W&F 2022/4

ConTrust: Peace Politics and Trust in Conflict

HSFK-Jahreskonferenz 2022, Frankfurt am Main/hybrid, 23. März 2022

Nicht erst seit Beginn der Covid-19-Pandemie hat das Thema Vertrauen eine neue Bedeutung in gesellschaftlichen und (politik-)wissenschaftlichen Debatten und Analysen erlangt. Mit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 fragen sich viele, ob Vertrauen überhaupt noch irgendeine Relevanz und Rolle in zwischenstaatlichen Beziehungen spielen kann. Die Jahreskonferenz der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) mit dem Titel »ConTrust: Peace Politics and Trust in Conflict«, die am 23. März 2022 stattfand und durch den vier Wochen zuvor begonnen Krieg in der Ukraine überschattet wurde, beleuchtete das Konzept Vertrauen intensiv mit Blick auf dessen Rolle für eine friedliche Ordnung, sowohl internationaler als auch innergesellschaftlicher Natur.

Zu den auf der Konferenz häufig diskutierten Punkten gehörte insbesondere, was man unter dem Konzept Vertrauen verstehen kann und wie sich Vertrauen empirisch manifestiert. In den Konferenzdiskussionen haben sich auch die in der Literatur häufig gegenüberstehenden Positionen eines stark rational orientierten Vertrauensbegriffs und eines eher weicheren Verständnisses von Vertrauen aufgetan: Während einige Teilnehmer*innen davon überzeugt waren, dass auch Akteur*innen mit dem erstgenannten Verständnis Entscheidungen aufgrund von Vertrauen träfen, argumentierten andere, dass Vertrauen ein deutlich komplexeres Konzept sei, keine oder zumindest nur eine bedingte Kosten-Nutzen-Kalkulation berücksichtige und auch Emotionen hierbei eine Rolle spielten. Im Rahmen der Konferenz deutete sich an, dass ein Großteil der Verständnisse entweder auf ein rationales oder ein konstruktivistisches Verständnis heruntergebrochen werden können.

Die Beiträge des ersten Panels griffen diese Unterscheidung anschaulich auf.1 Christopher Daase stellte in seiner Einleitung unterschiedliche Verständnisse von Vertrauen vor. Im Paper mit Una Jakob demonstrierte er anhand des Falls der »Organisation für das Verbot chemischer Waffen«, dass Vertrauensbrüche Beziehungen zwischen Akteur*innen besonders schwer und langanhaltend beschädigen können – eine Beobachtung, die auch andere Panelist*innen und Konferenzteilnehmer*innen in ihren Redebeiträgen unterstrichen. Anna-Katharina Ferl beleuchtete in ihrer Präsentation, wie Wahrnehmungen von und Einstellungen gegenüber Expert*innen die Einschätzung ihrer Vertrauenswürdigkeit bestimmen. Der Beitrag von Niklas Schörnig arbeitete die Ambivalenz von Künstlicher Intelligenz für die Etablierung von Vertrauen im Rahmen von Rüstungskontrollvorhaben heraus. Allumfassendes Vertrauen könne in diesem Bereich erst dann entstehen, wenn auch eine persönliche Komponente in der Zusammenarbeit gegeben sei. Schließlich legte Simone Wisotzki neben den bereits zuvor definierten Vertrauensverständnissen den theoretischen Schwerpunkt auf »institutionelles Vertrauen« und zeigte im Rahmen von Aktivitäten zur Regulierung und Kontrolle des Besitzes von Klein- und Leichtwaffen, dass Vertrauen, Aktionen und institutionelle Gegebenheiten stark miteinander verwoben seien. In der nachfolgenden Diskussion wurde deutlich, dass, auch wenn in der Rüstungskontrolle der Fokus oft eher auf ausgehandelten Kontrollmechanismen liege, dennoch Vertrauen in etablierte Institutionen und zwischen Individuen eine wichtige Rolle spiele.

Aufbauend auf den von Simone Wisotzki hervorgehobenen Punkt, belegten die weiteren Konferenzdiskussionen, dass eine Analyse von Vertrauen ohne die Berücksichtigung von institutionellen Gegebenheiten unzureichend ist. Das zweite Panel fokussierte sich deshalb auf Institutionen, welche nicht nur als wichtige Impulsgeber dienen, sondern durch die in ihnen stattfindenden Interaktionen auch essentielle Foren der Vertrauensbildung und -konsolidierung darstellen können. Während sich der Beitrag von Dirk Peters und Ben Christian mit einem besonders komplexen Fall eines (kontinuierlichen) Vertrauensverlusts befasste, genauer dem britischen Ausscheiden aus der Europäischen Union, argumentierten Melanie Coni-Zimmer und Diane Schumann in ihrer Präsentation, dass Vertrauen als erklärender Faktor für die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen internationalen Wirtschaftsinstitutionen und nicht-staatlichen, zivilgesellschaftlichen Organisationen fungieren könne. Zuletzt zeigte Thilo Marauhn anhand der »International Humanitarian Fact-Finding Commission«, dass persönliche Interaktion zwischen Akteur*innen innerhalb (mehr oder weniger) institutionalisierter Foren benötigt wird, um tiefergehendes Vertrauen zu etablieren. Die an die Präsentationen anschließenden Fragen regten die Panelist*innen noch einmal an, die ihren »think pieces« und Beiträgen zugrundeliegenden unterschiedlichen Verständnisse von Vertrauen genauer aufzufächern. Insgesamt zeigte sich, wie wichtig es für eine zukünftige Forschungsagenda ist, die sich bedingenden Dynamiken zwischen Vertrauen und Institutionen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Im Verlauf der Konferenz kam zusätzlich die Frage auf, wie Vertrauen gebildet und dauerhaft gefestigt werden kann und ob und wie volatil Vertrauen ist. Das dritte Panel hob hierbei die zeitliche Dimension hervor. Ob Zeit aber eher als Kontextfaktor oder als eine eigene Variable zu sehen sei, wie Niels Spierings in seinem Beitrag hinterfragte, blieb offen. Der in das Panel einführende Input von Hanna Pfeifer und Irene Weipert-Fenner merkte an, dass eine Vertrauensanalyse in der MENA-Region mit Blick auf die sich wandelnden politischen Situationen unter dem Eindruck von Protestgeschehen und Konflikten unerlässlich sei. Als besonders interessant wurde hierbei die Prozesshaftigkeit der Entwicklung von Vertrauen und dessen Gegenpart genannt. Jasmin Lorch merkte in ihrer Präsentation zu Vertrauen zwischen politischen Akteur*­innen in Tunesien nach 2011 an, dass ein einseitiger Fokus der Analyse auf Vertrauen nicht ausreichend sei, da Vertrauen zwischen Individuen zwar bezüglich einiger Themen bestehen könne, Misstrauen unter ihnen aber ebenso. Auch Abdalhadi Alijla sprach einleitend die bisher geringe Beachtung der Länder der ­MENA-Region in der Vertrauensliteratur an. In seiner Präsentation widersprach er u.a. der Annahme, dass kulturelle Erklärungsfaktoren einen Einfluss auf das Vertrauenslevel in Gesellschaften hätten und argumentierte, dass Institutionen in den angesprochenen Staaten eine deutlich wichtigere Rolle spielen würden, als oftmals angenommen. Zuletzt fügte Niels Spierings noch einen weiteren Aspekt zur Diskussion hinzu, indem er die Vertrauensforschung dazu aufrief, sich selbst stärker zu hinterfragen und eine Dekolonisierung der Forschungsagenda voranzubringen. Die Beiträge des Panels machten somit insgesamt auch auf die Gefahr einer kontextinsensitiven Betrachtung von Vertrauen aufmerksam und beleuchteten methodische Herausforderungen, welche sich durch zeitliche Verschiebungen ergeben.

Das letzte Konferenzpanel »Trust in Institutions, Coronavirus Deniers and the Far Right« befasste sich mit der Rolle von Vertrauen in der Covid-19-Pandemie. Vertrauen in der Gesellschaft sei in der Pandemie schwer auf die Probe gestellt worden. Anhand des Grades an Vertrauen in demokratische Institutionen zeige sich aber besonders gut, wie es um die gesellschaftliche Situation bestellt sei, so eine Annahme des Paneltexts. Lena Frischlich befasste sich in ihrem Beitrag mit den Inhalten, welche in sogenannten »alternativen Informationskanälen« (»alternative news«) in der ersten Zeit der Pandemie wiedergegeben wurden. Hierbei fiel in der empirischen Analyse vor allem das Misstrauen gegenüber dem politischen System ins Auge. Während Jonas Rees in seinem Vortrag nicht nur über Verschwörungsmythen sprach, sondern auch Informationen über die Unterstützer*innen dieser präsentierte, nutzte der letzte Panel-Beitrag der Konferenz einen regionalspezifischen Blick. Paul Zschocke und Daniel Mullis diskutierten in ihrem »think piece«, wie eine in Sachsen durch rechte Akteur*innen stattfindende Mobilisierung gegen die Corona-Maßnahmen leicht auf der Grundlage eines bereits vor der Pandemie entstandenen Potentials geschehen konnte.

Zum Abschluss der Jahrestagung stellten Tanja Börzel und Nicole Deitelhoff im Rahmen eines von Stefan Kroll moderierten Gesprächs über den Krieg in der Ukraine fest, dass Vertrauen in die politische Elite Russlands und in Putin von Seiten westlicher Akteur*innen, wenn überhaupt, dann schon lange nicht mehr bestanden habe. Dieser Konflikt werde die internationale Ordnung aber nachhaltig verändern. Im Gespräch wurde auch auf die Sanktionen eingegangen, welche durchaus auch Effekte auf die sanktionierenden Staaten hätten.

Das Forschungsfeld zum Thema Vertrauen hat auch aus der Perspektive der Friedens- und Konfliktforschung viel Potential. Die Konferenz zeigte eindrücklich, wie das Vertrauensthema aus allen Forschungsbereichen des Instituts beleuchtet werden kann. Anknüpfungspunkte zeigten sich in allen Themenbereichen, von der Rüstungskontrolle bis zu innergesellschaftlichen Konfliktpotentialen und der Covid-19-Pandemie. Den hier aufgeworfenen Fragen wird die HSFK in den nächsten Jahren gemeinsamen mit der Goethe-Universität im Rahmen der Forschungsinitiative »ConTrust: Vertrauen im Konflikt. Politisches Zusammenleben unter Bedingungen der Ungewissheit« genauer nachgehen.2 Das Projekt bietet einen idealen Ort, das Vertrauenskonzept kritisch zu beleuchten sowie Dynamiken herauszuarbeiten, und es ermöglicht auch, den Nexus zwischen Konflikt und Vertrauen auf seine unterschiedlichen Entwicklungen hin zu analysieren.

Anmerkungen

1) Vor der Konferenz wurden kurze »think pieces« von den Panelist*innen verfasst, welche interessante Themenbereiche (an-)diskutierten und neue Impulse gaben.

2) Auch die HSFK-Jahreskonferenz wurde im Rahmen des Projekts organisiert.

Cosima Glahn

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/4 Gewalt/Ökonomie, Seite 44–45