W&F 2014/2

An Open World

Bohr-Konferenz, 4.-6. Dezember 2013, Kopenhagen

von Jesper Kruse Samson und Ayham Al Maleh

Internationale Forscher und Entscheidungsträger kamen auf Einladung der Universität Kopenhagen im Dezember 2013 zusammen, um der Frage nachzugehen, wie uns der offene Zugang zu Informationen und die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern beim Umgang mit globalen Problemen helfen kann.

Der Kontext: Eine offene Welt

Die Konferenz geht auf die Überlegungen des dänischen Physikers und Nobelpreisträgers Niels Bohrs zu einer Offenen Welt zurück. Am ehesten bekannt sind vermutlich Bohrs Gedanken zu dem Thema in seinem »Offenen Brief an die Vereinten Nationen« von 1950 (nba.nbi.dk/files/gym/leth.htm). Für Bohr stand fest, dass Durchbrüche in Wissenschaft und Technik neue Möglichkeiten zur Lösung drängender Probleme eröffneten, aber auch neue Gefahren. Seit er im Zweiten Weltkrieg erfahren hatte, dass unter Leitung der USA an einem Atomwaffenprogramm gearbeitet wird, hatte Bohr gewarnt: Die Atombombe unterscheide sich fundamental von anderen Waffen, weil sie uns „in eine neue Situation [versetzt], die nicht mit Krieg gelöst werden kann“. Um künftige Konflikte zu entschärfen, kämpfte er darum, relevante Forschungsergebnisse und Technologien frei verfügbar zu machen, um einen Austausch der Ideen über Grenzen hinweg sicherzustellen. Bohrs Denkansatz bedeutete in den Worten von Robert Oppenheimer, dass „[i]m Prinzip alles, was die Sicherheit der Welt bedrohen könnte, für die Welt offen sein müsste“ (Richard Rhodes,1986: The Making of the Atomic Bomb. New York: Simon & Schuster).

Heute sind radikale Durchbrüche in Wissenschaft und Technik eher die Regel als die Ausnahme. Der daraus resultierende Druck auf die Gesellschaft erfordert einen prinzipiellen Blick darauf, wie wir mit solchen Herausforderungen umgehen sollten. Zur Zeit von Niels Bohr war Offenheit die Antwort auf die nukleare Bedrohung. Heute steht die Gesellschaft vor deutlich vielfältigeren wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen. Um diese zu adressieren, war die Konferenz interdisziplinär angelegt, mit ReferentInnen aus unterschiedlichen akademischen, politischen und Unternehmensbereichen.

Die drängenden Themen

Militärische Technologien, Gesundheitswissenschaft, Informations- und Kommunikationstechnologien und der Klimawandel gehörten zu den Themen der Konferenz. Die ReferentInnen identifizierten radikale Durchbrüche in diesen Bereichen und machten deutlich, dass sich aus diesen Durchbrüchen gleichermaßen große Chancen und große Gefahren ergeben.

Mit relevanten Entwicklungen in der Militärtechnologie befasste sich Ronald Deibert von der University of Toronto. Er warnte, die Enthüllungen über die Aktivitäten der NSA könnten Staaten als Vorwand dienen, die Hoheitsrechte im Cyberspace durch die Einführung einer nationalen Kontrolle des Cyberspace durchzusetzen. Damit würden sich schon vorhandene negative Trends beschleunigen, z.B. würden die Grenzen zwischen Cyberkriminalität und Spionage verwischt oder der Schwarzmarkt für Werkzeuge zur Internetzensur würde weiter wachsen. Dies gefährdet, so Deibert, die Menschenrechte und die Offenheit im Internet.

Ebenfalls in den Bereich der Militärtechnologie gehören die Entwicklungen bei Robotern, Drohnen, künstlichen Viren und 3D-Druckern, über die Jürgen Altmann von der Technischen Universität Dortmund sprach. 3D-Drucker ermöglichen die Herstellung kleinerer und billigerer Waffen, die rasch Verbreitung finden und einfach zu verbergen sind. Auf diesem Wege können sich private Akteure mit Militärgütern versorgen, die bislang nur Staaten zugänglich waren. Auch die traditionellen Verifikationsprozesse, die Staaten bislang zur Erkennung und Entschärfung von Konflikten einsetzen, werden in Frage gestellt, da diese Technologien schwieriger aufzuspüren und zu beobachten sind. Altmann schlug vor, ein globales Kontrollregime für solche Waffen einzuführen, um einen unkontrollierten Rüstungswettlauf sowie die Verfügbarkeit solcher Waffen für Terrorattentate und Konflikte zu verhindern.

In den Gesundheitswissenschaften eröffnen sich der Weltgemeinschaft laut Abdallah Daar von der University of Toronto enorme Möglichkeiten, die globale Gesundheit zu verbessern. Jonathan Moreno von der University of Pennsylvania verwies allerdings darauf, dass die jüngsten Fortschritte in den Life Sciences neben großen Chancen auch ein erhebliches Dual-use-Potential mit sich bringen. Der Fluch der Atomwissenschaftler, die den Grat zwischen dem Nutzen für die Menschheit und den Sicherheitsinteressen des Staates entlangbalancieren, wirkt sich zunehmend auch auf die Life-science-Forscher aus. Forschung zur Ausrottung der Pocken ermöglicht auch die Nutzbarmachung des Virus als Waffe.

Die düstere Seite von Technologie war auch Thema des renommierten Datenschützers Caspar Bowden. Er verwies darauf, dass in einer Zeit, in der unser Leben zunehmend online stattfindet, Datenschutz nicht nur auf einer nationalen sondern auch auf der globalen Ebene erfolgen muss. Anhand der Enthüllungen über die NSA zeigte er auf, wie die zwischenstaatliche Konkurrenz im Cyberspace zur massenhaften Verletzung von Menschenrechten führt.

Sir Nigel Shadbolt von der University of Southampton hob auf einen anderen Aspekt des Cyberspace ab. Eine größere Datenoffenheit hätte sich für die Menschheit bereits von Vorteil erwiesen; Open Access habe ganze Innovationswellen ausgelöst. Eric von Hippel von der Sloan School of Management des MIT bestätigte diese Aussage unter Verweis auf die positiven Aspekte der digitalen Ökonomie. Sie habe zu beispiellosen Formen der Offenheit geführt, die der Wissenschaft und der Gesellschaft die Tür zu vielfältigsten Kooperationsvorhaben öffnete.

Überhaupt darf die momentane Offenheit des Internet nicht für selbstverständlich genommen werden, da ökonomische, juristische, politische und technologische Kämpfe um das Internet sowohl das Internet selbst als auch die Gesellschaft bedrohen.

Der politische Umgang mit technischen Durchbrüchen ist nicht einfach, so der Wissenschaftshistoriker Spencer Weart, insbesondere dann, wenn das Thema in der öffentlichen Wahrnehmung von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit dominiert wird. So war der Weltuntergang (doomsday) als Symbol für die nukleare Bedrohung in der Zeit des Kalten Krieges dem Umgang mit der nuklearen Krise nicht zuträglich. Entsprechend müssen Wissenschaftler heute verantwortungsvoll mit der Bildersprache zum Klimawandel umgehen, um diese Falle zu vermeiden.

Alle diese Themen zwingen die Wissenschaftler dazu, zu hinterfragen, ob unbegrenzte Offenheit, wie wir sie bei der Informationsrevolution erleben, weiterhin die einzige Lösung für aktuelle Herausforderungen ist, oder ob das Thema Offenheit kritischer angegangen werden muss.

Initiativen der Konferenz

Die Organisatoren der Konferenz brachten drei konkrete Initiativen auf den Weg, um diese Themen weiter zu verfolgen.

Zum einen wurde der Stab an die brasilianische Akademie der Wissenschaften weitergereicht, die 2016 die zweite Bohr-Konferenz ausrichen wird – hoffentlich eine von vielen, die sich damit beschäftigen, vor welche Herausforderungen technologische Entwicklungen die Gesellschaft stellt.

Zum zweiten wurde bei der Diskussion der Konferenzergebnisse klar, dass neue Anstrengungen unternommen werden müssen, um Politiker für das Thema zu interessieren und um die Möglichkeiten, auf Wandel hinzuwirken, zu erweitern. Die Organisatoren schlagen daher die Gründung eines »global foresight institute« vor, das sich neu abzeichnende wissenschaftliche und technische Herausforderungen identifiziert und bewertet und die Politiker wie die Öffentlichkeit darauf aufmerksam macht.

Und schließlich wurde von den Referenten und den Moderatoren der Konferenz ein neuer Ruf nach einer Offenen Welt formuliert, der in der Wissenschaftszeitschrift »Nature« abgedruckt werden soll. Dieser neue offene Brief greift die Überlegungen von Niels Bohr auf und konstatiert, dass Offenheit die Regel sein sollte. Das gilt selbst angesichts vermeintlich unüberwindbarer Herausforderungen, vor die Technologie die Gesellschaft stellt, wie die Einschränkung der Privatsphäre, die Verbreitung gefährlicher biotechnischer und Drohnentechnologien usw. Offenheit ist eine Frage der globalen Sicherheit und zwingt Wissenschaftler und Forscher letztlich dazu, sich der sozialen Folgen von technischen und wissenschaftlichen Durchbrüchen bewusst zu sein. Der Brief macht sich außerdem für die Gründung eines »global forsight institute« stark.

Mehr Informationen zur Bohr-Konferenz stehen unter anopenworld.ku.dk.

Jesper Kruse Samson und Ayham Al Maleh.
Aus dem Englischen übersetzt von Regina Hagen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2014/2 Gewalt(tät)ige Entwicklung, Seite 58–60