Berliner Herausforderungen
Der internationale Kongreß Wissenschaft und Frieden in einer sich schnell ändernden Welt
von Hartwig Spitzer
Wie fühlt sich jemand, der fast zwei Jahre lang auf einen internationalen Kongreß hingearbeitet hat, kurz bevor es losgeht? Als ich am 27.11.91 von Hamburg losfuhr, spürte ich: Es stehen Überraschungen bevor. Und die kamen dann reichlich. Wer einen Kongreß unter dem Thema »Herausforderungen« in einer unruhigen Zeit und in einer ebenso unruhigen Stadt durchführen will, darf sich nicht wundern, wenn ihn das Thema einholt.
Kaum hatte ich mich in Berlin eingerichtet, kam ein Anruf aus dem Kongreßbüro: „Herr Spitzer, kommen Sie sofort, die Russen sind da.“ Ja, sie waren gekommen, Kollegen und Kolleginnen aus Rußland, aus der Ukraine und Estland, in Zahlen wie noch nie zuvor bei einem internationalen Naturwissenschaftlerfriedenskongreß (ca. 120). Etliche kamen unangemeldet oder vor der Zeit. Wenn man aus Rußland fliegen will, muß man eben die Maschine nehmen, in der noch Plätze frei sind. Viele waren zum ersten Mal in einem westlichen Land und erlebten wahrscheinlich einen kleinen Kulturschock. Der Westen ist bunt und aufregend, aber nicht überall golden und perfekt organisiert: Das Kongreßbüro konnte keine Unterbringung in Drei-Sterne-Hotels anbieten, wie sie uns bei einem Vorbereitungstreffen in Leningrad im Sommer 1991 noch zur Verfügung standen. Auch wurden bei der Verteilung der Privatquartiere keine Unterschiede zwischen Professoren und Studierenden gemacht: Für manches Akademiemitglied ein arger Schock.
Die nächsten Herausforderungen kamen am Vorabend des Kongresses: Eine Etage – mit für den Kongreß reservierten Räumen – im Mathematikgebäude der Technischen Universität war von ausländischen Flüchtlingen besetzt worden. Rektor Fink von der Humboldt-Universität war zwei Tage vorher fristlos entlassen worden. Würde das zu Störungen und Protesten während der Kongreßeröffnung durch den Wissenschaftssenator führen? Lauter Situationen, die mich zwangen zu fragen, wo die Lernchancen in der Überraschung lagen (oder wie Wolf-Dieter Grossmann es formulierte „How to benefit from the unexpected?“). Wir machten die beiden Vorfälle zum Thema der Vorbesprechung mit den ausländischen Referenten und hatten einen sehr intensiven Vormittag.
Es war einer meiner Wünsche gewesen, daß während des Kongresses versucht wird, sparsam mit Ressourcen umzugehen, d.h. weniger Papierfluten als sonst, kein Wegwerfgeschirr. Auch hier gab es Niederlagen und Überraschungen: Die bereitgestellten Kopierer waren nicht dafür ausgerüstet, doppelseitig zu kopieren. Dafür gab es bei der Zwischenverpflegung Porzellangeschirr, ausgeliehen vom ehemaligen Palast der Republik. Am Ende des Kongresses mußte unser umsichtiger Verpflegungsverantwortlicher feststellen, daß Geschirr im Werte von DM 800.- verschwunden war.1
Die Anlage des Kongresses
Wie kam der Kongreß zustande und wie war er angelegt? Der Impuls für den Kongreß kam von zwei internationalen Kongressen Wege aus dem Wettrüsten (Hamburg 1986, London 1988). Der Hamburger Naturwissenschaftler-Kongreß war noch von der jahrzehntelangen Polarisierung zwischen Ost und West und einer ähnlichen Polarisierung zwischen Friedensbewegung und Regierungen geprägt. In London waren schon Anzeichen der Wende im Osten zu spüren. Inhaltlich stand aber die anhaltende Rüstungsdynamik weiter im Vordergrund.
Für Berlin war eine Erweiterung der Anlage des Kongresses in dreifacher Hinsicht nötig:
- inhaltlich durch die Einbeziehung von Umweltthemen, Fragen der Ethik und Problemen der Dritten Welt bzw. des Nord-Süd-Verhältnisses
- im Teilnehmerkreis durch eine bewußte Öffnung für Ingenieure und Ingenieurinnen und für Informatiker und Informatikerinnen2
- in der Arbeitsweise durch eine Aufwertung der Arbeitsgruppen. Es wurden fast 70 Gruppen angeboten, genug, daß sich die ca. 1700 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus 41 Ländern in überschaubaren Gruppen treffen konnten. Die Gruppen hatten fast einen ganzen Tag für ihre Arbeit zur Verfügung und waren das eigentliche Forum des Kongresses.
Die Vielfalt der Themen und Herangehensweisen machte einen besonderen Reiz des Kongresses aus. Die Plenarsitzungen zu Beginn und am Ende hatten die Aufgabe, Grundlagen zu den drei Hauptthemenbereichen bereitzustellen und eine Integration zu ermöglichen. Das konnte natürlich nur teilweise gelingen. Zum Ende hin stellte sich allerdings immer deutlicher heraus, daß es so etwas wie einen roten Faden in den Plenarbeiträgen gab: Die bewußte Orientierung auf ethische Grundsätze hin, das Bemühen, einen neuen Konsens über Werte als Maßstab für das eigene Handeln und das Zusammenleben in einer Gesellschaft oder in einer Gemeinschaft der Völker zu finden.
Die Welt in schneller Veränderung
Der Kongreß hatte die Herausforderungen durch die schnellen Veränderungen in unserer Welt zum Thema. Wir erleben seit 1989 besonders stark die raschen politischen Veränderungen und »Wenden« innerhalb von und zwischen Staaten. Es könnte sein, daß diese Veränderungen nur eine besonders prominente Erscheinungsform einer unruhigen Übergangsphase sind, die die ganze Biosphäre, d.h. das gesamte Ökosystem Erde umfaßt. Zur Veranschaulichung möchte ich zwei Darstellungen heranziehen. Bild 1 zeigt die Bevölkerungsentwicklung der Erde auf einer Zeitskala von 10 000 Jahren. Auf dieser Skala wird deutlich, wie schnell und ungewöhnlich die Zunahme der Weltbevölkerung seit etwa hundert Jahren ist. Bild 2 zeigt den Kohlendioxid (CO2-)-Gehalt der Atmosphäre auf einer geteilten Skala: In die Vergangenheit hin ist die Skala logarithmisch komprimiert. Erkennbar sind die Schwankungen des CO2-Gehalts im Wechsel von Eis- und Warmzeiten innerhalb der letzten Million Jahre. Weiter in der Vergangenheit zurück beobachten wir einen starken Anstieg des CO2-Gehaltes bis zu Konzentrationen, die 3-5 mal über den heutigen Werten liegen. Die Extrapolation in die Zukunft zeigt den zu erwartenden Anstieg des CO2-Gehalts bei einer jährlichen Steigerung der Kohlendioxid-Freisetzung von einem Prozent. Anstiege auf ähnliche Werte wie vor hundert Millionen Jahren sind möglich. Die Menschheit (und das sind hauptsächlich die 20% der Menschen in den Industrieländern) ist also dabei, innerhalb von 100 – 200 Jahren einen Prozeß umzukehren, der erdgeschichtlich mehrere hundert Millionen Jahre gedauert hat. Kein Wunder, wenn das Ökosystem Erde dabei abrupt reagieren sollte.
Phasenübergänge in physikalischen Systemen (wie zum Beispiel das Sieden von Wasser) sind von großem Energieumsatz begleitet. Sie verlaufen turbulent und chaotisch. Der Verlauf ist im einzelnen prinzipiell nicht vorhersagbar. Entsprechend turbulente und chaotische Veränderungen könnten dem Ökosystem Erde als Ganzem bevorstehen.
Wie können wir uns innerlich und äußerlich auf solche Veränderungen einstellen und angemessen damit umgehen?
Lassen sich ökologische Katastrophen vermeiden?
Der Mathematiker und Ökosystemforscher Wolf-Dieter Grossmann (Wien) sprach über die Fähigkeit und Grenzen von Ökosystemen, sich nach Katastrophen wieder zu erholen bzw. weiterzuentwickeln. Es könnte sein, daß diese Fähigkeit fast unbegrenzt ist.3
Einige ökologische Katastrophen sind vorhersehbar, andere sind es nicht und zwar wegen der prinzipiellen Unmöglichkeit, den Verlauf chaotischer Übergänge vorherzusagen. Auf vorhersehbare Katastrophen können wir uns einstellen. Wir können Vorsorge treffen und zur Vermeidung der Katastrophen, z.B. durch Vorausberechnung, sorgfältige Überwachung (Monitoring) des jeweiligen Ökosystems sowie steuernde Maßnahmen beitragen. Wichtig ist es, Eingriffe in Ökosysteme so zu dosieren, daß ihnen ihre Erholfähigkeit, die Resilienz, nicht genommen wird. Ein Ökobauer wird z.B. bewußt Schwankungen in der Ernte oder gar eine Mißernte hinnehmen, damit der Boden und die Pflanzen nicht durch zu starke Eingriffe ihre natürliche Regenerationsfähigkeit verlieren. Zu den Vorsorgemaßnahmen gehört auch die Pflege von Vielfalt gegenüber der einseitigen Optimierung von Monokulturen. Wenn Ökosysteme in einer Teilautonomie gelassen werden und von Menschen aufmerksam begleitet werden, steigt ihre Fähigkeit, sich auch von unvorhersehbaren Schocks oder Katastrophen zu erholen.
Die Menschheit selbst hat die vielen Umweltkatastrophen seit ihrem Erscheinen (wie Eiszeiten und Vulkanausbrüche) sicher nicht nur durch Anwendung rationaler Fähigkeiten überlebt. Ebenso wichtig waren nichtrationale Fähigkeiten, wie Intuition, Schönheitssinn4 und spielerischer Umgang mit der Umwelt. Heute gilt es, diese Fähigkeiten in Erziehung und Berufsausübung bewußt zu pflegen, damit wir besser für das Unerwartete vorbereitet sind.
Die Rüstungsentwicklung geht weiter
John Holdren (Berkeley, USA) ging in seinem klaren und engagierten Eröffnungsvortrag auf die Rolle von Wissenschaftlern und Technikern bei der Rüstungsentwicklung ein: „Wissenschaftler wollen wissen was möglich ist, Ingenieure wollen testen was möglich ist, die Industrie möchte große Stückzahlen produzieren“. Wissenschaft und Technik haben das auf der Welt vorhandene Zerstörungspotential gewaltig erhöht. In den USA werden jährlich von den 150 Milliarden Dollar Aufwendungen für Forschung und Entwicklung die Hälfte (d.h. etwa 75 Milliarden Dollar!) für militärische Forschung und Entwicklung ausgegeben. Weltweit arbeiten etwa die Hälfte aller Naturwissenschaftler und Ingenieure in der militärischen Forschung und Produktion. Nach der Auflösung der Sowjet-Union werden diese Zahlen etwas zurückgehen, aber die Rüstungsforschung und -entwicklung soll in Schlüsselländern wie den USA und der Bundesrepublik ungemindert weitergeführt werden. Das bedeutet eine ungeheure Bindung von geistigen und materiellen Ressourcen, die dann an anderer Stelle fehlen.
Gibt es einen Ausweg? Günter Altner (Landau) formulierte dazu die radikalste Position: „Die Herstellung, Lagerung und der Einsatz von Waffen sind die verrückteste Form ökologischer Zerstörung. Der einzige Weg, den Einsatz von Waffen aller Art zu verhindern, ist, ihre Herstellung zu verhindern“ – und zwar weltweit, möchte ich hinzufügen. Das klingt heute noch – angesichts des Zustandes der Weltgesellschaft – wie eine Utopie. Es ist eine Utopie, aber eine, an der es sich lohnt festzuhalten. „Auch die Abschaffung der Sklaverei galt vor 250 Jahren noch als gesellschaftliche Utopie und doch wurde sie inzwischen weitgehend verwirklicht“ (Johan Galtung).
Die Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin werden groß sein: Es beginnt mit der Ambivalenz der Forschung. Praktisch jedes Forschungsergebnis läßt sich mißbrauchen. John Holdren legte dem Auditorium nahe, die Ambivalenz der Forschung bewußt zu akzeptieren, d.h. der Forschung nicht den Rücken zu kehren, sondern sich neben der engeren beruflichen Arbeit während zehn Prozent der Zeit in der Gesellschaft für einen verantwortlichen Umgang mit Wissenschaft und Technik zu engagieren.
Desweiteren schlug er ein stufenweises politisches Vorgehen vor:
1. Einführung einer öffentlichen Kontrolle über die Waffenbeschaffung
2. Einführung einer öffentlichen Kontrolle über militärische Forschung und Entwicklung. Das bedeutet u.a. die Öffnung bisher geheimer Forschungslaboratorien auf nationaler und internationaler Ebene.
Die Entwicklung im Irak, aber auch in den USA, zeigt, wie schwer das zu verwirklichen sein wird. Die Hälfte aller Rüstungsforschungsprojekte in den USA ist »black«, d.h. der Kenntnis des Kongresses entzogen; im Irak sind wahrscheinlich alle Projekte geheim.
Die Rolle unabhängiger Wissenschaftler und Aktivisten
Frank von Hippel (Princeton) wies in seinem Referat auf die nuklearen Hypotheken und auf die Rolle unabhängiger Wissenschaftler und Aktivisten (im Englichen hieß es: „analysts and activists“) bei ihrer Aufdeckung und Abtragung hin. Veränderungen können nur stattfinden, wenn Aktivisten die Gesellschaft dafür sensibilisieren. Veränderung kann aber auch nur stattfinden, wenn Wissenschaftler die Möglichkeit von Veränderung glaubwürdig belegen können. Ein Beispiel ist die Schließung des Kernwaffentestgebietes bei Semipalatinsk durch den Einsatz kasachischer Aktivisten – einige davon waren beim Kongreß anwesend – und durch die argumentative Unterstützung von russischen Wissenschaftlern.
In der Zukunft wird es eine wichtige Aufgabe sein, unabhängige Wissenschaftler aus Ländern der Dritten Welt mit großen Rüstungsprogrammen darin zu unterstützen, daß sie zu Experten für die fraglichen Techniken und Entwicklungen werden können.
Ansätze zu einer neuen Ethik
Es war einer meiner Wünsche gewesen, daß auf diesem Kongreß die heutigen Herausforderungen vor dem Hintergrund der Evolution des Lebens gesehen werden. Wer sich für Frieden, Umwelt und Gerechtigkeit engagieren will, braucht ein tiefes Verständnis seines eigenen Wesens als Ergebnis der Entwicklung des Lebens und ein Verständnis für Möglichkeiten und Grenzen der Weiterentwicklung. Zu diesem Verständnis können auch die Naturwissenschaften beitragen.
Der Biologe und Theologe Günter Altner wies daraufhin, daß die Entwicklung des Lebens über Jahrmillionen ausschließlich durch Sonnenenergie und Erdwärme als Energiequelle gespeist worden ist. Durch den raschen Verbrauch fossiler Energien (und von Kernenergie) brechen wir aus dem eingependelten Entwicklungsrhythmus aus. Wir versuchen Grenzen zu überwinden, die uns erdgeschichtlich vorgegeben sind. Es ist jetzt auch die Aufgabe von Naturwissenschaftlern und Technikern, die Begrenztheit und die Vergänglichkeit als notwendige Voraussetzung unserer Existenz anzuerkennen. Von daher gesehen ist die Energiefrage eine Schlüsselfrage. Altner ist davon überzeugt, daß ein langfristiges Überleben der Menschheit nur auf der Basis von Sonnenenergie und Erdwärme ermöglicht werden kann.5
Die Anerkennung von Grenzen ist aber auch im Umgang mit anderen Ressourcen nötig. Andernfalls fahren wir fort, unsere Begrenztheit zu verdrängen und sie durch technokratische Dominanz und Ausbeutung in verschiedener Form kompensieren zu wollen. Friede und Liebe sind nötig, um den Wettbewerb um Macht und Besitz zu überwinden.
Ist das nicht wieder eine Utopie? Können wir uns angesichts unseres Wissens über das Wesen des Menschen, über seine Instinkte, seine Bedürftigkeit, seinen Egoismus und seine Aggression eine Entwicklung zu mehr Frieden untereinander und mit der Natur vorstellen?
Der Ingenieurwissenschaftler Franz Moser (Graz) skizzierte in seiner Arbeitsgruppe ein anthropologisches Modell, das einige Hoffnung zuläßt. In diesem Modell ist das Bewußtsein ein Schlüsselbegriff. Es beruht auf der Beobachtung, daß Menschen sich im Rahmen eines Reifungsprozesses von der Fixierung auf Besitzergreifen von Gütern und Macht auf die Entfaltung innerer Werte umorientieren können und dabei auch sparsamer mit Ressourcen und weiser mit ihrer Macht umgehen. Es besteht die Hoffnung, daß auch Gruppen von Menschen gemeinsam zu solchen Reifungsprozessen fähig sind und sich entsprechend anders in der Welt organisieren und verhalten. Der Prozess ist von einer Bewußtwerdung und ständigem Einüben von bewußten Haltungen begleitet: Ich selbst habe etwas davon durch Begegnungen mit Menschen aus Indien und Afrika während des Kongresses gespürt. Deren Existenz und deren Probleme sind stärker in mein Bewußtsein gerückt und lassen sich jetzt weniger leicht verdrängen.
Die Informatikerin Christiane Floyd (Hamburg) entwickelte ihre Vision einer neuen Ethik. Die überkommene Ethik gründete sich auf eine höhere, von außen vorgegebene Autorität, sie umfaßte Gesetze, deren Einhaltung befohlen und von einer Hierarchie kontrolliert wurde. Die neue Ethik basiert auf der Authentizität von einzelnen oder Gruppen, die ihre Entscheidungen auf Grund einer bewußten Wahl (choice) treffen und sich selbst zur Respektierung bestimmter Werte verpflichten (commitment). Andere werden nicht gezwungen, sondern eingeladen sich anzuschließen. An die Stelle von Kontrolle tritt gegenseitige Unterstützung. Die Organisationsform ist ein Netzwerk.
Schon wieder eine Utopie? Wir wissen, daß die Tage der alten erstarrten Hierarchien gezählt sind. Wo aber zeigt sich das Neue? Erste Ansätze sehe ich in selbstverwalteten Betrieben, im Konzept des Runden Tisches oder in Schlichtungsverfahren, bei denen nicht mehr per Abstimmung oder per Gesetz entschieden wird, sondern bei denen ein Konsens aller Beteiligten erarbeitet wird. Die bescheidenen Ansätze für vertrauensbildende Maßnahmen und die Betonung der Menschenrechte im Rahmen des KSZE-Prozesses gehen ebenfalls in diese Richtung. Solche Beispiele wirken unscheinbar gegenüber dem Problemdruck in vielen Teilen der Welt. Sie könnten aber erste Vorboten von neuen Maßstäben, Verhaltensweisen und Strukturen sein.
INES – Ein neues Netzwerk
Parallel zum Kongreß wurde ein Internationales Netzwerk von Ingenieuren/innen und Wissenschaftlern/innen für Globale Verantwortung (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility – INES) gegründet. Nach mehreren tastenden Versuchen in den Vorjahren war die Zeit offenbar reif.
18 fachbezogene Friedens- und Umweltinitiativen bzw. Institute aus vier Kontinenten schlossen sich am 29.11.1991 zu einem Netzwerk zusammen. Unter den Mitgliedsorganisationen ist die Union of Concerned Scientists (USA) international am meisten bekannt. Aus Deutschland beteiligten sich FIFF, die Naturwissenschaftler-Initiative und die Berghof-Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung an der Gründung.
Ziel des Netzwerkes wird es sein, den Informationsaustausch unter Wissenschaftlern/innen und Ingenieuren/innen international zu fördern. Das Netzwerk verbindet Menschen, die sich für Frieden, Gerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung (sustainable development) und für einen verantwortlichen Gebrauch von Wissenschaft und Technik einsetzen wollen. Dies soll durch die Unterstützung entsprechender Forschungsvorhaben, durch Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit sowie durch öffentliche Stellungnahmen erfolgen. Das Netzwerk lädt alle, die diese Intentionen teilen, zur Mitarbeit bzw. zu einer fördernden Mitgliedschaft ein. Einzelpersonen können ebenso Mitglieder werden wie Initiativen.6
Rückblick und Ausblick
Was hat der Kongreß geleistet? Ich glaube, am wichtigsten waren die Angebote und Möglichkeiten zur Stärkung im eigenen Engagement und zur Klärung der Orientierung für diejenigen, die gekommen waren.
Es war kein lauter Kongreß – trotz aller Unruhe in der Stadt und trotz unterschätzter Herausforderungen bei der Organisation und Gestaltung. Es ging um eine Weitung des Blickes. Vielleicht bewegen wir uns doch auf einen Übergang hin zu einem bewußteren Wahrnehmen, Respektieren und Gestalten des Lebensprozesses auf der Erde und der Entwicklung einer menschlichen Weltgesellschaft. Die zu erwartenden Widersprüche und Herausforderungen auf dem Wege werden groß sein. Menschen, die in Naturwissenschaft und Technik zu Hause sind, werden dabei gebraucht.
Hartwig Spitzer ist Professor für Physik an der Universität Hamburg. Er hat zusammen mit Prof. Ferdinand Hucho das internationale Programmkommittee des Berliner Kongresses geleitet. Er wurde für das erste Jahr zum Vorsitzenden des Exekutive-Kommittees von INES gewählt.