Außer Kontrolle?!
Zweite Expertenkonferenz der Vereinten Nationen über autonome Waffensysteme, 13.-17. April 2015, Genf
von Christian Weidlich und Thomas Küchenmeister
Im April 2015 fand in Genf im Rahmen der Waffenkonvention der Vereinten Nationen (VN)1 die zweite Expertenkonferenz zu autonomen Waffensystemen (Lethal Autonomous Weapon Systems/LAWS) statt. Wie im Vorjahr2 diskutierten Regierungsvertreter aus 90 Staaten und 50 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Forschungsinstituten unter dem Vorsitz von Botschafter Michael Biontino, dem ständigen Vertreter Deutschlands bei der VN-Abrüstungskonferenz, die Auswirkungen von zunehmend selbstständiger agierenden Waffensystemen, die in der Zukunft in der Lage sein könnten, ohne menschliches Eingreifen Angriffe durchzuführen. Mit über 30 Vorträgen und ungezählten Wortmeldungen und Beiträgen der diplomatischen Delegationen war die fünftägige VN-Konferenz die bisher tiefgründigste Auseinandersetzung mit LAWS auf internationaler Ebene.
Unbemannte Waffensysteme: immer weiter, schneller, besser – und problematischer
Unstrittig ist, dass der Rüstungswettlauf in Bezug auf autonome Waffensysteme längst begonnen hat. Während vollständig autonome Waffen bislang nicht existieren, sind weniger komplexe und mit unterschiedlichen Automatisierungsgraden ausgestattete Militärroboter bereits marktreif und werden von verschiedenen Herstellern angeboten. Neben unbemannten Luftfahrzeugen – die amerikanische Drohne X47B kann bereits eigenständig auf einem Flugzeugträger starten und landen sowie in der Luft betankt werden – geht es hier aber vor allem um kleine und mobile Systeme, oftmals ausgerüstet mit Maschinengewehren oder Granatwerfern. Bei ihren Einsatzentscheidungen verlassen sie sich vor allem auf ihre eigene Sensorik und weniger auf menschliche Steuerung. Komplexere Systeme, die häufig über mehrere autonome Fähigkeitsbereiche verfügen, werden derzeit entwickelt, und zwar für alle Einsatzbereiche: Land, Luft und Wasser.3
Ob solche autonome Waffen mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar sind, ist allerdings umstritten. LAWS müssten dazu nicht nur das Diskriminierungsgebot, also die notwendige Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten, beachten; sie müssten ebenfalls den Effekt eines jeden möglichen Waffeneinsatzes im Voraus berechnen und zusätzlich zur Ziel- und Waffenauswahl auch noch eine Abwägungsentscheidung treffen, bei der der erwartete militärische Vorteil im Sinne einer konkreten Formel in Relation zu möglichen zivilen Opfern gesetzt wird. Das völkerrechtlich verankerte Prinzip der Verantwortlichkeit schreibt zudem vor, dass alle Mitglieder der Streitkräfte zu jeder Zeit und unter allen Umständen dazu verpflichtet sind, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Kritiker bezweifeln, dass diese Systeme dazu in der Lage sein werden.4
Von der Notwendigkeit menschlicher Kontrolle
Auf Druck der Zivilgesellschaft hat die internationale Staatengemeinschaft im vergangenen Jahr damit begonnen zu diskutieren, ob der Mensch zum Gegenstand einer mathematisch vorkalkulierten Tötungsentscheidung (»death by algorithm«) werden darf, wie es der VN-Sonderberichterstatter Christof Heyns einmal plakativ, aber zutreffend formulierte. Wie bereits auf dem ersten Expertentreffen herrschte auch in diesem Jahr große Übereinkunft in Bezug auf eine grundsätzliche Ablehnung völlig autonomer Waffensysteme. Zwei Drittel der an der Expertenkonferenz teilnehmenden Staaten unterstrichen in der Plenardebatte die Notwendigkeit menschlicher Kontrolle in Bezug auf den Einsatz von Waffensystemen. Das Konzept von „meaningful human control“5, also einer bedeutenden bzw. wirkungsvollen menschlichen Kontrolle, wurde von den Staatenvertretern im Sinne einer praktischen, politischen Umsetzung allerdings sehr unterschiedlich interpretiert. Während einige Staaten »meaningful human control« als Synonym für ein LAWS-Präventivverbot verwendeten, sahen andere Delegierte hinter der Terminologie eher ein ethisches Konzept oder eine technische Vorgabe.
Die zivilgesellschaftliche Kampagne für ein Verbot von autonomen Waffensystemen (Campaign to Stop Killer Robots) forderte die Regierungen dagegen auf, das Konzept in einem neuen, präventiven Verbot des Einsatzes, der Produktion und der Verbreitung von vollständig autonomen Waffensystemen völkerrechtlich zu verankern.6 Kuba, Ecuador, der Vatikan und Pakistan bekräftigten in Genf erneut ihre ausdrückliche Unterstützung für ein präventives LAWS-Verbot. Erstmalig unterstützten auch Bolivien, Ghana und Palästina eine solche Initiative. Die Vereinigten Staaten und Israel waren die einzigen Staaten, die explizit erklärten, sich die Tür für eine Beschaffung vollautonomer Waffen offen halten zu wollen – sollte ihr Einsatz mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar sein. Die allermeisten Staaten nahmen aber für den Moment eine abwartende Haltung ein. Dies gilt auch für Deutschland, obwohl die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, sich für „eine völkerrechtliche Ächtung vollautomatisierter Waffensysteme einsetzen“ zu wollen.7
Transparenz ist notwendig, aber nicht ausreichend
Deutschland argumentierte auf der VN-Expertenkonferenz, dass Transparenz, im Sinne von Vertrauensbildung unter den Staaten, einer umfassenden LAWS-Regelung vorausgehen müsse. Hier spiele Artikel 36 (»Neue Waffen«) des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen eine zentrale Rolle. Er besagt, dass jede Vertragspartei „verpflichtet“ sei, „bei der Prüfung, Entwicklung, Beschaffung oder Einführung neuer Waffen oder neuer Mittel oder Methoden der Kriegführung festzustellen, ob ihre Verwendung stets oder unter bestimmten Umständen durch […] Regel[n] des Völkerrechts verboten wäre“.8 Jede neue Waffe muss also vor ihrem militärischen Einsatz einer völkerrechtlichen Prüfung unterzogen werden – zukünftige autonome Waffensysteme sind hier keine Ausnahme.
Diese Waffenbewertungen werden auf nationaler Ebene durchgeführt und normalerweise nicht veröffentlicht. Der deutsche Vorschlag sieht in der VN-Waffenkonvention den angemessenen Rahmen dafür, nationale Verfahren in Bezug auf die Artikel-36-Bewertungen von Waffensystemen zu veröffentlichen. In Genf bekräftigte Deutschland außerdem, man sei bereit, aktiv die Entwicklung eines Konsenses zwischen den Staaten in Bezug auf ein solches Transparenzinstrument zu unterstützen.9
Die Erarbeitung von Transparenzmaßnahmen und die bessere Anwendung bereits existierenden Völkerrechts sind prinzipiell zu begrüßen, sie gehen aber nicht weit genug. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes erklärte, Waffenbewertungen auf nationaler Ebene könnten kein Ersatz für Mitgliedstaaten der VN-Waffenkonvention sein, um auf internationaler Ebene die rechtlichen und ethischen Grenzen der Autonomie von Waffensystemen zu prüfen bzw. zu bewerten
The Day After Tomorrow – Aussicht auf präventive Rüstungskontrolle?
Am letzten Tag der Konferenz in Genf stellte Botschafter Biontino seinen 27-seitigen Abschlussbericht zu der Experten-Konferenz vor, den er der nächsten Staatenkonferenz im November übergeben wird. Dann ist es an den Mitgliedern der VN-Waffenkonvention zu entscheiden, ob und wenn ja in welchem Format die internationale Diskussion über LAWS fortgesetzt werden soll.
Zwei Szenarien unterschiedlicher Reichweite sind dabei denkbar. Konsens dürfte unter den Staatenvertretern darüber bestehen, das nunmehr zweimal erfolgreich erprobte Format eines informellen Expertenworkshops auch im Frühjahr 2016 zu wiederholen. Ein solches Forum böte die Möglichkeit, die zentralen Aspekte der LAWS-Diskussion weiter zu vertiefen und noch mehr Staaten in die Debatte zu integrieren.
Darüber hinaus wäre es aber auch möglich, wenngleich weniger wahrscheinlich, die Gründung einer formellen »Group of Governmental Experts« im Rahmen der VN-Waffenkonvention zu forcieren. Dabei handelt es sich um ein bewährtes multilaterales Arbeitsformat im VN-Kontext, das allen interessierten Staaten und der Zivilgesellschaft offen steht. Das Format hat darüber hinaus den Vorteil, dass wichtige Dokumente in die offiziellen VN-Sprachen übersetzt werden und somit eine breite Teilnahme erleichtert wird. Eine solche Expertengruppe könnte ein konkretes Verhandlungsmandat zu einem Präventivverbot von LAWS erarbeiten. Ende 2016 findet die fünfte Überprüfungskonferenz zur VN-Waffenkonvention statt, auf der die Aufnahme formaler Verhandlungen über ein Zusatzprotokoll zu autonomen Waffensystemen (Protokoll VI) beschlossen werden könnte. Spätestens dann wird sich zeigen, ob die VN-Waffenkonvention das richtige Format ist, den Risiken von LAWS im Sinne präventiver Rüstungskontrolle adäquat entgegenzutreten.
Anmerkungen
1) Der vollständige Name der VN-Waffenkonvention lautet »Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May Be Deemed to Be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects« (CCW). Die Konvention ist ein Rahmenabkommen, welches die grundsätzlichen Zielsetzungen und Regeln klärt. Die genauen Vertragsgegenstände sind in einzelnen Protokollen verfasst: nicht entdeckbare Splitter (Protokoll I), Minen, Sprengfallen und andere Vorrichtungen (Protokoll II), Brandwaffen (Protokoll III), blind machende Laserwaffen (Protokoll IV) und explosive Kampfmittelrückstände (Protokoll V).
2) Siehe Frank Sauer und Jürgen Altmann: Autonome Waffensysteme. Staatenkonferenz, 13.-16. Mai 2014, Genf. Wissenschaft und Frieden 3-2014. S.60-61.
3) Informationen zu den aktuelle Entwicklungen auf der Homepage von FacingFinance e.V.; facing-finance.org.
4) Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen in der Debatte vorgebrachten Argumenten findet sich in: Niklas Schörnig und Christian Weidlich (2013): Keine Macht den Drohnen – Warum Deutschland sich jetzt gegen autonom tötende Militärsysteme einsetzen muss. HSFK Standpunkte Nr. 8/2013.
5) Die Terminologie geht zurück auf einen Beitrag der Londoner Nichtregierungsorganisation »Article 36«. Siehe Article 36 (2014): Key areas for debate on autonomous weapons systems. Briefing Paper, May 2014.
6) Campaign to Stop Killer Robots (2015): Report on Activities – Convention on Conventional Weapons informal meeting of experts on lethal autonomous weapons systems, United Nations Geneva, 13-17 April 2015.
7) Deutschlands Zukunft gestalten: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode. S.178.
8) Siehe Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I), Artikel 36, S.20.
9) Federal Foreign Office of Germany (2015): Statement on the implementation of weapons reviews under Article 36 Additional Protocol I by Germany, 15. April 2015; http://bit.ly/1BfdBti.
Christian Weidlich und Thomas Küchenmeister