Sanktionen in der Wissenschaft
Virtuelles Panel, Science4Peace Forum, 12. April 2023
Während Sanktionen im politischen und wirtschaftlichen Bereich inzwischen zum Standardrepertoire (nicht nur) von EU und USA gehören, sind Sanktionen in der Wissenschaft und generell Kultur neu. Mit dem Krieg gegen die Ukraine hat sich vieles verändert, die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen haben einen Tag nach Kriegsbeginn sämtliche wissenschaftlichen Kooperationen mit Russland auf Eis gelegt. Manche Institute in Deutschland gingen sogar noch weiter und untersagten fortan sämtliche gemeinsamen Publikationen und Konferenzen.
Im internationalen Bereich wurden auch Sanktionen verhängt, so waren z.B. die wissenschaftlichen Publikationen der großen Experimente beim Teilchenbeschleuniger LHC bei CERN in Genf für ein Jahr auf Eis gelegt, bis man sich nun auf eine gemeinsame Linie bei Publikationen geeinigt hat: die russischen und belarusischen Institute der Forscher*innen werden nicht mehr genannt, sondern durch „affiliated with an institute covered by a cooperation agreement with CERN“ ersetzt.
All diese Punkte waren Thema bei einer international besetzten virtuellen Podiumsdiskussion, die vom Science4Peace Forum zusammen mit der Naturwissenschaftler*innen-Initiative und W&F organisiert wurde. Auf dem Podium waren Fellows des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH), Wissenschaftler*innen großer physikalischer Forschungsinstitute (DESY und CERN), sowie der Klima- und Zukunftsforschung vertreten.
Das generelle Konzept von Sanktionen, ihre begrenzte Wirksamkeit und die ihnen dennoch zugemessenen Chancen wurden von C. Portela (Rechtswissenschaftlerin an der Universität Valencia), M. Brzoska und G. Neuneck (IFSH Hamburg) diskutiert. Dabei wurde eine dreifache Funktionalität von Sanktionen deutlich: Sanktionen können Zwang ausüben (»coercing«), Handlungsspielräume einengen (»constraining«) und nicht zuletzt normenbekräftigende Signalwirkung entfalten (»signaling«). Michael Brozska betonte dabei die primäre Funktion des »signaling« über alle anderen Formen von Sanktionen – darin sei auch deren genuin politischer und somit immer streitbarer Charakter klar erkennbar.
Im zweiten Block der Diskussion wurde über den konkreten Umgang mit Sanktionen in der Wissenschaft gesprochen. Zunächst stellte N. Raicevic (Physikerin an der Universität Montenegro) die Sanktionen gegen Wissenschaftler*innen ihres Landes während der Jugoslawienkriege 1992 und deren Folgen dar. Die Konsequenzen für eine ganze Generation jüngerer Wissenschaftler*innen sei damals durchaus verheerend gewesen. Die im letzten Jahr beschlossenen Sanktionen bei CERN seien auch aufgrund der Aktionen des Science4Peace Forum weniger drastisch als während der Jugolawienkriege. A. Glazov (Physiker bei DESY) zeigte am konkreten Beispiel seiner Forschung, dass Experimente in der Teilchenphysik auch aktuell weiterhin gemeinsam mit ukrainischen und russischen Wissenschaftler*innen durchgeführt werden können, und gemeinsame Publikationen, ohne Diskriminierung und Ausschluss bestimmter Gruppen, auch unter Sanktionsbedingungen weiterhin möglich sind. Spätestens hier wurde in der Diskussion deutlich, dass es maßgebliche Unterschiede zwischen den jeweiligen staatlichen und institutseigenen Sanktionspolitiken gibt, die die Auswirkungen der Sanktionen im internationalen Kontext etwas schwer zu vergleichen machen. M. Spiro, Sprecher des globalen Physiker*innennetzwerkes IUPAP, machte sehr deutlich, welch unermesslicher Schaden für junge Wissenschaftler*innen entsteht, wenn gemeinsame wissenschaftliche Arbeit unterbunden wird und selbst Schulen zur Fortbildung für bestimmte Länder blockiert werden. Dagegen setzte er die unbedingt solidarische Haltung, die sich aus den Statuten von IUPAP ergebe.
Der dritte Teil der Diskussion fokussierte sich primär auf die Bedeutung internationaler Kooperation für globale Herausforderungen. C. Johnson von IPPNW berichtete zunächst über Schwierigkeiten im Bereich der Rüstungskontrolle unter Sanktionsbedingungen. J. Scheffran hob sodann die Bedeutung von Kooperationen in der Klimaforschung hervor, da diese globalen Fragen nur gemeinsam sinnvoll beantwortet werden könnten. Diese sah er aber noch nicht konkret in Gefahr, jedoch bereite eine zunehmend konfrontative Situation Sorge für die politische Bearbeitbarkeit dieser Herausforderungen. E. von Weizsäcker, langjähriger Co-Präsident des Club of Rome, betonte in seinem Statement, dass Sanktionen im Wissenschaftsbereich für Zukunftsperspektiven unendlich schädlich und indiskutabel seien. Er bekräftigte, dass die ersten Zeichen zur Überwindung des kalten Krieges der wissenschaftliche Austausch und gemeinsame wissenschaftliche Projekte gewesen waren. Er unterstrich, wie wichtig daher gemeinsame Anstrengung für die Lösung der drängenden Probleme der Menschheit seien.
Die weit über 100 Teilnehmenden konnten im abschließenden Teil der Diskussion auch weitere Impulse in den Raum stellen. Hier wurden dann auch eine Reihe von Bemerkungen laut – sowohl weitere Schilderungen der Sanktionsbelastung aus anderen Ländern als auch grundsätzliche Anmerkungen zur Problematik von Sanktionen im Wissenschaftsbereich. Insgesamt schien sich ein Konsens über die Nichtverträglichkeit von Sanktionen im Wissenschafts- und Kulturbereich für mögliche zukünftige Wege der Kooperation und erneute Annäherung, sowie für die Schaffung von Möglichkeitsräumen kritischen Hinterfragens politischer Entscheidungen (Wissenschaft als bedeutendes soziales Austauschfeld) herauszubilden.
Die Diskussion wurde aufgezeichnet und ist online verfügbar auf der Homepage des Science4Peace-Forum (science4peace.com).
Hannes Jung