W&F 2015/3

Biowaffen in der Pfalz

von Jürgen Nieth

„US-Armee operierte mit Biowaffen in Deutschland.“ Unter diesem Titel berichtete die BILD-Zeitung am 11.7.15: „Die US-Armee hat offenbar versehentlich mit aktiven Sporen des Biokampfmittels Anthrax (verursacht Milzbrand) bei NATO-Übungen in Deutschland operiert. Das geht aus einem Mailwechsel zwischen der deutschen Botschaft in Washington und den US-Militärs hervor.“

In fast gleichlautenden Berichten der Online-Dienste von Spiegel, Focus und FAZ wird darauf hingewiesen, „dass die Anthrax-Sporen 2007, 2009 und 2010 an das Labor der US-Armee in Landstuhl in Rheinland-Pfalz geliefert wurden. Sie seien im Rahmen »mehrerer NATO-Übungen als Proben zur Identifizierung« chemischer, biologischer und nuklearer Kampstoffe eingesetzt worden.“ (Spiegel Online, 11.7.15)

Was ist Milzbrand (Anthrax)?

Dazu die Leiterin des Gesundheitsamtes Kaiserslautern, Christiane Steinebrei: „Es handelt sich um eine Infektionserkrankung, die durch das Bakterium Bacillus anthracis verursacht wird. Das […] Bakterium bildet Sporen, die sehr widerstandsfähig sind und über Jahre infektiös bleiben können.“ Es wird unterschieden zwischen Hautmilzbrandinfektionen durch Kontakte zu erkrankten Tieren, Darmmilzbrand aufgrund des Fleischverzehrs von erkrankten Tieren und der gefährlichsten Art, dem oft tödlich verlaufenden Lungenmilzbrand, der durch Einatmen von Milzbrandsporen hervorgerufen wird. (Rheinpfalz, 16.7.15)

Zum Thema „Milzbranderreger als B-Waffe“ schreibt Alexander Stahl: „Im zweiten Weltkrieg nahmen britische Militärs auf der schottischen Insel Guida Versuche mit Milzbranderregern als biologischer Waffe vor. Noch heute ist die Insel mit dem Erreger derartig verseucht, dass das Betreten lebensgefährlich und verboten ist.“ (wissen.de/was-ist-milzbrand-anthrax)

Versand rund um die Welt

Bereits am 30.5.15 hatte das Handelsblatt berichtet, das US-Militär habe „Proben mit Milzbrand-Sporen an 24 Labore geschickt. Sporen, die das Militär für abgetötet hielt und die genau das jedoch nicht waren […] Die Proben stammen aus der Militäreinrichtung Dugway Proving Ground in Utah, wo seit 1942 chemische und biologische Waffen getestet werden.“

Wie das Handelsblatt weiter berichtete, sei zunächst von 18 belieferten Labors die Rede gewesen, tatsächlich gingen aber „Proben an insgesamt 24 Labors in elf US-Staaten sowie Südkorea und Australien“. Und es wurden noch mehr. Die Frankfurter Neue Presse vom 11.7.15 bezieht sich auf einen Bericht des SWR: „Anfang Juni hatte das US-Verteidigungsministerium in Washington mitgeteilt, dass Proben mit lebenden Anthrax-Erregern an insgesamt 51 Labore in den USA geschickt worden seien. Weitere Lieferungen gingen den Angaben zufolge nach Australien, Kanada und an einen US-Stützpunkt in Südkorea.“ Von Deutschland immer noch keine Rede. Aber das Bundesverteidigungsministerium war informiert. Es bestätigte – so obiger Bericht – dem SWR, „dass die amerikanischen Streitkräfte Anthrax-Sporen an ihr Labor in Landstuhl geschickt haben“. Gleichzeitig wiegelt das Verteidigungsministerium ab: „Bundeswehr-Mitarbeiter sind nach jetzigem Sachstand nicht gefährdet worden“, so ein Ministeriumssprecher gegenüber BILD (11.7.15).

Sorgen vor Ort

Eine ganz andere Gefahreneinschätzung haben die Verantwortlichen vor Ort. Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Landstuhl, Peter Degenhardt (CDU), zeigte sich sehr besorgt darüber, „dass es in der Stadt offenbar ein US-Labor gebe, in dem mit biologischen Kampfstoffen hantiert werde. Weder er noch die Feuerwehr wüssten, wo es sei.“ (Rhein-Zeitung, 13.7.15) Der Bürgermeister vermutet, dass das Labor im Landstuhl Regional Medical Center, der größten US-Einrichtung „ihrer Art außerhalb der USA“, liege. Ihn „plagt eine Vorstellung: ein Brand in dem Labor, in dem es möglicherweise noch aktive Sporen gibt. »Meine freiwilligen Feuerwehrleute sind 18, 19 Jahre alte Männer. Die würden in das Labor rennen, wenn es brennt, und mit dem biologischen Kampfstoff konfrontiert. Das geht doch nicht!«.“ (Neues Deutschland 17.7.15) Seine Fragen gehen aber darüber hinaus: „Wie kamen die Anthraxsporen von Rotterdam oder wo auch immer nach Landstuhl? Mit dem LKW quer durch Europa? […] Wie wird das Zeug entsorgt? Landet das womöglich in unserer Kläranlage? Für was braucht man überhaupt den Biokampfstoff Anthrax in Landstuhl? Und: Was gibt es womöglich sonst noch für andere hochgefährliche Substanzen in dem Labor?“ (Rheinpfalz, Ausgabe Kaiserslautern, 15.7.15)

Degenhardt will wissen, ob die übergeordneten Stellen informiert waren, was die rheinland-pfälzische Ministerpräsidenten, Malu Dreyer (SPD), verneint. „Dreyer zeigt sich, wie die örtliche Politik, angesichts der »möglichen erheblichen Gefährdung der Öffentlichkeit« tief besorgt. »Die Landesregierung fordert daher die US-Streitkräfte auf, über die angesprochenen Vorgänge zu informieren und sicherzustellen, dass Fehler im Zusammenhang mit der Behandlung von hoch ansteckenden Keimen künftig vermieden werden«, heißt es in einem Schreiben der Politikerin an den US-Botschafter.“ (Neues Deutschland 17.7.15) Die US-Militärgemeinde Kaiserslautern ist mit 57.000 Personen die größte Militärgemeinde außerhalb der USA, dazu gehören der Flughafen Ramstein und eben das Medical Center Landstuhl.

Informationspflicht

„Mit dem Bio-Waffen-Übereinkommen (BWÜ), das 1972 abgeschlossen wurde und 1975 in Kraft trat, gelang es erstmals, eine ganze Waffenkategorie vollständig und uneingeschränkt zu verbieten.“ (Chance für einen Neubeginn in der Biowaffenkontrolle? W&F Dossier 70, Mai 2012, siehe wissenschaft-und-frieden.de)

Über die Arbeit des US-Militärs mit Anthrax haben FAZ, Spiegel und Focus kurz und nur online berichtet, von den bundesweit erscheinenden Tageszeitungen – unserer Übersicht nach – nur Bild, das Handelsblatt und das Neue Deutschland. Eine ernst genommene Informationspflicht der Presse sieht sicher anders aus. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit der Versand aktiver Anthrax-Sporen gegen das Bio-Waffen-Übereinkommen verstößt, eine Frage, der bisher niemand nachgegangen ist. Dazu gehört des weiteren ein intensiveres Nachhaken, was die Bundesregierung zu tun gedenkt gegen Experimente mit Biowaffen auf deutschem Boden.

Jürgen Nieth

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2015/3 Friedensverhandlungen, Seite 4