Krieg und Frieden auf Social Media

Krieg und Frieden auf Social Media

Herausforderungen für die Friedensbildung

von Cora Bieß1

Der enorme Digitalisierungsschub der Gesellschaft ist in aller Munde. Überdeutlich lässt er auch Leerstellen in digitalen Ansätzen der Friedensbildung zu Tage treten. Inzwischen ist die Rede von einer »digitalen Transformation«, Kinder und Jugendliche wachsen zunehmend in einer mediatisierten Welt auf. Doch welche Auswirkungen haben digitale Konfliktdynamiken und Gewalt in der Onlinekommunikation auf Kinder? Mit welchen Repräsentationen von Kriegsinhalten werden Kinder auf Social Media konfrontiert? Der Beitrag leistet eine erste Einordnung und gibt Impulse, wie neue digitale Formate der Friedensbildung verbunden mit einer kinderrechtlichen Perspektive aussehen könnten.

Durch das Aufkommen der sozialen Medien und die Verbreitung von mobilen Endgeräten stellt das Internet inzwischen den Raum für eine dauerhaft vernetzte Öffentlichkeit. Auch die Interaktionen und Dialogräume von Kindern sind durch die Nutzung dieser Medien zunehmend virtuell. Darin sind Kinder nicht mehr nur Konsumierende oder Rezipierende von Mediendarstellungen, sondern selbst über die Möglichkeiten dieser Plattformen miteinander und mit der Öffentlichkeit im Dialog. Kinder öffnen oder verantworten sogar eigenständig Dialogräume. Daher kann das Internet nicht mit anderen Medien gleichgesetzt werden, die in vorherigen Generationen überwiegend genutzt wurden und in denen Kinder primär Rezipierende darstellten (Presse, Funk, Fernsehen).

Durch diesen digitalen Strukturwandel entstehen also neue interaktive Kommunikations- und Dialogräume, die einerseits Chancen für Partizipation, Vernetzung und Inklusion von jungen Menschen bieten. Durch die beschleunigte Vernetzung und sekundenschnelle Übertragung von Inhalten entstehen zudem neue Mobilisierungsformen. Insbesondere das Bedürfnis „nach Kommunikation und der Möglichkeit, ständig mit Anderen in Kontakt zu sein, aber auch [das] Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Anerkennung“, kann durch digitale Räume gestillt werden (Hilt et al. 2021, S. 38). Doch „diese neue Kommunikationskultur und die ständige Erreichbarkeit durch die mobilen Endgeräte bringen auch neue Möglichkeiten mit sich, andere Nutzer zu verletzen“ (ebd.).

Neue Digitale Gewalt

Hierbei entstehen somit auch neue Konfliktdynamiken und Gewaltformen in der virtuellen Welt, die laut Hofstetter (2021) neue Konfliktakteur*innen hervorbringen. Verletzende und gewalthaltige Inhalte können kopiert, weitergeleitet, endlos verändert und gleichzeitig innerhalb von Sekunden einem großen Publikum geteilt werden (Hilt et al. 2021). Sowohl die häufige »Anonymität« der Tatverantwortlichen im Internet als auch die Unüberblickbarkeit des Publikums charakterisieren die Neuartigkeit von digitalen Gewaltformen. Hinzu kommt die „fehlende Wahrnehmung der Verletztheit des Opfers“ (ebd.).

Durch Gewalterfahrungen im Netz können Heranwachsende in ihren Partizipationschancen, in ihrer personalen Integrität sowie in ihren Potentialen zur freien Entfaltung und Entwicklung eingeschränkt werden. Ein möglichst gewaltfreies Aufwachsen von jungen Menschen und die Befähigung zu einem konstruktiven Konfliktumgang sind jedoch wesentlich für das Wohlergehen, die Zukunftsbildung und Vertrauensbildung der gesamten Gesellschaft. Prävention, Bearbeitung und Nachsorge von digitaler Gewalt steckt in vielerlei Hinsicht allerdings noch in den sprichwörtlichen »Kinderschuhen«. Staatliche Regulierungsbemühungen gegen diese Gewaltformen hinken, auch im internationalen Kontext, oft hinterher.

Allerdings sind auch der Moderation der Gewalterfahrungen von Kindern durch Erwachsene mitunter deutliche Grenzen gesetzt. Im analogen Raum können Kinder grenzüberschreitendes Verhalten durch die Reaktion von Erwachsenen erkennen, im digitalen Raum jedoch sind Erwachsene oftmals nicht präsent, wodurch eine regulierende soziale Kontrolle durch Erziehungs- und Sorgeberechtigte schwach ausgeprägt ist. Digitale Gewalt findet nämlich häufig in dynamischen, halböffentlichen Räumen, wie beispielsweise in Whats-App-Klassenchats oder auf Plattformen wie Instragram, TikTok oder Discord statt. Dies ist mit ein Grund dafür, warum digitale Gewalt, die Kinder erleben, von Erwachsenen häufig so spät erkannt wird. Zudem wird die Intervention von Erwachsenen oft nicht als kompetent angesehen, da sie ebenso wie die Kinder nicht „über wirksame Mittel der Hilfe und des Einschreitens verfügen“ (Hilt et al. 2021, S. 40). In digitalen Räumen können somit Kommunikations- und Gewaltdynamiken entstehen, in deren Folge sich Kinder verstärkt von Erwachsenen abgrenzen. Durch den gleichzeitigen Zuwachs an kommunikativer Autonomie etablieren Kinder im digitalen Raum zunehmend ihre eigenen Regeln.

Kriegsbilder im Ukrainekrieg

Mögliche Folgen werde ich im Folgenden beispielhaft anhand einiger Repräsentationen aus dem Ukrainekrieg auf der Plattform »TikTok« erläutern. TikTok ist ein Videoportal, das vom chinesischen Unternehmen ByteDance betrieben wird. Ursprünglich ist diese Plattform durch das Verbreiten von kurzen Tanzvideos bekannt geworden. Durch die Funktion der Lippensynchronisation können dort animierte Videos für Unterhaltungszwecke erstellt werden, was unter Kindern und Jugendlichen sehr beliebt ist. Im Unterschied zu anderen Plattformen weist TikTok damit eine Besonderheit auf: Anwender*innen können durch die Audiofunktion den Ton des ursprünglichen Videos entfernen und durch alternative Tonspuren ersetzen. Dies kann einerseits im Bereich von Satire und Parodie zu lustigen Ton-Video-Kombinationen führen, auf der anderen Seite bietet diese Funktion sehr niederschwellige Möglichkeiten für Manipulation (Reveland 2022).

TikTok wird inzwischen als ein Ort für politische Kommunikation wahrgenommen (Bösch und Köver 2022) und ist gegenwärtig zu einer zentralen Plattform sowohl für die Kommunikation über Konflikte als auch für die Austragung von Konflikten geworden. Diese Tatsache wird besonders seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine sichtbar. Die Zeitschrift »The New Yorker« bezeichnete den Ukrainekonflikt sogar als den weltweit ersten „TikTok Krieg“ (Chayka 2022). Denn TikTok kann durch seinen Zuschnitt auf kurze Videosegmente und eine quasi nicht-existente Moderation gezielt für Desinformationskampagnen genutzt werden, beispielsweise indem Videos aus einem Kontext in einen anderen ohne Kennzeichnung übertragen werden. Dadurch ist es möglich, dass Videomaterialien „fälschlicherweise den aktuellen Krieg in der Ukraine zeigen sollen, aber eigentlich aus einem anderen Kontext stammen (Reveland 2022). Ein Beispiel dafür ist ein Video, „auf dem ein Reporter vor mit Leichensäcken abgedeckten Personen steht. Es soll angeblich ukrainische Leichen zeigen“ (ebd.). Laut Reveland stammte dieses Video jedoch von „einem Klimaprotest in Österreich im Februar“ (ebd.).

Auch Betroffene im Ukrainekrieg nutzen TikTok für ihre Berichterstattung „als eine Art Kriegstagebuch“ (Domdey, Pesci und Thiel 2022). Beispielsweise porträtiert in einem Video eine Jugendliche ihren Kriegsalltag in einem Bombenkeller2 und unterlegt dies mit dem Song »Che La Luna – Louis Prima«, einem sizilianischen Lied mit weltweit hoher Popularität. Das Lied fällt in das Genre folkloristisch, komödiantischer Musik. Der Songtext handelt von einem Dialog zwischen einer Mutter und einer Tochter über ihre Hochzeit. Die Lebensrealität im unterirdischen Bunker und die eingeblendeten Bilder der zerstörten Stadt an der Oberfläche, unterlegt mit der Leichtigkeit der Lebensrealität in diesem fröhlichen Song, rufen einen unwirklichen Kontrast hervor, der irritierend und verstörend wirken kann. Kindern und Jugendlichen aus einem anderen Kontext, wie beispielsweise Deutschland, ist es mitunter nicht möglich, diese widersprüchlichen visuellen und auditiven Reize des Videos ihren Intentionen gemäß einzuordnen und angemessen zu verarbeiten. In einem weiteren Video von derselben TikTok-Userin wird ersichtlich, dass ihr Bruder im Ukrainekrieg gestorben ist. Eine Hypothese könnte daher lauten, dass die humoristische Darstellung einerseits auf unmenschliche Kriegszustände aufmerksam machen soll, andererseits ihre Wut über den Verlust ausdrückt und der Trauerverarbeitung dient.

Eine weitere Form der Kriegsrepräsentationen findet sich in einem Video, das mit den Worten „dance if you going to beat Russia“ („tanzt, wenn ihr Russland schlagen werdet“)3 beginnt. Nachdem in einer ersten Szene Putin zu sehen ist , werden verschiedene tanzende Soldat*innen in dem Video gezeigt. Das Video ist mit dem Hashtag „@world.war._.3“ versehen. Zu Beginn tanzt ein britischer Soldat, anschließend ein amerikanischer und dann ein ukrainischer Soldat, alle uniformiert und mit der Waffe in der Hand. Am Ende des Videos formieren sich Soldat*innen in einem Kreis und schauen einem aus­tralischen Soldaten bei seiner Break-Dance Performance zu.

Nun gibt es hier mindestens zwei Lesarten, wie die Botschaft dieses Video interpretiert werden könnte:

  • Einerseits so, dass kriegerische Konflikte in Form eines Tanz-Battles ausgehandelt werden sollten, anstelle mit militärischen Mitteln. Dies könnte eine Botschaft für gewaltfreie Konfliktaustragung beinhalten.
  • Eine andere, gewaltverherrlichende Interpretation dagegen könnte lauten, dass es Soldat*innen geradezu Spaß bereitet, sich auf einen Kampf vorzubereiten. Dieser Eindruck kann dadurch verstärkt werden, dass der erste Soldat, der Großbritannien repräsentiert, lächelnd Swivel-Tanzschritte macht. Hierbei könnte die Leichtigkeit einer Siegesgewissheit („to beat“) im Einklang mit der Gewaltanwendungsbereitschaft („to beat“) stehen.

Wie bei diesen beiden möglichen Interpretationen sichtbar wurde, ist die Intention der Videobotschaft auf TikTok nicht bekannt. Dies kann für Kinder in hohem Maße verstörend wirken, da die Kontextualisierung der im Stream vorgeschlagenen Videos fehlt. So können User*innen ungewollt von Tanzvideos unmittelbar zu Gewaltdarstellungen gelangen. Zudem finden sich solche Kriegsinhalte ohne Vorwarnung „zwischen Urlaubsbildern, Tanzvideos und Comedy“ (Domdey, Pesci und Thiel 2022). Diese „groteske Mischung aus unterhaltsamen und nachrichtlichen Inhalten“ erschwert zudem eine kontext- und altersgerechte Verarbeitung von kriegerischen Inhalten (ebd.). Für Menschen, die selbst Gewalt erfahren haben, kann darüber hinaus durch diese ungefilterte Darstellung ohne Triggerwarnung die Gefahr bestehen, dass ihre Erinnerungen an Gewalterfahrungen auf TikTok reaktiviert werden (sogenannte »Retraumatisierung«).

Wie eingangs beschrieben, nutzen viele Kinder und Jugendliche virtuelle Räume, die nicht primär von Erwachsenen genutzt werden. Somit besteht die Gefahr, dass wir Erwachsenen also gar nicht wissen, wie Kinder und Jugendliche derzeit in Kontakt mit Repräsentationen des Ukrainekrieges kommen. Wichtig ist es daher, dass Multiplikator*innen der Friedensbildung Kinder und Jugendliche als Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelten sehen und anerkennen, denn sie erleben digitale Räume anders, als es Erwachsene tun. Aus einer kritischen Kinderrechtsperspektive bedeutet das, dass Erwachsene lernen, Kinder zu hören und ihre Denk- und Handlungsweisen zu verstehen beginnen. Der Fokus auf eine mediatisierte Kindheit kann mit einer Ausgestaltung einer digitalen Friedensbildung Hand in Hand gehen, indem

  • zum einen Friedenskompetenzen in Bezug auf Medien generationenübergreifend gestärkt werden. Aufgabe der Friedensbildung in der digitalen Welt muss es zudem werden, die Frage der eigenen Mediennutzung mehr in den Fokus zu stellen, indem altersgerechte und lebensweltnahe Bezüge zu aktuellen Themen hergestellt werden, wie zum Beispiel der Repräsentation des Ukrainekriegs auf TikTok.
  • zum anderen digitale Friedensfähigkeiten weiterentwickelt werden, die im Bereich der Medienkompetenzbildung integriert werden könnten, beispielsweise in Form einer gewaltfreien Kommunikation im Netz, einer konstruktiven digitalen Konfliktbearbeitung oder digitaler Zivilcourage.

Friedenspädagogische Leerstellen füllen

Aufgabe der Friedensbildung in der digitalen Welt sollte es einerseits im Analogen sein, einen geschützten Dialograum zwischen Kindern und Eltern bzw. Erziehungsberechtigten sowie zwischen Kindern und Lehrkräften zu eröffnen, um beispielsweise in der Schule zu thematisieren, welche Repräsentationen von Krieg und Gewalt auf Social Media gegenwärtig sein können. Darauf aufbauende Strategien, wie sich Kinder vor überwältigenden Kriegsinhalten auf Social Media schützen können, sollten im Einklang mit der 25. Allgemeinen Bemerkung der UN-Kinderrechtskonvention stehen, welche die Anwendbarkeit der Kinderrechte im Digitalen betont (OHCHR 2021). Das bedeutet, dass nicht allein der Schutz von Kindern im Fokus steht, sondern Kinder auch ein Recht auf Beteiligung und Befähigung haben. Der Zugang zu Informationen und Medien kann Kindern nicht grundsätzlich verwehrt werden. Deshalb müssen sowohl die Gefahren als auch die Chancen der digitalen Welten unter Berücksichtigung der Kinderrechte mit jungen Heranwachsenden altersgerecht thematisiert werden, um einen generationenübergreifenden und einordnenden Dialog über Krieg, Gewalt, Konflikt und Frieden in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung gelingend zu gestalten.

Denkbar wäre es andererseits, digitale friedenspädagogische Zugangs- und Kontaktangebote im Internet zu den Kernthemen Krieg, Gewalt, Konflikt und Frieden zu etablieren. Der Ansatz der »digital streetwork«4 verfolgt das Ziel, in mediatisierten Lebenswelten mit Kindern und Jugendlichen direkt zu interagieren, und versteht sich als komplementäres Angebot im Bereich aufsuchender Arbeit. Inspiriert durch das Konzept »digital streetwork« könnten Akteur*innen der Friedensbildung auf Social Media virtuell-aufsuchend agieren, wenn beispielsweise junge User*innen vermehrt über Krieg und Gewalt berichten. Zudem könnten online-gestützte friedenspädagogische Gesprächsangebote eine Anlaufstelle für junge Menschen auf Social Media bieten, die über Kriegsinhalte (wie beispielsweise die oben beschriebenen TikTok Videos zum Ukrainekrieg) reden möchten. In diesen Gesprächsangeboten könnten Akteur*innen aus der Friedensbildung mit Kindern zunächst ins Gespräch darüber kommen, welche Inhalte Kinder und Jugendliche online konsumieren, und was diese Inhalte in ihnen auslösen. Sollte sich im Gespräch herausstellen, dass Kinder mit Desinformationskampagnen bespielt werden, könnte gemeinsam nach seriösen journalistischen Nachrichtenangeboten auf Social Media gesucht werden.5

Weitergehend könnte spezifisch ausgeführt werden, welche Unterstützungsmöglichkeiten (analog und digital) je nach Bedarf denkbar wären. Ziel der Friedensbildung zu Gewalt und Konflikten im Digitalen sollte es sein, das Gefühl von Macht- und Einflusslosigkeit (nicht nur in Zeiten von Kriegen) in Kindern aufzufangen sowie das veränderte Nähe- und Distanz-Verhältnis von Krieg auf Social Media zu thematisieren. Denn durch Social Media können Kriegsorte inzwischen buchstäblich im Kinderzimmer präsent sein. Dennoch ist es Aufgabe der Friedensbildung, ein Gefühl von Wirkmächtigkeit zu fördern, indem Friedensvisionen kontextspezifisch formuliert werden können. Das kann beispielsweise die Thematisierung von individuellen Einflussmöglichkeiten als Friedensmacher*innen in ihren Kontexten sein.

Abschließend lässt sich sagen, dass Social Media bei der heranwachsenden Generation großen Einfluss auf die Wahrnehmung von Krieg, Gewalt, Konflikt und Frieden hat. Grundsätzlich aber kann die Berichterstattung über Kriegserlebnisse durch die unmittelbare Erreichbarkeit auf Social Media-Kanälen auch Empathie, Mitgefühl und Verständnis für betroffene Kinder und Jugendliche im Krieg stärken und einen peer-to-peer Erfahrungsaustausch zwischen den Jugendlichen ermöglichen. Denn insbesondere junge Heranwachsende nutzen Social Media als einen Ort, um sich „politisch zu engagieren (Baetz 2021) und könnten sich perspektivisch im Internet auch als junge Friedenstifter*innen ermächtigen. Hierfür ist eine strukturelle Stärkung von Friedensbildung im digitalen Raum folglich ein wichtiger Beitrag für eine friedlichere digitale Transformation.

Anmerkungen

1) Ein ganz großer Dank geht an David Scheuing für die wertvollen Anmerkungen im Begutachtungsprozess sowie für das Editieren des Beitrags.

2) tiktok.com/@valerisssh/­video/7071270332891483397

3) tiktok.com/@cherzus/­video/7068396008488684805

4) Weitere Informationen zu »digital streetwork« finden sich beim Institut für Medienpädagogik JFF.

5) „[MrWissen2go, die.da.oben, news_wg, tickr.news]) bieten zielgruppengerecht gestaltete Informationen zum Krieg in der Ukraine“ (Domdey, Pesci und Thiel 2022).

Literatur

Baetz, B. (2021): Junge User nutzen die Videoplattform für politische Statements. Deutschlandfunk, 25.01.2021.

Bösch; M.; Köver, C. (2021): Schluss mit lustig? TikTok als Plattform für politische Kommunikation. Studien 7/2021. Berlin: RLS.

Chayka, K. (2022): Watching the world’s “first TikTok war”. The New Yorker, 03.03.2022.

Domdey, P.; Pesci, M.; Thiel, K. (2022): Krieg auf TikTok und Instagram. Media Research Blog. Der Blog des Leibniz-Instituts für Medienforschung Hans-Bredow-Institut. URL: leibniz-hbi.de/de/blog/krieg-auf-tiktok-und-instagram.

Hilt, F.; Grüner, T.; Schmidt, J.; Beyer, A.; Kimmel, B.; Rack, S.; Tatsch, I. (2021): Was tun bei (Cyber)Mobbing?: Systemische Intervention und Prävention in der Schule (4. Aufl.). klicksafe c/o Medienanstalt Rheinland-Pfalz.

Hofstetter, J.-S. (2021): Digital technologies, peacebuilding and civil society: Addressing digital conflict drivers and moving the digital peacebuilding agenda forward (INEF Report Nr. 114/2021). Bonn: Institute for Development and Peace.

OHCHR (Hrsg.). (2021): General comment No. 25 (2021) on children’s rights in relation to the digital environment. Online verfügbar unter: ohchr.org

Reveland, C. (2022): Faktenfinder. TikTok. Brutale Kriegsbilder statt lustiger Videos. Tagesschau.de, 09.03.2022.

Cora Bieß arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften im Projekt SIKID (Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt – Regulierung verbessern, Akteure vernetzen, Kinderrechte umsetzen). Bei der Berg­hof Foundation betreut sie derzeit die Kinderseite Frieden-Fragen.de. An der Alpen-Adria Universität promoviert sie zu der Frage, wie Konfliktsensibilität Zivilcourage fördern kann, um Kinder(rechte) in der Onlinekommunikation zu stärken.

Digitalisierung für friedliche Entwicklung nutzen

Digitalisierung für friedliche Entwicklung nutzen

Potsdamer Frühjahrsgespräche 2021, sef :, online, 10.-12. Mai 2021

von Ingo Nordmann

Die Digitalisierung in Afrika läuft auf Hochtouren. Online-Tools können Menschen zusammenbringen und dazu beitragen, Gewalt zu verhindern. Die Teilnahme an demokratischen Prozessen wird einfacher und inklusiver. Soziale Bewegungen vernetzen sich zunehmend online und bewirken Veränderungen in ländlichen und städtischen Regionen. Gleichzeitig verbreiten sich Hassparolen im Internet in noch nie dagewesener Geschwindigkeit, autoritäre Regierungen nutzen neue Technologien, um ihre Bürger*innen zu kontrollieren, und ex­tre­mis­tische Gruppen rekrutieren Mitglieder online. Diese vielfältigen Auswirkungen der Digitalisierung auf friedliche Entwicklung in Afrika standen im Mittelpunkt der Potsdamer Frühjahrsgespräche 2021. Die Konferenz wurde von der Stiftung Entwicklung und Frieden (sef 🙂 in Kooperation mit der GIZ durchgeführt.

Von Online-Hass zu Gewalt auf der Straße

Nanjala Nyabola, Forscherin und Autorin aus Nairobi, erläuterte am Beispiel des aktuellen Konflikts in Äthiopien, wie Hass im Internet häufig in reale Gewalt auf der Straße umschlägt. Auch Online-Medien können zur Ausbreitung von Gewalt beitragen, wenn Nachrichten über Tötungen geteilt werden und daraufhin gezielte Vergeltungsmorde stattfinden. Die Reichweite und Geschwindigkeit dieser sich gegenseitig anheizenden Kommunikationsprozesse sei laut Nyabola weit höher als vor der Existenz des Internets und sozialer Medien.

Organisationen der afrikanischen Zivilgesellschaften haben innovative Methoden entwickelt, um mit diesen Herausforderungen umzugehen. So bietet beispielsweise die #defyhatenow-Kampagne im Südsudan und anderen Ländern datengestützte Lösungen zur Bekämpfung von Hassparolen und Fehlinformationen im Internet. Wie Programmdirektor Nelson J. Kwaje erklärte, hat die Kampagne auch dazu beigetragen, gefährliche Mythen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie zu entlarven. Das Unternehmen Tuwindi aus Mali bietet Nutzer*innen Apps an, mit denen sie online verbreitete Informationen auf ihre Richtigkeit überprüfen können, um so die Gefahr von Falschmeldungen zu reduzieren. CEO Tidiani Togola stellte außerdem eine App vor, die vor Wahlen verlässliche politische Informationen online zur Verfügung stellt, damit die Nutzer*innen fundierte Entscheidungen treffen können. Ein weiteres Beispiel ist das Humanitarian OpenStreetMap Team (HOT), das Online-Kartenmaterial nutzt, um schnell und präzise auf Naturkatastrophen oder Gewaltausbrüche in verschiedenen Ländern reagieren zu können.

Macht und Verantwortung von Technologieunternehmen

Dr. Nicole Stremlau (Universitäten Oxford und Johannesburg) ergänzte, dass Technologieunternehmen der Gewalt im Internet in Afrika viel weniger Aufmerksamkeit schenken, als in anderen Teilen der Welt. So würde viel Hassrede in lokalen Sprachen geschrieben, die Unternehmen nicht ausreichend beachten. Ihnen fehlten Sprachkompetenzen für ein effektives Community-Management und die automatisierten Blockier-Algorithmen funktionierten in diesen Sprachen nicht. Folglich könnten Hassparolen in Afrika oft nicht einmal effizient gemeldet, geschweige denn sanktioniert oder verhindert werden. Dies ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass viele dieser Sprachen, wie Amharisch, Hausa und Somali, von mehreren zehn Millionen Menschen gesprochen werden.

Ebenso kritisch äußerte sich Stremlau über die wachsende Macht europäischer Unternehmen wie Vodafone und Orange in Afrika. Im Gegensatz zu größeren europäischen Ländern, die vielleicht über politische Strukturen verfügen, um den Einfluss von Big Tech-Unternehmen auf ihren heimischen Märkten einzuschränken, könnten viele kleine afrikanische Länder dies nicht leisten. Hier sei eine verstärkte internationale Zusammenarbeit erforderlich, um die weitreichende Macht dieser ausländischen Unternehmen in Schach zu halten.

Stremlau forderte darüber hinaus ein stärkeres Engagement der Afrikanischen Union (AU). Eine vielversprechende Gelegenheit für Zusammenarbeit zwischen der AU und der Europäischen Union könnte es sein, die bereits entwickelten Strategien zum Umgang mit Hass und Gewalt im Internet auszutauschen. Als Vertreter der Europäischen Kommission bestätigte Marc Fiedrich, dass die beiden Kontinente vor ähnlichen Herausforderungen im Kampf gegen Gewalt im Internet stünden und verwies auf regelmäßige Dialoge zwischen EU und AU zur wirkungsvollen Regulierung sozialer Medien. Er fügte hinzu, dass Afrika jedoch nicht einfach Europa kopieren sollte, da auch Europa immer noch nach Antworten in diesem schnelllebigen Bereich suche.

Regulieren, ohne Meinungsfreiheit einzuschränken

Wenn Regierungen zur Intervention bei digitalen Konflikten aufgefordert werden, kann ein Dilemma entstehen : Wie kann die Kommunikation im Internet reguliert werden, ohne demokratische Errungenschaften wie die Meinungsfreiheit zu gefährden ? Nanjala Nyabola warnte davor, dass Regierungen die Macht, die man ihnen zur Regulierung der Online-Kommunikation gäbe, in erster Linie gegen Kritiker*innen des Staates einsetzen könnten, um unliebsame Aktivist*innen zum Schweigen zu bringen. Dr. Julia Leininger vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) bestätigte, dass digitale Werkzeuge es
„Autokraten erlauben könnten, noch autokratischer zu werden“, durch verbesserte Datensammlungen und Überwachungstechnologien. Als besorgnis­erregendes Beispiel nannte sie den Fall, in dem die chinesische Regierung Gesichtserkennungssoftware an die autoritäre Regierung von Simbabwe verkaufte, die diese zur Überwachung der Menschen in der Hauptstadt Harare einsetzte. Im Gegenzug stellte die Regierung die so erfassten Daten dem chinesischen Softwareunternehmen zur Verfügung, das sie zur Verbesserung seiner Algorithmen und Softwarefunktionen nutzte.

Julia Leininger warnte ferner, dass bei einer zunehmenden Digitalisierung von Wahlen, Manipulationen und Wahlfälschungen einfacher werden könnten. Technologie­unternehmen, die digitale Wahlmanagement-Tools bereitstellen, könnten leicht von Politiker*innen beeinflusst werden, vor allem wenn Regierungen große Anteile der Unternehmen besitzen. Dies würde Politiker*innen besonders anfällig für Korruption machen. Seitens der Zivilgesellschaft gibt es Versuche, solch negatives Verhalten zu unterbinden, beispielsweise durch das Monitoring des Handelns von Politiker*innen. So beobachtet etwa die Organisation Odekro die Aktivitäten ghanaischer Parlamentsabgeordneter und macht die Daten online zugänglich. Auf diese Weise können digitale Werkzeuge auch zu mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht in der Regierungsführung beitragen.

Afrikas Jugend Perspektiven bieten

Wenn Afrika florieren soll, muss seine junge Bevölkerung Aussicht auf ein ausreichendes und stabiles Einkommen haben. Mit einer De-facto-Arbeitslosenquote von rund 20 % und einer extrem hohen Erwerbsarmutsquote von 40 % im Schnitt des gesamten Kontinents, ist dieses Ziel noch in weiter Ferne. Das macht junge Menschen anfälliger für den Einfluss gewalttätiger Gruppen. Wie Nelson Kwaje feststellte,
„suchen sich kriminelle Organisationen genau die Menschen als Zielgruppe aus, die historische Ungerechtigkeiten, Ausgrenzung, Identitätskrisen und wirtschaftliche Probleme erlebt haben“. Junge Menschen, die sich extremistischen Gruppen anschließen, seien daher oft Täter*innen und Opfer zugleich.

Abdihakim Ainte, Mitbegründer des iRise Hub in Mogadischu, kennt diese Schwierigkeiten aus eigener Erfahrung. Seine Organisation versucht, jungen Unternehmer*innen in Somalia Geschäftsmöglichkeiten zu bieten. Er bestätigte, dass gewalttätige Gruppen junge Menschen, die meist aus stark benachteiligten Familien in ländlichen Regionen stammen, „sowohl benutzen als auch für ihre Ziele missbrauchen“. Dem versuche iRise durch gezieltes Empowerment und die Schaffung wirtschaftlicher Möglichkeiten entgegenzuwirken.

Im Verlauf der dreitägigen Konferenz wurde deutlich, dass es eines Bewusstseinswandels bedarf, die digitale Welt langfristig zu gestalten. Wie Nanjala Nyabola in ihren abschließenden Bemerkungen feststellte, müssten Herausforderungen des digitalen Raums mit Entschlossenheit und Ausdauer angegangen werden, um sie auf die gleiche Weise zu gestalten, wie Offline-Medien über einen langen Zeitraum gestaltet worden seien. Weder eine „Nichteinmischungs-Mentalität, die viele Regierungen in der Vergangenheit an den Tag gelegt haben, noch ein naives „Technologie-utopisches Vertrauen“ (Stremlau), bei dem darauf gesetzt wird, dass digitale Innovationen auf magische Weise Probleme lösen werden, sind geeignet, die gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen zu bewältigen. Die Digitalisierung ist weder Afrikas Untergang (oder der Untergang der Menschheit), noch seine Rettung. Sie ist das, was aus ihr gemacht wird – und das liegt in der politischen Verantwortung.

Mehr Informationen zur Konferenzreihe sind verfügbar unter : sef-bonn.org

Ingo Nordmann