W&F 2010/3

Chronologie

Die antimilitaristischen und feministischen Frauenwiderstandscamps in Reckershausen im Hunsrück (1983 bis 1993/1994)

von Christiane Leidinger

Der Widerstand gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper im Hunsrück war vielfältig und phantasievoll was die Protestformen betraf. Örtlich und regional war ehr gut verankert und international fand er eine breite Unterstützung. Die Illustration in dieser W&F-Ausgabe vermittelt einen Eindruck von diesem Widerstand. Christiane Leidinger hat sich in der letzten Ausgabe von W&F (2-2010) mit der Bedeutung des Frauenwiderstands im Hunsrück befasst. Die folgende Chronologie soll noch einmal den langen Atem dieser Protestbewegung verdeutlichen.

4.-9.10.1982 6. Sommeruniversität der Frauen »(Über)lebensstrategien«. Die Idee eines Frauenwiderstandscamps wird in einer größeren feministischen Öffentlichkeit diskutiert.

11.-16.4.1983 Kongress von der »Aktion Gegenwind«. Der Kongress wird von Münchnerinnen organisiert; in dessen Rahmen findet ein Workshop zum Frauencamp statt.

15.7.-15.8.1983 Frauenwiderstandscamp bei Reckershausen im Hunsrück. Am Camp nahmen fast 2000 Frauen aus allen Teilen der Republik teil. Zu Beginn des Camps lebten dort unter der Woche ca. 150-200 Frauen, an Wochenenden einige mehr.

30./31.7.1983 Aktionswochenende des Camps. Es kamen 600 Frauen, um sich an einer Protestaktion in Hasselbach zu beteiligen.

18.-20.11.1983 Frauenaktionswochenende in Hasselbach.

1.12.1983 Frauendemo in Berlin. Nach der Vergewaltigung und Ermordung von Susanne Matthes demonstrierten ca. 2.000 Frauen in Berlin. Susanne Matthes wurde in der Nacht zum 24. November 1983 auf dem Nachhauseweg von einer Frauendisco ermordet. Wenige Monate zuvor hatte sie am Frauenwiderstandscamp teilgenommen.

2.7.-31.8.1984 2. Frauenwiderstandscamp. Das Camp wird am 2.7. auf der Reifenmühle bei Mörz eröffnet und am 10.7. wegen zu großer Abgeschiedenheit verlassen. Alternativ werden die Zelte wieder auf der Wiese in Reckershausen aufgeschlagen; der verlangte Bauantrag (!) für das Camp war zwar bereits gestellt, aber noch nicht beschieden worden. Am Camp nehmen rund 1.000 Frauen aus dem In- und Ausland teil. Während der Camp-Zeit wird am 4.8. die junge Hunsrückerin Nicola Stiel vergewaltigt und ermordet. Camp-Frauen organisieren u.a. am 7.8. einen Trauerzug durch Simmern, an den sich viele Hunsrückerinnen anschließen. Plakatüberschrift „Frauenwiderstand im Hunsrück“, Plakatuntertitel: „Frauenmacht gegen Männergewalt, Kriegsvorbereitung und Cruise Missiles“, Plakataufschrift: „Aktionswochenende am 4./5. August“.

4./5.8.1984 Hiroshima-Tag: Aktionswochenende des Camps.

17.11.-25.11.1984 »Asphaltcamp« in Berlin. Berliner Campfrauen veranstalten in Berlin ein bundesweites Treffen zum Thema „Widerstand am Alltag“.

11.2.1985 bis etwa 1987 Erster Camp-Prozess und weitere Auseinandersetzungen mit der Justiz.

9.8.-8.9.1985 Frauenwiderstandscamp in Reckershausen im Hunsrück. Auf einer Ankündigung heißt es: „Frauenwiderstandscamp [überschrieben mit] „Wiederlebens-Camp“, die Plakataufschrift lautete: „Frauen kommt hin“.

Oktober 1985 Hunsrücker Mahnwache wird zum festen Wohnsitz. Die Mahnwache im Hunsrück wird mit einem festen Wohnsitz angemeldet; Campfrauen stellen einen ausgebauten Wohnwagen vor das Haupttor der B-Battery, um eine Dauermahnwache einzurichten.

11.7.-25.8.1986 4. Frauenwiderstandscamp in Reckershausen im Hunsrück. Schon während der Vorbereitungstreffen zum Camp ist die Atomreaktorkatastrophe von Tschernobyl ein wichtiges Thema. Des Weiteren wird das Camp wieder »als Frauenland« thematisiert. Explizit spielen verschiedene Identitäten eine Rolle, genannt werden: die „Identität als Frauen“, „als Lesben, als Widerständige, als Deutsche, als Weiße und als spirituelle Frauen“ Plakatslogan: „Zwischen der Vergewaltigung einer Frau und der Eroberung eines Landes und der Zerstörung der Erde besteht kein wesentlicher Unterschied“.

Mitte Juli 1986 Polizeiliche Räumung der Dauermahnwache an der »Todesbasis Hasselbach«. Die Dauermahnwache, die zwei Frauen vor dem Tor des Stationierungsgeländes der Cruise-Missiles hielten, wird in deren Abwesenheit polizeilich geräumt.

17.7.-31.8.1987 5. Frauenwiderstandscamp in Reckershausen im Hunsrück.

15.7.-29.8.1988 6. Frauenwiderstandscamp in Reckershausen im Hunsrück.

7.7.-27.8.1989 7. Frauenwiderstandscamp in Reckershausen im Hunsrück. Plakat-Aufschriften: „Frauen Lieben Leben“, „der unbändige Wille lebendig zu sein ist unsere Stärke“, „gegen zerstörung von frauen und frauenidentität“.

12./13.8.1989 Aktionswochenende des Camps.

6.7.-28.8.1990 8. Frauen-Widerstandscamp in Reckershausen im Hunsrück.

6.7.-28.8.1991 9. Lesben-Frauen-Mädchen-Widerstandscamp in Reckershausen im Hunsrück.

5.7.-31.08.1992 10. Frauen-Widerstandscamp im Hunsrück.

5.7.-31.8.1993 11. Frauen-Lesben Widerstandscamp in Reckershausen im Hunsrück.

Ankündigung für den 6.7.-28.8.1994 Dieses 12. „Lesben-Frauen-Mädchen-Widerstandscamp in Reckershausen im Hunsrück“ fand nicht mehr statt.

Anmerkung

Die Daten dieser (unvollständigen) Chronik basieren auf Aufrufen, Briefen, Broschüren, Einladungen, Flugblättern, Plakaten, Protokollen v.a. aus Privatarchiven (u.a. Sammlungen von Ulrike Braun, Maria Finnemann und Claudia Koppert) sowie auf Literatur, die in der Vollversion der Chronologie unter www.wissenschaft-und-frieden.de abrufbar ist.

Christiane Leidinger ist freischaffende, promovierte Politikwissenschaftlerin. Sie lebt, lehrt und forscht v.a. in Berlin. Aktuelles Projekt: Widerstandskonzeptionen von alten und neuen sozialen Bewegungen im 20. Jahrhundert.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2010/3 Afghanistan: Krieg ohne Ende, Seite 57–58