Umwelt: Langfristig kriegsbeschädigt

Umwelt: Langfristig kriegsbeschädigt

von Gina Mertens

Auch wenn es zur Zeit noch schwierig ist, genaue Untersuchungen und zuverlässige Messwerte zu erhalten, so lässt sich dennoch feststellen, dass in Jugoslawien als Folge der NATO-Bombardments schwerwiegende Schäden mit langfristigen Folgen für die menschliche Gesundheit – gerade auch für nachfolgende Generationen – und die natürliche Umwelt entstanden sind. Zu diesem Schluss kommt auch das Umweltbundesamt in einem internen Bericht1 an das Umweltministerium. Eine Veröffentlichung dieses Berichtes hätte wohl zur Folge gehabt, dass das Argument der »Humanitären Intervention« – welch Orwellscher Euphemismus! – noch stärker in Frage gestellt worden wäre. Mehr und mehr wird jetzt deutlich, dass die NATO einen Umweltkrieg geführt und damit klar gegen die Genfer Konvention verstoßen hat, in der es u.a. heißt: „Bei der Kriegsführung ist darauf zu achten, dass die natürliche Umwelt vor ausgedehnten, lang anhaltenden und schweren Schäden geschützt wird. Dieser Schutz schließt das Verbot der Anwendung von Methoden oder Mitteln der Kriegsführung ein, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie derartige Schäden der natürlichen Umwelt verursachen und dadurch Gesundheit oder Überleben der Bevölkerung gefährden.“2 Hierfür werden sich NATO-Militärs und PolitikerInnen zu verantworten haben – Den Haag ist wohl vielen eine Reise wert.

Was ist in Jugoslawien konkret passiert? Welche Schäden sind wo und wodurch zu erwarten? Kurz-, mittel- und langfristige Schäden sind durch die Freisetzung unterschiedlicher Substanzgruppen entstanden:

Schäden durch Uran 238

Uran ist ein natürlich vorkommendes Schwermetall mit einer extrem hohen Dichte von 19,1 g/cm. Aufgrund dieser Eigenschaft eignet es sich waffentechnisch gesehen besonders gut, um Panzerungen aus Stahl zu durchdringen. Beim Auftreffen und Zersplittern solcher Urangeschosse kommt es zu einer Feinverteilung von Uranpartikeln, die sich dann selbst entzünden. Das getroffene Zielobjekt geht in Flammen auf und es entsteht giftiges Uranoxid. Dieses wird vom Menschen direkt durch die Mundschleimhaut, die Lunge oder über offene Wunden in den Körper aufgenommen. Dosisabhängig findet man bei solchen PatientInnen Symptome und Schweregrade einer Schwermetallvergiftung. Insbesondere sind dieses Nierenschäden, Nervenlähmungen, Schädigungen des Herzens, des Verdauungstraktes, der Kapillaren u.v.a.

Abgesehen von dieser sogenannten. chemotoxischen Wirkung wirkt Uran radiotoxisch, d.h. der Organismus wird zusätzlich durch Strahleneinwirkung geschädigt. Uran ist ein Alpha-Strahler mit sehr geringer Reichweite. Es wird in menschlichen Knochen wie Kalzium eingelagert. Durch Bestrahlung des Blut bildenden Knochenmarks können Leukämien, Anämien sowie Knochentumore entstehen. Uran wirkt embryoschädigend, da es die Plazentaschranke passieren kann. Fehlgeburten, Missbildungen und kindliche Tumorerkrankungen sind mögliche Folgen.3

Urangeschosse wurden erstmals 1991 im Golfkrieg eingesetzt. Das sogenannte Golfkriegssyndrom bei ehemaligen Soldaten wird damit assoziiert.4 Der Einsatz dieser Geschosse in Jugoslawien ist von mehreren NATO-Offiziellen bestätigt worden.5 Das jugoslawische Außenministerium berichtete über den Einsatz von Urangeschossen in der Region von Prizren am 30.3.1999 sowie in Bujanovic am 18.4.1999.6

Anders als im ursprünglichen Naturzustand, als Erz in und unter der Erde, liegt der Uranstaub frei an der Luft und wird immer wieder neu aufgewirbelt. Je nach Windverhältnissen kann er auch über Hunderte von Kilometern verteilt werden. Uranstaub kennt keine Grenzen. Im April wurden in Makedonien vom National Institute for Health Protection (NIHP) bis zu achtfach erhöhte Radioaktivitätswerte (Alpha-Strahlung) in der Luft gemessen.7

Uran hat eine Halbwertzeit von 4,5 Milliarden Jahren. Es strahlt also unendlich weit in die Zukunft und kann immer wieder neu von Menschen aufgenommen werden – ein Verbrechen an gegenwärtigen und nachfolgenden Generationen. Die UN-Menschenrechtskommission sieht dies ähnlich und beschäftigt sich seit Jahren in einem Unterausschuss mit der Ächtung dieser Munition.8

Zum Einsatz von Urangeschossen wäscht unser Verteidigungsministerium die Hände in Unschuld. In einem Antwortschreiben an die IPPNW vom 5.5.1999 heißt es: „Dem Bundesministerium der Verteidigung ist bekannt, dass sich Munition mit abgereichertem Uran im Bestand von alliierten Streitkräften befindet.“ Und etwas weiter: „Die Bundeswehr besitzt keine Munition, die abgereichertes Uran enthält. Es ist davon auszugehen, dass diejenigen Bündnispartner, die über solche Munition verfügen, diese im Rahmen der Verteidigung im Bündnis auch einsetzen. Es ist dem Bundesministerium der Verteidigung nicht bekannt, ob solche Munition im Rahmen der Lufteinsätze gegen die Bundesrepublik Jugoslawien verwendet wird.“ Ja hat denn das BMVg überhaupt danach gefragt oder hat es sich verhalten wie die berühmten drei Affen: Nichts hören, sehen und sprechen? Bloß keine Verantwortung. Es gab Abgeordnete, die fragten und keine Antwort erhielten.9 Wer bei einer Gewalttat einfach weg schaut und nichts dagegen unternimmt, trägt Mitschuld. Erst recht bei einer gemeinsamen Tat, die hier auch noch fälschlicherweise mit »Verteidigung des Bündnisses« umschrieben wird. Der Dreh, wir waren's nicht, das war doch die NATO, ist reichlich verdreht und auch keineswegs neu: Unter der Tarnkappe »NATO-Soldat« durften deutsche Soldaten auch in der Vergangenheit schon das, was sie als Deutsche gerade nicht dürfen, nämlich den Umgang mit Atomwaffen üben. Es wird so getan, als gäbe es eine eigenständige NATO-Staatsangehörigkeit! Die schlimme Schlussfolgerung dieser verqueren Logik ist, dass im NATO-Bündnis alles an Waffensystemen, wie furchtbar auch immer, eingesetzt werden kann, was mindestens ein Bündnispartner erlaubt. Ebenso beunruhigend ist die Tatsache, dass gewählte PolitikerInnen den Kriegseinsatz beschlossen haben, aber danach keine ausreichenden Informationen mehr erhalten (oder sich nicht darum bemüht haben).

Die UN-Kommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, hat der NATO angedroht, dass auch sie für Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden kann.10 Wohl nicht mehr als ein kleiner Hoffnungsschimmer!

Schäden durch Bombardierung von Industriekomplexen

Im gesamten jugoslawischen Staatsgebiet sind gezielt Industrieanlagen, darunter Chemiewerke, Erdölraffinerien, Düngemittelfabriken, Treibstofflager und Kraftwerke, bombardiert worden. In der vertraulichen Studie des Umweltbundesamtes11 heißt es: „Es ist davon auszugehen, dass durch die Zerstörung dieser Anlagen die darin befindlichen Stoffe zu großen Teilen in die Umwelt gelangt sind.“ Man wusste also was man tat. Bei der Bombardierung von o. g. Industrieanlagen ist mit einer Unzahl freiwerdender Giftstoffe zu rechnen – angefangen von Giftgasen wie z.B. Chlorgas oder Vinylchlorid bis hin zu Dioxinen, Schwermetallen und Öl –, die Boden, Grund- und Oberflächenwasser und Luft belasten und schwere Folgen für die menschliche Gesundheit haben:

  • Beispiel Chlorgas: Verätzung der Schleimhäute, Atemnot und Tod durch qualvolles Ersticken;
  • Beispiel Ethylenchlorid: Hautausschläge, Leber- und Nierenschäden, zentrale Depression, krebserzeugende Wirkung;
  • Beispiel Dioxine: dosisabhängig Leberschäden (bis hin zum Tod im Leberkoma), Chlorakne, Krebs, Infertilität und schwere Missbildungen in den nachfolgenden Generationen, insbesondere Anenzephalie (Geburt ohne Gehirn, nicht lebensfähig), Anophtalmie (Augenlosigkeit), Lippen- Kiefer- Gaumenspalte, Phokomelie (Gliedmaßenmissbildung), Siamesische Zwillinge, Spina bifida (Rückenmarkdefekt). Insbesondere ist hier das als Seveso-Gift bekannt gewordenen 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-Dioxin (TCDD) zu nennen, welches auch Bestandteil vom im Vietnamkrieg angewandten Agent Orange war.

Da diese giftigen Substanzen sowohl in der Luft als auch im Grund- und Oberflächenwasser sowie im Boden freigesetzt werden ist mit einer lang anhaltenden Vergiftung und Verseuchung ganzer Ökosysteme einschließlich der Lebewesen zu rechnen.

Eine Gruppe von WissenschaftlerInnen des Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe (REC) kommt zu dem Schluss, dass die Umwelt im gesamten Staatsgebiet Jugoslawiens betroffen ist.12 Aber auch die Anrainerstaaten sind geschädigt. In Bulgarien ging z.B. vom 23.-26.5.1999 saurer Regen nieder als Folge der Brände in Jugoslawien. In die Donau wurde laut BBC News vom 19.4.1999 Ethylenchlorid abgelassen um Explosionen zu verhindern. Ebenso wurden Ölteppiche auf der Donau gesichtet.13

In der Monitor-Sendung vom 20.5.1999 berichtete Prof. Spyridon-Rapsomanikis (Universität Thessaloniki, Umweltchemiker) über eigene Messungen in Griechenland, bei denen bis zu fünfzehnfach erhöhte Werte in der Luft für Dioxine, Furane, PCB und andere Schadstoffe festgestellt wurden, die auf brennende Fabrikanlagen in Jugoslawien zurückzuführen sind. Man kann z.Z. nur spekulieren wie katastrophal die Werte dort vor Ort waren und sind.

Chemische Waffen sind aus guten Grunde geächtet. Die Produktion chemischer Waffen nahmen die USA in Libyen und dem Irak zum Anlass für Bombardements. Aber gibt es für die Betroffenen eigentlich einen Unterschied, ob sie direkt durch Chemiewaffeneinsatz sterben oder schwer geschädigt werden oder indirekt durch freigesetzte Gifte in Folge der Bombardierung von Industrieanlagen? Werden die verantwortlichen PolitikerInnen einmal die Stirn haben, einem Kind mit schweren Fehlbildungen und seinen Eltern ins Gesicht zu sagen: Tut mir leid, aber Du bist nun mal ein Kollateralschaden einer humanitären Intervention? Das ist kaum zu erwarten – von Kollateralschäden spricht in der Regel nur, wer fernab vom Elend und ohne persönliche Betroffenheit versucht die Folgen seines Handelns zu verschleiern.

Zusätzliche Schäden
der Ökosysteme

Auch der »ganz normale« Krieg hinterlässt schwere Schäden für das Ökosystem in Jugoslawien:

  • Die weitere Bodennutzung wird unabhängig von der chemischen Belastung auch durch Militärschrott wie ausgebrannte Panzer, Flugzeuge, Minen, Splitterbomben und Blindgänger erschwert. Durch die Bombardierungen wurden Krater aufgeworfen, die zur Bodenerosion beitragen.
  • Bedingt durch die Bombardierung von Energieunternehmen, Raffinerien, Treibstofflagern und die Zerstörung der Verkehrswege sind Energie und Treibstoff absolute Mangelware. Die Zerstörung der Heizkraftwerke trägt zusätzlich dazu bei, dass im kommenden Winter damit gerechnet werden muss, dass unzählige Wohnungen nicht ausreichend beheizt werden können. Abgesehen von den direkten Auswirkungen auf die Gesundheit wird dies vermutlich gerade in ländlichen Gebieten zu verstärkter Abholzung führen.
  • Problematisch sind auch die Folgen der Flüchtlingslager für das Grund- und Oberflächenwasser, bedingt durch unzureichende Klärmöglichkeiten für Abwässer und eine – zumindest zeitweilige – Müllentsorgung in die Umwelt.14

An diesen drei Punkten wird deutlich, dass auch zur Vermeidung weiterer großer Umweltschäden eine schnelle Wiederaufbauhilfe für ganz Jugoslawien dringend notwendig ist.

Weitere Folgen für die Zivilgesellschaft

Abgesehen von den direkten toxischen Auswirkungen der o.a. Substanzen wie Missbildungen usw. haben diese auch andere verheerende Folgen. So berichtete mir eine jugoslawische Ärztin über eine Zunahme von Schwangerschaftsabbrüchen aus der berechtigten Furcht vor Missbildungen, mit all den seelischen Belastungen, die ein solcher Eingriff mit sich bringt.

Die Angst vor den Spätfolgen trifft eine Gesellschaft, die durch eine hohe Arbeitslosigkeit – in Folge der Bombardierung ziviler Arbeitsplätze, wie z.B. der totalen Zerstörung der Autofabrik Jugol-Cars, in einigen Regionen über achtzig Prozent – destabilisiert ist. Mangelnde Zukunftsaussichten tragen dazu bei, dass der Konsum von Beruhigungsmitteln drastisch angestiegen ist, dass die Gefahr von Abhängigkeitserkrankungen wächst.

Die Co-Präsidentin der internationalen IPPNW, Dr. Mary Wynne Ashford, gewann Mitte Mai in Gesprächen mit russischen PolitikerInnen und KollegInnen den Eindruck, dass durch die Bombardements die horizontale Atomwaffenproliferation weiter vorangetrieben wurde.15 Hintergrund ist die offene Frage, ob die NATO Jugoslawien auch dann bombardiert hätte, wenn dieses im Besitz von Atomwaffen gewesen wäre. Die fatale Konsequenz könnte für viele Länder sein, die Atomwaffenentwicklung voranzutreiben, um sich sicherer zu fühlen. Weltweit erschwert das aber nicht nur weitere Abrüstungsbemühungen, es bringt vor allem die Gefahr noch größerer Konflikte mit unübersehbaren Schäden mit sich.

Fazit

Die ethnischen Vertreibungen und die vielfältigen Übergriffe auf die albanische Bevölkerung durch das serbische Regime sind schärfstens zu verurteilen. Die europäischen Staaten wären gut beraten gewesen, wenn sie sich schon vor zehn Jahren politisch und ökonomisch engagiert hätten um den Menschenrechten in dieser Region zur Geltung zu verhelfen. Kriege lösen die Probleme nicht, das haben die Vertreibungen in Kroatien, Bosnien, dem Kosovo gezeigt, die jeweils in und nach den Kriegen explodierten. Das zeigt auch die aktuelle Entwicklung im Kosovo. Kriege sind nur eine Stufe in einer Eskalationsspirale, die zu weiterem Desaster führt; sie wirken destabilisierend, sie zerstören die natürlichen Lebensgrundlagen. In Kriegen werden die Milliarden ausgegeben, die dringend für zivile Konfliktbearbeitung und Sicherheitsstrukturen gebraucht würden.

Anmerkungen

1) Umweltbundesamt, Erste Einschätzungen zu den ökologischen Auswirkungen des Krieges in Jugoslawien. Unveröffentlichtes Manuskript vom 5.5.1999

2) Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, Kapitel III, Art. 55, Abs.1

3) U. Gottstein, Gesundheitsschäden durch abgereichertes Uran“ im Irak? Hessisches Ärzteblatt, 56 JG (1995), S. 237-239

4) U. Gottstein, a.a.O. Siehe auch D. Fahey, Case Narrative. Depleted Uranium (DU) Exposures. Sept. 2nd, 1998. Swords to Plowshares, inc./ National Gulf War Resource Center, Ic. / Military Toxics Project, Inc.

5) U.a. von Major General Charles Wald, U.S. Verteidigungsministerium, in einem Interview mit ABC News am 4.Mai 1999

6) Bundesrepublik Jugoslawien, Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheitn, AID Memoire über die Verwendung von unmenschlichen Waffen bei der Aggression gegen die BR Jugoslawien. Belgrad, 15.5.1999. Faxkopie liegt in der IPPNW-Geschäftsstelle, Berlin.

7) The Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe. Assessment of the Environmental Impact of Military Activities During the Yugoslavia Conflict. Preliminary Findings. Report prepared for: European Commission DG-XI- Environment, Nuclear Safety and Civil Protection. Juni 1999. Seiten 29-30

8) (UN-Menschenrechtskommission, Resolutionen 1996/16, 1997/36)

9) Z.B. Heidi Lippmann in der Bundestagsfragestunde vom 21.4.99 oder Annelie Buntenbach.

10) taz vom 6.5.1999, S. 2

11) Umweltbundesamt, a.a.O., S.2

12) Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe,a.a.O.

13) U.a. in der Monitor-Sendung vom 20.05.1999, Bericht der Biologin Dragana Tar

14) Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe, a.a.O., S. 23ff

15) Mary Wynne Ashford, Gastbeitrag in der FR vom 29.05.1999

Dr. med. Regina Mertens ist Vorstandsmitglied der IPPNW, Sektion Deutschland

Die Waffen des Krieges

Die Waffen des Krieges

von Tobias Pflüger

Konnte die NATO mit den eingesetzten Waffen und der Art der Kriegführung gegen Jugoslawien das erklärte Kriegsziel erreichen, eine »humanitäre Katastrophe« – die Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kososvo – zu verhindern?. Der Verlauf des Krieges belegt das Gegenteil: ein explosionsartiges Ansteigen der Flüchtlingsströme, ein Vielfaches an Elend.
Tobias Pflüger geht der Frage nach, ob sich aus der Art der NATO-Kriegführung und den eingesetzten Kriegswaffen herauslesen lässt, dass die offiziellen Kriegsziele nicht die wirklichen sein konnten.

Die NATO hat im 79-tägigen Krieg gegen Jugoslawien anfangs 350 und gegen Ende fast 1.200 Flugzeuge eingesetzt. Sie flogen zusammen ca. 35.000 Einsätze. An den Bombardements beteiligten sich folgende vierzehn NATO-Staaten (in Klammern immer die Anzahl der Flugzeuge/Hubschrauber): USA (724), Belgien (10), Dänemark (9), Deutschland (15), Frankreich (86), Großbritannien (38), Italien (39), Kanada (18), Niederlande (22), Norwegen (6), Portugal (3), Spanien (8), Türkei (11) und Ungarn (51). Dazu kamen 4 NATO-AWACS. Die restlichen fünf NATO-Staaten, darunter die Neumitglieder Polen und Tschechien, schickten keine Flugzeuge.

Die Flugzeuge starteten von Flugbasen in Italien, Bosnien, Albanien, Mazedonien, Deutschland, Ungarn, den USA und von Flugzeugträgern im Mittelmeer. Die USA hatten u.a. auch zwei Kreuzer, drei Zerstörer, eine Fregatte und zwei U-Boote im Einsatz. Deutschland beteiligte sich am Angriff auf Jugoslawien mit 8 sogenannten ECR (Electronic Combat Reconnaissance)-Tornados aus Landsberg/Lech in Oberbayern, 6 Recce (Reconnaissance, also Aufklärungs)-Tornados aus Jagel/Schleswig-Holstein und einer Transall, ebenfalls aus Landsberg. Die ECR-Tornados hatten die Aufgabe die Flugabwehr Jugoslawiens auszuschalten. „Sie sollen die Bresche in die gegnerische Luftabwehr schlagen, durch die andere Kampfflugzeuge schlüpfen und ihr Ziel erreichen können“, hieß ihr offizieller Auftrag, Ziel ist: „Die gegnerische Flugabwehr lokalisieren, identifizieren, und zerstören (neutralisieren).“ Bewaffnet waren die Tornados mit den HARM-Raketen (High-Speed-Anti-Radiation-Missile). Die HARM-Rakete folgt dem Radarstrahl und lenkt sich so quasi selbstständig ins Ziel. Wenn das gegnerische Radar abgeschaltet wird, fliegt die Rakete weiter, so landete eine HARM-Rakete der NATO in Sofia. Die ECR-Tornados wurden innerhalb der NATO aufgrund ihrer „Pfadfinder-Rolle im Bosnien-Einsatz“ gelobt. Damit hatte Deutschland einen quantitativ sehr kleinen Anteil am Bombardement Jugoslawiens, militärisch gesehen war die Ausschaltung der Flugabwehr jedoch eminent wichtig.

Von deutschem Boden ging der Krieg aus: Von Spangdahlem in der Eifel, von dort starteten 13 F 117 Nighthawk-Tarnkappenbomber und vier F 16-Kampfflugzeuge der USA; von Brüggen/Elmpt bei Mönchengladbach, hier starteten sechs britische Tornados; von der Airbase in Frankfurt (dem „Brückenkopf für Kampfeinsätze“, SPIEGEL 06.05.1999), hier starteten KC10-Flugzeuge, die die bombenabwerfenden F 15, F 16, B 52 und Tornados in der Luft betankten.

Die abgeworfenen Bomben

Die NATO-Flieger warfen insgesamt ca. 20.000 Bomben über dem gesamten Jugoslawien ab. Offiziell zählte die Mehrzahl der NATO-Bomben zu den Präzisionswaffen, doch darunter waren auch 1.100 Streubomben. Nach einer AP-Meldung vom 23.06.1999 enthielten die meisten dieser Streubomben „je 202 Sprengkörper“.

Die Streubomben sollen »großflächige Ziele« treffen. Als militärische Ziele gelten vor allem gepanzerte Fahrzeuge und feindliche Infanterie. Die Streubombe CBU 87 wirkt z. B. folgendermaßen: Die 202 einzelnen Explosivkörper bzw. Bombletten der CBU 87 zerplatzen beim Aufschlag in bis zu 300 messerscharfe Splitter, die mit hoher Geschwindigkeit in ein Umfeld von ca. 150 Metern geschleudert werden. Die Explosivkörper werden in einem Wirkungskreis von 200 mal 400 Metern verstreut. In den mit Inhalt 450 kg schweren Behältern befindet sich neben den Explosivkörpern (der sogenannten Submunition) ein Geschoss, das Metall von bis zu 12 cm durchschlagen kann und mit seiner Füllung die Umgegend der Abwurfstelle in Brand setzt. Streubomben werden häufig für Flächenbombardements genutzt.

Britische Tornados warfen eine unbekannte Anzahl Streubomben des Typs BL 755 ab. Die ca. 280 kg schwere Streubombe BL 755 gehört zur Normalbewaffnung der Tornados. Auch deutsche Tornados haben diese Streubomben, setzten sie aber gegen Jugoslawien nicht ein. In einer Beschreibung dieses Bombentyps heißt es: „Die Streubombe BL 755 wird vom Flugzeug aus abgeworfen und gegen Panzer und Fahrzeuge sowohl in der Bereitstellung als auch in der Entfaltung eingesetzt. Sie besteht aus sieben Fächern mit je sieben Trichtern, in denen jeweils drei Kleinbomben (also 147 Bombletten, TP) enthalten sind, der Sicherheits-, Schärf- und Funktionseinheit (SAFU) und zwei Kartuschen für den pneumatischen Ausstoß der Kleinbomben.“ (vgl. Handbuch Ausrüstung der Bundeswehr).

Nach Angaben des Pentagon explodieren ca. fünf Prozent der Explosivkörper der Streubomben nicht. So lagen nach der Einstellung der Bombardierung nach US-Angaben noch ca. 11.000 nicht explodierte Bombletten in Jugoslawien herum. Wieviele des britischen Typs dazu kamen ist unbekannt. Hinzu kommt, dass Militärexperten die Angaben des Pentagon von nur 5 % Fehlzündungen bezweifeln und mit einer Fehlquote von bis zu 20 Prozent rechnen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) schreibt am 24.06.1999, dass von bis zu 20.000 scharfen Kleinbomben ausgegangen werden müsse, „die genaue Zahl kennt niemand, doch wird in der NATO auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass auf dem früheren Kriegsschauplatz bis zu 30.000 nicht explodierte Splitterbomben der NATO liegen könnten.“

Diese Kleinbomben, die ungefähr die Größe einer Sprudelflasche haben und zumeist leuchtend gelb oder grün bestrichen sind, sind erfahrungsgemäß vor allem für Kinder gefährlich. So berichtete die UN-Menschenrechtsbeauftragte, Mary Robinson, dass sie selbst in Nis Kinder mit noch scharfen Kleinbomben spielen sah. Nach Angaben der UNO sind nach dem Ende des Golfkriegs durch herumliegende Splitterbomben im Irak „mindestens 2.600 Zivilisten, zumeist Kinder“ getötet worden. Human Rights Watch warnte denn auch schon während des Bombardements: „Ebenso wie Tretminen töten nicht explodierte Splitterbomben noch Jahre nach dem Ende eines Krieges Zivilisten.“ In der FAZ heißt es zum selben Thema am 24.06.99: „Im Gegensatz zu den von den Serben gelegten Landminen, ist es der NATO unmöglich zu sagen, an welchen Stellen heute nicht explodierte Splitterbomben liegen. … Die NATO weiss jedoch, dass die Bomben vorwiegend über dem Nordwesten und Südwesten des Kosovo abgeworfen wurden.“ In einem Augenzeugenbericht, der per e-mail bei der Informationsstelle Militarisierung eingegangen ist, wird beschrieben, dass Streubomben überall in der Stadt Nis zu finden gewesen seien, „die Bomben lagen verstreut von der Majakowski Straße, über die Branka Miljkovica Straße und den ganzen Boulevard Lenjina, bis zur Vojvode Misica Straße. Ein Wohnstreifen von über 3 km Länge ohne irgendwelche Militärobjekte in der Nähe. Erstaunlicherweise bleiben die meisten Bomben unaktiviert. Vor einem Haus gibt es einen ungemähten Rasen mit großen Gras, dort werden verbliebene nicht explodierte Bomben vermutet, aber keiner traut sich dort in das Gras hineinzugehen um nachzusehen.“

Der Einsatz von Streubomben ist im übrigen seit 1949 durch die Genfer Konvention verboten, 1970 gab es dazu ein präzisierendes Zusatzprotokoll. 1980 wurden Streubomben in die UNO-Konvention der sogenannten »inhumanen Waffen« aufgenommen. Der Einsatz von Streubomben ist völkerrechtswidrig. Die westlichen Staaten kritisierten genau mit dieser Begründung in den 80er Jahren den Einsatz von Streubomben in Afghanistan durch sowjetische Truppen.

In der Adria vor der italienischen Küste fanden während des Krieges Fischer ca. 200 Streubomben in ihren Netzen. Die Besatzung eines Schiffes wurde durch die Explosion eines Sprengsatzes einer Streubombe verletzt. Das Pentagon musste zugeben, dass am Krieg beteiligte Flugzeuge nicht benutzte Streubomben wegen der Gefahr beim Landen der Flugzeuge über der Adria massenweise abwarfen. Die Regierung Italiens beschwerte sich darüber, dass sie nicht informiert wurde, einigte sich dann aber mit der US-Regierung auf »feste Abwurfregionen«.

Die Wirkung von Streubomben ist tatsächlich vergleichbar der von Großminen. Häufig werden sie deshalb auch als Minen bezeichnet. So hieß es beim Tod der ersten beiden KFOR-Soldaten zunächst, sie seien durch eine Minenexplosion getötet worden – tatsächlich starben sie beim Räumen von Explosivkörpern aus NATO-Streubomben.

Graphitbomben, Urangeschosse und andere Waffentypen

Zu den erstmals eingesetzten weiterentwickelten Kriegswaffen der NATO zählten die sogenannten Graphitbomben. Die Sprengsätze explodierten nach Angaben von Augenzeugen in größerer Höhe über Elektrizitätswerken. Bei den Explosionen wurden Wolken mit vielen kleinen Graphitteilchen freigesetzt, die auf die elektrischen Anlagen und Stromleitungen niedergingen. Der NATO-Sprecher triumphierte, die NATO sitze jetzt am Strom-Schalthebel Jugoslawiens und damit werde das Militär substanziell getroffen. Tatsächlich getroffen wurde vor allem die Zivilbevölkerung:

  • Große Mengen von Lebensmitteln, die tiefgekühlt waren, wurden vernichtet; in Krankenhäusern musste ein Großteil der PatientInnen entlassen werden;
  • wegen fehlender Notstromaggregate konnten Operationen nicht durchgeführt werden;
  • PatientInnen, die auf überlebensnotwendige elektrische Geräte angewiesen waren, trugen langfristige Schäden davon oder starben.

Von der NATO wurden auch Geschosse mit abgereichertem Uran 238, sogenannte DU (Depleted Uranium)-Geschosse, eingesetzt. Der Sprecher der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) Jens-Peter Steffen wies darauf hin, dass das abgereicherte Uran zwar nur eine schwache Alpha-Strahlung von geringer Reichweite besitzt, dass es sich jedoch nach einem Treffer in Uranoxidpulver verwandelt. Wenn derartige Uran-Partikel eingeatmet würden oder über Wunden in die Blutbahn gelangten, wirke die Strahlung direkt auf die Zellen. Die DU-Geschosse wurden von den A 10-Flugzeugen (den sogenannten »Warzenschweinen«) der USA eingesetzt, die niedrig fliegend Flächenbombardements vornahmen.

Die NATO-Staaten haben zum Großteil die Konvention zur Ächtung von biologischen und chemischen Waffen unterzeichnet. In der neuen NATO-Strategie vom 24. April 1999 wird explizit festgeschrieben, dass chemische und biologische Waffen von der NATO nicht mehr eingesetzt würden. Doch die NATO bombardierte und zerstörte in Jugoslawien auch Chemiewerke, gefährliche Chemikalien wie Phosgen und Dioxin traten aus. Messstationen in Nordgriechenland haben einen 15-fachen Dioxin-Gehalt im Vergleich zur Zeit vor dem Krieg festgestellt. In der unmittelbaren Nähe der Erdölraffinerie von Pancevo wurde eine Überschreitung der erlaubten Werte um das 7.000-fache festgestellt. Auf der Donau gab es vorübergehend Ölteppiche kilometerlangen Ausmaßes. Der WWF sieht dadurch die Naturlandschaft des Donaudeltas und das Trinkwasser vieler Menschen gefährdet. Längerfristige ökologische Folgen sind also absehbar. Indirekt setzte die NATO so quasi biologische und chemische Waffen ein.

»Intelligente« Kriegswaffen

Der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien war auch wieder Testfeld für »Präzisionswaffen«. Doch dieser Name bedeutet nicht, dass diese auch immer tatsächlich treffen. „So gut unsere Waffen im Vergleich zu früher sind, sie sind alles andere als perfekt“, so der Militärexperte Glenn Buchan von der einflussreichen Rand Cooperation in Kalifornien. Er meint, dass es immer Grenzen der technischen Zuverlässigkeit und bei den Entscheidungsmöglichkeiten der Menschen gäbe, das zeigten die Videoaufnahmen vom Beschuss eines Personenzuges; erst in allerletzter Minute sei der Zug ins Blickfeld des Piloten gekommen, die Bombe sei jedoch längst auf dem Weg zum Ziel gewesen. Für diese Effekte prägte die NATO das Wort »Kollateralschäden«. Der neueste Typ der sogenannten Präzisionswaffen sind satellitengesteuerte Bomben: »Joint Direct Attack Munition«. Die JDAM werden per Lasermarkierung über das Satellitennavigationssystem GPS (Global Position System) ins anvisierte Ziel gesteuert. Trotzdem sind sie relativ »billig«, das Stück kostet »nur« 20.000 Dollar. Während des Krieges forderten die Generäle eine Erhöhung der Produktionsquote dieser Waffen.

Insgesamt zeigte die USA, dass sie im Bereich der elektronischen Kampfführung, der schnelleren Datenverarbeitung und der digitalen Navigation von Kriegswaffen weiter aufgerüstet hat.

Die Strategie der NATO

Der Einsatz neuer Kriegswaffentypen entspricht dem Militärkonzept der USA, Joint Vision 2010, erstmals aufgelegt 1996 und seither weiter entwickelt. Darin wird eine Modernisierung und Effektivierung der US-Streitkräfte insbesondere mit Informations- und Kommunikationstechnik angeordnet. Mehr Zielgenauigkeit, größere Trefferquoten, potenzierte Zerstörungskraft, größere Tödlichkeit („lethality“) heißt das Ziel. Weiter soll die Zusammenarbeit der verschiedenen Teilstreitkräfte (Navy, Army, Air Force, Marines und US-Küstenwache) verbessert werden. Das US-Militär soll durch Managing-Strategien wie Effizienzsteigerung, Kosteneinsparungen, Rationalisierungen, Optimierungen, Vernetzung und Konzentration auf Kernbereiche auf Vordermann gebracht werden. Kleine Einheiten sollen mehr Verantwortung übernehmen und das Massenheer zunehmend der Vergangenheit angehören.

Der Krieg gegen Jugoslawien ist für Teile dieses Konzeptes eine Bewährungsprobe gewesen (v.a. neue – digitale – Art der Kriegführung). Andere Teile der US-Militärstrategie sind überhaupt nicht zum Tragen gekommen, wie etwa der »Kampf verbundener Kräfte«.

An diesem Punkt entzündete sich Kritik von Militärstrategen. Leighton Smith, ein pensionierter Admiral, meint: „Dies war die absolut schlechteste Art, Krieg zu führen.“ Der größte Fehler sei gewesen, Bodenkrieg von Anfang an auszuschließen. Mike O`Hanlon von der Washingtoner Denkfabrik Brooking sieht das ähnlich: „Im militärischen Sinne funktionierte dieser Krieg nicht.“ Sein Kollege Richard Haas ergänzt: „Wenn man Kosovo für seine Einwohner sichern wollte, darf man nicht Belgrad bombardieren, sondern muss die Truppen auf den Kosovo konzentrieren.“

Die Verabschiedung der neuen NATO-Strategie erfolgte mitten im Krieg am 24. April 1999. Zu den Grundaussagen der neuen NATO-Strategie gehört die sogenannte »Selbstmandatierung« (die NATO gibt sich selbst ein Mandat für Militäreinsätze und nicht z.B. die UNO), mehr Interventionismus und der Ausbau kleinerer kampforientierterer Militäreinheiten. In diesen Punkten sind sich alle NATO-Staaten, insbesondere die neuen Kernstaaten USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, einig. Offen ist lediglich der Aktionsradius der NATO. Die US-Regierung will keine regionale Zuständigkeitsbeschränkung für die NATO, die französische Regierung will die Interessensphären einzelner NATO-Staaten definiert sehen und Deutschland sieht sich nach Aussagen von Rudolf Scharping zuständig „für die Sicherheit in und um Europa.“ Welchen Aktionsradius die NATO bekommen wird, bleibt auch nach dem Krieg gegen Jugoslawien offen.

Fazit

Die NATO setzte Kriegswaffen ein, mit denen die politische Führung in Belgrad nicht getroffen werden konnte und die auch im Einsatz gegen die jugoslawischen Truppen im Kosovo nicht sehr erfolgreich waren. Staatssekretär Walter Kolbow wunderte sich über die intakte jugoslawische Armee die aus dem Kosovo abzog (vgl. dpa-Meldung vom 14.06.99), die Times schreibt, dass lediglich 13 jugoslawische Panzer im Kosovo zerstört worden seien und das jugoslawische Militär beschreibt, wie es mit Panzer-Attrappen die NATO narrte. Die NATO musste zugegeben, dass aus 5.000 bis 6.000 Metern Höhe oft unklar ist, was getroffen wurde, aufgrund der »Heimatfront« aber Druck zu Erfolgsmeldungen bestand.

Mit dieser Art der Kriegsführung konnte die NATO eine »humanitäre Katastrophe« nicht verhindern, sie wurde eher angeheizt. Vesna Pesic, Oppositionsvertreterin in Jugoslawien, erklärt: „Es gab einen schon vor dem Krieg bekannten Plan, wonach die jugoslawische Armee das Kosovo angreifen würde, sobald die NATO Jugoslawien angreift. Das war kein Geheimnis.“ (vgl. Die Woche 16.07.1999). Heute geben auch NATO-Kreise dies indirekt zu. Der ehemalige UNPROFOR-Kommandeur Michael Rose meint in einem Leserbrief an die Times zum Kosovo, dass es nicht möglich sei, eine Bevölkerung aus 15.000 Fuß Höhe zu beschützen.

Wenn die vorgegebenen »humanitären Ziele« wegfallen, so bleibt, dass die NATO Krieg führte um der eigenen Glaubwürdigkeit willen, als Teiltest der neuen NATO-Strategie, als Machtdemonstration, zur Stärkung der eigenen Position gegenüber UNO und OSZE sowie gegenüber Nicht-NATO-Staaten wie Russland und China.

Tobias Pflüger ist Redaktionsmitglied von
W & F und Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Uran-Geschosse im Einsatz

Uran-Geschosse im Einsatz

von Redaktion

Bereits zu Beginn des Krieges hat sich die internationale ÄrztInnenvereinigung gegen den Atomkrieg IPPNW an den Verteidigungs- und den Außenminister gewandt und darauf hingewiesen, dass die NATO im Krieg gegen Jugoslawien „A-10 Bomber einsetzt, die – wie aus dem Irak und Bosnien bekannt – panzerbrechende 30mm Geschosse mit abgereichertem Uran benutzen.“1 Es handelt sich um 22 Bomber mit einer Feuerleistung von 3.000 Schuss in der Minute. „Jedes Geschoss enthält 272 Gramm Uran-238… (dadurch wird die Munition) bei bleibender Durchschlagskraft kleiner, gewinnt aber an Geschwindigkeit und Reichweite. Bei einem Treffer kommt es zur Feinverteilung des Urans; es entzündet sich und Uranoxid wird freigesetzt.“ Über die Folgen heißt es bei der IPPNW: „Gelangt (das Gift) in den Körper, bewirkt es bei hoher Dosis eine Schwermetallvergiftung, bei niedriger Dosis schädigt es die Nieren. Eingeatmete Isotope setzen das Lungengewebe der Strahlung aus, was zu Krebs führen kann.“

Während der deutsche Verteidigungsminister lediglich die Auskunft gab, dass die deutsche Luftwaffe diese Munition nicht einsetze, bestätigte die NATO den Einsatz der Munition.2

In einem Beitrag von Jo Angerer, Johannes Höflich, Mathias Werth zur Monitor-Sendung am 22.04.99 heißt es zu diesen Folgen dieses Munitionseinsatzes:

„Schon 1991 im Golfkrieg gegen den Irak hatten die USA diese Uran-Granaten eingesetzt – vor allem in der Gegend um Basra. Die Folgen: Die Krebsrate hat sich nach amerikanischen Untersuchungen in dieser Region vervielfacht und besonders Kinder erkranken hier an Leukämie, also Blutkrebs, oder sie leiden häufiger unter schweren Nieren- und Leberschädigungen. In der Region um das zerstörte Basra sind diese Schäden in den Krankenhäusern auch bei den Kindern zu beobachten, die nach dem Golfkrieg geboren wurden. Der kanadische Chemiker Dr. Hari Sharma hat in seinem Universitätsinstitut in Toronto in den letzten Jahren die Folgen der amerikanischen Uranmunition bei irakischen Kindern dokumentiert. Auch heute findet er immer noch messbare Spuren in den Körpern der Bevölkerung von Basra. Nach seinen Berechnungen werden nach dem Golfkrieg bis zu 35.000 Menschen zusätzlich daran sterben.“

Monitor stellte US-Soldaten vor, die im Golfkrieg nach dem Kontakt mit Splittern von freigesetzter Uranmunition schwer erkrankten und belegte, dass die US-Streitkräfte ihre eigenen Soldaten mit einem internen Aufklärungsvideo vor den Gefahren warnt, die von der Munition ausgehen. O-Ton Monitor: „Gefahr für Leib und Leben drohe, so heißt es, »wenn man mit dem radioaktiven Material innerhalb oder außerhalb des Körpers« in Kontakt komme. Gefahr drohe sogar beim Essen und Trinken, wenn der Uranstaub auf die Mahlzeit riesele. Er dürfe weder in den Magen noch in die Lunge geraten, warnt die US-Armee. In Schutzkleidung müsse kontaminiertes Material, wie zum Beispiel getroffene Panzer, unmittelbar versiegelt und fortgeschafft werden. Beachte man diese Vorsichtsregeln beim Umgang mit der Uran-Munition nicht, dann sei dies lebensgefährlich, so warnt die US-Armee ihre Soldaten.

Anders als nach außen dargestellt, sind die amerikanischen Militärs, hier im Pentagon in Washington, über die Folgen ihrer Uran-Munition sehr beunruhigt. Mit großem Aufwand setzten sie Spezialisten zur Untersuchung der Folgen für Mensch und Umwelt ein.

Professor Doug Rokke war Direktor dieser Expertengruppe des US-Verteidigungsministeriums. Er ist Arzt und Umweltphysiker am medizinischen Institut der renommierten Universität von Jacksonville, Alabama. Im Irak hat er über Jahre mit seinem Team die Folgen der radioaktiven Uran-Munition untersucht.“

Und eben dieser Prof. Doug Rokke erklärt:Es ist festzustellen, dass dieses radioaktive Material dort noch immer herumliegt und auch dort bleiben wird. Es gibt keinerlei Möglichkeit, es wegzuschaffen oder aufzulösen. Das einzige wäre, es Stück für Stück aufzusammeln und es irgendwo anders sicher endzulagern. Es ist wirklich sehr viel gefährlicher als zum Beispiel Landminen.“

Die Gefährlichkeit der Uran-Munition ist umfassend dokumentiert. Die IPPNW hatte bereits in o. g. Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf seit Mitte der neunziger Jahre an einem Bann dieser Waffen arbeitet, da „ihre Wirkung auf Zivilpersonen nach einem militärischen Einsatz nicht kontrollierbar ist.“

Professor Rokke, der die gesamte Forschung der US-Armee zur Uran-Munition leitete und auch die militärischen Dienstanweisungen für US-Soldaten verfasste, kommt in der Monitor-Sendung zu der Feststellung: „Wir bekämpfen die Serben, damit die vertriebenen Kosovaren zurückkehren können. Aber wie sollen die Kosovaren in diese Gegend zurückkehren können, in eine radioaktive Wüste, wo ihr Land, ihre Städte mit Uran-Geschossen übersät sind?“

Außenminister Fischer will dies allerdings nicht wahrhaben. Er beantwortete eine Monitor-Anfrage mit den Worten: „Dem Auswärtigen Amt ist bekannt, dass solche Munition im Kosovo-Konflikt zum Einsatz kommen kann… [Es] ist jedoch davon auszugehen, dass Gefährdungen der von Ihnen beschriebenen Art für Mensch und Umwelt nicht auftreten.“

Die Gefahr einer zunehmenden Verseuchung des Kosovo nimmt weiter zu, wenn es zum Einsatz der 24 US-amerikanischen Apache-Hubschrauber kommen sollte, die bereits in der Region sind und die genau wie die A-10-Bomber Uran-Granaten abschießen.

Anmerkungen

1) IPPNW: Uran Geschosse im Einsatz. taz-Beilage des Netzwerks Friedenskooperative vom 14.04.l 1999.

2) Monitor Sendung in der ARD vom 22.04.1999, zitiert nach internet: http//www.monitor.de.

Gesundheitsgefährdung durch Uranmunition

Gesundheitsgefährdung durch Uranmunition

von Rolf Bertram

10 Tonnen abgereichertes Uran 238 wurden nach US-Angaben 1999 in die Republik Jugoslawien verschossen. Die Kritiker, die bereits damals auf die aktuellen und Langzeitfolgen der Urangeschosse für die Zivilbevölkerung hinwiesen, wurden weitgehend totgeschwiegen. Anderthalb Jahre nach dem Krieg ist die Zahl der Krebskranken im Land um 30 Prozent gestiegen. Jugoslawische Mediziner führen das unter anderem auch auf diese Munition zurück. Ursächlich für eine Thematisierung der Gefahren durch Uranmunition in den Medien der NATO-Länder ist allerdings etwas anderes: Die auffällige Steigerung von Krebserkrankungen bei im Kosovo eingesetzten Soldaten. Jetzt hält es auch der deutsche Bundeskanzler „nicht für richtig“ Munition einzusetzen, die die eigenen Soldaten gefährdet und denkt über eine Ächtung dieser Waffen nach, wozu sich die NATO allerdings nicht durchringen kann. Rolf Bertram über die Gesundheitsgefährdung durch Uranmunition.
Der Einsatz von Uranmunition ist bei militärischen Auseinandersetzungen im Irak 1994, in Bosnien sowie 1999 in Serbien, Montenegro und im Kosovo nachgewiesen. Für die zuletzt genannten liegen offizielle Angaben über die Mengen verschossener Munition und über die Einsatzorte vor. Recherchen auf der Grundlage unabhängiger Quellen deuten aber darauf hin, dass die offiziellen Angaben den wahren Sachverhalt verschleiern.1 Das gilt auch für die Angaben zur Gesundheitsgefährdung von Soldaten, Hilfstruppen und Zivilisten.2

Wenn von einer „nur minimalen Erhöhung der radioaktiven Grundbelastung“ gesprochen wird, so ist klarzumachen, dass es sich dabei um eine reine Rechengröße (etwa Gesamtaktivität dividiert durch die Bevölkerungszahl) handelt, die über die individuelle Strahlenschädigung gar nichts aussagt. Um das wahre Ausmaß der von der Uranmunition ausgehenden Schädigungen zu beurteilen, ist der gegenwärtige radiochemische und radiobiologische Kenntnisstand heranzuziehen. Dieser besagt, dass im Falle der Inkorporation von radioaktivem Feinstaub die üblichen dosimetrischen Angaben (z.B. in Millisievert pro Jahr) zur Bewertung der Schadwirkung im Organismus keine Aussagekraft besitzen.

Zur Erläuterung dieses Sachverhalts sei daran erinnert, dass beim Aufprall von Urangeschossen bis zu 70% der Masse des abgereicherten Urans in oxidischen Staub verwandelt wird. Der gröbere Anteil wird im Nahbereich sedimentieren, der Feinstaub kann luftgetragen über weite Bereiche transportiert werden. Dieser Sachverhalt geht bereits 1989 aus einer von der US-Army in Auftrag gegebenen Untersuchung hervor. Dort heißt es: „…Wenn ein solches Geschoss die Panzerung eines Fahrzeugs durchschlägt, wird das Innere durch Staub und Splitter verseucht. Metallische Fragmente, die vom Geschoss und von der Panzerung stammen, verletzen und töten die Besatzung und zerstören die Ausstattung. Danach kommt es zur Explosion und zu Bränden. Ein Anteil von 70% des DU-Geschosses kann dabei zu Aerosolen zerstäubt werden. Die uranoxidhaltigen Aerosole verseuchen das im Abwind liegende Gebiet. DU-Fragmente können auch den Boden rings um das getroffene Fahrzeug verseuchen“3

Uran in kompakter Form ist relativ ungefährlich, weil die Alphastrahlung nur aus den oberflächlichen Kernen an die Umgebung abgegeben werden kann. Dieser Effekt der Selbstabschirmung entfällt bei feiner Zerstäubung, so dass bei gleicher Masse die Emission zig-tausendfach größer ist. Inkorporiert wirken die Staubpartikel als chemisches Gift und als direkt in das lebende Gewebe emittierende Alphastrahler. Da mit jedem Atemzug ca. 100 Staubteilchen in den Atemtrakt geraten (nach Explosionen und Bränden wesentlich mehr), ist die Aufnahme von radioaktiven Staubteilchen unvermeidlich.

Statistisch gesehen emittiert ein 10 Mikrometer großes im Lungengewebe eingelagertes Staubkorn aus abgereichertem mit Plutonium und anderen Transuranen verunreinigtes Uran etwa alle Stunde ein Alphateilchen. Durch den Emissionsakt wird innerhalb von 10-15 Sekunden in der unmittelbar angrenzende Zellschicht ein Energiebetrag von rund 4 MeV deponiert. Diese Energiemenge reicht aus, um in getroffenen Biomolekülen einige hunderttausend Bindungen aufzubrechen. Die Molekülbruchstücke lösen sekundär vielfältige biochemische Reaktionsketten und damit biologische Veränderungen aus. In mikroskopisch kleinen Bereichen wirken solche sich stets wiederholende Prozesse wie Explosionen. Obwohl diese durch einzelne Alphateilchen ausgelösten Ereignisse sowie die sich anschließenden thermochemischen und strahlenchemischen Folgereaktionen durch Messmethoden nicht zu erfassen sind, sind sie dennoch hoch wirksam. Die dabei durch direkte wie indirekte Einwirkungen verursachten Ionisations- und Dissoziationsprozesse bleiben primär auf nur eine Zelle oder wenige Zellen beschränkt. Es ist bekannt, dass Alphateilchen in charakteristischer Weise die Chromosomenstruktur und damit die Vererbungs- und Steuerungsprozesse verändern. Die zahlreichen seit ca.10 Jahren laufenden Untersuchungen zur genomischen Instabilität durch dichtionisierende radioaktive Strahlung zeigen, dass schon durch ein einziges Alphateilchen irreparable Chromosomenschäden hervorgerufen werden können.4

Panzerungen und Munition aus abgereichertem Uran gehören seit Jahren international zum gängigen Waffenhandel. Die in den USA ansässige metallurgische Firma Starmet wirbt ganz offen für die Vorzüge ihrer Produkte aus »depleted Uranium« (DU): „Starmet`s low cost DU manufactoring capabilities make it one of the leading suppliers of low cost ammunition for U.S. government weapons systems. Our anti-armor penetrator munitions helped bring a quick conclusion to the Desert Storm conflict.“5

Starmet gilt als Hauptabnehmer von abgereichertem Uran, das massenweise bei der Anreicherung von Uranerzen und bei der Wiederaufarbeitung anfällt. Für die noch immer ungelöste Entsorgung dieser radioaktiven Abfallprodukte aus der Kerntechnik ist diese »Verwertung« höchst willkommen. Die gemeinsamen Interessen der militärischen und zivilen Nutzung sind hier offensichtlich.

Bei einer Bewertung des abgereicherten Urans (DU) muss berücksichtigt werden:

  • Bei den durch Einsatz von Uranmunition freigesetzten radioaktiven Stäuben handelt es sich überwiegend um quasi unlösliches Uranoxid.
  • DU ist ein Gemisch verschiedener Uranisotope, Verunreinigungen durch Plutonium und andere Transurane (aus der WAA) sind nachgewiesen.
  • Die radioaktiven Folgeprodukte sind Alpha-, Beta- und Gammastrahler und tragen zur Strahlenbelastung bei.
  • Da einige Folgeprodukte in der Zerfallsreihe wesentlich stärker strahlen als das Ausgangsmaterial U-238, steigt die Radioaktivität mit der Zeit erheblich an.
  • Die Gesundheitsschäden durch radioaktiven Staub werden simultan durch Radioaktivität und chemische Toxizität hervorgerufen.

Anmerkungen

1) „Current Issues – Depleted Uranium Weapons in the Balkans“, http://www.antenna.nl/wise/uranium. „Die Verschleierung hat eine lange Geschichte – Uranmunition, das Gesetz des Schweigens“, Le Monde diplomatique, Beilage zur TAZ, Februar 2001, S.4 und 5.

2) „Es begann mit einer Lüge“ – ARD-Film von J. Angerer und M. Werth, 8. Feb. 2001 www.wdr.de/online/news/kosovoluege

3) Fliszar et. al. Aus Combat and Post – Combat du Issues, AEPI (Army Environmental Policy Institute) 1989.

4) Kadhim, M. A. u. a.: „Long-Term Genomic Instability in Human Lymphocytes Induced by Single-Particle Irradiation“ und die dort aufgeführte Literatur: Radiat Research 155, 122-126 (2001), Bertell, R.: „The Hazards of Low Level Radiation“, http://ccnr.org./bertell-book.html., Bertell, R.: „No Immediate Danger, Prognosis for a Radioactive Earth“, Book Publ. Comp.-Summertown, Tennessee, ISBN 0-913990-25-2, S. 15 – 63, Köhnlein, W. R.: „The Effects of Alpha-Particles on Chromosomal Alterations“, 1997, www.foe.arc.net.au/kohnlein/kohnpaper4.html

5) Starmet Metallurgical Excellence: „Depleted Uranium: A Versatile Heavy Metal“, Starmet Corporation 2229 Main St. Concord, www.starmet.com

Dr. rer. nat. Rolf Bertram, Universitätsprofessor (im Ruhestand), Technische Universität Braunschweig, Fachgebiet Physikalische Chemie und Elektroenergie.

Uranwaffeneinsatz

Uranwaffeneinsatz

Eine humanitär-völkerrechtliche Standortbestimmung

von Manfred Mohr

In der Klage Jugoslawiens gegen einzelne NATO-Staaten (Legality of the Use of Force) vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) ist ein Punkt die Verwendung von DU-Waffen. Interessanterweise hatte das US-Verteidigungsministerium anfangs jede Information über DU-Einsatz auf jugoslawischem Territorium unter Verweis auf das IGH-Verfahren verweigert. Jede zu diesem Zeitpunkt gegebene Antwort könnte die Interessen der USA in diesem Verfahren beeinträchtigen. Dies kann wohl als Indiz für eine gewisse politisch-rechtliche »Unbehaglichkeit« gewertet werden. Im Übrigen ist die offizielle NATO-Haltung zur rechtlichen Bewertung von DU-Einsatz (im Kosovo) ebenso eindeutig wie knapp formuliert; in den Worten von Sprecher Mark Laity auf einer Pressekonferenz am 24.1.2001: „…DU is not illegal. It is a legal weapon of war. End of story. We used it, it's legal.“ Welche Ansatzpunkte für ein Hinterfragen dieser Position existieren, untersucht Manfred Mohr von der Deutschen Sektion der IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms).
Von der Unterkommission der UN-Menschenrechtskommission wurden zwei Resolutionen verabschiedet, die die Problematik von »weaponry containing depleted uranium« erwähnen. Dies geschieht unter Bezugnahme auf die Menschenrechte und/oder das humanitäre Völkerrecht sowie eine entsprechende Unvereinbarkeit.1 Innerhalb des Haager Jugoslawien-Tribunals (ICTY) herrscht (noch) allgemeine Zurückhaltung vor. Das von der Anklagebehörde eingerichtete Komitee zur Untersuchung der NATO-Luftkampagne gegen Jugoslawien verwies auf die bisherige Nichteinleitung von DU-bezogenen Verfahren „in view of the uncertain state of development of the legal standards governing this area“2. Im Januar 2001 hieß es, dass bei ausreichenden Verletzungshinweisen eine Überprüfung der Position und eine Untersuchung durch die Anklagebehörde möglich wären.

Der Grundsatz der nicht unbeschränkten Wahl

Nach Art. 22 der Haager Landkriegsordnung von 1907 (HLKO) haben die Krieg Führenden kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes. Das Prinzip, das in Art. 35 Abs.1 des I. Zusatzprotokolls von 1977 zu den Genfer Abkommen (ZP I) seine Bekräftigung gefunden hat, markiert einen Grundansatz des modernen ius in bello, des humanitären Völkerrechts. Es geht von einer »humanitären Proportionalität« aus und durchbricht die (vorrangige) Geltung »militärischer Notwendigkeit«.

Der Grundsatz der nicht unbeschränkten Wahl hat den Charakter von Gewohnheitsrecht und von zwingendem Recht (ius cogens). Er ist von eigenständiger Bedeutung und wird durch spezielle Waffenverbote (in Vertrags- oder Gewohnheitsrechtsform) ergänzt bzw. umgesetzt. In seiner Ausrichtung beinhaltet er bereits die grundlegende Verpflichtung, die Regeln des humanitären Völkerrechts im Hinblick auf Kriegsmittel und -methoden zu respektieren.

Aufgrund der Wirkungen müsste allein auf der Basis dieses Prinzips der Einsatz von Uranmunition unterbleiben. Es besteht, nach meinem Dafürhalten, eine Rechtspflicht, nach Alternativen zu suchen und diese ggf. zur Anwendung zu bringen. Der Vorteil von Uranmunition liegt im – nicht mehr akzeptierten – Bereich der »militärischen Notwendigkeit«: DU, das rund doppelt so dicht ist wie (ebenfalls hochgiftiges) Blei, besitzt eine besonders hohe Durchdringungsfähigkeit. Sie wird durch seine Entzündlichkeit noch gesteigert – also gerade die Eigenschaft, die den Einsatz von Uranmunition so gefährlich macht. Schließlich fällt DU in großen Mengen an und ist von daher kostengünstig. Genau unter diesen Aspekten setzten und setzen die USA auf DU-Waffen – im Unterschied zur Bundeswehr, die Wolfram vorzieht.

Spezielle Prüfpflichten

Als unmittelbarer Ausfluss jenes Grundsatzes verpflichtet Art. 36 ZP I die Staaten, neue Waffen auf ihre Vereinbarkeit mit dem humanitären Völkerrecht zu überprüfen. Als Maßstab gilt neben dem Vertrags- auch das Gewohnheitsrecht. Der innere humanitäre Charakter des Rechts des bewaffneten Konflikts, so der IGH in seinem Kernwaffengutachten, gilt „…für alle Formen der Kriegführung und alle Arten von Waffen…, die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“3

Von den ca. 17-20 Staaten, die DU in ihrem Arsenal haben sollen, ist überwiegend nicht bekannt, ob und mit welchem Ergebnis sie ein entsprechendes Prüfverfahren realisiert haben. Interessanterweise haben dies – ohne Vertragspartei von ZP I zu sein – die USA getan; einmal im Jahr 1975 und einmal im Jahr 1994.4 Die 1975iger Untersuchung führte zur Empfehlung der Nichtanwendung von Uranwaffen, soweit Alternativen zur Verfügung stünden; es könnte sonst (auch) eine Gefährdung für die Zivilbevölkerung geben. Die nach dem Golfkrieg durchgeführte Untersuchung des Jahres 1994 erbrachte dagegen weit weniger Bedenken, unter Heranziehung der bekannten »low level«-, »low-dose«-Argumente.Wie erwähnt, entschied man sich im deutschen Verteidigungsministerium (etwa Mitte der 80er und erneut Mitte der 90er Jahre) gegen eine militärische DU-Nutzung. Ausschlaggebend sollen dafür politisch-psychologische Momente (Vorbeugen einer weiteren »Anti-Nuklear-Debatte«) bzw. Kostenaspekte (20 Mill. DM Investitionshöhe für eine mögliche DU-Munitions-Fertigungsanlage) gewesen sein.5 Es handelte sich mithin weniger um ein rechtlich ausgerichtetes Prüfverfahren.

Die Verfahren nach Art 36 ZP I oder direkt gestützt auf den Grundsatz der nicht unbeschränkten Mittelwahl laufen intern ab; sie können von den Staaten frei gestaltet werden. Immerhin bieten sich aber rechtliche Ansatzpunkte, um detailliertere Informationen, Untersuchungen und Bewertungen zu verlangen. Staaten, zwischenstaatliche und Nichtregierungsorganisationen können nach den Ergebnissen von Prüfverfahren fragen. Hier kann man die – für die Thematik insgesamt bedeutsame – besondere Verpflichtungsstruktur des humanitären Völkerrechts (Genfer Abkommen und ZP I ) ins Spiel bringen. Gemäß dem jeweiligen Art. 1 verpflichten sich die Vertragsparteien, die Verträge unter allen Umständen einzuhalten und ihre Einhaltung durchzusetzen. D.h., auch ein Staat ohne DU-Waffenbesitz kann und muss alles dafür tun, dass ein (völkerrechtswidriger) Einsatz von Uranmunition unterbleibt.

Das Verbot der Verursachung überflüssiger Verletzungen oder unnötiger Leiden

Als Ausdruck bzw. in Anwendung des Grundsatzes der nicht unbeschränkten Wahl dürfen die Staaten keine Waffen, Geschosse und Material einsetzen, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen (Art. 23 Abs. 1 e HKLO; Art. 35 Abs. 2 ZP I). Die dahinter stehende Überlegung formulierte bereits die Petersburger Erklärung von 1868, in der Präambel: „…das einzige rechtmäßige Ziel, welches sich ein Staat in Kriegszeiten stellen kann, (ist) die Schwächung der Streitkräfte des Feindes…; …zu diesem Zweck (ist es) hinreichend …, dem Gegner eine so große Zahl von Leuten als möglich außer Gefecht zu setzen…“

Alles was darüber hinaus geht, gilt grundsätzlich als disproportional, als exzessiv. Dies ist der Fall, wenn (feindliche) Streitkräfteangehörige über das außer Gefecht Setzen hinaus durch Uranwaffeneinsatz weit und lange danach schwere gesundheitliche Schäden oder gar einen qualvollen Tod erleiden. Erst recht unverhältnismäßig ist es, wenn die Zivilbevölkerung, die sowieso nicht als solche angegriffen werden darf, einem derartigen Leiden ausgesetzt wird. Insoweit findet der hier behandelte Grundsatz indirekt auch auf Nichtkombattanten Anwendung, im Sinne einer Verschärfung der schon an sich bestehenden Schutzverpflichtung.

Aufgrund ihrer spezifischen Wirkung, ihrer negativ-exzessiven Natur ist der Einsatz der DU-Waffe im Lichte des hier behandelten Grundsatzes als völkerrechtswidrig einzustufen, auch wenn es noch kein spezielles Verbot dieser Waffe gibt. Sollten sich Waffen-(Einsatz-)Verbote erst aus bzw. mit speziellen Vereinbarungen ergeben, wäre das humanitäre Völkerrecht weit gehend wirkungslos. So hat der IGH in seinem Kernwaffengutachten die volle Anwendung der beiden »Kardinalprinzipien« dieses Rechts – des Grundsatzes der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten sowie des hier behandelten Grundsatzes – auf die Nuklearwaffenproblematik erklärt und praktiziert, mit dem Ergebnis: Kernwaffeneinsatz steht generell im Widerspruch zum humanitären Völkerrecht (paras. 78 und ff.).

Einen Versuch, (medizinisch) näher zu bestimmen, was überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden sind, stellt das SirUS-Project dar.6 Eines der vom Projekt formulierten Kriterien bezieht sich auf das Fehlen allgemein anerkannter und bewährter sowie einfacher (Feldlazarett) Behandlungsmöglichkeiten. Genau davon wird man aber wohl bei den DU-Einsatzfolgen ausgehen müssen.

Als ein besonderer Aspekt tritt die Selbstschädigung oder -betroffenheit hinzu. Wie Golfkriegs- und Kosovo-Szenario zeigen, gefährdet Uranwaffeneinsatz die eigene Truppe (auch über friendly-fire-Konstellationen hinaus) bzw. die »befreundete« Bevölkerung. Dieser Umstand erleichtert es vielleicht, derartige Waffen, wie etwa im Fall von bakteriologischen Waffen, loszuwerden.

Der Grundsatz der Unterscheidung und das Verbot unterschiedsloser Angriffe

Dieser Grundsatz ist ebenso Ausdruck der Philosophie des humanitären Völkerrechts: Die Kampfhandlung ist auf das außer Gefecht Setzen des Gegners, des Kombattanten zu beschränken. Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivile Objekte dürfen nicht Gegenstand von Angriffen sein. Dem entsprechend sind unterschiedslose Angriffe verboten.

Neben Kampfmethoden und -arten gibt es auch bestimmte Kampfmittel – Waffen –, deren Effekte unter keinen Umständen begrenzbar sind, wie z.B. bakteriologische Waffen. Mit solchen Waffen vorgetragene Angriffe sind nach Art. 51 Abs. 4 c ZP I als unterschiedslose Angriffe ausdrücklich verboten.

Ähnlich wie A-,B- und C-Waffen sind DU-Waffen in ihrer Wirkung nicht kontrollierbar. Sie entwickeln, nach der Anwendung, ein »eigenes Leben«, Effekte mit nicht eingrenzbarer Zeit- und Raumausdehnung sowie der Abhängigkeit von Zufallsfaktoren wie Wind und Wasser. Aufgrund ihrer unterschiedslosen Wirkung stellt die Unterkommission der UN-Menschenrechtskonvention Uranwaffen neben Massenvernichtungswaffen (Res. 1996/16, para.1). Entscheidend ist (jedoch) ihre unterschiedslose Wirkung. Insoweit kann ihre nähere Qualifizierung als Massenvernichtungs- oder konventionelle Waffe dahingestellt bleiben. Die Unterschiedslosigkeit ihrer Raum- und Zeitausdehnung ist jedenfalls typisch für eine Strahlen- bzw. Giftwaffe. Für derartige Wirkungen reichen relativ geringe Mengen aus.7

Auch hier bildet der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit den Hintergrund für die Regel. Gemäß Art. 51 Abs. 5 Buchst. b ZP I ist eine Angriffsart als unterschiedslos anzusehen, bei der damit zu rechnen ist, dass zivile Verluste verursacht werden, die in keinem Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil stehen. Selbst wenn Uranmunition eine hochwirksame, Panzer brechende Waffe darstellt, ist auf ihren Einsatz in Anbetracht der Langzeitfolgen und -schäden für den zivilen Bereich zu verzichten. Die Verseuchung des Kosovo und umgrenzender Gebiete steht in keinem Verhältnis zu den (überdies nicht sehr zahlreichen) vernichteten serbischen Panzerfahrzeugen.

Unter dem Kapitel IV »Vorsorgliche Maßnahmen« des ZPI wird ausdrücklich verlangt, von derartigen Angriffen Abstand zu nehmen (Art. 57 Abs. 2 a [iii] ). Bei der Angriffsplanung ist sicherzustellen, dass Zivilpersonen bzw. zivile Objekte nicht zu Angriffszielen werden und der Angriff nicht nach dem Protokoll verboten ist (Art. 57 Abs. 2 a [i]). Die »zero-risk«-Kriegführung im Kosovo-/Jugoslawien-Konflikt (Angriffe aus großer Höhe) hat eine Beachtung dieser Regeln zusätzlich erschwert und den Einsatz von Uranmunition noch gefährlicher werden lassen.

Das Verbot der Umweltschädigung

Das moderne humanitäre Völkerrecht, speziell ZP I, verbietet den Einsatz von Waffen, die ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen (Art. 35 Abs. 3; Art. 55 Abs.1). Unabhängig von der Frage, ob diese ZP-I-Regeln (als sog. neue Regeln) nur vertragliche Bindungswirkung entfalten, ist zu beachten, dass alle drei Kriterien – kumulativ – erfüllt sein müssen. Es ist fraglich, ob diese hohe Anwendungsschwelle, insbesondere im Punkt der Schwere der Umweltschädigung, durch Uranwaffeneinsatz (etwa im Kosovo) überschritten wurde.

Nichtsdestoweniger, so der IGH in seinem Kernwaffengutachten, müssen die Staaten Umweltüberlegungen heranziehen, wenn sie bestimmen wollen, was beim Angriff auf ein legitimes militärisches Ziel notwendig und proportional ist (para. 30). Wie sonst bei der Bestimmung bzw. Abwägung humanitär-völkerrechtlicher Aspekte des Waffeneinsatzes kommen auch hinsichtlich möglicher (negativer) Umweltfolgen die allgemeinen Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Unterscheidung zum Tragen.

Hinzu treten solche allgemeinen Regeln wie die des Verbots disproportionaler, nicht gerechtfertigter Eigentumszerstörung und Verwüstung (Art. 23 Abs. 1 g HLKO; Art. 6 b Statut des Internationalen Militärgerichtshofs [IMT]; Art. 3 b ICTY- Statut).

Schließlich kann, wie im angeführten IGH-Ansatz deutlich wird, das »Friedens«-Umwelt-Recht herangezogen werden. Hier ist die Anwendungsschwelle regelmäßig niedriger; »significant damage« ist ausreichend und wird bei der (angenommenen) radiologischen/toxischen Wirkung von DU erreicht. Von Relevanz sind solche Grundsätze wie der des Schädigungsverbots, der Pflicht zu Vorsichtsmaßnahmen sowie zu Warnung und Information.8

Von diesem Hintergrund und bei einer solchen Zuordnung scheint es gerechtfertigt, dass die Menschenrechts-Unterkommission auf die „physical effects on the environment“ (Res. 1996/16, Präambel-para. 5) und der Kröning-Bericht auf das Einsatzverbot von Waffen „which have lasting environmental pollution effects“9 in Verbindung mit DU hinweisen.

Das Verbot von Gift und vergifteten Waffen

Hierbei handelt es sich um ein »uraltes« Verbot, verankert u.a. in der (2.) Haager Deklaration von 1899, Art. 23 Abs. 1 a HKLO sowie dem Genfer Giftgasprotokoll von 1925. Auf die Möglichkeit einer entsprechenden Argumentation – die dann besonders fest »etabliert« ist – verweist auch der Kröning-Bericht, „(should) DU munitions be recognised as posing a lasting radioactive and chemical poisoning threat…“10

(Schwermetall-)Giftigkeit bildet den hauptsächlichen Negativeffekt von Uranwaffeneinsatz. Dies wird auch von NATO- bzw. Bundeswehrseite eingeräumt, zusammen mit dem Verweis auf mögliche »Schutzvorkehrungen« (für militärisches Personal). DU gilt allgemein als sehr giftig; die Grenzwerte sind entsprechend (äußerst) niedrig.

Über die Wolkenbildung und -ausbreitung kann m.E. auch ein Bezug zu Giftgas und das betreffende Verbot hergestellt werden. Einen solchen Ansatz (hinsichtlich Kernwaffen) verfolgt Richter Weeramantry in seiner Dissenting Opinion zum IGH-Gutachten, wobei er betont, „…that the distinction between solids, liquids and gases has never been strictly applied in military terminology to the word »gas«.“11

Der Begriff Gift bzw. Giftwaffe selbst ist in den betreffenden Regeln nicht näher definiert. Wichtige und auf DU weit gehend zutreffende Ansatzpunkte liefern die »Elements of crime«, die zu den Verbrechenstatbeständen des Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) verabschiedet worden sind. Hier heißt es zum Kriegsverbrechen der Gift-/Giftwaffen-Anwendung:
„1. The perpetrator employed a substance or a weapon that releases a substance as a result of its employment.
2. The substance was such that it causes death or serious damage to health in the ordinary course of events, through its toxic properties…“

Zur Problematik der Nebenwirkungen findet sich im Handbuch des Bundesverteidigungsministeriums folgende Aussage: „Unbeabsichtigte und unerhebliche giftige Nebenwirkungen von ansonsten erlaubten Kampfmitteln sind von diesem Verbot (Gift/Gas, M.M.) nicht betroffen“.12 Daraus ergeben sich (jedenfalls) für den DU-Waffeneinsatz durchaus Subsumtionsmöglichkeiten: Die betreffenden Nebenwirkungen sind nicht nur »unerheblich« und im Übrigen ist es – im Lichte der bisher entwickelten Argumentation – fraglich, ob solche Waffen »ansonsten erlaubt« sind.

Andere Regeln und Aspekte

Hier ist vor allem der Grundsatz des klassischen Haager Rechts zu nennen, wonach das Gebiet eines dritten, konfliktunbeteiligten oder neutralen Staates unverletzlich ist. Auf diesem Gebiet dürfen keine Kampfhandlungen stattfinden oder Schäden angerichtet werden. Dies bezieht sich auch auf etwaige Nebenwirkungen von Kampfhandlungen oder (absolut unzulässige) Begleitschäden. Auch dieses Prinzip, unterstreicht der IGH im Kernwaffengutachten, findet – wie die anderen Prinzipien des humanitären Völkerrechts – auf jedweden internationalen bewaffneten Konflikt Anwendung, unabhängig vom eingesetzten Waffentyp (vgl. para. 89), und es »passt« auf die Konstellation und die (möglichen) Auswirkungen von Uranwaffeneinsatz.

Nicht zuletzt sei die Martenssche Klausel erwähnt. In allen nicht von (speziellen) Übereinkünften erfassten Fällen „…verbleiben Zivilpersonen und Kombattanten unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts, wie sie sich aus feststehenden Gebräuchen, aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben“ (Art. 1 Abs. 2 ZP I).

Die Klausel dient (hier) nicht einfach nur als eine Art Auffangnorm. Sie bietet vielmehr eine Auslegungs- und Abwägungsorientierung in Hinblick auf die humanitär- völkerrechtlichen Grundsätze, die auf die DU-Problematik Anwendung finden (wie den der Verhältnismäßigkeit).

Kriegsverbrechen (?)

Insgesamt bieten sich (tatbestandsseitig) folgende, substanziell bereits entwickelte Anknüpfungspunkte:

  • nicht gerechtfertigte, exzessive Verwüstung, Zerstörung und Schädigung (Art. 6 b IMT-Statut; Art. 2 d und 3 b ICTY-Statut; Art. 8 Abs. 2 b [iv] ICC-Statut);
  • Verursachung von Leiden oder schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen (Art 2 c ICTY-Statut; Art. 8 Abs. 2 a [iii] ICC-Statut);
  • Einsatz von Gift, Giftwaffen oder sonstigen Waffen, die unnötige Leiden verursachen (Art. 3 a ICTY-Statut; Art. 8 Abs. 2 b [xvii] ICC-Statut);
  • Führen eines unterschiedslos wirkenden Angriffes mit unverhältnismäßigen Folgen im zivilen Bereich (Art. 85 Abs. 3 b ZP I);
  • Gebrauch verbotener Waffen (gestützt auf Art. 23 HLKO; als [weitere] „schwere Verletzung“ des humanitären Völkerrechts)13.

Diese tatbestandsmäßigen Ansätze sind weit gehend völkergewohnheitsrechtlich abgesichert.

Der Eintritt (völker-)strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Begehung derartiger Kriegsverbrechen setzt Vorsatz bzw. Bewusstheit darüber voraus, dass bestimmte Folgen „im normalen Verlauf der Ereignisse eintreten werden“ (Art. 30 Abs. 2 b ICC-Statut). Speziell bei unterschiedslos wirkenden Angriffen ist die vorherige Kenntnis über die nachteiligen, exzessiven Wirkungen und Konsequenzen erforderlich.

Eine solche Kenntnis konnte man aber wohl auf Seiten der alliierten Konfliktparteien mit Beginn des Golfkriegs, spätestens aber mit Einleitung der NATO-Luftoperation gegen Jugoslawien voraussetzen. Davon zeugen vorliegende Untersuchungen (z.B. in Gestalt der 1974er US-Studie) genauso wie die umfangreichen, für das Militär eingeleiteten Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen. Auf der individuell-subjektiven Seite (eines Politikers, Militärs) ist dann jeweils der Schuld- und Kenntnisnachweis noch im Einzelnen zu führen.
Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, wenn die Vorsitzende der Ethik-Kommission des Bundestages, Margot von Renesse, den Einsatz von Uranmunition als Kriegsverbrechen verurteilt.14 Im Sinne der umfassenden persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen (z.B. nach Art. 7 ICTY-Statut) könnte auch eine Person, die im Rahmen von alliierten Kommandostrukturen (etwa der NATO) an der Planung, Vorbereitung oder Ausführung des Verbrechens beteiligt war oder dazu Beihilfe geleistet hat, verantwortlich gemacht werden.

Fast noch wichtiger und juristisch zwingender ist folgender Aspekt:

Verantwortlichkeit und Haftung

Hierbei handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz oder Mechanismus des Völkerrechts, der im humanitären Völkerrecht seine spezielle Ausprägung in Gestalt von Art. 3 IV. Haager Abkommen (1907) bzw. Art. 91 ZP I gefunden hat. Jeder Staat haftet für völkerrechtliche Pflichtverletzungen im umfassenden Sinne. Er hat Wiedergutmachung und ggf. Schadenersatz zu leisten; er muss für das pflichtwidrige Verhalten seiner Untergebenen (Streitkräfte-Angehörigen) eintreten. Eine mögliche (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit solcher Personen befreit ihn hiervon nicht.

Dies ist nun die Grundlage für Forderungen und mögliche Ansprüche im Zusammenhang mit Uranwaffeneinsatz. Sie bewegen sich auf den verschiedensten Ebenen und in den verschiedensten Formen: im Innenverhältnis (gegenüber eigenen, möglicherweise geschädigten Soldaten) und im Außenverhältnis (etwa gegenüber betroffenen Zivilpersonen im Zielgebiet); als Ansprüche auf mehr Information, Untersuchung und Transparenz, auf Vorsichts- und Aufräummaßnahmen sowie ggf. auf Haftung und Schadenersatz, auf Wiedergutmachung im breiten Verständnis, wozu man auch die Verpflichtung zu einer Nichtwiederholung, zur künftigen Nichtanwendung solcher Waffen rechnen könnte. Das ganze Versteckspiel um die möglichen Folgen von militärischem DU-Einsatz hängt sicherlich wesentlich damit zusammen, dass eine Welle von Schadensersatzforderungen abgewehrt werden soll. Das betrifft in erster Linie das Golfkriegs-Syndrom, das wohl in der Tat auf ein Bündel von möglichen Ursachenkonstellationen zurückgeht, zu denen aber u.a. auch DU gehört.15

Es besteht u.U. eine gesamtschuldnerische, gemeinsame oder kollektive Haftung, z.B. im Fall von Militärkoalitionen. Soweit, wie bei DU-Einsatz, der Umweltbereich tangiert ist, könnte eine Haftungsverschärfung in Richtung einer verschuldensunabhängigen, objektiven oder sog. Gefährdungshaftung gegeben sein.

In diesem Rahmen bewegt sich auch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), wenn es auf die völkerrechtliche Verantwortung der DU-Waffen einsetzenden Staaten hinweist, die notwendigen Untersuchungen zur vollständigen Erfassung der Wirkungen und möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen dieses Einsatzes festzustellen. Forderungen nach mehr Information erhoben deutsche Hilfsorganisationen wie das DRK im Kosovo, aus Sorge um die Mitarbeiter wie die Bevölkerung. Man sei über die Gefahren des DU-Einsatzes nicht aufgeklärt worden.16

Schluss

Der Einsatz von Uranwaffen läuft wesentlichen Grundsätzen des humanitären Völkerrechts zuwider, wie dem Prinzip der nicht unbeschränkten Wahl von Kriegsmitteln, dem Verbot der Verursachung überflüssiger Verletzungen und unnötigen Leidens, unterschiedslos wirkender Angriffe sowie von Giftwaffen.

Als Konsequenz besteht eine Verpflichtung, solche Waffen nicht mehr einzusetzen und für ihren Einsatz eine umfassende Verantwortung zu übernehmen. Zur Bekräftigung und Umsetzung dieser Rechtslage sollte schnellstmöglich eine spezielle Übereinkunft über die Nichtanwendung und allgemeine Ächtung von DU-Waffen erarbeitet werden.

Vorbild stellen die B- und C-Waffen-Übereinkommen sowie der Ottawa-Vertrag dar. Als eine Option oder Zwischenlösung bietet sich ein weiteres Zwischenprotokoll zum UN-Waffenübereinkommen von 1980 an.17 In jedem Fall wäre eine spezielle DU-Übereinkunft ein wirksamer Schritt zur Durchsetzung der allgemeinen Waffenverbote des humanitären Völkerrechts; für die Ächtung und Beseitigung dieser gefährlichen, inhumanen Waffe unerlässlich. Für das erfolgreiche Beschreiten eines solchen Prozesses bestehen gute Aussichten.

Der vorstehende Artikel wurde redaktionell stark gekürzt. In voller Länge erscheint er in der Zeitschrift »Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften«.

Zur »Gesundheitsgefährdung durch Uranmunition« siehe auch Artikel von Rolf Bertram in diesem Heft.

Anmerkungen

1) Vgl. Res. 1996/16 (para.1, Präambel-paras.1 und 6); Res. 1997/36 (Präambel-paras.1, 4 und 8).

2) Final Report to the Prosecutor by the Committee established to Review the NATO Bombing Campaign Against the Federal Republic of Jugoslavia, para 26.

3) I.C.J., Advisory Opinion, 08. July 1996, General List, No. 95, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, para. 86; deutscher Text in: IALANA (Hrsg.), Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof, Münster 1997, S. 29 ff.

4) Vgl. hierzu und zum folgenden A. McDonald, Depleted Uranium as a New Weapon, in: IALANA, Findings of the IALANA Support Group on Depleted Uranium Weapons Under International Law, Draft for Discussion, 09. September 2000, S. 4 ff.

5) Vgl. (nach) Die Welt, 09.01.01 (online); Berliner Zeitung, 18.01.01; Pressestatement R. Scharping im Anschluss an die 63. Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages (Internet).

6) SIrUS=»superflous injury or unnecessary suffering«; vgl. zum Projekt R. Coupland/P. Herby; Review of the legality of weapons: a new Approach, in: International Review of the Red Cross, 81(1999)No. 835, S. 583 ff.

7) Im Golfkrieg wurden immerhin rund 320 und im Kosovo-Konflikt rund 9 t DU zum Einsatz gebracht. Vgl. (insgesamt) J. Kleffner, The Use of DU and the Prohibition of Indiscriminate Attacks, in: IALANA, Findings, Anm. 4, S. 7 ff.

8) Vgl. R. Desgagné, The Use of Depleted Uranium and the Protection of the Environment, in: IALANA, Findings, Anm. 4, S. 13 ff.

9) NATO Parliamentary Assembly, Civilian Affairs Committee, Kosovo and International Humanitarian Law, Volker Kröning, Special Rapporteur, November 1999, para. 24.

10) Ebenda.

11) Dissenting Opinion of Judge Weeramantry, in: IALANA, Atomwaffen, Anm. 3, S. 244.

12) Bundesministerium der Verteidigung, Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten – Handbuch –, para. 434.

13) Vgl. (so, nach) Handbuch, Anm. 12, para. 1209; R. Wolfrum, Zur Durchsetzung des humanitären Völkerrechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, S. 432.

14) Vgl. (nach) Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 8.1.01, S. 1.

15) Vgl. beispielsweise G. Nicolson, Gulf War Illness. Causes and Treatments, in: Armed Forces Medical Developments, 2001/2, S. 41-44. Interesanterweise hat das dänische Verteidigungsministerium mittlerweile einen Zusammenhang zwischen Golfkriegseinsatz und Krankheiten dänischer Golf-Veteranen, mit möglichen Schadensersatzkonsequenzen, anerkannt; vgl. (nach) taz, Berlin, 24.01.00, S. 9.

16) Vgl. Sorge um Mitarbeiter und Bevölkerung im Kosovo. Deutsche Hilfsorganisationen beklagen mangelnde Information über Uran-Munition, Berliner Zeitung, 13.01.01.

17) Die nächste Revisionskonferenz zum Abkommen findet in der 2. Dezemberhälfte 2001 statt.

Prof. Dr. Manfred Mohr ist Vorstandsmitglied der deutschen IALANA, Mitglied des Academic Council der IALANA/International