Demokratie_Brüche_erhellen
Jahrestagung des AK Friedenspädagogik der AFK, Landau/Pfalz, 11.-13. Oktober 2021
von Annalena Groppe, Kristina Langeder-Höll und Birgit Riegler
Welche Rolle hat die Friedenspädagogik in aktuellen politischen Konflikten, die Dialogräume verengen und demokratische Haltungen und Institutionen in Frage stellen? Diese Frage brachte 45 Teilnehmer*innen aus praktischen Friedensbildungsprojekten, der Forschung sowie aus Nachbardisziplinen der Demokratiepädagogik, der politischen Bildung oder der kommunalen Konfliktbearbeitung zusammen.
Eröffnet wurde die Tagung von Andreas Eis (Universität Kassel) mit der These, dass polarisierende Konflikte nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Bereicherung für die Demokratie sein können. Als integraler Teil emanzipatorischer und demokratischer Prozesse könnten sie durchaus produktiv wirken, wie ein Blick auf soziale Bewegungen zeige. Um dies zu reflektieren, müssten Friedenspädagogik und ihre Nachbardisziplinen stärker Fragen von struktureller Gewalt und Macht thematisieren. Eine primäre Fokussierung auf Gewaltprävention und zwischenmenschliche Konflikte sei deswegen kritisch zu sehen. Daran anknüpfend zeigte Claudia Ritter (Universität Kassel), wie Emotionen auf politische Identitäten wirken. An den Beispielen PEGIDA und Fridays for Future führte sie aus, dass Emotionen dabei nicht per se „gut“ oder „schlecht“ bzw. „demokratisch“ oder „undemokratisch“ seien.
Anschließend wurde in einem Kolloquium nach Herausforderungen gefragt, die sich der Forschung im Zusammenhang mit polarisierenden Konflikten gegenwärtig stellen. Im Kontext der Pandemie etwa sieht Norbert Frieters-Reermann (KatHo NRW) eine schwierige Aufgabe darin, Krisen in Schule und Gesellschaft in Echtzeit zu bearbeiten. Da politische Konflikte auch in Körper, Psyche und Spiritualität von beteiligten Akteur*innen verwurzelt seien, plädierte Annalena Groppe (Friedensakademie Rheinland-Pfalz) für eine Erweiterung des friedenspädagogischen Repertoires um erfahrungsbasierte Ansätze. Cora Bieß (Berghof Foundation) stellte ein Projekt vor, das den State of the Art von Friedensbildung erhebt und plädierte dafür, auch wichtige Erkenntnisse aus den Bezugswissenschaften zu integrieren.
Ausgewählte Themenbereiche wurden am zweiten Tag in Workshops vertieft. Im Vordergrund standen dabei die Reflexion eigener Erfahrungen in privaten wie beruflichen Wirkungsfeldern sowie der gemeinsame Austausch. Melanie Stamer (selbstständige Trainerin) und Patricia Baquero Torres (Friedensakademie Rheinland-Pfalz) öffneten einen Raum für diskriminierungssensible Kommunikation mit und durch Körper und Emotionen, Daniela Lehner (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) und Annalena Groppe boten Begegnungs-, Bewegungs- und Theaterübungen zur Orientierung in eigenen politischen Konflikten an und Kristina Langeder-Höll (Universität Wien/Friedensbüro Salzburg) ergründete mit den Teilnehmenden Handlungsstrategien für einen konstruktiven Umgang mit polarisierenden Konflikten in der politischen Bildung. Das Kompetenzzentrum Kommunale Konfliktberatung/VFB Salzwedel stellte unterschiedliche Ansätze der Konfliktbearbeitung vor und zog Verbindungslinien zur Bildungsarbeit, während der Workshop des bundesweiten Netzwerks Friedensbildung demokratie- und friedenspädagogische Ansätze ins Gespräch brachte. Es wurden viele Gemeinsamkeiten festgestellt, insbesondere dort, wo Lernen nicht nur „über“, sondern auch „durch“ und „für“ Demokratie oder Frieden geschieht. Genuine Unterschiede, wie der Konflikt- und Teilhabebegriff, können sich gegenseitig ergänzen und bereichern.
Good Practice Panels boten zum Abschluss die Möglichkeit, den praxisreflektierenden Austausch anhand konkreter Projekte zu vertiefen. Die Stärkung von Personen sowie die Förderung von Teilhabe spielten dabei eine wesentliche Rolle: Sylvaina Gerlich und Solange Barbosa (IMIC e.V.) verknüpften ihre Erfahrungen aus der Integrationsarbeit mit dem Tagungsthema, während Hani Menzaljy und Marilyn Lürtzing (Friedenskreis Halle) das Beratungs- und Partizipationsprojekt »Teilhabe für (H)alle« vorstellten. Maria Hartmann präsentierte das Projekt »Demokratie ist kein Denkmal«, bei dem die Erfahrungen Oppositioneller aus Syrien und der DDR in Verbindung miteinander gesetzt werden und daran erinnert wird, dass Demokratie stets neu ausgehandelt werden muss. Melanie Hussak (Friedensakademie Rheinland-Pfalz) präsentierte die Konzepte der »Shared Society« und der »Shared Education«, die auf Verbundenheit in polarisierenden Konflikten zielen. Im Projekt »#vrschwrng« (Berghof Foundation) wurde insbesondere diskutiert, wie ein Aufklären über diskriminierende Symbole und Erzählungen gelingen kann, ohne dieselbigen zu reproduzieren. Es wurde betont, dass Friedenspädagogik hier ein besonderes Potential hat, neben dem thematischen Wissen auch Ambiguitätstoleranz zu stärken und somit die Bedürfnisse in den Blick zu nehmen, auf die Verschwörungstheorien antworten.
Angeregt durch das vielfältige Programm entwickelten sich Diskussionsstränge, die sich über den Großteil der Tagung fortführten. Viele der behandelten Themen und Fragen erscheinen angesichts aktueller gesellschaftlicher Konflikte besonders relevant, sind aber keineswegs neu:
- Einerseits stellte sich die Frage, wie Friedenspädagogik als Disziplin ihre eigene Eingebundenheit in gesellschaftliche Konflikte reflektieren soll. Wenn sich diese durch eine zunehmende Verhärtung der Positionen kennzeichnen und Friedenspädagogik selbst in diese Dynamiken eingebunden ist, welche Rolle kann und soll sie in diesen Prozessen einnehmen? Welche normativen Haltungen liegen ihr zugrunde? Inwieweit versteht sie Lernprozesse als ergebnisoffen und dialogorientiert?
- An diese Fragen schlossen sich Diskussionen um Grenzen und Überschneidungen zur Konfliktbearbeitung an. Im Spannungsfeld zwischen Allparteilichkeit und Wertorientierung, der eher kurzfristig-vermittelnden Arbeit an individuellen Konfliktkompetenzen und der gewaltfreien, nachhaltigen gesellschaftlichen Transformation verorten sich die verschiedenen Ansätze durchaus unterschiedlich. Wie sie voneinander lernen und sich gegenseitig bereichern, könnte in polarisierenden gesellschaftlichen Konflikten ein relevantes und wertvolles Arbeitsfeld sein.
- Eng damit verbunden war die Frage nach dem Friedensbegriff, der Bildungsansätzen zugrunde liegt. Weitgehende Einigkeit bestand darin, dass die Vorstellung einer »neutralen Außenposition« der Friedenspädagogik den Blick auf die eigene Verwobenheit in Machtstrukturen verstellt. Selbstreflexive Aufarbeitung von eigener epistemischer Gewalt(re-)produktion bleibt somit kontinuierliche Aufgabe der Friedenspädagogik.
- Außerdem wurde wiederholt die Erfahrung geteilt, dass trotz der Wahrnehmung einer wachsenden Bedrohungs- und Krisensituation die Begriffe »Frieden« oder »Konflikt(transformation)« bei den Zielgruppen wenig anschlussfähig sind. Sätze wie „Hier herrscht doch kein Krieg!“ deuten darauf hin, dass Lernpotentiale stärker nach innen geklärt und nach außen vermittelt werden müssen. Das »Wording«, das Erreichen von Zielgruppen sowie politische und strukturelle Strategien sind somit eng mit den inhaltlichen Fragen verknüpft.
Nicht zuletzt war die Jahrestagung im Kontext der Pandemie auch physisch, körperlich und emotional ein wichtiger Raum für die Stärkung von Verbundenheit unter den im Themenfeld engagierten Personen. Der intensive Austausch, die kritischen Fragen und vor allem die Vernetzung von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Perspektiven hat jedenfalls Mut gemacht, polarisierende Konflikte weiter in Theorie und Praxis friedenspädagogischer Arbeit zu behandeln und zu reflektieren – an Aktualität wird das Thema in naher Zukunft nicht einbüßen.
Annalena Groppe, Kristina Langeder-Höll und Birgit Riegler