Das Rheinische Grundgesetz
von Klaus Harnack
„North Korean Leader Kim Jong Un just stated that the ,Nuclear Button is on his desk at all times.‘ Will someone from his depleted and food starved regime please inform him that I too have a Nuclear Button, but it is a much bigger & more powerful one than his, and my Button works !“ (Twitter – 2.1.2018) „Do laachs de disch kapott.“ Oder etwa nicht?
Am Morgen des 9. November 2016, einen Tag nach der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl, rieben wir uns kollektiv die Augen, weil wir nicht glauben wollten, was jenseits des großen Teiches passiert war. Noch während des Frühstücks desselben Tages begannen wir damit, durch unsere geschlossene und kollektive Ablehnung die Notwendigkeit des besseren Argumentes zu vergessen und zogen uns stattdessen auf die bequeme und erhöhte Position der zynischen Kommentatoren zurück. Dann, in den ersten Wochen dieser Präsidentschaft, vergaßen wir des Weiteren, dass Populismus in seiner Gänze nur funktionieren kann, wenn er sein ersehntes Echo bekommt und die anderen dieses Spiel mitspielen. Nun ein Jahr bzw. 3.000 Tweets später, ist die Lage zwar immer noch zum Verzweifeln, doch im Zweifel leistet eine juristische Tugend gute Dienste, die besagt, es helfe ein Blick ins Gesetz.
Im Nachklang der fünften Jahreszeit kommt zur eigenen Re-Kalibrierung nur das Rheinische Grundgesetz in Frage, denn bereits der erste Artikel – „Et es wie et es“ – lehrt uns, Jammern hilft nicht, Optimismus ist jedoch angebracht, denn „Et hätt noch emmer joot jejange“. Diesen Optimismus kann man vertreten, denn die US-amerikanische Demokratie gehört zu den ältesten und stabilsten der Gegenwart, und auch dieser Präsident wird sich nicht über diese Demokratie erheben können. Falls doch, „Et kütt wie et kütt“ und „Wat wells de maache?“.
Nun, wir haben die Wahl: Entweder wir lassen uns provozieren und nähren noch zusätzlich die fortwährende Okkupation des öffentlichen Kommunikationsraums durch das sinnfreie Dauerfeuer an Diffamierungen, Selbstbeweihräucherungen, Schuldzuweisungen und Ablenkungsmanövern mit unseren eigenen und genauso wenig nachhaltigen Repliken und Gegenrufen, oder wir tun etwas, was bisher zu wenig getan wurde: Wir schweigen und verkneifen uns die jeweils zu naheliegenden Kommentare. Wir entziehen dem Brüllenden das, was er sich am meisten wünscht: sein eigenes Echo zu hören und zu genießen, wie seine Schallwellen den thematischen Raum durchziehen. Denn tief in seinem Herzen hofft der Brüllende auf eine Abwehrreaktion, einen Gegenangriff, der ihn zum unterstützungswürdigen Opfer macht. Folglich, wenn wir dem Reflex der verbalen Abwehr und dem Gegenangriff partout nicht widerstehen können, gilt ein weiterer Artikel der gesammelten rheinischen Weisheiten: „Maach et joot, ävver nit zo off.“
Mal ehrlich, „Wat soll dä Kwatsch?“, warum sollten wir uns in einer Disziplin mit jemandem messen, der diese Spielart so viel besser beherrscht als wir. Spalten, Hetzen, Verhindern und Peinlichkeiten aussitzen können manche Leute einfach besser – „Mer muss och jünne künne“. Zu bedenken gilt, dass bei Nichtbeachtung des Schweigegebots und bei Hingabe an diese kakophonische Interaktion ein sich selbst verstärkender Mechanismus eintritt. Die Teilnahme an diesem Wechselspiel der Beschuldigungen fördert die Aggression und die Aggression hemmt die Reflexion und ohne Reflexion lässt es sich viel leichter verurteilen – das Spiel beginnt von vorne.
Die hier vorgeschlagene Strategie des Ignorierens, die zur Klärung des okkupierten Debattenraums und zur Befreiung der öffentlichen Aufmerksamkeit dienen soll, wirkt sicherlich nicht nur zur Eindämmung der Phrasenproduktion jenseits des Atlantiks, sondern könnte auch ein probates Mittel gegen die neuen und selbsternannten »Heimatverbundenen« aus dem eigenen Lande mit ihren vereinfachenden und ausgrenzenden Weisheiten sein: „Et jitt kei größer Leid, als dat wat man sich selver andät.“
In Summe bleibt die geballte Ladung an Gesetzesartikeln der Gelassenheit, die uns zum aktiven Optimismus verpflichten und zum Handel aufrufen: „Et bliev nix wie et wor“ und „Wat fott es, es fott“, folglich „Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet“. Spielen wir dementsprechend keine Spiele, die uns nicht liegen, und laden zum Beispiel unsere verbliebenen Nachbarn mit einem „Drinks de ejne met?“ zur Wiederbelebung des Europäischen Friedensprojekts ein – Macron wartet schon lange auf diese Kölner Stange. Hieven wir das leise und durchdachte Argument wieder auf die öffentliche Bühne, um dem Spiel der Vereinfachung, der Schwarz-Weiß Malerei und der bilateralen Ausgrenzung zu begegnen, und verlassen das hohe Ross des moralisch Überlegenen und gehen zu Fuß vom Rhein an die Spree und stellen dort höchst erfreut fest, dass die Weisheiten des Rheinländers Universale sind, wenn wir hören: „Bange machen jilt nich, denn det Kind wer’n wa schon schaukeln, wa?“. Wenn Ihnen folglich in Zukunft wieder etwas von dem sinnfreien Geschwafel ins Ohr dringen sollte, seien Sie auf Peter Lustig verwiesen:
„Ihr könnt jetzt ruhig abschalten!“
Ihr Klaus Harnack