Außen- und Militärpolitik transparenter machen
Wissenschaft und Öffentlichkeit müssen mitbestimmen
von Paul F. Walker
Außen- und Militärpolitik, insbesondere zu Fragen von Krieg und Frieden, werden von herrschenden Eliten entworfen und umgesetzt, Wissenschaft und Öffentlichkeit werden bisher kaum oder gar nicht einbezogen. Über teure Waffenbeschaffungsprogramme, wie das 45 Milliarden Dollar kostende B-52-Bomberprogramm oder das 50 Mrd. Dollar verschlingende Forschungsprogramm für den »Krieg der Sterne«, wird jährlich im US-amerikanischen Kongreß ohne nennenswerte Beteiligung von außen, abgesehen von Lobbyisten der interessierten Forschungsstätten und Industrie, abgestimmt. Öffentliche Bedenken und Kontrollen spielten und spielen bei den großen Stationierungsvorhaben der Streitkräfte im Ausland, z.B. in Haiti, Ruanda, Bosnien, Somalia, keine Rolle. Auch die Aufsicht des Kongresses wurde in manchen Fällen ausgesetzt. Ein Großteil des derzeitigen jährlichen Militärhaushaltes der USA von 268 Mrd. Dollar wird ohne öffentliche Debatte und Kontrolle beschlossen.
Die selbst in einer so starken Demokratie wie den USA weitverbreitete Ansicht, Außen- und Militärpolitik seien zu komplex, wichtig und esoterisch, um sie der Öffentlichkeit zu überlassen, könnte eine wichtige Ursache für diesen Zustand sein. Die mühsame Entscheidungsfindung wird erfahrenen und seit Jahren in die Politikgestaltung einbezogenen Experten überlassen. Ein weiterer Aspekt könnte der Glaube an Elitesysteme sein, der annimmt, daß exklusive Prozesse der Entscheidungsfindung einfacher und effektiver seien. Zumindest in den Augen traditioneller Bürokraten kompliziert die Einbeziehung von Experten von außen und der Öffentlichkeit die anstehenden Fragen nur unnötig.
Doch im Laufe der Geschichte gab es zahlreiche Fälle, in denen wissenschaftliche und öffentliche Ratschläge und Hinweise weitreichende Fehlentscheidungen der Regierung verhinderten, bereits vollzogene Entscheidungen neu zur Debatte stellten und schwierige politische und wirtschaftliche Programme erst durchsetzungsfähig machten.
Hierfür einige Beispiele:
- Sowohl die Behauptung einer »Bomber-Lücke« 1955 als auch die einer »Raketen-Lücke« 1960, mit denen sich die USA als in Bomber- und Raketenbestand der Sowjetunion weit unterlegen darstellte, konnten nach und nach als Fehlinterpretationen der Geheimdienste entlarvt werden. Besonders interessant ist der Fall der »Bomber-Lücke«, die auf der Zahl der strategischen Bomber beruhte, die ein US-amerikanischer Spion in Moskau am 1. Mai über dem Roten Platz gezählt hatte und die die US-amerikanische Luftwaffe veranlaßte, die Produktion der Langstreckenbomber zu forcieren, um mit dem Gegner im Kalten Krieg gleichzuziehen. Einige Jahre und Hunderte von Bombern später wurde in neuen, z.T. von Außenseitern durchgeführten Untersuchungen festgestellt, daß sich hinter den Bombern vom Roten Platz nur eine Schwadron verbarg, die über Moskau kreisend wieder und wieder über die Parade zum 1. Mai geflogen war.
- Anfang der sechziger Jahre waren es Wissenschafter, Mediziner und Zahnärzte, die in Kinderzähnen einen erhöhten Strontium 90-Gehalt feststellten und daraufhin die Öffentlichkeit über diese Tatsache informierten, weitere wissenschaftliche Untersuchungen anregten. Sie verstärkten den politischen Druck für eine Unterzeichnung des »Begrenzten Teststoppvertrages« von 1963.
- Ein knappes Jahrzehnt später scheiterte das bedeutende US-amerikanische Vorhaben, ein Schutzschild gegen ballistische Raketen (ABM, anti-ballistic missiles) für das Land aufzubauen – die einzige aufgebaute Abfangeinrichtung arbeitete nicht einmal eine Woche – nachdem Außenseiter mit sorgfältig erarbeiteten und weitreichenden Kritiken nachweisen konnten, daß das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Programms sehr ungünstig war. Leider waren auch hier, wie in zahlreichen anderen Fällen, bereits Milliarden von Dollar ausgegeben worden, bevor das Programm aufgegeben wurde.
- In den späten siebziger Jahren, unter der Regierung Jimmy Carter, versuchte die US-amerikanische Luftwaffe, 200 interkontinentale ballistische MX-Raketen auf riesigen Lastwagen zu stationieren. Sie sollten zu einem System mobiler Basen in den Bundesstaaten Utah und Nevada aufgebaut werden. Dieses Großprojekt, das wahrscheinlich zehnstellige Milliardenbeträge von Dollar und ungeheure Mengen an Zement, Wasser und Land verschlungen hätte, wurde vorgeschlagen, um der von den Nuklearstrategen befürchteten wachsenden atomaren Erstschlagskapazität der Sowjetunion begegnen zu können. Es wurde angenommen, daß viele der MX-Raketen, die ständig zwischen tausenden von Raketengaragen in der Wüste hin- und herbewegt werden sollten, jeden Erstschlag überstehen und für einen Vergeltungsschlag zur Verfügung stehen würden. Zahlreiche Wissenschafter, Umweltschützer und andere Angehörige der akademischen Gemeinschaft engagierten sich in weitreichenden öffentlichen Untersuchungen, Debatten und Kritiken des Programms. Es wurde z.B. nachgewiesen, daß die Hitze, die die atomar bestückten Raketen in ihren Verstecken oder auf Lastwagen abgeben würden, den jeweiligen Standort für Infrarotsatelliten sichtbar machen würde. Die Luftwaffe behauptete daraufhin, alle Garagen und LKWs würden mit Klimaanlagen ausgestattet. Doch in weiteren Untersuchungen durch die Öffentlichkeit konnte nachgewiesen werden, daß die Klimaanlagen selbst aufspürbare Hitzesignale abstrahlen würden. Weitere strittige Punkte befaßten sich mit dem Wasserverbrauch in der Wüste, den Umweltschäden an tausenden von Quadratkilometern Land und der Spionageanfälligkeit des Programms. Nach mehreren Jahren heftiger öffentlicher Debatten wurde das Projekt mobiler Basen für MX-Raketen aufgegeben, womit dem Steuerzahler die Ausgabe von Milliarden von Dollar und der Regierung Carter ein wahrhaft unnötiges und möglicherweise destabilisierendes Militärprogramm erspart blieben.
Es gab in der Geschichte viele weitere Beispiele, in denen Außen- und Militärpolitik durch wissenschaftliche und öffentliche Beteiligung positiv beeinflußt wurden, doch zwei aktuelle Innovationsprogramme verdienen hier noch besondere Erwähnung:
Die seismische Verifikation unterirdischer Atomtests
Zum einen geht es um die seismische Verifikation unterirdischer Atomtests. Den Lesern wird wohl bewußt sein, daß der »Begrenzte Teststoppvertrag« von 1963, der Atomtests in der Atmosphäre, unter Wasser und im Weltraum untersagt, die meisten Atomtests in den Untergrund trieb. Seismische Verifikationstechniken stehen daher im Mittelpunkt wenn bestimmt werden muß, wer wann eine nukleare Vorrichtung welcher Größe testet. Seismische Meßtechniken werden zudem ein wichtiger Teil des neuen »Umfassenden Teststoppvertrages« (CTBT) sein, der von den USA und Rußland noch ratifiziert werden muß.
Mitte August dieses Jahres, als die Debatte um die Ratifizierung des CTBT in Washington und Moskau langsam in Gang kam (der US-amerikanische Senat hatte kurz zuvor, im April, die Chemiewaffenkonvention ratifiziert), beschuldigten mit militärischen seismologischen Überwachungsanlagen arbeitende Aufklärungsexperten der US-Regierung die Russen, in der arktischen Region einen geheimen Nukleartest durchzuführen. Hätte dies zugetroffen, wäre dieser Test ein Bruch des seit langem eingehaltenen russischen Moratoriums zu Atomtests gewesen; allein die Anschuldigung hatte einen ernstzunehmenden schädlichen Einfluß auf die Aussichten des CTBT, vom US-amerikanischen Senat ratifiziert zu werden und spielte in die Hände der rechten Teststoppgegner.
Doch in den letzten Jahren wurde weltweit ein unabhängiges Netz bescheidener seismischer Lauschanlagen aufgebaut. Dieses »Incorporated Research Institutions for Seismology« oder IRIS genannte Netz wurde z.T. vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium finanziert, um sich eine zweite Verifikationsschiene für den bevorstehenden »Umfassenden Teststoppvertrag« vorzubehalten. Die erste seismische Verifikationsschiene wird eine wesentlich geringere Zahl teurer seimischer Abhörstationen umfassen, die rund um die Uhr arbeiten und Daten in Echtzeit an zentrale Verarbeitungseinrichtungen schicken. Das IRIS-Netz ist viel bescheidener, weltweit werden die seismischen Daten Tage oder Wochen nach den tatsächlichen Messungen von Studenten abgefragt und weitergeleitet. Andererseits macht allein die Größe des IRIS-Netzes mit einigen hundert Stationen, die wiederum Zugang zu einigen zehntausend weiteren zivilen Einrichtungen rund um den Globus haben, es möglich, begründete Schlußfolgerungen zu Fragen atomarer unterirdischer Tests zu ziehen.
Im Oktober stellten Wissenschaftler, die mit den von IRIS gelieferten Daten arbeiteten, fest, daß es sich bei dem verdächtigen Vorfall vom 16. August zweifelsfrei um ein Erdbeben handelte. Dr. Paul Richards und Dr. Won-Young Kim, zwei auf die Verifikation von Atomtests spezialisierte Seismologen des Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia Universität, schrieben in der Zeitschrift Nature, daß das seismische Beben sich viele Kilometer südöstlich der Atomtestanlagen Novaya Zemlya im Karasee, einem Arm des nördlichen Polarmeeres, ereignet hatte. Die zuerst von einer Station in Finnland aufgezeichneten seismischen Daten ähnelten jenen bekannter Erdbeben in der Region.
Dr. Greg van der Vink, Direktor des seismologischen Verbundes IRIS, nannte die Untersuchung „einen Triumph“ unabhängiger und ziviler Forschung zu derart militärisch relevanten Daten. Ohne diese Entlarvung staatlicher Behauptungen eines russischen Atomtests hätten die US-amerikanischen Regierungsstellen die Chancen für die Ratifizierung des CTBT und für ein dauerhaftes Verbot von Atomtests vielleicht in Frage gestellt.
Auch diese unabhängigen, von Außenseitern durchgeführten Untersuchungen zu seismischen, mit Atomtests in Verbindung stehenden Fragen haben Vorläufer. 1993 etwa entdeckte eine interessierte Gruppe der Öffentlichkeit, daß China eine Testeinrichtung für einen neuen Atomtest vorbereitete. Die Öffentlichkeit, die daraufhin zu dem chinesischen Test hergestellt wurde, förderte den Aufbau seismischer Meßeinrichtungen und den öffentlichen Druck für einen Teststopp.
Chemiewaffenvernichtung
Im Zusammenhang mit der Vernichtung von Chemiewaffen zeigt sich ein zweites und aktuelles Beispiel, welch entscheidende Rolle Bürger und Wissenschaftler bei der Entscheidungsfindung in der Außen- und Militärpolitik spielen können. Die seit Dutzenden von Jahren verhandelte, jetzt von mehr als 150 Staaten aus allen Teilen der Welt unterzeichnete Chemiewaffenkonvention verbietet die Forschung zu, die Produktion, Lagerung und den Einsatz von Chemiewaffen und verlangt die vollständige Vernichtung chemischer Wirkstoffe und Munition binnen zehn Jahren. Die Vereinigten Staaten begannen vor einem Jahrzehnt mit der Forschung zu Vernichtungstechnologien und haben bis heute zwei große Verbrennungsanlagen aufgebaut, einen Prototyp auf dem pazifischen Johnson-Atoll und eine zweite in Tooele in Utah. In der pazifischen Verbrennungsanlage wurden bereits chemische Waffen verbrannt, die kürzlich aus Deutschland und Okinawa abgezogen wurden, während in der Verbrennungsanlage von Tooele mit Wirkstoffen aus dem Lager in Utah, einer von acht Einrichtungen in den USA, begonnen wurde.
Öffentliche Ablehnung und wissenschaftliche Bedenken wegen der Risiken der Verbrennung für die allgemeine Gesundheit und die Umwelt sind zwei der Problemkreise, die mit diesem Programm verbunden sind. Während die US-amerikanische Armee auf andere Staaten wie Deutschland verweist, die alte Chemiewaffenbestände verbrennen, und behauptet, daß beide Verbrennungsanlagen sämtlichen in Frage kommenden gesundheitsbezogenen und Sicherheitsstandards entsprechen, weisen mehrere Gouverneure und Kongreßabgeordnete auf zeitweilig auftretende Freisetzungen von Wirkstoffen, Dioxinen und Furanen, aus der Verbrennungsanlage im Pazifik sowie auf die Unfähigkeit der Epidemologie hin, gesicherte Erkenntnisse über die langfristigen, kumulativen gesundheitlichen Wirkungen minimaler Dosen von Wirkstoffen und Giften in der Luft bereitzustellen. Infolge dieser Bedenken wurden in Utah zivilrechtliche Klagen und Prozesse angestrengt. Zudem haben bis heute vier ausgesprochen glaubwürdige »whistleblowers« (Insider, die geheime, kritische Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben) die Sicherheit der Anlage in Tooele öffentlich in Frage gestellt.
U.a. wegen dieser Bedenken hinsichtlich der Vernichtung chemischer Waffen hat der US-amerikanische Kongreß 1996 ein »Alternative Technology«-Programm (AltTech II) geschaffen, das der Erforschung, Entwicklung und Demonstration von Technologien dienen soll, die nicht auf Verbrennung basieren. Im Rahmen dieses Prozesses lud der Leiter des AltTech II-Programms zu einem »nationalen Dialog« interessierter Gruppen ein. Wissenschaftler, Umweltschützer, staatliche Vermittler, vor Ort betroffene Aktivisten, Vertreter des Bundesstaates und nationale Umweltschutzorganisationen, die sich mit der Vernichtung von Chemiewaffen befassen, sollen gemeinsam die Kriterien erörtern und festlegen, anhand derer neue, alternative Technologien bewertet werden. Die »Dialogue on Assembled Chemical Weapons Assessment« oder DACWA genannte Gesprächsgruppe traf sich in einem Zeitraum von sechs Monaten viermal für jeweils ein bis drei Tage und vereinbarte erst kürzlich ein Treffen mit einem neuen Beratungskomitee zu alternativen Vernichtungstechnologien an der Nationalen Akademie der Wissenschaften.
Der Dialog hat 35 Mitglieder und hat bereits sehr deutlich gemacht, daß eine tatsächliche und nicht nur symbolische Einbeziehung von Betroffenen und Beteiligten schwierige Entscheidungsfindungsprozesse zu kontroversen Projekten erleichtern kann. Beide Seiten, Gegner und Befürworter der Verbrennung, sind einbezogen und alle Mitglieder des Dialogs erkennen an, daß Chemiewaffen vernichtet werden müssen, daß die Verbrennung bis heute strittig ist und daß es daher schwierig ist, den Zeitplan und Haushaltsvorgaben einzuhalten sowie, daß die Entwicklung von Alternativen letztendlich der Konsensbildung zugute kommt.
Fazit
In der Vergangenheit wurden schwierige und kontroverse Entscheidungen entweder durch Klassifizierung oder das Prozeßdesign offiziell unter Verschluß gehalten. Jetzt wird deutlich, daß die aktive öffentliche Teilhabe u.a. der wissenschaftlichen Gemeinschaft, der regionalen und lokalen Wählerschaften und der allgemeinen Interessengruppen nicht nur hilfreich, sondern notwendig ist. Auf den ersten Blick mag Transparenz in der Entscheidungsfindung und Konsensbildung, der alle Beteiligten vertrauen und in deren Verlauf sie ein originäres Interesse an dem Prozeß und dem Ergebnis erlangen, zwar schwierig und teuer sein, aber langfristig verhindert solch ein Prozeß zeitraubende gerichtliche Verfahren, politische Mißstimmungen und manchmal schwerwiegende Fehlentscheidungen.
Regierungen müssen für ihre Taten verantwortlich gemacht werden, und Teilhabe der Öffentlichkeit und wissenschaftliche Zweifel und Analysen sind ein Schlüssel hierzu. So werden bedeutende politische Entscheidungsfindungsprozesse zu Erfahrungen, in denen alle gewinnen und nicht alle verlieren oder einige gewinnen und andere verlieren.
Übersetzung aus dem Englischen: Marianne Kolter.
Paul F. Walker ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer von Global Green USA, einer Mitgliedsorganisation des Internationalen Grünen Kreuzes. Er war Mitglied des Armed Services Committee des Repräsentantenhauses der USA.