W&F 2012/2

Das moderne Seerecht –

Ein Zukunftsmodell für das Völkerrecht?

von Hans-Joachim Heintze

Gewisse Sphären auf und um die Erde unterliegen nicht der Verfügungsgewalt und Rechtsprechung von Nationalstaaten. Neben dem Weltraum, der von der Völkergemeinschaft als »gemeinsames Erbe der Menschheit« eingestuft wurde, trifft dies auch auf die »hohe See» zu. In der Präambel der Seerechtskonvention bekräftigen die Unterzeichnerstaaten, „daß es wünschenswert ist, durch dieses Übereinkommen unter gebührender Berücksichtigung der Souveränität aller Staaten eine Rechtsordnung für die Meere und Ozeane zu schaffen, die den internationalen Verkehr erleichtern sowie die Nutzung der Meere und Ozeane zu friedlichen Zwecken, die ausgewogene und wirkungsvolle Nutzung ihrer Ressourcen, die Erhaltung ihrer lebenden Ressourcen und die Untersuchung, den Schutz und die Bewahrung der Meeresumwelt fördern wird“. Der Autor beschreibt den Weg bis zum Abschluss dieses völkerrechtlichen Übereinkommens, die wichtigsten Regelungen und seinen Beispielcharakter für ein »Völkerrecht der Solidarität«.

Das Völkerrecht ist nach wie vor ein Rechtszweig, der von der Souveränität der Staaten geprägt ist. Das verwundert nicht, da die Staaten die Schöpfer des Völkerrechts sind. Anders als staatliches Recht wird Völkerrecht nicht gesetzt, sondern durch die Staaten vereinbart. Folglich gibt es kein zentrales Rechtsetzungsorgan der Staatengemeinschaft, dem sich die Staaten unterordnen müssten, denn dies widerspräche ihrer Souveränität. Der Charakter eines Konsensrechtes macht die Ausarbeitung und Fortentwicklung des Völkerrechts jedoch zu einer langwierigen und komplizierten Angelegenheit.

Freilich gibt es aber allerorts Regelungsbedarf, denn das Zusammenleben der Staaten und ihre Interaktion erfordern Vereinbarungen, auf die sich die Staaten verlassen können. Deshalb greifen sie neben politischen Vereinbarungen immer wieder auf völkerrechtliche Verträge oder Gewohnheitsrecht zurück. Die Rechtsform hat den Vorteil der Verbindlichkeit und dient somit der Stabilität von Beziehungen. Gleichwohl erfolgt die Vereinbarung von Völkerrecht auf der Basis der Freiwilligkeit, und Staaten schließen nur dann Verträge, wenn es ihren Interessen entspricht. Demgemäß erfolgt auch die Einhaltung des Völkerrechts grundsätzlich freiwillig.

Es gibt allerdings Räume, die keiner Souveränität unterstehen, da sie keinem Staat zugerechnet werden können. Das betrifft beispielsweise den Weltraum, der ein hoheitsfreier Raum ist. Über Jahrhunderte war dies nicht nur ein luftleerer, sondern auch ein rechtsfreier Raum. Erst mit Beginn der Raumfahrt im Jahre 1957 und ihrer militärischen Bedeutung stellte sich die Frage nach der völkerrechtlichen Regelung des Zugangs und der Nutzung des Alls. Am 27.1.1967 wurde daraufhin der Weltraumvertrag abgeschlossen, der bereits am 10.10. 1967 in Kraft trat. Demnach darf der Weltraum von allen Staaten gleichberechtigt zu friedlichen Zwecken und zum Wohle der gesamten Menschheit erforscht und genutzt werden. Diese Bestimmung hat sich bewährt; der Umstand, dass Astronauten aus vielen Staaten und nicht nur Russen und Amerikaner an Weltraummissionen teilnahmen, ist auf diese Vereinbarung zurückzuführen.

1970er Jahre: Rechtsordnung der Weltmeere gerät aus den Fugen

Während der Weltraum unzweifelhaft keiner nationalen Aneignung unterliegt, stellen sich hinsichtlich der Weltmeere kompliziertere Probleme. Teile der Weltmeere gehören zum Staatsgebiet der Küstenstaaten und werden auch von diesen beansprucht. Gleichwohl sind die Meere größtenteils ein hoheitsfreier Raum und stehen allen Staaten zur Erforschung und Nutzung zu. Die Koexistenz von nationalen Ansprüchen und dem Gemeinschaftsraum fand im Völkerrecht in zwei Konzeptionen ihren Niederschlag, der vom »mare liberum« und der vom »mare clausum«. Unterstrich die erste den freien Zugang aller zum Meer, sprach sich die zweite für einen Vorrang der küstenstaatlichen Rechte aus.

Besonders die schifffahrttreibenden Staaten waren seit jeher Anhänger der freien Nutzung, und so überrascht es nicht, dass der Holländer Hugo Grotius 1609 das seinerzeit grundlegende völkerrechtliche Werk »De mare libero« veröffentlichte und darin vehement für die freie Nutzung der Weltmeere plädierte. Dem lag die Idee zugrunde, dass die Meere Handelsstraßen sind, die ihrer Natur nach herrschaftsfrei sind. Freilich bezog sich dies nur auf die Hohe See, während die Küstengewässer als Staatsgebiet angesehen wurden. Allerdings stellte sich seit jeher die Frage, wie breit diese der Freiheit des Meeres entzogenen Seegebiete sein sollten. Im Laufe der Zeit kam man zu einer pragmatischen Lösung, indem die seinerzeit moderne Kriegstechnik zum Maßstab gemacht wurde. Die Kanonen der führenden Seemacht England konnten drei Seemeilen schießen, folglich konnte der Anspruch auf dieses Gebiet militärisch durchgesetzt werden.

Allerdings entwickelten sich die Technik und die Nutzung der Meere weiter, so dass die Regeln, die sich im Wege des Völkergewohnheitsrechts herausgebildet hatten, immer stärker infrage gestellt wurden. Damit entstand die Notwendigkeit der Kodifizierung, d.h. der vertraglichen Vereinbarung. Dies erwies sich als kompliziert, ging es doch vorrangig um Fragen staatlicher Hoheitsrechte in den Küstengewässern. Ein erster Versuch scheiterte 1930, da sich die einberufene Konferenz nicht über die Breite dieser staatlichen Küstengewässer einigen konnte. Erst 1958 auf der I. UN-Seerechtskonferenz wurden vier Seerechtsübereinkommen vereinbart (über das Küstenmeer und die Anschlusszone, über die Hohe See, über die Fischerei und über den Festlandsockel). Durch die Verträge, die recht bald in Kraft traten, wurde größere Rechtssicherheit hinsichtlich aller Formen der Nutzung der Weltmeere erreicht. Ein Problem blieb allerdings offen: Es wurde keine definitive Festlegung über die maximale Breite der Küstengewässer erreicht. Angenommen wurde lediglich eine »Soll«-Bestimmung, wonach zwölf Seemeilen (sm) nicht überschritten werden sollten.

Mit der zunehmenden Überfischung und der Ausbeutung von Rohstoffen vom küstennahen Meeresgrund wuchs das Interesse der Anliegerstaaten, ihre Küstengewässer auszudehnen und damit souverän über diese Meeresschätze zu verfügen. Schrittweise dehnten Staaten ihre Territorien aus; so reklamierte Island 1958 eine Erweiterung auf zwölf sm, um seine Fischgründe vor der Überfischung durch die hochmodernen britischen Fabrikschiffe zu schützen. Daraufhin entsandte England Kriegsschiffe, um den traditionellen Zugang britischer Trawler zu erzwingen. Erst der isländische Protest vor dem NATO-Rat zwang Großbritannien schließlich, die Erweiterung anzuerkennen.

Nach dem weiteren Rückgang der Fischbestände vergrößerte Island Anfang der 1970er Jahre sein Küstengewässer erneut, und zwar auf 50 sm, so dass es 30% der Grundfischbestände im Nordatlantik beanspruchte. Großbritannien und Deutschland wollten dies nicht hinnehmen, und ihre Flotten fischten weiter. Island reagierte darauf, indem es die Fanggeräte fremder Fischerboote kappte, die sich innerhalb der beanspruchten 50-Seemeilen-Schutzzone befanden. Erst nach Intervention der USA, die ihre Luftwaffenbasis in Island gefährdet sahen, wurde der Streit beigelegt, indem England Sonderfangrechte erhielt. Dennoch sank der Fischbestand weiter, worauf Island 1974 seine Gewässer auf 200 sm ausdehnte. Wiederum kam es zu Auseinandersetzungen und zur Entsendung britischer Kriegsschiffe. Die Lage verschlechterte sich so weit, dass die Presse von einem »Kabeljaukrieg« sprach. Sogar die diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien wurden abgebrochen. Erst 1976 akzeptierte die britische Regierung in einem Interimsvertrag die 200-Seemeilen-Zone.

Selbst zwischen NATO-Staaten sorgte die beständige Ausdehnung der Küstengewässer also für erhebliche Spannungen. Aber auch andere Staaten erkannten die Möglichkeiten zur Erweiterung ihrer Hoheitsgebiete. So proklamierten beispielsweise Peru und Chile 1974 Territorialgewässer von 200 sm. Diese Entwicklung brachte die Supermächte auf den Plan: Nun ging es nicht mehr nur um Fisch und Bodenschätze, sondern um die Freiheit der Schifffahrt, und zwar der militärischen. Das juristische Problem der Großmächte ergab sich daraus, dass die Küstengewässer Staatsgebiet sind und die Ein- und Ausreise durch die Küstenstaaten geregelt werden kann. Für zivile Schiffe gilt zwar das Recht auf friedliche Durchfahrt, das diese ermächtigt, ohne weitere Genehmigung fremde Küstengewässer ohne Unterbrechung und zügig zu durchfahren, um einen Hafen anzulaufen oder in andere Teile der Hohen See zu gelangen. Umstritten ist aber, ob diese Regel auch für Kriegsschiffe gilt. Damit behinderte die einseitige Ausdehnung der Küstengewässer die Bewegungsfreiheit der Flotten der Großmächte, die ihr nukleares »Abschreckungspotential« zu einem guten Teil seegestützt, d.h. auf U-Booten vorhalten. Daher forderten die Sowjetunion und die USA in ungewohnter Einigkeit eine neue Kodifikation.

Es war von vorneherein klar, dass sie für ihre militärischen Interessen einen Preis bezahlen müssten, denn die Welt hatte sich in den 1980er Jahren gewandelt. Vor allem waren seit 1958 viele neue Staaten entstanden, die souverän ihre Interessen vertraten. Auch die Technik hatte sich gewandelt, es waren neue Formen der Meeresnutzung und der Ausbeutung von Bodenschätzen möglich. So forderte Malta bereits 1967 eine Regelung des Zugangs zu den Bodenschätzen der Tiefsee, die nicht dem Prinzip »der Erste mahlt zuerst« folgen sollte, sondern der Gleichberechtigung. Überhaupt hatten die neuen Fischfangmethoden und die Verfahren zur Ausbeutung von Bodenschätzen erhebliche Auswirkungen auf den Ressourcenbestand und die Umwelt. Und schließlich forderten die geographisch benachteiligten Staaten ihren Anteil, denn die Hohe See und ihr Untergrund waren als gemeinsames Erbe der Menschheit anzusehen. All diese Aspekte machten ein neues Herangehen notwendig: ein Völkerrecht der Solidarität. Dass dessen Erarbeitung kein widerspruchsfreier Prozess sein würde, war von Anbeginn bekannt und bestätigte sich auch. Während alle US-Regierungen letztlich bereit waren, sich der Seerechtskonvention zu unterwerfen, scheiterte die Ratifikation bislang im konservativ beherrschten Senat. Er hängt nach wie der Idee der Deregulierung und des Unilateralismus an, die Seerechtskonvention strebt aber gerade den Multilateralismus an.

Die Seerechtskonvention von 1982: Ausdruck der Interessenabstimmung

Das Meer bedeckt rund zwei Drittel der Erdoberfläche, und schon 1980 wurden mehr als drei Mrd. Tonnen Güter über die See transportiert. Bereits damals wurden rund 30% des Öls aus dem küstennahen Meeresboden gefördert. Vor 1980 kam es zu einer enormen Steigerung des Fischfangs: Betrug der Fang 1970 noch rund 65 Mrd. t, so war die Vergleichszahl 1979 bereits 71,3 Mrd. t. Ein gewaltiges Anwachsen des Transports, des Fischfangs, der Rohstoffförderung und vor allem der militärischen Nutzung machten eine Neuregelung unumgänglich. Offenkundig war aber, dass sie nur durch einen fairen Kompromiss erreichbar war, der in Betracht zog, dass an der Ausarbeitung des Seerechtsübereinkommens von 1958 nur 47 Entwicklungsländer teilgenommen hatten. In den 1970er Jahren stellten diese aber die Mehrheit der Staaten und hatten folglich ein größeres politisches Gewicht. Damit wurde die Einigung auf neue Regeln nicht leichter.

Bereits im Dezember 1973 einigte sich die UN-Generalversammlung darauf, eine III. UN-Seerechtskonferenz einzuberufen, die alle mit den Meeren zusammenhängenden Rechtsfragen in einem »Paket« behandeln sollte. Diese Konferenz, an der schließlich 163 Staaten teilnahmen, gestaltete sich zu einem mühsamen Verhandlungsmarathon und ging als die teuerste Versammlung überhaupt in die Geschichte ein. Sie wurde von 1973 bis 1983 in elf Sitzungsperioden durchgeführt und brachte zeitweise 5.000 Diplomaten und Experten nach New York. Das Ergebnis war ein Übereinkommen mit 320 Artikeln, neun Anhängen und fünf Resolutionen.

Als das wichtigste Ergebnis ist anzusehen, dass die Freiheit des Offenen Meeres erhalten blieb, indem eine maximale Breite des Küstenmeeres von 12 sm festgeschrieben wurde. Dies kann man als Erfolg der seefahrttreibenden Nationen und der Staaten mit großen Kriegsflotten (also der entwickelten Staaten) ansehen.

Worin liegt dann der Gewinn für die Entwicklungsländer, wie wurde das Konzept der Solidarität verwirklicht? Die Antwort auf diese Frage ist komplex. Zum einen wurde insofern ein Kompromiss erreicht, als die Küstenstaaten zwar ihre Küstengewässer nicht über 12 sm ausdehnen durften, ihnen aber gleichzeitig ein Recht eingeräumt wurde, im Anschluss daran eine Wirtschaftszone von bis zu 200 sm zu beanspruchen. Die Wirtschaftszone ist Bestandteil der Hohen See, so dass sie von allen Staaten weiterhin uneingeschränkt für die Seefahrt genutzt werden kann. Auch der Überflug bedarf keiner Genehmigung. Allerdings stehen die wirtschaftliche Ausbeutung der Bodenschätze und der Fischfang ausschließlich dem Küstenstaat zu. Natürlich kann er gegen Bezahlung Lizenzen für die Nutzung an andere Staaten und Unternehmen vergeben. Für die Fischerei werden Fangquoten festgelegt, die die Überfischung verhindern sollen. Wenn der Küstenstaat diese Quoten nicht selbst abfischt, muss er geographisch benachteiligten Staaten (Binnenstaaten) und Staaten, die traditionell in diesen Gebieten gefischt haben, die Nutzung gegen Zahlung eines Entgelts weiterhin gestatten. Die Gewinner dieser Regelung sind unabhängig von ihrem wirtschaftlichen Entwicklungsstand die Langküstenstaaten. So haben die USA 81,4% ihrer Landfläche als Wirtschaftszone hinzugewonnen, Australien 91%, Indonesien 284,7%, Neuseeland 179,5%, Kanada 46,9%, Mexiko 144,6%, die Philippinen 630% und Portugal 192,4%. Auch zwischen den Industriestaaten kam es zu Verschiebungen; so umfasst die schwedische Wirtschaftszone 45% der Ostsee.

Ähnliche Auswirkungen hatte die Neuregelung zu den Festlandsockeln. Dabei handelt es sich um die unterseeische Fortsetzung der Kontinente, die von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist, da hier umfangreiche Rohstoffvorkommen lagern. Nach harten Debatten einigte man sich auf zwei Berechnungsmethoden: entweder 350 sm von der Küste an gemessen oder 100 sm jenseits der der 2.500 m-Wassertiefenlinie. Durch diese Vereinbarung konnten die Ansprüche der Breitschelfstaaten (USA, Kanada, Australien, Argentinien), vor deren Küste der Festlandsockel erst bei 600 sm zum Tiefseeboden abfällt, beschränkt werden. Die genaue Festlegung erfolgt durch eine UN-Kommission, die prüft, ob die Staaten die richtigen Methoden zur Abgrenzung vorgenommen haben. In der Praxis ist es auch zur gemeinsamen Bewirtschaftung des Festlandsockels gekommen, um Streitigkeiten beizulegen (z.B. der Timorgraben-Vertrag zwischen Australien und Indonesien von 1989).

Angesichts dieser Regelungen könnte man den Eindruck gewinnen, dass tatsächlich die Küstenstaaten die wirtschaftlichen Gewinner des Seerechtsübereinkommens von 1982 sind und dass wenig von einem Solidaritätsvölkerrecht gesprochen werden kann. Der Anschein trügt, denn das Übereinkommen garantiert einerseits die internationale Schifffahrt für alle Staaten. Andererseits geht es davon aus, dass es sich beim wirtschaftlich ebenfalls interessanten Tiefseeboden um ein „gemeinsames Erbe der Menschheit“ handelt, d.h. kein Staat oder Unternehmen darf sich Teile davon aneignen.

Um diesem solidarischen Ansatz zum Durchbruch zu verhelfen, wurde mit dem Inkrafttreten des Übereinkommens 1994 die Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority mit Sitz in Kingston/Jamaika) geschaffen. Sie soll sicherstellen, dass insbesondere die geographisch benachteiligen Binnen- oder Kurzküstenstaaten bzw. die Entwicklungsländer an den Vorteilen der Ausbeutung der Festlandsockel und Tiefsee beteiligt werden. So haben die Staaten, die ihren äußeren Festlandsockel (außerhalb der 200 sm-Zone) ausbeuten, eine Gebühr an die Behörde abzuführen. Will ein Staat oder ein Unternehmen den Tiefseeboden ausbeuten – insbesondere scheint der Abbau von Manganknollen aus 5.000 m Tiefe vermittels der Hochtechnologie wirtschaftlich interessant –, so wird dafür eine Lizenz bei der Behörde beantragt. Diese teilt dann zwei Gebiete zu, die durch den Antragsteller erforscht werden müssen. Die Forschungsergebnisse müssen der Behörde mitgeteilt werden, die auf dieser Grundlage eine Abbaugenehmigung für ein Gebiet erteilt. Das andere erforschte Gebiet kann durch das eigene (und im Seerechtsübereinkommen auch so bezeichnete) »Unternehmen« der Behörde genutzt werden. Alle anfallenden Gewinne des »Unternehmens« sollen schließlich durch die Behörde unter den benachteiligten Staaten verteilt werden. Dieses komplizierte Verfahren trat mit einigen Abschwächungen hinsichtlich der Kompetenzen der Behörde 1996 durch einen gesonderten Vertrag in Kraft, nachdem 67 Staaten (darunter sieben Pionierinvestoren, unter ihnen Deutschland) diesen ratifiziert hatten.

Auf dem Weg zu einem Völkerrecht der Solidarität

Das Meeresbodenregime wurde in der Literatur vielfach wegen seines dirigistischen Ansatzes kritisiert, da es so gar nicht in ein Zeitalter der »Marktfreiheit« und »Deregulierung« passen wollte. Dennoch beugten sich die westlichen Staaten letztlich dem Druck der Staatenmehrheit, die das Prinzip »wer zuerst kommt, mahlt zuerst« nicht mehr akzeptieren wollte. Diese Entwicklung ist aus Sicht des Völkerrechts zu begrüßen, denn sie entspricht der Auslegung, die mit der UN-Charta 1945 vereinbart wurde. Dort spricht man nicht mehr vom Souveränitätsprinzip, sondern vom Prinzip der souveränen Gleichheit. Dies bedeutet, dass die Staaten praktisch ungleich, juristisch aber gleich sind. Diese Gleichheit hat zur Folge, dass sie ihre Rechte auf Beteiligung am gemeinsamen Erbe der Menschheit auch wahrnehmen können müssen. Das wurde mit der Schaffung der Meeresbodenbehörde erreicht.

Insofern bilden sich Konturen eines Solidaritätsvölkerrechts heraus, die auch für andere Bereiche beispielhaft sein können. Zu denken ist hier u.a. an die globale Erwärmung, die einzelne Staaten in ihrer Existenz bedroht, aber nur durch die Staatengemeinschaft als Ganzes bearbeitet werden kann. Gerade die Beispiele Umweltschutz und Klimaveränderung stimmen aber nachdenklich, denn die Bereitschaft der wichtigsten Umweltsünder-Staaten zur Regelung der Konsequenzen im Sinne der Solidarität scheint gering entwickelt. Immer noch geben die Staaten dem Wirtschaftswachstum die Priorität. Vor diesem Hintergrund kommt dem Seerecht, das eine sinnvolle Abwägung zwischen nationalstaatlichen und Staatengemeinschaftsinteressen vornimmt, eine große Bedeutung zu.

Leider sind die Kenntnisse über diesen historischen Kompromiss, der für die entwickelten Staaten deutliche wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt, wenig verbreitet. Somit ist die Friedenswissenschaft aufgefordert, das Modell der Nutzung hoheitsfreier Räume im Interesse der gesamten Menschheit weiter zu studieren und in Forderungen der Zivilgesellschaft an die Politik umzuarbeiten.

Literatur

Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage, Berlin 2010, S.418-443.

Holger Hestermeyer et al. (eds.), Law of Sea in Dialogue, Berlin 2011, S.91-136.

Website der International Seabed Authority unter isa.org.jm.

Seerechtsüberinkommen von 1982; deutsche Fassung unter eur-lex.europa.eu.

Hans-Joachim Heintze ist Professor für Völkerrecht am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/2 Hohe See, Seite 6–9