W&F 2015/4

Agenda Rüstung

Stärkung der Waffenindustrie und staatliche Machtpolitik

von Jürgen Wagner

Anfang Oktober 2014 wurde das von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Auftrag gegebene Gutachten über die Bundeswehr-Beschaffungsprojekte veröffentlicht. Nahezu zeitgleich ging Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit einer rüstungspolitischen Grundsatzrede an die Öffentlichkeit. Aus von der Leyens Haus folgte im Juni 2015 das »Dialogpapier« zwischen dem Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) und der Rüstungslobby, und wenige Tage später wurde das »Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland« nachgeschoben, das die wesentlichen Kernelemente aus der Rede des Wirtschaftsministers übernimmt. Zusammen bilden diese Initiativen das Gerüst der sich abzeichnenden »Agenda Rüstung« der Bundesregierung, die im Folgenden näher beschrieben wird.

In Sachen Rüstungspolitik legt die Bundesregierung seit einiger Zeit eine hektische Betriebsamkeit an den Tag: Personal wurde ausgetauscht, Gutachten wurden erstellt und Strategiepapiere verabschiedet. Die Politik will mit der sich dabei herauskristallisierenden »Agenda Rüstung«1 vor allem zwei Interessen umsetzen: Einmal geht es darum, deutlich mehr militärische Schlagkraft pro investiertem Euro zu generieren als dies bislang der Fall war. Hierfür ist man im BMVg bestrebt, vorhandene Ineffizienzen im Beschaffungswesen soweit als möglich zu beseitigen und die Industrie bei der auftragsgemäßen Lieferung künftig stärker in die Pflicht zu nehmen. Gleichzeitig besteht ein Kerninteresse an der Stärkung der deutschen Rüstungskonzerne und ihrer industriellen Basis.

Letzterem kommt hohe Priorität zu, weil die Vorstellung, eine starke einheimische Rüstungsindustrie sei eine notwendige Bedingung für eine wirkungsvolle Militär- und Machtpolitik, tief in den Köpfen der politischen Entscheidungsträger verwurzelt ist.2 So kommt eine umfassende Untersuchung zum »Wert« des deutschen Rüstungswesens zu dem Ergebnis: „[D]ie Rüstungspolitik [ist] ein integraler Bestandteil der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie eine Kernkompetenz der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. [...] Der Zugriff auf eine leistungsfähige und flexible rüstungsindustrielle Basis ist für die Bundesregierung somit eine Grundvoraussetzung ihrer militärischen und damit außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Handlungsfähigkeit. Für den Handelsstaat Deutschland ist diese Komponente seiner staatlichen Handlungsfähigkeit eine grundlegende Voraussetzung für eine effektive und nachhaltige Interessensverfolgung in einer multipolaren Weltordnung. [...] Nicht seine ökonomische Dimension – sprich der Beitrag zur Wirtschaftsleistung und die Schaffung von Arbeitsplätzen – sondern die [...] militärische und außenpolitische Dimension macht den Rüstungssektor zu einem unverzichtbaren Wirtschaftsbereich der deutschen Volkswirtschaft.“ 3

Bei der Stärkung des Rüstungssektors wird arbeitsteilig vorgegangen: Das BMVg drängt dabei vor allem auf eine Erhöhung der Rüstungsausgaben und hier insbesondere des investiven Anteils. Das erklärte Ziel des Wirtschaftsministeriums besteht wiederum – ganz im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung – darin, eine »exportpolitische Flankierung der Verteidigungsindustrie« auf den Weg zu bringen. Dabei steht die Förderung von Fusions- und Übernahmeprozessen (»Konsolidierung«) im Zentrum der Überlegungen, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Es soll der deutsche rüstungsindustrielle Sektor gestärkt werden, womit wiederum – idealtypisch -auch eine Ankurbelung der Exporte und infolgedessen eine Senkung der Stückkosten einhergehen soll.

Rüstungsgutachten, Dialogpapier und Militärhaushalt

Nach einer unglaublichen Pannenserie – praktisch kein Bundeswehr-Beschaffungsprojekt kam in den letzten Jahren ohne drastische Verzögerungen und teils regelrecht absurde Preiserhöhungen über die Ziellinie – zog Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Februar 2014 öffentlichkeitswirksam die Notbremse. Als Hauptverantwortliche für die Misere identifizierte sie den Staatssekretär für Ausrüstung, Stéphane Beemelmans, der von seinen Aufgaben entbunden – sprich: gefeuert – wurde, und seinen Abteilungsleiter, Detlef Selhausen, den man kurzerhand versetzte.

In diesem Zuge kündigte von der Leyen auch eine externe Überprüfung der Bundeswehr-Großprojekte an. Mit dieser Aufgabe wurden die Unternehmensberatung KPMG, die Ingenieurgesellschaft P3 und die Kanzlei Taylor Wessing betraut, die ihre Ergebnisse in Form des Gutachtens »Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte« am 6. Oktober 2014 an die Verteidigungsministerin übergaben. Darin wurden auf 1.200 Seiten, von denen allerdings nur ein 51-seitiges Exzerpt öffentlich einsehbar ist, neun Großprojekte mit einem Gesamtvolumen von 57 Mrd. Euro untersucht, wobei 140 Probleme und Risiken identifiziert wurden, die teils interner Natur, teils aber auch aufseiten der Industrie zu verorten seien. Daher kam das Gutachten zu dem Ergebnis, „dass eine Optimierung des Rüstungsmanagements in nationalen und internationalen Großprojekten dringend und ohne Verzug geboten ist“.4

Das vernichtende Urteil wurde von der neuen Staatssekretärin für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung, der früheren Unternehmensberaterin Katrin Suder, folgendermaßen zusammengefasst: „Waffensysteme kommen um Jahre zu spät, Milliarden teurer als geplant – und dann funktionieren sie oft nicht richtig oder haben Mängel.“ 5 Auch von der Leyen selbst richtete eine erstaunlich deutliche Kritik an die Adresse der Rüstungsunternehmen: „Wir wollen nicht für Fehler bezahlen, die die Industrie gemacht hat.“ 6 Nach solch starken Worten sahen viele Kommentatoren von der Leyen auf „Konfrontationskurs zur Rüstungsindustrie“ (Süddeutsche Zeitung). Die Verteidigungsministerin wolle „mit aller Härte den Rüstungssektor neu ordnen“ (DIE WELT) und „bei der Rüstungsbeschaffung aufräumen“ (Wirtschaftswoche).

Zwar sind die bislang kursierenden Überlegungen noch vage, es scheint aber ernsthaft die Absicht zu bestehen, die Rüstungsindustrie künftig stärker für ein kosteneffizienteres Beschaffungswesen in die Pflicht zu nehmen. Gerade deshalb fällt auf, wie entspannt, ja geradezu positiv, die »Agenda Rüstung« von den Unternehmen aufgenommen wurde. Aus der Pressemitteilung der größten Lobbyverbände zum Gutachten wird allerdings bereits ersichtlich, weshalb dies der Fall ist: „Die Studie bestätigt die Notwendigkeit der industrieseitig bereits seit längerem angemahnten ausreichenden Mittelbereitstellung.“ 7

Die Botschaft war angekommen, und in der Presse setzte unmittelbar ein, was man als »Schrotthaufen-Debatte« bezeichnen könnte: „So Schrott ist die Bundeswehr“ (BILD), die Truppe sei nichts anderes als „stahlgewordener Pazifismus“ (DIE ZEIT) und das ganze Problem existiere vor allem, da die Bundeswehr seit Jahren „[c]hronisch unterfinanziert“ sei (Deutschlandfunk). Damit war ein gewisser Nährboden geschaffen, um die Akzeptanz für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben in der diesbezüglich eher kritisch eingestellten Bevölkerung zu vergrößern.

Seit Jahren schon wird von Politik, Militär und Rüstungsindustrie geklagt, die Rüstungsausgaben befänden sich im freien Fall, obwohl die Realität anders aussieht: Der Militärhaushalt stieg nämlich von (umgerechnet) 23,18 Mrd. Euro im Jahr 2000 sogar inflationsbereinigt um rund 25% auf etwa 33 Mrd. im Jahr 2015 und liegt damit drastisch über dem eigentlich verbindlich vereinbarten Sparziel vom Juni 2010. Damals war festgelegt worden, alle Ressorts müssten bis 2014 insgesamt 81,6 Mrd. Euro einsparen und die Bundeswehr solle dazu 8,3 Mrd. beitragen. Gemäß dem daran angelehnten Bundeswehrplan sollte der Rüstungshaushalt bis 2014 also auf 27,6 Mrd. Euro reduziert werden. Dieser Beschluss scheint inzwischen hinfällig zu sein, denn obwohl der offizielle Haushalt 2015 bereits etwa 5,5 Mrd. über dem vereinbarten Sparziel lag, legte Finanzminister Wolfgang Schäuble im Frühjahr 2015 mit dem »Eckwerte-Papier« noch einmal nach: Nun soll der BMVg-Etat 2016 auf 34,2 Mrd. Euro steigen, im Jahr darauf sollen es 34,74 Mrd. und 2018 dann 34,8 Mrd. sein, um 2019 schließlich 35 Mrd. zu umfassen.8

Die Entwicklung der Rüstungsausgaben war auch Thema im ab November 2014 tagenden »Dialogkreis«, der sich aus 70 Vertretern des Verteidigungsministeriums und der Rüstungsindustrie zusammensetzt und im Juni 2015 einen ersten Ergebnisbericht veröffentlichte. Nachdem es sich bei dem Rüstungsprojekte-Gutachten um eine „nach innen gerichtete Bestandsaufnahme“ gehandelt habe, sei nun das „konstruktive Gespräch mit der Industrie“ gesucht worden, um zu einem „gemeinsamen Verständnis“ über die »Agenda Rüstung« zu gelangen und „Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation zu suchen“.9 Ziel des Dialogs sei es, wie aus einer gemeinsamen Presseerklärung von BMVg und dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV) hervorgeht, „Maßnahmen zu erarbeiten wie [...] die bisherige Tendenz »zu spät, zu teuer, weniger Leistung« abgelegt werden kann“.10 Um dies zu erreichen, werden zwei Maßnahmen angesprochen: „Erstens ein transparentes Vorgehen bei Rüstungsprojekten und zweitens ein professionelles Beleuchten auch unterschiedlicher Positionen sowohl in der fachlich-inhaltlichen als auch in der politischen Befassung.“ 11

Bleibt diese Absichtserklärung eher vage, war es möglich, hinsichtlich der Finanzen zu einem recht konkreten gemeinsamen Verständnis zu gelangen. Unmissverständlich wird festgehalten, es bestehe weiterhin die „Notwendigkeit einer graduellen Erhöhung des Einzelplans 14 und seines investiven Anteils“. Der mit dem Eckwerte-Papier beschlossene Aufwuchs sei zwar begrüßenswert, aber keineswegs ausreichend: „Dieser Anstieg ist jedoch zu schwach.“ 12 Neben der Erhöhung der Militärausgaben im Allgemeinen widmet sich das Dialogpapier auch der Frage der Rüstungsinvestitionen, die momentan bei 15% des Militärhaushalts liegen und ganz im Sinne der Industrie ebenfalls deutlich steigen sollen: „Als konkrete Maßnahmen werden die aufgaben- und ausrüstungsorientierte Erhöhung des Einzelplans 14, die Festschreibung einer Investitionsquote von 20 Prozent für Rüstungsinvestitionen und die Festschreibung einer F&T-Quote von 10 Prozent des Investivanteils im Einzelplan 14 empfohlen.“ 13

Bei genauerer Betrachtung enthält das Dialogpapier also eine Art »Package Deal«, der die Interessen beider Seiten, Politik wie Industrie, berücksichtigt und den die FAZ folgendermaßen beschreibt: „Die Politik versprach verlässlichere Investitionsquoten in Rüstungsgüter und weniger bürokratischen Aufwand bei Prüfungen und Zulassungen, die Industrie sicherte dafür größere Termintreue zu.“ 14

Strategie zur Stärkung der Rüstungsindustrie

Immer wieder wird Sigmar Gabriel vorgeworfen, durch seine extrem restriktive Haltung gegenüber dem Export von Rüstungsgütern betätige er sich als „Totengräber der wehrtechnischen Industrie Deutschlands“. 15 Ein Blick in Gabriels rüstungspolitische Grundsatzrede vom 8. Oktober 2014 allerdings genügt, um Zweifel an diesem Image aufkommen zu lassen. Zwar bekennt sich Gabriel in der Rede dazu, Waffenlieferungen in Krisenregionen gewissen Einschränkungen zu unterwerfen, allerdings nur für bestimmte, relativ eng umrissene Güter und nach sehr vage aufgestellten Kriterien. „Aber zugleich müssen wir – und das ebenfalls mit großer Klarheit – feststellen, dass es natürlich legitime sicherheits- und bündnispolitische Interessen gibt, welche die Lieferung von Rüstungsgütern und Kriegswaffen rechtfertigen können. [...] Deutschland und seine Partner haben ein eigenes Interesse daran, Piraterie, Terrorismus und Proliferation von Waffen, wie sie im Nahen und Mittleren Osten auftreten, einzudämmen. [...] Die Lieferungen an die Kurden im Norden des Irak, die der Abwehr einer fanatisch-grausamen Terrorbewegung wie dem so genannten »Islamischen Staat« dienen, sind weder ein Tabubruch und noch gar ein Widerspruch zu unseren Werten und Rechtsregeln.“ 16 Darüber hinaus kündigte er in dieser Rede explizit eine „[e]xportpolitische Flankierung für die Verteidigungsindustrie“ an, um mittels einer Konsolidierung bzw. Bündelung des Rüstungssektors die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie zu „verbessern“.

Ausgangspunkt der diesbezüglichen Überlegungen ist die Annahme, dass der kleinteilige europäische Rüstungssektor, der sich auf viele Länder und Rüstungsbetriebe verteilt, erhebliche Ineffizienzen verursacht. In den Worten Gabriels: „Die Verteidigungsindustrie in der EU ist nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert. Europa leistet sich den »Luxus« zahlreicher Programme für gepanzerte Fahrzeuge, den intensiven Wettstreit zwischen drei Kampfflugzeugen und eine starke Konkurrenz z. B. im U-Boot-Bereich. [...] Folgen dieser unbefriedigenden Situation sind hohe Kosten und nachteilige Folgen für den internationalen Wettbewerb, aber auch negative Auswirkungen für die Streitkräfte. Die Bundesregierung muss daher nach meiner Meinung verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen setzen. [...] Es ist erklärtes Ziel der EU und der Bundesregierung, den bisher stark zersplitterten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die europäische wehrtechnische industrielle Basis zu stärken. Die starke und wettbewerbsfähige deutsche Industrie könnte von einer solchen Entwicklung deutlich profitieren.“ 17

Vor allem mittels europaweiter Beschaffungsprogramme sollen höhere Produktionszahlen und somit sinkende Stückpreise erreicht werden. Da Rüstungsaufträge außerdem nicht mehr wie heute primär national, sondern europaweit ausgeschrieben und vergeben werden sollen, wird es eine wachsende Konkurrenz um die selteneren, aber von der Marge umfassenderen Aufträge geben. Die Folge dessen soll (und wird wohl auch) die Konsolidierung der EU-Rüstungsindustrie sein, da hierdurch Fusions- und Übernahmeprozesse massiv vorangetrieben werden.

Dabei sind die Konsolidierung und die damit einhergehende Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auch im Interesse der Rüstungsindustrie selbst, zumindest in dem der stärksten Konzerne, die hoffen, aus den Übernahmeprozessen als »Eurochampions« hervorzugehen. Denn für ihren Fortbestand sind deutsche Rüstungskonzerne auf Rüstungsexporte angewiesen – der heimische Markt ist trotz steigender Militärausgaben zu klein. In den Worten von Claus Günther, Vorsitzender des Ausschusses »Sicherheit« des Bundesverbandes der deuschen Industrie: „Wir brauchen Exporte, denn allein durch die dünne nationale Auftragsdecke wird die deutsche Rüstungsindustrie nicht überlebensfähig sein.“ 18 Um aber auf dem Weltmarkt bestehen zu können, sind eine gewisse Konzerngröße, hohe Stückzahlen und damit attraktive Preise erforderlich. Nach der gängigen Auffassung profitieren also alle relevanten Akteure von einer Konsolidierung des Rüstungssektors: „Die Streitkräfte, weil gemeinsam billigere und bessere Produkte beschafft werden können und die einheitliche Ausrüstung gemeinsame Einsätze vereinfacht. Und die Industrie, weil höhere Stückzahlen und bessere Margen sie wettbewerbsfähiger machen.“ 19

Aus diesen Gründen flossen Gabriels Forderungen nach einer Konsolidierung des Rüstungssektors auch in das im Juli 2015 veröffentlichte »Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland« ein. Auch hier wird für eine „exportpolitische Flankierung der Verteidigungsindustrie“ plädiert und das Ziel formuliert, „den bisher stark fragmentierten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die wehrtechnische industrielle Basis Europas zu stärken“. Wie schon bei Gabriel wird auch in dem Strategiepapier der »Luxus« der (zu) vielen Beschaffungsprojekte beklagt und erklärt, wie Abhilfe zu schaffen ist: „Es ist unser erklärtes Ziel, zukünftig neue Beschaffungsprogramme zunehmend gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union durchzuführen. [...] Mehr gemeinsame, möglichst standardisierte Entwicklung und Beschaffung wird mittel- bis langfristig zu mehr Zusammenarbeit und darüber hinaus auch zur Konsolidierung in der Verteidigungsindustrie in Europa führen. [...] Die Bundesregierung setzt verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen unter Wahrnehmung der nationalen Interessen. Die Bündelung technologischer Stärken wird die wirtschaftliche Bedeutung europäischer Projekte im internationalen Wettbewerb entscheidend erhöhen.“ 20

Bei aller Begeisterung für etwaige europäische Konsolidierungsvorhaben betonte jedoch schon Gabriel unmissverständlich, „dass der Schritt in europäische Kooperationen und Zusammenschlüsse am besten auf der Basis einer konsolidierten deutschen Rüstungsindustrie aus erfolgt, um auf Augenhöhe mit europäischen Partnern verhandeln und notfalls auch zusammengehen zu können“.21 Mit anderen Worten: An einem europäischen Konsolidierungsprozess ist die Regierung überaus interessiert, aber nur aus einer Position der Stärke, die es ermöglicht, die eigenen Unternehmen als »Eurochampions« zu etablieren und so die deutsche rüstungsindustrielle Basis massiv zu stärken. Auch das »Strategiepapier der Bundesregierung« misst deshalb dem „Erhalt nationaler verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien“ eine zentrale Bedeutung zu, weshalb „deren Verfügbarkeit aus nationalem Sicherheitsinteresse zu gewährleisten ist“.22 Wohl mit Blick auf die angekündigte Fusion des deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann mit seinem französischen Konkurrenten Nexter Systems wurde daher die Liste der Schlüsseltechnologien in dem Strategiepapier um »geschützte/gepanzerte Fahrzeuge« (sowie »Unterwassereinheiten«) erweitert. Folgerichtig stoppte das Wirtschaftsministerium, das der Fusion noch zustimmen muss, den Fusionsprozess Anfang September 2015 zunächst und leitete unter Verweis auf besondere »Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik« eine »vertiefte Prüfung« ein, deren Ausgang zum Abschluss dieses Artikels noch unklar ist.

Paradigmenwechsel in der Rüstungspolitik?

Verteidigungsministerium und Rüstungslobby sind sich einig: Bei der »Agenda Rüstung« handele es sich um eine „klare Kurskorrektur“, um einen „Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit von Industrie und Bundeswehr“.23 Ob sich diese Einschätzung bewahrheitet, werden angesichts einer Reihe offener Fragen erst die Zeit und Praxis erweisen.

Es sind durchaus Zweifel angebracht, ob die Konsolidierung des Rüstungssektors tatsächlich erhebliche Effizienzsteigerungen mit sich bringen wird.24 Vor allem ist aber unklar, ob es tatsächlich gelingen wird, politische und industrielle Partikularinteressen zugunsten übergeordneter (macht-) politischer Erwägungen zurückzudrängen. Der äußerst vage Charakter der bisherigen Vorschläge zeigt, dass dies keineswegs sicher ist. Doch selbst – oder gerade – wenn dies der Fall sein sollte, stellt ein »effizienterer»« Rüstungssektor, der konsequent auf mehr militärische Schlagkraft und eine Stärkung der Rüstungsindustrie getrimmt wird, friedenspolitisch alles andere als einen Fortschritt dar – ganz im Gegenteil.

Anmerkungen

1) Bei der »Agenda Rüstung« handelt es sich eigentlich um ein sechs Punkte umfassendes Maßnahmenpaket, das vom BMVg zeitgleich mit der Veröffentlichung des Rüstungsprojekte-Gutachtens veröffentlicht wurde. Hier wird darunter aber die Summe der derzeit angedachten Handlungsoptionen verstanden.

2) Sabine Lösing und Jürgen Wagner: EU-Armee: Machtpolitische Imperative und Stolpersteine. Tübingen: Informationsstelle Militarisierung, IMI-Studie 2015/07, S.2f.

3) Henrik Heidenkamp (2015): Deutsche Rüstungspolitik – Ein Politikfeld im Handlungsdruck. Opladen: Barbara Budrich, S.73 und 18.

4) KPMG, P3 Group, Taylor Wessing: Exzerpt – Umfassende Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte; Stand 30. September 2014. S.51.

5) Arno Neuber (2015): Rüstungsprojekte der Bundeswehr. In: Informationsstelle Militarisierung (IMI) (Hrsg.): Deutschland – Wi(e)der die Großmacht. Tübingen, S.10-16, hier S.10.

6) Von der Leyen kritisiert Rüstungsindustrie. n-tv, 7.10.2014.

7) Gemeinsame Erklärung von BDSV, BDLI und BDI. 7.10.2015.

8) Vgl. T. Wiegold: Verteidigungshaushalt soll bereits 2016 um 1,2 Milliarden Euro steigen. Augengeradeaus, 17.3.2015. Im Regierungsentwurf für den Einzelplan 14/2016 stieg der Betrag nochmals leicht auf 34,366 Mrd. Euro. Siehe dazu griephan Briefe – Wöchentliche Informationen zum Geschäftsfeld äußere und innere Sicherheit, Nr. 28/2015, S.2.

9) 1. Ergebnisbericht: Dialog zu Themen der Agenda Rüstung zwischen BMVg und BDSV. Berlin, 29. Juni 2015, S.1.

10) BMVg und BDSV: Rüstungsdialog auf gutem Weg. Pressemitteilung, Berlin, 29.06.2015.

11) Ebenda.

12) 1. Ergebnisbericht, op.cit., S.39.

13) Ebenda, S.4.

14) Johannes Leithäuser: Im Zeichen des Panzers. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.7.2015.

15) So etwa der CSU-Abgeordnete Florian Hahn. Vgl. Christoph Hickmann: An Gabriels Leine. Süddeutsche Zeitung, 24.7.2015.

16) Rede von Bundesminister Gabriel zu den Grundsätzen deutscher Rüstungsexportpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Berlin, 8.10.2014.

17) Ebenda.

18) Klaus M. Frieling: Firmen und Politik beim Trialog: „Wir sind voneinander abhängig“. Cellesche Zeitung, 18.9.2014.

19) Wirtschaftswoche zitiert in: Florian Bertges (2009): Der fragmentierte europäische Verteidigungsmarkt – Sektorenanalyse und Handlungsoptionen. Frankfurt am Main: Peter Lang, S.95.

20) Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland. Berlin, 8.7.2015.

21) Rede von Bundesminister Gabriel, op.cit.

22) Strategiepapier der Bundesregierung, op.cit., S.5f.

23) BMVg und BDSV, op.cit.

24) Sabine Lösing und Jürgen Wagner, op.cit., S.5f.

Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) und in der Redaktion von W&F.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2015/4 Deutsche Verantwortung – Zäsur oder Kontinuität?, Seite 19–22