Geopolitik in der Mittelmeerregion

Geopolitik in der Mittelmeerregion

Großmachtrivalitäten, zerfallene Staaten und europäische Abgrenzung

von Pablo Flock

Das Mittelmeer und die Anrainerstaaten sind Knotenpunkte der Interessen und Rivalitäten von Groß- und Regionalmächten, ein Aufmarschgebiet von Armeen, die Leinwand von Ressourcenkämpfen und das Grab vieler marginalisierter Menschen, die diesen Interessen zum Opfer gefallen sind. Doch worin bestehen die Interessen und wo wird militärische Kontrolle ausgeübt? Wessen strategische Positionierungen gelten welchen Gegnern? Wessen Interessen stehen dabei immer zurück? Ein Überblick.

Das zwischen dem afrikanischen, asiatischen und europäischen Kontinent gelegene, verhältnismäßig kleine Mittelmeer begünstigte durch seine recht einfache Schiffbarkeit historisch die Ausbreitung der ersten Imperien und Seemächte, von den Phöniziern über die Griechen bis zu den Römern. Bis heute ist der mediterrane Raum von großer Bedeutung für die modernen Großmächte. Während die Schiffbarkeit es den historischen Imperien erlaubte, sich über das Mittelmeer entlang der Küsten auf allen drei Kontinenten bis hin zu anderen »natürlichen« Grenzen wie den Alpen oder der Sahara auszubreiten, wirkt es heute eher in sich selbst als Grenze, über die der Fluss von Waren und Investitionen, wie auch von militärischer Macht und Ausrüstung sichergestellt wird. Demgegenüber werden die Bewegungen der Menschen über das Meer wegen ihrer unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten, oder nach mancher Ansicht auch Religion oder Hautfarbe, engmaschig kontrolliert und dokumentiert und in vielen Fällen eingeschränkt oder verhindert.

Zunehmend geht es um die Etablierung militärischer Präsenz in Form von Schiffsflotten, Häfen und Flughäfen, Truppen und Stützpunkten durch die jeweiligen Mächte, um die eigenen Interessen zu sichern und geopolitischen Rivalen oder Nachbarn zuvorzukommen. Ein Fokus liegt im östlichen Mittelmeer, wo anhaltende Konflikte, fossile Energiereserven und geschwächte Staaten für Nachbarn, Regional- und Großmächte einiges zu gewinnen und zu verlieren bereithalten. Hier erlauben essentielle Transportrouten und Zwischenstoppmöglichkeiten für Handel und Militär die Machtprojektion in rückgelagerte Konfliktregionen in Nordafrika und in Westasien, im Roten und im Schwarzen Meer.

Großmächte »sichern« Schifffahrtsrouten

Besonders für die überregionalen Großmächte sind die Meerengen und Verbindungen zu anderen Meeren strategisch wichtig. Deshalb verwundert es kaum, dass sich um die Straße von Gibraltar verschiedene ihrer Militärhäfen finden. Die Stadt Gibraltar, auf einer Halbinsel an der südlichen Küste Spaniens gelegen, ist seit dem Ende des spanischen Erbfolgekrieges 1713 ein Überseegebiet Großbritanniens und beherbergt einen Marine- und einen Luftwaffenstützpunkt, sowie Abhörstationen der einstigen Weltmacht. Das Vereinigte Königreich kann dort nicht nur eigene Marineschiffe tanken und reparieren, sondern auch eine gewisse Kontrolle über den Verkehr zwischen Atlantik und Mittelmeer ausüben. Auf der anderen, atlantischen Seite der Meerenge nutzt die Marine der aktuellen Großmacht USA einen Großteil des spanischen Stützpunkts Rota. Sie dient besonders als Ankerpunkt der 6. Flotte der US-Navy in ihrer Region »Europe, Africa, Central«, die sich bis über Djibouti hinaus nach Bahrain erstreckt und ihre Hauptbasis in Neapel, Italien, unterhält. Zudem befinden sich auch kleinere Kontingente der US-Airforce und Marines (die keine Marineeinheit sondern eine Spezialkräfteeinheit sind) auf dem Stützpunkt in Rota. Schiffe anderer NATO-Mitgliedsstaaten, deren »Allied Joint Force Command (JFC Naples)« wiederum ebenso in Neapel liegt, nutzen den Hafen ebenfalls.

Ein noch kleineres und dadurch kritischeres Nadelöhr ist der Suezkanal, der zwischen der Sinai-Halbinsel und dem afrikanischen Teil Ägyptens verlaufend das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet. Als das Containerschiff »Ever Given« Ende März 2021 havarierte, bildete sich innerhalb von wenigen Tagen ein über 100km langer Rückstau an Schiffen. Die gestiegenen Transportkosten schlugen sich international in Preissteigerungen nieder. Während der Kanal selbst unter ägyptischer Ägide steht, befinden sich im Roten Meer zahlreiche Basen verschiedener Großmächte. Auf ägyptischem Boden sind dies nur Basen der USA. In Djibouti, gegenüber der nun von den Houthi im Jemen teilweise blockierten Meerenge Bab el-Mandeb zum indischen Ozean, haben neben den USA auch Großbritannien, Russland und Frankreich je eine von vielen, Saudi Arabien eine von drei, China eine von zwei und Japan und Italien ihre einzigen militärischen Auslandsbasen. Während die Großmächte am politisch instabilen »Horn von Afrika« auf militärische Präsenz setzen, könnte zumindest die westliche Unterstützung für den autokratischen ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi mit der Sorge zusammenhängen, bezüglich der Schifferei auf dem Suez-Kanal von einer nicht pro-westlichen Regierung abhängig zu sein.1

Auch die dritte Meerenge, die das Mittelmeer mit dem Schwarzen Meer verbindet, steht unter der Kontrolle einer sich über zwei Kontinente erstreckenden, aufstrebenden Regionalmacht, der Türkei. Der Bosporus ist die engste natürliche Meerenge, die für internationale Schifffahrt verwendet wird, die Dardanellen sozusagen seine zum Mittelmeer hin gelagerten Vorläufer. Vor dem Hintergrund, dass die Kontrolle dieser Meerenge auch die Kontrolle über einen großen Teil der russischen Marine bedeutet, die neben ihrem von NATO-Staaten eingekreisten Heimathafen in Sankt Petersburg besonders von ihrem Hafen auf der Krim im Schwarzen Meer abhängig ist, verwundert es nicht, dass die Türkei als einziges (vorwiegend) nicht-europäisches Land nach den Gründungsmitgliedern USA und Kanada in die NATO aufgenommen wurde. Schon kurz vor der Aufnahme Anfang 1952 eröffneten die USA ihre erste und bis heute größte Auslandsbasis in der Türkei, die sogenannte »Incirlik Airbase«. Auf dieser sind auch die Atombomben gelagert, die damals die Stationierung sowjetischer Atomwaffen auf Kuba und damit die sogenannte Kubakrise provozierten. Zudem haben die USA bei Izmir, also an der Westküste etwas südlich der Dardanellen, einen Luftwaffen-Stützpunkt.

Der starken Kontrolle, die die NATO-Staaten über die Meerengen Gibraltar, zum Atlantik, und Bosporus, zum Schwarzen Meer, sowie über die Unterstützung des verbündeten, autokratischen al-Sisi auch über den Suez-Kanal ausüben, steht die relative Schwäche des erklärten Rivalen Russlands gegenüber, der im Mittelmeer nur über den Marinehafen in Syrien bei Tartus verfügt. Zwar konnte Russland mit seinen unterstützenden Bombardierungen den Zerfall des syrischen Assad-Regimes in der letzten Dekade verhindern, jedoch kann es wegen seiner Abhängigkeit von Ankara in Sachen Bosporus beispielsweise nicht gegen die Einverleibung syrischer Gebiete im Rahmen des türkischen Angriffskriegs gegen das Land vorgehen. Die enge Auslegung der Montreux-Konvention durch die Türkei ist Russland wichtig, da diese während eines Kriegs zwischen Anrainerstaaten, wie aktuell mit der Ukraine, auch NATO-Kampfflotten den Zugang zum Schwarzen Meer verschließt, wenn es auch selbst seine Schwarzmeerflotte dadurch nicht verstärken kann (siehe Dalay und Sabanadze 2024).

Regionale Mächte und alte Dispute

Der Mittelmeeranrainer Türkei schafft es nach den Großmächten USA, Großbritannien, Frankreich und Russland am besten, so zumindest das Fazit des International Center for Strategic Studies (IISS 2023), seine Macht in die verschiedenen Arenen in der Region zu projizieren, also Handlungsfähigkeit zu beweisen. Eine Herausforderung für sie ist jedoch die Beziehung zum NATO-Partner Griechenland, mit dem die maritimen Grenzen noch nicht geregelt sind (vgl. in größerer Tiefe Gürbey in diesem Heft, S. 10). Diese strittigen Gebiete schließen Inseln nahe des türkischen Festlands, z.B. Lesbos und Samos, die seit Langem unter griechischer Kontrolle stehen, und Gasfelder mit ein. Ursprünglich von den USA im Kampf gegen den Kommunismus noch in den 1940er Jahren durch Gelder an den Westen gebunden, ängstigt nun der sich selbstsicher äußernde Nationalismus der Türkei gepaart mit erstarkender militärischer Macht den Nachbarstaat Griechenland. Dort ist die Erinnerung an die osmanische Besatzung in den älteren Generationen noch lebendig. Während die USA heute versuchen, durch militärische Hilfe für Griechenland türkische Rüstungsdeals auszubalancieren, und beispielsweise durch das Zurückhalten von F-35 Bombern an die Türkei als Strafe für die Beschaffung des russischen S-400 Flugabwehrsystems Druck auf die Türkei auszuüben, unterstützte besonders das EU-Schwesterland Frankreich offen Griechenland, nicht nur eigennützig durch den Verkauf von Rafale Kampfjets und öffentlichen Solidaritätsadressen, sondern beispielsweise auch durch die Entsendung eines Flugzeugträgers nach Zypern im Jahr 2020. Der im östlichen Mittelmeer liegende Inselstaat ist seit 1974 ein Fokuspunkt der beiderseitigen Rivalität. Damals putschte eine Gruppe Offiziere der griechischsprachigen Mehrheitsbevölkerung und wollte die Insel mit dem damals ebenfalls von einer Militärjunta regierten Griechenland vereinen, woraufhin die Türkei, wohl um die türkischsprachige Minderheit zu schützen, den Norden der Insel besetzte. Von der UN geführte Pläne zur Wiedervereinigung scheiterten seitdem am Widerstand der zypriotischen Bevölkerung oder der Türkei.

Schätze im Boden, Krieg darüber

Besonders seit in zyprischen, wie auch israelischen und ägyptischen Gewässern Gasfelder gefunden wurden, dürfte der türkische Wille zur zyprischen Einheit gemäßigt sein. Die Pläne der EU, Zyperns, Israels und Ägyptens, die von Zypern verlaufende »Eastern Mediterranean Pipeline« (EastMed) zu bauen, stört die türkischen Absichten, ein Energieknotenpunkt für Gas aus der Region in die EU zu werden. Pläne der Türkei und Kräften in den USA, die auf eine Einbindung pochen, die Pipeline über türkisches Land zu bauen, werden wohl an Erdoğans lautstarker Unterstützung der palästinensischen Unabhängigkeit und an israelischem Misstrauen scheitern.2 2019 provozierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, als er mit der international anerkannten, sogenannten libyschen Einheitsregierung den Vertrag über eine Ausschließliche Wirtschaftszone vereinbarte, die sich über die gesamte Meeresfläche zwischen den beiden Ländern erstreckt. Bevor ein libysches Gericht diesen Vertrag 2021 für nichtig erklärte, hatten Griechenland und Ägypten mit einer überschneidenden exklusiven Zone geantwortet und türkische Probebohrungen nahe griechischer Inseln schon zu einer Konfrontation und gefährlichen Manövern zwischen griechischer und türkischer Marine geführt (vgl. Aydıntaşbaş et al. 2020; Flock 2021).

Zerfallene Staaten im östlichen Mittelmeer

Heißer noch, und weit bekannter, sind sicherlich die kriegerischen Auseinandersetzungen einer anderen Regionalmacht, die mehr als das Doppelte der Türkei für das Militär ausgibt, bzw. vom Ausland indirekt finanziert bekommt. Israel hat im Vergleich mit Ägypten, Griechenland und der Türkei zwar weniger gepanzerte Fahrzeuge und (U-)Boote (vgl. IISS 2023), die eine Machtprojektion in ferne Gebiete erlauben würden, kann jedoch mit der größten Kampfjet-Flotte der Region nicht nur eine komplette Region wie den Gaza-Streifen in Schutt und Asche legen, sondern auch Ziele tief im Inland anderer souveräner Staaten angreifen, wie im Libanon und in Syrien. Hier steht es einer anderen Macht von außerhalb der Mittelmeerregion gegenüber, Iran, die die Hisbollah im Libanon und das Regime in Damaskus wie auch weitere bewaffnete Gruppen dort unterstützt. Die Instabilität beider Staaten nützt Israel in dem Sinne, dass sich diese weder gegen Israels völkerrechtswidrige Angriffe wehren, noch auf die Rückeroberung besetzter Gebiete, wie die ölreichen, syrischen Golanhöhen, konzentrieren können. Wie die geleakten, sogenannten »Clinton-Mails« belegen, war dies auch Motivation für das US-amerikanische Engagement in Syrien ab 2012.3 Seit dem Terrorangriff der Hamas zunehmend aktuell ist die Frage, ob die Hisbollah zur Unterstützung der ebenfalls durch den Iran unterstützten Hamas zur Hilfe eilt und ihre sporadischen Angriffe zum Krieg ausweitet – oder ob Israel einen solchen vom Zaun zu brechen sucht, um ihre, wegen der israelischen Kriegsverbrechen schwindende, internationale Unterstützung durch eine Ausweitung gegen die „gemeinsamen Gegner“ Iran und Hisbollah wieder zurückzuerlangen.

Der bis vor 15 Jahren reichste Staat Afrikas mit dem bis dato höchsten Human Development Index des Kontinents, Libyen, ist seit der Bombardierung durch Frankreich, die USA und Großbritannien ebenfalls ein zerfallener Staat, in dem verschiedene Regierungen und Milizen sich gegenseitig bekämpfen und äußere Kräfte diese für ihre Interessen gegeneinander ausspielen. Der libysche Bürgerkrieg zwischen der sogenannten international anerkannten Einheitsregierung (GNA) und dem vom bekannten Warlord Khalifa Haftar und seiner »Libyan National Army« (LNA) unterstützten Abgeordnetenhaus in Tobruk hatte eigentlich im Oktober 2020 geendet, doch die Kräfte begannen erneut, sich innerhalb der neuen Einheitsregierung zu bekämpfen, scheiterten am Versuch, gemeinsam Wahlen zu organisieren, und auch die ausländischen Kämpfer blieben im Land. Im Fall der besonders von der Türkei, aber auch durch Italien und Katar unterstützen GNA sind gegebenenfalls noch syrische Kämpfer aus pro-türkischen Milizen vor Ort. Für die LNA unter Haftar, die Ägypten nahesteht und teilweise sogar Luftunterstützung durch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erhielt, könnten noch einst angereiste Söldner der russischen Gruppe Wagner oder der sudanesischen »Rapid Support Forces« in Libyen eingesetzt sein. Während sich die EU-Staaten bis auf Italien und Frankreich, das teilweise mit Haftar Geschäfte gemacht haben soll, kaum in den Konflikt hineinziehen ließen, haben auch sie bedeutende militärische Ressourcen in das Land geschickt, deren einzige Mission es war, die Migrant*innen nicht über das Mittelmeer gelangen zu lassen.

EU-Maxime: Migrationsbekämpfung

Die sogenannte libysche Küstenwache ist wohl eines der aufwändigsten europäischen Projekte zur Migrationsbekämpfung – nach den Milliarden, die Erdoğan für seinen Migrationspakt ergattern konnte. Kurz nach der Bombardierung und dem Ende des Gaddafi-Regimes richtete die EU schon 2013 die »European Union Border Assistance Mission in Libya« (EUBAM Libya) ein. 2016 begann dann die europäische Marinemission EU NAVFOR Med mit der Ausbildung der »Küstenwache«. Bis 2023 erhielt diese rund 455 Mio. €. Obwohl die inhumanen Zustände in den völlig überfüllten Lagern, in die die vorgebliche Küstenwache die Migrant*innen zurückführte, sowie Zwangsarbeit und Menschenhandel, systematischer sexueller Missbrauch und Erpressung durch die führenden »Behörden« seit Jahren bekannt waren, stellte die deutsche Regierung erst 2022 ihre Beteiligung an der Ausbildung der Gruppe ein (Jordans 2022). Trotzdem schienen die EU-Staaten die Operation zumindest teilweise als Erfolg einzustufen, da sie dasselbe Konzept von Ausbildung und Ausrüstung in der Folge in verschiedenen Staaten anwendeten, wie Tunesien, Ägypten, Niger und Sudan. In Nordafrika ist nur Algerien nicht Teil einer solchen (Anti-)Migrationspartnerschaft, schirmt sich jedoch auch aus eigener Motivation und mit eigenen Mitteln gegen Migration aus dem Süden ab.

Der Konflikt zwischen Algerien, dem hochgerüsteten Staat mit großen Erdgasvorkommen, und Marokko, der vom Westen aufgerüsteten »Touristenattraktion«, prägt das westliche Mittelmeer derart, dass es selbst europäische Staaten tangiert. Algerien unterstützt traditionell die Befreiungsfront der südlich von Marokko gelegenen Westsahara (»Frente Polisario«), die Marokko seit der Entkolonialisierung durch Spanien zu zwei Dritteln besetzt hält. In Spanien ist der Konflikt deswegen relativ präsent. Durch das Unterlassen der Migrationskontrolle zu den beiden vom Königreich umgebenen spanischen Exklaven Ceuta und Melilla konnte Marokko zuletzt 2021 und 2022 ein starkes Druckmittel beweisen, das den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, aber auch die deutsche Außenministerin, zum Einlenken und zur de facto Unterstützung des marokkanischen »Autonomie-« bzw. Annexionsplans für die Westsahara bewegen konnte. Danach »bedankten« sich die königlich marokkanischen Kräfte im Juni 2022 durch die Wiedereinführung brutaler Grenzsicherung – ein Umstand, der unter anderem rund drei Dutzend Migrant*innen das Leben kostete, die am 24. Juni versuchten, nach Melilla zu gelangen. Algerien jedoch stellte in Antwort auf die politische Entscheidung den Gastransport durch eine über Marokko nach Spanien führende Pipeline ein, und versetzte der Energiesicherheit beider Länder damit herbe Schläge. Die Weiterführung dieses Kurses durch den sozialdemokratischen Sánchez – entgegen dem Protest seines Koalitionspartners Podemos und der öffentlichen Meinung – zeigt, wo die Prioritäten zwischen billigem Pipeline-Gas und Migrationsabwehr liegen – und das, obwohl selbst Politiker*innen der konservativen spanischen Volkspartei bemängelten, dass die Gasknappheit beispielsweise die wichtige Keramikindustrie stark schwächte. Demgegenüber konnte ausgerechnet Italien, das nach Spanien drittgrößter Exporteur von Keramikwaren ist und das die frei werdende Menge von Algerien abnahm, seine Produktion steigern.

Fazit

Die meist von außerhalb der Region kommenden militärischen Supermächte, USA, Russland, Großbritannien und Frankreich, unterhalten Basen an verschiedenen strategischen Punkten im Mittelmeer, die hier durchaus nicht vollständig aufgezählt wurden, und sichern mit diesen, sowie durch Bündnisse mit den Wächtern der Meerengen, Türkei und Ägypten, sowohl ihre militärischen Wege als auch ihre Handelsrouten über dieses kleine Meer, das nur 1 % der weltweiten Meeresfläche, aber 20 % der internationalen Schifffahrt umfasst.

Die regionalen Mächte, besonders die Türkei, aber auch Israel und Ägypten, nutzen die Möglichkeiten, die ihnen schwache oder gescheiterte Staaten in ihrer Nachbarschaft geben, um weitere strategische Gebiete zu besetzen oder präferierte Gruppen an die Macht bringen zu können. Dabei müssen sie nicht nur ihre internationalen Partner, die USA und den Westen sowie Russland, balancieren können, wie die Türkei und Ägypten es tun, sondern auch Unterstützung für, oder zumindest Akzeptanz oder Ignoranz gegenüber ihren eigenen völkerrechtswidrigen Aktionen aufrechterhalten können. Zudem werfen andere überregionale Kräfte wie der Iran oder die VAE ihr geopolitisches sowie militärisches Gewicht gegen ihre Gegner Israel bzw. Türkei in den Ring. Die Europäer treten kaum als ordnende Mächte in diesen Konflikten im östlichen Mittelmeer auf, exportieren jedoch Waffen an die beteiligten Akteure. Deutschland und Italien gehören dabei zu den größten Rüstungsexporteuren sowohl nach Ägypten als auch nach Israel und in die Türkei.

Die europäischen Mittelmeer-Anrainerstaaten kooperieren mit ihren südlichen Nachbarn zwar auch, beispielsweise auf energiepolitischer Ebene (vgl. Sülün in dieser Ausgabe, S. 17), richten ihre Kooperation in diesem Bereich jedoch hauptsächlich nach den jeweiligen Prioritäten bei der Migrationsabwehr aus. Die kürzlich verabschiedete Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wird mit seiner Institutionalisierung der Abschiebung in »sichere« Drittstaaten (statt Herkunftsländer) diese Art der Diplomatie noch stärken.

Anmerkungen

1) Al-Sisi wurde noch unter dem langjährigen Diktator Hosni Mubarak Direktor des Militärgeheimdienstes und wurde dann nach den ersten freien Wahlen nach der Revolution des arabischen Frühlings von der neuen Regierung der Muslimbruderschaft unter Mohamed Mursi, die dem Westen suspekt war, zum Verteidigungsminister ernannt. Er beteiligte sich dann am Putsch gegen Mursi und führt das Land seitdem mit harter Hand. Dies zeigt sich auch daran, dass Ägypten eine der global höchsten Zahlen an politischen Gefangenen aufweist (Jannack und Roll 2021).

2) Die jüngsten sprachlichen Eskalationen werden es nicht besser gemacht haben, vgl. IntelliNews 2024.

3) Unter den freigegebenen Mails von Hillary Clinton findet sich in einer falsch datierten Email ohne Absender mit dem Titel »NEW IRAN AND SYRIA 2.DOC« das hier zitierte Ziel: „Der beste Weg, Israel einen Umgang mit den wachsenden nuklearen Fähigkeiten Irans zu ermöglichen, ist es, den Menschen in Syrien dabei zu helfen, das Regime von Bashar Assad zu stürzen.“ (siehe wikileaks.org/clinton-emails/emailid/18328)

Literatur

Aydıntaşbaş, A.; et al. (2020): Deep sea rivals: Europe, Turkey, and new eastern Mediterranean conflict lines. European Council on Foreign Relations, Mai 2020.

Dalay, G.; Sabanadze, N. (2024): How geopolitical competition in the Black Sea is redefining regional order. Chatham House, Kommentar, 7.3.2024

Flock, P. (2021): Geopolitik vor Klimawandel. IMI-Analyse 2021/31, Juni 2021.

IntelliNews (2024): Israel incensed as Erdogan vows to ‘send Netanyahu to Allah’. IntelliNews, 22.3.2024

International Institute for Strategic Studies (IISS) (2023): Turbulence in the Eastern Mediterranean. Geopolitical, Security and Energy Dynamics. London, November 2023.

Jannack, P.; Roll, S. (2021): Politische Gefangene in Sisis Ägypten. Willkürliche Inhaftierungen als Hindernis für deutsche Stabilisierungsbemühungen. SWP-Aktuell 2021/A 55, 30.08.2021.

Jordans, F. (2022): Germany won’t train Libyan coast guard due to alleged abuse. APNews, 30.3.2022.

Pablo Flock ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung e.V. und Teil der Redaktion ihres vierteljährlich erscheinenden Magazins »Ausdruck«.

Politische Dynamiken in der Arktis

Politische Dynamiken in der Arktis

Klimawandel, Transformationskonflikte und Koexistenzsicherung

von Christoph Humrich

Wenn von Politik in der Arktis gesprochen wird, sei es über sicherheitsrelevante zwischenstaatliche Konflikte einerseits oder über die zwischenstaatliche Umweltkooperation im Arktischen Rat andererseits, spielt der Klimawandel eine herausragende Rolle. Unzweifelhaft zeitigt er dramatische Folgen in der Region. Er ist eines der drängendsten Probleme für ihre Bewohner*innen und über klimarelevante Kipppunkte auch für den Rest der Welt. Um die wesentlichen Entwicklungen in der Region zu verstehen, muss der Blick trotzdem zunächst unabhängig vom Klimawandel auf die relevanten politischen Dynamiken gerichtet werden. Das bessere Verständnis ihrer jeweiligen Logiken sollte auch der Klimapolitik helfen.

Im Themenheft Arktis der KAS-Auslandsinformationen schreibt der ehemalige deutsche Beobachter im Arktischen Rat, Michael Däumer: „Der »Kampf um den Nordpol« ist in aller Munde. Als Auslöser gilt insbesondere der globale Klimawandel“ (2023, S. 7). Das ist sicher eine zutreffende Charakterisierung der Erzählung, die der überwiegenden Wahrnehmung der Region in der hiesigen Öffentlichkeit zugrunde liegt. Der Klimawandel bedinge und intensiviere geopolitische Konflikte in der Region, die im Zusammenspiel mit neu zugänglichen Ressourcen, maritimen Status- und Grenzdisputen sowie sich öffnenden Schifffahrtswegen zu einer Militarisierung und Konflikteskalation in der Arktis führen.

Eine andere Erzählung war hierzulande bis vor Kurzem weniger verbreitet. Auch in dieser spielte der Klimawandel die herausragende Rolle: Hier allerdings nicht als Auslöser eskalierender Konflikte um den Nordpol, sondern als Grund für eine sich intensivierende Kooperation der acht Arktisstaaten im Arktischen Rat. So besonders schien diese Kooperation, dass sich für sie das Etikett »Arktischer Exzeptionalismus« etabliert hat (Exner-Pirot und Murray 2017): eine Ausnahme im ansonsten spannungsgeladenen Verhältnis zwischen Russland und dem Westen. Eine Region, deren zwischenstaatliche Beziehungen sich als immun gegen die Verwerfungen eines sich abzeichnenden globalen Großmachtwettbewerbs erwiesen. Seit Russlands militärischem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 hat die Kooperation im Arktischen Rat allerdings einen erheblichen Dämpfer erlitten. Sie wurde von Seiten der westlichen Arktisstaaten zunächst gänzlich ausgesetzt. Zwar gibt es seit September 2023 eine Einigung auf eine informelle Weiterführung auf Arbeitsgruppenebene, der Exzeptionalismus aber scheint passé. Vor allem durch die Feststellung seines „Zerreißens“ (Kornhuber et al. 2023), ist die mit dem Exzeptionalismus verbundene Wahrnehmung der Region auch in der deutschen Diskussion angekommen.

Zwei unterschiedliche Erzählungen

In beiden Erzählungen fungiert der Klimawandel nicht nur als Auslöser dramatischer geo-physischer Veränderungen, die sich in der Arktis vollziehen, sondern gar als Treiber politischer Entwicklungen und als Kulisse der auf diese bezogenen politischen Einlassungen. Die Symbolkraft entsprechender Bilder wird weidlich genutzt, um entschiedenes Handeln anzumahnen: Verhungernde Eisbären mahnen zu Klimakooperation, Soldat*innen und Kriegsschiffe im ewigen Eis dazu, sich auf Konflikteskalation angemessen militärisch vorzubereiten. Das Problem mit den Erzählungen ist, dass in beiden Fällen, dem arktischen Eskalationismus und dem Exzeptionalismus, der Klimawandel als extern verursachtes und die gesamte Region betreffendes Phänomen die Analyse in zweierlei Weise behindert. Durch den Fokus auf den Klimawandel geraten erstens die Treiber regionaler Entwicklungen an den Rand der Wahrnehmung, die mit der Erderwärmung gar nicht oder nur indirekt in Zusammenhang stehen. Auch dadurch wird zweitens die Wahrnehmung regionaler politischer Dynamiken je einseitig verzerrt. Die Eskalationserzählung überschätzt regionale Konflikte und unterschätzt Kooperationsmöglichkeiten. Bei der Exzeptionalismuserzählung verhält es sich umgekehrt.

Auch wenn der Klimawandel weiterhin und unvermeidlich die Relevanz und den Kontext politischer Analyse der Region (mit-)definieren muss, kann den dramatischen Auswirkungen des Klimawandels in der Arktis politisch effektiver begegnet werden, wenn die regionalen politischen Dynamiken und ihre Logik am Beginn politischer Analyse stehen, nicht der Klimawandel. Dann würde sicherheitspolitische Analyse eher auf Koexistenzsicherung zwischen dem Westen und Russland statt auf klimabedingte Eskalationslogik fokussieren, die umweltpolitische Analyse auf die Transformationskonflikte und ihre mögliche Bearbeitung statt auf übertünchende regionale Klimakooperation.

Arktischer Eskalationismus

Nachdem 2007 eine russische Expedition eine Flagge auf dem Meeresgrund am geographischen Nordpol abgestellt hatte, und im Jahr darauf der geologische Dienst der USA seine Schätzungen zu unentdeckten Öl- und Gasvorkommen in der Arktis publizierte (Gautier et al. 2009), wurde die Beflaggung schnell als Symbol für mit dem Klimawandel in der Region zusammenhängende Sicherheitsprobleme identifiziert (Borgerson 2008), bzw. die Arktis wurde als regionaler Fall in sicherheitspolitische Analysen aufgenommen, welche die Implikationen des Klimawandels zu erfassen suchten (Solana 2008, Welzer 2010). Doch der aufgemachte Zusammenhang zwischen schmelzendem Eis, zugänglichen Ressourcen, Seewegen und Sicherheitsproblemen hat schon damals wenig Entsprechung in der arktischen Realität gefunden.

Das Arctic Climate Impact Assessment (ACIA, Symon et al. 2005), der immer noch umfassendste, aber inzwischen von der tatsächlichen Dramatik weit überholte Bericht zu Klimafolgen in der Arktis (siehe IPCC 2019), merkte bereits an, dass schmelzendes Eis und Permafrost sowie größere Witterungsschwankungen wirtschaftliche Erschließung zunächst einmal erschweren können. Ein plötzlicher Goldrausch oder Run auf die in der öffentlichen Wahrnehmung maßlos überschätzten Ressourcen ist ausgeblieben, wie auch eskalierende Konflikte um maritime Grenzen oder die Kontrolle von Seewegen zwischen den arktischen Staaten (Tunsjø 2020).

In den sicherheitspolitischen Dokumenten der Arktisstaaten finden sich zudem kaum Hinweise darauf, dass in diesem Zusammenhang Sicherheitsrisiken identifiziert werden. Eine Ausnahme stellt Russland dar, wo das Abschmelzen der Eisbarriere vor der sibirischen Küstenlinie im Lichte dubioser geopolitischer Ideologien Anlass zur Verstärkung militärischer Überwachung und Verteidigungsfähigkeit gegeben hat. Den Maßnahmen im mittleren und fernen Nordosten Sibiriens kann jedoch ein überwiegend defensiver Charakter unterstellt werden. Anders sieht es aus mit den militärischen Installationen der Kola-Halbinsel. Sie wurden und werden dort zum Zweck der Machtprojektion und Vorwärtsverteidigung der sogenannten Bastion unterhalten, weil diese Gewässer wegen der Ausläufer des Golfstroms schon immer eisfreier Zugang zum Atlantik gewesen sind. Der relevante und für die Arktis-Anrainerstaaten der NATO bedrohliche Teil der Militarisierung findet hier statt.

Das lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigentlichen Probleme. Um sie zu identifizieren hat der norwegische Politikwissenschaftler Andreas Østhagen (2023) ein Gedankenexperiment vorgeschlagen: Würden der Klimawandel und alle seine Folgen in der Arktis auf einen Streich rückgängig gemacht, wie stände es dann um die regionale Sicherheit? Kaum verändert, lautet die Antwort, denn Sicherheitsprobleme resultieren in allererster Linie von den russischen Großmachtambitionen und den daraus resultierenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen. Das ist etwas anderes als ein auch des Öfteren von Analysten ausgemachter Großmachtwettbewerb um strategische Dominanz, Ressourcen, Schifffahrtswege und Einfluss in der gesamten Region und mit Beteiligung von China. Obwohl dieser zum Beispiel 2019 medienwirksam vom damaligen US-Außenminister Mike Pompeo heraufbeschworen wurde,1 sind entsprechende Dynamiken schwerlich zu erkennen. Dazu sind die Einflusssphären in der Arktis zu eindeutig aufgeteilt und stabil. Das geopolitisches Zentrum der regionalen Spannungen zwischen Russland und dem Westen ist der Hohe Norden, der euro-atlantische Teil der niederen Arktis. China hat es zwar geschafft, als Interessent und Akteur in der Arktis anerkannt zu werden, ist dabei aber bei weitem nicht so relevant geworden wie beispielsweise Deutschland, Großbritannien oder die EU. Nach dem westlichen Abbruch der Beziehungen mit Russland scheint weder das chinesische Engagement mit Russland entscheidend gewachsen, noch das Engagement mit den westlichen Arktisstaaten massiv beeinträchtigt.

Weder ergeben sich also die Sicherheitsprobleme aus Entwicklungen in der Region, noch betreffen sie die gesamte Region. Die Verbindung von arktischem Klimawandel und Sicherheitsproblemen hat demgegenüber eine Perspektive begünstigt, die nicht subregional differenziert und die Verschärfung der Konfliktursachen mit einer gewissen Unausweichlichkeit annimmt. Das hat zu mahnenden Aufrufen geführt, sich für militärische Konfrontationen im (wohl nicht mehr) ewigen Eis zu wappnen.2

Arktischer Exzeptionalismus

Der niederländische Think Tank für Außenpolitik, Clingendael, der sich im Anschluss an die oben schon erwähnte Rede Mike Pompeos die Erzählung über arktische Eskalation zu eigen machte, schrieb die Gründung des Arktischen Rates zwei Tabus im Sinne des Exzeptionalismus zu (Dams und van Schaik 2019, S. 3): Zum einen dürfen die Herausforderungen des Klimawandels nicht abgestritten werden, zum anderen sollten die geopolitischen Konfrontationen des Kalten Krieges nie wieder die Politik der Region bestimmen. Beides ist falsch. Bereits die sogenannte finnische Initiative, die zur Arctic Environmental Protection Strategy (AEPS, 1991), der Vorläuferin des Rates, führte, war sich nur zu bewusst, dass geopolitische Spannungen zwischen Russland und dem Westen fortdauern würden. Um zaghafte Annäherungen zu ermöglichen, setzte sie daher auf ein Thema, das von den Gründen dieser Spannungen nicht betroffen war, sondern bei dem gemeinsame Interessen vorzuherrschen schienen: dem Umweltschutz. Bei den Verhandlungen zum Arktischen Rat wurde dann auch wegen der Annahme fortgesetzter Spannungen das Thema »militärische Sicherheit« explizit aus dem Portfolio des Rates ausgeschlossen.

Trotz umweltpolitischem Fokus spielte der Klimawandel bei der Gründung des Arktischen Rates keine wesentliche Rolle. In der AEPS, die später als Strategie der Umweltsäule des Rates übernommen wurde, wird explizit erwähnt, dass der Klimawandel als globales Problem bereits in anderen Institutionen behandelt werde. Im Vordergrund der arktischen Umweltkooperation standen daher zu Beginn eher klassische Schadstoffreduktion und Naturschutz. Erst 1998 wurde, zunächst im Rahmen der Auswirkungen der Erderwärmung auf den arktischen Naturschutz, eine Vorstudie für das spätere ACIA durchgeführt. Dieses wiederum wurde bei seiner Veröffentlichung 2004 ein weltweit beachteter Erfolg. Über wissenschaftliche Berichte hinausgehende klimapolitische Maßnahmen des Arktischen Rates wurden erst sehr viel später in Angriff genommen.3 Gegen die Blockadehaltung der damaligen Bush-Administration und den Klimaskeptizismus in Moskau kam auch das ACIA nicht an. Das änderte sich erst mit der Regierung von Barack Obama und weiteren Berichten des Rates. Trotzdem brachte der Arktische Rat es noch fertig, in einer seiner Erklärungen zunächst den Klimawandel als größte Bedrohung der Region zu identifizieren, um dann zu postulieren, die Gewinnung fossiler Rohstoffe in der Region sei ein Beitrag zu deren nachhaltiger Entwicklung.4 Dass 2018 eine ganze Reihe prominenter Wissenschaftler*innen den Arktischen Rat auch aufgrund seiner angeblichen klimapolitischen Leistungen für den Friedensnobelpreis vorschlugen (vgl. Finne 2018), wurde schon im Jahr darauf dadurch konterkariert, dass der Rat zum ersten Mal in seiner Geschichte keine Abschlusserklärung zustande brachte, weil die Trump-Administration sich weigerte, der Erwähnung des Klimawandels in selbiger zuzustimmen.

Trotz der also eher ambivalenten Rolle des Rates als klimapolitisches Forum bleibt der Klimawandel nach dem Ende des Arktischen Exzeptionalismus im Zusammenhang mit umweltpolitischer Kooperation in der Region prominent: Nun wird der Klimawandel sowohl von Expert*innen als auch von politischer Seite zu dem Grund stilisiert, der eine fortgesetzte Kooperation mit Russland und einen Erhalt des Arktischen Rates unter allen Umständen notwendig mache (siehe z.B. Zellen 2022). In grandioser Überschätzung des durch den Klimawandel gebotenen Anreizes für zwischenstaatliche Kooperation wird eine arktische Wissenschaftsdiplomatie sogar zum möglichen Katalysator für eine erneute Annäherung zwischen dem Westen und Russland erhoben.

Was dagegen unterschätzt wird, sind die politischen Konflikte auf nationaler Ebene zwischen Verfechter*innen einer starken Klimapolitik und ihren Gegner*innen. Wie die Wechsel der US-Administrationen auch auf internationalem Parkett zeigen, haben diese nationalen politischen Konflikte eine sehr viel größere Bedeutung für klimapolitischen Fort- oder Rückschritt.

Transformationskonflikte in der Arktis

Wie in den meisten anderen Gesellschaften auch, sind die Ökonomien der Arktisstaaten auf Expansion angelegt. In den letzten zwei Jahrzehnten hat diese Expansion die Arktis schrittweise erfasst. Dabei dienen die arktischen Ressourcen sowohl nationalen wirtschaftspolitischen Zielen, als auch dazu, das Wohlstandsniveau der arktischen Peripherien selber zu heben und die Lage ihrer Bewohner*innen zu verbessern. Norwegen benötigt die arktischen Ressourcen zur Wahrung des Ölreichtums, der in den südlicheren Feldern zur Neige geht. Ähnlich verhält es sich in Alaska, wo das Staatsbudget von sich zunehmend erschöpfenden Ölquellen abhängig ist. Die Grönländische Regierung hofft auf die Finanzierung ihrer Unabhängigkeit von Dänemark, Island auf wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der verheerenden Finanzkrise. In Russland wird auch die Arktis in den Dienst der wirtschaftlichen Aufholjagd gegenüber dem Westen gestellt.

In keinem dieser Länder sind diese Entwicklungspfade für die arktischen Gebiete gesellschaftlich unumstritten. Bei entsprechenden politischen Auseinandersetzungen geht es nicht nur für die Bewohner*innen der Arktis selber um zwei Fragen: der ökologischen, sozialen und kulturellen Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung, wie auch um die jeweils angemessene Beteiligung an den entsprechenden politischen Entscheidungen. Die erste Frage liegt oft quer zu Gruppenzugehörigkeiten (wie Indigene vs. Siedler*innen), die letztere fällt oft mit ihnen zusammen. In Konstellationen der Zentrums-Peripherie-Gegenüberstellung vereinen sich unterschiedliche Positionierungen zu beiden Fragen wieder.

In Norwegen tat sich etwa erst kürzlich die größte Jugendnaturschutzorganisation des Landes mit Greenpeace zusammen, das in der Walfangnation eigentlich gar nicht wohl gelitten ist, um gegen die weitere Erschließung von fossilen Rohstoffen auch gerichtlich vorzugehen (vgl. Greenpeace Norden 2024). In Grönland entschied das Parlament erst knapp für den Uranabbau, dann mit veränderten politischen Mehrheiten wieder dagegen. In den USA spielen republikanische und demokratische Regierungen in Washington politisches Ping-Pong um die Öffnung des Arctic National Wildlife Refuges. Während viele alaskanische Inuit für die weitere Erschließung fossiler Rohstoffe in dem Staat sind, lehnen viele kanadische dies für ihre Provinzen strikt ab. Auf Island gingen hydroelektrische Großprojekte mit den größten Umweltdemonstrationen des Landes einher und während die einen Kommunalpolitiker*innen auf die Ansiedlung eines neuen Tiefwasserhafens durch den deutschen Entwickler Bremenports hoffen,5 sind die anderen vehement dagegen.

Obwohl sich die komplizierte politische Gemengelage schlichten dichotomen Zuordnungen entzieht, lässt sich verallgemeinernd sagen, dass die indigenen Bevölkerungsgruppen der Arktis dabei selten am längeren Hebel sitzen. Deren Lage spitzt sich zu. Denn der Klimawandel spielte zwar bei alldem zunächst eine untergeordnete Rolle, verschärft aber nun zunehmend die mit der Entwicklung der arktischen Peripherien einhergehenden politischen Konflikte. Als Rechtfertigungsmotiv taucht der Klimawandel bei Gegner*innen wie Verfechter*innen klimapolitischer Transformation in den arktischen Gebieten auf. Erstere wollen neben den Kosten der Klimafolgen, die sie bereits jetzt und insbesondere zu tragen haben, nicht auch noch die Hauptlast der Transformation übernehmen. Letztere begründen mit dem Klimawandel die Notwendigkeit von Entwicklungsprojekten in der Arktis, mit der das Übergehen der Bedürfnisse der lokalen und indigenen Bevölkerung gegebenenfalls eingepreist wird. Zugunsten der »Green Transition« in der EU sollen in den bevölkerungsarmen aber ressourcenreichen Arktisregionen zum Beispiel Windfarmen errichtet, Bahntrassen gelegt und seltene Erden abgebaut werden. So trägt die indigene Bevölkerung die oben angedeutete doppelte Last: die Folgekosten des Klimawandels und die seiner Vermeidung. Daher etabliert sich zunehmend die Rede von einem »Green Colonialism« in der Arktis (vgl. Kårtveit 2021). Der Widerstand dagegen, aber auch der von indigenen Fragen eher unbeeindruckte, von populistischer Seite kommende Protest gegen die umweltpolitische Transformation, beeinträchtigen effektive Klimapolitik.

Der Gefahr des »Green Colonialism« ließe sich nur begegnen, wenn die politischen Auseinandersetzungen auf der Grundlage starker indigener Rechte geführt werden. Dem Populismus nähme generell stärkere Partizipation in politischen Prozessen Wind aus den Segeln. In beiden Hinsichten ließ die Kooperation im Arktischen Rat zu wünschen übrig. Zwar nimmt der Arktische Rat zurecht für sich in Anspruch, mit der Beteiligung der indigenen Völker Maßstäbe gesetzt zu haben,6 nicht nur bei der Umsetzung bzw. Ausweitung von Rechten zuhause sind die Staaten aber zögerlich. Den sehr unrühmlichen Kontrapunkt zum herausgehobenen Status der indigenen Vertreter setzte der Fakt, dass die westlichen Staaten im Rat kein Gegenmittel wussten als Moskau die russische Vereinigung der indigenen Völker der Arktis (RAIPON) zunächst als ausländischen Agenten deklarierte, mit Razzien überzog und eine der Regierung genehme Führung installierte, die sich dann nicht zu schade war, Putin ihre volle Unterstützung bei der militärischen Spezialoperation zu versichern (vgl. Urueña, S. 23 in dieser Ausgabe). Mit Russland als Mitglied verwundert es aber auch nicht, dass die notwendige grundrechtliche und partizipatorische Untermauerung der Green Transition im Rat kaum Thema ist.

Das Schicksal von RAIPON ist ein Beispiel dafür, dass die westlichen Arktisstaaten für eine Annäherung mit Russland bzw. fortgesetzte Kooperation bereit waren, normative Grundlagen und wesentliche Voraussetzungen für das Erreichen expliziter Kooperationsziele abzuwerten. Selbst wenn man nicht überzeugt ist, dass Russland diese Annäherung nur benutzt hat, um sich in ihrem Schatten für seine neo-imperialistischen Umtriebe aufzurüsten (vgl. bspw. Mikkola et al. 2023), kann man fragen, ob umgekehrt die Annäherung es Wert ist, Abstriche an effektiven Politiken hinzunehmen. Intensivierte Kooperation unter »like-minded states« könnte möglicherweise mehr bewirken.

Koexistenzsicherung für die Arktis

Die Antwort auf ein Ende des vermeintlichen Arktischen Exzeptionalismus ist nicht unbedingt die weitergehende Militarisierung der Arktis oder Machtdemonstrationen durch die NATO. Hinreichende Abschreckung und auch das Signalisieren von Verteidigungsbereitschaft sind sicher vonnöten. Aber dazu ist zum einen eine nüchterne Analyse der russischen strategischen und operativen Fähigkeiten unabdingbar, die sich zum Beispiel nicht an der gern erwähnten Anzahl der Eisbrecher bemisst. Um russische Paranoia und Propaganda nicht unnötig anzuheizen, bedarf es zum anderen einer klaren räumlichen und militärischen Begrenzung auf die Bereiche und Gebiete, in denen die Sicherheitsinteressen der arktischen NATO-Mitglieder berührt sind. Das wird wesentlich beschränktere Aufrüstung und Verteidungsinvestitionen erfordern als von manchen Analysten, Politikern und Militärs auf NATO-Seite gewünscht. Selbst die wird aber zu einer steigenden Militärpräsenz mit den daraus folgenden Sicherheitsrisiken in der Arktis führen.

Dabei sei daran erinnert, dass die Arktis im Kalten Krieg schon vor der Diskussion um die Auswirkungen des Klimawandels oder der Ressourcengewinnung ein militärisches Aufmarschgebiet war. Es lohnt sich aus zwei Gründen, diese Zeiten noch einmal in den Blick zu nehmen. Auf der einen Seite werden dabei die Gelegenheiten auffallen, bei denen der ideologische Überbau des Kalten Krieges Maßnahmen effektiver Entspannung behindert hat. Auf der anderen die, bei denen es besser gelang, die Risiken einer militärischen Konfrontation im Sinne eines umsichtigen Managements gegenseitiger Abschreckung zu minimieren. Voraussetzung war die Anerkennung von Sicherheitsbedürfnissen. Auf dieser Basis wurde beschränkte Kooperation zur Koexistenzsicherung im Kalten Krieg möglich. Sie hatte zwei Ebenen. Die lokale, die in der Arktis zum Beispiel mit Verträgen zur Kommunikation bei militärischen Zwischenfällen die regionalen Symptome der globalen Konfrontation behandelte, und die globale, auf der die Bedingungen von Stabilität durch und mit Abschreckung definiert und durch Abrüstungsvereinbarungen unterstützt wurden.

Für die lokale Ebene stehen in der Arktis heute noch bzw. schon entsprechende Institutionen bereit.7 Sie müssen gegebenenfalls nur aktualisiert oder entsprechend umgewidmet werden. Es ginge nicht mehr um intensive und umfassende Zusammenarbeit zwischen Partnern, sondern um das begrenzte operative Management konkreter Gefahrensituationen, an deren Vermeidung beide Seiten ein Interesse haben. Die Umwidmung könnte durch einen »Arctic Military Code of Conduct« (Depledge et al. 2019), dessen Umsetzung dann diesen Institutionen zufallen würde, sinnvoll unterstützt werden. Auf der globalen Ebene sind dagegen echte und gravierende politische bzw. diplomatische Anstrengungen vonnöten, um Fortschritte zu erzielen. Von diesen lenken mühsame Versuche, die regionale Kooperation im Arktischen Rat zu erhalten, möglicherweise ab. Mit dem gegenwärtigen Russland dient diese weder einem effektiven Klimaschutz, noch ist eine politische Annäherung zwischen Russland und dem Westen durch seine Wissenschaftsdiplomatie zu erwarten. An der Sicherung von Koexistenz über Verhandlungen statt Rüstungsspiralen sollte auch Russland interessiert sein. Angesichts seiner militärischen Überstreckung in der Ukraine kann sich Russland eine konventionelle militärische Eskalation in der Arktis kaum leisten. Der Einsatz hybrider Strategien und die Betonung der nuklearen Fähigkeiten (siehe Kola-Stationierung) deuten auch darauf hin.

Zwei neue Erzählungen: Transformationskonflikte und Koexistenzsicherung

Der Klimawandel bedroht die Arktis und den Rest der Welt. Das heißt aber weder, dass er für eskalierende Sicherheitsprobleme in der Arktis verantwortlich ist, noch dass er einen arktischen Exzeptionalismus begünstigt. Wer die Sicherheitsprobleme in der Region verstehen will, muss Russlands strategische Bedürfnisse und Großmachtambitionen in den Blick nehmen, die politischen Dynamiken, die darauf Einfluss nahmen, nicht geo-physische Veränderungen. Zu solchen politischen Dynamiken haben zum Beispiel das über alle Warnungen hinweggehende deutsche Interesse an billigem Gas für seine Verbraucher und Industrie beigetragen; in der Arktis aber sicher auch die symbolische Legitimation, die Russland als geschätztem Kooperationspartner noch zuteil wurde, als die Krim schon annektiert war und das Regime sich längst zur Autokratie gewandelt hatte. Im Hinblick auf Sicherheitsrisiken ergibt sich ein relativ enger räumlicher Fokus auf den so genannten Hohen Norden, die niedere euro-atlantische Arktis, die von jeher durch den Golfstrom eisfrei ist. Hier sollten sich die regionalen diplomatischen Anstrengungen auf Maßnahmen mit Russland zur Koexistenzsicherung fokussieren. Diese soll auf der operativen Ebene den begrenzten Anspruch haben, die Risiken beidseitiger Militärpräsenz zu mildern. Das würde sie auch politisch realistisch machen. Ansonsten gibt es keine regionale Eskalationslogik. Die Gründe der Spannungen zwischen Russland und dem Westen liegen auf globaler Ebene und müssen dort bearbeitet werden.

Auch der Arktische Rat kann vermutlich zur Zeit am ehesten einen sinnvollen Beitrag in der Region und global leisten, wenn sich seine Tätigkeit auf die Fortführung von Kooperation zum wissenschaftlichen Monitoring des Klimawandels in der Arktis begrenzt. Der gegenwärtige Wissensstand dazu würde übrigens auch ohne weitere Kooperation im Arktischen Rat auf jeden Fall ausreichen, um auf nationaler Ebene mit dem Abwarten aufzuhören und mit einer ernsthaften Klimapolitik zu beginnen. Aber die politische Logik der Green Transition darf sich nicht auf die Rechtfertigung der Alternativlosigkeit bestimmter Politiken durch den Klimawandel beschränken. Entscheidende Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Green Transition setzen demgegenüber eine Bearbeitung der unterliegenden Transformationskonflikte voraus. Wenn diese nicht in Anti-Klimapolitiken umschlagen sollen, geht an einer politischen Auseinandersetzung um das richtige Verhältnis zwischen Umwelt und Entwicklung kein Weg vorbei. Damit es nicht zum »Green Colonialism« kommt und die indigenen Völker die Verlierer sind, ist ein neues Niveau effektiver Rechte und Partizipation erforderlich. Deren Voraussetzungen sind aber im Verein mit einem autokratischen und aggressiven Russland wohl kaum zu schaffen. Dafür wären neben nationalen Anstrengungen entsprechende Bemühungen der EU oder eine Kooperation der sieben westlichen Arktisstaaten sicherlich mehr geeignet.

Anmerkungen

1) Siehe die Rede am 6.5.2019, dokumentiert auf YouTube youtube.com/watch?v=6Bk8PeRBYcg.

2) Für den deutschen Fall s. z.B. die Einlassungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Knut Abraham (2023).

3) Für gute Überblicke siehe Hoel (2007) und Yamineva und Kulovesi (2018).

4) Dies findet sich in der Abschlusserklärung des sechsten Arctic Council Ministertreffens (Arctic Council 2009).

5) Link zur Projekthomepage: bremen-ports.de/finnafjord/

6) Als »Permanente Teilnehmer« haben Vertreter*innen von sechs indigenen Organisationen die gleichen Teilnahmerechte wie die Mitgliedstaaten des Arktischen Rates. Den letzteren bleibt formell aber das Entscheidungsrecht vorbehalten. Dennoch trafen die Mitgliedsstaaten Entscheidungen zumeist im Konsens mit den Permanenten Teilnehmern.

7) Vor der russischen Besetzung und Annexion der Krim gab es Arctic Chief of Defense Staff Meetings und einen Arctic Security Forces Roundtable als pan-arktische Foren. Das Arctic Coast Guard Forum ist noch aktiv.

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Dr. Christoph Humrich ist Assistant Professor für International Relations and Security Studies an der Universität Groningen/Niederlande und einer der Sprecher der Themengruppe Polar- und Meeerespolitik der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. Er forscht schwerpunktmäßig zur Umweltgovernance und Sicherheitspolitik in der Arktis.

Konflikte in der Arktis

Konflikte in der Arktis

Die vielfachen Risiken des Klimawandels

von Henry Lesmann

Die Erde hat sich in Folge des Klimawandels bislang um etwa 1,1 Grad Celsius erwärmt. Dadurch sind Klimakonflikte immer wieder Thema in öffentlichen Debatten, etwa hinsichtlich der Ernährungs- und Wasserversorgung sowie daraus folgender Migrationsbewegungen. In den Polarregionen sind die Folgen des Klimawandels besonders dramatisch, was neben globalen Auswirkungen auch Fragen nach Risiken und Konflikten konkret in diesen Regionen aufwirft. Besondere Aufmerksamkeit erhalten hierbei die Schifffahrtsrouten, Territorialkonflikte, Ressourcen und das Militär.

Die Erwärmung der Arktis zeigt sich insbesondere am Abschmelzen des dortigen Meereises, dessen Ausdehnung immer wieder neue historische Tiefpunkte erreicht. Der so freigelegte Ozean besitzt eine deutlich geringere Reflexion der Sonneneinstrahlung (Albedo) als das hellere Meereis und erwärmt sich daher stärker, was die Meereisschmelze weiter begünstigt. Darüber hinaus führt das Schmelzen des Permafrostes zur Freisetzung darin gebundener Treibhausgase, was den globalen Klimawandel ebenfalls verstärkt. Die Auswirkungen dieser Prozesse sind nicht nur auf die Arktis beschränkt. So führt etwa die Meer­eisschmelze zu einer Abschwächung des Nordatlantikstroms, der Wärme nach Europa transportiert. Höhere Verdunstungsraten begünstigen außerdem extremere Schneefälle in Europa. Das Abschmelzen von Gletschern und Eisschilden an beiden Polen der Erde sowie die thermische Ausdehnung des Wassers führen zum Meeresspiegelanstieg, welcher wiederum Folgen in den Küstenregionen hat.

Schifffahrtsrouten

Aufgrund des fortschreitenden Schmelzens von Meereis erhalten drei potenzielle arktische Seewege immer wieder Aufmerksamkeit: Die Nördliche Seeroute (NSR), welche als Teil der Nordostpassage entlang der russischen Küste verläuft, die Nordwestpassage (NWP) entlang der kanadischen Küste und die Transpolare Passage (TPP) (vgl. Karte). Über die kurzfristig vielversprechendste NSR würde sich die Transportstrecke zwischen London und Yokohama gegenüber der Strecke durch den Suez-Kanal um etwa ein Drittel verringern. Auf der Strecke von New York nach Shanghai wäre die Wegersparnis durch die NWP gegenüber der Strecke durch den Panama-Kanal immerhin noch knapp 20 % (Christensen 2009, S. 2). Viele Strecken würden sich mit Nutzung der TPP um zusätzliche 10 % verkürzen, diese setzt aber eine nahezu eisfreie Arktis voraus (Østreng et al. 2013, S. 49).

Die Vorteile wären also relevant, jedoch bestehen neben der vorhandenen Meer­eisbedeckung weitere Hindernisse für die arktische Schifffahrt. So erschweren treibende Eisberge und schwierige, teils unvorhersehbare Wetterbedingungen die Durchfahrt. Darüber hinaus mangelt es an Infrastruktur: Es gibt in der Region nur wenige Häfen, die große, für den Transit geeignete Schiffe aufnehmen und versorgen können. Außerdem sind die arktischen Gewässer nur zu etwa 10 % kartiert und Wegmarken sind kaum vorhanden. Es mangelt an für die Arktisschifffahrt ausgebildeter Besatzung und Systemen zur Überwachung der Marineaktivität und zum besseren Management der Schiffe, was das Risiko für Zwischenfälle erhöht. »Search-and-Rescue« (SAR) Operationen sind in der Arktis besonders schwer durchzuführen. Trotz zehn entsprechender Übereinkommen zwischen 1949 und 1994 ist die dortige SAR-Infrastruktur gerade für die zunehmende Schifffahrt weiterhin unterentwickelt. So ist es nur bedingt möglich, einem Schiff in Not Hilfe zu leisten oder zur Verhinderung bzw. Bekämpfung einer Umweltkatastrophe beizutragen, was besonders angesichts einer Vielzahl an Tankschiffen von Bedeutung ist.

Karte: Mögliche Nordische Seerouten

Karte: Mögliche Nordische Seerouten (Quelle: Arctic Centre University of Lapland).

Die acht Arktisstaaten (»A8«) Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Russland, Schweden und die Vereinigten Staaten unterzeichneten 2011 ein Übereinkommen, das die SAR-Zusammenarbeit verbessern, Zuständigkeiten definieren und internationale Hilfe koordinieren soll. Seit 2015 tagt außerdem das Arctic Coast Guard Forum, das die Zusammenarbeit der A8 stärkt. Auch wenn die praktischen Auswirkungen noch begrenzt sind, tragen diese Maßnahmen zur Reduzierung der durch zunehmende Schifffahrt entstehenden Risiken bei.

Nichtsdestotrotz führt die gefährlichere Durchfahrt zu hohen Kosten, etwa durch Versicherungsprämien oder Kosten für eine Eisbrecherbegleitung. Neben der ökonomischen ist jedoch auch die geostrategische Perspektive zu beachten. So sieht bspw. China die arktischen Seewege als Alternative zu den gängigen Transportrouten, welche im Konfliktfall insbesondere von den Vereinigten Staaten blockiert werden könnten.

Territorialkonflikte

Mit zunehmender Nutzbarkeit der Arktis treten auch territoriale Fragen wieder mehr in den Vordergrund. Kanada etwa sieht die NWP als Teil seiner internen Gewässer an (da die Route durch das kanadisch-arktische Archipel führt), viele andere Staaten verstehen die Nordwestpassage jedoch als eine internationale Wasserstraße, die auch ohne Zustimmung Kanadas durchschifft werden darf.

Da es sich bei der Arktis größtenteils um einen Ozean handelt, werden territoriale Ansprüche von der UN-Seerechtskonvention bestimmt. Diese besagt, dass sich die Hoheitsgewässer eines Staates von der sogenannten Basislinie an dessen Küste bis zu zwölf Seemeilen aufs offene Meer hinaus erstrecken. Daran anschließend hat der Staat für weitere zwölf Seemeilen erweiterte Rechte, um etwa Verstöße gegen dessen Zoll- oder Einwanderungsvorschriften zu verhindern und zu ahnden. In der sich bis zu 200 Seemeilen von der Basislinie erstreckenden Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) hat der Staat das Recht auf die alleinige Nutzung der dort vorhandenen natürlichen Ressourcen. Im Bereich des Festlandsockels hat der Staat die Hoheitsrechte zur Erforschung und Nutzung der am und unter dem Meeresboden gelegenen Ressourcen. Der Festlandsockel ist zunächst deckungsgleich mit der AWZ, lässt sich aber auf bis zu 350 Seemeilen von der Basislinie erweitern, sofern der jeweilige Staat nachweisen kann, dass es sich dabei um eine natürliche Verlängerung von dessen Landmasse handelt. Ein solcher Anspruch kann unter Vorlage einer wissenschaftlich fundierten Begründung an eine UN-Kommission gestellt werden, welche den Antrag ausgiebig prüft und ablehnt oder bewilligt. Auf dessen Grundlage erheben Dänemark, Kanada und Russland Anspruch auf den Nordpol.

Besondere Aufmerksamkeit erlangten die territorialen Streitigkeiten im August 2007, als eine russische Arktisexpedition auf dem Meeresboden am geographischen Nordpol eine russische Flagge platzierte und damit Sorge über einen möglicherweise aufflammenden Territorialkonflikt auslöste. Zwar konnte die Lage entspannt werden und die Arktisanrainerstaaten bekannten sich im darauffolgenden Jahr noch einmal dazu, sämtliche Gebietsstreitigkeiten im Einklang mit der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen zu lösen, dennoch kann dies als Startpunkt dafür gesehen werden, dass die Arktis auch geostrategisch wieder mehr in den Fokus rückte.

Natürliche Ressourcen

Bedeutung erlangen die Territorien insbesondere durch die in und auf ihnen zu findenden Ressourcen. Diese lassen sich in der Region in zwei Kategorien unterteilen: Bodenschätze, umfassen sowohl fossile Energieträger als auch metallische Erze, und maritime Ressourcen, betreffen neben der Fischerei auch im weiteren Sinne die zuvor beschriebenen Schifffahrtsrouten und den Tourismus.

In der Arktis wurden bisher Vorkommen von etwa 61 Mrd. Barrel Öl und 269 Mrd. Barrel Erdgas entdeckt, die auch heute schon erschließbar sind (Spencer et al. 2011, S. 2). Schätzungen zufolge gibt es darüber hinaus noch weitere 90 Mrd. Barrel Öl und 1,669 Bill. Barrel Gas, die bisher unentdeckt sind. Etwa 84 % davon werden Off-Shore, also im arktischen Ozean, erwartet (USGS 2008). Neben den fossilen Energieträgern erleichtert der Klimawandel außerdem den Zugang zu Seltenen Erden, die eine wichtige Ressource für erneuerbare Energieerzeuger, und damit im Kampf gegen den Klimawandel, sind. Doch obwohl die Förderung arktischer Ressourcen an Attraktivität gewinnt, lässt sich das Konfliktrisiko zunächst als eher gering bewerten, da sich 90 bis 95 % der Vorkommen in den ausschließlichen Wirtschaftszonen der umliegenden Staaten befinden.

Die schmelzenden Permafrostböden sind ein wachsendes Problem für die arktische Ressourcenförderung, aber weitgehend auch für die dortige Infrastruktur. Mit steigenden Temperaturen wird deren aktive Schicht dicker, die im Jahresverlauf friert und wieder taut und sich dabei hebt und senkt. Dabei verlieren die Böden an Tragkraft und werden anfälliger für Erosionsprozesse. Bis 2050 könnte deshalb etwa 70 % der auf Permafrostböden der nördlichen Hemisphäre gebauten Infrastruktur beschädigt sein (Hjort et al. 2022). Etwa 45 % der russischen Öl- und Gasproduktion in der Arktis finden in Gebieten mit einem hohen permafrostbedingten Risiko statt (Hjort et al. 2018, S. 2).

Im Bereich der maritimen Ressourcen ist der Einfluss des Klimawandels vermutlich am stärksten in der Fischerei zu beobachten. Die steigende Wassertemperatur verändert die Lebensweise der darin lebenden Fischbestände. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Makrele: Ihr Lebensraum lag traditionell im nordöstlichen Atlantik, etwa in schottischen Gewässern. Seit 1999 werden zum Erhalt des Bestands jährliche Fangmengen festgelegt und unter der EU (damals noch einschließlich Großbritannien), Norwegen und den Faröer Inseln aufgeteilt. Seit 2006 hält sich die Makrele im Sommer allerdings zunehmend in den wärmer gewordenen isländischen Gewässern auf, wo sie zuvor kaum gesichtet wurde. Island nutzte diese neu gewonnenen Makrelenbestände und fischte 2008 und 2009 fast ein Viertel der gesamten Fangmenge, sehr zum Unmut der anderen Staaten. Auch im Rahmen der von Norwegen ins Leben gerufenen Fischereischutzzone um Spitzbergen kommt es immer wieder zu Zwischenfällen zwischen Norwegen und Russland. Generell gibt es sowohl Gewinner als auch Verlierer der Auswirkungen des Klimawandels auf die Fischbestände, was insbesondere dann relevant wird, wenn diese aus der AWZ eines Staates in die eines anderen ziehen und Fischerinnen und Fischer ggf. ihre Lebensgrundlage verlieren.

Das Eskalationspotenzial um maritime Ressourcen zeigt sich an den Kabeljaukriegen (»Cod Wars«) zwischen Island und Großbritannien, die zwischen 1958 und 1976 immer wieder für Spannungen innerhalb der NATO sorgten und 1976 sogar zu einer zeitweisen Unterbrechung der diplomatischen Beziehung der beiden NATO-Mitgliedsstaaten führte. Entgegen vieler Medienberichte könnte also die Ressource Fisch ein höheres Konfliktpotenzial haben als die in der Arktis lagernden Hydrokarbonate. Bislang ist es aber gut gelungen, die jeweiligen Konfliktfelder von anderen arktischen Themen und Verhandlungen zu trennen und damit die Kooperation in diesen Bereichen nicht erheblich zu beeinträchtigen. So fand insbesondere in der Forschung ungeachtet sonstiger Zerwürfnisse eine gute internationale Kooperation statt.

Militärische Konflikte

Von den acht Arktisstaaten sind in Folge der Eskalation des Ukrainekonfliktes nun sieben Staaten Mitglied der NATO oder in der Endphase des Beitrittsprozesses. Damit bilden sich militärisch klar zwei Lager: NATO auf der einen, Russland auf der anderen Seite. Nach einer ruhigeren Phase nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schenkt Russland der Arktis seit etwa zehn Jahren wieder mehr Aufmerksamkeit. Wenige Jahre vorher, um 2009/2010, begann die Modernisierung der bröckelnden russischen Streitkräfte, die in großen Teilen durch die Erträge aus den Hydrokarbonaten aus der Arktis finanziert wurde. In diesem Zuge wurden auch vorhandene Militäreinrichtungen in der Arktis erweitert und modernisiert. Die NATO hingegen fand es lange Zeit nicht nötig, sich stärker in der Arktis zu engagieren. Die Kooperationen in der Region sollten nicht beeinträchtigt werden, zudem befürchteten die Arktisstaaten, dass durch solches Engagement die übrigen, nicht arktischen NATO-Staaten einen stärkeren Einfluss in der Region ausüben könnten als bis dato.

Trotz der begrenzten NATO-Aktivität in der Arktis änderte sich aufgrund des Klimawandels die russische Bedrohungsperzeption. Das schmelzende Eis an der russischen Nordflanke eröffnet nicht nur wirtschaftlich neue Möglichkeiten, sondern erleichtert auch den Zugang aus einer zuvor noch unwegsameren Richtung. Neben den arktischen Wirtschaftszonen befindet sich hier auch die zu einem großen Teil an der arktischen Kola-Halbinsel stationierte nukleare Zweitschlagkapazität Russlands. Und tatsächlich lassen sich in Folge des Klimawandels neben den dort seit dem Kalten Krieg vorhandenen U-Booten zunehmend auch Überwasserkriegsschiffe in der Arktis finden. Dennoch ist eine militärische Konfliktaustragung in der Region, unabhängig vom Motiv, insbesondere aufgrund der immer noch widrigen Bedingungen weiterhin unwahrscheinlich.

Russland: Von der Kooperation zum Konflikt

Die Beziehungen der Arktisstaaten waren zwar insbesondere seit 2007 von zunehmenden Spannungen geprägt, dennoch fand neben der stetigen Forschungskooperation auch immer wieder ein Austausch über sicherheitsrelevante Themen statt. Mit Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 änderte sich das Bild Russlands schlagartig, was auch die Situation in der Arktis beeinflusste. Die Kooperationen kamen zum Erliegen, das Vertrauen in stabilisierend wirkende gemeinsame Interessen war erschüttert. Im Arktischen Rat erklärten die übrigen sieben Staaten, ihre Teilnahme an allen Sitzungen vorerst zu unterbrechen, später wurde die Arbeit an Projekten ohne russische Beteiligung fortgesetzt. Auch in anderen Foren wie dem Barents Euro-Arctic Council und der Northern Dimension fand kein Austausch mehr mit Russland statt, selbst die Forschungskooperation kam zum Erliegen. Der Bruch Russlands mit internationalem Recht wirft die Frage auf, ob es sich in anderen Regionen – wie der Arktis – noch an dieses gebunden fühlt. Eine Nichtbeachtung der Seerechtskonvention hätte vermutlich die gravierendsten Auswirkungen, da dies territoriale Konflikte zur Folge haben könnte.

Darüber hinaus führt das neue EU-Russland-Verhältnis dazu, dass die EU von russischen Energieträgern unabhängig sein möchte. Zunehmend finden Alternativen der Energieversorgung Aufmerksamkeit, darunter erneuerbare Energien, weshalb Grönland oder Norwegen, die über Vorkommen von Seltenen Erden verfügen, von der Abkehr von Russland profitieren könnten.

Was bringt die Zukunft?

Während die Antarktis nicht zuletzt aufgrund ihrer geographischen Lage und früher internationaler Verträge unabhängig vom Klimawandel auf längere Sicht ein geringes Konfliktpotenzial birgt, sind in der Arktis Risiken und Konflikte aufgrund der höheren menschlichen Aktivitäten schon deutlich stärker zu bemerken. Diese werden durch den Klimawandel nun noch einmal verstärkt. Während die Konfliktrisiken um Öl und Gas sowie Schifffahrtsrouten in den öffentlichen Debatten häufig eher überschätzt werden, birgt insbesondere die Fischerei ein nicht zu vernachlässigendes Konfliktpotenzial. Grundsätzlich ist aber, gerade auch wegen der widrigen Bedingungen, zumindest nicht mit einem bewaffneten Konflikt in den Polarregionen zu rechnen, dieser würde vermutlich dann eher niedrigschwellig sein oder andernorts ausgetragen werden.

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Henry Lesmann hat 2022 sein Bachelorstudium der Geographie an der Universität Hamburg abgeschlossen.

Polarkreise in der Polykrise

Polarkreise in der Polykrise

Arktis und Antarktis zwischen Konflikt und Kooperation

von Jürgen Scheffran und Verena Mühlberger

Die Polarregionen der Erde befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel. Ökosysteme und Ressourcen von Arktis und Antarktis sind essentiell für die globale Stabilität und von der globalen Erwärmung besonders betroffen. Damit verbunden sind Konfliktrisiken, aber auch Chancen der Kooperation zwischen Staaten und der Zivilgesellschaft. Während die Antarktis als globales Gemeingut geschützt ist, wurde die Arktis in das Wettrüsten des Kalten Krieges einbezogen. Die darauf folgende Phase der Stabilität und Kooperation droht durch aktuelle Spannungen verschüttet zu werden. Trotz der heutigen Polykrise muss die Zusammenarbeit in den Polargebieten fortgesetzt und einer geopolitischen Polarisierung entgegengewirkt werden.

Die Arktis und die Antarktis sind planetare Antipoden, die jeweils innerhalb des nördlichen und südlichen Polarkreises liegen, also den Breitengraden beider Hemisphären, an denen die Sonne an den beiden Tagen der Sonnenwende gerade nicht mehr auf- oder untergeht (etwa bei 66° nördlicher/südlicher Breite). Während die kontinentale Landmasse im Südpolarkreis weitgehend naturbelassen ist und temporär nur wenige Menschen auf Forschungsstationen beherbergt, liegt der Nordpol im arktischen Ozean und ist von drei Kontinenten umgeben (Europa, Asien, Nordamerika), die im arktischen Polarkreis von etwa 4 Mio. Menschen bewohnt werden. Ist der antarktische Kontinent ganzjährig eisbedeckt, wird der arktische Ozean vom saisonalen Zyklus des Meereises bestimmt. In beiden Polregionen ist die lokale Flora und Fauna an die extremen klimatischen Bedingungen angepasst und anfällig für Veränderungen. Aufgrund der einzigartigen und zunehmend gefährdeten Natur der Polarregionen hat der Tourismus in den letzten zwei Jahrzehnten merkbar zugenommen und ist eine wachsende Einkommensquelle, übt aber Druck auf die fragilen Ökosysteme aus. Schon früh gab es internationale Bemühungen, die Regionen gemeinsam zu erforschen und auf der Grundlage gegenseitiger Interessen und Vereinbarungen zusammenzuarbeiten. Der 1961 in Kraft getretene Antarktisvertrag vereinbart die gemeinsame und friedliche Erforschung und Nutzung der Antarktis, die für marine Ressourcen nachhaltig erfolgen soll. Für die Arktis liegt ein solch umfassendes internationales Vertragswerk nicht vor.

Angesichts der Nähe zu Staaten und Bevölkerungen und damit verbundener Nutzungen und Konflikte liegt im Folgenden der Fokus auf der Arktisregion (zur Antarktis siehe die Beiträge von Lüdecke, S. 25 und Flamm, S. 29 in dieser Ausgabe). Mit dem Ende der letzten Eiszeit zogen sich die Gletscher, die teilweise auch Norddeutschland bedeckten, immer weiter nach Norden zurück, so dass eine Besiedlung durch Menschen möglich wurde, die sich über Jahrhunderte an die extremen Bedingungen der Arktis anpassten und ihr Leben nach dem Zyklus der Jahreszeiten ausrichteten. Während niedrige Temperaturen und kurze Wachstums­perioden eine kommerzielle Landwirtschaft in der Arktis-Region erschweren oder verhindern, gibt es heutzutage starke wirtschaftliche Interessen an den reichlich vorhandenen Bodenschätzen, insbesondere an Erdöl und Erdgas. Es leben über 40 verschiedene indigene Gruppen in der Arktis, deren traditionelle Subsistenzwirtschaft durch Fischerei und Jagd wie auch durch Rentier- und Karibuzucht geprägt ist. Durch eine frühere Schneeschmelze und Verschiebungen der Baumgrenzen in der arktischen Tundra ist ihr Lebensstil bereits gefährdet und gerät durch neue Wirtschaftsformen zunehmend unter Druck (Hansson et al. 2021).

Zone des Friedens in der Krise

Gegen Ende des Kalten Krieges schlug Michail Gorbatschow im Rahmen der »Murmansk-Initiative« vor, die Arktis in eine »Zone des Friedens« zu verwandeln, eine Sichtweise, die bei den Anrainerstaaten auch die Zeit danach bestimmte. So entwickelte sich die Arktis zu einer Zone der Kooperation, mit grenzüberschreitenden kooperativen Allianzen und Partnerschaften zwischen privaten und staatlichen Akteuren. 1996 wurde in Ottawa, Kanada, der Arktische Rat (»Arctic Council«) gegründet, in dem acht Regierungen und sechs indigene Verbände als Permanente Mitglieder für Frieden, Stabilität und konstruktive Zusammenarbeit in der Arktis kooperierten. Gemeinsame Projekte waren Abkommen in den Bereichen Suche und Rettung, Verhütung von Ölverschmutzung und wissenschaftlicher Kooperation, sowie Plattformen für die arktische Küstenwache und den Arktischen Wirtschaftsrat (Klimenko 2019). Ein Forum für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in der Barentsregion ist der Barents Euro Arctic Council (BEAC), in dem es unter anderem um vertrauensbildende Maßnahmen und grenzüberschreitende Hilfeleistungen in Notfällen, bei Unfällen und Naturkatastrophen geht.

Trotz alarmistischer Vorhersagen und Spekulationen über ein »Gerangel um die Arktis« sind große Konflikte in der Region bislang ausgeblieben, was eine Debatte über den »arktischen Exzeptionalismus« auslöste (siehe dazu Humrich, S. 15 in dieser Ausgabe). Geopolitische Spannungen und multiple Krisen sind Störfaktoren für die arktische Zusammenarbeit und eine Herausforderung für den arktischen Exzeptionalismus (Käpylä und Mikkola 2019). Das betrifft z.B. Projekte im BEAC über biologische Vielfalt und Umwelt-Hotspots (Klimenko 2019). Mit einer zunehmenden strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Arktis nehmen die Konfliktpotentiale zu und verdrängen die positive Dynamik der 1990er Jahre. Dabei spielen neben dem Klimawandel nicht zuletzt der Ukrainekrieg und die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen eine Rolle, die zur Aussetzung der Zusammenarbeit mit Russland im Arktischen Rat führten (Broek 2023).

Kipppunkte und Risikokaskaden des Klimawandels

Die Polregionen sind von zentraler Bedeutung für das Weltklima und erwärmen sich mit 3 bis 4 Grad Celsius Zuwachs seit den 1970er Jahren um ein Vielfaches schneller als andere Weltregionen. Die zunehmende Wärmeaufnahme durch die großen Ozean- und Landflächen verändert die physische Umwelt grundlegend (AMAP 2019). Eine Nichtdurchsetzung der Pariser Klimaziele würde die Zukunft der Region erheblich verändern. Viele Gebiete werden anfälliger für Waldbrände und Hitzewellen, der erschwerte Zugang zu sauberem Wasser und Lebensmitteln schafft ein Risiko für die Ausbreitung von Krankheiten, und das Katastrophenmanagement wird herausfordernder, mit Such- und Rettungseinsätzen wie bei den Waldbränden in Nordschweden im Sommer 2018. In beiden Polregionen besteht ein Risiko für sich selbst verstärkende Kipppunkte und Risikokaskaden im globalen Erdsystem, die Ende 2023 im »Global Tipping Points Report« (Lenton et al. 2023) bei der Weltklimakonferenz in Dubai vorgestellt wurden. Steigende Temperaturen führen zu größeren eisfreien Meeresflächen, die dadurch stärker Sonnenwärme aufnehmen als das Eis, und sie führen zum vermehrten Auftauen des Perma­frostes, aus dem das Treibhausgas Methan freigesetzt wird. Beides beschleunigt die globale Erwärmung. Während das Meer in der Arktis besser schiffbar wird, werden die Böden und darauf liegende Infrastrukturen (Verkehrswege, Gebäude, Stromleitungen, Pipelines) instabiler. Die veränderte Verteilung von Temperatur und Salzkonzentration schwächt den Wärmetransport des Golfstroms in den Norden, was dort eine Abkühlung bringen könnte. Das Abschmelzen der Eisschilde in Grönland und der Antarktis lässt den globalen Meeresspiegel ansteigen, was den Verlust von Küsten- und Landflächen weltweit bedeutet (Irrgang et al. 2022).

Ressourcenausbeutung und Ungleichheit

Das Abschmelzen arktischer Eisflächen auf dem Land und zur See ist ein tiefer Eingriff in die arktische Umwelt, die einigen Nachteile, anderen Vorteile bringt. Die Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen oder seltenen Erden und anderen Metallen für Digitalisierung und Energiewende belastet nicht nur das Weltklima, sondern auch die lokale Umwelt, mit Auswirkungen auf Ökosysteme und ihre Artenvielfalt in der Region. Dies untergräbt traditionelle Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung (z.B. Rodon 2018).

Andere profitieren dagegen von den Veränderungen in der Arktis, durch besser zugängliche Ressourcen für die Energieproduktion (Boersma und Foley 2014), schnellere und direktere Schifffahrts- und Handelsrouten durch das eisfreie Meer, höhere Bodenpreise oder landwirtschaftliche Produktivität. Die Rohstoff-Industrie schafft neue Einkommensquellen und Arbeitsplätze (Keskitalo 2019), macht jedoch Staaten zunehmend von fossilen Brennstoffen abhängig, obwohl sie sich im Pariser Abkommen von 2015 zu einer Abkehr verpflichtet haben, um den Klimawandel abzuschwächen. Gelingt dies nicht, verschärfen sich sozio-ökonomische Ungleichheiten in der Arktis. Diese Konfliktdimensionen sollten nicht unterschätzt werden, da sie vor allem die binnen-nationalen Gefüge massiv betreffen.

Brennglas globaler und lokaler Konflikte

Mit der wachsenden strategischen Bedeutung der Arktis nehmen gesellschaftliche Spannungen und Konflikte zu, die die globale und lokale Ebene in komplexer Weise verbinden. Am Nordpol, wo alle Längengrade sich treffen, kommen geopolitische Ansprüche und Widersprüche geographisch weit auseinanderliegender Weltmächte (USA, Kanada, EU, Russland, China und Japan), deren Territorien zu großen Teilen außerhalb des Arktischen Zirkels liegen, wie in einem Brennglas zusammen. Spannungen zwischen Russland und dem Westen gehen einher mit Destabilisierungstendenzen in Europa und Nordamerika, dem Wandel der transatlantischen Beziehungen und Rivalitäten des Westens mit Ostasien. Damit verbunden sind konkurrierende Interessen von Staaten, Unternehmen und Bevölkerungen um Ressourcen, Transportmittel, Pipelines und Grenzziehungen.

Grafik Arktis-Region

Die Arktis-Region mit Informationen über Permafrost-Gebiete, Bergbauflächen (Minen) und sozial-ökologische Konflikte (Quelle: Mühlberger 2023).

Ein Streitgegenstand ist die Festlegung von Grenzen. Fragen der nationalen Souveränität und des internationalen Rechts betreffen die Ausdehnung des Festlandsockels und die Abgrenzung der Seegrenzen, die den Zugriff auf arktische Ressourcen festlegen. Einige Streitigkeiten konnten erfolgreich beigelegt werden, etwa um die Seegrenzen zwischen Russland und Norwegen in der Barentssee (Harding 2010). Dabei bestehen auch unterschiedliche Vorstellungen zwischen staatlichen und oft nomadischen gesellschaftlichen Gebietsansprüchen. In einigen Fällen sind die Rechte der indigenen Bevölkerung betroffen, etwa um Weideland und traditionelle Jagdgebiete, die durch staatliche Machtansprüche an den Rand gedrängt werden. Die Landfragmentierung beeinträchtigt traditionelle Nahrungs- und Wasserquellen und erschwert in Notfällen das Erreichen von Gesundheitszentren und Schutzräumen (Dudarev et al. 2013). Während Organisationen der indigenen Völker, wie der Sami-Rat, die Auswirkungen von Grenzen einschränken wollen, bewirken staatliche Grenzkontrollen vielerorts das Gegenteil (UNGA 2016). Mit wachsenden zwischenstaatlichen Spannungen reduzieren sich die schon erkämpften Mitsprachemöglichkeiten der indigenen Bevölkerung (vgl. Urueña S. 21 in dieser Ausgabe).

Zunehmend entwickelt sich in den einzelnen Staaten ein oft komplexes Problemgeflecht von zwischenstaatlichen Konflikten über Ressourcenextraktion, Klima- und Umweltveränderungen sowie den sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen auf die Bevölkerung, verstärkt durch Armut und Unterentwicklung, soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Dabei werden wirtschaftliche Interessen häufig über die indigener Minderheiten gestellt (Temper und Shmelev 2015).

Militarisierung und Aufrüstung

Der Antarktis-Vertrag sieht die ausschließlich friedliche Nutzung der Antarktis vor und verbietet dort jegliche militärische Aktivitäten. Demgegenüber war die Arktis im Kalten Krieg eine der am stärksten militarisierten Regionen der Welt, an der Schnittstelle der Supermächte, als Überflugzone von Atomwaffen und damit verbundener Infrastrukturen, als Testgelände und für andere militärische Zwecke. Mit der Entspannung und dem Ende des Ost-West-Konflikts wurden die Rüstungsarsenale in der Region verringert, im Rahmen der kooperativen Strukturen sank der Bedarf an Gesprächen über militärische Sicherheitsfragen (Groenning 2016). In den letzten Jahren mehrten sich die Anzeichen für neue Spannungen in der Region, die mit einer zunehmenden Militarisierung verbunden sind. Neben der Kontrolle der Arktis geht es auch um Machtprojektionen in anderen Regionen, vor allem im Nordatlantik (vgl. Humrich, S. 16 in dieser Ausgabe).

Dies gilt insbesondere für Russland, das seit 2011 eine Reihe von Militärstützpunkten wiedereröffnet hat, Flugplätze und Radarstationen instand setzt, seine seegestützten Nuklearstreitkräfte und die der großen Überwasserschiffe modernisiert. Im Dezember 2014 richtete Russland das Gemeinsame Strategische Kommando Nord (JSC North) ein, um die verschiedenen militärischen Armeen und Teilstreitkräfte unter einem Kommando zusammenzufassen, ein Zeichen für das Wiederaufleben des Konzepts der »Strategischen Bastion« im Norden (Boulègue 2018). Nach eigenen Aussagen reagiert Russland auf das sich verändernde Umfeld in der Arktis und neue Sicherheitsherausforderungen durch zunehmenden Schiffsverkehr, räumlich und zeitlich längere Küstenlinien durch Meereisschmelze, Konsolidierung der Nordflotte und strategische Parität mit den USA und NATO, die ihre militärischen Anstrengungen nun ebenfalls mehr auf die Arktis richten (Klimenko 2019; Anthony et al. 2021).

Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 und den NATO-Beitritt von Finnland und Schweden droht die Arktis zunehmend in einen neuen Kalten Krieg hineingezogen zu werden. Im Westen wurden Befürchtungen geäußert, dass Russland die freie Durchfahrt im Arktismeer beschränken könnte. An der norwegischen Winterkampfübung »Cold Response« im Frühjahr 2022 nahmen rund 30.000 Soldatinnen und Soldaten aus 27 Nationen teil. Ein Jahr später führte Russlands Nordmeerflotte nach eigenen Angaben ein Manöver in den Gewässern der Arktis mit 1.800 Soldaten und mehr als einem Dutzend Schiffen durch. Ohne ernsthafte Bemühungen für Entspannung und Abrüstung droht in der Arktis ein forciertes Wettrüsten, das Atomwaffen, Flugkörper, Abwehrsysteme, U-Boote und Schiffe ebenso umfasst wie Weltraum-, Cyber- und hybride Kriegsführung.

Geopolitische Rivalität zwischen USA und China

Ein aktiver arktischer Akteur ist zunehmend auch China, das seine Visionen und Absichten 2018 in einem Weißbuch zur Arktis dargelegt hat (SCIO 2018). Neben der Wahrung der Souveränitäts- und Verwaltungsrechte der arktischen Staaten will China Mitsprache in Fragen der arktischen Ressourcenentwicklung und Schifffahrt, beansprucht Rechte auf Navigation, Überflüge und Fischerei, für die Verlegung von Unterseekabeln und Pipelines. China investiert in den Bergbau in Grönland, russische Flüssigerdgas-Projekte, die Zunahme der Schifffahrt entlang der »polaren Seidenstraße« sowie in wissenschaftliche Forschung und Diplomatie. Es gibt Befürchtungen einiger Anrainerstaaten im Westen über den wachsenden Einfluss Chinas auf die Arktisregion und damit verbundene sicherheitspolitische Implikationen (Havnes und Seland 2019).

Das hängt auch mit den strategischen Rivalitäten zwischen Russland, China und den USA zusammen, die sich in der Arktis entladen könnten. Der frühere US-Außenminister Mike Pompeo warnte anlässlich des Ministertreffens des Arktischen Rates in Rovaniemi am 6. Mai 2019 vor aggressiven Ambitionen Russlands und Chinas in der Arktis (Pompeo 2019). Entsprechend wurde der Ausbau der US-Marine- und Eisbrecherkapazitäten der Arktis und im Nordatlantik anvisiert, verbunden mit größeren Anstrengungen von Luftwaffe und Heer (DOD 2019). Auch wenn die Biden-Administration die Arktis zunächst als Zone niedriger Spannung ansah, bereiten sich die US-Küstenwache und andere Einrichtungen auf neue strategische Prioritäten vor (Anthony et al. 2021).

Umweltfolgen der Rüstung und ökologische Sicherheit

Rüstung und Krieg hängen eng mit Umweltfolgen und natürlichen Ressourcen in der Arktis zusammen, wodurch hier erweiterte Konzepte menschlicher und ökologischer Sicherheit an Bedeutung gewinnen.

Der Ukrainekrieg und damit verbundene Sanktionen haben zum einen die fortgesetzte Abhängigkeit der Welt von fossilen Energieträgern deutlich gemacht und den Blick daher auf die riesigen (vermuteten) arktischen Vorkommen gelenkt. Somit drohen das fossile Zeitalter und damit verbundene Konflikte perpetuiert zu werden.

Militärische Aktivitäten in der Arktis bringen zum anderen erhebliche Umweltbelastungen und -risiken mit sich, die die Umweltsicherheit gefährden (Hoogensen et al. 2013). So verschmutzt das russische Militär seit vielen Jahrzehnten seine arktischen Inseln, was 2010 zu einer größeren Säuberung von Abfällen führte, die nur teilweise erfolgreich war und kürzlich fortgesetzt wurde (Arctic Russia 2023). Es gab großflächige Zwischenfälle wie der Nuklearunfall auf dem Njonoksa-Testgelände in der Oblast Arkangelsk im Sommer 2019 (Klimenko 2019). Die wachsende Zahl und Intensität von militärischen Aktivitäten hat auch negative Auswirkungen auf die indigenen Gebiete. Militärübungen und Waffentests werden oft in scheinbar abgelegenen Randzonen oder in der vermeintlich »unberührten Wildnis« durchgeführt. Dies wird jedoch von indigenen Völker kritisiert, da militärische Aktivitäten oftmals auf historischem und kulturell relevantem Land stattfinden. Dies kann ihre Lebensgrundlagen beeinträchtigen, durch Landnahme, Verschmutzung und Abfälle, Transport militärischen Geräts, Lärm sowie der Störung von Vieh und Wildtieren (Vladimirova 2024).

Wege zur nachhaltigen Friedenssicherung

Um grenzüberschreitende Herausforderungen der arktischen Sicherheit einzudämmen, ist die Bereitschaft aller Beteiligten zur Zusammenarbeit erforderlich. Ein verstärktes Engagement von Politik und Forschung kann dazu beitragen, das Wissen und die Implementierung nachhaltiger und friedlicher Lösungsansätze auszubauen (Klimenko 2019).

  • Diskussion über Rüstungskontrolle und militärische Sicherheit: Um die Spannungen in der Arktis zu verringern und zu verhindern, dass kooperative Strukturen und Institutionen in eine geopolitische Sackgasse geraten, ist Rüstungskontrolle unabdingbar. Cepinskyte und Paul (2020) schlagen vor, Diskussionsplattformen über militärische Sicherheitsfragen in der Arktis einzurichten. 2012 initiierte Kanada ein Treffen der Verteidigungsstabschefs der arktischen Staaten, das wegen des Konflikts in der Ukraine und der Beendigung der militärischen Zusammenarbeit mit Russland nach 2014 jedoch ausgesetzt wurde. Die Unterbrechung der Kommunikation ist kein Weg zum Abbau der Spannungen in der Region, und einseitige Maßnahmen wie der Arctic Security Forces Roundtable, bei dem Russland nicht beteiligt ist, machen im Sinne einer Verständigung weniger Sinn.
  • Zwischenmenschliche Kontakte und Bildungsmaßnahmen dienen gerade in Zeiten zunehmender Spannungen dem grenzüberschreitenden regionalen Engagement. Mehr Jugendbeteiligung und Bildungsaustausch schaffen Vertrauen und Verständigung zwischen Gesellschaften, Gemeinschaften und Staaten, und verbessern den Wissensaustausch zwischen verschiedenen Gesellschaften und Kulturen. Beispiele sind Initiativen wie der Barents Youth Council und die Arctic Frontiers Emerging Leaders.
  • Ökologische Zusammenarbeit für gemeinsame Sicherheit: Der Austausch von umweltbezogenen Informationen ist ein Beitrag zum Schutz der polaren Gemeingüter. Um auf Notsituationen in Naturkatastrophen reagieren zu können, müssen begrenzte Ressourcen über große Entfernungen und Staatsgrenzen organisiert werden. Suche und Rettung gelten als erfolgreiche Beispiele für effektive Zusammenarbeit und vertrauensbildende Maßnahmen und können potenziell auf andere Bereiche und Akteure ausgeweitet werden, wie in der Strafverfolgung und der maritimen Polizeiarbeit.
  • Forschung zum nachhaltigen Frieden: Während wissenschaftliche Sanktionen der Klimaforschung in der Arktis schaden (Albrecht und Scheffran 2022), kann multidisziplinäre Forschung dazu beitragen, die Folgen menschlicher Aktivitäten in der Arktis für die Lebensmittel-, Wasser- und Gesundheitssicherheit und die Rolle von Technologien zu verstehen (Berner et al. 2016). Um die möglichen Auswirkungen geopolitischer Spannungen und militärischer Aktivitäten auf die arktische Zusammenarbeit zu untersuchen, müssen diese hinsichtlich ihrer Folgen (auch für die Umwelt) untersucht werden. Hierzu gehört auch die Einbeziehung verschiedener Stakeholder, z.B. der Industrie, humanitärer Organisationen und Versicherungen, die das Sicherheits- und Friedensverständnis in der Region erweitern können. Szenariobasierte Forschung und der bessere Zugang zu Daten kann dazu beitragen, Strategien zur Risikominderung und nachhaltigen Friedenssicherung zu entwickeln.
  • Indigenes Wissen und Partizipation: Trotz einiger Fortschritte beim Dialog mit indigenen Gemeinschaften werden ihre Stimmen nur selten von Staaten berücksichtigt, besonders wenn es um sensible Fragen ihrer Sicherheit und Souveränität geht. Um sie stärker einzubeziehen, sind bessere Möglichkeiten der Partizipation und Unterstützung für Forschungsprojekte zu schaffen, in denen die indigenen Völker ihr einzigartiges Wissen über die Arktis für die Problemlösung einbringen können.

Doppelte Transformation zwischen Eiszeit und Heißzeit

Beide Polregionen liegen an der Schnittstelle globaler Probleme und Konflikte und bieten Chancen für die regionale und internationale Kooperation. Sie sind für die Bewahrung der planetaren Grenzen und die Stabilisierung des Klimasystems von zentraler Bedeutung, die durch die nicht-nachhaltige Ausbeutung ihrer Ressourcen gefährdet werden und neue Abhängigkeiten schaffen. Um eine klimatische Heißzeit und eine politische Eiszeit zu vermeiden, braucht es eine doppelte Transformation für einen nachhaltigen und konfliktvermeidenden Umgang mit den Polarkreisen, der im Sinne zukünftiger Generationen auf Vermeidungs- und Anpassungsstrategien unter Beteiligung der lokalen und indigenen Bevölkerungen und ihres Wissens setzt. So können die Orte, um die sich die Erde dreht, zu Zonen des Friedens werden.

Literatur

Albrecht, M.; Scheffran, J. (2022): Wie kann die Wissenschaft noch mit Russland kooperieren? Frankfurter Rundschau, 22.7.2022.

AMAP (2019): Arctic climate change update 2019. Arctic Monitoring and Assessment Programme, Tromsø.

Anthony, I.; Klimenko, E.; Su, F. (2021): A strategic triangle in the Arctic? Implications of China-Russia-United States power dynamics for regional security. SIPRI Insights on Peace and Security 2021/3.

Arctic Russia (2023): Major cleanup in the Arctic: Preliminary results of a project by the Russian Geographical Society. Arctic Russia, 23.8.2023.

Berner, J. et al. (2016): Adaptation in Arctic circumpolar communities: food and water security in a changing climate. International Journal of Circumpolar Health 75, 33820.

Boersma, T.; Foley, K. (2014): The Greenland gold rush. Brookings Center.

Boulègue, M. (2018): Russia’s military posture in the Arctic: Managing hard power in a ‘low tension’ environment. Chatham House: London.

Broek, E. (2023): The Arctic is hot: Addressing the social and environmental implications. SIPRI Policy Brief 2023/9.

Cepinskyte, A.; Paul, M. (2020): Großmächte in der Arktis. SWP-Aktuell 50.

DOD (2019): Department of Defense Arctic Strategy. Report to Congress, US Department of Defense.

Dudarev, A. A. et al. (2013): Food and water security issues in Russia I. International Journal of Circumpolar Health 72, 22645.

Groenning, R. (2016): Why military security should be kept out of the Arctic Council. Arctic Institute, 2.6.2016.

Hansson, A., Dargusch, P., Shulmeister, J. (2021): A review of modern treeline migration, the factors controlling it and the implications for carbon storage. Journal of Mountain Science 18(2), S. 291-306.

Harding, L. (2010): Russia and Norway resolve Arctic border dispute. The Guardian, 15.9.2010.

Havnes, H.; Seland, J. M. (2019): The increasing security focus in China’s Arctic policy. Arctic Institute.

Hoogensen, G. et al. (2013): Environmental and human security in the Arctic. Routledge: London.

Irrgang, A. M., et al. (2022): Drivers, dynamics and impacts of changing Arctic coasts. Nature Reviews Earth & Environment 3(1), S. 39-54.

Käpylä, J.; Mikkola, H. (2019): Contemporary Arctic meets world politics: Rethinking Arctic exceptionalism in the age of uncertainty. In: Finger, M.; Heininen, L. (Hrsg.): The Global Arctic Handbook. Springer: Cham, S. 153-169.

Keskitalo, E.C.H. (Hrsg.) (2019): The politics of Arctic resources. Routledge: London.

Klimenko, E. (2019): The geopolitics of a changing Arctic. SIPRI Background Paper 2019/12.

Lenton, T.M. et al. (Hrsg.) (2023): The global tipping points report 2023. University of Exeter.

Mühlberger, V. (2023): Regional development under different climate futures in the Arctic: An agent-based-model for understanding complex human-environment interactions. Masterarbeit, Integrated Climate System Sciences, Universität Hamburg.

Pompeo, M. R. (2019): US Secretary of State, ‘Looking north: Sharpening America’s Arctic focus’. Redemanuskript, Rovaniemi, Finland, 6.5.2019.

Rodon, T. (2018): Institutional development and resource development: the case of Canada’s indigenous peoples. Canadian Journal of Development Studies 39(1) S. 119-136;

SCIO (2018): China’s Arctic Policy. Chinese State Council Information Office: Beijing.

Temper, L.; Shmelev, S. (2015): Mapping the frontiers and front lines of global environmental justice: the EJAtlas. Journal of Political Ecology 22(1), 255.

UNGA (2016): Report of the Special Rapporteur on the rights of indigenous peoples on the human rights situation of the Sami people in the Sápmi region of Norway, Sweden and Finland, 9.8.2016.

Vladimirova, V. (2024): Continuous militarization as a mode of governance of indigenous people in the Russian Arctic. Politics and Governance 12, 7505.

Dr. Jürgen Scheffran ist Professor (em.) für Integrative Geographie, Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit (CLISEC) an der Universität Hamburg und Mitglied der W&F-Redaktion.
Verena Mühlberger war Masterstudentin am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg und hat in ihrer Abschlussarbeit zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Arktis geforscht.

Polare Fronten: Kalter Krieg oder Zone des Friedens?

Polare Fronten: Kalter Krieg oder Zone des Friedens?

Die Polarregionen zeichnen sich durch ihre ökologische Fragilität und globale Bedeutung aus. Sie sind die Dreh- und Angelpunkte, um die sich die Erde dreht, und trotz ihrer Kälte zugleich Brennpunkte der Weltpolitik, an denen sich geopolitische Interessen, Ressourcengewinnung und Umweltschutz überschneiden. Auch wenn sie gegenüber den Bevölkerungszentren als abgelegene und unberührte Landschaften erscheinen, ist hier eine kooperative Regierungsführung dringlich, um eine Ausweitung territorialer Streitigkeiten und Ressourcenkämpfe in die Polarkreise zu vermeiden. Darüber hinaus erfordern die Erhaltung der Ökosysteme der Arktis und Antarktis und die Vermeidung der Klimafolgen (Eisschmelze, tauender Permafrost, veränderte Ozeanströmungen) internationale Solidarität und Kooperation in Wissenschaft und Politik. Sie sind damit zentrale Themen für die Forschung und das Eintreten für globalen Frieden und langfristige, nachhaltige Zusammenarbeit.

Das Jahr 2024 könnte zu einer Wegscheide zwischen der zirkumpolaren Zusammenarbeit und neuen Konflikten werden. Der hohe Norden, der nach dem Kalten Krieg von der Entspannung profitierte und als »Zone des Friedens« galt, rückte in den letzten Jahren durch seine natürlichen Ressourcen (Öl, Gas, Rohstoffe) doppelt in den Blickpunkt. Zum einen werden sie durch die globale Erwärmung leichter zugänglich, zum anderen steigt die Nachfrage durch den Ukrainekrieg und die Sanktionen – Ausdruck neuer geopolitischer Rivalitäten zwischen Russland und dem Westen. Mit einem Anteil von rund 40 % an den arktischen Territorien steht hier eine russische Dominanz im Raum. An einer »polaren Seidenstraße« ist auch die chinesische Führung interessiert, die zunehmend in der Arktis investiert. Da will auch die NATO nicht nachstehen, die durch Finnland und Schweden im Norden gestärkt ihre militärischen Fähigkeiten ausbaut, auch gegen Cyber- und hybride Bedrohungen. Sie plant ihre größte Übung seit dem Kalten Krieg, »Operation Steadfast Defender 2024«, an der 90.000 Personen aus 31 Mitgliedstaaten teilnehmen, und eine große Arktis-Übung, die »Nordic Response 2024«.

Angesichts der Spannungen durch den Ukrainekrieg haben die westlichen Staaten im »Arktischen Rat« (Arctic Council) die Zusammenarbeit mit Russland vorerst auf Eis gelegt. Dadurch ist der Zugang zu wissenschaftlichen Daten aus Russland verwehrt, die etwa für die Klimaforschung dringlich sind. Bei der diesjährigen Konferenz »Arctic Frontiers« in Tromsø betonte Norwegens leitende Arktis-Beauftragte Solveig Rossebø die Notwendigkeit einer multilateralen Zusammenarbeit gegen den Klimawandel, auch mit Russland. So galt Russland bislang als konstruktives Mitglied des Rates, der ohne das Land kaum weiterbestehen kann, was für die indigenen Völker der Region ein großer Verlust wäre. Dies schließt jedoch nationale Vereinbarungen nicht aus, wie die zwischen der kanadischen Regierung und den Inuit, die mehr Befugnisse über öffentliches Land, Gewässer und darin enthaltene Rohstoffe erhalten sollen.

In diesem Heft richten wir den Blick auf die Regionen und darin agierende nationale und sub-nationale Akteur*innen, um die Polarregionen nicht nur als abstrakten Schauplatz, sondern als historisch gewachsene und politisch geformte komplexe Gebiete zu begreifen. Thematisch sind die Artikel nach einigen Zielen und Bereichen gegliedert:

  • Die Arktis und Antarktis als Projektionsflächen für Aspirationen, Ideen und Vorstellungen von Macht, Besitz und Wettbewerb, aber auch von Frieden, Neugierde und Kooperation. Die Klärung damit verbundener Begrifflichkeiten kann zum Verständnis der widersprüchlichen Entwicklungen beitragen.
  • Die vielfältige Geschichte beider Regionen ist sowohl durch zwischenstaatliche Wechselwirkungen geprägt als auch in der Arktis durch innerstaatliche Unterdrückung der lokalen Bevölkerung und indigener Gruppen. Das Wechselspiel geschichtlicher und aktueller Zusammenhänge soll an konkreten Beispielen verdeutlicht werden.
  • Der Bezug auf den Antarktis-Vertrag und den »Arctic Council« bietet institutionelle Rahmungen, die regionale und überregionale Akteure verbinden, darunter auch China und die NATO, die in wechselnde konfliktive und kooperative Beziehungen eingebunden sind. Die Risiken des Klimawandels sind zentrale Belange, die in diesen Arenen verhandelt und maßgeblich beeinflusst werden (können). Hier können aktuelle Herausforderungen der Diplomatie und Wirtschaft herausgearbeitet und Konflikte sichtbar gemacht werden.
  • Durch die Kolonisierung indigener Territorien in vielen der arktischen Länder finden sich zusätzliche Konfliktdynamiken, die sowohl innerstaatlich als auch überstaatlich sind, da nationale Grenzen durch indigenes Land gezogen wurden. Proteste und Forderungen der betroffenen Gruppen existieren auch weiterhin. Die Beiträge beleuchten diese, als historisch wichtige aber oftmals unbeachtete Konflikte und auch als aktuelle Differenzen, in denen nationale Machtansprüche mit einem Bestreben nach Gerechtigkeit, »Wiedergutmachung«, Entschädigung, Landrechten usw. in Widerspruch geraten.

Eine interessante Lektüre wünschen, Astrid Juckenack und Jürgen Scheffran