W&F 1990/1

Agentur für Aussteiger

Alternative Jobvermittlung für Computerspezialisten mit Gewissen

von Jerry Sommer

Seit drei Jahren betreibt der Brite Tony Wilson in dem hübschen südenglischen Städtchen Bath eine bisher in der Welt einzigartige Arbeitsvermittlungsagentur: Er sucht für Computer- und andere High-Tech-Spezialisten moralisch vertretbare Arbeit. Mit kleinen Anzeigen in der überregionalen Presse machte der vollbärtige 53jährige auf seine Agentur aufmerksam: „Do you want to kill people with Computers?“ „Wollen Sie Menschen mit Computern töten? Wenn nicht, kann unsere moralische Arbeitsvermittlung einen besseren Job für Sie finden“ – so lautet der Werbetext seiner ersten Anzeigen, die sich vor allem an Beschäftigte der Rüstungsindustrie richteten. Inzwischen hat Tony Wilson seine Moral-Kriterien ausgeweitet.

“Wir haben bestimmte moralische Grundsätze, nach denen wir vorgehen. Wir arbeiten nicht mit Unternehmen zusammen, die vorwiegend in der Rüstungsproduktion oder in der Atomindustrie tätig sind oder enge Beziehungen zu Südafrika haben. Ebenfalls versuchen wir nur Firmen auszuwählen, in denen keine Diskriminierungen auf Grund von Geschlecht oder Rassenzugehörigkeit stattfinden und die respektvoll mit ihrem Personal umgehen.“

Innerhalb dieses Rahmens arbeitet Tony Wilson mit allen möglichen Unternehmen zusammen. Aber er strebt an, Arbeitssuchende besonders an Organisationen mit gesellschaftlichem Verantwortungsbewußtsein zu vermitteln – zum Beispiel an Kooperativen, Wohltätigkeitsvereine und kleine Gesellschaften, die bewußt darauf hinarbeiten, die Welt zum Besseren zu verändern. Davon gäbe es zum Glück mehr als er anfangs gedacht habe. „Das ganze Klima ändert sich gerade gegenwärtig erheblich. Die Zeit ist im Moment auf unserer Seite.“

Bewußtseins- und Wertewandel

Entspannung in den Ost-West-Beziehungen und wachsendes Ökologiebewußtsein haben auch in Großbritannien begonnen, einen Wertewandel herbeizuführen. Die Anzahl der Anfragen, die seine Jobagentur »Exchange Resources« erhält, bestätigen diese gewisse Trendwende. Im letzten Jahr haben doppelt soviel Menschen bei Tony Wilson nach moralischen Arbeitsplätzen nachgesucht als 1988.

Von den insgesamt etwa 2.000 Computer-Spezialisten, die sich bisher an ihn gewandt haben, arbeiteten oder arbeiten 15 Prozent an militärischen Projekten. Auch viele Hochschulabsolventen haben sich an „Exchange Resources“ gewandt, weil sie gar nicht erst anfangen wollen, in einem solchen Bereich zu arbeiten. Eine wachsende Anzahl von britischen High-Tech-Spezialisten erkennt offensichtlich, daß moralisch leben mehr heißen kann als nur die Benutzung von Umwelt-Papier.

Keine schlechte Erfolgsquote

In etwa 100 Fällen ist es der Agentur bisher gelungen, ihren Kunden neue Arbeitsstellen zu vermitteln. Die Erfolgsquote sieht auf den ersten Blick klein aus. Aber sie ist fünfmal höher als bei anderen privaten Jobagenturen in Großbritannien, wo private Arbeitsvermittlung erlaubt ist und die Kosten per Gesetz bei erfolgreicher Vermittlung vom Arbeitgeber bezahlt werden müssen.

Mit Hilfe von »Exchange Resources« fand der 38jährige Software-Entwickler Mike Gascoigne einen neuen Job als Schreiber von Software-Programmen, mit denen industrielle – nicht-militärische – Fertigungsanlagen gesteuert und überwacht werden. Er hatte seinem vorherigen Arbeitgeber den Laufpaß gegeben, nachdem er herausgefunden hatte, daß er entgegen anderslautenden Aussagen seines Chefs an der Entwicklung radargeleiteter luftgestützter Raketen arbeitete.

Ein anderer Ex-Rüstungswissenschaftler, Peter Kevill, versuchte es nach seinem Ausstieg aus »GEC«, einem der größten britischen Rüstungskonzerne, wo er an Zielsimulatoren für die Marine arbeitete, mit »normalen« Jobagenturen. Als diese ihn trotz seines ausdrücklichen Wunsches wiederum an Rüstungskonzerne vermitteln wollten, wandte er sich an Tony Wilson's »moralische« Agentur. Jetzt arbeitet er in einem großen Software-Haus, das keine militärischen Aufträge annimmt.

Andere wechselten nicht nur den Betrieb, sondern den Wirtschaftszweig. Ein ehemaliger Rüstungs-Manager leitet nun eine »Charity«, die soziale Gemeinde-Projekte in Großbritannien koordiniert. Zwei weitere Spezialisten mit Moral brachte Tony Wilson im Theater unter: „Auch die »Royal Shakespeare Company« braucht heutzutage Computer-Fachleute“, freut sich Tony Wilson.

Suche nach gesellschaftlich nützlicher Arbeit

Die Einstellung derjenigen, die zu »Exchange Resource« kommen, hat sich in den letzten Jahren erheblich geändert. Vor drei Jahren spielte Ökologie als moralisches Kriterium noch keine Rolle. Sehr viele geben jetzt an, daß sie im Umweltschutz tätig sein wollen, berichtet Tony Wilson.

„Rüstung ist insgesamt als Sorge erheblich zurückgegangen außer bei denen, die noch in diesem Bereich arbeiten. Anstatt daß Leute eine Beschäftigung im Rüstungsbereich vermeiden wollen, suchen sie jetzt nach umweltfreundlicher oder gesellschaftlich nützlicher Arbeit. Die haben ein positives, nicht mehr ein negatives Anliegen.“

Da aber Großbritannien noch immer im Bereich des Umweltschutzes nachhinkt und deshalb zu Recht als »Dreckschleuder Europas« bezeichnet wird, gibt es weit weniger Jobs in diesem Bereich, als Tony Wilson Anfragen hat.

Er geht davon aus, daß sich dies bald ändern wird. Dann sieht er gute Chancen, die bei ihm registrierten Arbeitssuchenden in ökologiefreundlichen Jobs unterzubringen.

Schon jetzt sind seine Kontakte zur Industrie trotz der moralischen Kriterien, die er anlegt und die viele Betriebe nicht erfüllen, nicht schlecht. Er führt das darauf zurück, daß in Großbritannien ein Mangel an Computerspezialisten besteht und daß auch die Industrie zunehmend an sozial engagiertem und motiviertem Personal interessiert ist. Selbst Konzerne, die in der Rüstungsproduktion tätig sind, haben zu »Exchange Resource« Kontakt aufgenommen. Solange sie Arbeitsplätze auch im nicht-militärischen Bereich haben, arbeitet Tony Wilson mit diesen zivilen Abteilungen zusammen.

Positive Dinge tun!

Tony Wilson ist selbst ein »Aussteiger«. Bis vor wenigen Jahren war er als Informatiker in der britischen Rüstungsindustrie tätig. Unter anderem hat er an der Modernisierung des britischen Atomwaffenpotentials mitgearbeitet. Doch an diesen, wie er meint, gefährlichen, militärisch unnützen und kostspieligen Programmen weiterzuarbeiten, konnte er immer weniger mit seinem Gewissen vereinbaren. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen gründete er Anfang der 80er Jahre eine kleine Friedensgruppe »Elektroniker für den Frieden« und stieg bald darauf aus der Rüstungsforschung aus.

Sein Berufswechsel hat ihm offensichtlich gutgetan: „It's wonderful. Ich tue positive Dinge. Ich bekomme positive Rückmeldungen. Leute rufen an oder schreiben und sagen: ‚Danke, daß Sie da waren. Sie haben die Wende in meinem Berufsleben herbeigeführt‘.“ Als ich in der Rüstungsindustrie gearbeitet habe, konnte ich nicht über gesellschaftliche Themen reden. Wenn ich es doch tat, wurde ich als verrückter Außenseiter eingestuft und Leute fingen an, mir zu mißtrauen. Deshalb habe ich jahrelang wie alle anderen im Rüstungsbereich meine wirkliche Meinung über die Geschehnisse in der Welt für mich behalten. Jetzt kann ich nicht nur reden, worüber ich will, sondern ich kann positive Aktionen in diese Richtung unternehmen. Ich kann auswählen, mit welchen Unternehmen ich nicht zusammenarbeiten will.“

Die Wahl jedoch fällt nicht immer leicht. Zum Beispiel verschmutzen viele Betriebe die Umwelt. Arbeitsvermittlung an solche Betriebe versucht Tony Wilson zu vermeiden. Aber 100 Prozent moralisch könne auch »Exchange Resource« nicht sein. Denn viele „Jesus-Christus-Unternehmen“ gebe es nicht auf der Welt, meint Tony Wilson. Die Entscheidung, ob die Jobangebote ihren persönlichen moralischen Kriterien entsprechen, müssen die Arbeitssuchenden letztlich selbst treffen.

Wer sich direkt an Tony Wilson wenden will:
»Exchange Resource« 28 Milsom Street, Bath BA1 DP, Great Britain Tel.: 0044-225-469671, Fax: 0044-225-669673

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1990/1 1990-1, Seite