W&F 1984/2

Darmstädter Verweigerungsformel

von Friedens- und KonfliktforscherInnen

„Das Wettrüsten ist primär ein Produkt von politischen Kräften. Doch Wissenschaftler tragen ihrerseits zu der katastrophalen Tendenz der internationalen Verhältnisse bei. Ungefähr eine halbe Million Naturwissenschaftler und Techniker ein hoher Prozentsatz des gesamten wissenschaftlichen Personals - ist direkt in militärischer Forschung und Entwicklung beschäftigt. Diese Wissenschaftler und Techniker sind ständig damit beschäftigt, neue Mittel der Zerstörung zu entwickeln, und machen damit den Fortbestand der Spezies Mensch auf diesem Planeten immer schwieriger. Das nukleare Wettrüsten lebt von dem ständigen Zustrom wissenschaftlicher Innovationen, und der Eindruck verstärkt sich, daß die Wucht des Wettrüstens durch die Aktivitäten der Wissenschaftler bestimmt wird. Dieser Eindruck ist zwar übertrieben; eine Vielfalt von Faktoren, die miteinander wechselwirken, spielt eine Rolle, sie werden gemeinhin als der militärisch-industrielle Komplex bezeichnet. Aber die Einführung jeder neuen Waffe ist ein irreversibler Schritt, und in diesem Sinne ist die Rolle der Wissenschaftler von entscheidender Bedeutung. Diese Rolle des Wissenschaftler widerspricht seinem traditionellen Beruf.“ (Ergebnisse und Empfehlungen des Pugwash/Unesco Symposions, Ajaccio/Korsika, 1982)

Ohne die Mitarbeit von Wissenschaftlern und Technikern wäre das Wettrüsten nicht möglich. Sie haben einzeln und kollektiv sich gegen die Verwendung ihrer Fähigkeiten immer wieder gewehrt. In der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise haben 1957 achtzehn Atomwissenschaftler ausdrücklich und öffentlich erklärt, daß sie nicht bereit sind „sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.“

Das „Gleichgewicht der Abschreckung“ war immer labil: seit der Legitimation, es erhalten zu wollen, haben beide Seiten ihr Rüstungspotential ständig erweitert und technisch verbessert. Die technischen Innovationen haben schließlich die Strategie der Kriegsverhütung durch Abschreckung überholt: Die Stationierung von Mittelstreckenraketen markiert wegen der kurzen Flugzeit und der Zielgenauigkeit den Übergang zu einem Zustand der Instabilität. In dieser Situation können technische Innovationen, auf welchem Gebiet auch immer, katastrophale Auswirkungen auf den Weltfrieden haben. Der Physiker H.P. Dürr, MIP München, hat die Situation durch folgendes Beispiel veranschaulicht: Die Erfahrung, daß man Wasser bei 30 oder bei 60 Grad noch Wärme zuführen kann, ohne daß es zu kochen anfängt, berechtigt noch nicht zu der Behauptung, daß das auch in der Nähe von 100 Grad noch möglich ist. Zwar könnte man durch Tricks auch über 100 Grad das Kochen noch eine Weile verzögern, dann genügt aber eine Kleinigkeit, um den Zustand blitzartig umkippen zu lassen. In dieser Phase der Überhitzung geraten wir, sagt er, durch die Aufrüstung mit Pershing II und Cruise Missiles hinein.

Wir sind der Meinung, daß auf diesem Hintergrund die Rolle von Wissenschaft und Technik in der Waffenentwicklung grundsätzlich zur Diskussion gestellt werden muß. Um diese Diskussion zu entfalten und meine Stellung darin klarzumachen, unterzeichne ich folgende Erklärung:

Ich erkläre hiermit, daß ich mich im Rahmen meiner Tätigkeit als Wissenschaftler oder Techniker an der Entwicklung militärischer Rüstung nicht beteiligen will. Ich werde mich vielmehr um eine Aufklärung des Beitrages meines Fachgebietes zur Rüstungsentwicklung bemühen und der militärischen Verwendung wissenschaftlichen und technischen Wissen entgegenwirken.

Der Text wurde von der UHD-Initiative für Abrüstung formuliert. Erstunterzeichner sind: Von der TH Darmstadt: Prof. G. Böhme FB 2, Prof. Dahmer FB 2, Prof. Gamm FB 3, Prof. Ganter FB 4, Prof. Ipsen FBI, Prof. Kankeleit FB 5, Prof. Koneffke FB 3, Prof. Körner FB 11 Prof. K. Nixdorff FB 10, Prof. Wolters FB 13. Von der FH Darmstadt: Prof. Bartels SuK, Prof. Biel Architektur, Prof. Burhenne Informatik, Prof. Dippel, Informatik, Prof. Dolejsky MN, Prof. Köster E-Technik, Prof. Krier Informatik, Dipl.-Soz. Mayer Soz. und Kulturwiss., Prof. Meurer Gestaltung, Prof. Priewe SuK, Prof. Rasch E-Technik, Prof. Roth MN, Prof. Schwebel E-Technik, Prof. Thiem MN, Prof. Wenisch MN, Prof. Winkler Informatik.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1984/2 1984-2, Seite