»America First« und der rechte Populismus
von Bill Fletcher jr.
Als ich Donald Trump bei seiner Amtseinführung im Januar 2017 das erste Mal die Worte „America First“ sagen hörte, war ich fassungslos. Ich saß in einem Hotel in Abuja, Nigeria, dennoch schaute ich mich um – in der naiven Erwartung, dass allen, die die Übertragung der Rede angeschaut hatten, sofort die Symbolik dieses Begriffs auffallen würde. Das war aber nicht der Fall. Mit wenigen nennenswerten Ausnahmen1 ignorierten auch die Mainstream-Medien in den USA die Anspielung. Sie konzentrierten sich ganz auf die zeitgenössischen, protektionistischen Implikationen des Begriffs. Dabei müssen wir dringend über den rechten Populismus und den Rassismus in den USA reden. Und wir müssen Strategien ausarbeiten, wie wir damit umgehen.
Es ist kaum anzunehmen, dass Donald Trump am Tag seiner Amtseinführung aufwachte, nolens volens die Wörter »America« und »first« zusammenwarf und sogleich die Brillanz des Konzepts und den Wohlklang der Wortkombination erkannte.
Der Begriff wurde zwar bereits früher verwandt, im historischen Gedächtnis der USA wird »America First« aber vor allem mit einer sozialen Bewegung assoziiert, deren politischer Kern vermutlich am besten mit »Softcore-Faschismus« beschrieben wird. Das 1940 gegründete »America First Committee« war rigoros isolationistisch eingestellt und kritisierte die Roosevelt-Administration heftig. Die Organisation sah keinen Grund für einen Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, sie äußerte sich rassistisch und antisemitisch und deckte die Nazis. Ihr wichtigster Wortführer war der Pionier des transatlantischen Luftverkehrs, Charles Lindbergh, ein Liebling von Hitlers Führungsriege.
Trumps Verweis auf »America First« war weder subtil noch Zufall. Es kann nur mit der historischen Amnesie in den USA erklärt werden, dass er sich auf dieses Konzepts beziehen konnte, ohne größere Reaktionen oder gar eine klare Zurückweisung hervorzurufen.
Mit seinem Bezug auf »America First« ging es Trump weniger um eine Prioritätensetzung zugunsten der USA, vielmehr bediente er damit ein spezifisches rechtes historisches Erbe. Er sandte damit ein Signal an seine rechten Unterstützer, einschließlich der Neofaschisten, der so genannten Alt-Right-Bewegung [Alternative Rechte] – das Signal, dass er sie gehört habe und ihnen die Hand reiche. Seine Antrittsrede war ein Leuchtsignal an viele seiner Unterstützer*innen, dass er der Vorbote einer veritablen Konterrevolution gegen Rationalität und gegen Fortschritt sei.
Trump und der rechte Populismus
Es ist bedauerlich, dass Trump bis zu den Wahlen am 8. November 2016 als Narr behandelt wurde. Diese Abwertung erlaubte es vielen Kommentator*innen, gerade auch denen der Mainstream-Medien, die politische Basis Trumps zu ignorieren, ebenso das, was tatsächlich in der US-Politik passierte: das Aufkommen und bizarre »Mainstreaming« einer rechtspopulistischen Bewegung.
Rechtspopulismus, ein Phänomen, das Faschismus einschließt, aber darüber hinausgeht, existiert im Kapitalismus wie eine Art Herpesvirus. Er ist systemimmanent und manifestiert sich dann, wenn das System im Wandel oder in der Krise ist. Er ist nicht auf die USA beschränkt und weist nicht in jeder Gesellschaft die gleiche Ausprägung auf. Aber er hat spezifische Charakteristika:
- Rassismus,
- Frauenfeindlichkeit,
- Fremdenfeindlichkeit,
- Revanchismus,
- einen Ursprungsmythos,
- Autoritarismus und
- Irrationalität.
Es ist hier nicht die Zeit und der Raum, jede dieser Kategorien ausführlich zu analysieren. Für die USA ist der Zusammenhang zwischen dem Ursprungsmythos und dem Rassismus sowie der Fremdenfeindlichkeit besonders bedeutsam.
Der Rechtspopulismus in den USA geht von einer »weißen« Republik aus, in der alle anderen Gäste sind, seien sie nun eingeladen oder nicht. Wie Chip Berlet und Matthew Lyons in ihrem lesenswerten Buch »Right-wing Populism in America – Too Close for Comfort« (2000)2 aufzeigen, geht der rechte Populismus auf die Politik und die Person des siebten US-Präsidenten Andrew Jackson (Amtszeit 1829 bis 1837) zurück. Jackson, ein Sklavereibefürworter und Genozidanführer – er orchestrierte den »Pfad der Tränen«, auf dem die Native Americans aus dem [fruchtbaren] Südosten der USA vertrieben wurden –, wurde in der US-Geschichtsschreibung überwiegend als Freund des (weißen) Durchschnittsmannes und als Gegenspieler der Elite porträtiert.
Rechtspopulismus sieht die Zukunft in der Vergangenheit, das heißt in einer Rückkehr zu einer mystischen Zeit, die nie wirklich existiert hat. Im Kontext der USA geht es dabei vor allem um die 1950er Jahre, eine Zeit, in der in Wirklichkeit keineswegs sozialer Frieden und Glückseligkeit herrschten, sondern ausgeprägte Unterdrückung, männliche Vorherrschaft und Kämpfe. Gleichzeitig war es aber auch eine Ära, in der für viele in den USA die sozialen Rollen eindeutiger verteilt waren, und – besonders wichtig – es war eine Zeit, in der der Lebensstandard der durchschnittlichen Erwerbstätigen stieg. Die Zeit seit Mitte der 1970er Jahre, seit der Entwicklung der neoliberalen Globalisierung, war alles andere als übersichtlich für die Menschen und hat mit Sicherheit keine Verbesserung des Lebensstandards für die Arbeitnehmerschaft gebracht. Vielmehr ist die heutige Zeit für den Großteil der Erwerbstätigen in der kapitalistischen Welt eine Zeit der Unsicherheit und der konstanten Angst.
Rechtspopulismus ist in den USA vor allem in der weißen Mittelschicht verankert, insbesondere in den Schichten, die glauben, dass sie sowohl vom Großkapital als auch von den Armen und Unterdrückten ausgequetscht werden. Sie sehnen sich nach einem »großen Führer«, der ihre Probleme löst und etwas wiederherstellt, was sie für Normalität halten. Das macht rassistische Mythen so attraktiv: Sie zielen auf Sündenböcke und blicken in eine Ära zurück, die in Wirklichkeit nie existiert hat. Man kann das auch Fantasieren nennen.
Rechtspopulismus, wie wir ihn in großen Teilen der ach so fortschrittlichen kapitalistischen Welt finden, ist eine rechte, irrationale Antwort auf die neoliberale Globalisierung. Er versucht, Antworten auf die Wut und die Angst der Bevölkerungsteile zu geben, die merken, wie ihr Leben auseinanderfällt, und die nicht mehr daran glauben, dass der Kapitalismus ihnen und ihren Familien eine Zukunft bietet. In diesem Umfeld liefert der Rechtspopulismus eine Antwort und einen Feind: den »ANDEREN«. Je nach sozialer Formation kann dieser »Andere« der Jude, der Muslim, der Latino-Immigrant, eine Person mit afrikanischen Vorfahren oder asiatischer Herkunft sein oder auch die Frauen, die volle Gleichberechtigung einfordern.
Genau daran konnte Trump andocken: an eine Bevölkerung, die Angst hat, dass sie den »American Dream« nie verwirklichen kann. Und hier ist die Pointe: Das weiße Amerika wusste eigentlich immer, dass der »American Dream« nicht für People of Color gedacht ist. Aber die weiße Arbeiterschaft und der weiße Mittelstand hegten die Erwartung, wenn sie nur still hielten im Angesicht der Unterdrückung – der im Inneren und der nach Außen –, dass sie dann das erreichen würden, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Der Zusammenbruch dieses Glaubens führte zu Verzweiflung und zu Wut. Trump sprach zur Wut, zur »fury«.
Anstatt rationale und progressive Antworten anzubieten, richtete Trump den Blick zurück. Das Versprechen, dass beispielsweise Kohleminen wieder öffnen würden, zielte auf das Leid der Menschen aus den Kohleregionen, die zusehen mussten, wie ihr Leben zusammenbrach. Das Versprechen, dass er Jobs zurückbringen würde, ignorierte die Transformation des globalen Kapitalismus, den technologischen Fortschritt und die ungeheure gegenseitige Durchdringung der nationalen Ökonomien. Aber all dies spielte keine Rolle, denn für Trump war der Feind nie ein System. Der Feind war eine Gruppe von Menschen, waren »Außenseiter« der unterschiedlichsten Art, die die (weißen) Amerikaner*innen angeblich abzockten.
»Race« als Stolperdraht
Umfragen zufolge waren Terrorismus und Immigration die Hauptgründe, für Trump zu stimmen. Dies widerspricht dem Mythos, dass Trump aus ökonomischen Gründen gewählt wurde. Sofern die Wähler*innen aus Sorgen um die Konjunktur mobilisiert wurden, geschah dies durch das Prisma des Rassismus. Auch bei der Angst vor Terrorismus ging es nicht um die nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 vorherrschende Form des Terrorismus – den Terror der »white supremacists«, der Verfechter der weißen Vorherrschaft –, sondern um die Angst vor »islamischem Terrorismus«. Bei den Sorgen um Immigration ging es nicht um die Immigration aus Osteuropa oder Irland, sondern um Immigration aus dem Globalen Süden.
Damit dies Sinn ergibt, ist es wichtig zu verstehen, dass die USA als Siedlerstaat konstruiert sind, der in seiner Ursprungskonzeption ein »weißer« Staat sein sollte, obgleich die Vorstellung, wer »weiß« ist und wer nicht, sich im Laufe der Zeit änderte. Nach dem Unabhängigkeitskrieg ebnete das Einbürgerungsgesetz von 1790, eines der ersten US-Gesetze überhaupt, den Zugang zur Staatsbürgerschaft für freie weiße Männer, die sich seit zwei Jahren in den USA aufhielten. Wenngleich das Gesetz mit den Jahren verändert wurde, begründet es das wesentliche Bild für ein weißes Amerika, das die USA als weiße Republik definierte oder zumindest dachte.
»Race«3 war und ist also nicht lediglich eine Frage der Ideologie und der Propaganda, sondern ein Konstrukt zur Unterdrückung und sozialen Kontrolle. Im Kontext der nordamerikanischen britischen Kolonien und später dann der USA wurde »Race« erfolgreich als Instrument eingeführt, um ganze Bevölkerungsgruppen – Native Americans, Afrikaner*innen, Mexikaner*innen, Asiat*innen und später weitere – in den Augen derjenigen zu enthumanisieren, die als »weiß« eingestuft wurden.
»Race« wurde damit ein erfolgreiches Instrument, um (potentiell) progressive soziale Bewegungen zu unterbinden. Die US-amerikanische Geschichte ist reich an entsprechenden Beispielen. So zerbrach z.B. das Populist Movement des späten 19. Jahrhunderts an der Frage von »Race« (und führte zur Herausbildung einer Bewegung, die offen die weiße Vorherrschaft vertrat). Oder nach dem Ersten Weltkrieg die »Race Riots« mit ihren Pogromen gegen Afroamerikaner*innen, an denen die sich damals entwickelnde Gewerkschaftsbewegung zerbrach. Ein weiteres Beispiel sind die »Zoot Suit Riots« in den frühen 1940er Jahren, die dazu dienten, Chicanos/-as und Mexikaner*innen in Los Angeles anzugreifen und zu marginalisieren. In der Geschichte der US-Wahlpolitiken finden sich unzählige Beispiele, in denen das Konstrukt »Race« nicht nur genutzt wurde, um People of Color zu unterdrücken, sondern auch, um erfolgreich die politische Mobilisierung von weißen Armen und Erwerbstätigen zu verhindern. Auch der Entzug des Wahlrechts für Strafgefangene, selbst für Ex-Häftlinge, in vielen Bundesstaaten schwächt und entmachtet zwar vor allem die afroamerikanische Bevölkerung, aber durchaus auch die arme weiße Bevölkerung.
In den Wahlkämpfen der Republikaner in den letzten 50 Jahren wurde gegen jede progressive Politik frontal Position bezogen. Bei der Wahlkampagne ihres Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater 1964 ging es um eine Front gegen die antirassistische Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement). Der erfolgreiche Präsidentschaftswahlkampf von Richard Nixon 1968 basierte auf der »Southern Strategy«, einer Strategie der Weißen, die darauf ausgerichtet war, weiße Wähler*innen davon zu überzeugen, dass die Republikaner die »nicht-schwarze Partei« seien.
In den Wahlkämpfen von 1964 bis 2016 wurde die politische Dimension von »Race« verstärkt durch die so genannte »Hundepfeifenpolitik« , d.h. durch indirekte politische Äußerungen. Für Ronald Reagan stand als Symbol dafür die schmarotzende »Wohlfahrtskönigin«, für George H.W. Bush war es Willie Horton [ein Schwerverbrecher, der von einem Hafturlaub nicht zurückkehrte]. In beiden Fällen ging es nicht ausdrücklich um »Race«, aber jeder verstand, was im Raume stand.
2016, im Wahlkampf von Donald Trump, wandelte sich die »Hundepfeifenpolitik« in eine »Jagdhornpolitik«, der Rassismus sprang offen ins Auge. Der Fokus auf die angebliche Kriminalitätsrate mexikanischer Immigrant*innen, die Rassifizierung des Islam und muslimischer Immigrant*innen, der Angriff auf die »Black Lives Matter«-Bewegung und die damit einhergehenden Rufe nach Recht und Ordnung – all das waren Zeichen für die Stärkung des »Race«-Konstrukts und für die Fremdenfeindlichkeit im politischen Diskurs der USA. Bei diesem Szenario dauerte es nicht mehr lange, bis wir Zeugen der Verbrüderung und des Aufstiegs der Neofaschisten wurden.
Dabei sind explizite Rufe nach Rassismus in der US-Politik keineswegs neu. Die Rechten gingen allerdings nach den Erfolgen der progressiven sozialen Bewegungen der 1950er bis 1970er Jahre – und zwar nicht nur der »Civil Rights«- und der »Black Power«-Bewegungen – nicht so offen mit dem Thema um. Spätestens im Wahlkampf 2016 wurde die Maske fallen gelassen.
Neofaschisten
In großen Teilen der Linken in den USA gibt es die Tendenz, alles, was sie nicht mögen und was gewalttätig ist, als »faschistisch« zu bezeichnen. Das wird der Wirklichkeit nicht gerecht.
Faschismus ist zwar rechts, basiert aber nicht auf einer herkömmlichen konservativen Philosophie. Faschismus ist eine militante, radikale, irrationale Bewegung, die jeden Anschein eines demokratischen Kapitalismus unterminiert. Ebenso wie andere Ausprägungen eines rechten Populismus gründet Faschismus auf einem Ursprungsmythos, der das Land von den »Anderen», einschließlich der diversen demographischen Eliten, befreien will. In diesem Sinne repräsentiert der rechte Populismus, auch der Faschismus, eine Revolte gegen die Zukunft. Im US-Kontext müssen die Faschisten heute nicht mehr im Stechschritt marschieren, um dennoch eine erhebliche Gefahr darzustellen. Faschisten sind rigorose weiße Nationalist*innen bzw. Verfechter*innen der weißen Vorherrschaft, die ihrem Leitstern, dem Konzept der weißen Republik, mit großer Ernsthaftigkeit folgen.
Zwar kann man darüber streiten, ob Trump im Inneren ein Faschist ist, seine Bewegung versucht auf jeden Fall noch nicht, jeglichen Anschein des demokratischen Kapitalismus zu beseitigen. Nichtsdestotrotz ist die jetzige US-Administration – darin vergleichbar der ehemaligen Regierung Berlusconi in Italien – mehr als willig, De-facto-Bündnisse mit den Neofaschisten einzugehen. Dazu gehört u.a. das fast totale Schweigen zum Terror durch die weiße Rechte im Vergleich zum Terror – oder vermeintlichen Terror – durch andere radikalisierte Bevölkerungsgruppen, z.B. Muslime. Dazu gehört auch, den Neofaschisten ideologische »Luftdeckung« zu geben, und von den politischen Attacken gegen progressive oder liberale Gesetzesvorhaben oder gegen progressive soziale Bewegungen wollen wir gar nicht erst reden. Ein Beispiel dafür ist Trumps Gleichsetzung der faschistischen Demonstrant*innen mit den anti-faschistischen Gegendemonstrant*innen nach einem Aufmarsch in Charlottesville, Virginia, im August 2017. Damals erklärte er, es gäbe eben auf beiden Seiten Gute und Böse. Diese Darstellung ignoriert die Geschichte und das Wesen von Faschismus und übrigens auch die Geschichte und das Wesen der weißen Vorherrschaft und des weißen Nationalismus in den USA.
Die Legitimierung von Neofaschisten – die sich selbst auch als »alt right«, als alternative Rechte, bezeichnen – ist einer der gefährlichsten Aspekte der gegenwärtigen Situation. Es geht nicht darum, dass Faschisten kurz davor stehen, die Macht im Staat zu übernehmen. Gefährlich ist vielmehr, dass ihre irrationale Stimme behandelt wird, als handle es sich lediglich um ein weiteres, wenn auch extremes, Element der Politik. Das zeigt sich beispielsweise bei den so genannten Redefreiheitsdebatten, wo Neofaschist*innen ungeniert verbal und physisch provozieren. Es zeigt sich auch im Versagen der Regierung, die tatsächliche terroristische Bedrohung durch Vertreter*innen einer weißen Vorherrschaft ernst zu nehmen, obwohl seit den Terrorangriffen von al Kaida am 11. September 2001 die meisten Terrorakte in den USA aus einer solchen Geisteshaltung durchgeführt wurden. Falls die Neofaschisten sich zusammenraufen, könnten sie zu einer offenen Gefahr für die politische Demokratie werden, weil sie sich dann – vergleichbar den Faschisten in Italien und den Nazis in Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren – wie ein Krebsgeschwür langsam im System ausbreiten.
Gegen rechten Populismus und Fatalismus aktiv werden
Rechter Populismus und Faschismus müssen daher aktiv bekämpft und letztlich besiegt werden. Das wird auf der Basis des Status quo nicht gelingen, dafür wird eine Plattform zur Verteidigung und Ausweitung der Demokratie gebraucht. Dementsprechend wird es im Laufe der Zeit unterschiedlich zusammengesetzte Bündnisse geben, immer aber muss es darum gehen, eine transformative soziale Bewegung aufzubauen, die den Kapitalismus herausfordert.
Dabei gibt es zwei besondere Gefahren: zum einen den Fatalismus, zum anderen Blindheit gegenüber Rassismus.
Fatalismus kann sich so verbreiten, dass die Bevölkerung ihre Abscheu vor dem rechten Populismus verliert, weil die Rechte in der Wahrnehmung des Mainstream legitim und unaufhaltbar ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, immer dann zum Kampf gegen die extreme Rechte zu mobilisieren, wenn diese sich zeigt. Jeder Versuch der extremen Rechten, andere zu schikanieren und einzuschüchtern, muss mit erdrückender Mehrheit gekontert werden.
Die zweite Gefahr liegt im eigenen Lager, und sie hat in den USA eine lange Tradition. Dabei geht es um die Vorstellung, man könnte und sollte eine demokratische Volksbewegung aufbauen, die Diskussionen um »kontroverse« Themen – darunter Rassismus und Sexismus – aber meiden. Egal ob in Gestalt des Postmodernismus oder des Ökonomismus, diese Gefahr offenbart sich durch ein mangelndes Verständnis der historischen Relevanz von »Race« und Gender. Bezogen auf die USA bedeutet das insbesondere eine gravierende Unterschätzung der zentralen Rolle, die »Race« bei der Ausgestaltung und Perpetuierung des kapitalistischen Projekts spielt. Diese Schwäche wurde im ansonsten bahnbrechenden Präsidentschaftswahlkampf von Senator Bernie Sanders erkennbar, ist aber auch in anderen Fällen belegt, z.B. bei den Bemühungen in den 1990er Jahren, in den USA eine Arbeiterpartei aufzubauen.
Jeder Versuch, den Stolperdraht »Race« zu vermeiden, ist der sicherste Weg, um in einer Fallgrube zu landen.
Anmerkungen
1) Calamur, K. (2017): A Short History of »America First« – The phrase used by President Trump has been linked to anti-Semitism during World War II. theatlantic.com, 21.1.2017.
2) Berlet, C.; Lyons, M.N. (2000): Right-Wing Populism in America – Too Close for Comfort. New York: Guilford Press.
3) Für die deutsche Übersetzung dieses Textes wurde aus folgendem Grund entschieden, bei »Race» zu bleiben: „Das Wort »race« einfach mit »Rasse« zu übersetzen geht nicht, denn im Deutschen hat dieses Wort nicht denselben Bedeutungswandel durchlebt. Menschenrassen im Sinne einer zoologischen Taxonomie gibt es nicht, aber Menschen, Institutionen und Staaten behandeln andere Menschen, als gäbe es sie. Darüber müssen wir sprechen können. Auf Englisch tut man das mit »race«, was nichts anderes bedeutet als »willkürlich zusammengestellte Menschengruppen, die behandelt werden, als seien sie eine Rasse«. Es ist eine politische Kategorie.” (Sander, L.: Reden wir endlich über »Räiß«! Kann man von »Rassenunruhen« in Ferguson sprechen? Die Ereignisse dort haben offengelegt, wie ungehobelt die deutsche Sprache ist. taz, 4.9.2014)
Bill Fletcher jr. ist Gewerkschafter und ehemaliger Vorsitzender des TransAfricaForum. Er ist Sozialist, Autor und Aktivist. Er ist auf Twitter, Facebook und billfletcherjr.com präsent.
Aus dem Englischen übersetzt von María Cárdenas und Regina Hagen.