Das absolute Folterverbot
Grundlage für Sicherheit und Freiheit
von Susanne Baumann
„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden“, lautet Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Und es gibt eine Reihe weiterer internationaler Übereinkommen, die vor Folter und Misshandlung schützen1. Das Folterverbot gilt dabei als eines der wenigen Rechte absolut und ohne Vorbehalt. Selbst in Kriegs- und Krisensituationen gibt es davon keine Ausnahme. Wie aber ist es tatsächlich um Folter und Misshandlung in der Welt bestellt? Zeigt die Vielzahl der rechtlichen Schutzinstrumente Wirkung? Haben sich die Fälle, in denen Menschen Opfer von Folter werden, verringert? Die Antwort fällt bedauerlicherweise negativ aus.
Geht man den aktuellen Jahresbericht von amnesty international von 2006 durch, stellt man fest, dass nach wie vor mindestens in 104 Staaten gefoltert oder misshandelt wird – auch in Staaten, die sich als Garanten der Menschenrechte verstehen.
Insbesondere der Kampf gegen den Terrorismus hat dazu geführt, dass die rechtlichen Standards, die dem Schutz vor Folter und Misshandlung dienen, aufgeweicht werden. Viele Länder haben in oft übereilten Verfahren Gesetze erlassen, die die Rechte der Menschen auf Versammlungsfreiheit, auf Meinungsfreiheit, auf faire Gerichtsverfahren und den Schutz vor willkürlichen Verhaftungen massiv einschränken. Fast jede Regierung hat ihre Machtbefugnisse ausgebaut, um unterhalb internationaler Standards zu ermitteln, Menschen zu verhaften und festzusetzen. Derartige Maßnahmen leisten Folter und Misshandlungen Vorschub. Einige Regierungen nutzen den so genannten Krieg gegen den Terror, um Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen, die sie schon seit vielen Jahren begehen. Zudem ist die öffentliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen, die durch andere Staaten begangen werden, seltener geworden.
In besonders drastischer Weise verletzt und schwächt die US-Regierung das Verbot von Folter und erniedrigender Behandlung im Namen der Sicherheit.
Bei der Verfolgung der Täter der schrecklichen Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington verweigerte die US-Regierung Anfang 2002 den „Individuen der al-Qaida und der Taliban“ den Status als Kriegsgefangene und versagte ihnen damit elementare Schutzrechte. Noch im selben Jahr erarbeitete die US-Regierung eine neue Definition des Begriffs der Folter: Folter im strafrechtlichen Sinn sei nur bei einer Schmerzintensität gegeben, wie sie bei „Organversagen und Einschränkung körperlicher Funktionen bis hin zum Tod“ auftrete. In einem Memorandum von Anfang 2005 wird diese sehr weite Definition etwas eingeschränkt und auch das Zufügen von „schwerem körperlichen Leiden“ gilt als Folter, wenn dies von entsprechender Intensität und Dauer ist. Wegen Folter könne aber nur schuldig gesprochen werden, wer vorsätzlich starke Schmerzen verursacht habe. Nach beiden Definitionen sind Verhörmethoden erlaubt, die nach international vereinbarten Kriterien klar als Folter gelten.
Eine vom US-Verteidigungsminister eingesetzte Arbeitsgruppe stellte einen umfassenden Katalog von »widerstandsbrechenden« Verhörmethoden zusammen. Zum Teil verbergen sich hinter diesen »innovativen« Verhörmethoden alt bekannte Foltermaßnahmen: So steht die „Manipulation des Befragungsumfeldes“ für nichts anderes als einen Gefangenen extremer Hitze oder Kälte, permanentem gleißenden Licht oder Dunkelheit oder extremem Lärm auszusetzen und die „Anpassung der Schlafgewohnheiten“ ist eine beschönigende Bezeichnung für wiederholtes Wecken eines Gefangenen. Gezielt wurden solche Foltermethoden weiterentwickelt, die keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Ein Beispiel ist hier die »Individualisierung« der Folter. Die US-Behörden auf Guantánamo suchten gezielt nach Methoden, die besonders grausam auf die muslimischen Gefangenen wirken. Die aus Abu Ghraib bekannten Bilder zeigen, was sie dabei herausfanden: sexuelle Demütigungen und der Einsatz von Hunden verletzen Muslime in besonders schlimmer Weise.
Neben den für ihre massiven Menschenrechtsverletzungen bekannten und öffentlich kritisierten Haftlagern Guantánamo Bay auf Kuba, Bagram/Afghanistan und Abu Ghraib/Irak unterhielt der US-Geheimdienst CIA eine Reihe von geheimen Haftzentren, die sogenannten »black sites«. Berichten zufolge existierten bzw. existieren solche Gefangenenlager in Afghanistan, Irak, Jordanien, Pakistan, Thailand, Usbekistan und an weiteren nicht bekannten Orten, auch in Europa. Erschreckend ist auch das von der CIA entwickelte, aufwändige System, um »Terrorismusverdächtige« an diese unbekannten Haftorte zu entführen. Diese Verschleppungen wurden teilweise über Strohfirmen und private Unternehmen abgewickelt. Das Verschleppen und Inhaftieren von Personen an geheimen Orten erfüllt den Tatbestand des Verschwindenlassens und öffnet Folter und Misshandlung Tür und Tor, da eine unabhängige Kontrolle nicht möglich ist.
Zwar gab es einige hoffnungsvolle Entwicklungen, diese wurden jedoch immer wieder gedämpft: So hat die US-Regierung unter erheblichem Druck im Dezember 2005 verkündet, dass die UN-Antifolterkonvention „auch für US-Personal, wo immer es sich aufhält, in den USA oder im Ausland“ gelte. Diese Regelung, das sogenannte McCain Amendment, versah Bush allerdings mit einem »signing statement«. Dessen Interpretation legt nahe, dass Bush sich trotz dieser eindeutigen Regelung die Möglichkeit offen halten wollte, als Oberbefehlshaber ggf. Misshandlungstechniken anordnen zu können.
Am 17. Oktober 2006 setzte Präsident Bush mit seiner Unterschrift den »Military Commissions Act« in Kraft. Das Gesetz bildet die Grundlage für die Errichtung von Militärkommissionen. Dies sind Strafgerichte des US-Militärs zur Aburteilung von »illegalen feindlichen Kombattanten«, die sich in US-Gewahrsam befinden und nicht US-Bürger sind. Es nimmt diesen das Recht, ihre Haft von US-Gerichten überprüfen zu lassen. Darüber hinaus verhindert es, dass die Verantwortlichen für Misshandlungen an den Gefangenen wirksam verfolgt werden können und bildet damit die Grundlage für weitgehende Straflosigkeit.
Aber nicht nur in den USA wird das Folterverbot in Frage gestellt. Auch in Europa ist die Erosion dieses grundlegenden Verbots zu beobachten.
Insbesondere Großbritannien trägt durch seine Anti-Terror-Maßnahmen in erheblicher Weise zur Schwächung des Folterverbotes bei. So intervenierte die britische Regierung im Oktober 2005 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall »Ramzy gegen die Niederlande«. Während die niederländische Regierung die Auffassung vertritt, Ramzy könne nach Algerien abgeschoben werden, weil ihm dort nach ihrer Einschätzung tatsächlich keine Folter droht, möchte Großbritannien erreichen, dass der EGMR sich zu einer Rechtsprechung durchringt, die eine Abwägung zwischen Folterverbot und staatlichen Sicherheitsinteressen vornimmt. Auch auf nationaler Ebene hatte die britische Regierung den Rechtsweg beschritten, um die Zulässigkeit von »Foltergeständnissen« in Gerichtsverfahren durchzusetzen. Erst die obersten Richter (Law Lords) Großbritanniens entschieden im Dezember 2005, dass »Foltergeständnisse« in Gerichtsverfahren nicht zulässig sind und geboten so dem offenen Völkerrechtsbruch Einhalt.
Eine Reihe von europäischen Staaten verstößt gegen das non-refoulment-Gebot, das besagt, dass Flüchtlinge nicht in Staaten abgeschoben werden dürfen, in denen ihnen Folter droht. Die Staaten versuchen dies zu umgehen, indem sie so genannte diplomatischen Zusicherungen mit den Aufnahmestaaten abschließen. In diesen Vereinbarungen verpflichten sich die Zielstaaten, in Einzelfällen, in denen eine Abschiebung erfolgt, keine Folter und Misshandlungen an der Person vorzunehmen. Geschlossen wurden solche Vereinbarungen etwa von Großbritannien mit Jordanien, Libyen und Libanon; alles Staaten, in denen Folter und Misshandlung an der Tagesordnung sind. Allein die mündliche oder schriftliche Versicherung eines Staates kann jedoch Folter und Misshandlung nicht wirksam vorbeugen. Dies zeigt auch der Fall eines Ägypters, der Ende 2001 aufgrund einer Zusicherung von Schweden nach Ägypten abgeschoben und dort misshandelt wurde.
Auch in Deutschland ist das absolute Folterverbot nicht mehr über jeden Zweifel erhaben. Zwar bekennen sich Regierung und Parlament öffentlich dazu, und Deutschland engagiert sich international stets vorbildlich gegen Folter und Misshandlung. Doch gibt es Situationen und Konstellationen, in denen auch deutsche Regierungsmitglieder, Parlamentarier und Bürger die Anwendung von Folter in Ausnahmesituationen in Erwägung ziehen.
Anlass für die öffentliche Debatte in Deutschland war das Vorgehen des ehemaligen Polizeivizepräsidenten von Frankfurt/M., Wolfgang Daschner. Dieser ließ einem Kindesentführer Folter androhen, um das Leben des Kindes zu retten. Der Fall kam vor das Frankfurter Landgericht. In seinem Urteil vom Dezember 2004 stellte das Gericht unmissverständlich fest, dass es für den Staat keine Rechtfertigung geben kann, Menschen in seinem Gewahrsam zu foltern oder zu misshandeln.
Die Diskussion, ob Ausnahmen vom Folterverbot zulässig sein müssen, fand damit aber kein Ende. Insbesondere vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus mehren sich vor allem in der juristischen Fachliteratur, aber auch in der Politik die relativierenden Stimmen. Im extremen Einzelfall soll es möglich sein, Folter und Misshandlung anzuwenden, um Leben zu retten. Und von hochrangiger politischer Ebene wird wiederholt darauf hingewiesen, dass Informationen, die möglicherweise oder erwiesenermaßen unter Folter zustande gekommen sind, verwendbar sein sollen – zwar nicht im Strafverfahren, wohl aber als Grundlage weiterer Ermittlungen oder im Rahmen der Gefahrenabwehr.
Nicht mit dem Folterverbot vereinbar sind auch Vernehmungen von Personen, die im Ausland Folter und Misshandlung ausgesetzt sind und in dieser Situation von deutschen Beamten zwar nicht selbst gefoltert werden, aber unter dem Eindruck der Folterumstände von diesen vernommen werden. Bekannt sind hier die derzeit im Untersuchungsausschuss des Bundestages behandelten Fälle des Deutsch-Syrers Mohammed Haydar Zammar, der von deutschen Beamten in dem bekannten Foltergefängnis Far Falastin in Syrien vernommen wurde, sowie von Murat Kurnaz, den Beamte des Bundesnachrichtendienstes im September 2002 in Guantánamo vernahmen, obwohl die deutschen Behörden davon ausgingen, dass die Inhaftierung von Gefangenen auf Guantánamo völkerrechtswidrig ist. Die deutschen Beamten haben in den genannten Fällen zwar selbst keine Gefangenen gefoltert, aber von der Folter durch ausländische Behörden möglicherweise profitiert und so Menschenrechte verletzt. Zudem obliegt dem Staat eine Schutzpflicht für Personen, die in anderen Staaten der Folter ausgesetzt werden könnten.
Dieser Überblick zeigt: Der im Völkerrecht verbriefte Schutz vor Folter und Misshandlung allein reicht nicht aus. Entscheidend ist vielmehr der politische Wille der internationalen Gemeinschaft. Diese muss ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen ernst nehmen und sich in ihrem Handeln zu diesen Werten bekennen. Menschenrechtsstandards stellen das absolut notwendige Minimum dar, um die Sicherheit und die Integrität von Individuen vor Machtmissbrauch zu schützen. Dies gilt in besonderer Weise für das absolute Folterverbot, das die Menschenwürde und damit den Kern des Menschen schützt. Vieler schrecklicher Ereignisse und schmerzlicher Erfahrungen hat es bedurft, bis sich die Erkenntnis, dass Folter und Misshandlung dem Menschsein widersprechen, durchgesetzt und ihren Niederschlag im Völkerrecht gefunden hat. Diese historische Lehre gilt es zu bewahren. Die Verstöße gegen das Folterverbot und dessen Aufweichung im Kampf gegen den Terrorismus haben zu nichts geführt außer zu mehr Hass und Gewalt. Dies zeigt einmal mehr, nur eine Politik auf der Grundlage der Menschenrechte und der völkerrechtlichen Grundsätze kann gewährleisten, dass Menschen in Freiheit und Sicherheit zusammenleben. Wahre Sicherheit entsteht erst, wenn Menschenrechte respektiert und geachtet werden. Dies gilt auch und gerade für den Kampf gegen den Terrorismus.
Anmerkungen
1) U.a.: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte; Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten; Amerikanische Menschenrechtskonvention; Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker; UN-Erklärung über den Schutz aller Personen vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe; UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und Zusatzprotokoll; Inter-Amerikanische Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Folter; Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen; UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen.
Susanne Baumann ist Fachreferentin für Internationales im Generalsekretariat von amnesty international in Berlin.