W&F 2022/4

Vertrag und Verhandlungen vor dem Scheitern?

10. NVV-Überprüfungskonferenz, Vereinte Nationen, New York, 01.-26. August 2022

Vom 01. bis zum 26. August 2022 fand die 10. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags (NVV) statt. Vier Wochen lang wurde um das gemeinsame Abschlussdokument aller Vertragsstaaten gerungen. Nicht nur vor dem Hintergrund der Spannungen um die militärische Bedrohung ziviler nuklearer Anlagen im Krieg gegen die Ukraine, sondern auch vor dem 2022 erneut gewachsenen Bedrohungspotential atomarer Bewaffnung stand diese Überprüfungskonferenz unter besonderer Beobachtung durch Medien, Politik und nicht zuletzt durch die Zivilgesellschaft.

Die Dringlichkeit der Konferenz wurde umso mehr unter Beweis gestellt, da die turnusgemäße Konferenz erst jetzt mit über zweijähriger Verspätung, die durch die Covid-19 Pandemie bedingt war, stattfinden konnte – mit der Teilnahme zivilgesellschaftlicher Organisationen. Es hatte im Vorfeld Pläne gegeben, die Konferenz aufgrund der Pandemielage ohne die Anwesenheit der Zivilgesellschaft durchzuführen, was letztlich glücklicherweise nicht umgesetzt wurde.

Scheitern der Konferenz?

Doch nach vier langen Wochen Sitzungen unter schwierigen politischen Umständen aufgrund des Ukrainekriegs konnte am Ende dennoch kein gemeinsames Abschlussdokument verabschiedet werden. Somit ist es zwölf Jahre her, dass sich die Vertragsstaaten des NVV zuletzt auf substanzielle Verpflichtungen einigen konnten – dies vertieft das Regulierungs- und Abrüstungsproblem bei den Atomwaffen und ist ein weiterer Grund für die Stärkung des Atomwaffenverbotsvertrags. Doch was war geschehen?

Russland lehnte das von der Vorbereitungskommission erarbeitete Dokument ab, wobei es vermutlich vor allem um die Ablehnung der Formulierungen zum ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja ging. Russland wollte, dass die Ukraine als Verursacherin dieser Angriffe genannt wird. In den Entwürfen wird zwar kein Staat oder Akteur namentlich genannt, auch nicht Russland, aber angesichts der wiederholten Äußerungen der Delegation, dass der Entwurf nicht der Realität entspreche, war die explizite Nennung eines Verursacherstaates wahrscheinlich immer noch ein Anliegen Russlands. Doch Russland war nicht die einzige Kritiker*in des Abschlussdokuments, auch weitere Staaten hatten zuvor Unzufriedenheit über das Abschlussdokument geäußert, wenn auch aus gänzlich anderer Perspektive. Aus Sicht der atomwaffenfreien Staaten, die die überwiegende Mehrheit der Vertragsstaaten darstellen, ging das Abschlussdokument nicht weit genug, insbesondere im Hinblick auf tatsächliche nukleare Abrüstungsschritte.

Da kein Konsens zu einem gemeinsamen Abschlussdokument gefunden werden konnte, kann die Konferenz insgesamt als gescheitert angesehen werden. Aufgrund der angespannten politischen Situation hatten Beobachter*innen ohnehin kein umfassendes Dokument erwartet. Allein schon der Umstand, dass überhaupt alle Vertragsstaaten zusammenkamen und Gespräche führten, kann derzeit als positives Signal bewertet werden.

Mit Blick auf die kommenden Konferenzen kann außerdem der Entwurf der Abschluss­erklärung als vielversprechend gelten: Immerhin wurde dort konkret auf die katastrophalen humanitären und ökologischen Folgen von Atomwaffen eingegangen und auf die Verpflichtung der Staaten, die Öffentlichkeit über diese Folgen aufzuklären. Dies kann als Fortschritt angesehen werden und ist mitunter denjenigen Mitgliedsstaaten des NVV, die ebenso Unterzeichnerstaaten des Atomwaffenverbotsvertrags sind, sowie den zivilgesellschaftlichen Organisationen zu verdanken, die seit Jahren genau diese humanitären Konsequenzen betonen. Des Weiteren stellt die im Entwurf formulierte Erkenntnis, dass es in Bezug auf geschlechtsspezifische Vielfalt und Perspektiven, Bildung und Empowerment sowie der Einbeziehung der Zivilgesellschaft Handlungsbedarf gibt, ein Novum für die NVV-Überprüfungskonferenzen dar.

Mit Sorge betrachten zivilgesellschaftliche Organisationen jedoch, wie trotz der Mitgliedschaft im NVV eine Reihe von Atomwaffenstaaten derzeit das Anliegen und die Zielsetzung des NVV gezielt verletzen. Obwohl alle Vertragsstaaten zu nuklearer Abrüstung verpflichtet sind, erweitern aktuell einige Atomwaffenstaaten ihre Arsenale oder modernisieren diese. Dies trifft mindestens auf Großbritannien, die VR China wie auch die USA zu, und stellt eine atomare Aufrüstung dar. Modernisierung entspricht zwar keiner quantitativen, aber durchaus einer qualitativen Aufrüstung, die auch von anderen Staaten so wahrgenommen wird. In diesem Sinne war Russland zwar das Land, das diese Überprüfungskonferenz zum Scheitern brachte, aber es muss dennoch konstatiert werden, dass Russland keineswegs der einzige Staat ist, der dem Geist des NVV zuwiderhandelt. Offenbar scheinen weiterhin alle Atomwaffenstaaten ihre Waffen und das entsprechende Droh- und »Abschreckungs«potential beizubehalten. Dies kann kein gutes Zeichen sein.

Die Rolle Deutschlands

Annalena Baerbock trug zu Beginn der Konferenz am 01. August 2022 das deutsche Statement vor. Darin verurteilte sie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die wiederholten (impliziten) Drohungen Russlands mit atomarer Eskalation. Außerdem wurde darin den Hibakusha (Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki) und weiteren Betroffenen von Atomtests eine Stimme gegeben. Ferner wurde erneut eine Zusammenarbeit bei der Bewältigung der humanitären Folgen von Atomwaffen – beim Opferschutz oder bei der Sanierung von durch Atomtests verseuchten Flächen – angekündigt. Nicht zuletzt sprach die Außenministerin die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Atomwaffen an, wie z. B. die unterschiedlichen Effekte ionisierender Strahlung auf Frauen und Mädchen. Dies sind alles positive Entwicklungen, auch wenn den geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Atomwaffen eine sehr enge Auslegung von Geschlecht zugrunde lagen.

Doch die in der Rede angeklungene Aufteilung in »gute« und »schlechte« Atomwaffenstaaten ist zu kritisieren. Das deutsche Statement sprach explizit von den wachsenden Atomwaffenarsenalen Chinas und Russlands und ließ dabei (offenbar wissentlich) aus, dass die USA, Frankreich und Großbritannien ebenfalls ihre Arsenale modernisieren bzw. erweitern. Der hierin implizit bekräftigte Anspruch Deutschlands, an der nuklearen Teilhabe mitzuwirken, ist zwar bekannt, aber deswegen nicht ethisch vertretbarer. Jeder Einsatz einer Atomwaffe – egal von wem – hätte verheerende humanitäre und ökologische Auswirkungen, denen wir nicht gewachsen sind – ein diesbezüglicher Doppelstandard steht auch dem angekündigten Neuaufbruch in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht gut zu Gesicht. Letztlich ist auch die im Statement vernehmbare Aussage mit Bezug auf Iran, dass kein Nichtkernwaffenstaat auf bis zu 60 % angereichertes Uran benötige, ein solcher Doppelstandard, nutzt doch Deutschland selbst auf bis zu 93 % angereichertes Uran für Forschungszwecke.

Aus unzähligen Beispielen aus der Geschichte wissen wir, dass es nur Glück war, dass es bisher noch zu keinem weiteren Einsatz von Atomwaffen kam. Für die kommenden Überprüfungskonferenzen ist daher mehr von den Unterzeichnerstaaten des NVV zu verlangen – denn wie António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, bei der Eröffnung der NVV-Konferenz sagte: „Glück ist keine Strategie.“ Eine Strategie zur Eindämmung und Beendigung der Nutzung atomarer Energie und Bewaffnung hingegen ist dringlicher denn je.

Annegret Krüger

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/4 Gewalt/Ökonomie, Seite 45–46