Die Waffen des Krieges

Die Waffen des Krieges

von Tobias Pflüger

Konnte die NATO mit den eingesetzten Waffen und der Art der Kriegführung gegen Jugoslawien das erklärte Kriegsziel erreichen, eine »humanitäre Katastrophe« – die Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kososvo – zu verhindern?. Der Verlauf des Krieges belegt das Gegenteil: ein explosionsartiges Ansteigen der Flüchtlingsströme, ein Vielfaches an Elend.
Tobias Pflüger geht der Frage nach, ob sich aus der Art der NATO-Kriegführung und den eingesetzten Kriegswaffen herauslesen lässt, dass die offiziellen Kriegsziele nicht die wirklichen sein konnten.

Die NATO hat im 79-tägigen Krieg gegen Jugoslawien anfangs 350 und gegen Ende fast 1.200 Flugzeuge eingesetzt. Sie flogen zusammen ca. 35.000 Einsätze. An den Bombardements beteiligten sich folgende vierzehn NATO-Staaten (in Klammern immer die Anzahl der Flugzeuge/Hubschrauber): USA (724), Belgien (10), Dänemark (9), Deutschland (15), Frankreich (86), Großbritannien (38), Italien (39), Kanada (18), Niederlande (22), Norwegen (6), Portugal (3), Spanien (8), Türkei (11) und Ungarn (51). Dazu kamen 4 NATO-AWACS. Die restlichen fünf NATO-Staaten, darunter die Neumitglieder Polen und Tschechien, schickten keine Flugzeuge.

Die Flugzeuge starteten von Flugbasen in Italien, Bosnien, Albanien, Mazedonien, Deutschland, Ungarn, den USA und von Flugzeugträgern im Mittelmeer. Die USA hatten u.a. auch zwei Kreuzer, drei Zerstörer, eine Fregatte und zwei U-Boote im Einsatz. Deutschland beteiligte sich am Angriff auf Jugoslawien mit 8 sogenannten ECR (Electronic Combat Reconnaissance)-Tornados aus Landsberg/Lech in Oberbayern, 6 Recce (Reconnaissance, also Aufklärungs)-Tornados aus Jagel/Schleswig-Holstein und einer Transall, ebenfalls aus Landsberg. Die ECR-Tornados hatten die Aufgabe die Flugabwehr Jugoslawiens auszuschalten. „Sie sollen die Bresche in die gegnerische Luftabwehr schlagen, durch die andere Kampfflugzeuge schlüpfen und ihr Ziel erreichen können“, hieß ihr offizieller Auftrag, Ziel ist: „Die gegnerische Flugabwehr lokalisieren, identifizieren, und zerstören (neutralisieren).“ Bewaffnet waren die Tornados mit den HARM-Raketen (High-Speed-Anti-Radiation-Missile). Die HARM-Rakete folgt dem Radarstrahl und lenkt sich so quasi selbstständig ins Ziel. Wenn das gegnerische Radar abgeschaltet wird, fliegt die Rakete weiter, so landete eine HARM-Rakete der NATO in Sofia. Die ECR-Tornados wurden innerhalb der NATO aufgrund ihrer „Pfadfinder-Rolle im Bosnien-Einsatz“ gelobt. Damit hatte Deutschland einen quantitativ sehr kleinen Anteil am Bombardement Jugoslawiens, militärisch gesehen war die Ausschaltung der Flugabwehr jedoch eminent wichtig.

Von deutschem Boden ging der Krieg aus: Von Spangdahlem in der Eifel, von dort starteten 13 F 117 Nighthawk-Tarnkappenbomber und vier F 16-Kampfflugzeuge der USA; von Brüggen/Elmpt bei Mönchengladbach, hier starteten sechs britische Tornados; von der Airbase in Frankfurt (dem „Brückenkopf für Kampfeinsätze“, SPIEGEL 06.05.1999), hier starteten KC10-Flugzeuge, die die bombenabwerfenden F 15, F 16, B 52 und Tornados in der Luft betankten.

Die abgeworfenen Bomben

Die NATO-Flieger warfen insgesamt ca. 20.000 Bomben über dem gesamten Jugoslawien ab. Offiziell zählte die Mehrzahl der NATO-Bomben zu den Präzisionswaffen, doch darunter waren auch 1.100 Streubomben. Nach einer AP-Meldung vom 23.06.1999 enthielten die meisten dieser Streubomben „je 202 Sprengkörper“.

Die Streubomben sollen »großflächige Ziele« treffen. Als militärische Ziele gelten vor allem gepanzerte Fahrzeuge und feindliche Infanterie. Die Streubombe CBU 87 wirkt z. B. folgendermaßen: Die 202 einzelnen Explosivkörper bzw. Bombletten der CBU 87 zerplatzen beim Aufschlag in bis zu 300 messerscharfe Splitter, die mit hoher Geschwindigkeit in ein Umfeld von ca. 150 Metern geschleudert werden. Die Explosivkörper werden in einem Wirkungskreis von 200 mal 400 Metern verstreut. In den mit Inhalt 450 kg schweren Behältern befindet sich neben den Explosivkörpern (der sogenannten Submunition) ein Geschoss, das Metall von bis zu 12 cm durchschlagen kann und mit seiner Füllung die Umgegend der Abwurfstelle in Brand setzt. Streubomben werden häufig für Flächenbombardements genutzt.

Britische Tornados warfen eine unbekannte Anzahl Streubomben des Typs BL 755 ab. Die ca. 280 kg schwere Streubombe BL 755 gehört zur Normalbewaffnung der Tornados. Auch deutsche Tornados haben diese Streubomben, setzten sie aber gegen Jugoslawien nicht ein. In einer Beschreibung dieses Bombentyps heißt es: „Die Streubombe BL 755 wird vom Flugzeug aus abgeworfen und gegen Panzer und Fahrzeuge sowohl in der Bereitstellung als auch in der Entfaltung eingesetzt. Sie besteht aus sieben Fächern mit je sieben Trichtern, in denen jeweils drei Kleinbomben (also 147 Bombletten, TP) enthalten sind, der Sicherheits-, Schärf- und Funktionseinheit (SAFU) und zwei Kartuschen für den pneumatischen Ausstoß der Kleinbomben.“ (vgl. Handbuch Ausrüstung der Bundeswehr).

Nach Angaben des Pentagon explodieren ca. fünf Prozent der Explosivkörper der Streubomben nicht. So lagen nach der Einstellung der Bombardierung nach US-Angaben noch ca. 11.000 nicht explodierte Bombletten in Jugoslawien herum. Wieviele des britischen Typs dazu kamen ist unbekannt. Hinzu kommt, dass Militärexperten die Angaben des Pentagon von nur 5 % Fehlzündungen bezweifeln und mit einer Fehlquote von bis zu 20 Prozent rechnen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) schreibt am 24.06.1999, dass von bis zu 20.000 scharfen Kleinbomben ausgegangen werden müsse, „die genaue Zahl kennt niemand, doch wird in der NATO auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass auf dem früheren Kriegsschauplatz bis zu 30.000 nicht explodierte Splitterbomben der NATO liegen könnten.“

Diese Kleinbomben, die ungefähr die Größe einer Sprudelflasche haben und zumeist leuchtend gelb oder grün bestrichen sind, sind erfahrungsgemäß vor allem für Kinder gefährlich. So berichtete die UN-Menschenrechtsbeauftragte, Mary Robinson, dass sie selbst in Nis Kinder mit noch scharfen Kleinbomben spielen sah. Nach Angaben der UNO sind nach dem Ende des Golfkriegs durch herumliegende Splitterbomben im Irak „mindestens 2.600 Zivilisten, zumeist Kinder“ getötet worden. Human Rights Watch warnte denn auch schon während des Bombardements: „Ebenso wie Tretminen töten nicht explodierte Splitterbomben noch Jahre nach dem Ende eines Krieges Zivilisten.“ In der FAZ heißt es zum selben Thema am 24.06.99: „Im Gegensatz zu den von den Serben gelegten Landminen, ist es der NATO unmöglich zu sagen, an welchen Stellen heute nicht explodierte Splitterbomben liegen. … Die NATO weiss jedoch, dass die Bomben vorwiegend über dem Nordwesten und Südwesten des Kosovo abgeworfen wurden.“ In einem Augenzeugenbericht, der per e-mail bei der Informationsstelle Militarisierung eingegangen ist, wird beschrieben, dass Streubomben überall in der Stadt Nis zu finden gewesen seien, „die Bomben lagen verstreut von der Majakowski Straße, über die Branka Miljkovica Straße und den ganzen Boulevard Lenjina, bis zur Vojvode Misica Straße. Ein Wohnstreifen von über 3 km Länge ohne irgendwelche Militärobjekte in der Nähe. Erstaunlicherweise bleiben die meisten Bomben unaktiviert. Vor einem Haus gibt es einen ungemähten Rasen mit großen Gras, dort werden verbliebene nicht explodierte Bomben vermutet, aber keiner traut sich dort in das Gras hineinzugehen um nachzusehen.“

Der Einsatz von Streubomben ist im übrigen seit 1949 durch die Genfer Konvention verboten, 1970 gab es dazu ein präzisierendes Zusatzprotokoll. 1980 wurden Streubomben in die UNO-Konvention der sogenannten »inhumanen Waffen« aufgenommen. Der Einsatz von Streubomben ist völkerrechtswidrig. Die westlichen Staaten kritisierten genau mit dieser Begründung in den 80er Jahren den Einsatz von Streubomben in Afghanistan durch sowjetische Truppen.

In der Adria vor der italienischen Küste fanden während des Krieges Fischer ca. 200 Streubomben in ihren Netzen. Die Besatzung eines Schiffes wurde durch die Explosion eines Sprengsatzes einer Streubombe verletzt. Das Pentagon musste zugeben, dass am Krieg beteiligte Flugzeuge nicht benutzte Streubomben wegen der Gefahr beim Landen der Flugzeuge über der Adria massenweise abwarfen. Die Regierung Italiens beschwerte sich darüber, dass sie nicht informiert wurde, einigte sich dann aber mit der US-Regierung auf »feste Abwurfregionen«.

Die Wirkung von Streubomben ist tatsächlich vergleichbar der von Großminen. Häufig werden sie deshalb auch als Minen bezeichnet. So hieß es beim Tod der ersten beiden KFOR-Soldaten zunächst, sie seien durch eine Minenexplosion getötet worden – tatsächlich starben sie beim Räumen von Explosivkörpern aus NATO-Streubomben.

Graphitbomben, Urangeschosse und andere Waffentypen

Zu den erstmals eingesetzten weiterentwickelten Kriegswaffen der NATO zählten die sogenannten Graphitbomben. Die Sprengsätze explodierten nach Angaben von Augenzeugen in größerer Höhe über Elektrizitätswerken. Bei den Explosionen wurden Wolken mit vielen kleinen Graphitteilchen freigesetzt, die auf die elektrischen Anlagen und Stromleitungen niedergingen. Der NATO-Sprecher triumphierte, die NATO sitze jetzt am Strom-Schalthebel Jugoslawiens und damit werde das Militär substanziell getroffen. Tatsächlich getroffen wurde vor allem die Zivilbevölkerung:

  • Große Mengen von Lebensmitteln, die tiefgekühlt waren, wurden vernichtet; in Krankenhäusern musste ein Großteil der PatientInnen entlassen werden;
  • wegen fehlender Notstromaggregate konnten Operationen nicht durchgeführt werden;
  • PatientInnen, die auf überlebensnotwendige elektrische Geräte angewiesen waren, trugen langfristige Schäden davon oder starben.

Von der NATO wurden auch Geschosse mit abgereichertem Uran 238, sogenannte DU (Depleted Uranium)-Geschosse, eingesetzt. Der Sprecher der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) Jens-Peter Steffen wies darauf hin, dass das abgereicherte Uran zwar nur eine schwache Alpha-Strahlung von geringer Reichweite besitzt, dass es sich jedoch nach einem Treffer in Uranoxidpulver verwandelt. Wenn derartige Uran-Partikel eingeatmet würden oder über Wunden in die Blutbahn gelangten, wirke die Strahlung direkt auf die Zellen. Die DU-Geschosse wurden von den A 10-Flugzeugen (den sogenannten »Warzenschweinen«) der USA eingesetzt, die niedrig fliegend Flächenbombardements vornahmen.

Die NATO-Staaten haben zum Großteil die Konvention zur Ächtung von biologischen und chemischen Waffen unterzeichnet. In der neuen NATO-Strategie vom 24. April 1999 wird explizit festgeschrieben, dass chemische und biologische Waffen von der NATO nicht mehr eingesetzt würden. Doch die NATO bombardierte und zerstörte in Jugoslawien auch Chemiewerke, gefährliche Chemikalien wie Phosgen und Dioxin traten aus. Messstationen in Nordgriechenland haben einen 15-fachen Dioxin-Gehalt im Vergleich zur Zeit vor dem Krieg festgestellt. In der unmittelbaren Nähe der Erdölraffinerie von Pancevo wurde eine Überschreitung der erlaubten Werte um das 7.000-fache festgestellt. Auf der Donau gab es vorübergehend Ölteppiche kilometerlangen Ausmaßes. Der WWF sieht dadurch die Naturlandschaft des Donaudeltas und das Trinkwasser vieler Menschen gefährdet. Längerfristige ökologische Folgen sind also absehbar. Indirekt setzte die NATO so quasi biologische und chemische Waffen ein.

»Intelligente« Kriegswaffen

Der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien war auch wieder Testfeld für »Präzisionswaffen«. Doch dieser Name bedeutet nicht, dass diese auch immer tatsächlich treffen. „So gut unsere Waffen im Vergleich zu früher sind, sie sind alles andere als perfekt“, so der Militärexperte Glenn Buchan von der einflussreichen Rand Cooperation in Kalifornien. Er meint, dass es immer Grenzen der technischen Zuverlässigkeit und bei den Entscheidungsmöglichkeiten der Menschen gäbe, das zeigten die Videoaufnahmen vom Beschuss eines Personenzuges; erst in allerletzter Minute sei der Zug ins Blickfeld des Piloten gekommen, die Bombe sei jedoch längst auf dem Weg zum Ziel gewesen. Für diese Effekte prägte die NATO das Wort »Kollateralschäden«. Der neueste Typ der sogenannten Präzisionswaffen sind satellitengesteuerte Bomben: »Joint Direct Attack Munition«. Die JDAM werden per Lasermarkierung über das Satellitennavigationssystem GPS (Global Position System) ins anvisierte Ziel gesteuert. Trotzdem sind sie relativ »billig«, das Stück kostet »nur« 20.000 Dollar. Während des Krieges forderten die Generäle eine Erhöhung der Produktionsquote dieser Waffen.

Insgesamt zeigte die USA, dass sie im Bereich der elektronischen Kampfführung, der schnelleren Datenverarbeitung und der digitalen Navigation von Kriegswaffen weiter aufgerüstet hat.

Die Strategie der NATO

Der Einsatz neuer Kriegswaffentypen entspricht dem Militärkonzept der USA, Joint Vision 2010, erstmals aufgelegt 1996 und seither weiter entwickelt. Darin wird eine Modernisierung und Effektivierung der US-Streitkräfte insbesondere mit Informations- und Kommunikationstechnik angeordnet. Mehr Zielgenauigkeit, größere Trefferquoten, potenzierte Zerstörungskraft, größere Tödlichkeit („lethality“) heißt das Ziel. Weiter soll die Zusammenarbeit der verschiedenen Teilstreitkräfte (Navy, Army, Air Force, Marines und US-Küstenwache) verbessert werden. Das US-Militär soll durch Managing-Strategien wie Effizienzsteigerung, Kosteneinsparungen, Rationalisierungen, Optimierungen, Vernetzung und Konzentration auf Kernbereiche auf Vordermann gebracht werden. Kleine Einheiten sollen mehr Verantwortung übernehmen und das Massenheer zunehmend der Vergangenheit angehören.

Der Krieg gegen Jugoslawien ist für Teile dieses Konzeptes eine Bewährungsprobe gewesen (v.a. neue – digitale – Art der Kriegführung). Andere Teile der US-Militärstrategie sind überhaupt nicht zum Tragen gekommen, wie etwa der »Kampf verbundener Kräfte«.

An diesem Punkt entzündete sich Kritik von Militärstrategen. Leighton Smith, ein pensionierter Admiral, meint: „Dies war die absolut schlechteste Art, Krieg zu führen.“ Der größte Fehler sei gewesen, Bodenkrieg von Anfang an auszuschließen. Mike O`Hanlon von der Washingtoner Denkfabrik Brooking sieht das ähnlich: „Im militärischen Sinne funktionierte dieser Krieg nicht.“ Sein Kollege Richard Haas ergänzt: „Wenn man Kosovo für seine Einwohner sichern wollte, darf man nicht Belgrad bombardieren, sondern muss die Truppen auf den Kosovo konzentrieren.“

Die Verabschiedung der neuen NATO-Strategie erfolgte mitten im Krieg am 24. April 1999. Zu den Grundaussagen der neuen NATO-Strategie gehört die sogenannte »Selbstmandatierung« (die NATO gibt sich selbst ein Mandat für Militäreinsätze und nicht z.B. die UNO), mehr Interventionismus und der Ausbau kleinerer kampforientierterer Militäreinheiten. In diesen Punkten sind sich alle NATO-Staaten, insbesondere die neuen Kernstaaten USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, einig. Offen ist lediglich der Aktionsradius der NATO. Die US-Regierung will keine regionale Zuständigkeitsbeschränkung für die NATO, die französische Regierung will die Interessensphären einzelner NATO-Staaten definiert sehen und Deutschland sieht sich nach Aussagen von Rudolf Scharping zuständig „für die Sicherheit in und um Europa.“ Welchen Aktionsradius die NATO bekommen wird, bleibt auch nach dem Krieg gegen Jugoslawien offen.

Fazit

Die NATO setzte Kriegswaffen ein, mit denen die politische Führung in Belgrad nicht getroffen werden konnte und die auch im Einsatz gegen die jugoslawischen Truppen im Kosovo nicht sehr erfolgreich waren. Staatssekretär Walter Kolbow wunderte sich über die intakte jugoslawische Armee die aus dem Kosovo abzog (vgl. dpa-Meldung vom 14.06.99), die Times schreibt, dass lediglich 13 jugoslawische Panzer im Kosovo zerstört worden seien und das jugoslawische Militär beschreibt, wie es mit Panzer-Attrappen die NATO narrte. Die NATO musste zugegeben, dass aus 5.000 bis 6.000 Metern Höhe oft unklar ist, was getroffen wurde, aufgrund der »Heimatfront« aber Druck zu Erfolgsmeldungen bestand.

Mit dieser Art der Kriegsführung konnte die NATO eine »humanitäre Katastrophe« nicht verhindern, sie wurde eher angeheizt. Vesna Pesic, Oppositionsvertreterin in Jugoslawien, erklärt: „Es gab einen schon vor dem Krieg bekannten Plan, wonach die jugoslawische Armee das Kosovo angreifen würde, sobald die NATO Jugoslawien angreift. Das war kein Geheimnis.“ (vgl. Die Woche 16.07.1999). Heute geben auch NATO-Kreise dies indirekt zu. Der ehemalige UNPROFOR-Kommandeur Michael Rose meint in einem Leserbrief an die Times zum Kosovo, dass es nicht möglich sei, eine Bevölkerung aus 15.000 Fuß Höhe zu beschützen.

Wenn die vorgegebenen »humanitären Ziele« wegfallen, so bleibt, dass die NATO Krieg führte um der eigenen Glaubwürdigkeit willen, als Teiltest der neuen NATO-Strategie, als Machtdemonstration, zur Stärkung der eigenen Position gegenüber UNO und OSZE sowie gegenüber Nicht-NATO-Staaten wie Russland und China.

Tobias Pflüger ist Redaktionsmitglied von
W & F und Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Antipersonenminen in Südkorea

Antipersonenminen in Südkorea

von Joo-hi Lee

Vor einem Jahr haben die USA ihre Zustimmung zu dem internationalenVertrag über ein Verbot der Anti-Personen-Minen verweigert. Ihre Zustimmung hatten sie von einer Ausnahmegenehmigung für Südkorea abhängig gemacht. Eine Haltung, die weltweit heftigen Protest hervorgerufen hat. Die Position der US-amerikanischen Regierung in Bezug auf die Anti-Personenminen in Südkorea kann wie folgt zusammengefaßt werden:

  • Die US-Streitkräfte in Südkorea – ca. 37.000 Soldaten stark – wollen noch bis zum Jahr 2006 ihre Landminen auf der koreanischen Halbinsel auslegen. Insgesamt liegen auf der südlichen Seite der innerkoreanischen Grenze ca. 1 Million Landminen, die sowohl von den südkoreanischen als auch von amerikanischen Streitkräften ausgelegt wurden. Dazu kommen noch eine Million Minen, die die Streitkräfte in Reserve haben.
  • Die US-Regierung behauptet, diese Antipersonen- und Panzerminen würden gebraucht wegen der Invasionsgefahr durch Nordkorea. Die Minen würden im Falle eines Angriffs aus Nordkorea die Geschwindigkeit des Angreifers reduzieren. Ohne diese Minen würde die Todeszahl auf 6.000 Soldaten im Anfangsstadium eines nordkoreanischen Angriffs steigen. Es gehe also um die »Schutzbedürftigkeit« ihrer in Südkorea stationierten Streitkräfte.
  • Obwohl keiner Armee mehr High-Tech-Abwehrmittel zur Verfügung stehen als den US-Streitkräften, behaupten diese, daß sie bisher kein Mittel gefunden hätten, das die Landminen taktisch ersetzen könne.

Invasionsgefahr

Seit Ende des Korea-Krieges beschwören sowohl die US-Regierungen als auch die südkoreanischen Regierungen die Gefahr eines Angriffs aus Nordkorea. Es herrscht auf der koreanischen Halbinsel seit 1953 ein Kalter Krieg zwischen der Volksrepublik Nordkorea auf der einen Seite und der Republik Südkorea und den Vereinigten Staaten auf der anderen. Darunter leiden vor allem mehr als 10 Millionen Koreaner, deren Familien beiderseits der Grenze leben. Aus Sicht der Friedensbewegung sind für diese Entwicklung alle drei Regierungen verantwortlich zu machen. Anstatt konsequent nach Wegen für ein Friedensabkommen zu suchen, modernisieren sie beständig ihre Waffenarsenale, rüsten sie ohne Pause weiter auf.1 Dabei ist der Süden mit Sicherheit technisch wesentlich besser gerüstet als der Norden.

Schutz amerikanischer Soldaten

Nach einer Veröffentlichung der Organisation der Vietnam-Veteranen-Stiftung in den Vereinigten Staaten wurden viele US-Soldaten mit eigenen Minen verstümmelt und getötet. US-Generäle bezeichneten die »Schutzfunktionen« der Minen für die eigenen Soldaten als eher fraglich. Die Manövrierfähigkeit der Soldaten werde durch Minen ziemlich beschränkt, in extremen Situationen wie schnell notwendigen Positionsveränderungen wachse die Gefahr für die eigenen Soldaten. Nach einer Meldung der New York Times waren Minen verantwortlich „für mehr als ein Viertel der amerikanischen Kriegstoten in Vietnam.“2 In der gleichen Zeitung heißt es etwas später: „Antipersonenminen jagten auch US- bzw. UNO-Soldaten in die Luft. Minen verursachten ein Drittel der amerikanischen Opfer in Vietnam, ein Zehntel der im Golf-Krieg und auf dem Balkan getöteten US-Soldaten.“ 3

Reduzierung der Angriffsgeschwindigkeit

Dem Planungsteam der US-Streitkräfte in Südkorea schwebt ein Kriegsszenario vor, in dem die nordkoreanische Armee mit Panzern und in einem schnellem Tempo an allen Fronten gleichzeitig angreift. Demzufolge legten sie an allen erdenklichen Strecken Panzerminen aus, und um die Minen vor einer Beseitigung durch nordkoreanische Minenspezialisten zu schützen, vergruben sie um die Panzerminen herum Antipersonenminen. Dadurch soll der Angriff gestoppt und genügend Zeit für einen Gegenangriff gewonnen werden.

Das Szenario selbst ist äußerst fraglich. Der US-amerikanische Strategieforscher Michael O´Hanlon vom Brookingsinstitut belegt aber darüber hinaus, daß die US-Armee über genügend Instrumente verfügt, um einem Angriff schnell Einhalt zu gebieten. Zum Beispiel: Tow Panzerabwehr-Raketen, M1 Abrams Kampfpanzer, südkoreanische K-1 Kampfpanzer, andere Panzerabwehr-Artillerie und Kampfflugzeuge, die mit modernster Bewaffnung ausgerüstet sind.4

Tatsächlich fühlt sich eher Nordkorea bedroht von der stärkeren militärischen Schlagkraft der gemeinsamen Streitkräfte von Südkorea und den Vereinigten Staaten (CFC: Combined Forces Command). Als der Korea-Spezialist Selig S. Harrison vom Woodrow Wilson International Center for Scholars 1992 Nordkorea besuchte, erfuhr er vom nordkoreanischen Vize-Stabchef General Kwon Jung-young: „Die südkoreanische und us-amerikanische Luftwaffe ist der Nordkoreas überlegen. Es wäre daher notwendig, unser Heer in der vordersten Reihe um die Demarkationslinie zu stationieren, um der Fähigkeit Südkoreas entgegenzutreten, tief in unseren Verteidigungsraum einzudringen.“ 5

Kein Ersatz für Landminen?

Die USA begründen den Einsatz ihrer Minen auch mit der Existenz nordkoreanischer Minen. Sie verfügen aber über ausreichende Mittel gegen diese nordkoreanischen Minen. Um Minen zu entdecken, zu klassifizieren, zu zerstören und zu beseitigen entwickelten die US-Streitkräfte verschiedene Systeme wie

  • »die Fern-Smartminen-Beseitigung«. Mit Simulation der akustischen und seismischen Signale zerstört dieses System die in entfernter Lage vergrabenen Smartminen;
  • den »Tragbaren Minendetektor«. Dieses Minensuchgerät ist bestückt mit bodendurchdringendem Radar, elektromagnetischer Induktion und vorausblickender Infrarot-Wärmeabbildung ;
  • das »Luftgestützte-Minenfelder-Suchsystem«. Ein Sensor ist entweder in einem UH-60 Hubschrauber oder in einem unbemannten Flugkörper (UAV) installiert;
  • das »Küsten-Kriegsschauplatz-Aufklärungs- und Analysesystem«. Unbemannter Flugkörper mit optischem Sensor;
  • das »Kräftige Planierschild«. Planierraupe mit Planierschild zur Beseitigung von Landminen u.a.6

Den gemeinsamen Streitkräften Südkoreas und der Vereinigten Staaten stehen schließlich noch weitere Waffensysteme zur Verfügung, um einen Angriff aus dem Norden in kürzester Zeit zurückzuschlagen. Deshalb ist die Argumentation unhaltbar, nach der aufgrund fehlender »Ersatzmittel« an den Landminen weiter festgehalten werden müsse.

Einsatztermin bis zum Jahr 2006

Dem Verfasser ist es nicht ersichtlich, warum das US-Verteidigungsministerium vorhat, seine Landminen auf der koreanischen Halbinsel bis zum Jahr 2006 einsatzbereit zu halten. Erklärbar ist das nur als Vorwand der US-Regierung

  • um jener Konventionsregelung auszuweichen, nach der alle gelagerten Antipersonenminen binnen vier Jahren und die in Minenfelder verstreuten Antipersonenminen innerhalb von zehn Jahren zerstört werden sollen;
  • um Zeit für die Weiterentwicklung der noch besser tötenden Smartminen zu gewinnen, die in der Verbotsregelung nicht eingeschlossen sind.7

Vorschläge zur Beseitigung aller Minen

Der Verfasser ist in der Meinung, daß sich die drei Länder USA, Süd- und Nordkorea nachträglich der Konvention über das Verbot der Antipersonenminen anschließen müssen. Darüber hinaus müssen sie in Verhandlungen eintreten, um die koreanische Halbinsel zur minenfreien Zone zu verwandeln.

Dafür sind folgende Schritte notwendig:

  • Die drei Regierungen müssen gemeinsam bekanntgeben und untersuchen, wo sie ihre Minen ausgelegt haben, die genauen Stellen orten und Minenkarten erstellen.
  • Etappenweise muß ein Beseitigungs- und Kostenplan aufgestellt werden. Für die entstehenden Kosten sollte ein gemeinsamer Etat bereitgestellt werden.
  • Unter Einbeziehung der Forschung muß mit der vollständigen Räumung der Minen begonnen und ein Wiederaufbauplan für die bisher minenverseuchten Gebiete entwickelt werden.
  • Eine landesweite Aufklärungskampagne, wie es die »Internationale Kampagne zum Verbot der Landminen (ICBL)« vorgemacht hat, muß realisiert werden.

Eine Entminung in Süd- und Nordkorea könnte ein erster Schritt sein auf dem Weg zu einer Friedenszone auf der koreanischen Halbinsel.

Anmerkungen

1) Vgl. Verteidigungsministerium, Weißbuch 1996-1997, Seoul 1997. Zurück

2) Leitartikel, Lagging on Land Mines, in: New York Times, 13.6.1997, S. A 24. Zurück

3) Tim Weiner: U.S. Is Wary of Ban on Land Mines, in: New York Times, 17.6.1997, S. A 10. Zurück

4) Vgl. Michael O´Hanlon: Stopping a North Korea Invasion. Why Defending South Korea Is Easier than the Pentagon Thinks, in: International Security, Vol. 22, No. 4 (Spring 1998), S. 148-151. Zurück

5) Selig S. Harrison: Waffenstillstandabkommen und Sicherung des Friedens, in: Tageszeitung Hankyoreh, 24.7.1995, S. 5. Zurück

6) Siehe Barbara Starr: Countermine tests to aid amphibious operations, in: Jane´s Defense Weekly, 3.9.1997, S. 11. Zurück

7) Vgl. Vertragstext: Konvention über das Verbot des Gebrauchs, der Lagerung, Produktion und Übergabe von Antipersonenminen und ihre Zerstörung (18.9.1997, Oslo), in: http://www.icbl.org. Zurück

Joo-hi Lee, Diplom-Politologe, Friedensforscher aus Südkorea, z.Z. wohnhaft in Schwäbisch Gmünd.

Privatjustiz oder faschistisches Phänomen?

Privatjustiz oder faschistisches Phänomen?

»Soziale Säuberungen« in Kolumbien

von Jan Wehrheim

Neben Brasilien ist wohl Kolumbien das Land, in dem die »sozialen Säuberungen« die erschreckensten Dimensionen angenommen haben. Opfer sind vermeintliche Kriminelle, Arme, Drogenabhängige, Straßenkinder und -jugendliche, PapiersammlerInnen, BettlerInnen, Behinderte, Prostituierte, Homosexuelle, StraßenverkäuferInnen und sonstige sogenannte Randgruppen. Eben alle, die vom Staat, den Medien und vor allem von den Protagonisten dieser Verbrechen als »anormal«, »sozialschädlich« oder »gefährlich« stigmatisiert werden. Nicht selten sind in die Aktionen der Todesschwadronen Mitglieder der Sicherheitsbehörden, Geheimdienste und der Polizei verwickelt, entweder aus Eigeninitiative oder im Auftrag von Unternehmern, die Polizeibeamte oder professionelle Killer für diese Morde bezahlen.

Am 5. Dezember des Jahres 1979 tauchte erstmals auch in Kolumbien das Phänomen der sogenannten »sozialen Säuberungen« auf. Eine bis dahin unbekannte Gruppe überfiel in der Stadt Pereira mutmaßliche Diebe und markierte ihre Gesichter und Hände mit nichtabwaschbarer roter Farbe. Es sollte das Ziel sein, potentiell »unsoziale« Personen zu brandmarken, um so der Kriminalität vorzubeugen. Die Reaktionen auf diese Vorfälle waren sehr konträr, von blankem Entsetzen bis hin zu der grotesken Äußerung, daß dies ja für die Diebe positiv sei, da sie nicht ins Gefängnis müßten und es zudem noch kostengünstiger sei. In der Folgezeit starben in Pereira innerhalb weniger Wochen 62 Personen, alles vermeintliche Diebe. Verantwortlich zeigte sich hierfür eine paramilitärische Gruppe namens Mano Negra (Schwarze Hand). Seit diesem Tag wurden in über 200 Städten Kolumbiens Tausende Menschen von über 60 verschiedenen Gruppen, die sich der sogenannten »sozialen Säuberung« verschrieben haben, ermordet.

Laut den Statistiken der Datenbank von Justicia y Paz (Gerechtigkeit und Frieden – katholische Organisation) starben zwischen Ende 1993 und September 1996 in Kolumbien 558 Personen durch »soziale Säuberungenskampagnen«. Diese Angaben basieren ausschließlich auf Informationen aus der Tagespresse. Die Auswertung solcher Berichte gestaltet sich beim Thema der »sozialen Säuberungen« noch schwieriger als bei anderen Fällen von Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien. Die Mehrzahl der Fälle wird vermutlich überhaupt nicht bekannt oder taucht unter der Rubrik »normale Kriminalität« auf. Vergleichende Zahlen von 1994 verdeutlichen diese Vermutung. In der ersten Jahreshälfte wurde in den Tageszeitungen über 22 jugendliche Tote unter 18 Jahren in Bogotá berichtet. Das pathologische Institut Medicina Legal registrierte jedoch im selben Zeitraum 806 gewaltsame Todesfälle unter Jugendlichen. Allgemein wird davon ausgegangen, daß ca. 10 – 20 Prozent aller gewaltsamen Todesfälle bei Jugendlichen auf das Konto der »sozialen Säuberungs«-Organisationen gehen (vgl. Pérez/Mejía: S. 142). Das bedeutet, daß in den ersten sechs Monaten 1994 allein in Bogotá 80-160 Jugendliche unter 18 Jahren der »sozialen Säuberung« zum Opfer gefallen sind. Weitere Zahlen, z.B. der Defensoria Regional del Pueblo (in Spanien und Lateinamerika bestehende Instanz, die die Rechte des Bürgers gegenüber Behörden wahrnimmt – die Red.) aus Barranquilla, unterstützen diese Tendenz: Laut dieser Quelle starben in der Hafenstadt zwischen Januar und November 1995 hundert Jugendliche im Zuge der »sozialen Säuberung«. Auch SozialarbeiterInnen aus den betroffenen Vierteln der Städte bestätigen, daß die in den Medien erscheinenden Zahlen nur die Spitze des Eisberges sein können.

Da es schwierig ist, die Informationen zu beurteilen, kann auch keine definitive Aussage darüber gemacht werden, ob die Anzahl der Fälle steigt oder sinkt.

Das Vorgehen der Mörder

Die Methoden der Todesschwadrone sind verschieden. Oftmals erscheinen nachts in den Stadtvierteln schwerbewaffnete, vermummte Männer in Autos ohne Nummernschilder und schießen im Vorbeifahren auf Jugendliche, die sich auf Basketballplätzen treffen, oder auf Bedürftige, die Müll sortieren. Eine andere Variante ist die Entführung mutmaßlicher Krimineller (der einzige Hinweis hierauf ist oft die Erklärung der Täter). Ihre Körper tauchen später häufig nackt, mit Folterspuren und gefesselten Händen an Straßenrändern, auf Müllkippen oder in Flüssen wieder auf. Meist mit einem Schild „Ermordet wegen Diebstahls“ oder „Ermordet wegen Verkaufs von Bazuco (Kokapaste, die geraucht wird) – Grupo de limpieza social“ oder Ähnlichem. Kinder und Erwachsene, die auf der Straße leben, werden nachts im Schlaf exekutiert oder den Opfern wird bei lebendigem Leib ein »collar« – eine Halskrause aus einem brennenden Autoreifen – um den Hals gelegt. Über 95 Prozent der Opfer sterben allerdings durch Schußwaffengebrauch.

Im Vorfeld solcher Aktionen kursieren oft Listen mit Namen von Jugendlichen, die ermordet werden sollen, oder es »patrouillieren« schon Tage vorher unbekannte, bewaffnete Personen in den Stadtvierteln und machen Fotos von potentiellen Opfern. Im August 1993 tauchten sogar im Zentrum von Bogotá Plakate auf, die im Namen von Industriellen, Unternehmern und zivilen Organisationen zur Beerdigung von Verbrechern aufriefen.

Wer sind nun die Opfer?

In den 80er und Anfang der 90er Jahre konnte man davon ausgehen, daß die Mehrzahl der Opfer männlich und zwischen 16 und 25 Jahren alt war. Die Statistiken der bekannten Fälle ergaben ebenfalls, daß die Mehrheit der Personen als Kriminelle oder vermeintliche Drogenabhängige gebrandmarkt waren. In den letzten Jahren scheint sich dieses Opferschema jedoch zunehmend aufzulösen. So zeigen die Daten von Justicia y Paz, daß zunehmend auch Personen zwischen 26 und 45 Jahren diesen Verbrechen zum Opfer fallen. Diese Tendenz korreliert ebenfalls mit der Entwicklung der sozialen Identitäten der Opfer. So verdeutlichen die Veränderungen in den letzen drei Jahren, daß prozentual weniger als kriminell Bezeichnete, ehemalige Straftäter oder Drogenabhängige die Opfer sind, sondern zunehmend Bedürftige, AbfallsammlerInnen oder Beschäftigte des sogenannten informellen Sektors. Aber auch Homosexuelle, Mitglieder von Jugendbanden, Behinderte oder Prostituierte sind nach wie vor die Opfer.

…und wer die Täter?

Besonders schwierig ist das Problem der Täteridentifizierung. Es tauchen nur höchst selten Hinweise auf mögliche Verantwortliche auf. Oft gibt es zwar Hinweise, aber keine ausreichenden Beweise, so daß, obwohl konkrete Verantwortliche vermutet werden, diese nicht in den Statistiken genannt werden können. Dennoch läßt sich aufgrund von Einzelfällen, Zeugenaussagen und staatlichen Ermittlungen ein grobes Schema aufzeigen.

Ungefähr zwei Drittel der Morde gehen auf das Konto paramilitärischer und »sozialer Säuberungs«-Gruppen. In knapp 15 Prozent der Fälle waren Polizisten oder staatliche Sicherheitsbeamte für die Taten verantwortlich und in Einzelfällen Militärs, Unternehmer oder Einzelpersonen. So betont Sandra Mateus Guerrero in ihrem Buch über die Limpieza Social (»Soziale Säuberung«), daß zwischen 1990 und 1994 alleine 322 Verfahren gegen Polizisten, Mitglieder der Geheimdienste Sijin und DAS und der Armee eingeleitet worden sind, in denen ihnen schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Ein Drittel dieser Verfahren betrifft »soziale Säuberungsaktionen«.

Die Verbindungen zwischen staatlichen Akteuren und »sozialen Säuberungs« -Gruppen können sich sehr unterschiedlich gestalten. Im Extremfall sind Polizisten direkt für die Morde verantwortlich oder sie sind Mitglieder solcher Gruppen. In anderen Fällen wird von Zeugen berichtet, daß die Täter Fahrzeuge des DAS benutzt haben, daß die Opfer unmittelbar vor ihrem Verschwinden verhaftet worden sind, daß direkt vor und nach der Tat Kontrollen durch die Polizei stattgefunden haben oder bei Hausdurchsuchungen Fotos beschlagnahmt wurden, die später auf schwarzen Listen auftauchten.

Die wohl häufigste Form der Kooperation zwischen paramilitärischen Gruppen und der Polizei ist vermutlich die Deckung der Täter durch die Exekutivorgane. So ließ die Polizei in Popayán zwei Personen, die wegen »sozialer Säuberungs«-Aktionen festgenommen worden waren, wieder frei, weil sie Mitglieder der Armee waren. In anderen Fällen wird nicht weiter ermittelt oder an die Presse lediglich die Meldung herausgegeben, daß rivalisierende Verbrecherbanden für die Morde verantwortlich seien.

Eine weitere wichtige Rolle bei der »sozialen Säuberung« spielen lokale Unternehmer. Ihre Beteiligung ist genauso schwer zu beweisen, konkrete Verdachtsmomente gibt es jedoch hinreichend. Es wird immer wieder von Betroffenen oder SozialarbeiterInnen betont, daß Unternehmer Polizisten bezahlen, um potentiell kriminelle oder geschäftsschädigende Personen zu ermorden. Aus Ciudad Bolívar in Bogotá wird berichtet, daß sich UnternehmerInnen mit der Polizei treffen oder ihnen einen entsprechenden Brief schicken und diese zu Morden an Jugendlichen und Bedürftigen auffordern. In Einzelfällen sollen sie sogar direkt für die Morde verantwortlich sein. 1996 sollen Unternehmer in Bogotá 30000 Pesos (ca. 45 DM) an Sicarios (bezahlte, meist jugendliche Killer) oder Polizisten pro Mord gezahlt haben sollen. Plakate in der Innenstadt Bogotás belegen diese Beteiligung.

Kriminalität und Justiz

Wenn von Aktionen der »Sozialen Säuberung« die Rede ist, dreht sich die Diskussion meist um die Schlagwörter Kriminalität, Drogen, und vor allem Privatjustiz, ein Begriff, der fast schon zu einem Synonym für »paramilitarismo« in Kolumbien geworden ist. Fraglich ist aber, ob auch nur eines dieser Schlagwörter es annähernd ermöglicht, diese menschenverachtenden Aktionen zu erklären. Auslöser für die schnelle Assoziation zwischen »sozialer Säuberung«, Kriminalität und Privatjustiz sind vor allem zwei Faktoren: zum einen die Art und Weise, wie die Morde ausgeführt und inszeniert werden und zum anderen die Art der Berichterstattung durch die Medien.

Die Intention der Morde drückt sich häufig schon im Namen der Gruppen aus: Muerte a Bazuceros (Tod den Bazuco- d.h. Rauschgifthändlern), Muerte a ladrones de carros (Tod den Autodieben), Grupo de Limpieza de la Cuidad Bonita (Gruppe der Säuberung der Schönen Stadt). Das Hinterlassen des Namens soll die Tat rechtfertigen, es soll um die Bekämpfung der Kriminalität und des Drogenhandels und -konsums gehen, um eine »saubere« Stadt zu schaffen. Die gleiche Absicht sollte auch schon 1979 in Pereira vermittelt werden. Die Tagespresse übernimmt, wenn sie darüber schreibt, die Argumentationsmuster und spricht von Gruppen der »Privatjustiz« und betont, daß die Opfer tatsächlich Kriminelle oder ehemalige Strafgefangene waren, oder sie entnimmt diese Versionen den Polizeiberichten. In scheinbar direktem Zusammenhang wird von Problemen mit Jugendgangs und deren Rivalitäten oder kriminellen Aktionen berichtet. Der Effekt liegt auf der Hand. So wird eine Akzeptanz oder zumindest eine Adaption der »sozialen Säuberung« erreicht, vor allem seit dem Anwachsen der Kriminalität in den 80er Jahren. Der Gedankengang ist folgender: Kriminalität, Straffreiheit, fehlende Rehabilitation in den Gefängnissen, persönliche Angst und schließlich »Privatjustiz«, also Eliminierung potentieller Verbrecher als einziger Ausweg.

Getragen und genährt wird diese Argumentationslinie aber nicht nur durch die Täter, die Polizei – wenn sie denn nicht identisch sind – und die Massenmedien, sondern auch durch die politischen Debatten und die Diskussionen um Strafverschärfung, Beschneidung von Rechten der Angeklagten (soweit sie das überhaupt vor ihrer Inhaftierung werden) und im Extremfall um die Todesstrafe. Letztere taucht in Verbindung mit Entführungen auf, und so schließt sich der Kreis wieder zu den paramilitärischen Gruppen der sogenannten Limpieza Social. Gemeint ist damit besonders eine der ersten und aktivsten Gruppierungen, die Ende 1981 auftrat: die MAS (Muerte A Secuestradores – Tod den Entführern).

Eine faschistoide Ideologie

Wenn Todesschwadrone auch nur einen Menschen wegen seiner Arbeit (z.B. als StraßenhändlerInnen, AbfallsammlerInnen, Prostituierte) oder sexuellen Neigung (Homosexualität) ermorden, ist der Hintergrund pure Menschenverachtung und eine faschistoide Ideologie und hat mit dem, was als Justiz bezeichnet wird, nichts gemein.

Am deutlichsten wird die Ideologie der Täter und in der Tendenz auch der Medien durch ihre eigenen Taten, Namen und Erklärungen sowie ihre Art der Nachrichtendarstellung. Die »Säuberung« der Städte und der Gesellschaft von »gefährlichen« oder »schädlichen« Individuen, ist das Anliegen der Gruppen der limpieza social. Hinter der Bezeichnung »schädlich« und der Unterteilung in »nützlich« und »nutzlos«, steht eine Höherbewertung einzelner Menschen und in Verbindung mit »sozialer Säuberung« sogar eine Höherbewertung des Privateigentums über das menschliche Leben. Die von den Medien oder auch innerhalb der allgemeinen Diskussion übernommene Bezeichnung für Menschen als »desechables«, als Wegwerfprodukt, unterstreicht den faschistoiden Hintergrund.

Durch die Brandmarkung der Opfer als Kriminelle und Drogenabhängige ist genau diese Abwertung und die weitere Marginalisierung ganzer gesellschaftlicher Gruppen das Ziel der »sozialen Säuberung«. Der Müll gehört auf die Müllkippen oder an den Straßenrand, und genau dort werden oftmals die gefolterten Körper der Ermordeten aufgefunden. All dies hat nichts mit der Kriminalitätsbekämpfung gemeinsam. Aus einem Phänomen sozialen und ökonomischen Charakters wird ein politisches. Diese Einschätzung verstärkt sich noch einmal, wenn bedacht wird, daß zumindest einige Organisationen der »sozialen Säuberung« auch als paramilitärische Gruppen auf dem unmittelbaren politischen Schlachtfeld tätig sind. So ermorden oder ermordeten Gruppen wie die MAS nicht »nur« Bedürftige und vermeintliche Kriminelle, sondern auch AktivistenInnen linker Parteien, BürgermeisterInnen und Familienangehörige der Guerrilla.

Soziale Intoleranz

Die hier beschriebenen Formen und Auswirkungen der »sozialen Säuberung« sind leider nur ein Teil des gesamten Komplexes der sozialen Intoleranz. Limpieza Social spricht im Extremfall von direktem Mord. In anderen Fällen ist es jedoch nicht die unmittelbare Vernichtung des menschlichen Lebens, sondern die indirekte Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen oder ihre Vertreibung aus einzelnen Stadtteilen. Das kann sich in Drohungen und Einschüchterungen paramilitärischer Gruppen äußern, die BettlerInnen oder PapiersammlerInnen aus dem Zentrum der Städte vertreiben wollen oder diese zwingen, in »ihren« Viertel zu bleiben. Es kann sich aber auch direkt durch Aktionen der staatlichen Repressionsorgane äußern. Ein Beispiel dafür ist die Vertreibung von ca. 200 Jugendlichen und Kindern vor zwei Jahren, die am Rande des Zentrums von Bogotá auf der Straße lebten. Polizeieinheiten brannten die Hütten dieser Kinder und Jugendlichen nieder, die sich auf einer freien Fläche in der Stadt gemeinsam niedergelassen hatten. Sie wurden in alle Richtungen vertrieben. Das ist eindeutig eine Verletzung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte, denen die Regierung sowohl durch die Ratifizierung der entsprechenden UN-Deklaration von 1966 verpflichtet ist, als auch durch die kolumbianische Verfassung von 1991 (Art. 42-77).

Der kolumbianische Staat ist folglich mitschuldig an der »sozialen Säuberung«, sei es durch aktive Beteiligung im Falle der indirekten Involvierung von staatlichen Sicherheitsbeamten, sei es durch Schutzunterlassungen gegenüber der Bevölkerung oder durch den Nicht-Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Sicherung der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte. Gestützt wird diese faschistoide Gewalt durch die allgegenwärtige Straffreiheit von Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Akteure oder ihnen nahestehende Organisationen.

Erschreckend ist nicht nur das enorme Ausmaß, sondern auch die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz dieser Aktionen. Soziale Randgruppen werden zunehmend als »sozialgefährlich« eingestuft und Morde infolgedessen toleriert oder sogar unterstützt. Zum Beispiel gibt es bei Banküberfällen immer häufiger kaum noch Überlebende unter den Tätern. Die Polizei scheint kein Interesse mehr an der Verhaftung oder strafrechtlichen Verfolgung zu haben, sondern nur noch an der »Beseitigung«.

Eine gesellschaftliche und staatliche Politik gegen die »sozialen Säuberungen« muß deren wirkliche Ursachen offenlegen und ihre menschenfeindliche Mentalität ächten. Morde an Bedürftigen, Prostituierten, Transvestiten, vermeintlichen VerbrecherInnen und Straßenkindern haben nichts mit Gerechtigkeit oder allgemeiner Sicherheit zu tun, sondern sind Ausdruck einer politischen Strategie. Kein Mensch ist höherwertiger als ein anderer und privates Eigentum schon gar nicht!

Literatur

Alape, Arturo (1995): Ciudad Bolívar – la hoguera de las illusiones; Bogotá.

Alape, Arturo (1991): A quíen importa la muerte ajena, in: El Espectador; Bogotá 25.11.91.

amnistía internacional (1994): Violencia política en Colombia. Mito y realidad; Madrid.

Camancho, Alvaro/Guzmán, Alvaro (1990): Colombia, Ciudad y Violencia; Bogotá.

Colectivo de Abogados »José Alvear Restrepo“/ Justicia y Paz/ CINEP/ D.N.I. (1996): a lo bien, parce – violencia juvenil y patrones de agresion contra jóvenes de sectores populares en Cali; Bogotá.

Comisión Intercongracacional de Justicia y Paz: Boletín Informativo, Bogotá 1988 – 1996.

Comisión Intercongracacional de Justicia y Paz (1995): Por la vida, documentación No.34, Bogotá.

Matues Guerrero, Sandra (1995): »Limpieza Social« – la guerra contra la indigencia; Bogotá.

Pérez Guzmán, Diego/Mejia, Raúl (1996): De calles, parches, galladas y escuelas: Transformaciones en los procesos de sozialización de los jóvenes de hoy; Bogotá.

Rojas R., Carlos Eduardo (1996): La violencia llamada limpieza social, Bogotá.

El Espectador, Bogotá 10.11.1995, S. A7

El Tiempo, Bogotá 21.04.1995, S. A8

Vanguardia Liberal (1986): Aparece grupo de acabará delincuencia; Bucaramanga 5.6.86.

Der Artikel wurde für die »ila«, Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika, Nr. 203 (Terror gegen Arme) geschrieben. Wir danken der Infostelle für die Nachdruckerlaubnis.

Jan Wehrheim hat in kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen mitgearbeitet und seine Diplomarbeit über die »sozialen Säuberungen« in kolumbianischen Städten geschrieben.

Nobelpreis für Kampagne gegen Landminen

Nobelpreis für Kampagne gegen Landminen

von Angelika Beer

Mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an die internationale Kampagne gegen Landminen – einem weltweiten Zusammenschluß von etwa 1.000 Nichtregierungsorganisationen (NROs) – hat das Nobelpreiskomitee Menschen gewürdigt, die durch ihr Engagement bewiesen haben, daß es möglich ist, die Logik staatlicher »Realpolitik« zu durchbrechen.

1991 haben sich sechs internationale Hilfsorganisationen zusammengeschlossen, um eine Kampagne ins Leben zu rufen für ein Verbot der Forschung, Herstellung, Produktion und Anwendung aller Landminen. Denn aus der praktischen Arbeit der NROs in den verminten Regionen dieser Welt wurde klar: die Killerwaffe Nummer 1, millionenfach in mehr als 63 Ländern der Welt als stiller Zeuge vergangener Kriege und Auseinandersetzungen auch lange nach dem Schweigen der Waffen eine tödliche Gefahr , muß ersatzlos beseitigt werden. Es galt, den Kampf mit den Regierungen und der Rüstungsindustrie aufzunehmen, um zu verhindern, daß während an der einen Stelle mühselig Gelände entmint, an der anderen immer mehr neue, moderne Minen im Sekundentakt gelegt werden.

Ein Anliegen, das auf den vehementen Widerstand von Regierungen und Rüstungsindustrie stieß. Medico International, einer der Initiatoren der internationalen Kampagne, mußte erleben, daß sich die deutsche Regierung weigerte, Druck auf den NATO-Partner Türkei auszuüben, damit die von türkischen Grenzposten beschlagnahmten Minenräumgeräte für einen Einsatz im irakischen Kurdistan freigegeben werden konnten. Gleichzeitig schwieg Bonn, als das türkische Militär neue Minengürtel in der Grenzregion verlegte, um kurdischen Flüchtlingen den Weg zu versperren.

Dennoch – das humane Ziel, daß sich die Kampagne gesetzt hatte, fand innerhalb kürzester Zeit weltweite Unterstützung – die Regierenden gerieten unter Druck. Außenminister Klaus Kinkel, der 1991 noch behauptete, es gäbe kein Minenproblem, gehört heute federführend zu jener Gruppe von Politikern, die »ja« sagen zu einer weltweiten Ächtung der Anti-Personen Minen – und damit dem Anliegen der Kampagne ein Stück weit entgegen kommen – und gleichzeitig versuchen, die Interessen der Militärs und der Rüstungsindustrie zu wahren, indem sie die »bösen« Anti-Personen-Minen von den »guten« Anti-Panzer- und High-Tech-Minen unterscheiden.

Eine Doppelstrategie, die sich ausgezahlt hat. Denn bevor am 10. Dezember in Oslo der Nobelpreis an die Kampagne übergeben wird, wird auf einer internationalen Konferenz in Ottawa – von bisher 118 Staaten – der Vertragstext zum Verbot aller Anti-Personen-Minen unterzeichnet. Allerdings: der Vertrag verbietet nur Anti-Personen-Minen. Andere Landminen-Typen, wie Anti-Panzer-Minen mit eingebautem Räumschutz, High-Tech-Minen und minenähnlich wirkende Waffen, werden davon nicht berührt. Die USA , die die Unterzeichnung in Ottawa bislang ablehnen, haben ein eigenes Minenräumprogramm angekündigt, um die Kritik an ihrer Politik abzuschwächen. Ein Beweis mehr dafür, daß die wachsende internationale Zivilgesellschaft durchaus Druck auf die Mächtigen der Welt ausüben kann. Bleibt zu hoffen, daß dieser Druck auch die anderen Staaten erreicht, die bislang nicht zur Unterschrift bereit sind, wie die Minenproduzenten China und Indien.

So sehr wir uns über den Abschluß einer Anti-Personen-Minen-Konvention freuen, es ist nur ein Zwischenschritt auf dem schwierigen und notwendigen Weg zum Verbot aller Landminentypen. Auch bei uns bleibt viel zu tun. Die aktuellen Haushaltsplanungen für das Jahr 1998 sind ein Schlag ins Gesicht der Anti-Minenkampagne. Im nächsten Verteidigungshaushalt sollen ca. 100 Mio. DM bereitgestellt werden für die Weiterentwicklung der »intelligenten« Minen und für militärische Minenräumung. Das ist fast sieben mal soviel, wie das Haus Kinkel für die humanitäre Minenräumung auszugeben bereit ist (ca. 15 Millionen).

Die internationale und nationale Kampagne kann stolz darauf sein, daß innerhalb von nur sechs Jahren ein weltweites Abkommen zum Verbot von Anti-Personen-Minen zustande gekommen ist. Dieser Erfolg und die Verleihung des Friedensnobelpreises geben Mut und Kraft, weiter zu machen bis zum Verbot aller Landminen. Es gibt keine guten Minen. Anti-Panzer-Minen unterscheiden nicht zwischen einem Schulbus und einem Panzer – und die perfektionierte Killerwaffe wird – wie Anti-Personen-Minen auch, dazu führen, daß ganze Regionen dieser Welt nicht bewirtschaftet werden können, daß Menschen weiterhin von Verstümmelung und Tod bedroht sind.

Für die internationale Kampagne gegen Landminen heißt es deshalb auch weiterhin, das doppelte Geschäft der Rüstungsindustrie zu entlarven, die gleichzeitig an der Minenproduktion und der Minenräumung verdienen möchte. Es gilt den Druck zu verstärken, damit die Haushaltsmittel der Staaten für Minenproduktion und Anschaffung umgewidmet werden für die humanitäre Minenräumung, die Rehabilitation der Opfer und andere Hilfsmaßnahmen in den betroffenen Ländern.

Angelika Beer ist verteidigungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen und Mitbegründerin der internationalen Kampagne gegen Landminen von »medico international«.

Landminen: Geißel der Dritten Welt

Landminen: Geißel der Dritten Welt

von Thomas Küchenmeister und Steffen Rogalski / Stefan Frey

in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis für Friedenspolitik – Atomwaffenfreies Europa e. V. und medico-international e.V.

zum Anfang | Landminen – Geißel der Dritten Welt

von Thomas Küchenmeister in Zusammenarbeit mit Steffen Rogalski

Alle 30 Minuten explodiert irgendwo in den Krisengebieten dieser Welt eine Landmine. Über 25.000 Menschen verlieren nach UN-Angaben jährlich durch Landminen ihr Leben oder werden schwer verletzt. Werden Landminen nicht geräumt, stellen sie gerade auch nach dem Ende eines militärischen Konflikts eine permanente Gefahr dar, da sie oft über Jahrzehnte hinweg »scharf« bleiben. Amputationen mit traumatischen psychischen und physischen Folgeschäden kennzeichnen das Schicksal der ahnungslosen Minenopfer, zumeist Zivilisten. Rehabilitation und Wiedereingliederung dieser Menschen in ihre Gesellschaften sind äußerst schwierig. Der massenhafte Einsatz von Landminen konnte bislang nicht durch die 1983 in Kraft getretene »UN-Minenkonvention« eingedämmt werden. Denn zwischen 100 und 200 Millionen dieser Minen lauern weltweit verstreut in über 60 Ländern auf ihre Opfer – vor allem in der Dritten Welt. Die Produzenten und Exporteure der Ware Mine kommen dagegen vorzugsweise aus den Industrieländern der »Ersten Welt«. Viele internationale Menschenrechtsorganisationen fordern jetzt einen totalen Stopp der Produktion, des Exportes und der Anwendung aller Landminentypen sowie mehr Hilfe für die Minenopfer. Gerade europäische Industriestaaten und die USA versuchen aber verstärkt, die internationale Ächtungsdebatte auf Minen älteren Typs zu konzentrieren, denn diese werden inzwischen kaum noch produziert. Ist doch hier längst eine moderne dritte Generation von Landminen marktreif entwickelt worden, die – da u.a. mit Selbstzerstörungsmechanismen (SD) ausgestattet – angeblich für Zivilisten ungefährlich ist und deshalb aus den Verbotsdiskussionen herausgehalten werden soll. Keineswegs von der Zuverlässigkeit dieser Mechanismen überzeugt, haben viele Menschenrechtsorganisationen deshalb auch die modernen Minen zu einem zentralen Thema der aktuellen Debatte um ein Verbot dieser Waffengattung gemacht – sie treten für eine Ächtung aller Minentypen ein. Doch ungeachtet der Forderungen zahlreicher humanitärer Organisationen im Vorfeld der sog. »Wiener Landminen-Konferenz«1, wurde das Ziel, die bislang wirkungslose »UN-Minenkonvention«2 von 1980 zu reformieren und damit vor allem unbeteiligte Zivilisten in Krisenregionen besser zu schützen, eindeutig verfehlt.

Die Konferenz wurde ergebnislos abgebrochen. Im Januar 1996 wurde in Genf erneut verhandelt, ohne daß nennenswerte Fortschritte erreicht wurden. In der nächsten Verhandlungsrunde im April versuchte man dennoch zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen.

(Zu den Ergebnissen siehe insbesondere den letzten Teil dieses Artikels)

Technologische Aspekte verschiedener Landminengenerationen

Je nach Bauart und technischem Entwicklungsstand werden drei Generationen von Landminen unterschieden. Landminen der ersten und zweiten Generation lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen: Anti-Personenminen (AP), die gegen Menschen gerichtet sind, und Anti-Panzerminen (AT), die sich gegen gepanzerte Fahrzeuge und deren Insassen richten.

Die Anti-Personenminen älteren Typs unterscheiden sich im wesentlichen durch zwei Wirkweisen: Zum einen gibt es Minen mit Detonationswirkung, welche die Opfer nicht direkt töten sollen. Demgegenüber sind Anti-Personenminen mit Splitterwirkung so konstruiert, daß sie hunderte Metallkugeln oder Stahlsplitter verschießen und damit im Umkreis von bis zu 100 Metern jeden Menschen töten können. Während Minen älteren Typs per Hand verlegt werden müssen, können moderne Minen per Artillerie, Flugzeug oder Helikopter – d.h. sehr schnell, in großer Stückzahl und über weite Entfernungen – »verstreut« werden. Gerade dies macht die Minen dann meist unauffindbar. Während Landminen älteren Typs durch direkten Kontakt zur Explosion kommen, sind moderne Minen mit Sensoren und Mikrochips ausgestattet und können dadurch robotergleich ihre Ziele selbständig aus großer Entfernung orten und vernichten. Die Fernschaltbarkeit moderner Minen erlaubt auch offensive Optionen: Per Knopfdruck lassen sich damit »bequem« Flüchtlingsströme abhalten, Grenzen oder ganze Landstriche kontrollieren und verriegeln.

Moderne Minen der Dritten Generation sind z. T. nicht mehr ausschließlich gegen ein Ziel gerichtet. So ist z.B. ein Hauptmerkmal der neuen »Anti-Materialminen«, »Startbahnminen« und »Flächenverteidigungsminen« die Möglichkeit des gleichzeitigen Einsatzes gegen verschiedene Ziele (Menschen und z. B. gepanzerte Fahrzeuge oder Flugzeuge). Dem leistungsgesteigerten Funktionsprinzip der Anti-Personenmine mit Splitterwirkung folgend verschießen sie eine große Menge an Metallsplittern, die sowohl Menschen als auch leicht gepanzerte Fahrzeuge in einem größeren Radius attackieren und vernichten können. Diese Umwidmung des Zielobjektes hin zu Material oder Fläche birgt zum einen die Option, von der eigentlichen Zielgruppe Person/Mensch abzulenken und so der Verbotsdiskussionen auszuweichen, zum anderen ist sie geeignet, bestehende Exportverbote für explizite Anti-Personenminen zu umgehen.

Von der gern als »intelligent« bezeichneten Dritten Generation von Landminen, ausgestattet mit hochwertigen Mehrfach-Sensoren sowie Selbstzerstörungs- bzw. Neutralisierungsmechnismen, wird behauptet, sie könne zwischen »Freund« und »Feind« unterscheiden und sei für Zivilisten ungefährlich. In diesem Zusammenhang wird zynischerweise sogar von der »humanen« Mine gesprochen. Doch es stellt sich die Frage, ob selbst die »intelligentesten« Minen in der Lage sind, zuverlässig zu funktionieren, d.h. sicher einen Panzer von einem Schulbus oder einen Kampf- von einem Rettungshubschrauber zu unterscheiden. Selbst Minenhersteller räumen ein, daß dies das größte technische Problem bei der modernen Minenproduktion darstellt. Zudem räumen die Hersteller ein, daß die Fehlerquote der Selbstzerstörungsmechanismen (SD) moderner Minen bei zehn bis 15 Prozent liegt. Erfahrungen aus dem 2. Golfkrieg stützen diese Werte. Britische Minenexperten weisen darauf hin, daß infolge des intensiven Minenkampfes, den der Irak sowohl gegen den Iran als auch gegen die Kurden im eigenen Land führte, noch mindestens 800 000 voll funktionsfähige Landminen verlegt sind, bei denen die Neutralisierungsmechanismen versagt haben. Die internationale Menschenrechtsorganisation »Handicap International« gibt an, daß die Fehlerquote bei von Hand verlegten Anti-Personenminen dieser Art sogar bei 25 bis 50 Prozent liegen kann.

Minenopfer

Während US-Regierungsquellen von lediglich 7.800 Minenunfällen pro Jahr ausgehen, kommt die Menschenrechtsorganisation »Handicap International« zu dem Ergebnis, daß in den letzten fünfzehn Jahren zwischen „400.000 und 450.000 Menschen von Minen verletzt und etwa doppelt so viele getötet wurden.“

Mit dem Wandel der Kriegsszenarien hin zu überwiegend innerstaatlichen Konflikten hat sich auch die Einsatzstrategie der Minenkriegführung gewandelt. Waren Zivilisten früher eher »indirekte« Opfer dieses Waffensystems, so sind sie jetzt ein spezifisches, bewußt gewähltes Zielobjekt geworden. Der Anteil von Kindern an den Landminenopfern liegt laut UNICEF bei 25 Prozent, in einigen Regionen sogar bei 75 Prozent.

Während des vierzehnjährigen Krieges in Afghanistan wurden, zumeist von sowjetischen Truppen, zwischen zehn und dreißig Millionen Minen verlegt, deren Räumung nach UN-Angaben – behält man das jetzige Räumtempo bei – ca. 4.300 Jahre benötigen würde. 20-25 Personen werden dort täglich durch Minen getötet oder verletzt, darunter viele Kinder. Der Krieg in Kambodscha war der erste in der Geschichte, in dem Landminen nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes mehr Opfer forderten als jedes andere Waffensystem. Gut zehn Millionen Landminen sind in diesem Land noch verlegt, häufig dort, wo das Land am fruchtbarsten ist. Und da der Krieg keineswegs beendet ist, werden immer noch täglich mehr Minen gelegt als geräumt. 800 Minenopfer pro Monat werden beklagt. Landwirtschaftliche Entwicklung heißt zu diesem Zeitpunkt nichts anderes als Minenräumen, und dies gilt nicht nur für Kambodscha. Ähnlich ist die Situation in Angola. Dort wurden ca. zwanzig Millionen Minen verlegt, verstreut über etwa ein Drittel der Landesfläche. Die Zahl der Landminenopfer wird mit mehreren Zehntausenden angegeben. Da in Angola selbst keine Landminen produziert werden, müssen alle verlegten Minen importiert worden sein. Im Irak, bzw. in Irakisch-Kurdistan, liegen nach Expertenmeinung zwischen fünf und zehn Millionen Landminen. Laut UNHCR wurden im Zuge der Bekämpfung der Peshmergas und der kurdischen Zivilbevölkerung Felder und ganze Dörfer vermint, um die Bevölkerung an der Rückkehr zu hindern. Einem Bericht der Menschenrechtsorganisation »Middle East Watch« zufolge besteht begründeter Verdacht, daß die irakische Armee bewußt Millionen von Minen verlegt hat, um weite Gebiete Kurdistans für alle Zeit unbewohnbar zu machen. Allein im Zeitraum zwischen August 1991 und August 1992 wurden in Kurdistan mindestens 1.269 Menschen durch Minen getötet und mindestens 3.325 Menschen verletzt. Nach Schätzungen der UNO beläuft sich schließlich die Anzahl ungeräumter Minen im ehemaligen Jugoslawien auf gegenwärtig ca. drei Millionen. Dies wird mit Sicherheit eine wachsende Zahl von Toten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung zur Folge haben.

Rehabilitation und Wiedereingliederung

Der Einsatz von Landminen und seine Folgen bürden den Gesellschaften in der Dritten Welt enorme Lasten auf, die wegen der dort herrschenden Armut in den allermeisten Fällen nicht getragen werden können. Den zumeist ohnehin unterentwickelten medizinischen Infrastrukturen der minenverseuchten Länder droht somit der Kollaps. Zu geringe Kapazitäten und Ressourcen für eine umfassende Rehabilitation der Opfer sowie erhebliche Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung der Menschen in die Gesellschaft kommen hinzu. Neben physischen Leiden bestimmen häufig unüberwindbare psychische Probleme die Lebenssituation der Minenopfer. Wer von einer Mine zerfetzt wird oder mitansehen muß, wie Freunde oder Familienmitglieder von einer Mine in Stücke gerissen werden, nimmt auch psychischen Schaden. Lediglich das Internationale Rote Kreuz (ICRC) sowie die Menschenrechtsorganisation »Handicap International« betreiben weltweit Kliniken bzw. Rehabilitationszentren für Minenopfer. Das ICRC unterhält 27 Einrichtungen in 15 Staaten; seit 1979 wurden Minenopfer mit über 44.000 Prothesen versorgt. »Handicap International«, obgleich mit einem weitaus geringeren Budget ausgestattet, unterhält sogar 120 Reha-Zentren in 30 Ländern, so daß in den zurückliegenden elf Jahren über 150.000 Patienten mit Prothesen geholfen werden konnte. Allerdings können nicht annähernd so viele Prothesen hergestellt werden, wie eigentlich benötigt werden, weil diese nach zwei bis drei Jahren ersetzt werden müssen.

Minenräumung

Das Aufspüren von Landminen ist eine arbeitsintensive, langwierige, kostspielige und gefährliche Operation, für die bislang moderne Technologien kaum zur Verfügung stehen. Landminen entschärfen ist noch schwieriger und noch gefährlicher, urteilt eine US-Studie.3 Das Verlegen ganzer Minenfelder dauert allenfalls Minuten. Die Minen aber anschließend zu orten und zu entschärfen kann Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Oft müssen die Minenräumer auf ihren Bäuchen kriechen, sich über Minenfelder tasten und Zentimeter für Zentimeter den Boden mit Stöcken absuchen. Auch Minenhunde, die Explosivstoffe riechen, werden eingesetzt, aber es gibt nur wenige dieser lange trainierten Tiere. Das Auffinden von mit Flugzeugen, Hubschraubern oder Artillerieraketen fernverlegten Minen ist derzeit fast unmöglich, bestenfalls lassen sich die Grenzen eines so verminten Geländes abschätzen. Traditionelle Vorstellungen von vorschriftsmäßig angelegten und in Minensperrnachweisen erfaßten Minensperren gehören der Vergangenheit an. Minen werden vielmehr oft unsystematisch verlegt.4

Die Kosten des Minenräumens sind immens: Während es eine Anti-Personenmine bereits zum Preis von drei Dollar zu kaufen gibt, kostet deren Räumung zwischen 300 und 1.000 Dollar. Diese Kosten können die meisten minenverseuchten Staaten nicht zahlen.5 Die Räumung aller derzeit verlegten Minen (ca. 100 Mio.) würde nach Expertenmeinung rund 100 Mrd. Dollar kosten.

Der UNO (UNHCR) fehlen aber die finanziellen Mittel; das Thema Minenräumung wurde bislang sehr randständig behandelt. Nur punktuell können derzeit in Afghanistan, Kambodscha, Somalia, Angola oder Mosambik, Irak, Liberia und Ruanda Minen geräumt werden, ironischerweise meist von UN-Truppen aus Staaten, die als Hauptminenlieferanten gelten. Ein geplanter Minenräum-Fond, in den UNO-Mitglieder einzahlen können, verspricht hier wenig Abhilfe, da dies auf freiwilliger Basis geschehen soll.6

Zwar gaben die UN im Jahre 1993 gut zwei Mrd. Dollar für friedenserhaltende Maßnahmen aus, darin war jedoch die Minensuche/räumung nur in geringem Maße eingeschlossen. 22.000 Blauhelme in Kambodscha hatten z. B. schlichtweg kein »Mandat« zum Minenräumen: Sie sollten nicht als Tote oder Krüppel nach Hause zurückkehren. Dieses Risiko überläßt man jetzt den 2.000 – inzwischen von privaten Hilfs-Organisationen bzw. NGOs wie »Halo Trust« ausgebildeten – einheimischen Minensuchern, denen man nach UN-Abzug noch schnell für zwei Mio. Dollar die ohnehin wenigen Minensuchgeräte aus UN-Beständen verkaufte. »Halo Trust«, ausgestattet derzeit mit einem zehn Mio. Dollar Budget der kambodschanischen Regierung, konnte so wenigstens bis Ende 1995 das Minensuchen finanzieren. Dieses Beispiel steht für viele andere Staaten. Häufig wird derzeit die Minen-Räumung durch private bzw. NGO-Gruppen wie »Halo Trust« oder der britischen »Mines Advisory Group« vorgenommen, die aber hinsichtlich ihrer enormen Aufgabe mit viel zu geringen Ressourcen ausgestattet sind.

Eine Ausnahme bildete das reiche Kuwait. Hier übernahm der US-amerikanische Minenproduzent CMS – im Besitz der Deutschen Aerospace (DASA), die selbst auch Minen produziert – das lukrative Minenräumgeschäft. Hier wurden allein zwischen Oktober 1992 und August 1993 u.a. 330.000 Minen aus dem Golfkrieg geräumt. Das Ölscheichtum bezahlte dafür 100 Mio. Dollar an die CMS.7

Im Jahre 1993 konnten nur 84.000 Minen von UN-Minenräumern gefunden und entschärft werden, ca. 46.000 weitere von privaten Hilfsorganisationen. 1995 wurden gut 100.000 Minen von UN-Minenräumern entschärft, doch wie aussichtslos diese Bemühungen letztlich sind, verdeutlicht die Tatsache, daß im gleichen Zeitraum ca. zwei bis fünf Millionen Minen neu verlegt wurden. So ist damit zu rechnen, daß die UNO den Kampf gegen die Landminen verlieren wird. Denn neben den finanziellen und technischen Problemen, denen UN-Minenräumaktionen gegenüber stehen, offenbaren sich in jüngster Zeit »politische Mängel«, die von Kritikern als »unverantwortlich« bezeichnet werden und »einer moralischen Bankrotterklärung« der UNO gleichkommen. Britische und südafrikanische Hersteller von Landminen, so der Vorwurf, die im Auftrag der UNO in Mosambik und Angola – wahrscheinlich ihre eigenen – Minen räumen, planten für die Zukunft wieder neue Verkäufe. Das Know-how, welches diese Firmen bei der Räumung erwerben, werde gleich wieder zur Verbesserung der Räumresistenz neuer Minentypen genutzt. US-amerikanische Experten befürchten, daß diese neuen Minen dann selbst vom besten Minenexperten nicht mehr aufzuspüren oder zu entschärfen sind, so daß Angola und Mosambik kaum mehr minenfrei zu bekommen wären.

Grundsätzlich läßt sich feststellen, daß die technologische Kluft zwischen Tarnungsmethoden und Enttarnungselektronik weiter wächst, was die Räumung moderner High-Tech-Minen noch schwieriger, kostspieliger und gefährlicher werden läßt. So kamen auch auf einem internationalen Minenräum-Symposium Militärexperten zu dem einstimmigen Ergebnis, daß „alle Nationen bislang stets das Countermining (Minenräumung; d. Verf.) zurückgestellt und anderen Projekten (der Landminenentwicklung; d. Verf.) den Vorzug gegeben haben. Außer handgeführten Minendetektoren und Suchnadeln gibt es derzeit kein zuverlässiges Mittel zum Erkennen vergrabener Minen.“ Zu vielfältig, so weiter, seien „Bauarten, Sensoren und Wirkmechanismen des internationalen Minenmenüs.“ 8 Selbst Militärfachleute sind sich daher sicher, daß durch die qualitative Steigerung der Minentechnologie die Bedrohung von Zivilisten bei zukünftigen Konflikten noch steigen wird.9

Doch wenn sich auch finanzielle und technische Probleme lösen ließen, bedarf es immer noch einer politischen Einigung der ehemaligen Kriegsgegner bzw. deren Zusammenarbeit, um die Minen zuverlässig und vollständig zu räumen. Ein positives Beispiel mag El Salvador sein. Hier verständigten sich Regierung und Befreiungsbewegung FMLN auf einen gemeinsamen Aktionsplan zur Minenräumung: In drei Phasen werden zunächst die Minenfelder identifiziert, die Bevölkerung mittels einer Schulungskampagne informiert, bevor mit der Räumung durch eine gemeinsam aus Regierungs- und FMLN-Truppen bestehende Sondereinheit begonnen werden kann. Unicef unterstützt dieses Projekt, in dem bis Ende 1992 bereits 25.000 Minen in 200 Zonen gekennzeichnet werden konnten.10

Deutsche Landminen

Minen dürften mit zu den ersten nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik wieder produzierten Waffensystemen zählen. Es wurden schon frühzeitig seitens der Industrie Versuche zur Entwicklung neuer Minentypen gemacht. Diese »schöpferische« Basis garantiert nicht zuletzt das hohe aktuelle Innovationspotential deutscher Minenproduzenten. Einmütig verweisen das Verteidigungsministerium und deutsche Produzenten auf die weltweit technologisch führende Position im Minenbereich. Für die zur Herstellung »intelligenter« Minen nötigen Sensoren und Zünder seien bei den Firmen DASA, Diehl, Junghans, Honeywell und Rheinmetall hervorragende Kapazitäten vorhanden. Im Zeitraum 1989 bis 1994 fand diese rege Forschungs- und Entwicklungstätigkeit in mindestens 70 angemeldeten Patenten im Bereich Minentechnologie ihren Niederschlag. Die Entwicklungsschwerpunkte der deutschen Minenproduktion liegen heute offensichtlich im Anti-Panzerminen-Bereich sowie bei der Sensoren- und Zündertechnologie, wobei der Fernverlegbarkeit der Minen allerhöchste Priorität eingeräumt wird.

Deutsche Minenproduzenten geben indes in der Regel an, keine Anti-Personenminen herzustellen. Das Gegenteil läßt sich schwer beweisen und auch regierungsamtliche Angaben über Ausgaben und Beschaffungen bzw. Planungen im Minenbereich sind undurchsichtig und unvollständig.

Angaben über die aktuelle Produktion von AP-Minen liegen auch nicht vor. Solche Minen wurden in den sechziger Jahren von den Firmen Diehl und den Industriewerken Karlsruhe produziert.

Doch eine weitvorangeschrittene technologische Entwicklung im Minenbereich hat mittlerweile dazu geführt, daß die meisten modernen AT-Minen, d.h. fast alle der Bundeswehr, über einen sogenannten »Aufhebeschutz« verfügen. Hierbei handelt es sich de facto um nichts anderes als eine AP-Mine, die als integraler Bestandteil einer Anti-Panzermine beim Berühren dieser explodiert, was in der Regel durch Zivilisten geschieht. Dies macht aus militärtaktischer Sicht AP-Minen überflüssig und erleichtert zudem einen Verzicht auf diese, denn solche AT-Minen haben zumindest teilweisen AP-Minen-Charakter. Eindeutig zeigt dieses Beispiel, daß der ohnehin schmale Grad zwischen Anti-Personen- und Anti-Panzerminen längst überschritten ist. Moderne Minen sind so gegen mehrere Ziele gleichzeitig verwendbar.

Aktuell werden in Deutschland die Panzerabwehrrichtmine PARM-1 bei der Daimler Benz Aerospace/TDA-TDW sowie die Panzermine AT-2 bei Dynamit Nobel produziert. Das Hauptaugenmerk der Daimler Benz Aerospace richtet sich zudem auf modernste Submunitionsdispenser (z.B. MW-1, DWS 39) und Abstandswaffen (APACHE), mit denen auch Minen verlegt werden können. Moderne Submunitionsminen, die u. a. im Rahmen des deutsch-französischen Joint-ventures (Gemeinschaftsunternehmen) TDA/TDW (Thomson Daimler Armaments/Thomson Daimler Wirksysteme) produziert werden. Aber auch die Firma Rheinmetall produzierte solche Submunitionsminen. Diese sollen nach eigenen Angaben gegen am Boden befindliche Fahr-/Flugzeuge eingesetzt werden und werden als Rollbahnminen bezeichnet. Verlegt vom Kampfflieger Tornado mit MW-1 – so erklärte ein zuständiger Vertreter des Verteidigungsministeriums – sollen diese Minen allerdings nicht nur »halbharte (Flugzeuge am Boden)«, sondern auch »weiche Zielobjekte (Personen)« aktiv bekämpfen, d.h. die Funktion von Anti-Personenminen übernehmen.

An laufenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten sind die Panzerabwehrrichtmine-2 von Dynamit Nobel, deren Konkurrenzprodukt von TDA/TDW und die Flächenverteidigungsmine COBRA von Rheinmetall zu nennen.

Im Jahre 1993 erklärte die Bundesregierung auf Anfrage von Bündnis 90/ Die Grünen, daß sie 1992 für Forschung, Entwicklung, Beschaffung und Produktion von Minen insgesamt 271 Millionen DM ausgegeben hätte. Durch eine erneute Anfrage von Bündnis 90/ Die Grünen wurde nun allerdings bekannt, daß allein die Beschaffung von Landminen 1992 mit 354,2 Millionen DM zu Buche schlug. Insgesamt gab die Bundesregierung in den Jahren 1990 bis 1994 über 2,14 Milliarden DM für die Beschaffung von Landminen aus. Die Entwicklung neuer Minensysteme kostete den Steuerzahler im selben Zeitraum weitere 17,4 Millionen DM. Für die nächsten beiden Jahre sind zudem ca. 30 Millionen DM für (Weiter-)Entwicklungen von (neuen) Minentypen angemeldet worden. Zum Vergleich: Für Minenräumprojekte von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wurde 1994 nur eine Million DM zur Verfügung gestellt.

Minenexport

Als Hauptlieferanten von Landminen sind in der Vergangenheit die USA, China, Rußland sowie Italien und andere europäische Minenproduzenten aufgetreten. Nicht zuletzt auf Grund zunehmender internationaler Kritik haben inzwischen eine Reihe von Staaten – auffälligerweise fast ausschließlich die führenden Herstellerstaaten von High-Tech-Minen – Ausfuhrmoratorien für Anti-Personenminen beschlossen. Hinter einem scheinbar humanitären Motiv für diese Politik verbergen sich allerdings auch handfeste ökonomische Interessen.

Mit der Eingrenzung auf explizite Anti-Personenminen älteren Typs und der Ausgrenzung moderner (Mehrzweck-) Minen verfolgen einige Industriestaaten offenbar das Ziel, die Minen der dritten Generation von künftigen Verboten auszuschließen und nur die Minen älteren Typs und einfacherer Bauart, die auch in Ländern der Dritten Welt produziert werden, in den Mittelpunkt der internationalen Ächtungsdiskussion zu rücken. Ignoriert werden hingegen die massenhaften Exporte von modernen Minen aus den Industriestaaten in die Dritte Welt.

Ein Exportverbot nur für die älteren Minentypen würde zudem den Wettbewerbsvorteil der reichen Industriestaaten auf künftigen Rüstungs-(Minen-)Märkten festschreiben, da diese Staaten ihren Entwicklungs- und Produktionsschwerpunkt längst auf moderne Minen verlegt haben. Bestätigt wird dieser Eindruck durch Äußerungen von Regierungsvertretern der USA: Die meisten US-amerikanischen Vorschläge zur Minenächtung zielen auf alte Landminenmodelle, und man beabsichtigt, die alten Minen durch moderne zu ersetzen. Dies wäre auch im Sinne der meisten befreundeten Staaten, die mehrheitlich gegen eine umfassende Ächtung von Landminen votierten. Viele Vertreter aus Staaten der Dritten Welt sind hingegen der Auffassung, daß westliche Nationen einfach versuchen, den Wettbewerb im Geschäft mit »Low-cost«-Landminen aus Dritte Welt-Ländern zu blockieren.

Die Bundesregierung beschloß erst Mitte 1994 ein auf drei Jahre befristetes Exportmoratorium für »Anti-Personenminen«, das mittlerweile unbefristet verlängert wurde. Doch ähnlich wie bei den europäischen Nachbarn deckt dieses nur den Bereich der älteren Anti-Personenminen ab, schadet daher – wie man amtlicherseits feststellte – den auf moderne Minen spezialisierten Unternehmen in Deutschland in keiner Weise und hat damit vergleichsweise die politisch-ökonomische Tragweite eines Exportverbotes für in Deutschland produzierte »VW-Käfer«.

Auch der Allgemeine Rat der EU beschloß eine »gemeinsame Aktion« gegen Anti-Personenminen. Sie sieht vor, daß lediglich der Export von nicht detektierbaren, metallosen Anti-Personenminen ohne SD aus EU-Staaten gänzlich unterbunden werden soll. Andere Minen – d. h. der überwiegende Teil der in der EU produzierten Minen – dürfen in alle Länder exportiert werden, die der »UN-Minenkonvention« von 1980 beigetreten sind.

Deutsche Minenproduzenten und die Bundesregierung geben in der Regel an, keine Landminen – vor allem keine Anti-Personenminen – zu exportieren bzw. deren Export zu genehmigen. Dem deutschen »Minenprimus« Dynamit Nobel – (Werbeslogan: Bei Minen die erste Adresse) wurde aber im Jahre 1993 die Exportgenehmigung für Anti-Personenminen mit dem Zielland Niederlande erteilt und es wurde geliefert. Zudem sind deutsche Minen auch in der Dritten Welt entdeckt worden. Übereinstimmend geben US-amerikanische Behörden an, daß an mehrere Staaten deutsche Anti-Personenminen (AP) der Typen DM-11 und DM-31 geliefert wurden.

Die AP-Mine DM-11, die derzeit aus Bundeswehrbeständen ausgesondert wird, wurde zwischen 1959 und 1965 von der deutschen Firma Diehl in Lizenz nachgebaut, aber nach regierungsamtlichen Angaben nur zwischen 1959 und 1964 bei der Bundeswehr eingeführt. Das Unternehmen teilte auf Anfrage mit, daß nachweislich alle DM-11-Minen an die Bundeswehr geliefert wurden. Das BMV gab hingegen an, daß auch der Bundesgrenzschutz diesen Minentyp erhalten hat. Die DM-11-„Tretmine« reagiert auf kinderleichten »Auslösedruck« (ca.5 kg). In einer aufwärtsgerichteten Detonation zerfetzt sie den unteren Teil des Körpers und ist darauf ausgelegt, das Opfer nicht direkt zu töten, sondern zu verstümmeln.

Bei der DM-31-Mine handelt es sich um eine Anti-Personen-Springmine mit Splitterwirkung, die bei Auslösung in eine Höhe von ca. einem Meter aufsteigt, explodiert und dabei Hunderte von scharfen Stahlsplittern verschießt. Im Umkreis von fünfzehn Metern ist sie für jedes Zielobjekt tödlich. Produziert wurde die DM-31 von den damaligen Industriewerken Karlsruhe IWK. Nach regierungsamtlichen Angaben wurde die DM-31 nur an Großbritannien, Frankreich, Schweden und Dänemark geliefert. Insgesamt aber liegen eindeutige Hinweise zu Lieferungen von deutschen Anti-Personenminen in mindestens zwölf Staaten – davon allein vier afrikanische (Äthiopien, Angola, Eritrea und Sambia) – vor.

Gleich zweimal innerhalb der letzten zwei Jahre hat auch der Bundessicherheitsrat die Rüstungsexportregelungen für deutsche Unternehmen erheblich gelockert. Regierungsseitige Kooperationsprojekte und privatwirtschaftliche Joint-ventures im Rüstungsbereich unterliegen jetzt den gleichen Exportkontrollen. Das bedeutet zum einen, daß im Falle von Lieferungen außerhalb der EU jeweils die Exportrichtlinien desjenigen Landes Anwendung finden sollen, in dem die Endmontage eines Waffensystems stattfindet; zum anderen können jetzt Zu- und Ersatzteillieferungen für Waffensysteme im Rahmen privater Kooperationen praktisch unbeschränkt an befreundete Nationen getätigt werden. Wohin das Endprodukt dann ggf. weiterexportiert wird, entzieht sich der Kontrolle der Bundesregierung. Selbst Lieferungen in Kriegs- und Bürgerkriegsregionen sind damit jetzt möglich und kaum mehr zurückverfolgbar.

Dieses Konstrukt gewährleistet also im Bedarfsfall die Lieferung von Waffen über ein Land mit einer offensiveren Exportpolitik, wie z.B. Frankreich. Ob diese exportfreundlichen Rahmenbedingungen ein Motiv für die Gründung des bereits erwähnten deutsch-französischen Joint-ventures TDA/TDW von Thomson und Daimler Benz Aerospace war, läßt sich unschwer vermuten. Ein erklärtes Ziel der gemeinsamen Unternehmung ist jedenfalls die Steigerung der Exportmarge, wobei Daimler Benz Aerospace sich Vorteile hinsichtlich der bestehenden Marktzugänge des Thomson Unternehmens verspricht, das immerhin einen Exportanteil von gut 70 % des Umsatzes verbucht.

Und diese Zusammenarbeit wird, laut Daimler Benz Aerospace, den Muttergesellschaften erlauben, politische Sensibilitäten beim Export bestimmter umstrittener Waffensysteme zu umgehen. Somit besteht die Möglichkeit in Deutschland produzierte bzw. teilproduzierte Minen über den Hauptauftragnehmer Thomson aus Frankreich mit Hilfe seiner bekanntlich offensiven Exportpolitik weltweit auszuführen. Frankreich ist einer der Top-Waffenlieferanten in die Entwicklungsländer und hat bis dato langfristige Lieferverträge mit diesen Ländern in Höhe von 11,4 Mrd. Dollar geschlossen. Ein Beispiel, welches vor dem Hintergrund intensivierter deutsch-französicher Rüstungskooperation Schule machen wird.

Nicht außer Acht gelassen werden sollte auch der Bereich der Minenverlegesysteme für fernverlegbare Minen. Er wird zukünftig auf den Exportmärkten eine bedeutendere Rolle spielen und wird jetzt schon als äußerst profitabel eingestuft. Staaten, die diese Systeme erwerben, können auch als potentielle Empfängerländer für Submunitions-Minen gelten.

Auch auf dem bedeutenden US-amerikanischen Markt ist Daimler-Benz-Aerospace bereits seit 1991 mittels Erwerb der Firma CMS vertreten. Hier wurde das sog. Autonomous-Free-Flight-Dispenser-System u.a. für das US-Kampfflugzeug F-16 entwickelt. Auch dieses System kann Minen verlegen. Die F-16 ist bis dato in über 20 Staaten geliefert worden, was dem CMS-Dispenser potentielle Märkte eröffnen wird. Außerdem wird CMS auch mit der Produktion von Minen in Verbindung gebracht und hat zudem am lukrativen Minenräumgeschäft, wie zum Beispiel in Kuwait, verdient.

Auch andere, von vielen Staaten mittlerweile beschaffte Minenverlegesysteme, bieten modernen deutschen Minen potentielle Absatzchancen. Mit dem Raketenwerfer MARS und dem Minenwerfer Skorpion z.B. – lassen sich die deutschen Minen AT-2 und die neue Flächenverteidigungsmine der Bundeswehr COBRA verlegen. Werden einmal moderne High-Tech-Minen in größerem Umfang exportiert und dann auch eingesetzt, gehen selbst Militärexperten davon aus, daß moderne fernverlegbare Minen, gerade für Zivilisten, als noch gefährlicher einzustufen sind als die Herkömmlichen – auch wenn die neuen Minen über sog. Selbstzerstörungsmechanismen verfügen.

Zum einen wird, wie selbst die DASA einräumt, mit zunehmendem Einsatz von fernverlegten Minen auch die Zahl der Blindgänger steigen. Das bedeutet, die Sicherungsmechanismen werden nicht zuverlässig funktionieren. Zum anderen ist es beim Einsatz von Wurfminen oder fernverlegten Minen derzeit nicht möglich zu bestimmen, wo sich die einzelnen Minen befinden, da allenfalls die Grenzen des verminten Geländes abgeschätzt, jedoch nicht für Zivilisten sichtbar markiert werden können. Fernverlegte moderne Minen sind zudem wesentlich raumresistenter als Minen älteren Typs. Sie werden, kommen sie erstmal massenhaft zum Einsatz, zukünftig das Minenräumen noch gefährlicher und teurer, wenn nicht gar unmöglich machen. Hier sollte also u.a. die Kritik an der aktuellen Minenproduktion, Beschaffung und Exportgesetzgebung ansetzen.

Deutsche Minenproduzenten werden auch weiterhin schwerpunktmäßig an NATO-Staaten liefern. Aber, wie am Beispiel TDA gezeigt, werden deutsche Firmen auch verstärkt versuchen, sich über Kooperationen, Zulieferungen und Joint-ventures gerade mit französischen und britischen Firmen Marktzugänge in alle Welt zu verschaffen. Massenhafte Exporte von fernverlegbaren High-Tech-Minen beispielsweise in Dritte Welt Staaten sind kurzfristig jedoch noch nicht zu erwarten. Moderne Minen sind schlichtweg noch zu teuer und zum anderen verfügen diese Staaten noch nicht über die erforderliche Verlegetechnik, wie z.B. Kampfflugzeuge. Man kann jedoch prognostizieren, daß dies sich zumindest mittelfristig ändern wird. Denn zum einen verfügt fast jede Armee der Welt über Hubschrauber, für die die TDW z.B. schon Submunitionsraketen entwickelt und produziert hat. Ob mit diesen Hubschrauberraketen auch Minen verlegt werden können, ist bislang noch nicht zu belegen. Man kann aber davon ausgehen, daß dies technisch kein Problem darstellt. Zum anderen sind von modernen Minen fast immer auch handverlegbare Versionen zu beziehen. Ein Verlegesystem ist damit überflüssig, was die Beschaffungskosten für diese Minen erheblich senkt und damit den Anreiz, solche Minen zu erwerben, auch für zahlungsschwächere Kunden steigen lassen dürfte.

Der sicherste Weg, Landminenexport zu verhindern, ist das vollständige Verbot von Produktion und Einsatz. Will man dieses Ziel erreichen, könnte es sich zunächst als sinnvoll erweisen darauf zu drängen, das deutsche Exportmoratorium auf alle vorhandenen Minentypen und Minenverlegesysteme auszudehnen.

Die internationale Ächtungsdebatte

Minen sind Gegenstand verschiedener internationaler Vereinbarungen. Die wichtigsten sind das Genfer Abkommen von 1949, die Zusatzprotokolle von 1977 und vor allem die bislang von über 40 Ländern unterzeichnete UN-Konvention von 1980 über „das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßiges Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken.“ Die UN-Konvention bezieht sich allerdings nur auf internationale Konflikte, d.h. auf Konflikte zwischen Kriegsparteien aus unterschiedlichen Staaten, und berücksichtigt nicht die stark anwachsende Zahl innerstaatlicher Konflikte. Auch sagt die UN-Konvention nichts darüber aus, wie Verstöße gegen sie geahndet werden sollen. Sie verbietet nur sehr eingeschränkt den Einsatz von Landminen, aber überhaupt nicht deren Produktion und Export. Internationalen Menschenrechtsorganisationen erscheint dieses Regelwerk daher als »ziemlich wertloses Papier«.

Zur Vorbereitung einer von Frankreich beantragten Revisionskonferenz dieser UN-Konvention wurden vier Expertentreffen auf regierungsamtlicher Ebene abgehalten, von denen aber keines auch nur annähernd eine Lösung des Problems gebracht hat. Militärvertreter bei diesen Treffen machten im Gegenteil deutlich, daß es auch künftig einen militärischen Bedarf an Anti-Personenminen geben werde.

Die deutsche Delegation verfolgte auf der Grundlage eines interfraktionellen Bundestags-Beschlusses von CDU/CSU, FDP und SPD ein auf westliche bzw. nationale Ressourcen abgestimmtes Primär-Verhandlungsziel:

  • Geltung des Minenprotokolls (Protokoll II) auch in Friedenszeiten und in innerstaatlichen Konflikten;
  • Schaffung eines Verifikationsmechanismusses zur Abschreckung und Ahndung von Verstößen gegen das Minenprotokoll;
  • Verbot von allen metallosen Landminen;
  • Einsatzbeschränkungen für Landminen ohne Selbstzerstörungsmechanismen;
  • Exportbeschränkungen und -verbote für Landminen.

Ungeachtet der Forderungen zahlreicher humanitärer Organisationen gelang es nicht, während der UN-Verhandlungen zur Revision des Minenprotokolls von 1980 in Wien und Genf auch nur einen nennenswerten Fortschritt zu erzielen. Trotz vollmundiger (Absichts)-Erklärungen und »Abrüstungsinitiativen« in Form wenig restriktiver Exportmoratorien zeigen Berichte von Konferenzteilnehmern sowie interne Informationen aus Militär- und Regierungskreisen, daß sich hinter den vordergründigen humanitären Motiven aller Beteiligten ganz offensichtlich auch militärische sowie handfeste ökonomische Interessen verbergen.

Es wurde deutlich, daß es den federführenden Vertragsparteien (Haupt-Minenproduzenten) von vornherein hauptsächlich darum ging:

  • das Überleben des heimtükischen Waffensystems Landmine und nicht etwa das Überleben zehntausender potentieller Minenopfer zu ermöglichen;
  • Märkte zu sichern;
  • eigene Minen vor Export- oder Einsatzverboten zu schützen;
  • die technologischen Potentiale der heimischen Industrie zu sichern.

Dabei stand eine umfassende Ächtung aller Landminentypen gar nicht auf der Tagesordnung. Lediglich ein Teilsegment eines ständig wachsenden internationalen Landminenmenüs sollte nach dem Willen der Industriestaaten Einsatz- bzw. Exportbeschränkungen erfahren: Antipersonenminen älterer Bauart, die größtenteils derzeit in China, Rußland, Indien oder Pakistan produziert werden. Auf Grund ihrer schlichten Technologie oft auch als »dumme« Minen bezeichnet, werden sie mehrheitlich für das alljährliche, tausendfache Sterben und Verstümmeln der Minenopfer verantwortlich gemacht.

Moderne Minen seien, so argumentierten die Industriestaaten während der Verhandlungen, für Zivilisten ungefährlich. Die Zuverlässigkeit dieser elektronischen Sicherungsmechanismen bzw. der neuen Minen generell ist aber äußerst umstritten. Expertisen von Fachleuten und Militärexperten belegen dies. Moderne oder »smarte« Landminen westlicher Industriestaaten, einschließlich Landminentypen wie Anti-Panzer (AT)-, Anti-Material (AM)-, Submunitions-, Dual-Use-Minen, standen während der Konferenz allerdings gar nicht auf dem Prüfstand. Doch auch diese Minen sind z.T. gezielt gegen Menschen gerichtet, verfügen z.T. über integrale AP-Minen.

Gleich mehrere, zumeist westliche Konferenzteilnehmer versuchten darüber hinaus, noch bestimmte Minentypen – darunter sogar AP-Minen – aus der Ächtungsdiskussion herauszuhalten, was nach einem »Definitionswechsel« der AP-Mine dann tatsächlich auch wohl gelingen wird. Dabei würde unter strategischen Aspekten ein Verzicht auf zumindest AP-Minen leicht fallen; eine Studie des Department of Defense (DoD) belegt dies.

Einige (westliche) Staaten, die gegenwärtig angeblich keine AP-Minen produzieren, waren außerdem nicht bereit, Zugeständnisse zu machen. Zudem lassen nachweislich viele Staaten, die angeben, keine AP-Minen mehr zu produzieren, diese in Lizenz in anderen Ländern herstellen und profitieren davon.

Eine Politik, die offensichtlich die »Minenwelt« in eine »gute« und eine »schlechte« teilt – ähnlich den Atomwaffen – veranlaßte Vertreter aus Billigminen produzierenden Staaten festzustellen, daß westliche Nationen den Wettbewerb im Geschäft mit »Low-cost«-Landminen nur blockieren, um Märkte für eigene Produkte zu schaffen. Mindestens 65 % der US-amerikanischen Minen sind so beispielsweise moderne Minen. Die Quote in EU-Staaten liegt noch höher. »Dumme« Minen werden im Westen nicht mehr produziert, zudem aus Militärbeständen entfernt. Daher fällt den Industriestaaten ein Verbot nicht gerade schwer; von der Tragweite her – gerade unter rüstungstechnologischen Gesichtspunkten – ist dies vergleichbar mit der Ausmusterung von Vorderlader-Gewehren aus Bundeswehrbeständen.

Die rein auf technologische Fragen reduzierte Debatte verdrängte eine dringend notwendige humanitäre Lösung, was angesichts der über 25.000 Minenopfer pro Jahr einem Fiasko gleichkommt. Gerade die unterschiedslose Wirkung von Minen wird als völkerrechtswidrig eingestuft. Daran werden aber weder die technischen, zumal unzuverlässigen, Sicherungsmechanismen, noch hochkomplizierte Sensorik, noch die Detektierbarkeit von modernen Minen etwas ändern. Es liegen im Gegenteil eindeutige Erkenntnisse vor, daß davon auszugehen ist, daß durch eine qualitative Steigerung der Minentechnologie – kommt diese erst in größerem Stil in Umlauf – die Bedrohung von Zivilisten bei zukünftigen Konflikten sogar noch steigen wird. Das Minenräumen wird dann noch gefährlicher, teurer und komplizierter werden. Deutsche Minenproduzenten räumen dies mittlerweile ein, auch, während es von der Mehrheit der westlichen Staaten nach nach wie vor ausgeblendet wird.

Damit stellt sich grundsätzlich die Frage, wie hilfreich eine neue Konvention sein kann, wenn zum einen nicht überprüft werden kann/soll, ob die Konventionsmitgliederstaaten sich daran halten, zum anderen Zuwiderhandlungen in keiner Weise sanktioniert werden können/sollen. Bislang gelang es nicht, sich auf die Implementierung eines Verifikationsmechanismus zu einigen.

Das Landminenproblem läßt sich jedenfalls nicht dadurch lösen, daß man »dumme« Minen durch »intelligente« ersetzt.

Verhandlungen 1996 – enttäuschende Ergebnisse

Seit dem 15. Januar 1996 verhandelten Regierungsvertreter in Genf wieder um die Erneuerung der aus dem Jahr 1980 stammenden Konvention bzw. über das 3. Zusatzprotokoll der UN-Konvention über »inhumane und unterschiedslos wirkende Waffen«, also über Minen. Schon am Anfang war abzusehen, daß ein völliges Verbot von Landminen kaum eine Chance hatte.11 Auch die internationalen Kampagnen für ein Verbot von Landminen, die Ende April 1996 ihren Höhepunkt hatten, änderten nur wenig an der Konferenzpolitik. Zwar kündigte Bundesverteidigungsminister Rühe überraschend an, die Bundeswehr werde in Zukunft keine Anti-Personen-Minen mehr einsetzten, um die Aussichten für die Genfer Landminenkonferenz zu verbessern, aber dies fand keinen Wiederhall. Zwei Tage später gab US-Verteidigungsminister Perry bekannt, daß die USA in absehbarer Zeit nicht auf den Einsatz dieser Minen verzichten werden.12

Wahrscheinlich ist nach Angaben aus Washington, daß das Pentagon ein Verbot aller Anti-Personen-Minen zum Jahr 2010 anstrebt. Selbst der ehemalige militärische Oberbefehlhaber im Golfkrieg von 1991, General Schwarzkopf, forderte ein baldiges Verbot dieser Waffe, und mehrere hochrangige Offiziere aus verschiedenen Ländern bezweifelten ihren militärischen Nutzen.13 Dennoch wurde nur über eine »Modernisierung« von Anti-Personen-Minen verhandelt. Die westlichen Staaten drängten Ende März 1996 darauf, daß nur solche Minen in Zukunft erlaubt sein sollen, die durch Funksignale entschärft werden können oder einen Mechanismus besitzen, der sie nach vier Monaten deaktiviert. Dies und anderes sahen Entwicklungsländer als Versuch des Westens, ihnen eine billige und wirksame Verteidigungswaffe zu nehmen.14 Gleichzeitig wurden vom Bundesverteidigungsministerium Berichte dementiert, wonach es die Entwicklung eines neuen Minentyps in Auftrag gegeben hat, der auch als Ersatz für die Anti-Personen-Minen dienen könnte. Ein Sprecher des Ministeriums erklärte, daß Flächenverteidigungsminen schon seit langem zum Arsenal der Bundeswehr gehörten und ausschließlich gegen Panzer eingesetzt würden. Die nächste Generation dieser Minen befände sich in der Entwicklung und richte sich auch nicht gegen Menschen. Dieser Minentyp sei keine Hintertür, um den Verzicht auf Anti-Personen-Minen zu unterlaufen.15

Nach dreijährigen Verhandlungen kam dann in Genf ein Abkommen heraus, das die Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) bitter enttäuschte. Es verbietet lediglich den Einsatz und die Herstellung von billigen Plastikminen. Alle Anti-Personen-Minen müssen danach künftig einen Selbstzerstörungsmechanismus haben oder mittels Metalldetektoren auffindbar sein. Doch selbst für diese Regelungen sind keine wirksamen Überwachungsmechanismen im Vertrag vorgesehen. Nach Meinung der radikalsten NGOs wäre angesichts dieses Ergebnisses ein Abbruch der Konferenz besser gewesen, als auch noch die Modernisierung der Landminen zu legitimieren.

Weitere wichtige Bestimmungen des Vertrages bzw. des Protokolls, das in Kraft tritt, wenn es von 20 Staaten ratifiziert wurde, könnten jedoch dazu beitragen, einigen Menschen in ferner Zukunft das Leben zu retten:

  • Anti-Personen-Minen aus Plastik müssen in Zukunft mindestens acht Gramm Eisen enthalten, damit sie detektierbar sind.
  • Fernverlegte Minen müssen sich 30 Tage nach ihrem Abwurf selbst zerstören. Die Fehlerquote des Selbstzerstörungsmechanismus darf nicht höher als 10 Prozent sein und um diese Fehlerquote zu reduzieren, soll sich jede fernverlegte Mine nach 120 Tagen ohne Zutun entschärfen. Anti-Panzerminen sind jedoch von diesen Regelungen nicht betroffen.
  • Anti-Personen-Minen dürfen nicht mehr an Staaten geliefert werden, die dem Protokoll nicht beitreten.
  • Es gilt ein Verbot der Lieferung jeglicher Minen an Empfänger, die keinem Staat unterstehen.16

Insgesamt enttäuschend ist, daß den Staaten für die Erreichung dieser Maßnahmen eine Übergangsfrist von neun Jahren gewährt wurde. Alles läuft wohl darauf hinaus, daß das neue Minen-Protokoll den westlichen Rüstungskonzernen in den nächsten Jahren wieder volle Auftragsbücher für »intelligente« (mit Selbstzerstörungsvorrichtungen versehene) Minen sichern wird, weil die Umrüstung der Minen andere Staaten überfordert. Mit dem Protokoll wird erstmals im Kriegsvölkerrecht die Entwicklung einer neuen Waffengattung gefördert.17 Weiterhin bleibt anzumerken, daß unter den 57 Mitgliedstaaten des Abkommens sich weder Afghanistan oder Kambodscha noch Angola oder Mozamique befinden, also die Länder, die von Minen am meisten betroffen sind.18

Alles deutet darauf hin, daß eine Abschaffung von Anti-Personen-Minen (AP-Minen) durch die Bundeswehr und eine Beschränkung des Exports von Anti-Personen-Minen sowie die auf der UN-Konferenz beschlossenen Bestimmungen und Begrenzungen für Anti-Personen-Minen nur eine eingeschränkte Bedeutung haben werden:

1. Die als »smart« bezeichneten Landminen der westlichen Industriestaaten, wozu auch fernverlegbare Typen wie Anti-Panzer-, Anti-Material-Submunitions- und Dual-use-Minen gehören, standen bei der UN-Konferenz nicht auf dem Prüfstand, obwohl sie auch teilweise gegen Menschen gerichtet sind.19

2. Durch die Konferenz-Definition der Anti-Personen-Mine als eine Mine, die »in erster Linie« durch die Gegenwart, Annäherung oder den Kontakt einer Person explodiert, werden »Schlupflöcher« für bestimmte Minentypen offengehalten, also für Minen, die gegen mehrere Ziele einsetzbar sind. Z. B. werden in der Bundesrepublik Splitterminen produziert, die nach offizieller Darstellung gegen Fahrzeuge und Flugzeuge am Boden wirken sollen. Wie aus dem Bundesverteidigungsministerium zu erfahren ist, sind sie aber auch gegen »weiche Ziele« – sprich Menschen – gerichtet. Zudem verfügen moderne Anti-Panzerminen über integrale Anti-Personenminen, sind aber in »erster Linie« gegen Panzer gerichtet.

Die Bundesrepublik gab in den letzten fünf Jahren 2,3 Mrd. DM für die Beschaffung von Landminen aus. Aber für die Minenräumung in der Dritten Welt will die Bundesrepublik in den nächsten Jahren nur zehn Millionen DM ausgeben. Auch die Ausgaben des Minenräumungshilfsfond der UNO (UN-Trust Fund for De-mining Assistance), der auf einer UN-Konferenz im Juli 1995 beschlossen wurde, umfaßt nur 26,6 Mio. US-Dollar.20 So wundert es nicht weiter, daß die UNO pro Jahr nur etwa 100.000 Minen der weltweit 110 Millionen Landminen räumen kann.

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Simonitsch, Pierre (1996 b): Kaum Chance für Ächtung der Anti-Personen-Minen, in: Frankfurter Rundschau, 23. 4.

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Wyatt, J.R. (1989): Land mine warfare – recent lessons and future trends, in: International Defence Review, Nr. 11, 1499ff.

zum Anfang | Die Kampagne gegen Landminen

von Stefan Frey

Nach seriösen Schätzungen von Hilfsorganisationen wurden in den vergangenen 20 Jahren über eine Million Menschen Opfer von Landminen. Das humanitäre Völkerrecht zählt Minen zu den »unterschiedslos wirkenden Waffen«, die ähnlich den atomaren, biologischen und chemischen Waffen in ihrer Wirkung keinen Unterschied zwischen Soldaten und der Zivilbevölkerung machen.

Noch Jahre nach Beendigung eines Krieges lauern die heimlichen Killer im Boden auf das nächste Opfer. 120 Millionen Minen weltweit, jedes dritte Land auf der Welt ist vermint. Täglich bringen neue kriegerische Auseinandersetzungen neue Minen in die Erde. Nach UN-Angaben sind Minen eines der größten Entwicklungshemmnisse in den armgehaltenen Ländern. Und immer noch kein generelles Verbot der Landminen. Wie ist das möglich?

Erst in den letzten beiden Jahren nimmt die Weltöffentlichkeit das Problem der globalen Verminung zur Kenntnis. Dies ist ein großes Verdienst der »International Campaign to Ban Landmines«, die seit langem die Minenproblematik anprangert und politische Lösungen vorschlägt.

Es gab andererseits auch realpolitische Gründe, die die Minengefahr zu einem internationalen Politikum werden ließen.

Seit den epochalen Veränderungen von 1989 nahmen UN-Missionen in den drei armgehaltenen Kontinenten Afrika, Asien und Lateinamerika zu. Mit dem Einsatz von UN-Blauhelmen in vielen Ländern häuften sich in den Medien die Berichte über Minenunfälle. Die zu Friedensmissionen oder Wahlkampfbeobachtung eingesetzten Blauhelme wurden Opfer von Landminen; UN-Hilfskonvois scheiterten in vielen Fällen an Minensperrgürteln oder verminten Straßen. Die Bilder aus dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien gingen um die Welt.

Das neue UN-Minenprotokoll

Diese Entwicklung brachte die UN-Diplomatie in Gang. Auf Antrag Frankreichs sollte das 1980 verabschiedete UN-Minenprotokoll überprüft und strenger gefaßt werden. Der erste Versuch in Wien im Herbst 1995 scheiterte, weil alle Staaten auf ihren derzeitigen Minenbeständen und Minenkampfkonzepten beharrten. Die reichen Industrieländer versuchten, ihre technologisch weiterentwickelten Minen als neuen internationalen Standard durchzusetzen; die armgehaltenen Länder beharrten darauf, auch weiterhin billige und nichtdetektierbare Minen zu produzieren und einzusetzen. Erst der zweiten UN-Konferenz in Genf im April 1996 gelang es, ein neues Minenprotokoll zu verabschieden. Das Ergebnis ist mehr als enttäuschend.

An der globalen Verminung wird sich nichts ändern. Lange Übergangsfristen (bis zu neun Jahren bei Plastikminen), alte und neue Schlupflöcher für zukünftige Minenexporte, kein relevantes Überprüfungsinstrument, kein Bann für Antipersonenminen. Die Weichen für einen weiteren Rüstungswettlauf mit modernen Minen sind gestellt. »We are outraged«, kommentierten die in Genf anwesenden Minenopfer dieses Konferenzergebnis treffend.

Die internationale Diplomatie nutzt das neue Minenprotokoll, um mit einer kaum überschaubaren Flut an geplanten Konferenzen und »Mineninitiativen« ernsthafte Bemühungen vorzutäuschen, die Verminung der Welt wirklich stoppen zu wollen:

Bundesaußenminister Kinkel stellt wenige Wochen nach Genf sein sieben Punkte-Aktionsprogramm vor (in dem die Rehabilitation der Minenopfer nicht einmal erwähnt wird). In der Europäischen Union soll eine neue Mineninitiative gestartet werden. Ähnliche Vorstöße sind aus der OSZE, der UN-Vollversammlung und dem UN-Sicherheitsrat zu hören. Kanada lädt im Oktober 1996 zu einem sogenannten Pro-Ban-Staaten-Treffen ein (betrifft alle Staaten, die auf Antipersonenminen verzichtet haben). In den reichen Ländern häufen sich die Seminare und Fachtagungen, auf denen die Minenproblematik erörtert und technische Innovationen im Bereich Minenräumung vorgestellt werden.

Minen bleiben ein internationales Politikum, das sich hervorragend eignet, humanitäre Absichtserklärungen zu verkünden, ohne die katastrophalen Auswirkungen der globalen Verminung wirklich anzupacken.

Eine Lösung wäre einfach: Alle Staaten verzichten generell auf alle Arten von Landminen. Ein umfassendes Überprüfungsinstrument wird geschaffen. Die bisherigen Gelder für Forschung, Entwicklung und Beschaffung von neuen Minen werden sofort umgewidmet in humanitäre Entminungsprojekte und Rehabilitationsprogramme für Minenopfer. Nur auf diesem Weg wäre eine Umkehr in eine zivilisatorische Richtung möglich.

Selektive Verbote, wie das der Bundeswehr, auf strategisch veraltete Antipersonenminen zu verzichten, täuschen über die wahren Hintergründe. Die weitere Erforschung, Entwicklung und Beschaffung von modernen Flächenverteidigungs-, Antipanzerminen und Submunition lassen die Interessen erkennen: Hier wird hochgerüstet für die Kriege der Zukunft.

Die Internationale Kampagne

Im Laufe des Jahres 1992 initiierte medico international zusammen mit der Vietnam Veterans of America Foundation die »International Campaign to Ban Landmines«. In den folgenden Jahren dehnte sich die Kampagne auf alle fünf Kontinente aus und umfaßt im Sommer 1996 weit über 450 Organisationen aus 35 Ländern. Ganz unterschiedliche Nichtregierungsorganisationen (NRO) arbeiten in diesem politischen Bündnis zusammen: aus dem medizinischen Sektor, dem Bereich der Entwicklungs- und der Menschenrechtspolitik, Organisationen, die Rüstungskontrolle zu ihrem Anliegen gemacht haben, sowie NROs aus den verminten Ländern.

Vor Ort, in den von Landminen betroffenen Ländern, wird von diesen NROs wertvolle Arbeit geleistet. Minenaufklärungskampagnen für die ansässige Bevölkerung werden angeleitet; verlegte Minen lokalisiert, kartographiert und in mühsamer, gefährlicher Arbeit geräumt. Es werden Erste-Hilfe-Stationen und Prothesenwerkstätten aufgebaut und anschließend Rehabilitationsmaßnahmen für Minenopfer durchgeführt.

Ein weiterer Schwerpunkt der Kampagnenaktivität liegt in der Lobby-Arbeit. In Gesprächen und Briefwechseln wird versucht, auf die Minenpolitik der jeweiligen nationalen Regierung Einfluß zu nehmen.

Die in der Internationalen Kampagne tätigen Organisationen initiieren nationale Kampagnen gegen den Einsatz, die Produktion, die Lagerung und den Handel von Landminen aller Art. Unterschriften werden gesammelt, Pressearbeit, Hearings und Expertentreffen organisiert.

Auch auf internationaler Ebene ist die Kampagne aktiv. So wurde der Überprüfungsprozeß des UN-Minenprotokolls in Wien und Genf kritisch beobachtet und für die Darstellung der eigenen Ziele genutzt. Ein die Konferenz begleitender Newsletter fand bei den Medien große Resonanz.

Im Sommer 1995 führte die Internationale Kampagne in Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, eine international viel beachtete Konferenz zur Landminenproblematik durch, auf der die Erfahrung in den nationalen Kampagnen ausgetauscht und neue Strategien diskutiert wurden. Für Januar 1997 plant die Kampagne eine Fortsetzung in Harare, der Hauptstadt von Zimbabwe.

Die deutsche Kampagne

Parallel zur Internationalen Kampagne entstand in der Bundesrepublik der »Trägerkreis«, der in den ersten Jahren maßgeblich Öffentlichkeit zur Minenproblematik herstellte. Er umfaßte: Netzwerk Friedenskooperative, BUKO-Kampagne »Stoppt den Rüstungsexport«, IPPNW, Kampagne »Produzieren für das Leben Rüstungsexporte stoppen«, Rüstungsinformationsbüro Baden-Württemberg, Komitee für Grundrechte und Demokratie und medico international.

Breit gestreute Öffentlichkeits- und Grassroots-Arbeit, Informationsstände in Fußgängerzonen, Unterschriftenlisten, Ausstellungen und Veranstaltungen sowie die Herausgabe eines Buches (»Das Bild der Welt als kontrollierter Explosionskörper«) waren Teil der Arbeit dieses Trägerkreises.

Unzählige Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, Berichte und Interviews in Fernsehen und Radio: Es gelang, das Thema Landminen und die Position der Kampagne in den deutschen Medien zu plazieren.

Im Frühjahr 1995 entstand der deutsche »Initiativkreis für ein Verbot von Landminen«. Erstmals schlossen sich alle relevanten Hilfsorganisationen der Bundesrepublik unter den gleichen kompromißlosen Forderungen von medico international zusammen. Ihm gehören an: Brot für die Welt, Christoffel Blindenmission, Deutscher Caritasverband, Deutsche Kommission Justitia et Pax, Diakonisches Werk, Eirene International, Jesuiten Flüchtlingsdienst, Kindernothilfe, Misereor, Oxfam Deutschland, Pax Christi, Solidaritätsdienst SODI, Terre des Hommes, UNICEF, Welthungerhilfe und medico international.

Der Initiativkreis tritt für folgende Forderungen ein:

1. Weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exportes (einschließlich des Technologietransfers) und des Einsatzes aller Formen von Landminen, einschließlich derer mit einem Selbstzerstörungs- oder Neutralisationsmechanismus.

2. Offenlegung aller Forschungsobjekte und Exporte, aller militärischen Einsatzplanungen und aller Minenbestände und -lager auf deutschem Staatsgebiet.

3. Nachweisbare Vernichtung aller existierenden Minen in der Bundesrepublik Deutschland.

4. Umwidmung der von der Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung von Minen und Minenabwurfsystemen bereitgestellten Gelder zugunsten der Rehabilitation und Entschädigung von Minenopfern.

5. Umfassende Unterstützung der weltweiten Minenräumung unter Aufsicht der UNO und der Hilfsorganisationen durch die Finanzierung eines Fonds zur Minenräumung.

Der Initiativkreis erweiterte die Öffentlichkeitsarbeit, startete grundlegende Informationskampagnen in den kirchlichen Gemeinden und setzte die Unterschriftensammlung fort. Da im Herbst 95 die Überprüfung des UN-Minenprotokolls angesetzt war, wurde auch die Lobby-Arbeit intensiviert, um nachdrücklichen Einfluß auf die Bonner Minenpolitik zu nehmen.

Vertreter des Initiativkreises führten Lobby-Gespräche mit Parlamentariern der zuständigen Fach- und Unterausschüsse des Bundestages und deren Partei-Obleuten sowie mit Verantwortlichen aus dem Auswärtigen Amt sowie des Verteidigungsministeriums. Auch während des gesamten UN-Überprüfungsprozesses standen Vertreter des Initiativkreises in regem Kontakt mit der deutschen Delegation.

Die bisherigen Höhepunkte der Kampagne:

  • Am 25.9.95 fand die erste Bundespressekonferenz des Initiativkreises in Bonn statt mit Klaus Wilkens, Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Prälat Norbert Herkenrath von Misereor und Farida Gulamo, der Vorsitzenden der mosambikanischen Versehrtenorganisation.
  • Im April 1996 übergaben Vertreter des Initiativkreises 450.000 Unterschriften gegen Landminen im Bundespräsidialamt.
  • Am 20. April 1996, zwei Tage vor Konferenzbeginn in Genf, organisierte der Initiativkreis einen bundesweiten Aktionstag in über 50 deutschen Städten.
  • Bei der zentralen Aktion in Berlin wurde ein großer Schuhberg vor dem Brandenburger Tor errichtet, der an die vielen Minenopfer mahnen sollte; in Anwesenheit zweier hoher kirchlichen Würdenträger, dem SPD-Bundestagsabgeordnete Kröning und dem Berliner Schauspieler Rolf Römer wurde eine vielbeachtete Kundgebung abgehalten.

Die ausdauernde Arbeit des Initiativkreises zeigt Mitte April 1996 endlich Wirkung. Kurz vor Eröffnung der Genfer Konferenz erklärt das Bundesverteidigungsministerium, die Bundeswehr werde zukünftig auf Antipersonenminen verzichten und die bestehenden Bestände vernichten.

Die breite öffentliche Resonanz und dieser Erfolg in Bonn ermutigt den Initiativkreis, die Kampagne weiterzuführen. Ein nationales Exportverbot für alle Landminen sowie Minenräumen und Rehabilitation werden die zukünftigen Arbeitsschwerpunkte bilden.

Ab dem 1. September werden sich der Dachverband Kritische AktionärInnen Daimler-Benz, die Deutsche Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Baden-Württemberg, Eirene International, das Friedensnetz Baden-Württemberg, die Informationsstelle Militarisierung Tübingen, die Kampagne gegen Rüstungsexport in Idstein, Ohne Rüstung Leben ökumenische Aktion für Frieden und Gerechtigkeit, Pax Christi, das Rüstungsinformationsbüro Baden-Württemberg und die Werkstatt für gewaltfreie Aktion in Baden zu dem Initiativkreis »Daimler-Minen stoppen« zusammenschließen, um den größten deutschen Rüstungskonzern zu einem Ausstieg aus der Minenproduktion zu bewegen.

medico international:

Es war Anliegen und Projekt von medico international in den vergangenen drei Jahren, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf »unmenschliche Taten, die heute Taten ohne Menschen sind« (Günther Anders) zu lenken. Die Bilanz unserer bisherigen Bemühungen ist beachtlich, auch wenn wir uns darüber im klaren sind, daß das Ziel noch lange nicht erreicht ist.

Eine lange Tournee mit dem »simulierten Minenfeld« 1993, die große Tournee mit dem »Prothesenmenschen« 1996, Kinospots, Videofilme, unzählige Veranstaltungen, Vorträge, Interviews, Pressemitteilungen, Ausstellungen, Experten-Hearings, Veröffentlichungen und Aktionen in der Vergangenheit haben sehr viel Mühe gekostet.

Wir werden weiter daran festhalten, die Schuldigen zu benennen, gerade dann, wenn sich jene heute unter dem Mantel der dringenden humanitären Aufgabe des Minenräumens zusammentun, die noch vor kurzem mit der Produktion von Minen und Minenverlegesystemen ihr Geld verdient haben. So folgt der massenhaften Vernichtung von Menschen, Land und Zukunft durch Minen und dem dazugehörigen Instrumentarium nun die perfide Umkehrung: An dem Problem, das man hergestellt hat, will man nun ein zweites Mal verdienen, indem man vorgibt, es mit kostspieligen Methoden lösen zu können.

Erfahrungen aus dem südlichen Afrika stützen außerdem die Befürchtung, daß Minenhersteller, die zum humanitären Minenräumen eingesetzt werden, das aus dieser Tätigkeit gewonnene Know-how in die zukünftige Minenproduktion einfließen lassen. Die neuen Minen werden dann noch schwerer zu räumen sein.

Diesem perversen Kreislauf ein Ende zu setzen, ist weiterhin erklärtes Ziel der Öffentlichkeitsarbeit von medico international.

Die medico-Projekte

Neben der Kampagnentätigkeit ist es für medico international von Anfang an eine Verpflichtung gewesen, den Minenopfern direkt zu helfen.

Süd-Kurdistan

In Süd-Kurdistan (Nordirak), wo Minen unter anderem Flüchtlinge daran hindern sollten, in ihre Dörfer zurückzukehren, beteiligte sich medico international an der Kennzeichnung und kartographischen Erfassung von Minenfeldern und führte Minenaufklärungsprogramme für die Bevölkerung durch. Dafür wurden 100.000 DM aufgewendet.

Ruanda

Der britischen »Mines Advisory Group« stellte medico 50.000 DM zur Verfügung, um in Ruanda ein Minenaufklärungsprogramm durchzuführen, das sich vor allem an Flüchtlinge wendete, die in verminte Landesteile zurückkehrten.

Somalia / Mosambik

Sorgfältige Recherchen über Minenfelder im Norden Somalias und in Mosambik unterstützte medico in Zusammenarbeit mit den Bostoner »Physicians for Human Rights«. Die durchgeführten Studien bilden bis heute die Grundlage für alle weiteren Aktivitäten.

Projekt PODES »Du kannst«, El Salvador.

Seit 1988 unterstützt medico international salvadorianische Kriegsversehrte. Am Anfang stand der Aufbau einer Prothesenwerkstatt auf Kuba. Es waren die Betroffenen selbst, die nach dem Ende des Krieges in El Salvador beschlossen, sich zusammenzutun und eine Prothesenwerkstatt in El Salvador aufzubauen. Sie führen den Betrieb nun als Techniker, Büroangestellte, Fahrer in Eigenregie weiter.

Medico international übernahm die komplette Ausstattung der Prothesenwerkstatt zur Herstellung von Kunstharzprothesen, die Ausbildungskosten für Prothesentechniker, die Aufwendung für Personal und Bürokosten. Dafür wurden bisher ca. 1.000.000 DM zur Verfügung gestellt.

Für die volle Entfaltung einer integrierten Versorgung der salvadorianischen Kriegsversehrten, die u.a. ein über das Land verteiltes Netz kleinerer Reparatur- und Wartungswerkstätten vorsieht, wird nochmals eine Million DM benötigt.

Prothesenwerkstatt Kien Khleang, Kambodscha.

Seit drei Jahren unterstützt medico gemeinsam mit den Vietnam-Veteranen (VVAF) aus den USA in der Nähe der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh ein Zentrum, das Kriegsamputierte mit Prothesen versorgt. Zehntausende sind es, die in den zurückliegenden Kriegsjahren durch Minen Gliedmaßen verloren haben. Auf der Suche nach einer Technologie, die einen hohen Standard bietet und zugleich kostengünstig und leicht erlernbar ist, waren wir im indischen Jaipur fündig geworden, wo seit vielen Jahren hochwertige künstliche Füße gefertigt werden. Der wichtigste Vorteil des »Jaipur-Fußes« aber liegt darin, daß er nicht von der Teilnahme an den traditionellen Lebensformen asiatischer Länder ausschließt.

Medico finanzierte den Ankauf der Formen und den Aufenthalt zweier indischer Techniker in Kambodscha, um dort die einfache und bewährte Jaipur-Technologie einzuführen und zu lehren. Das Ziel: die konkrete Hilfe für Kriegsopfer über die Vermittlung eines Wissens, das mit der spezifischen kambodschanischen Lebenssituation im Einklang steht. Dafür haben wir der Prothesenwerkstatt Kien Khleang bislang 100.000 DM zur Verfügung gestellt.

Medico in Angola

Luena in der angolanischen Provinz Moxico ist eine Stadt, die ungefähr 100.000 Einwohner hat und zusätzlich noch 90.000 Flüchtlinge beherbergen muß; umgeben von einem kilometerbreiten Minengürtel, der bis in die Wohngebiete hineinreicht. In der traditionell vernachlässigten und im Krieg eingekesselten Stadt soll eine Wiederansiedlung und ein wirtschaftliches Erstarken gefördert werden. Der zentrale Punkt unseres Ansatzes ist, das Problem der Mine und die Zerstörung der gesellschaftlichen Strukturen in einem Zusammenhang zu sehen. Familienzusammenhänge werden durch Minen vernichtet, Ansiedlungen und Bodenbearbeitung verhindert, mithin sind auch Ernährung und Einkommen betroffen. Dies verunmöglicht den Menschen die Führung eines normalen Lebens.

Das medico-Projekt

Unser langfristig ausgerichtetes Projekt, wofür das Bonner Entwicklungsministerium (BMZ) einen Zuschuß gewährt hat, kennt drei Phasen mit vielfältig vermittelten Inhalten:

  • Aufklärung über und Kennzeichnung von Minenfeldern und dazu Minenräumung.
  • Herstellung von Prothesen und Orthesen für Minenopfer, besonders für Frauen.
  • Durchführung von Physiotherapie und Vorbereitungsprogramme für die Berufsausbildung der Patienten.
  • Sensibilisierung von Gesundheitsarbeitern, Lehrern und Gemeindeverantwortlichen für die psychischen Folgen traumatischen Erlebens.
  • Stärkung der Selbsthilfeorganisation der Behinderten auf allen Ebenen.
  • Kurse zur Berufsausbildung und Aufbau eines landwirtschaftlichen Zentrums für an Behinderte angepaßten Landbau.
  • Förderungsmaßnahmen für die Rückkehr von Flüchtlingen nach Minenräumung.

Wenn Sie die Kampagne gegen Landminen unterstützen möchten oder ausführlichere Informationen zur Projektarbeit wünschen, wenden Sie sich bitte an:
Stefan Frey
medico international
Obermainanlage 7
60314 Frankfurt
Tel: 069 94438-0
Fax: 069 436002
eMail: medico-international@t-online.de

Spendenkonten:
1800 Frankfurter Sparkasse
(BLZ 500 502 01)
6999-508 Postbank Köln
(BLZ 370 100 50)

Anmerkungen

1) Konferenz zur Überprüfung der UN-Konvention über Verbote und Beschränkungen der Anwendung bestimmter konventioneller Waffensysteme in Wien (25.9 – 13.10.1995). Zurück

2) Die Konvention über Verbote und Beschränkungen der Anwendung bestimmter konventioneller Waffensysteme wurde 1980 beschlossen. Sie trat 1983 in Kraft und beinhaltet seither drei Protokolle: Über nichtdetektierbare Splitterladungen (Protokoll I), über Landminen (Protokoll II) und über Brandwaffen (Laserwaffen) (Protokoll III). Zum 1. Januar 1996 waren 50 Staaten dieser UN-Konvention beigetreten: Australien, Belgien, Benin, Bosnien-Herzegovina, Bulgarien, China, Dänemark, Deutschland, Ecuador, Ex-Jugoslawien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Guatemala, Indien, Irland, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kroatien, Kuba, Laos, Latvia, Liechtenstein, Malta, Mexico, Mongolei, Neuseeland, Niederlande, Niger, Norwegen, Österreich, Pakistan, Polen, Rußland, Schweden, Schweiz, Slowenien, Slowakei, Spanien, Tschechische Republik, Tunesien, Ukraine, Ungarn, Uruguay, USA, Weißrußland und Zypern. Argentinien, Brasilien, Jordanien, Rumänien, Südafrika, Togo und Uganda haben entweder die Konvention bereits ratifiziert oder beabsichtigen, dies zu tun. Zurück

3) US Department of State (1993): Hidden Killers. Zurück

4) Wyatt, J.R. (1989): Landmine warfare, in: International Defense Review, Nr. 11, S. 1502ff. Zurück

5) Unicef (1994): Anti-personnel land-mines: a scourage on children, S. 7. Zurück

6) Wurst, Jim (1994): Still killing, in: Bulletin of the atomic scientist, Nr. 5/6. Zurück

7) Webster, Donovan (1994): It's the little bombs that kill you, in: The New York Times Magazine, 23.1. Zurück

8) Klose, Gerhard J. (1994): Internationales Symposium „Mines, Countermine and Demolitions“, in: Wehrtechnik Nr. 3, S. 39. Zurück

9) Wyatt, J.R. (1989): Landmine warfare, in: International Defense Review, Nr. 11, S. 1502ff. Zurück

10) UNICEF-Nachrichten 3/93, S. 14ff. Zurück

11) Vgl. Simonitisch 1996a. Zurück

12) Vgl. Moser 1996. Zurück

13) Vgl. Neue Züricher Zeitung 1996. Zurück

14) Vgl. Simonitsch 1996b. Zurück

15) Vgl. Frankfurter Rundschau 1996. Zurück

16) Vgl. Simonitsch 1996c. Zurück

17) antimilitarismus information 1996, gibt als Quelle an: NZZ, 4. u. 5.5.96.. Zurück

18) Ebenda. Zurück

19) Küchenmeister 1996, S. 29. Zu den Moratorien der EU-Staaten, die diese Minen ebenfalls nicht einschließen, siehe ebenda, S. 35. Zurück

20) Vgl. United Nations 1995. Zurück