W&F 2000/1

Das Gewissen
der WissenschaftlerInnen

Für ein Jahrhundert ohne Atomwaffen

von Joseph Rotblat

Unsere Arbeit als WissenschaftlerInnen sollte darauf gerichtet sein, das Los der Menschheit zu verbessern. Ein Großteil von uns wird sagen, dass die Arbeit für militärische Einrichtungen daher auszuschließen sei, vielleicht sogar die Arbeit an Universitäten, die Verträge über die Entwicklung militärischen Geräts annehmen. Viele würden weiter gehen und WissenschaftlerInnen eine definitive Zusage abverlangen, sich nicht in dieser Form zu betätigen; sie fordern eine Art von Hippokratischem Eid.

Viele werden sagen, dass eine Welt ohne Krieg ein utopischer Traum ist. Sogar das etwas bescheidener gesteckte Ziel einer Welt ohne Atomwaffen in absehbarer Zukunft wird als nicht erreichbar, ja nicht wünschenswert betrachtet. Aber wir sind keine UtopistInnen. Wir suchen nicht nach Utopia, der vollkommenen Welt des Thomas Morus. Unser Ziel ist nüchterner: eine Welt, die weiter besteht; eine Welt, in der die Zivilisation trotz der Gefahren die auch wir WissenschaftlerInnen geschaffen haben fort besteht.

Unser Hauptanliegen ist fundamental: das Überleben der Zivilisation.

Wenn wir jedoch mit diesem Prozess auch eine bessere Welt schaffen, eine Welt, in der die Menschen lernen, Konflikte nicht nur ohne Kampf zu lösen, sondern auch für die Bereicherung unserer Kultur zusammen zu arbeiten, wenn wir in diesem Prozess zu einem Ergebnis kommen, dass Politik auf hohen moralischen Grundsätzen beruhen muss, dass Vertrauen und Liebe grundlegende Elemente menschlicher Beziehungen sind, dann wird dies ein besonderer Bonus sein, ein zusätzlicher Anreiz in unserem Bestreben nach dem Wesentlichen und dem Erfreulichen, dem Praktischen und dem Schönen, dem Zweckmäßigen und dem Guten. Das gestaltet diese Aufgabe für WissenschaftlerInnen mit einem sozialen Gewissen, wie wir es bei Pugwash alle sind, noch lohnender.

Oder anders gesagt: Wir wollen nicht vergessen, dass die Abweichung von anerkannten Normen eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Zivilisation gespielt hat. George Bernhard Shaw hat dies in seinem unnachahmlichen Stil so ausgedrückt: „Der vernünftige Mensch passt sich an die Welt an, der unvernünftige beharrt darauf, die Welt an sich anzupassen. Daher geht aller Fortschritt von den unvernünftigen Menschen aus.“

Bertrand Russell hat die gleiche Idee mit anderen Worten ausgedrückt: „Fürchte nicht, eine exzentrische Meinung zu vertreten, weil jede heute akzeptierte Meinung einmal exzentrisch war.“

In diesem Sinne wollen wir wirken.

Prof. Dr. Joseph Rotblat ist Friedensnobelpreisträger.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2000/1 Der schwierige Weg zum Frieden, Seite