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W&F 2005/4

Das Gewissen der Wissenschaft für die Abschaffung der Nuklearwaffen

Nachruf auf Sir Joseph Rotblat (1908-2005)

von Götz Neuneck

In der Nacht zum 1. September 2005 ist in London der Friedensnobelpreisträger Sir Joseph Rotblat, Mitbegründer der »Pugwash Conferences on Science and World Affairs« und vielfach ausgezeichneter Wissenschaftler im Alter von 96 Jahren friedlich eingeschlafen.

Joseph Rotblat wurde 1908 als fünftes von sieben Kindern in einer Warschauer Handelsfamilie geboren. Seine ersten Forschungen zur Atomphysik machte er im Warschauer »Strahlenlabor«. 1939 ging er zunächst ohne seine Frau Tola Gryn nach Liverpool, um mit J. Chadwick an einem Zyklotron zu arbeiten. Als die politische Lage sich zuspitzte, fuhr er im Sommer 1939 nach Warschau zurück, um seine Frau nach England zu holen. Aufgrund einer Krankheit sollte sie ihm Tage später folgen. Der Beginn des Krieges verhinderte dies, Jo sah seine Frau nie wieder. Er heiratete nicht mehr.

In England beschäftigten sich die Physiker damals zunehmend mit Kriegsforschung. Die Atomphysiker waren durch die Arbeiten der Otto Hahn–Gruppe zur Kernspaltung alarmiert. Ebenso wie seine britischen Kollegen sollte sich auch Rotblat am Manhattan-Projekt beteiligen, doch bürokratische Hemmnisse führten dazu, dass er erst im März 1944 nach Los Alamos kam. Antriebskraft für die Arbeit im Manhattan-Projekt war die Befürchtung, dass Hitler über eine Bombe verfügen könnte. Doch Rotblat wurde Zeuge der Aussage General Groves, die Arbeiten an der Bombe seien nicht auf Deutschland, sondern auf Russland bezogen. Als ihm Ende 1944 klar wurde, dass die Deutschen das Bombenprojekt fallen gelassen hatten, war seine Anwesenheit in New Mexiko für ihn überflüssig geworden. Er stellte einen Rückreiseantrag und wurde zu Stillschweigen verpflichtet.

Obwohl auch viele seiner Kollegen den Hitler-Faktor als Hauptmotiv ansahen, arbeiteten sie weiter. Warum? Wohl aus wissenschaftlicher Neugierde, Karrieredenken, der Hoffnung auf schnelle Kriegsbeendigung und dem Glauben, über den Einsatz der Bombe könne man nach dem ersten Test debattieren. Rotblat schrieb 1985 in einem Artikel des Bulletin of the Atomic Scientists: „…Die Mehrheit ließ sich nicht durch moralische Skrupel stören; sie waren sehr zufrieden, es anderen zu überlassen, zu entscheiden wie ihre Arbeit genutzt werden würde.“

1946 begann er damit die britische Öffentlichkeit über die nuklearen Gefahren aufzuklären und für die Kontrolle nuklearer Energie einzutreten. Er organisierte eine mobile Ausstellung, den »Atomic Train«, und er wechselte sein Fachgebiet. Fortan widmete er sich der Erforschung und Nutzung radioaktiver Strahlung in Medizin und Biologie. 1954, unter dem Eindruck der Wasserstoffbombentests, kam Rotblat in Kontakt mit B. Russell, der im Juli 1955 der Weltpresse das »Russell-Einstein-Manifest« vorstellte. Als jüngster Unterzeichner des berühmten Dokuments widmete Rotblat sich der Umsetzung der Schlüsselpassagen, der Abschaffung der Nuklearwaffen und des Krieges als solchem. 1957 fand in dem kleinen Fischerdorf Pugwash/Nova Scotia die erste Konferenz statt, zu der sich mitten im Kalten Krieg 22 führende Wissenschaftler aus Ost und West trafen. Seitdem hat es ca. 300 weitere Pugwash-Treffen gegeben, auf denen wichtige Grundlagen für Rüstungskontrollverträge gelegt und Kontakte zwischen Regierungen und Wissenschaftlern angebahnt wurden. Joseph war viele Jahre Generalsekretär und später Präsident der Pugwash-Konferenzen. Unter seiner Führung wuchs die Organisation und zog immer mehr Wissenschaftler an. Heute gibt es über 50 nationale Pugwash-Gruppen (siehe z.B. www.pugwash.de).

Erst der Friedensnobelpreis von 1995 lenkte den Blick der Weltöffentlichkeit auf das Wirken von J. Rotblat. In seiner Nobelpreisträgerrede wandte er sich gegen die »Elfenbeinturm-Mentalität« der Wissenschaft: „Von den frühesten Tagen an hatte ich eine Leidenschaft für Wissenschaft. Aber Wissenschaft, die Ausübung höchster Kraft menschlichen Denkens, war meiner Auffassung nach immer verbunden mit dem Nutzen für die Menschen. (…) Ich habe mir nicht vorgestellt, dass ich die zweite Hälfte meines Lebens mit Anstrengungen zubringen muss, um eine tödliche Gefahr zu verhüten, die durch Wissenschaft selbst hervorgebracht wurde.“

Joseph Rotblatt war eloquent, unermüdlich, fordernd und leidenschaftlich der Schaffung einer Welt verpflichtet, die sicherer, gerechter und humaner ist. Für Pugwash und für viele andere, die sich diesen Zielen verpflichtet fühlen, war er ein großartiger Mentor und ein steter Inspirator für aktive Schritte zur nuklearen Abrüstung. In den letzten Jahren hat er sich besonders für die Initiierung einer Kampagne zur Aufklärung nuklearer Gefahren eingesetzt (Nuclear Awareness, siehe: www.comeclean.org.uk).

Joseph, war nicht nur einer der ersten nuklearen Kritiker, sondern »das Gewissen« einer Wissenschaft, das für die Abschaffung der Nuklearwaffen eintritt. Seine Botschaft ist klar: „Entweder die Welt wird die Nuklearwaffen eliminieren, oder wir werden mit der Aussicht konfrontiert, dass solche Waffen uns eliminieren.“

Sein Ziel, die Eliminierung der Nuklearwaffen, ist nicht erreicht. Wir müssen beharrlich und entschieden die Anstrengungen vervielfachen, um dieses Ziel zu erreichen. Wir sind es nicht nur ihm schuldig.

Seine deutschen Freunde trauern um einen überaus liebenswerten Menschen, einen hervorragenden Wissenschaftler, einen großen Humanisten und einen unermüdlichen Friedensaktivisten.

Dr. Götz Neuneck

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2005/4 60 Jahre Vereinte Nationen, Seite