W&F 2001/4

China im Umbruch

von Susanne Feske

China befindet sich im Umbruch – wohl kaum ein Staat sieht sich so vielen Konflikten, Widersprüchen und Herausforderungen gegenüber wie die Volksrepublik. Und dennoch: Bislang lässt sich nicht erkennen, dass China von seinem bisherigen innen- und außenpolitischen Kurs abweicht oder Zeichen der Instabilität aufweist. China befindet sich auf dem Weg, eine globale Hegemonialmacht zu werden, die die Vormachtstellung der USA herausfordern kann. Es liberalisiert seine Wirtschaft, während es gleichzeitig politische Reformen ablehnt und mit unerbittlicher Härte gegen jede Art von Dissidenten vorgeht. Es steht kurz davor, Mitglied in der Welthandelsgesellschaft (WTO) zu werden; es weist höhere Wirtschaftswachstumsraten als Japan und Südkorea auf. Und in China werden so viele Todesurteile vollstreckt, wie in allen anderen Ländern der Welt zusammen. Der US-Außenminister Powell bezeichnete China als »einen Freund« der USA. Trotzdem ist von einem neuen Kalten Krieg zwischen den USA und China die Rede. China ist in vielfältiger Weise in multilaterale Dialoge der ASEAN eingebunden. Dennoch empfinden viele südostasiatische Staaten die Volksrepublik als die größte Bedrohung für Sicherheit und Stabilität in ihrer Region. Kann man das »Rätsel China« erklären?
Mit großer Spannung wird im Land selbst, aber auch auf internationaler Ebene der 2002 stattfindende Parteikongress erwartet, auf dem sich erweisen soll, ob die regierende Kommunistische Partei Chinas sich den neuen nationalen und globalen Herausforderungen stellen kann. Innenpolitisch gilt es vor allem, die eigene Machtbasis zu erhalten und sich als glaubwürdige, handlungsfähige politische Kraft zu präsentieren. Nach außen gilt es, angemessene Antworten auf die Herausforderungen der ökonomischen Globalisierung und der rasanten technologischen Entwicklung zu finden und sich im globalen Kräftespiel zu behaupten.

Staatspräsident Jiang Zemin hat es sich zum Ziel gesetzt, das Schicksal anderer KPs, besonders das der sowjetischen, zu vermeiden. Ein Öffnungsprozess soll in geordneten Bahnen verlaufen und findet seine klaren Grenzen in der Beibehaltung des Ein-Parteien-Systems.

Im Vorfeld des Parteikongresses und auf Druck der Öffentlichkeit hat die Regierung dem angeblich schlimmsten Übel der chinesischen Gesellschaft den Kampf angesagt: der Korruption. Auf allen Ebenen werden Vergehen in diesem Zusammenhang mit schweren Strafen geahndet. Dazu gehört auch die Bekämpfung der Korruption in den eigenen Reihen. Auch ranghohe Parteikader werden zur Verantwortung gezogen und unter großer Aufmerksamkeit der Medien wird in schweren Fällen sogar die Todesstrafe vollstreckt.

Aber Korruption ist nicht das einzige Übel, dem sich Chinas Regierung gegenübersieht. Zu der langen Liste von Problemen gehören politische Opposition, religiöse und ethnische Minderheiten und zunehmend auch soziale Probleme wie Armut und Arbeitslosigkeit. Die politische Führung setzt bei der Bewältigung dieser Probleme in erster Linie auf Gewalt: Unrechtmäßige Verhaftungen und Verurteilungen, Folter und Todesstrafe gehören zur Tagesordnung.

Die politische Opposition deckt ein weites Spektrum ab, das von Forderungen nach Reformen innerhalb der Partei bis hin zu Demokratisierungsbewegungen reicht. Nach der blutigen Niederschlagung der Studentendemonstrationen auf dem Tiananmen-Platz am 4. Juni 1989 konnte sich jedoch nicht wieder eine ähnlich geeinte und geschlossene Protestbewegung bilden. Am 10. Jahrestag des Ereignisses 1999 kam es zu keinen nennenswerten Zwischenfällen. Im Oktober des gleichen Jahres hingegen fanden auf dem Tiananmen-Platz die öffentlichen Feiern zum 50. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik statt, aus deren Anlass auch die erste Militärparade seit 15 Jahren abgehalten wurde. Der Regierung war es gelungen, mehr als 1,5 Millionen Menschen für dieses Ereignis zu mobilisieren. Dennoch gibt es in vielen Teilen der Bevölkerung Unmut über die herrschenden politischen Verhältnisse.

Eine neue Gefahrenquelle sieht die politische Führung in der Tatsache, dass die politische Opposition sich mehr und mehr des Internet bedient, um Informationen zu erhalten oder zu verbreiten. Der Versuch einiger Dissidenten, eine pro-demokratische Website einzurichten, endete mit der Schließung dieser Seite und der Verhaftung und Anklage von Internetnutzern. Im Jahr 2000 erließ die Regierung neue Richtlinien, um die Nutzung des Internet zu kontrollieren. Auch verbietet sie regelmäßig Nachrichtendienste und Diskussionsforen. Freie Meinungsäußerung im Internet wird als »staatsschädigende« Aktivität verfolgt und mit schweren Strafen geahndet.1

Ein weiteres Problem sieht die chinesische Führung in den Aktivitäten von religiösen Minderheiten. Große internationale Aufmerksamkeit erfährt der Umgang der Regierung mit der religiösen Sekte Falun Gong, die innerhalb weniger Jahre eine große Zahl von Anhängern in China, aber auch weltweit, fand.

Am 22. Juli 2000 erklärte sie die Falun Gong-Sekte zu einer illegalen Organisation. Als Reaktion kam es zu schweren Ausschreitungen auf dem Tianamen-Platz, bei denen es zahlreiche Tote und Verletzte gab. Sektenmitglieder werden regelmäßig zu hohen Strafen verurteilt. Trotz internationaler Proteste bleibt die chinesische Führung bei der unnachgiebigen Verfolgung der Sektenmitglieder. Zunehmend wird die Sekte auch zu einem außenpolitischen Problem.

Falun Gong ist sicher das prominenteste Beispiel für religiöse Verfolgung. Weniger spektakulär, aber nicht weniger drakonisch ist der Umgang mit anderen Religionsanhängern, insbesondere protestantische und katholische Christen und Moslems.

Ein dritter Konfliktherd sind ethnische Spannungen. Zu den »Problemregionen« Chinas gehören vor allem Tibet und Xinjang. Die größte internationale Aufmerksamkeit erfährt Tibet, nicht zuletzt wegen seines charismatischen und reiselustigen Dalai Lama. Seit mehr als 20 Jahren kämpft in Tibet erneut eine Unabhängigkeitsbewegung für eine Loslösung von China, das die tibetische Religion und Kultur unterdrückt und zu großen Teilen vernichtet hat. Zu den Mitgliedern der Unabhängigkeitsbewegung zählen auch viele Mönche und Nonnen. Das nimmt die chinesische Führung zum Anlass, ihre Kontrolle über die Klöster weiter auszudehnen und damit gleichzeitig die lamaistische Religionsausübung einzuschränken. Weit weniger Aufmerksamkeit erfahren die Unruhen in der Autonomen Uighurischen Region Xinjiang, die vorwiegend von Moslems bewohnt wird. Die zunehmende wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Benachteiligung dieser Region führte zu Auseinandersetzungen zwischen Uighuren und der Regierung in Beijing.2 Ein vierter und relativ neuer Konfliktherd für China sind soziale Unruhen.

Mit der Liberalisierung der Wirtschaft gehen soziale Probleme einher, für die die Regierung bislang noch keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen hat. Aufgrund fehlender Sozialfürsorge beispielsweise muss die wachsende Zahl der Arbeitslosen ein Leben am Rand des Existenzminimums fristen. Arbeiter erhalten oft monatelang keinen Lohn und es fehlen Hilfsmaßnahmen für Bauern, die von schweren Dürrekatastrophen heimgesucht wurden. Die daraus entstehenden Unruhen werden lediglich mit der Anwendung und Anordnung von Gewalt beantwortet.

Angesichts dieser Vielzahl von Problemen und Unruheherden kommt amnesty international in ihrem Jahresbericht 2001 zu dem Urteil, dass sich die Menschenrechtssituation in China nicht verbessert hat. Zwar hat die Volksrepublik eine Reihe von internationalen Abkommen zur Einhaltung von Menschenrechten unterzeichnet und unterhält mit einigen Ländern – so auch mit den USA – einen so genannten Menschenrechtsdialog. Angesichts der politischen Realität im Land drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass all diese Maßnahmen nur dazu dienen sollen, Chinas internationales Ansehen zu verbessern. In der Substanz bleibt die Regierung bei ihrem harten Kurs, in dem sie die einzige Möglichkeit sieht, Ruhe und Ordnung und letztlich ihre eigene Machtbasis aufrechtzuerhalten.

Die wirtschaftlichen Erfolge der Volksrepublik können sich indes sehen lassen. Das durchschnittliche jährliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukts lag in den Jahren 1990-98 bei 11,2 %. Damit liegt die Volksrepublik weit vor den ostasiatischen Tigerstaaten Südkorea (6,1 %) und Taiwan (6,5 %) und noch deutlicher vor Japan (1,5 %).3 Schätzungen des IMF zufolge liegen die Wachstumsraten für das Jahr 2001 bei 7,3 %, das ist höher als die Rate aller wichtigen Industrieländer weltweit. Der Vergleich des jährlichen Pro-Kopf-Einkommens führt indes zu einem anderen Bild. In der Volksrepublik liegt es bei 750 US-$, in Japan bei 32.350, in Südkorea bei 8.600 und in Taiwan bei 13.325 US-$. Es ist allerdings deutlich höher als das Pro-Kopf-Einkommen vieler »Entwicklungsländer« in Asien. Als Beispiele seien hier Indien (440 US-$), Vietnam (350 US-$) und Kambodscha (250 US-$) genannt. Die Höhe des Pro-Kopf-Einkommens lässt jedoch wenig Rückschlüsse über die Einkommensverteilung zu. Angesichts der wachsenden Armut vieler Teile der Landbevölkerung, der Arbeitslosen und der Beschäftigten in weniger erfolgreichen Branchen oder Regionen ist zu erwarten, dass sich das Wohlstandsgefälle zwischen Arm und Reich weiter vergrößert. Damit werden auch die sozialen Spannungen zunehmen.Die asiatische Finanzkrise von 1997 traf China bei weitem nicht so hart wie andere Länder der Region. Sie blieb jedoch nicht völlig ohne Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft. So gingen die Exportraten in andere asiatische Länder drastisch zurück und der Zufluss ausländischer Investitionen verringerte sich erheblich. Hinzu kamen besonders in den letzten Jahren eine schwache Inlandsnachfrage bei sinkenden Preisen sowie eine Reihe von strukturellen negativen Faktoren wie der defizitäre staatliche Sektor und die technisch gesehen insolventen Staatsbanken.4Chinas Außenbeziehungen bewegen sich in dem Spannungsfeld von Konflikt und Kooperation, zumindest was die Beziehungen zu seinen unmittelbaren Nachbarn in Südostasien anbelangt.5 Während China in einer ganzen Reihe von Institutionen, informellen und formellen Dialogforen mit den zehn südostasiatischen Staaten eingebunden ist, ist die Liste von bilateralen Konfliktpunkten zu vielen der südostasiatischen Staaten lang.

Historisch gesehen war das Verhältnis Chinas zu seinen südostasiatischen Nachbarn schwierig. China betrachtet die Region als traditionell zu ihrer Einflusssphäre gehörend. Die südostasiatischen Länder hingegen reagieren empfindlich auf die Versuche Beijings eine dominierende Rolle in der Region zu spielen. Kompliziert wurden die Beziehungen zusätzlich durch den Umstand, dass in den meisten südostasiatischen Ländern größere chinesische Minderheiten leben, die lange Zeit als »Fünfte Kolonne Beijings« galten und generell Ressentiments hervorriefen. Die Reaktionen darauf (und sicher auch verursacht durch Sozialneid, den die durchweg wohlhabenden Chinesen hervorrufen) weisen das gesamte Spektrum von Diskriminierungen über Verfolgungen bis hin zu Pogromen auf. In der heißen Phase des Kalten Krieges unterstützte die Volksrepublik finanziell und moralisch die in den Ländern operierenden kommunistischen Guerillabewegungen, was zu einer Verschärfung dieses Konflikts führte. Beide Seiten versuchen heute, ihre Beziehungen auf eine kooperative Grundlage zu stellen.

Die Beziehungen zwischen China und der ASEAN haben sich nicht nur stabilisiert, sondern sie bewegen sich in verschiedenen Bereichen in Richtung einer stärkeren Institutionalisierung. Bereits jetzt gibt es neben der Mitgliedschaft Chinas im ARF (ASEAN Regional Forum) eher informelle Foren, in denen die ASEAN-Staaten auf Minister- oder Gipfelebene regelmäßig mit ihren chinesischen Amtskollegen zusammentreffen. Dies sind das ASEAN-Plus-Drei-Treffen (gemeinsam mit Japan und Südkorea), die ASEAN-China-Gipfeltreffen und das ASEAN-China-Treffen über einen »Code of Conduct« im Südchinesischen Meer. Zusätzlich hat China die Errichtung einer Freihandelszone zwischen ASEAN und China vorgeschlagen. Damit will die chinesische Führung die Besorgnis der ASEAN-Staaten zerstreuen, dass die zukünftige Mitgliedschaft Chinas in der WTO negative ökonomische Folgen in der Region mit sich bringen könnte. Ferner wird darüber nachgedacht, die ASEAN-Plus-Drei-Gipfeltreffen stärker zu formalisieren und sie in ein ostasiatisches Gipfeltreffen umzuwandeln. An dieser Serie multilateraler Aktivitäten zeigt sich eine gewandeltes außenpolitisches Profil Chinas, das lange Zeit auf rein bilateralen Kontakten bestanden hatte.

In den bilateralen Beziehungen zeigt sich jedoch deutlicher das Konfliktpotenzial, das zwischen China und einzelnen Staaten der Region besteht. Im Wesentlichen sind es hier drei Bereiche, in denen die Volksrepublik ihre Interessen gegenüber den südostasiatischen Staaten durchzusetzen sucht:

  • die ideologische Differenz zwischen China und Vietnam und die daraus resultierende Konkurrenz um Einflussnahme in Laos und Kambodscha,
  • der Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer
  • und das Problem der Falun Gong-Sekte.

Die Beziehungen zu Vietnam haben sich mit der Unterzeichnung einer Vereinbarung über militärischen Austausch und verstärkte Zusammenarbeit in sicherheitspolitischen Fragen weiter entspannt. Grundlage hierfür war die Unterzeichnung eines Abkommens über die Demarkation des maritimen Territoriums im Golf von Tonkin. Eine Einigung über die seit Jahrzehnten umstrittenen Territorialansprüche kann als historischer Meilenstein gewertet werden. Trotz dieser Annäherung wird in der Politik Chinas gegenüber Kambodscha und Laos deutlich, dass China den vietnamesischen Einfluss zurückdrängen will um sich selbst ein stärkeres Mitspracherecht in der Region zu sichern und so seinen historisch begründeten Hegemonialanspruch zu unterstreichen. In der Strategie zur Umsetzung dieser Ziele setzt China vorrangig auf wirtschaftliche Mittel.

Kambodscha zählt zu den Empfängern der höchsten Entwicklungshilfe, die China anderen Staaten gewährt. Und im Gegensatz zu den westlichen Geberländern, die ihre Hilfsleistungen beispielsweise an die Einhaltung bestimmter Menschenrechtsstandards knüpfen, stellt China keine derartigen Bedingungen. Mit diesen großzügigen Hilfsleistungen verbindet China die Erwartung, die enge Bindung der Hun-Sen-Regierung an Vietnam zu lockern.6

Wirtschaftliche Mittel setzt China auch in Laos ein, in dessen regierender kommunistischer Partei (Lao People’s Revolutionary Party, LPRP) offensichtlich ein Flügelkampf zwischen den pro-chinesischen und den pro-vietnamesischen Fraktionen ausgetragen wird. 1999 beispielsweise, als in Laos eine Wirtschaftskrise drohte, gewährte China zinsfreie Darlehen und andere Hilfsleistungen, um die laotische Wirtschaft zu stabilisieren.

Auf politischer Seite betont China immer wieder seine Unterstützung für die laotische Regierung in ihrem Kampf gegen Regimegegner, zu denen hauptsächlich Angehörige der Hmong-Minderheit gehören. Zu diesem Zweck fördert es die Modernisierung der laotischen Armee besonders für Aufgaben der Aufstandsbekämpfung. An angekündigten Veränderungen in der politischen Führung lässt sich eine Dominanz des pro-chinesischen Flügels erkennen7, so dass die chinesischen Bemühungen hier bereits die ersten Erfolge zeitigen.

Im politischen Bereich hat es China in Kambodscha wesentlich schwerer. Zwar gibt es starke, bis weit in die Geschichte zurückreichende Animositäten gegenüber Vietnam, aber besonders in den letzten Jahren wird China von Teilen der Bevölkerung wegen Beijings jahrelanger Unterstützung für das Terrorregime der Khmer Rouge angeklagt. Die Forderungen an China reichen von einer öffentlichen Entschuldigung bis hin zu Entschädigungen für die Opfer. Die chinesische Regierung nimmt diese Forderungen nicht zur Kenntnis und übt statt dessen Druck auf die Regierung in Phnom Penh aus, ein internationales Straftribunal zur Untersuchung der Khmer-Rouge-Verbrechen zu verhindern. China befürchtet, auf einem solchen von den Vereinten Nationen geforderten Tribunal für seine Unterstützung der Khmer Rouge zur Rechenschaft gezogen zu werden. Anders als in Laos, wo China an ideologische Gemeinsamkeiten mit der dort regierenden kommunistischen Partei anknüpfen kann, handelt es sich bei Kambodscha um einen Staat auf dem Wege der Demokratisierung. Chinas Bemühungen um Einflussnahme sind deshalb politische Grenzen gesetzt.

Auf die im Südchinesischen Meer gelegenen Spratly-Inseln (wobei es sich vielfach nur um Riffe handelt) erhebt China territoriale Ansprüche. Teile der Inselkette werden jedoch auch von Vietnam, Taiwan, den Philippinen, Malaysia und Brunei beansprucht. Die Inseln liegen in einem strategisch wichtigen Gebiet und verfügen außerdem über einen großen Fischreichtum. Vermutet werden ferner Erdöl- und Erdgasvorkommen. Völkerrechtlich eindeutig lassen sich die sich überlappenden Gebietsansprüche nicht klären. Die Volksrepublik hatte lange Zeit darauf bestanden, nur auf bilateraler Ebene über die Inseln zu verhandeln. Seit einigen Jahren finden jedoch multilaterale Verhandlungen im Rahmen des ARF, des »Code of Conduct«-Forums und der von Indonesien initiierten Workshops statt.

Ein entscheidender Durchbruch ist trotz der Entwicklung unterschiedlicher Konfliktlösungsmodelle bislang nicht erzielt worden. Immer wieder belasten Zwischenfälle die Beziehungen zwischen China und den anderen Anspruch erhebenden Staaten (mit Ausnahme Bruneis). In den letzten Jahren betraf dies insbesondere die Beziehungen zu den Philippinen. Zu den Zwischenfällen gehörten illegaler Fischfang, in letzter Zeit auch zunehmend Drogenschmuggel durch chinesische Banden, in den nach Einschätzung philippinischer Politiker auch Angehörige der chinesischen Volksbefreiungsarmee verwickelt sind. Regelmäßig werden darüber diplomatische Protestnoten ausgetauscht. Die neue philippinische Präsidentin Arroyo bemüht sich gegenwärtig, den Konflikt zu entschärfen und die Beziehungen zu China grundlegend zu verbessern.

Die Falun-Gong-Sekte, die China zu einem »bösen Kult« erklärt hat, ist für die Volksrepublik nicht nur ein innenpolitisches Problem. Die Sekte hat in den chinesischen Minderheiten anderer Länder weltweit tausende von Anhängern, die regelmäßig gegen die Verhaftung von Glaubensbrüdern durch die chinesischen Behörden protestieren. China wiederum übt erheblichen Druck auf die jeweiligen Länder aus, Falun Gong ebenfalls zu verbieten, was diese Staaten als Einmischung in die inneren Angelegenheiten und als Verstoß gegen das Recht der Religionsfreiheit auf das Schärfste zurückweisen. In Südostasien wird diese Auseinandersetzung besonders mit Thailand ausgetragen. Der thailändische Premierminister Thaksin hat erklärt, dass dieser Konflikt nicht nachhaltig die chinesisch-thailändischen Beziehungen belasten sollte. Gegenwärtig scheint sich aber eher eine Eskalation anzubahnen, denn die chinesische Regierung drohte mit Einfuhrbeschränkungen für thailändische Agrarprodukte als Vergeltung für die unnachgiebige thailändische Haltung.

Die Beziehungen zwischen China und Südostasien ergeben ein ambivalentes Bild. China ist darum bemüht, seinen Einfluss in der Region zu vergrößern. Begünstigt wird dieses Ziel durch die Asien-Politik der neuen US-amerikanischen Regierung unter George W. Bush. Aus Sicht der meisten südostasiatischen Staaten hat die Regierung weder ein kohärentes Konzept noch ein artikuliertes Interesse, sich stärker in dieser Region zu engagieren. Dennoch können Jahrzehnte und teilweise Jahrhunderte alte Animositäten und ideologische Differenzen nicht einfach überwunden werden. Hinzu kommt, dass viele südostasiatische Staaten in der Modernisierung der chinesischen Streitkräfte und in der konfrontativen Politik Beijings im Spratly-Konflikt Anzeichen dafür sehen, dass China eine Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität in der Region darstellen könnte. Vertrauensbildende Maßnahmen, wie sie etwa im Rahmen des ARF vereinbart werden, können diese Wahrnehmung allenfalls schrittweise abbauen.

An den innen- und außenpolitischen Problemen Chinas wird sichtbar, dass wirtschaftliche Erfolge allein nicht ausreichen um das Land zu stabilisieren und ihm einen gleichberechtigten Platz neben anderen Großmächten in der internationalen Gemeinschaft zu sichern.

Anmerkungen

1) amnesty international, Jahresbericht 2001.

2) Far Eastern Economic Review, 13.4.00, S. 24f. »Hear Our Prayer«.

3) Zahlen aus Asia Yearbook 2001 des Far Eastern Economic Review.

4) Vgl. Margot Schüller: VR China, in: Wirtschaftshandbuch Asien-Pazifik 1999/2000, S. 121-151 (128).

5) An dieser Stelle soll nur auf diesen Eckpunkt der chinesischen Außenbeziehungen eingegangen werden, da die anderen wichtigen Beziehungen in Einzelbeiträgen dieses Heftes ausführlich behandelt werden.

6) Premierminister Hun Sen, ein früheres Mitglied der Khmer Rouge, war in den siebziger Jahren nach Vietnam geflohen und im Zuge der vietnamesischen Okkupation Kambodschas 1979 von Hanoi als Premierminister in Phnom Penh eingesetzt worden.

7) Charlyle A. Thayer: Regional Rivalries and Bilateral Irritants, in: Comparative Connections, 3rd Quarter 2000 (www.csis.org/pacfor/cc/0101Qchina_asean.html).

Dr. Susanne Feske ist Professorin für Politwissenschaften an der Universität Münster mit dem Schwerpunkt Politik Südostasiens

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2001/4 China im Umbruch, Seite