W&F 2016/2

Braucht Frieden Ordnung?

AFK-Jahreskolloquium 2016, 3.-5. März 2016, Bonn

von Lisanne Lichtenberg und Christine Schnellhammer

Das 48. Jahreskolloquium der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) fand im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn statt und wurde in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Villigst und dem Gustav-Stresemann-Institut e.V. organisiert. Auch in diesem Jahr förderte die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) die wissenschaftliche Tagung finanziell.

Im Mittelpunkt des AFK-Kolloquiums stand die Frage nach dem Beziehungsgeflecht zwischen Frieden und Ordnung. Hier wurde unter anderem diskutiert, welchen Beitrag Ordnung zur Überwindung von Konflikten leisten kann und welchem bzw. wessen Frieden bestimmte Ordnungssysteme dienen. In der Auseinandersetzung mit diesen Fragestellungen wurden verschiedene Begriffe und Konzepte herangezogen, die sich sowohl mit staatlichen als auch mit gesellschaftlichen Formen von Ordnung und Unordnung beschäftigen. Aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und Perspektiven stellten die Vortragenden empirische Analysen mit Fallbeispielen aus Vergangenheit und Gegenwart vor, um relevante ordnungs- und friedensstiftende Faktoren aufzuspüren.

Im Fokus der Diskussionen stand häufig die Frage nach den Adressaten bzw. Garanten von Sicherheit, Stabilität und Ordnung, sowohl auf der nationalen als auch auf der internationalen Ebene. In diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass staatlichen Akteuren und internationalen Organisationen immer noch die Hauptverantwortung für die Herstellung von öffentlicher Ordnung sowie für Staatsbildungs- und Friedensprozesse zugeschrieben wird. Zugleich bestehen jedoch auch Forderungen danach, eine offene, pluralistische Perspektive einzunehmen und gesellschaftliche Akteure stärker einzubeziehen.

Die nachfolgenden Abschnitte geben einen inhaltlichen Überblick über ausgewählte Panels und Themen.

Alltägliche Praktiken von Friedensordnungen

Prof. Dr. Séverine Autesserre (Columbia University, New York/USA) eröffnete die Tagung mit einer Keynote zum Thema »Peaceland: Conflict Resolution and the Everyday Politics of International Intervention«. In ihrem Vortrag stellte sie eine Perspektive auf internationale Friedensmissionen vor, die die bestehenden Routinen und Alltagspraktiken der intervenierenden Akteure in den Blick rückte. So wurden Narrative und Handlungsmuster sichtbar, die externen Intervenierenden angesichts ihrer Befremdung Orientierung in Nachkriegsgesellschaften bieten. Derartige Praktiken würden jedoch Begegnungen mit Einheimischen erschweren und lokale Wissensbestände abwerten, anstatt lokale Expertise systematisch mit einzubeziehen und den darin liegenden Nutzen für die Herstellung von Frieden und Ordnung zu erkennen. Die Kritik der Referentin richtete sich daher insbesondere auf diese alltäglichen Handlungspraktiken, die von externen Intervenierenden als selbstverständlich und zweckmäßig angesehen werden, obwohl sie dem eigenen Anspruch zur Friedensschaffung und der Effektivität von Peacebuilding-Interventionen diametral entgegen stehen. Als zentrale Ordnungskräfte fungieren folglich häufig externe Intervenierende, die keine ausreichenden Kenntnisse über die Gegebenheiten und Strukturen vor Ort besitzen – mit weitreichenden Konsequenzen für den Erfolg friedenschaffender Missionen.

Auch einige Panels beschäftigten sich mit internationalen Peacebuilding-Interventionen und durch externe Akteure angestoßenen Statebuilding-Prozessen. Ein Vortrag untersuchte beispielsweise historische Konstanten des State- und Peacebuilding anhand verschiedener treuhänderischer Übergangsverwaltungen. Durch die Auswahl der Fallbeispiele Kamerun, Kosovo und Timor-Leste wurden sowohl die Gegenwart als auch die späte Kolonialzeit in den Blick genommen. Ein anderer Beitrag beleuchtete hingegen die Rolle, Funktion und Ziele von Intermediären, die im Rahmen internationaler Interventionen eine Mittlerfunktion zwischen externen Akteuren und lokaler Bevölkerung einnehmen. Zwar seien Intermediäre von zentraler Bedeutung für die Handlungsfähigkeit externer Akteure, der Einfluss mächtiger lokaler Interessengruppen wirke sich jedoch nicht zwingend positiv auf Friedens- und Staatsbildungsprozesse aus.

Im Laufe der verschiedenen Diskussionen über Staatsbildungs- und Friedensprozesse wurde mehrfach kritisiert, dass internationale Interventionen mit ihren auf Stabilität und Ordnung abzielenden Einsätzen häufig nur eine vorübergehende Pazifizierung der Konfliktsituation anstelle einer nachhaltigen Friedenskonsolidierung erreichen würden.

In anderen Panels stand die Beziehung zwischen Formationen politischer Ordnung und deren Anfälligkeit für Konflikte im Vordergrund. Dadurch wollten die Vortragenden Erkenntnisse darüber gewinnen, welche politischen Ordnungen und Staatsformen eher konfliktverstärkende oder aber friedensstiftende Tendenzen aufweisen. In diesem Zusammenhang wurden neben historischen Analysen auch unterschiedliche Möglichkeiten der Konfliktaustragung und der Umgang mit Widerstand thematisiert. Basierend auf zentralen Texten aus der Friedensforschung widmete sich ein weiteres Panel der theoretischen Diskussion über die Bedingungen eines Weltfriedens.

Räumliche Ordnungen von Frieden

Daneben beschäftigten sich mehrere Beiträge mit Fragen räumlicher Ordnung(en). Während ein Vortrag räumliche Aspekte der Gewalt in Kenia und die konfliktverschärfenden Auswirkungen einer sozialen Sortierung nach Ethnie und Territorium beleuchtete, untersuchte ein anderer Beitrag »sichere Räume« in Krisen- und Kriegsgebieten, die den Menschen vor Ort eine gewisse Ordnung und Sicherheit bieten. Auch die Flüchtlingsproblematik war zentraler Untersuchungsgegenstand einiger Vorträge und wurde u.a. aus raumsoziologischer Perspektive untersucht, um (begrenzte) Handlungsspielräume sowie Inklusions- und Exklusionsmechanismen aufzuzeigen. Hierbei wurde deutlich, dass sich Flüchtlinge in Räumen der Ungleichheit bewegen. Dies spiegelt sich auch in den Asylverfahren wider, deren Unordnung und Techniken ebenfalls analysiert wurden. Flucht als Herausforderung für Ordnung war außerdem Gegenstand eines Panels, das sich im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen vor allem mit den Maßnahmen der Zielländer und deren Auswirkungen auf die Herkunfts- und Transitländern beschäftigte.

Als weiterer Themenkomplex wurden Ressourcenkonflikte aufgegriffen, die in gewissen Regionen ein hohes Konfliktpotenzial aufweisen und somit eine Gefährdung für Frieden, Stabilität und Sicherheit darstellen. Anhand ausgewählter Fallbeispiele wurden sowohl gewaltgeprägte als auch gewaltfreie Ressourcenkonflikte aus raumtheoretischer, politischer und entwicklungspolitischer Perspektive analysiert.

Ordnungen jenseits des Staates

Während im Rahmen der Panels insbesondere konkrete Fallbeispiele untersucht wurden, konzentrierten sich die beiden Podiumsdiskussionen auf die Makroebene und diskutierten die derzeitige Weltordnung sowie Zukunftsmodelle für Frieden und Ordnung.

Die erste Podiumsdiskussion mit Prof. em. Dr. Dieter Senghaas, Prof. Dr. Ursula Schröder und Dr. Jörn Grävingolt zum Thema »Friedensordnung in einer zerklüfteten Welt« legte den Fokus auf aktuelle Entwicklungen und die Frage nach zukünftigen Modellen für eine friedliche neue Weltordnung. Die Redner*innen stimmten überein, dass sich auf globaler Ebene eine zunehmende Heterogenität an Ordnungssystemen herausbilde – sowohl innerhalb wirtschaftlich und gesellschaftlich ähnlich strukturierter Ländergruppen als auch durch die wachsende Zahl von Staaten, die von Zerfallsprozessen geprägt sind. Gleichzeitig würden Staaten in ihrer zentralen Funktion für die Herstellung von Sicherheit und Ordnung zunehmend von nicht-staatlichen Akteuren und von lokalen Formen der Konfliktlösung unterhalb der Staatsebene abgelöst. Im Hinblick auf die derzeitige Erosion der internationalen Ordnung müsse zukünftig die Frage nach alternativen Ordnungsmodellen jenseits des westlichen Staatensystems diskutiert werden, hob Prof. Dr. Schröder hervor.

Den Abschluss der Tagung bildete das Plenum »Hegemonie, Anarchie oder Weltgesellschaft? Weltordnungsmodelle für das 21. Jahrhundert«. Auf dem Podium diskutierten Prof. a.D. Dr. Ulrich Menzel, Dr. Corinna Hauswedell und Prof. Dr. Dirk Messner über die Frage nach einer neuen internationalen Ordnung vor dem Hintergrund aktueller Zerfallsprozesse. Als Kennzeichen der derzeitigen Phase eines tiefgreifenden Umbruchs der Weltordnung wurden der Niedergang der USA, die Ausbreitung von Gewaltökonomien, Chinas Aufstieg sowie die Entstehung einer »post-westlichen« Welt genannt. Im Hinblick auf zukünftige Ordnungsstifter wurde ein radikaler Perspektivwechsel von der staatlichen Ebene auf Akteure jenseits des Staates gefordert. Zudem seien neue Ordnungen, Prinzipien und Normen nötig.

Verleihung des Christiane-Rajewsky-Preises 2016

Einen Höhepunkt der Tagung stellte die Verleihung des Christiane-Rajewsky-Preises 2016 dar. In diesem Jahr wurden zwei herausragende Arbeiten geehrt, die eine juristische Perspektive auf die Friedens- und Konfliktforschung eröffnen, indem sie sich mit Rechtsvorstellungen und Rechtskonstruktionen befassen. Dr. Evelyne Schmid erhielt den Christiane-Rajewsky-Preis für das aus ihrer Dissertation an der Universität Basel hervorgegangene Buch »Taking Economic, Social and Cultural Rights Seriously in International Criminal Law«. Dorte Hühnert wurde der Preis für ihre Masterarbeit mit dem Titel »New Kind of War – New Kind of Detention? How the Bush Administration Introduced the Unlawful Enemy Combatant« (Goethe-Universität Frankfurt am Main) verliehen.

Aus der AFK

Die Mitgliederversammlung der AFK beinhaltete unter anderem die Wahl eines neuen Vorstands für die kommenden zwei Jahre: Prof. Dr. Conrad Schetter (BICC) wurde als Vorsitzender der AFK bestätigt; als stellvertretende Vorsitzende wurde Prof. Dr. Bettina Engels (FU Berlin) gewählt. Hauptthema der Mitgliederversammlung war die Suche nach einem neuen Standort für die Geschäftsstelle ab 1. Juli 2016.

Das Netzwerk Friedensforscherinnen und die Arbeitskreise (AK) der AFK – AK junge Wissenschaftler*innen und AK Curriculum & Didaktik – nutzten die Tagung für den Austausch über inhaltliche Themen und zukünftige Projekte. Der AK Herrschaftskritische Friedensforschung und der AK Natur, Ressourcen, Konflikte boten darüber hinaus inhaltliche Panels zum Tagungsthema an. Außerdem wurde ein Arbeitskreis für Empirische Methoden der Friedens- und Konfliktforschung gegründet.

Lisanne Lichtenberg und Christine Schnellhammer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/2 Stadt im Konflikt – Urbane Gewalträume, Seite 59–60