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W&F 2000/4

Demokratieförderung und Wahlprozessbegleitung durch externe Akteure

von Sabine Klotz

Die Wahlprozessbegleitung gilt als ein wichtiges Instrument der zivilen Intervention in interne Konflikte. Für Regierungen, internationale und regionale Organisationen sowie NGOs ist sie ein Instrument um Misstrauen zwischen den Konfliktparteien abzubauen, Minderheiten zu schützen, Gewaltaktionen einzudämmen und einen Demokratisierungsprozess einzuleiten. Sabine Klotz geht auf die Problematik ein, vor der externe AkteurInnen bei der Begleitung von Wahlprozessen stehen und darauf, dass Wahlen nicht automatisch den Demokratisierungsprozess fördern. Sie erörtert die Wechselwirkungen zwischen Demokratie und Frieden und untersucht die Möglichkeiten und Grenzen für die Demokratieförderung durch Wahlprozessbegleitung externer AkteurInnen.

Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts verknüpfen westliche Industriestaaten die Entwicklungszusammenarbeit und die Unterstützung der Transitionsgesellschaften in Mittel- und Osteuropa zunehmend damit, dass diese Länder einen Demokratisierungsprozess einleiten. Diese an sich zu begrüßende Konditionalität kann jedoch dazu führen, dass Regierungen in den Empfängerstaaten durch die Abhaltung von Wahlen ein scheinbar demokratisches Verfahren zur Legitimität ihrer Herrschaft inszenieren, ohne dass in Wirklichkeit die Bedingungen für eine tragfähige und gesellschaftlich breit akzeptierte Demokratisierung des betreffenden Staates gegeben sind.

Nicht immer fördern Wahlen den Demokratisierungsprozess

In Ländern, in denen verschiedene ethnische und/oder religiöse Gruppen Konflikte miteinander austragen, kann bereits die Ankündigung von Wahlen ebenso zur Diffusion und Eskalation der Gewalt beitragen wie die Art des Wahlsystems, die Festlegung der Wahlkreise und die Zulassung oder Nichtzulassung von KandidatInnen sowie der unterschiedliche Zugang der politischen Parteien zu den Medien. Die Gefahr einer Zuspitzung der innenpolitischen Lage bis hin zum Ausbruch eines Bürgerkrieges ist besonders groß, wenn sich die zur Wahl antretenden politischen Parteien oder sonstigen Organisationen entlang der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit formieren und zu Wahlkampfzwecken die Unterschiede zwischen den Gruppen stark hervorheben. In diesem Fall können Konflikte zwischen den Gruppen so sehr polarisieren, dass Wahlergebnisse nicht den politischen Willen der WählerInnen, sondern den Bevölkerungsanteil der einzelnen Gruppen widerspiegeln. In einem solchen Fall kann die ethnische Mehrheit dauerhaft über die Minderheit herrschen, ohne dass die Minderheit die Chance hat, selbst durch Wahlen an die Regierung zu kommen. Demokratie droht dann zur »Diktatur der Mehrheit« zu verkommen.

Besonders problematisch sind Wahlen zu den unterschiedlichen politischen Institutionen, wie Parlament, Staatspräsidialamt und Kommunalvertretungen, sowie Volksbefragungen oder Volksentscheide in Staaten, die einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transitionsprozess durchlaufen. Auch viele Friedensverträge oder sonstige Vereinbarungen, mit deren Hilfe langjährige Bürgerkriege beendet werden sollen, sehen (in manchen Fällen erstmalig) die Durchführung von freien und allgemeinen demokratischen Wahlen oder Referenden vor. Beispiele hierfür sind u.a. die Wahlen in Kambodscha, El Salvador und Mosambik, das Referendum in Ost-Timor sowie das seit Jahren geplante Referendum in der Westsahara. Dabei stellt die Akzeptanz des Wahl- oder Referendumsergebnisses insbesondere durch die verlierende(n) Konfliktpartei(en) eine entscheidende Voraussetzung für die zukünftige zivile, d.h. nichtmilitärische Austragung der innergesellschaftlichen Konflikte dar.

Die bloße Existenz eines formal demokratisch verfassten Staates bedeutet jedoch keine Garantie für die friedliche Austragung von Differenzen zwischen den dort lebenden ethnischen, religiösen oder anderen Gruppen oder zwischen einer oder mehrerer dieser Gruppen auf der einen Seite und der Regierung auf der anderen Seite. Wie die Beispiele Nordirland, Korsika, Baskenland, Sri Lanka und Indien zeigen, werden auch in Staaten mit einer demokratischen Verfassung Bürgerkriege ausgetragen.

Wahlprozessbegleitung als Mittel der zivilen Konfliktbearbeitung

Trotz der Problematik, dass Wahlprozesse Konflikte verschärfen können, und trotz der Tatsache, dass auch in demokratischen Staaten Bürgerkriege geführt werden, gibt es aber eine deutliche Wechselwirkung zwischen Demokratie und Frieden. Denn die demokratische Partizipation der Bevölkerung, die Rechtsstaatlichkeit sowie das Gewaltmonopol einer der Demokratie verpflichteten und die Menschen- und Minderheitenrechte achtenden Regierung erleichtern oder ermöglichen erst die zivile, d.h. friedliche Austragung von internen politischen Konflikten. Auch in ihrem Außenverhältnis regeln demokratische Staaten ihre Konflikte untereinander in der Regel ohne den Rückgriff auf den Einsatz militärischer Gewalt.

Deshalb stellen die Unterstützung der Demokratisierung und die Wahlprozessbegleitung wichtige Instrumente der zivilen Intervention in interne Konflikte dar. Mit diesen Instrumenten versuchen Staaten, internationale und regionale Organisationen sowie NGOs, Parteistiftungen und Kirchen – im günstigsten Fall in Kooperation sowohl miteinander als auch mit einheimischen und regionalen Organisationen vor Ort – die Konfliktparteien so zu beeinflussen, dass diese ihre Interessengegensätze nicht (mehr) in einer Atmosphäre austragen, in der sie Gewalt einsetzen oder die Gewaltausübung anderer Gruppen befürchten müssen.

Erfolgsbedingungen

Es kommt darauf an, dass auswärtige staatliche oder nichtstaatliche Institutionen, die die Demokratisierung eines Staates fördern und den Wahlprozess begleiten, ihre Aktivitäten nicht nur auf die Überwachung des Wahlvorgangs, d.h. auf die Stimmenabgabe und -auszählung, beschränken. Sie sollten darüber hinaus aktiv zur Vertrauensbildung zwischen den örtlichen Parteien, zur Vorbeugung von Manipulationen und zur Akzeptanz des Wahlausgangs auch durch den oder die VerliererInnen beitragen. Insbesondere in den Staaten, in denen zum ersten Mal nach demokratischem Verfahren gewählt wird oder in denen die Wahlen Bestandteil einer Friedensvereinbarung sind, sollten sie deshalb auch die Wahlvorbereitung und die Phase nach der Wahl möglichst über einen längeren Zeitraum hinweg begleiten. Dabei sollten die externen AkteurInnen die Bevölkerung, die politischen Parteien, die Regierung sowie das Militär des betreffenden Staates über demokratische Werte, Menschen- und Minderheitenrechte sowie die Mittel der zivilen Austragung von Konflikten informieren und sie möglichst darauf verpflichten. Das Ziel der Demokratisierungsförderung und der Wahlprozessbegleitung kann jedoch nicht darin bestehen, unabhängig von den lokalen Gegebenheiten und über die Köpfe der Einheimischen hinweg die westliche parlamentarische Demokratie einzuführen, sondern es sollten dem lokalem Kontext entsprechende Foren des freien Meinungsaustausches zwischen den örtlichen AkteurInnen gebildet und unterstützt werden.

Diejenigen, die von außen die Demokratisierung fördern oder den Wahlprozess begleiten wollen, sollten zuvor die Interessen der einheimischen Kooperationspartner im Konflikt analysieren. Nur so können sie vermeiden, dass sie von den in den lokalen Konflikt direkt oder indirekt involvierten Parteien instrumentalisiert werden. Darüber hinaus müssen sie allen einheimischen AkteurInnen verdeutlichen, welche Verhaltensweisen sie als akzeptabel ansehen und welche nicht. Die auf diese Weise zivil in den Konflikt intervenierenden externen AkteurInnen haben gleichfalls ständig zu überprüfen, ob die von ihnen gewünschten Ergebnisse eintreten oder ob ihre Tätigkeit eventuell auch unerwünschte Wirkungen hervorruft, die gegebenenfalls dann andere Maßnahmen erfordern. Um nicht unbeabsichtigt den lokalen Konflikt zu verschärfen, sollten die zivil intervenierenden Externen darauf achten, dass nicht nur ihre eigentlichen AdressatInnen, sondern auch ihre lokalen MitarbeiterInnen, die lokalen HändlerInnen, bei denen sie ihre Waren beziehen und die lokalen VermieterInnen der von ihnen benutzten Gebäude möglichst sämtlichen einheimischen, insbesondere auch den marginalisierten Gruppen angehören.

Trotz ihrer unterschiedlichen Organisationsformen, Profile und Interessen sollten sich die verschiedenen auswärtigen Institutionen, die die Demokratisierung fördern und den Wahlprozess begleiten, untereinander bezüglich ihrer Ziele, ihrer Vorgehensweisen, ihres Verhaltenskodexes und auf die bei den Wahlen einzuhaltenden Mindeststandards verständigen. Das ist sowohl notwendig um einem möglichen Versuch der Konfliktparteien vorzubeugen, die auswärtigen Institutionen gegeneinander auszuspielen, als auch im Hinblick auf die Bewertung des Ablaufs und des Ergebnisses der Wahl.

Grenzen externer Demokratieförderung und Wahlprozessbegleitung

Die konkrete Auswirkung der Wahlprozessbegleitung externer AkteurInnen auf den Demokratisierungsprozess, den Verlauf und das Ergebnis einer Wahl oder auf den Friedens- und Versöhnungsprozess in internen Konflikten ist praktisch nicht messbar. Denn zum einen ist der Gegenbeweis nicht zu erbringen, d.h. es ist nicht feststellbar, ob die Entwicklung anders verlaufen wäre, wenn es diese zivile Intervention durch externe AkteurInnen nicht gegeben hätte. Zum anderen haben neben dieser Intervention auch andere, in der innen- und außenpolitischen Situation des betreffenden Staates liegende Faktoren Einfluss auf Wahlverlauf und Demokratisierung.

Wenn die Verlierer der Wahlen oder des Referendums, wie im Fall Angolas und Ost-Timors, den bewaffneten Kampf (wieder) aufnehmen oder wenn die Regierung, wie im Fall Burmas/ Myanmars die Regierungsübernahme durch die demokratisch gewählte vormalige Opposition verhindert oder wenn, wie im Fall Sri Lankas, nur in den Landesteilen gewählt werden kann, in denen nicht gekämpft wird, dann sind die Erfolgschancen durch eine Einflussnahme von außen sehr gering. Trotzdem ist sie wichtig, um diejenigen lokalen AkteurInnen zu unterstützen, die sich für die Menschenrechte und eine Demokratisierung einsetzen und dafür oft ein hohes persönliches Risiko in Kauf nehmen.

Sabine Klotz, M.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt »Theorie und Praxis der zivilen Konfliktbearbeitung« der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Heidelberg. Teilnahme an der Kosovo Verification Mission der OSZE im Frühjahr 1999 und der OSZE Mission in Bosnien-Herzegowina anlässlich der Kommunalwahl im Frühjahr 2000.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2000/4 Frieden als Beruf, Seite