverband).

Sample, Ian (2019): Jokers please: First human Mars mission may need onboard comedians. The Guardian, 15.2.2019.

Stuster, Jack (2011): Bold endeavors. Lessons from polar and space exploration. Annapolis: Naval Institute Press.

Volmerg, Ute (1987): Sag mir, wo die Frauen sind! Oder: Friedensforschung, eine männliche Wissenschaft? Zeitschrift für angewandte Sozialpsychologie (3), S. 205-215.

(Ver-)Schweigen von/als Gewalt

Für eine feministische Friedensforschung als Praxis der Fürsorge

von Juliana Krohn und Viktorija Ratković

Gewalt ist an Universitäten und damit auch in der Friedens- und Konfliktforschung ein ebenso alltägliches wie verschwiegenes Phänomen. Während Gewalt in all ihren Ausprägungen theoretisch beforscht wird, will für die in unserer Mitte stattfindende Gewalt kaum jemand Verantwortung übernehmen. Diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis steht in eklatantem Widerspruch zu feministischen Perspektiven, die unserem Verständnis nach immer auch mit dem politischen/gesellschaftlichen Anliegen verknüpft sind, Gewaltverhältnisse zu überwinden. Mit diesem Beitrag wollen wir daher Praktiken der Fürsorge und Solidarität als Kernanliegen und Bestandteil feministischer Friedensforschung positionieren.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf?

Am 7. November 2022 wurden erste Ergebnisse einer Umfrage des UniSAFE-Forschungsprojekts zu geschlechtsspezifischer Gewalt an Forschungseinrichtungen veröffentlicht. An dieser Umfrage nahmen Studierende und Mitarbeiter*innen von 46 Universitäten in 15 Ländern der Europäischen Union teil, insgesamt wurden 42.000 Fragebögen erhoben. Laut Auswertung haben 62 % der Befragten mindestens eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt erlebt. Dazu zählen physische Gewalt, psychologische Gewalt, sexualisierte Gewalt, sexuelle Belästigung oder Online-Gewalt.

Das Spektrum der verübten und erlittenen Gewalt ist somit breit und umfasst verbale Belästigung ebenso wie körperliche Übergriffe. Von allen Gruppen am stärksten gefährdet sind behinderte und nicht-binäre Menschen (Lipinsky et al. 2022). Ähnliche – so erschreckende wie erwartbare – Erkenntnisse gibt es zu Rassismus an Hochschulen und anderen Gewaltformen, denen zumeist marginalisierte/ver-anderte Menschen ausgesetzt sind. Damit wurde zum ersten Mal in diesem Ausmaß quantifiziert, was an Universitäten ein offenes Geheimnis ist. Kolleg*innen warnen sich seit langem institutionen- und mitunter kontinente-übergreifend gegenseitig vor Menschen, mit denen man sich nicht allein in einem Raum aufhalten sollte, während Studierende besprechen, bei wem sie einigermaßen gefahrlos Seminare belegen können.

Universitäten rücken zwar als Orte der (Re-)Produktion von Gewalt zunehmend in den Fokus öffentlicher und akademischer Debatten. Dennoch bleibt das Thema ein Tabu, denn – so scheint es – es kann nicht sein, was nicht sein darf. Basierend auf der vielleicht banal wirkenden, aber zentralen Erkenntnis, dass Bestehen und Ausmaß des Problems anerkannt werden müssen, um es anzugehen, möchten wir mit diesem Beitrag den oftmals fahrlässigen und inadäquaten Umgang mit sowie die (Re-)Produktion von Gewalt an Hochschulen und damit auch innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung problematisieren.

Kontexte

Fast zwei Jahre nach den Veröffentlichungen der ersten Ergebnisse des UniSAFE-­Projekts nehmen wir das Dossier zu »­Feministischer Friedensforschung« zum Anlass, um uns zu fragen, wie mit dieser und anderer Gewalt und dem (Ver-)Schweigen umgegangen werden kann. Mit der Friedens- und Konfliktforschung liegt unser Fokus schließlich auf einer Disziplin, die sich explizit der Analyse, dem Verstehen ihrer Genese sowie Methoden der Reduktion diverser Gewaltformen widmet. Wir begreifen dabei insbesondere die feministische Friedensforschung durch ihren Fokus auf androzentrische, patriarchale und/oder (neo-)koloniale Strukturen und Logiken als Perspektive, aus der heraus eine Praxis der Fürsorge und Solidarität entwickelt werden kann, die die große Diskrepanz zwischen den Ansprüchen der Disziplin und der alltäglichen Gewalt an Universitäten zumindest teilweise überbrücken kann.

Wir schreiben diesen Text vor dem Hintergrund unserer interdisziplinären akademischen Ausbildung, als Friedens- und Konfliktforscherinnen, aber auch als ehemalige Studierende, als Mitarbeiterinnen von Universitäten und Mitglieder des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen sowie des Betriebsrats für das wissenschaftliche Personal. Wir schreiben ihn auch als Betroffene und als Überlebende, die den erlebten Machtmissbrauch und eigene Gewalterfahrungen an Universitäten thematisiert haben, denn: „Die Prämisse ist einfach: Sich über Machtmissbrauch zu beschweren, bedeutet, etwas über Macht zu lernen.“ (Ahmed 2021, S. 25).1 Wer Machtmissbrauch anspricht, weiß auch, wie viel unbezahlte Arbeit damit einhergeht, wie viele Ressourcen das bindet, wie ungleich diese Arbeit verteilt ist, wie sehr die eigene wissenschaftliche Karriere darunter leidet und wie viel zusätzlichen Schaden die eigene Gesundheit dadurch nimmt. Wer allerdings anfängt, über das Erlebte zu sprechen, weiß auch, wie viele Betroffene sich davon bestärkt fühlen, eigene Erfahrungen ebenfalls zu thematisieren und gemeinsam einen Weg zu suchen, die herrschenden Verhältnisse zu verändern.

Das Ringen um Sprache

Unser Denken-Fühlen-Schreiben über und mit der erlebten Gewalt, in Körpern, die verletzt wurden, ist immer auch ein Ringen mit dem (internalisierten) (Ver-)Schweigen. Es ist ein Ringen um Sprache, um Worte, um Wege, das Erlebte so auszudrücken, dass es gehört, geglaubt und bestenfalls auch verstanden wird, denn niemand soll erleben, was wir erlebt haben. Wie viele Betroffene machen wir in unserer Arbeit gegen Gewalt jedoch die Erfahrung, dass wir damit selbst zum Problem gemacht werden: „Die Figur der Beschwerdeführer*in ist klebrig, auch pingelig, aufgeladen mit Affekt und Werten: die Beschwerdeführer*in als Nörgler*in, als unbedeutend, die aus nichts etwas macht, aus wenig viel macht; als Fremde*r oder Ausländer*in, nicht eine*r von uns, als eine Gefahr für uns.“ (ebd., S. 171)

Wird das Sprechen über Gewalt so gerahmt, ist nicht die Gewalt das Problem, nicht die Menschen, die sie verüben, und nicht die Strukturen, die sie ermöglichen, auch nicht die Türen, die sich vor Betroffenen schließen. Die Betroffenen selbst werden zum Problem, sind lästig und stören den vermeintlichen Frieden. Diese gängigen Abwehr-Strategien werden mit dem Akronym DARVO zusammengefasst, das für Deny, Attack, and Reverse Victim and Offender, also Leugnen, Angreifen und Täter*innen-Opfer-Umkehr, steht (Freyd 1997). Dass Hochschulen nicht adäquat, also nicht ihrer Fürsorgepflicht und gesellschaftlichen Verantwortung sowie oftmals nicht ihren eigenen Leitbildern entsprechend, auf die Gewalt reagieren, die ihre Studierenden und Mitarbeiter*innen erleben, sowie keine ausreichenden Maßnahmen setzen, um sie davor zu schützen, ist selbst eine Form der Gewalt, die wir mit Sara Ahmed als »institutionelle Gewalt« bezeichnen (Ahmed 2021, S. 179) und die eng mit »institutionellem Verrat« verknüpft ist (Smith und Freyd 2013, S. 119).

Universitäten sind eingebettet in eine Gesellschaft, in der geschlechtsspezifische Gewalt sowie andere Gewaltformen alltäglich sind. Gleichzeitig sind sie geprägt von Machtasymmetrien, hierarchischen Strukturen, Abhängigkeiten und Prekaritäten, die Gewalt besonders begünstigen. Die meisten Mitarbeiter*innen der Universitäten arbeiten beispielsweise auf befristeten Teilzeitstellen ohne Aussicht auf Festanstellung und ohne Vergütung der Überstunden. Laut Statistischem Bundesamt waren 2022 67 % des hauptberuflichen Universitätspersonals in Deutschland befristet angestellt. Machtmissbrauch und Gewalt sind in diesen Kontexten kein Hindernis, sondern im Gegenteil ein Karriere-Tool (Täuber und Mahmoudi 2022) – auch für diejenigen, die nicht hinschauen, nicht widersprechen, die sie verschweigen und sie so ermöglichen. Die dahinterstehende institutionelle Macht umfasst „das Recht, auszusetzen, was für andere verbindlich ist“ (Ahmed 2021, S. 48). Für Betroffene hat dies schwerwiegende Folgen: Psychologische Forschung zeigt etwa im Kontext von Fällen sexualisierter Gewalt eindrücklich, dass „sexuell missbrauchte Frauen, die auch institutionellen Verrat erlebten, höhere Werte bei mehreren posttraumatischen Symptomen“ aufwiesen (Smith und Freyd 2013, S. 122).

Ins Sprechen und Handeln kommen

Die zu Beginn angeführten Forschungsergebnisse machen deutlich, dass Gewalt an Institutionen wie der Universität an der Tagesordnung ist und System hat und somit Antworten auf struktureller Ebene bedürfen. Der Verweis auf die strukturelle Ebene lässt allerdings oftmals die Verantwortung auf individueller Ebene vergessen, d.h. er verschleiert die Tatsache, dass jede*r Einzelne im System Wissenschaft auch handlungsmächtig ist, das Bestehende mitzutragen oder auch zu versuchen, es zu ändern. Auch das Nicht-Sehen(-Wollen), das Nicht-Hören(-Wollen) und das Nicht-Handeln(-Wollen) sind Praktiken des Machterhalts, die als solche benannt werden müssen und die Menschen je nach Positionierung an Hochschulen in unterschiedlichem Ausmaß zur Verfügung stehen. Je privilegierter die eigene Position, desto leichter fällt es, Gewalt gänzlich zu ignorieren oder auf einer rein theoretischen Ebene zu analysieren und zu kritisieren.

Audre Lorde (1993, S. 43) betont, dass der Schritt vom Schweigen zum Sprechen und Handeln einer Transformation bedarf, die damit einhergehen muss, die eigene Rolle in diesem Prozess zu etablieren und zu analysieren. Dies ist aus unserer Sicht nicht nur aufseiten der Betroffenen und Überlebenden von Gewalt notwendig. Vielmehr müssen wir auch über eigene Erfahrungen des Ausübens oder des Bezeugens von Gewalt sprechen: Wo, wann, warum und wie haben wir beispielsweise rassistisch, sexistisch oder ableistisch gedacht, gesprochen oder gehandelt? Wo haben wir gesehen oder gehört, dass Anderen Gewalt angetan wurde, ohne dass wir eingeschritten sind? Was hätten wir als Betroffene, was als Täter*innen oder Zeug*innen gebraucht, um anders zu handeln? Wer hat uns (nicht) unterstützt, wen haben wir (nicht) unterstützt? Und vor allem: Wie können wir verhindern, dass sich Ähnliches wiederholt?

Praxis der Fürsorge und Solidarität: geteilte Verantwortlichkeit

In einer strukturell gewaltvollen Welt geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um »accountability«, also Verantwortlichkeit als beständige, geteilte Praxis der Fürsorge und Solidarität. Die auch hier zentrale Forderung danach, beim Kampf um Gleichstellung und Gerechtigkeit gerade auch jene mitzudenken und einzubinden, die zu den besonders Marginalisierten und Ver-Anderten gehören, hat in der feministischen Bewegung und Denktradition eine lange Geschichte. Wir können beispielsweise von der Kritik des Combahee River Collective (1977) an der weißen feministischen Bewegung lernen, die darauf abzielte, die eigene Lebenswirklichkeit aufzuzeigen und Solidarität einzufordern. Daran zeigt sich die doppelte Bedeutung dieser und ähnlicher Interventionen: Einerseits wird von jenen, die zu den Privilegierten gehören, Solidarität eingefordert, andererseits stellt die Forderung selbst auch eine Selbstvergewisserung und damit Stärkung jener dar, die zu den Ausgeschlossenen gehören.

Zentral ist dabei, als Kollektiv zu handeln und damit gemeinsam strukturelle Lösungen für strukturelle Probleme zu erarbeiten, statt auf einer rein individuellen Ebene etwa der Selbstverteidigungskurse für Frauen* zu verbleiben. In dieser Tradition sind auch die von Sara Ahmed beschriebenen »Complaint Collectives« zu verstehen. Diese beginnen damit, als feministisches Ohr“ (Ahmed 2021, S. 322) zu fungieren, also als eine Person, die anderen aktiv zuhört und jenes und jene hört, das und die unhörbar gemacht werden. Durch das (Zusammen-)Finden jener, die zum Sprechen und Zuhören bereit sind, können Kollektive gebildet werden, deren Teilnehmer*innen sich gegenseitig unterstützen können, beispielsweise Beschwerden einzubringen und durchzustehen. Complaint Collectives sind aber auch Orte des Lernens und der institutionellen Weisheit, in denen voneinander und über Mechanismen der Gewalt an Institutionen gelernt wird. Nicht zuletzt sind Complaint Collectives auch eine Erinnerung daran, dass Betroffene mit ihren Erfahrungen nicht allein sind (ebd., S. 322f.).

Auf den Punkt gebracht wird dies im Kontext der Forderungen nach »slow scholarship«, d.h. einer Form der Wissenschaft, die ein gutes Leben in der Wissenschaft ermöglicht. Mountz et al. (2015, S. 1251) benennen »take care« als eine der Strategien und halten dazu fest: „Eine feministische Ethik der Sorge ist persönlich und politisch, individuell und kollektiv. Wir müssen uns um uns selbst kümmern, bevor wir uns um andere kümmern können. Aber wir müssen uns um andere kümmern.“ Wir müssen also anfangen, gemeinsam weiter zu denken, zu sprechen, zu fühlen und zu handeln, statt vielfach zu erwarten, dass jemand anderes die Arbeit machen wird.

Eine feministische Praxis der Fürsorge ist eine Antwort auf die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis in Form eines gemeinschaftlichen Prozesses, in dem aus Erkenntnissen der (eigenen) Forschung, aber auch politischer Kämpfe und gelebter Erfahrungen, Schlüsse gezogen und ins eigene Handeln überführt werden. Dabei müssen wir uns gegenseitig verantwortlich machen (lassen), Macht anerkennen, die eigene Rolle verstehen und Verantwortung gerecht verteilen. Feminismus ist schließlich ein „politisches Projekt über das, was sein könnte“ (Olufemi 2020, S. 1), dem nicht nur die „Freiheit von“ beispielsweise Gewalt, sondern auch die „Freiheit zu“ (ebd., S. 9) inhärent ist. In welcher Welt, an welchen Hochschulen, so die damit einhergehende, scheinbar banale Frage, wollen wir miteinander leben? Und noch wichtiger: Wie kommen wir zu dieser/diesen?

Konsequenzen für eine feministische Friedensforschung

Wie oben beschrieben, widmet sich die Friedens- und Konfliktforschung der Analyse von Gewalt, kaum aber der Frage danach, wie mit Gewalt »in den eigenen Reihen« umgegangen werden kann. Diesem inneren Widerspruch zu begegnen, verstehen wir als Kernanliegen feministischer Friedensforschung. Dessen müssen wir uns bewusst sein, denn „[m]an könnte sich fragen, warum diese selbsternannten radikalen Feminist*innen nicht offen die Opfer unterstützen und institutionelle Veränderungen fordern. Tatsache ist, dass Täter*innen Expert*innen darin werden, sich durch Manipulation strategische Unterstützer*innen zu schaffen, indem sie beispielsweise mit den Arbeitsvulnerabilitäten der Betroffenen spielen“ (Viaene, Laranjeiro und Tom 2023, S. 218). Die Arbeit gegen institutionelle Gewalt sollte aus unserer Sicht also fester Bestandteil feministischer Friedensforschung sein, nicht zuletzt, weil wir alle etwa als Teil des Wissenschaftsbetriebs, vor allem aber als Teil der Gesellschaft nicht von Gewalt unberührt bleiben.

Zentral ist dabei das Einüben des Sehen-Wollens und Sprechen-Könnens für sich und Andere/mit Anderen, ohne dabei allerdings davon auszugehen, dass gerade die Ver-Anderten nicht in der Lage seien, für sich selbst zu sprechen. Dazu ist es notwendig, eigene Verstricktheiten anzuerkennen und Verantwortung zu übernehmen. Wie gehen wir beispielsweise mit Berichten über Gewalt in den eigenen Reihen um? Welche offenen Geheimnisse tragen wir weiter mit? Mit wem teilen wir Ressourcen, weil oder obwohl wir über deren Gewalterfahrungen (als Überlebende oder Täter*innen) wissen? Wer hat die Konsequenzen für Gewalt zu tragen? Welche wichtigen Perspektiven und Stimmen verlieren wir, weil Betroffene aufgeben?

Im Modus der Analyse zu bleiben, ist dafür viel zu kurz gedacht. Lassen wir uns daher berühren von der alltäglichen Gewalt, üben wir gemeinsam Praktiken der Fürsorge und Solidarität ein, um beständig an einer Welt mitzuwirken, in der ein gutes Leben für alle Realität sein darf. Wir schließen diesen Text mit einem Zitat von Audre Lorde, deren Wirken und Schreiben uns in der Auseinandersetzung auch mit eigenen Gewalterfahrungen immer wieder weitergeholfen hat, in der Hoffnung, dass es auch andere stärkt:

„Mein Schweigen hat mich nicht geschützt. Dein Schweigen wird dich nicht schützen. Aber für jedes echte Wort, das gesprochen wurde, für jeden Versuch, den ich jemals unternommen habe, um die Wahrheiten auszusprechen, nach denen ich immer noch suche, habe ich Kontakt zu anderen Frauen aufgenommen. Gemeinsam haben wir die Worte geprüft, um eine Welt zu erschaffen, an die wir alle glaubten, und dabei unsere Unterschiede überbrückt.“ (Lorde 1993, S. 41)

Anmerkung

1) Alle englischsprachigen Zitate in diesem Text wurden ins Deutsche übersetzt.

Literatur

Ahmed, Sara (2021): Complaint! Durham: Duke University Press.

Combahee River Collective (1977): The Combahee River Collective Statement.

Freyd, Jennifer J. (1997): Violations of power, adaptive blindness, and betrayal trauma theory. Feminism & Psychology 7, S. 22-32.

Lipinsky, Anke; Schredl, Claudia; Baumann, Horst; Humbert, Anne Laure; Tanwar Jagriti (2022): Gender-based violence and its consequences in European Academia, Summary results from the UniSAFE survey. Report, November 2022. UniSAFE project no.101006261.

Lorde, Audre (1993): The transformation of silence into language and action. In: Dies.: Zami, Sister Outsider, Undersong. New York: Quality Paperback Book Club, S. 40-44.

Mountz, Alison; Bonds, Anne; Mansfield, Becky; Loyd, Jenna; Hyndman, Jennifer; Walton-Roberts, Margaret; Basu, Ranu; Whitson, Risa; Hawkins, Roberta; Hamilton, Trina; Curran, Winifred (2015): For slow scholarship: A feminist politics of resistance through collective action in the neoliberal university. ACME: An International E-Journal for Critical Geographies 14(4), S. 1235-1259.

Olufemi, Lola (2020): Feminism interrupted: Disrupting power. London: Pluto.

Smith, Carly Parnitzke; Freyd, Jennifer J. (2013): Dangerous safe havens: Institutional betrayal exacerbates sexual trauma. Journal of Traumatic Stress 26(1), S. 119-124.

Täuber, Susanne; Mahmoudi, Morteza (2022): How bullying becomes a career tool. Nature Human Behaviour 6(4), 475.

Viaene, Lieselotte; Laranjeiro, Catarina; Tom, Miye Nadya (2023): The walls spoke when no one else would: Autoethnographic notes on sexual-power gatekeeping within avant-garde academia. In: Pritchard, Erin; Edwards, Delyth (Hrsg.): Sexual misconduct in academia: Informing an ethics of care in the university. London: Routledge, S. 208-225.

Nein zum Krieg!

Plädoyer für eine antimilitaristische feministische Friedensforschung

von Claudia Brunner

Als das Auswärtige Amt der BRD 2023 seine Leitlinien feministischer Außenpolitik präsentierte, waren bereits die ersten der 100 Milliarden Euro des Sondervermögens für die Bundeswehr in Rüstungskonzerne geflossen. Zugleich beschwören EU-Politiker*innen fast jeder Couleur mit Bezug auf ihre Kriegspolitik in der Ukraine ein gewaltfreies, demokratisches und in Geschlechterfragen fortschrittliches »Friedensprojekt Europa«. Zu dessen »Verteidigung« proklamieren sie den Krieg als neue Selbstverständlichkeit. Auch in Bezug auf die Unterstützung anderer Militäreinsätze wird gern ein Diskurs geschlechterpolitischer Emanzipation zur Argumentation über die vermeintlich nicht gewaltförmige »westliche Zivilisation« bemüht. Zahlreiche Beispiele ließen sich dafür nennen, denn im kolonial-modernen, kapitalistischen, rassistisch-heteropatriarchalen Weltsystem bleibt die Kategorie Geschlecht ein grundlegender Faktor für materielle und immaterielle Formen der Kriegsführung. Sie kann aber auch als Ressource für antimilitaristisch-feministisches Widersprechen genutzt werden. Dieses Widersprechen richtet sich gegen jegliche Form (inter-)national organisierter Massenmobilisierung für den Krieg als legitimes Mittel der Konfliktaustragung.1

Friedensfazilitäten und andere Euphemismen

Seit dem Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine im Februar 2022 beschleunigen und normalisieren sich militarisierte Politiken und Diskurse nicht nur im NATO-Mitgliedsstaat BRD, sondern auch in den neutralen Staaten Österreich und Schweiz. Krieg wird nicht mehr als historisches Ereignis verhandelt, sondern als gesamtgesellschaftliche Verantwortung in Gegenwart und Zukunft.

Um dafür Zustimmung zu erlangen, benötigt es umfassende diskursive, kognitive und affektive Ressourcen der Rechtfertigung und moralischen Überhöhung militärischen politischen Handelns. Hinzu kommen ein gehöriges Maß an vorauseilendem Gehorsam (der auch von weiten Teilen der akademischen Welt und von einst gewaltkritischen politischen Akteur*innen geleistet wird) und repressive Staatsapparate, deren Maßnahmen mit sich normalisierenden Denkgeboten und Sprechverboten im akademischen wie auch im öffentlichen Raum sehr gut kompatibel sind. Frappierend ist dies aktuell im Fall Deutschlands, das als besonders kriegsgeläutert und daher dem Militarismus wie auch dem Nationalismus besonders abgeneigte Nation gilt – gegenwärtig jedoch einer der wichtigsten Unterstützer und auch Waffen- und Rüstungslieferanten der Ukraine wie auch Israels ist (Rosa Luxemburg Stiftung 2023).

Doch bereits vor diesen beiden zwar höchst unterschiedlichen, aber in Bezug auf die Normalisierung von Krieg aktuell besonders wirkmächtigen »Anlassfällen« stand Aufrüstung unter der verharmlosenden Wortschöpfung »Europäische Friedensfazilität« (EFF)2 weit oben auf der politischen Agenda der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Nach jahrelang vertiefter »gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) wurde 2021 mit der EFF der bereits 2004 implementierte »Athena-Mechanismus« ersetzt. Das nach der griechischen Göttin (auch) der Kriegsführung benannte Vertragswerk hatte 15 Jahre lang der Finanzierung gemeinsamer EU-Militäroperationen gedient – und damit der Wahrung ökonomischer und geopolitischer Interessen der EU. Militärisch exekutiert wurden diese Interessen allerdings in so weiter Ferne, dass der Mythos einer genuin europäischen Friedensordnung, die ihre von konkreten ökonomischen und geopolitischen Interessen abstrahierten Werte zu verteidigen habe, weitgehend intakt bleiben konnte. Die gegenwärtige Militarisierung Europas ist aus dieser Perspektive keine Neuigkeit. Vielmehr steht sie in der Tradition einer über 500 Jahre währenden und eng mit der Entwicklung des Kapitalismus verschränkten und vom Krieg konstituierten Expansionspolitik, die sich gegenwärtig neu etabliert.

Ausweitung der Kampfzone

Mannigfaltige Erscheinungsformen eines „zivilisatorischen Feminismus“ (Vergès 2021, S. 43)3 stellen dafür eine willkommene Ressource bereit (Brunner 2022), indem sie mit dem kolonialen Erbe einer auch über Geschlechterfragen postulierten Überlegenheit die eigene militärische Gewaltausübung legitimieren. Bei anhaltender Beschwörung einer (auch) auf „sex­ualpolitischer“ (Dietze 2017) Fortschrittlichkeit beruhenden Gewaltaversion der sogenannten westlichen Welt werden die wenigen feministischen Stimmen, die heute laut »Nein zum Krieg!« rufen, lächerlich oder beinahe unhörbar gemacht. Das ist weder Zufall noch Widerspruch. Diese auf dem heteropatriarchalen Erbe des kolonial-kapitalistischen Weltsystems beruhende Praxis bildet einen integralen Bestandteil der auch diskursiv hervorgebrachten „Zeitenwende“ (Olaf Scholz), die uns alle in die Pflicht einer umfassenden „Kriegstüchtigkeit (Boris Pistorius) nehmen will. Vor dem Hintergrund einer (nicht nur) europaweiten autoritären Wende werden wir als Adressat*innen einer zerstörerischen Zukunft in einem „militarisierten Kapitalismus“ (Robinson 2020, S. 71ff.) angesprochen, für die bereits heute sowohl materiell als auch immateriell aufgerüstet wird.

Militarisierte Dividende

Aus feministischer Perspektive bemerkenswert ist die Tatsache, dass aktuell in Österreich und der Schweiz Frauen an der Spitze der jeweiligen Armeen stehen. Deutschland blickt auf ein ganzes Jahrzehnt (2013-2023) von Frauen in politischer Verantwortung für das Militär zurück.4 Hegemonial angeeignete Diversitätspolitik (etwa verstärkte Bemühungen zur Integration von Frauen ins Militär und die gezielte Adressierung queerer Staatsbürger*innen sowie solcher mit Migrationsgeschichte) und »eingebetteter Feminismus«, der genau diese Aneignung als geschlechterpolitische Emanzipation feiert, tragen zu einer gesellschaftlich breit akzeptierten „Ausweitung der Kampfzone (Brunner 2016) bei. Die nur geringfügig modifizierte Regenbogenfahne wird heute als Symbol der LGBTQ-Bewegung nicht nur für den Frieden gehisst,5 sondern auch im Namen des »gerechten Krieges« – ein Phänomen, das sich in das breite Spektrum eines von queeren Theoretiker*innen so genannten »Homonationalismus« bzw. »queeren Imperialismus« einfügt (vgl. ebd.). Dabei werden immer mehr gesellschaftliche Gruppen in das Paradigma des vormals rein hetero-cis-männlich konnotierten Militärischen integriert.

Vormals entlang von Geschlechterfragen gesellschaftlich benachteiligten Akteur*innen wird durch ihre Teilhabe an der Selbstverständlichkeit des Krieges eine »militarisierte Dividende«6 der gesellschaftlichen Anerkennung zuteil, während sie in sozial-, gesundheits- oder bildungspolitischen und erst recht in explizit frauen­politischen Fragen zu Bescheidenheit (»keine Butter«) aufgefordert werden.7 Dieser unrühmliche Profit mag auch die Nonchalance erklären, mit der in den eingangs genannten Leitlinien zur deutschen feministischen Außenpolitik festgehalten wird, dass diese nicht gleichbedeutend seien mit Pazifismus (Brunner 2023).

Intersektionaler feministischer Antimilitarismus

Die vor diesem Hintergrund erneut zu beobachtende, stets mit weiblich konnotierten Zuschreibungen von Naivität, Passivität und Schwäche einhergehende Abwertung von Pazifismus als verantwortungsloser individueller Gesinnungsethik erschwert eine ernsthafte Debatte über Antimilitarismus, die auf staatlich organisierte Gewalt und Krieg als systemimmanentes Herrschaftsinstrument abzielt8 – und ebenfalls eine lange feministische Tradition hat. Diese Debatte aus intersektional-feministischer Perspektive zu führen bedeutet spätestens seit dem Internationalen Frauenfriedenskongress 1915 in Den Haag vor allem eines: Nicht nur die jeweiligen Exzesse konkreter Kriege gilt es anzuprangern, sondern die Ursprünge des Krieges in ihrer Verschränkung von Militarismus, Nationalismus, Kolonialismus bzw. Imperialismus, Kapitalismus und Patriarchat – und auch deren Profiteur*innen.

An der Schnittstelle von post- und dekolonialer bzw. (post-)marxistischer und indigener Theoriebildung wird der genannte Zusammenhang insbesondere von Schwarzen und Feminist*innen aus dem Globalen Süden seit vielen Jahrzehnten überzeugend vertreten. Denn „[w]ie kann man erwarten, dass der Staat das Problem der Gewalt an Frauen lösen wird, wenn er immerfort seine eigene Geschichte von Kolonialismus, Rassismus und Krieg rekapituliert?“ (Angela Davis, zit. n. Vergès 2024, S. 114) Aber auch zahlreiche weiße Feminist*innen, die stärker in akademische Felder der internationalen Politik, der Friedens- und Konfliktforschung und verwandter Disziplinen integriert sind, weisen seit langem auf die vielschichtigen Implikationen von Militarisierung und Krieg als zentralem Organisationsprinzip kapitalistisch-patriarchaler Vergesellschaftung hin (Enloe 2023). Nicht zuletzt sind es auch feministische Antikriegs-Aktivist*innen, die diese Erkenntnis zur Grundlage ihres Widerspruchs machen – und daher in der Öffentlichkeit umso massiver diskreditiert werden.

Streitbare Diskursunterbrechung

Ausgehend von diesem Verständnis eines intersektionalen feministischen Antimilitarismus fasse ich exemplarisch einige Argumentationen gegen den Krieg einer bekannten feministischen Philosophin zusammen. Die Tatsache, dass Judith Butler gerade aufgrund ihrer Aussagen zu Krieg und Gewalt(-losigkeit) heute eine der am stärksten angefeindeten Intellektuellen ist, verweist auf die Treffsicherheit ihrer Kritik, die normalisierende Narrative und Epistemologien kolonialer und imperialer Gewalt akkurat freilegt.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten spricht sich Butler gegen den Krieg als Mittel der Politik aus. Ihre auf heteronormative Geschlechterverhältnisse fokussierende Auseinandersetzung mit der Gewaltförmigkeit sozialer Normen weitete sich seither zu einer Kritik auch struktureller und direkter physischer Gewalt im Kontext internationaler Politik und staatlicher Verantwortung. Insbesondere am US-geführten Krieg gegen den Terrorismus nach »9/11« arbeitete sie jenen in kolonialen und imperialen Herrschaftsverhältnissen tief verankerten epistemischen Rassismus/Sexismus heraus (Butler 2010), der ihren queer-theoretischen Ansatz zu einer lohnenden Ressource für einen intersektional-feministischen Antimilitarismus macht. Es geht ihr darum, unterschiedliche Erscheinungsformen von Gewalt zu analysieren und in zweierlei Hinsicht miteinander in Beziehung zu setzen: zum einen hinsichtlich der Rechtfertigung von Gewalt, und zum anderen hinsichtlich der epistemischen Vorbedingungen jenes Wissens, mit dem sich überhaupt von Gewalt sprechen und Kritik an ihr üben lässt (Brunner 2020).

Ihre unmissverständliche Kritik gilt auch dem Bellizismus Israels, den sie an dessen von ethnischer Säuberung begleiteter zionistischer Gründungsgeschichte (Butler 2012) ebenso wie in gegenwärtigen Praktiken einer auch vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag unlängst so benannten Apartheidpolitik festmacht. Damit findet sich die streitbare US-amerikanische Feministin heute mehr denn je in einem Kreuzfeuer an Anfeindungen wieder, gerade auch im deutschsprachigen Raum, wo die Sicherheit Israels als Staatsräson zu gelten hat. Darüber hinaus kritisiert sie vor allem den stets bewaffneten Imperialismus der USA seit über zwanzig Jahren mit anhaltender Schärfe. Indem sie diesen auch mit der massiven Unterstützung der Ukraine durch die NATO in Verbindung bringt, macht sie sich auch in Bezug auf diesen aktuellen Krieg nicht viele Freund*innen, auch nicht unter Feminist*innen.

Affekte und Ambivalenzen

Butlers Kriegsbegriff zielt nicht nur auf die materielle Praxis (zwischen-)staatlich organisierter Gewaltanwendung ab, sondern vor allem auf die immateriellen Prämissen, die den Krieg immer wieder als selbstverständliche Option des Politischen erscheinen lassen. Sie erinnert daran, dass Krieg nicht einfach erklärt und geführt wird, sondern immer auch diskursiv mit hervorgebracht und affektiv verankert werden muss. Gerade dort, in den epistemischen Prämissen der (Il-)Legitimität von staatlich organisierter Gewalt einerseits und von bewaffnetem Widerstand sozialer Bewegungen andererseits, hat Butler zufolge eine vertiefte Analyse von Kriegsursachen und Gewaltkontexten zu beginnen (Butler 2023). Und diese sind stets vielschichtiger und widersprüchlicher als militarisierte und militärische Politiken es zu sein vorgeben.

Diese doppelte Herausforderung macht Butler zum Ausgangspunkt nicht nur politischer, sondern auch akademischer Verantwortung in Zeiten des Krieges. Denn öffentliche Auseinandersetzungen können nur darüber geführt werden, wo auch Ambivalenz zugelassen wird, so Butler. Wenn nicht nur selektive Empathie eingefordert wird, sondern Rahmungen zur Verfügung stehen, die komplexe historische Kontexte und gegenwärtige Deutungskämpfe als konstitutiven Teil von organisierter Gewalt sichtbar werden lassen, können auch politische Alternativen zu Krieg als vermeintlich unvermeidbarem Handlungsmodus eröffnet werden. Demzufolge ist Dissidenz vom und im dominanten Herrschaftsdiskurs, also ein lautes und deutliches »Nein zum Krieg!«, die erste Voraussetzung für eine herrschaftskritische feministische Friedensforschung. Antimilitarismus ist dann nicht nur ein möglicher Untersuchungsgegenstand unter vielen, sondern eine normative Orientierung für eine wissenschaftliche Praxis des Widersprechens. Feminismus steht einst wie heute für eine zentrale Forderung: »Subvert the dominant paradigm!« Und Friedensforschung ist auch ihren Anfängen an der Seite der Friedensbewegung verpflichtet. Angesichts einer zunehmend militarisierten Gegenwart und Zukunft folgt daraus als logische Konsequenz die Arbeit an einem konsequent intersektionalen feministischen Antimilitarismus ebenso wie an einem antimilitaristischen Feminismus.

Anmerkungen

1) Danke an Helmut Krieger und Anne Rieger für Diskussionen in der Entstehung dieses Texts, und den Herausgeber*innen dieses Dossiers für redaktionelle Interventionen.

2) Der aus der Finanzwirtschaft entlehnte Begriff Fazilität bezeichnet die Möglichkeit, einen Kredit zu erhalten.

3) Alle englischsprachigen Zitate in diesem Text wurden ins Deutsche übersetzt.

4) Viola Amherd (CH), Klaudia Tanner (Ö), Ursula von der Leyen (D), Annegret Kramp-Karrenbauer (D) und Christine Lambrecht (D). Die Letztgenannte, und einzige aus dem linken politischen Spektrum (SPD), musste vor allem wegen ihrer Zurückhaltung gegenüber Waffenlieferungen an die Ukraine zurücktreten.

5) In den 1960er Jahren wurde sie in Italien als weit verbreitetes Anti-Kriegs-Symbol verwendet, ihre Ursprünge in den USA gehen sogar auf den Vorabend des Ersten Weltkrieges zurück. Auch vom Weltfriedenskongress wurde sie als offizielles Symbol verwendet. Erst Ende der 1970er Jahre erfolgte die Umdeutung der Regenbogenfahne in der Schwulen- und Lesbenbewegung.

6) Diese Formulierung ist inspiriert von Gabriele Dietzes „okzidentalistischer Dividende“, mit der sie wiederum Raewyn Connells Begriff der patriarchalen Dividende“ im Sinne eines intersektionalen Feminismus weiterdenkt (Dietze 2009).

7) Bemerkenswert unbemerkt bleibt dabei (unter anderem), dass die von Pistorius unlängst wiederbelebte Phrase von »Kanonen statt Butter« von Rudolf Hess als Leitlinie für nationalsozialistische Wirtschaftspolitik formuliert wurde. Scholz und Pistorius gehören der SPD an, die sich in ihrem Programm für die Europawahlen 2024 als „die Friedenspartei in Deutschland“ (SPD 2024, S. 23) bezeichnet.

8) Zur Abgrenzung von Pazifismus und Antimilitarismus siehe Beyer 2012.

Literatur

Beyer, Wolfram (2012): Pazifismus und Antimilitarismus. Stuttgart: Schmetterling.

Brunner, Claudia (2016): Expanding the combat zone. International Feminist Journal of Politics 18(3), S. 371-389.

Brunner, Claudia (2020): Ringen um Gewaltfreiheit mit Judith Butler. In: Boelderl, Artur; Esterl, Ursula; Mitterer, Nicola (Hrsg): Poetik des Widerstands. Salzburg: StudienVerlag, S. 76-91.

Brunner, Claudia (2022): Still Loving the F-Word. Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung 11(2), S. 153-164.

Brunner, Claudia (2023): Feministische Militarisierung? Ausdruck. Magazin der Informationsstelle Militarisierung e.V. 21(113), S. 15-17.

Butler, Judith (2010): Raster des Krieges. Frankfurt a.M.: Campus.

Butler, Judith (2012): Am Scheideweg. Frankfurt a.M.: Campus.

Butler, Judith (2023): The compass of mourning. London Review of Books 20(45), online.

Dietze, Gabriele (2009): Okzidentalismuskritik. In: Dietze, Gabriele; Brunner, Claudia; Wenzel, Edith (Hrsg.): Kritik des Okzidentalismus. Bielefeld: transcript, S. 23-54.

Dietze, Gabriele (2017): Sexualpolitik. Frankfurt a.M.: Campus.

Enloe, Cynthia (2023): Twelve feminist lessons of war. Oakland: University of California Press.

Robinson, William I. (2020): The global police state. London: Pluto.

Rosa Luxemburg Stiftung (2023): Dis:arm. Podcast #16.

SPD (2024): Gemeinsam für ein starkes Europa, online.

Vergès, Françoise (2021): A decolonial feminism. London: Pluto.

Vergès, Françoise (2024): Eine feministische Theorie der Gewalt. Wien: Passagen.

Antifeministische Angriffe auf die Friedenspolitik

von Victoria Scheyer

Europa ist weiter nach rechts gerückt. Die Wahlen zum EU-Parlament haben eine Konsolidierung rechtsextremer Parteien in Europa gezeigt (Becker und von Ondarza 2024) und in mehreren europäischen und nicht-europäischen Ländern sind rechte und rechtsex­treme Parteien entweder an den Regierungen beteiligt oder haben diese übernommen (Brandt 2024). Auch in Deutschland zeichnet sich ein Rechtsruck ab. Die Erfolge der AfD bei den Landtagswahlen im Herbst 2024 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zeigen, wie erfolgreich sich rechte und rechtsextreme Ideologien verbreiten.

Rechtsextremismus und rechte Parteien stellen eine Bedrohung für die Demokratie, Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit dar. Rechtsextreme Ideologien von europäischen Parteien, wie z.B. der Schwedendemokraten in Schweden, der PiS in Polen oder der AfD in Deutschland, basieren auf Vorstellungen weißer Vorherrschaft und Nationalismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und sind meist demokratiefeindlich und antifeministisch. Antifeminismus ist ein fester Bestandteil rechtsextremer Ideologie und richtet sich gegen Geschlechtergleichstellung, sexuelle Vielfalt und reproduktive Selbstbestimmung. Nationalismus, Rassismus und die Unterdrückung weiblicher Selbstbestimmung sind eng verbunden, um die Reproduktion des Volkes zu kontrollieren (Yuval-Davis 1997). Feminismus gehört neben Migration zu den wichtigsten Feindbildern des Rechtsextremismus (Amadeu Antonio Stiftung 2024).

Die Auswirkungen rechter Regierungen oder Regierungsbeteiligungen auf Geschlechter- und Menschenrechtspolitik haben sich bereits vielfältig auf nationaler Ebene gezeigt, wie z.B. in den »LGBTQI*-Ideologie freien Zonen« in Polen oder beim Verbot von Gender Studies in Ungarn (Cornejo-Valle und Ramme 2022). Auch auf internationaler Ebene sind Auswirkungen rechter Politik auf feministische und friedenspolitische Errungenschaften beobachtbar. Dieser Artikel zeigt auf, wie sich rechtsextremer Antifeminismus auf Friedenspolitik und Menschenrechte auswirkt und diskutiert die Herausforderungen für die feministische Friedensforschung und -praxis.

Angriffe auf feministische Errungenschaften von Rechts

Sowohl in der Forschung als auch in der Praxis sind feministische Perspektiven auf Menschenrechte und Frieden fest verankert. Internationale und regionale Gesetzgebungen und Richtlinien bilden heute das politische Rahmenwerk für gendersensible Menschenrechte, reproduktive Gerechtigkeit sowie den Schutz und die Partizipation von Frauen und LGBTQI+-Personen in Konflikt- und Kriegskontexten. Dazu gehören die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW, 1979), die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt (2011), die Yogyakarta-Prinzipien zur Verankerung der Menschenrechte im Zusammenhang mit sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität (2006) sowie die Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit (Women, Peace and Security, WPS) der Vereinten Nationen (seit 2000) oder auch die Einführung feministischer Außen- und Entwicklungspolitiken in verschiedenen Ländern (seit 2014). Auch die Anerkennung von sexualisierter Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie als Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist ein großer Erfolg jahrzehntelanger Lobbyarbeit von transnationalen feministischen Friedensbewegungen auf der ganzen Welt.

Die diversen feministischen Bemühungen stoßen bereits ohne Zutun rechtsex­tremer Parteien und transnationaler anti­-gender Bewegungen auf erheblichen politischen Widerstand und strukturelle Herausforderungen. Der aktuelle Rechtsruck in Europa verschärft dies zu einer Bedrohung, da solche Parteien in Regierungsbeteiligung zunehmend gezielte Angriffe auf Fortschritte in Bereichen wie Geschlechtergleichstellung, reproduktive Rechte und LGBTQI+-Rechte starten. Außenpolitisch verteidigen rechte und rechtsextreme Parteien nationale Interessen und Souveränität, sind gegen Globalisierung, internationale Interventionen, unterstützen autoritäre Regime wie das Putins in Russland und kooptieren den Friedensbegriff für ihre rassistischen Zwecke (Wojczewski 2024; Teidelbaum 2024). Die Gefahr, dass hart erkämpfte Rechte geschwächt oder rückgängig gemacht werden, wächst kontinuierlich. Im Folgenden werden drei konkrete Angriffe auf feministische Errungenschaften diskutiert.

1) Angriff auf feministische Außenpolitik

Immer mehr Länder haben sich seit 2014 zu feministischen Außen- und Entwicklungspolitiken verpflichtet, darunter Kanada, Deutschland und Kolumbien. Feministische Außenpolitik bedeutet für Regierungen, sich global für Frauenmenschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen mit besonderem Fokus auf Konflikte oder Entwicklungspolitik. Eine solche feministische Außenpolitik bleibt nicht nur in vielen Ländern umstritten, sondern gerät auch ins Visier rechtsextremer Politik. Im Jahr 2023 – also in dem Jahr, in dem Deutschland eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik verkündete – schaffte die schwedische Regierung unter Beteiligung der rechtsextremen Schwedendemokraten ihre feministische Außenpolitik ab und kürzte daraufhin rund 40 % ihres Budgets für den Friedensaufbau (Worley 2023). Schweden ist damit das Land, das eine feministische Außenpolitik zuerst einführte und auch als erstes wieder abschaffte.

Vor den nationalen Wahlen 2023 plante auch Argentinien eine progressive feministische Außenpolitik, die sogar in der Verfassung verankert werden sollte. Nach dem Sieg des Rechtspopulisten Javier Milei der Partido Libertario wurde nicht nur die Idee der feministischen Außenpolitik ad acta gelegt, sondern auch das Ministerium für Frauen, Gender und Diversität abgeschafft (Pausch 2024). In den Niederlanden hat das Außenministerium noch 2022 eine feministische Außenpolitik angekündigt und 2023 die zweite Konferenz für feministische Außenpolitik ausgerichtet. Allerdings ist seit Juli 2024 die rechte Partij voor de Vrijheid von Geert Wilders Teil der neuen niederländischen Regierung, welche nicht nur die Zukunft der feministischen Außenpolitik in Frage stellt, sondern auch extrem gegen LGBTQI+-Rechte hetzt (Middleton 2023).

2) Kürzungen von Friedens- und Entwicklungspolitikbudgets

Auch wenn Entwicklungspolitik und Feministische Außenpolitik nicht deckungsgleich sind, sind es meist entwicklungspolitische Töpfe, aus denen feministische Organisationen, Frauenmenschenrechte oder der Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen finanziert wird. Eine Studie von Alexandros Tokhi und Lisbeth Zimmermann zeigt, dass rechte Regierungen ihre Entwicklungsgelder bzw. Unterstützungen von internationalen Organisationen im Durchschnitt um 30 % reduzieren. Das Ziel rechter Regierungen ist es, Gelder für multilaterale Zusammenarbeit für die Reduzierung von Migration zu verwenden, um damit ihre rassistische Grenzpolitik zu stärken, sowie liberalen Werten internationaler Organisationen, inklusive Geschlechtergerechtigkeit und reproduktiver Rechte, entgegenzuwirken (Tokhi und Zimmermann 2024).

Ein Beispiel für konkrete Einschränkungen von Entwicklungsgeldern ist die Ausweitung der »Global Gag Rule« während Donald Trumps erster Präsidentschaft. Diese Regel verbot es ausländischen Organisationen, die US-Gelder erhalten, Abtreibungsdienste anzubieten oder zu unterstützen. Trumps erweiterte Version betraf nicht nur Familienplanung, sondern auch globale Gesundheitsprogramme, einschließlich HIV/AIDS-Bekämpfung und pränataler Versorgung. Dies führte dazu, dass viele Organisationen entweder auf US-Mittel verzichten mussten oder ihre Gesundheitsdienste einschränkten, was die reproduktive Gesundheit in Krisen- und Konfliktkontexten erheblich beeinträchtigte (Ahmed 2020).

Einige rechte Parteien wollen nicht nur Gelder für internationale Zusammenarbeit kürzen, sondern Entwicklungspolitik vollständig abschaffen. Die Entwicklungsministerin Reinette Klever der neuen rechten Regierung in den Niederlanden hat sich für die Abschaffung von Entwicklungsgeldern eingesetzt (Crawfurd et al. 2024). Aber auch die AfD und die Schwedendemokraten haben sich für die Streichung von EU-Geldern für Entwicklungspolitik ausgesprochen.

3) Angriffe auf Menschenrechtskonventionen

Der Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention im Jahr 2021 zeigt, wie schnell ideologische Überzeugungen zu Rückschritten bei hart erkämpften Menschenrechtsfortschritten für Frauen und LGBTQI+-Personen führen können (Altan-Olcay und Oder 2021). Während die AKP diese Entscheidung mit anti-westlicher und anti-europäischer Haltung legitimiert, rechtfertigen andere europäische Regierungen und rechte Parteien ihre Opposition zur Istanbul-Konvention mit der sogenannten »Gender-Ideologie«, die angeblich die Zerstörung heteronormativer Familien und Geschlechteridentitäten zum Ziel habe (Graff und Korolczuk 2021). Ungarn, Bulgarien, Litauen, Tschechien und Lettland haben sich im EU-Parlament gegen die Ratifizierung der Istanbul-Konvention eingesetzt. Trotzdem wurde sie 2023 von der EU ratifiziert.

In Deutschland hat die AfD auf den Schritt der türkischen Regierung mit Verständnis reagiert (Kourou und Scheyer 2024). 2023 forderte die AfD-Europaparlamentarierin Christine Anderson, dass Deutschland aus der „schädlichen“ Konvention austreten solle, weil diese die „Augen vor importierter Gewalt gegen Frauen verschließt“ (AfD Kompakt 2023).

Während es bisher wenige Beispiele solcher offiziellen Rücktritte von Menschenrechtskonventionen gibt, ist der Widerstand gegen und Angriff auf feministische Errungenschaften in Parlamenten fest verankert und normalisiert. Die AfD hat in den letzten Jahren immer wieder kleine Anfragen im Bundestag gegen die WPS-Agenda gestellt, wollte feministischen Organisationen die Finanzierung oder Gemeinnützigkeit entziehen lassen und griff wiederholt die feministische Außenpolitik an.

Diese Beispiele zeigen vor allem, wie schnell ein Austritt aus oder Angriff gegen Menschenrechtskonventionen vollzogen werden kann, während es im Vergleich dazu viele Jahre braucht, bis eine feministische Agenda eingeführt oder gar umgesetzt wird. Antifeministische Angriffe setzen nicht nur Fortschritt und Weiterentwicklung feministischer Politik unter Druck, sondern ihre Existenz.

Feministische Friedenspraxis in einem rechtspopulistischen politischen Klima

Kritik an vielen Aspekten dieser als feministisch beschriebenen globalen Politik gibt es auch aus feministischer Perspektive. Kritische feministische Stimmen sehen zum Beispiel sowohl die WPS-Agenda als auch feministische Außenpolitik in ihrer derzeitigen Form als problematisch an – nicht zuletzt, weil Staaten im Namen dieser Politik Militarisierung vorantreiben und rassistische Grenzregime ausbauen. Allerdings geht es im Gegensatz zu den Angriffen von rechts bei dieser Kritik um die Stärkung eines feministischen Friedens und die Weiterentwicklung dieser Policies. Die Kritik zielt darauf ab, patriarchale Gewalt zu verringern, und kritisiert eurozentristische und koloniale Strukturen in westlicher Außen- und Entwicklungspolitik (Hagen und Haastrup 2020). Denn auch wenn diese Instrumente Geschlechtergerechtigkeit international zu verankern helfen, bleiben sie Teil eines internationalen politischen Systems, welches oft einer Top-down-Logik folgt und (neo-)koloniale Machtstrukturen aufrechterhält. Ein Beispiel solcher kolonialen Kontinuitäten ist die hierarchische Trennung zwischen dem Lokalen und dem Internationalen (Acharya 2004; Hagen und Haastrup 2020): Als »lokal« gelten z.B. Frauengruppen in Konfliktgebieten, die von internationalen Hilfsgeldern und Politiken abhängig sind und oft wenig Einfluss haben. Entscheidungen über die Umsetzung der WPS-Agenda oder feministischer Außenpolitik werden hingegen auf internationaler Ebene getroffen und über Entwicklungsprogramme oder -gelder umgesetzt. Dadurch werden Frauen aus dem Globalen Süden als »machtlose Opfer« dargestellt und patriarchale Gewalt als ein »Problem woanders« normalisiert (Hagen und Haastrup 2020). Kritische feministische Forscher*innen und Aktivist*innen fordern, dieses Top-down-Gefälle inklusive Machtstrukturen aufzubrechen, Reparationen für koloniale Ausbeutung und Gewalt zu leisten sowie inklusive und gerechte Strukturen internationaler Zusammenarbeit aufzubauen.

Während wir damit beschäftigt sind, uns für die Dekolonisierung internationaler und feministischer Politik einzusetzen, formiert sich gleichzeitig der Anti­feminismus und Widerstand von rechts neu. Die wachsende Macht rechtsextremer Regierungen verstärkt den patriarchalen Widerstand, eng verknüpft mit weißer Vorherrschaft, die sich sowohl in kolonialen Machtstrukturen als auch im Rechtsextremismus manifestiert.

Die Kritik und der Angriff auf feministische Errungenschaften führen für uns feministische Forscher*innen zu einem Dilemma: Einerseits bemühen wir uns, bestehende Agenden weiterzuentwickeln, sie zu dekolonisieren und vor allem intersektional und inklusiv zu gestalten; andererseits sehen wir uns nun gezwungen, genau diese ambivalenten Agenden zu verteidigen. Um dieses Dilemma zu überwinden, müssen wir uns dringend wichtigen Fragen widmen: Wie können wir eine antirassistische feministische Agenda aktiv und selbstbewusst vorantreiben, ohne in die Defensive zu geraten? Wie können wir unsere radikalen Forderungen für Gerechtigkeit konsequent aufrechterhalten, auch wenn wir gleichzeitig für grundlegende Rechte kämpfen müssen? Oder brauchen wir neue radikalere Ansätze des feministischen Widerstands für Frieden, weil Staaten ohnehin keine feministische Politik umsetzen?

Literatur

Acharya, Amitav (2004): How ideas spread: whose norms matter? Norm localization and institutional change in Asian regionalism. International Organization 58(2), S. 239-275.

AfD Kompakt (2023): EU sollte Istanbul-Konvention nicht anerkennen. AfD Kompakt.

Ahmed, Zara (2020): The unprecedented expansion of the Global Gag Rule: Trampling rights, health and free speech. Washington D.C.: Guttmacher Institute.

Altan-Olcay, Özlem; Oder, Bertil Emrah (2021): Why Turkey’s withdrawal from the Istanbul Convention is a global problem. Open Democracy, 2.6.2021.

Amadeu Antonio Stiftung (2024): (R)echte Männer und Frauen. Analysen zu Geschlecht und Rechtsextremismus. Berlin: Amadeu Antonio Stiftung.

Becker, Max; von Ondarza, Nicolai (2024): Begrenzte rechte Neuordnung im Europäischen Parlament. SWP-Aktuell 2024/A 46. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 10.9.2024.

Brandt, Mathias (2024): Infografik: Wie stark ist die extrem Rechte in Europa? Statista Daily Data, 8.7.2024.

Cornejo-Valle, Monica; Ramme, Jennifer (2022): We don’t want rainbow terror: Religious and far-right sexual politics in Poland and Spain. In: Möser, Cornelia; Ramme, Jennifer; Takács, Judit (Hsrg.): Paradoxical right-wing sexual politics in Europe. Cham: Springer International Publishing, S. 25-60.

Crawfurd, Lee; Dissanayake, Ranil; Käppeli, Anita (2024): Foreign aid in a time of right-wing populism. Center For Global Development Blog, 24.7.2024.

Graff, Agnieszka; Korolczuk, Elżbieta (2021): Anti-­gender politics in the populist moment. London u.a.: Routledge.

Hagen, Jamie J.; Haastrup, Toni (2020): Global racial hierarchies and the limits of localization via National Action Plans. In: Basu, Soumita; Kirby, Paul; Shepherd, Laura J. (Hrsg.): New directions in Women, Peace and Security. Bristol: Bristol University Press, S. 133-151.

Kourou, Nur Sinem; Scheyer, Victoria (2024): Antifeminist strategies of right-wing parties in Turkey and Germany: A comparative analysis of gender and sexuality politics. In: Altay, Tunay; Al-Ali, Nadje; Galor, Katharina (Hsrg.): Queer feminist critiques: Resisting far-right politics in the Middle East and Europe. Edinburgh: Edinburgh University Press, S. 145-170.

Middleton, Lucy (2023): What LGBTQ+ rights are at stake in the Netherlands elections? OPENLY News, 21.11.2023.

Pausch, Lisa (2024): Mileis Argentinien: Der antifeministische Backlash. Blätter für deutsche und internationale Politik 05/2024, S. 33-37.

Teidelbaum, Lucius (2024): Versuche Rechter und Verschwörungsideologischer Einflussnahme auf die Friedensbewegung. Studie herausg. von attac, VVN-BdA und DFG-VK. Stuttgart: DFG-VK.

Tokhi, Alexandros; Zimmermann, Lisbeth (2024): The far right and international organizations: How the far right in government affects foreign aid funding. Conference paper presented at the 16th Annual Conference on The Political Economy of International Organization. 13.-15.6.2024.

Wojczewski, Thorsten (2024): Theorizing far-right foreign policy: Insights from Germany. Political Studies, online first, 11.10.2024.

Worley, William (2023): Sweden cutting peacebuilding budget by 40 %. Devex, 19.1.2023.

Yuval-Davis, Nira (1997): Gender and nation. London: SAGE Publications.

Die Autor*innen

Prof.in Dr.in Claudia Brunner ist Friedensforscher­in und Sozialwissenschaftlerin am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung der Universität Klagenfurt. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich insbesondere mit Zusammenhängen von Wissens- und Gewaltverhältnissen, am liebsten aus feministisch-post-dekolonialer Perspektive.

Christine Buchwald (sie/ihr) ist Friedens- und Konfliktforscherin, Geschlechterforscherin und Hochschuldidaktikerin und arbeitet zur Vermittlung und didaktischen Haltung von feministischer Friedensforschung, zu demokratischen Werten als hochschuldidaktischem Ziel sowie medienpädagogischen Themen.

Dr.in Maéva Clément (sie/ihr) ist Akademische Rätin am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück und am Fachgebiet Internationale Beziehungen und Friedens- und Konfliktforschung tätig. Sie lehrt und forscht zu Themen an der Schnittstelle von kollektiven Emotionen, Gewalt und Frieden. Aktuell untersucht sie die globalen Diskurse und Praktiken um Versöhnung, die seit den frühen 2000er Jahren entstanden sind und ihre Wechselwirkungen mit der »Women, ­Peace and Security Agenda« der UN.

Hannah Neumann (sie/ihr) ist Tanz- und Theaterwissenschaftlerin, Diversity-Managerin und Beraterin mit einem Fokus auf kulturelle Zusammenarbeit. In ihrer Forschung setzt sie sich mit internationalen Kulturprojekten in Kriegs- und Krisengebieten auseinander, mit besonderem Blick auf die Bedeutung und Rolle von Frauen.

Jannis Kappelmann (er/ihm) ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung und der Theorien der internationalen Beziehungen. Er arbeitet insbesondere zu feministischen Perspektiven auf Nuklearwaffenpolitik, ist aber auch an weiteren Themen der kritischen Internationalen Beziehungen und anderen Fragestellungen der Nuklearwaffenpolitik oder des Feminismus interessiert.

Juliana Krohn (sie/ihr) ist Friedens- und Konfliktforscherin, Bildungsreferentin und Mediatorin in Ausbildung. Ihr Interesse in Forschung und Bildungsarbeit gilt insbesondere den Zusammenhängen von planetarer Krise und Konflikten, Klimagerechtigkeit und Environmental Peacebuilding.

Dr.in Viktorija Ratković (sie/ihr) forscht und lehrt zu den Schwerpunkten Kritische Migrationsforschung, Friedens- und Konfliktforschung, Friedensbildung sowie Konvivialität/Zusammenleben. U.a. als Betriebsrätin für das wissenschaftliche Personal beschäftigt sie sich mit prekären (Arbeits-)Verhältnissen sowie Visionen für ein gutes Leben (in der Wissenschaft).

Dr. Patricia Rinck (sie/ihr) ist Friedens- und Konfliktforscherin an der Schnittstelle von Entwicklungsforschung und Geschlechterforschung. Ihr Forschungsinteresse gilt besonders der Transitionsphase vom Krieg zum Frieden und den Konflikten, die mit extern geförderten Transformationsprozessen in Post-Konfliktgesellschaften des sogenannten Globalen Südens einhergehen.

Dr. Rita Schäfer (sie/ihr) ist Afrikawissenschaftlerin und Gender-Forscherin. Ihr Forschungsinteresse gilt vor allem afrikanischen (Post-)Konfliktgesellschaften. Sie arbeitet mit einem umfassenden Gender- und Menschenrechtskonzept, dazu zählen Maskulinitäten und die Menschenrechte von sexuellen Minderheiten. Langjährige Forschungen führten sie vor allem nach Südafrika und Simbabwe.

Victoria Scheyer (sie/ihr) forscht zu den Themen feministischer Friedensforschung mit einem Fokus auf anti-koloniale Ansätze internationaler Politik. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich mit transnationalem antifeministischem Backlash, spezifisch mit gender und race-Dynamiken im Rechtsextremismus in Europa.

Rawina Trautmann (sie/ihr) ist Forscherin und Dozentin im Bereich der Feministischen Internationalen Beziehungen. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen insbesondere Gender und Sicherheit, Nationalismus und Militarismus. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit kurdischen Frauen, die sich der Peschmerga angeschlossen haben.

Dr.in Michaela Zöhrer (sie/ihr) ist Soziologin und Friedens- und Konfliktforscherin. Sie forscht zur Praxis von NGOs und sozialen Bewegungen, zu Menschenrechten und Humanitarismus. Sie ist Referentin in der universitären und politischen Erwachsenenbildung, insbesondere in den Bereichen Menschenrechtsbildung und kritisches Globales Lernen.

Zur Bebilderung

Nava Lubelski schreibt: „Meine Arbeit konzentriert sich auf die Verbindung von impulsiver Zerstörung und achtsamer Reparatur, wobei ich aggressive Handlungen – wie Verschütten, Schreddern und Schneiden – restaurativer Arbeit und sorgfältiger Rekonstruktion gegenüberstelle. Ich kontrastiere Unfälle, Fehler und Gesten der Ungeduld mit der verführerischen, aufmerksamen Detailverliebtheit traditioneller Handwerkstechniken. In meinen bekanntesten Arbeiten habe ich untersucht, wie ich Chaos, Frustration und Rebellion in die Handarbeits­traditionen einbringe: Stickereien werden von Hand über Flecken und Risse auf der Leinwand genäht; Spitzenarbeiten stopfen Lücken und Risse; Tischdecken und Decken werden durch das Umnähen von Flecken oder Löchern repariert. In meiner gesamten Arbeit verbinde ich traditionell auf Sorgfalt angelegte Arbeit auf grob expressionistische und improvisatorische Weise. Ich nenne meine Philosophie »Imperfektionismus«. In all dem erforsche ich, wie wichtig für das handwerkliche Objekt das Gefühl ist, dass es »richtig« gemacht wurde. Hängt das Handwerk von traditionellen Vorstellungen von Sauberkeit und Respekt für traditionelle Methoden ab oder wie weit kann es in Richtung Zerbrechlichkeit und/oder Unbehagen kippen?“

Nava Lubelski lebt und arbeitet in Asheville, North Carolina. Ihre Arbeiten wurden in den USA und im Ausland in Museen wie dem Queens Museum of Art, dem San Diego Museum of Art oder dem National Museum of Decorative Arts and Design in Oslo gezeigt. Ferner wurde ihre Kunst in zahlreichen internationalen Büchern über zeitgenössische Kunst veröffentlicht, darunter »Radical Decadence« (New York: Bloomsbury Academic, 2017) und »De Fil en Aiguille« (Paris: Pyramyd Editions, 2018) Mehr Informationen zur Künstlerin und den Werken auf: navalubelski.com.

AK »Feministische Friedensforschung«

Der Arbeitskreis »Feministische Friedensforschung« der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. wurde 2023 gegründet. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die Institutionalisierung feministischer Friedens- und Konfliktforschung im deutschsprachigen Raum vor­anzutreiben, indem er Sichtbarkeit für feministische Forschungsperspektiven und -themen schafft und zur besseren Vernetzung Forschender beiträgt.

Darüber hinaus ist der Arbeitskreis um Veränderungen struktureller Rahmenbedingungen bemüht, etwa durch die gemeinsame Beantragung von Projektstellen und gegenseitiges Empowerment.

Die Sprecher*innen des Arbeitskreises sind über fem-peace@afk-web.de erreichbar.

Nähere Informationen zum Arbeitskreis, zu seiner Arbeitsweise und zum Mailverteiler sind auf der Website der AFK (afk-web.de) hinterlegt.

Impressum

Herausgeber*innen:
Christine Buchwald, Patricia Rinck und Michaela Zöhrer für den AK Feministische Friedensforschung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) e.V. in Zusammenarbeit mit der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e.V. (IWIF)

Mit Unterstützung des Gunda Werner Instituts in der Heinrich Böll Stiftung und der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V.

V.i.S.d.P.: David Scheuing
redaktion@wissenschaft-und-frieden.de

Erscheint als Beilage der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden 1/2025

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Palanterstr. 55, 50937 Köln,
E-Mail: bestellung@wissenschaft-und-frieden.de,
Webseite: wissenschaft-und-frieden.de

Satz und Layout: EP Knaab, Marburg

Druck: Häuser Druck, Köln

Preis: 2,- € (zzgl. Versand)

Bildnachweis:
Für alle Bilder © Nava Lubelski. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin. S.1/Titel: Structurally Sound, 2010, Faden auf verfleckter Leinwand, 46" x 46".