Bonner Notizen 4/96
von Jürgen Nieth
»Soldatenmütter« geehrt
Der Alternative Nobelpreis geht in diesem Jahr u.a. an das »Komitee der Soldatenmütter Rußlands«. Die 1989 gegründete Bewegung wurde vor allem durch ihren Einsatz gegen den Krieg in Tschetschenien, Aktionen wie den Marsch nach Grosny und die Kampagne für ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung bekannt (siehe auch Portrait in W&F 2/96, S.66).
Die »Russischen Soldatenmütter« teilen sich den mit 250.000 Dollar dotierten Alternativen Nobelpreis mit dem griechischen Homöopathen George Vithoulkas und der indischen Vereinigung »Kerala Sastra Sahithya Parishat«, die sich zum Ziel gesetzt hat, die einheimische Sprache Malayalee zu entwickeln und das Analphabetentum zu überwinden.
Kanada vernichtet Anti-Personen-Minen
Kanada hat die Zerstörung von zwei Dritteln seiner insgesamt 90.000 Anti-Personen-Minen angekündigt. Das verbleibende Drittel soll abgerüstet werden, wenn die internationalen Verhandungen über Minen erfolgreich abgeschlossen werden. (AFP 03.10.96)
Vertrag über Raketenabwehr geplatzt
Rußland hat in letzter Minute die Unterzeichnung eines Abkommens mit den USA über Raketensabwehrsysteme abgesagt. Mit dem Zusatz zum ABM-Vertrag wollten sich beide Seiten das Recht geben, neue Abfangraketen zu erproben. 1972 hatten die USA und die UdSSR vereinbart, den Bau von Raketenabwehrsystemen zu begrenzen. Mit dem ABM-Vertrag einigten sie sich auf zwei Abwehrsysteme zum Schutz ihrer schweren Atomwaffen und Kommandozentralen, 1974 dann auf die Beschränkung, nur ein Abwehrsystem zu errichten. Nachdem die USA im Golfkrieg die Abwehrrakete »Patriot« einsetzte und Rußland die Abwehrraketen »SAM 10« und »SAM 12« besitzt, gestanden sich beide das Recht zu „relativ langsam fliegende Lenkwaffen“ zur Raketenabwehr zu bauen. „Superschnelle Raketen zur Abwehr strategischer Atomwaffen sollten verboten bleiben.“ (FR 01.11.96)
Rußland befürchtet jetzt, daß die USA eine weitere »Lockerung« der Rüstungskontrollverträge nutzen und damit die eigene »nukleare Abschreckung« unglaubwürdig wird.
Entscheidung über »Eurofighter« 1997
Für Finanzminister Waigel ist die Finanzierung des Eurofighters in den nächsten Jahren „trotz des verminderten Verteidigungsetats darstellbar.“ (FAZ 13.11.96). Rühe hatte vorher darauf hingewiesen, daß die Entwicklung des Jagdflugzeuges weit fortgeschritten sei und mit der Serienvorbereitung begonnen werden könne. Die Entscheidung soll 1997 im Bundestag fallen. Die Industrie hat für 1997 einen weiteren »Bedarf« von 392 Millionen DM für das Projekt gefordert. Im Verteidigungshaushalt sind aber »nur« 100 Millionen für das nächste Jahr eingeplant. Weder Rühe noch Waigel gingen bei den Beratungen auf die Differenz ein. Als Stückpreis des Eurofighters 2.000 – von dem die Bundesregierung 180 kaufen will – wird im Moment eine Summe von 130 Millionen DM gehandelt. (TAZ 06.11.96)
Mittelmeerstaaten gründen Eingreiftruppe
Frankreich, Italien, Spanien und Portugal haben am 09.11.96 eine Schnelle Eingreiftruppe (Eurofor) gegründet. Der Verband soll ab 1997 voll einsatzfähig sein und 15.000 Mann umfassen. Als Aufgaben der Truppe nannte der italienische Verteidigungsminster laut dpa „humanitäre Einsätze, Evakuierungen sowie Missionen zur Friedenssicherung.“
NATO-Kommandos für Europäer gefordert
Frankreich hat auf der NATO-Jahrestagung in Versailles die NATO-Kommandos in Europa für Europäer gefordert und gleichzeitig französische Ansprüche auf das Regionalkommando Süd erhoben. Dieser Posten ist für die Amerikaner aber von besonderem Interesse, da ihm auch die Sechste Flotte der US-Marine untersteht. Volker Rühe unterstützt die Forderungen der Franzosen. Ein solcher Ansatz schaffe, „die historisch bedeutsame Gelegenheit, Frankreich und auch Spanien voll in die neue NATO zu integrieren.“ (FAZ 7. und 22.11.96)
NATO: Schweiz kommt, Malta geht
Die Schweiz beteiligt sich an der »NATO-Partnerschaft für den Frieden«. Gleichzeitig erklärte die Regierung, daß die Schweiz der NATO nicht beitreten wolle. Neutralitätspolitisch sei die Teilnahme an der Partnerschaft aber unbedenklich, es handele sich um eine Absichtserklärung, die keine Bündnisverpflichtung beeinhalte. (SZ 31.10.96)
Die neue sozialdemokratische Regierung von Malta hat nach einem Reuter-Bericht vom 30.10.96 ihre Beteiligung an der erst ein Jahr alten »NATO-Partnerschaft für den Frieden« aufgekündigt. Die Labour-Party hatte den Ausstieg vor den Wahlen bereits als vorrangigen Programmpunkt erklärt.
Verständnis für Pazifisten
Ein Stuttgarter Amtsrichter hat sieben Friedensaktivisten freigesprochen, die am 4o. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima in das Gelände der europäischen Kommandozentrale der US-Streitkräfte in Stuttgart eingedrungen waren, nachdem sie vorher den Zaun durchschnitten hatten. Zur Begründung erklärte der Richter, daß schon die Lagerung von Atomwaffen gegen das Völkerrecht verstoße. Er bezog sich weiter auf die Rolle der US-Kommandozentrale im Golfkrieg und billigte den Angeklagten ein Recht auf Notwehr zu. (FR 29.10.96)
Bundeskanzler waren IM der CIA
Nach Auffassung des SPD-Politikers Egon Bahr waren alle Bundeskanzler von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl „IM der CIA“. Das würde sich bei Öffnung geheimer Akten zeigen, erklärte Bahr nach einer Meldung der Tageszeitung vom 28.10.96 auf einer Veranstaltung der Berliner Akademie der Künste. Seine 30 Jahre Erfahrungen mit Geheimdiensten in Ost und West hätten ihn gelehrt, daß alle Kanzler verdeckte Beziehungen zum amerikanischen Geheimdienst gehabt hätten.