W&F 2008/4

Betreff: Kultur des Friedens

Brief an meine akademischen Freunde

von David Adams

Der vorliegende Brief von David Adams beruht auf einer umfänglichen E-Mail-Korrespondenz im Rahmen der Erarbeitung eines Handbuchs zur Kultur des Friedens. Einige der dabei angesprochenen Themen sind von allgemeinem Interesse, wenn man sich mit dieser Thematik wissenschaftlich auseinandersetzt. Das bewog Adams, seine Gedanken in Form eines Briefes an seine akademischen Freunde niederzuschreiben. Wir veröffentlichen diesen Brief vom August 2007, gekürzt und redaktionell bearbeitet, mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der ungekürzte O-Text ist im Internet unter http://www.culture-of-peace.info/letter/Letter_to_Academic_Friends.pdf zu finden. Die Übersetzung und Bearbeitung besorgte Albert Fuchs.

Die einschlägigen Fragen sind bedeutsam, weil Forscher, akademische Autoren und Lehrer Möglichkeiten haben, einen Beitrag zu leisten zur Transformation einer Kultur des Krieges, wie sie die menschliche Gesellschaft seit über 5.000 Jahren bestimmt, in eine neue Kultur, eine Kultur des Friedens. Andererseits ist der allgemeine akademische Betrieb ein integraler Bestandteil der herrschenden Kultur des Krieges. Um in diesem Betrieb eine Kultur des Friedens zu befördern, muss man sich selbst von den Vorurteilen und Perspektiven der Kultur des Krieges frei machen und u.U. seine Karriere riskieren, indem man sagt und schreibt, was Sache ist… Macht man sich nicht selbst frei von diesen Vorurteilen und Perspektiven, läuft man Gefahr, bewusst oder unbewusst zur Aufrechterhalten der Kultur des Krieges beizutragen.

Hintergrund: Das UN-Konzept der Kultur des Friedens

Die Kultur des Friedens wurde in den 1990er Jahren bei der UNESCO zunächst als Beitrag zu den Peacekeeping-Aktivitäten die UN konzipiert und später als ein von der Generalversammlung gefordertes Programm (vgl. Adams 2003).

Um es kurz zu machen: Wir sahen darin ausdrücklich eine Alternative zur Kultur des Krieges. Im ursprünglichen Entwurf des von der UNESCO den UN unterbreiteten Aktionsprogramms wurde Punkt für Punkt gezeigt, wie kritische Merkmale einer Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit die Grundzüge der Kultur des Krieges und der Gewalt ersetzen könnten (vgl. den Kasten).

Aus dem ursprünglichen UNESCO-Entwurf eines Aktionsprogramms für eine Kultur des Friedens:


1. Niemals gab es einen Krieg ohne ‚Feind’; um den Krieg abzuschaffen, müssen wir Feindbilder überwinden und ersetzen durch Verständnis, Toleranz und Solidarität zwischen allen Menschen und Kulturen.

2. Nachhaltige Entwicklung für alle … Das bedeutet eine einschneidende Veränderung im Verständnis des Wirtschaftswachstums, das bisher als Ergebnis von militärischer Überlegenheit und struktureller Gewalt gelten kann, erreichbar nur auf Kosten der Besiegten und Schwachen.

3. Demokratische Teilhabe und Regierungsführung – als einziger Weg zur Überwindung autoritärer Machtstrukturen, die der Kultur des Krieges und der Gewalt entstammen und sie stützen.

4. Gleichheit von Frauen und Männern … muss die überkommene, für die Kultur des Krieges und der Gewalt überaus charakteristische Ungleichheit der Geschlechter ersetzen.

5. Partizipatorische Kommunikation und freier Fluss und Austausch von Information und Erkenntnissen anstelle der die Kultur des Krieges kennzeichnenden Geheimhaltung und Informationsmanipulation.

6. Internationaler Frieden und allgemeine Sicherheit, inklusive Abrüstung.

7. Die Weiterentwicklung und internationale Anerkennung universaler Menschenrechte – insbesondere die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – ist einer der wichtigsten Schritte zum Übergang von einer Kultur des Krieges und der Gewalt zu einer Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit. Er erfordert eine Umwandlung von Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen im ausgrenzenden Interesse eines Klans, des Stammes oder der Nation zu entsprechenden Orientierungen im Interesse aller Menschen.

8. Erziehung ist das Hauptmittel der Förderung einer Kultur des Friedens … Schon das Verständnis von Einfluss und Macht muss von der Logik des Zwangs und der Furcht zur Stärke von Vernunft und Liebe entwickelt werden.

(cf. UN General Assembly, 1998)

Obwohl die Erklärung und das Aktionsprogramm von der UN-Generalversammlung am 13. Sept. 1999 als Resolution A/53/243 angenommen wurden, wurde die Analyse der Kultur des Krieges und der Gewalt aus der Endversion gestrichen. Die Europäische Union drohte damit, den Text nicht passieren zu lassen, da es nirgendwo auf der Welt eine Kultur der Kriege und Gewalt gebe. Und das, obgleich die Generalversammlung ein Jahr zuvor in Resolution A/52/13 einleitend davon gesprochen hatte, dass „… die Bildung des UN-Systems auf der Grundlage universeller Werte und Ziele per se ein wichtiger Akt der Transformation einer Kultur des Krieges und der Gewalt zu einer Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit“ gewesen sei.

Es ist nicht verwunderlich, dass diplomatische Vertreter von Großmächten die Kultur des Krieges nicht erwähnt sehen möchten, da ihre Macht darauf basiert. Um klar zu sein: Hier ist nicht von Krieg die Rede, sondern von einer Kultur des Krieges, einer Tiefenkultur, die Kriegsvorbereitung und Kriegführung ermöglicht und begünstigt. […] Die Kultur des Krieges richtet sich im Übrigen nicht nur gegen äußere Feinde, sondern auch gegen die Opposition im Innern (vgl. Adams 1995). In der Tat bildet die Monopolisierung der Gewalt den Kern der Staatsmacht von Anfang an. Dabei geht es nicht nur um offene physische Gewalt. Der Staat hält seine Macht nach innen auch aufrecht durch Geheimhaltung und Informationskontrolle im Namen der »nationalen Sicherheit« und andere Aspekte der Kultur des Krieges. Das gilt für »liberale Demokratien« ebenso wie für autoritäre Regime. In die Kultur des Krieges sind nicht nur Politiker, Diplomaten und Bürokraten verwickelt. Im Grunde sind alle Institutionen der Gesellschaft darin verfangen, inklusive Massenmedien, Erziehungs- und Bildungswesen und Wissenschaftsbetrieb.

Akademisches Establishment: verstrickt in die Kultur des Krieges

Die typische Analyse von Vertretern des wissenschaftlichen Mainstreams akzeptiert, explizit oder implizit, die Kultur des Krieges, in der wir leben. So zitiert Joe DeRivera in seinem 2004 erschienenen Band der Zeitschrift »Peace and Conflict« die Kritik eines Mainstream-Politikwissenschaftlers an Analysen unter Gesichtspunkten des Gegensatzes Kultur des Krieges/Kultur des Friedens. Der betreffende Autor, Suedfeld, wende sich gegen einige Grundannahmen solcher Analysen. Er mache geltend, strukturelle Machtdifferenzen gebe es überall und Gewalt sei ein leicht verfügbares Mittel Mächtiger, sich zu besorgen, was sie begehrten. Die Politik der Vereinigten Staaten und anderer westlicher Mächte sei die Grundlage des z.Z. bestehenden Weltfriedens, keineswegs ein Ausfluss einer Kultur des Krieges. […]

Nach meiner Meinung, ist der übergroße Teil der Wissenschaftswelt – nicht anders als der größte Teil der kommerziellen Massenmedien – so tief in die Kultur des Krieges »eingebettet«, dass man glaubt, eine Kultur des Friedens füge sich bestens darin ein. Ein aufschlussreiches Beispiel ist die These, liberale Demokratien führten keinen Krieg gegen andere Demokratien. Sie wird gestützt durch sorgfältige Datenmanipulation. Ihre Befürworter vermeiden es, von Krieg zu reden, wenn Kissinger und die USA das Chile Allendes, eine andere liberale Demokratie, unterminieren. Oder wenn die Contra gegen Nicaragua finanziell und militärisch massiv unterstützt werden. […]

Die Orientierung an der Kultur des Krieges im Wissenschaftsbereich wird verstärkt durch Stiftungen und andere Finanzierungsquellen. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung schildere ich in einem neueren Beitrag über Terrorismus (vgl. Adams 2006)

Ich bin mir sicher, es gibt Politologen und Soziologen, welche die Kultur des Krieges durchschaut und untersucht haben und sich der Kultur des Friedens als Alternative zuwenden können. Es fällt allerdings schwer, sie zu finden, denn sie werden von den Medien des Establishments ignoriert, von den akademischen wie den Massenmedien. Ich habe versucht, sie ausfindig zu machen, als ich vor etwas mehr als einem Jahrzehnt meine Analyse der US-Militärinterventionen im Innern veröffentlichte (Adams 1995). Das »Journal of Peace Research« lehnte es ab, die Arbeit zu veröffentlichen, wenn ich nicht Politologen und Soziologen zitieren könnte. Aber soviel ich auch suchte, ich konnte keine finden, die den Einsatz des Militärs zur politischen Kontrolle im Innern in sog. liberalen Demokratien untersucht hatten. Die einschlägigste Referenz, die ich finden konnte, war eine von Harold Lasswell, der am Vorabend des Zweiten Weltkriegs im Schatten Hitlers geschrieben hatte. Auch jetzt gibt es kaum Bezugnahmen auf meine Studie, was bedeuten dürfte, dass es kaum jemand gibt, der zu diesem Problem arbeitet, obwohl es doch hochrelevant sein sollte. Ich gab seinerzeit zu bedenken, und glaube das mehr und mehr, dass die Hauptfunktion der Kultur des Krieges im Verlauf der Geschichte in der Kontrolle nach innen besteht, dass der Krieg gegen äußere Feinde sekundär ist, eine Maskierung der Primärfunktion.

Selbst wenn Akademiker die Probleme verstehen, werden sie behindert durch ungeschriebene Tabus, die ihnen die Themen vorschreiben, über die sie veröffentlichen dürfen. Tabuüberschreitung kann durch Verbannung aus der Gemeinschaft der jeweiligen Profession bestraft werden (vgl. Wiener 2005).

Unbrauchbare methodische Ansätze

Es gibt viele methodische Ansätze, die Umwandlung einer Kultur des Krieges in eine Kultur des Friedens zu studieren, und gewiss sollte die Forschung multidisziplinären Charakter haben. Indes gibt es auch Ansätze, die unbrauchbar sind. Zwei dieser Art jüngeren Datums sind die Verwendung nationaler Indikatoren und der Rekurs auf die »menschliche Natur«. Wie diese Ansätze verwandt wurden, führen sie dazu, die Vorurteile ihrer Erfinder zu bestätigen und die herrschende Kultur des Krieges zu stützen.

Nationale Indikatoren einer Kultur des Friedens. Der erste Versuch dieser Art, den ich kenne, wurde 2000 von einem Koreanischen Team vorgenommen und als »World Peace Index 2001« veröffentlicht. Auf der Grundlage der Kriterien, die man verwandte, lagen die skandinavischen Länder an der Spitze, während die Länder Afrikas und Asiens ganz unten rangierten. Die großen Mächte – England, Frankreich, Deutschland, China, USA, Kanada, Australien, Japan, Korea – nahmen einen mittleren Platz ein.

Ein Anschlussartikel zu nationalen Indikatoren einer Kultur des Friedens von Joseph DeRivera (2004) gelangte zu einem ähnlichen Ranking, obwohl weniger Länder berücksichtigt wurden. Aber dieser Artikel ging darüber hinaus und behauptete – aufgrund der Tatsache, dass es nicht gelang, [auf der Basis der Interkorrelation der Variablen ] einen einzigen Kultur-des-Friedens-Faktor zu finden –, es könne sich um ein „irreführendes Konzept“ handeln. […]

Nach meiner Meinung ist es spitzfindig, die Kultur des Friedens als eine Qualität bestehender Staaten zu analysieren, sie aufgrund einer Faktorenanalyse in Frage zu stellen und dann zu erklären, das Konzept sei „zu simpel“. Wie ich bereits an anderer Stelle dargelegt habe, kann die Kultur des Krieges und der Gewalt mit ihrer inhärenten Symptomatik erklären, weshalb nicht zu erwarten ist, dass Indikatoren der Kultur des Friedens sich in Interkorrelationen von staatenbezogener Merkmalsbestände niederschlagen. Eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit im Sinn des ursprünglichen UNESCO-Vorschlags einer hypothetischen Alternative zur Kultur des Krieges und der Gewalt existiert noch nicht auf der Ebene der Nationalstaaten.

Außerdem sollten wir skeptisch sein gegenüber allen staatenbezogenen Angaben, welche die Staaten des Nordens als friedlich und die des Südens als weniger friedlich erscheinen lassen. Auch das ist eine Form von Spitzfindigkeit und Heuchelei. Wie z.B. von Mitgliedstaaten des Südens in der UNESCO-Debatte von 1999 hervorgehoben wurde, […], schreien die Staaten am lautesten nach Menschenrechten und »freien« Wahlen, die zur gleichen Zeit die Hauptwaffenverkäufer und traditionelle Gegner unabhängiger Medien in armen Ländern sind (vgl. http://www.culture-of-peace.info/annexes/commissionV/summary.html). Wenn man nicht nach Friedensindikatoren Ausschau hält, sondern nach Indikatoren einer Kultur des Krieges, dürfte man auf der Staatenebene ihren Zusammenhang nachweisen können, und zwar bei Merkmalen der inneren Verfasstheit wie der Beziehung nach außen. […]

Andererseits ist es ein verdienstvolles Unternehmen, Indikatoren einer Kultur des Friedens zu entwickeln und auf Institutionen anzuwenden, die nicht auf der Kultur des Krieges beruhen, z.B. Kommunalverwaltungen und zivilgesellschaftliche Organisationen. Ich habe kein Problem mit dem Argument …, dass es viele Individuen, Gemeinwesen und Organisationen der Zivilgesellschaft in den USA und in anderen Ländern gibt, die implizit oder explizit für eine Kultur des Friedens eintreten und/oder deren Prinzipien praktizieren. Diese Individuen, Gemeinwesen und Organisationen der Zivilgesellschaft sind in der Tat nicht verantwortlich für den gesamten Apparat der Kriegskultur… Verantwortlich ist der Nationalstaat. Und deshalb wird man keine Kultur des Friedens finden können, wenn man Nationalstaaten unter die Lupe nimmt, und seien es die »besten Fälle« wie Skandinavien, Australien, Kanada, Deutschland usw.

In jüngster Zeit, d.h. im Jahr 2007, zeigt sich erneut die Heuchelei einer Bestimmung der Kultur des Friedens durch staatsbezogene Indikatoren in dem neuen »Global Peace Index«. Wie passt es doch, dass Europa, Australien und Kanada als die friedlichsten Länder erscheinen, während sich die Länder des Südens als unfriedlich herausstellen. Ich war niemals angetan von dem Schlagwort Kulturimperialismus. Aber wenn es je ein gutes Argument dafür gab, hier haben wir es!

Man kann tatsächlich alles mit Indizes beweisen, wenn man sie nur entsprechend sorgfältig auswählt. Was, wenn man eine Rangordnung der Länder nach dem Aufwand für Geheimhaltung bildet? Oder nach der Zahl der Nuklearwaffen? Oder nach der Zahl der Morde in den produzierten Videos, Filmen, Fernsehprogrammen? Nach ihren Militärallianzen mit anderen Ländern, die diesbezüglich hoch rangieren? Wäre das nicht auch »objektiv«?

Schließlich sollte die Verwendung von Indizes einer Kultur des Friedens – auf beliebigem Niveau – nicht dazu verwandt werden, zu »beweisen«, dass ein Gebilde (Land, Stadt oder zivilgesellschaftliche Organisation) besser ist als ein anderes. Dagegen können Indizes sinnvoll verwandt werden, um zu zeigen, ob eine bestimmte Entität sich von Jahr zu Jahr verbessert und in welchen Bereichen sie sich verbessert oder aber zurückfällt.

Argumentation mit der menschlichen Natur

DeRiveras vorgenannter Artikel beinhaltet auch diesen Ansatz – und auch das ist eine Argumentation, mit der man alles beweisen kann, insbesondere die Vorurteile dessen, der sie verwendet. Zum Konzept der Kultur des Friedens meint DeRivera: „Ob das Konzept politisch oder analytisch verwandt wird, wir müssen nach seiner Beziehung zu dem fragen, was nach unserem Kenntnisstand im Rahmen der menschlichen Natur möglich ist. Die Kultur des Friedens, wie die UNESCO (1995) sie sich vorstellt, erfordert Respekt vor den Rechten der anderen statt Beherrschung der Schwachen durch die Starken und geht von einer globalen Identität aus, die in lokalen Identitäten verwurzelt ist und einhergeht mit Solidarität angesichts der alle betreffenden Bedrohungen unserer Erde.“ (a.a.O., S.545)

Weiter führt DeRivera aus, wenn man die gegenwärtigen Lebensbedingungen der meisten Menschen zur Kenntnis nehme, seien große Herausforderungen im Hinblick auf eine Kultur der Friedens zu vermerken. So stellten sich Fragen der Formbarkeit der menschlichen Natur und es könnten sich Grenzen für die Entwicklung einer solchen Kultur ergeben. […] Das müsse nicht bedeuten, dass Kulturen des Friedens unmöglich seien. […] Man brauche das Konzept nicht als unrealistisch aufzugeben, wenn es vielleicht auch Modifikationen erfordere.

Bei meiner persönlichen Korrespondenz mit ihm berief sich DeRivera auf die »menschliche Natur« um zu begründen, dass starke Nationalstaaten ein Gewaltmonopol behielten und die Teile ihrer Bevölkerung »kontrollieren« könnten, denen nicht zuzutrauen sei, dass sie die Regeln einer Kultur des Friedens befolgten. Nach meiner Meinung ist diese Auffassung von der menschlichen Natur nur eine Projektion unserer herrschenden Kultur des Krieges auf ein abstraktes Konzept dieser »Natur«.

Wir haben versucht, diese Frage im »Seville Statement on Violence« zu klären, das vor allem auf der ethologischen Forschung von Paul Scott und der Forschung von Benson Ginsberg zur Genetik basiert. […] Im Besonderen wird dort ausgeführt, dass Autoren, die behaupten, Menschen seien von Natur aus gewaltgeneigt und selbstsüchtig, dazu neigen, Aggressivität im tierischen Verhalten zu übertreiben und gleichzeitig die Bedeutung von Kooperation zu untertreiben. Dominanz und Führerschaft bei Tieren, die in sozialen Gruppen leben, seien vielmehr durch deren Fähigkeit zu Kooperation wie zu Aggression gekennzeichnet. Das laufe nicht darauf hinaus, die Aggressivität tierischen wie menschlichen Verhaltens zu leugnen. […] Wohl aber stehe aggressives Verhalten in einem Zusammenhang von Kooperation. […] Kooperation sei wesentlich gewesen für das Überleben unserer Art (vgl. UNESCO, 1991).

Schließlich gibt es, wie ich DeRivera gegenüber vertreten habe, keine menschliche Natur. Es handelt sich um ein Konstrukt. […] Der Umstand, dass viele diese Konstruktion mit tragen, macht sie nicht wahr. Die Argumentation mir der menschlichen Natur sagt uns mehr über die Person, die sie vorbringt, als über irgendeine objektive »Wahrheit«. Und mehr über die Kultur, in die jemand hineingewachsen und eingebettet ist. […] Ähnlich hat man im 19. Jahrhundert, um die Sklaverei zu rechtfertigen, vorgebracht, es sei uns angeboren, andere auszubeuten. Zu Ende gedacht, läuft diese Argumentation darauf hinaus, dass es nicht darum geht, dass es Sklaverei geben sollte, sondern darum, dass wir die Afrikaner versklaven sollten, bevor sie uns versklaven.

Wir alle sind in einer nationalen Kriegskultur aufgewachsen, haben nie eine Kultur des Friedens kennen gelernt. Es ist schwer zu realisieren, dass die Kultur des Krieges nicht die menschliche Natur ausmacht, sondern unser Tiefenkultur.

Zweckmäßige Forschungsansätze

Bei meiner Arbeit jüngeren Datums für eine weltweite Bewegung für eine Kultur des Friedens bin ich auf mehrere relevante Bereiche gestoßen, in denen Wissenschaftler sehr wichtige Beiträge erbringen könnten. Ich möchte sie hier unter den Bezeichnungen Lehre, angewandte Forschung und Grundlagenforschung erörtern. Natürlich ist das keine erschöpfende Liste, sondern nur eine Illustration einiger Ansätze unter vielen.

Friedenslehre: Es gibt diesbezüglich einen großen ungedeckten Bedarf; z.B. identifiziert die Erhebung von Jugendorganisationen, die im Jahr 2006 für die UN-Initiative Alliance of Civilizations durchgeführt wurde, einen Bedarf an Programmen für höhere Bildung, nach denen Jugendliche eine Kultur des Friedens studieren könnten (vgl. http://decade-culture-of-peace.org). Bestehende Programme wie die Friedensuniversität in Costa Rica und die Europäische Friedensuniversität in Österreich können den Bedarf nur zu einem geringen Teil decken. Wir benötigen mehr Initiativen wie die von Alicia Cabezudo in Lateinamerika, um die Weiterbildungsmöglichkeiten in diesem zentralen Bereich zu erweitern. Und wir müssen einen weltweiten Jugend-Solidaritäts-Fonds einrichten, wie er in dem erwähnten Report vorgeschlagen wird. Damit stünden Mittel für neue Programme, für die Erweiterung bestehender Programme und für Stipendien zur Verfügung.

Angewandte Forschung: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten angewandter Forschung zur Förderung einer Kultur des Friedens. So kann z.B. die Messung einer Kultur des Friedens, obwohl ungeeignet auf der Ebene der Staaten, ein geeignetes Instrument auf kommunaler Ebene sein, weil Städte – anders als Staaten – nicht notwendigerweise in die Kultur des Krieges eingebettet sind. Ich selbst bin involviert in eine entsprechende Initiative… Ein anderes Beispiel ist das Bemühen der School of the Culture of Peace in Barcelona, auf der Grundlage des erwähnten World Civil Society-Reports eine Beschreibung von geeigneten Verfahren (best practices) für eine Kultur des Friedens zu erstellen (vgl. http://fund-culturadepaz.org/BarnaDOC/Report_of_ Good_Practices.pdf).

Grundlagenforschung: Bevor ich meine Tätigkeit bei den UN aufnahm, habe ich einige Studien in der Grundlagenforschung durchgeführt, die mir für die Entwicklung der Konzeption der Kultur des Friedens hoch bedeutsam erscheinen. Die Forschungsarbeit über die US-Militär-Interventionen im Innern habe ich bereits erwähnt. In Verbindung mit der Arbeit für das ebenfalls erwähnte »Seville Statement on Violence« bin ich unter Verwendung der Methodologie der komparativen Anthropologie der Frage nachgegangen, warum es so wenige Frauen als Krieger gibt. Grundsätzlich befürworte ich bei unserer Arbeit für eine Kultur des Friedens die wissenschaftliche Klärung relevanter Fragen mit Forschungsmethoden, die Prozesse objektiv zu erfassen geeignet sind und kausale Beziehungen erschließen lassen.

Ein besonders gutes Beispiel von Grundlagenforschung zur Kultur des Friedens sind auch zwei Studien, aus denen hervorgeht, wie eine Kultur des Krieges auf staatlichem oder Stammes-Niveau zu erhöhter Gewalt im Familien- und Gemeindeleben führt (vgl. Archer & Gartner 1984; Ember & Ember 1994). Augenscheinlich wird sie im Allgemeinen durch Lernen von Vorbildern und im Besonderen durch gezieltes militärisches Training übertragen.

Ich gehe davon aus, dass den erwähnten Forschungsarbeiten andere folgen werden und wir Zeugen eines weiteren Fortschritts zu einer wissenschaftlichen Fundierung des Übergangs von einer Kultur des Krieges zu einer Kultur des Friedens werden. Das bringt mich zurück zur Eingangsfrage meines Briefes: Wie können wir erreichen, dass unsere wissenschaftliche Arbeit im Interesse einer Kultur des Friedens frei wird von den Vorurteilen und Perspektiven einer Kultur des Krieges, die den akademischen Mainstream bestimmt? Ich glaube nicht, dass es dafür eine Zauberformal gibt. Wir brauchen vielmehr kontinuierlich Dialog und Debatten, wie ich hier zu exemplifizieren versucht habe. Dabei müssen wir darauf achten, Ideen in Frage zu stellen, nicht aber Personen, lernbereit zu sein und unsere Auffassungen bei Widersprüchen zu ändern.

Literatur

Adams, D. (1995): Internal military interventions in the United States. Journal of Peace Research, 32, 197-211. Verfügbar unter: http://www.culture-of-peace.info/intervention/title-page.html.

Adams, D. (2003): Early history of the culture of peace. A personal memoir. Verfügbar unter: http://culture-of-peace.info/history/introduction.html.

Adams, D. (2006): Culture of peace as the best alternative to terrorism. Verfügbar unter: http://www.culture-of-peace.info/terrorism/AlternativetoTerrorism.pdf.

Archer, D. & Gartner. R. (1984): Violence and crime in cross-national perspective. New Haven, CT: Yale University Press.

DeRivera, J. (2004): Assessing the basis for a culture of peace in contemporary societies. Journal of Peace Research, 41, 531-548.

Ember, C.R. & Ember, M. (1994): War, socialization and interpersonal violence: A cross-cultural study. Journal of Conflict Resolution, 38, 620-646.

Global Peace Index (2007): Rankings 2007. http://www.visionofhumanity.com

UNESCO (1991): The Seville Statement on Violence. Preparing the ground for the constructing of peace. Verfügbar unter: http://www.culture-of-peace.info/brochure/titlepage.html (dt. in Wissenschaft und Frieden, 16 (3), 1998, 25-26).

UN General Assembly (1998): Consolidated report containing a draft declaration und programme of action on a culture of peace. Verfügbar unter: http://www.culture-of-peace.info/annexes/resA-53-370/coverpage.html.

Wiener, J. (2005): Historians in trouble: Plagiarism, fraud, and politics in the ivory tower. New York: New Press.

Prof. Dr. David Adams war über zwei Jahrzehnte Professor für Psychologie an der Wesleyan University (Conneticut, USA), bevor er von 1992 bis 2001 im Auftrag der UNESCO mit der Erarbeitung des Culture of Peace-Programms als Ergänzung und Alternative zu den Peacekeeping-Aktivitäten der UNO befasst war (http://www.culture-of-peace.info).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/4 Friedenswissenschaft – Friedensbewegung – Friedenspolitik, Seite