W&F 2012/4

Der Boom der Rüstungsindustrie

von Elisabeth Sköns

Im vergangenen Jahrzehnt expandierte die Rüstungsindustrie kräftig, ganz im Gegensatz zu den 1990er Jahren, als sie nach dem Ende des Kalten Krieges ihre Kapazitäten reduzieren musste, weil die Militärausgaben sanken. Es gibt mehrere Gründe für die Expansion, am wichtigsten waren aber die Kriege in Afghanistan und im Irak, die besonders in den USA großen Einfluss auf die Nachfrage nach Waffen und militärischen Dienstleistungen hatten. Dieser Boom schuf für Investmentfirmen, die in dieses Marktsegment investieren, ein großes Werktschöpfungspotential. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen in der globalen Waffenindustrie und dem militärischen Dienstleistungsgewerbe (hier unter dem Begriff »Rüstungsindustrie« zusammengefasst) während der 2000er Jahre. Die Analyse berücksichtigt die 100 größten Rüstungsfirmen weltweit der SIPRI-Datenbank »Arms Industry« (ohne China, für das keine verlässlichen Daten vorliegen). Diese Top-100 wickeln im Binnen- wie im Außenhandel den größten Teil der globalen Waffenverkäufe und Militärdienstleistungen ab.

Die Umsätze der Top-100 der globalen Rüstungsindustrie verdoppelten sich von 196 Mrd. US$ im Jahr 2002 auf 411 Mrd. US$ im Jahr 2010 (in geltenden Preisen), wobei der Wachstumsschub mit bis zu 20% in den Jahren 2003 und 2004 am größten war.1

Mit zwei Ausnahmen verzeichneten alle Top-100-Rüstungsfirmen in den 2000er Jahren ein Umsatzwachstum. Für einige war der Boom geradezu atemberaubend. Von 88 der Firmen, für die Daten für das Jahr 2002 wie für 2010 vorliegen, steigerten 76 ihren Umsatz um mehr als das Doppelte, 32 davon sogar um das Dreifache und elf um das Vierfache. In jüngster Zeit verringerten sich die Wachstumsraten auf 4% im Jahr 2009 und 3% 2010.

Kriegsbedingte Rüstungsnachfrage

Die wichtigsten Gründe für das Wachstum der Rüstungsverkäufe waren die Kriege in Afghanistan ab 2001 und Irak ab 2003 im Gefolge von »9/11«. Diese Kriege erwiesen sich als sehr kostspielig und zogen massive Erhöhungen der Militärausgaben nach sich, vor allem in den USA, aber auch in anderen kriegsteilnehmenden Staaten. Zwischen 2001 und 2011 stiegen die Militärausgaben preisbereinigt in den USA um 79%, in Kanada um 53% und in Großbritannien um 26%, während NATO-Partner wie Frankreich und Spanien die Militärausgaben nur um 4% bzw. 1% steigerten und Deutschland preisbereinigt sogar um 6% kürzte.2

Im Jahr 2011 stiegen die US-Militärausgaben auf über 700 Mrd. US$, höher als jemals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Über die Hälfte davon ging für die Beschaffung von Wehrtechnik und militärischen Dienstleistungen an private Firmen – damit eröffnete sich ein enormes Potential für die Marktexpansion der Rüstungsindustrie. Das Auftragsvolumen des US-Verteidigungsministeriums an die größten Auftragnehmer, vor allem an die Top-10, verdoppelte sich zwischen den Finanzjahren 2001 und 2008. Ein Drittel der Aufträge ging sogar an nur fünf Firmen: Lockheed Martin, Boeing, Northrop Grumman, Raytheon and General Dynamics.3 Insgesamt hatten diejenigen Firmen die höchsten Zuwachsraten, die auf Militärfahrzeuge und militärische Dienstleistungen spezialisiert sind.

Die Top-10-Firmen

Sämtliche Rüstungsfirmen der Top-10 des Jahres 2010 (über den gesamten Zeitraum eine relativ stabile Gruppe) steigerten zwischen 2002 und 2010 ihren Rüstungsumsatz um mehr als fünf Mrd. US$. Um die Größenordung zu illustrieren, gibt Tab. 1 auch das Bruttosozialprodukt einiger ausgewählter Länder an. Sieben der Top-10-Firmen stammen aus den USA und eine (BAE Systems aus GB) hat eine große Tochterfirma in den USA, um den dortigen Markt zu bedienen. Die meisten Firmen sind breit diversifiziert und machen Geschäfte in den militärrelevanten Segmenten Elektronik, Luftfahrt, Lenkwaffen (Raketen) und Dienstleistungen (letztere können sowohl produktspezifisch als auch generellerer Art sein). Manche Firmen der Top-10 Gruppe produzieren auch Artilleriegeschütze, Fahrzeuge, Kleinwaffen und Munition.

In den Jahren nach »9/11« kletterten aber nicht nur die Umsätze der Rüstungsindustrie beträchtlich, sondern auch die Gewinne. Eine Befragung der Top-25-US-Rüstungsfirmen ergab im Jahr 2007, dass die Gewinnrate (Nettogewinnanteil des Gesamtumsatzes) nur bei drei Firmen nicht stieg. Die durchschnittliche Gewinnrate der US-Top-10 stieg von 2,4% im Jahr 2001 auf 6,6% im Jahr 2007. Insgesamt vervierfachte sich der Gewinn der Top-10-Firmen von 4,7 Mrd. US$ auf 20,84 Mrd. US$.4

Tabelle 1: Die Top-10 der Rüstungsindustrie: Rüstungsumsätze 2002-2010
Angaben in Millionen US$ zu geltenden Preisen und Wechselkursen.

Rang 2010 Firma Land Umsatz mit Rüstung Zum Vergleich
2002 2010 Anstieg Land BIP 2010
1 Lockheed Martin USA 18.870 35.730 16.860 Bosnien & Herzegowina 16.837
2 BAE Systems GB 14.070 32.880 18.810 Estland 18.958
3 Boeing USA 23.560 31.360 7.800 Simbabwe 7.204
4 Northrop Grumman USA 17.800 28.150 10.350 Papua Neuguinea 9.796
5 General Dynamics USA 9.820 23.940 14.120 Jamaika 13.428
6 Raytheon USA 12.020 22.980 10.960 Kambodscha 11.272
7 EADS Europa 5.630 16.360 10.730 Kongo 10.775
8 Finmeccanica Italien 3.720 14.410 10.690 Mauritius 9.729
9 L-3 Communications USA 3.020 13.070 10.050 Mosambik 9.533
10 United Technologies USA 5.640 11.410 5.770 Moldau 5.809
Quellen: zu den Rüstungsumsätzen: SIPRI: The SIPRI Arms Industry Database.
zum BIP: United Nations Department of Economic and Social Affairs, Economic and Social Development: Statistics; unstats.un.org

Militärfahrzeughersteller

Die steilsten Wachstumskurven verzeichneten zwischen 2002 und 2010 drei US-Unternehmen, die sich auf Produktion, Aufrüstung, Wartung und Support von Militärfahrzeugen spezialisierten: Oshkosh Truck (um 1.090%), Navistar (um 912%) und AM General (um 629%). Die US-Firma Force Protection, die neu in die SIPRI Top-100-Liste aufstieg, machte 2010 einen Umsatz von 660 Mio. US$ mit Rüstungsgütern. Ohne Zweifel machten diese Firmen mit dem Krieg ein gutes Geschäft. Oshkosh Truck lieferte Militärfahrzeuge und Dienstleistungen (Logistik, Wartung, Support) für Serviceeinrichtungen im Irak und in Kuwait. Navistar war ein Hauptprofiteur des Pentagon-Programms zur Fertigung von minenresistenten Fahrzeugen.5 Armor Holdings, die auf die Panzerung von Militärfahrzeugen spezialisiert ist, hat mehr als eine Milliarde US$ mit Fahrzeugpanzerungen verdient.6 AM General lieferte die geländegängigen Humvees (High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles), die besonders im Irak in großer Zahl eingesetzt wurden.

Militärische Dienstleistungsunternehmen

Militärische Dienstleistungen sind ein weiterer Sektor, der stark expandierte. SIPRI definiert militärische Dienstleistungen in dem Sinne, dass sie speziell für militärische Zwecke entwickelt oder angepasst wurden.7 Die beiden üblichsten Dienstleistungen bieten technische Services (einschließlich IT-Dienste, Systemunterstützung und die Wartung, Reparatur und Überholung von Geräten) und operative Unterstützung (wie das Management von Militärbasen, Logistik, Training und Nachrichtenwesen). Die beiden anderen Arten sind Forschung und Analyse sowie – besonders umstritten– Kampfeinsätze.8

Einige dieser (vor allem technischen) Dienstleistungen erbringen private Firmen schon seit Jahrzehnten, der Bedarf ist aber seit dem Ende des Kalten Krieges vor allem durch das Outsourcing militärischer Tätigkeiten und durch den Einsatz von Technologien, die ein hohes technisches Knowhow erfordern, stark gestiegen. Auf der Nachfrageseite wirkte sich auch die Zunahme militärischer Operationen im Ausland aus, beispielsweise im Irak und in Afghanistan, wo zum Schutz von Diplomaten, Firmenniederlassungen und ziviler Konvois zunehmend privates bewaffnetes Sicherheitspersonal zum Einsatz kam. Diese Dienstleistungen werden in Afghanistan und im Irak ausschließlich durch private Firmen erbracht und machen vermutlich 10-15% sämtlicher Verträge aus, die das US-Verteidigungsministeriums für diese zwei Kriege vergab.9

2002 führte SIPRI zum ersten Mal eine Erhebung über das Outsourcing von Militärdienstleistungen durch und identifizierte 15 Firmen, die im Jahr 2000 solche Dienstleistungen anboten. 2012 gehören schon 20 Firmen, die auf Militärdienstleistungen spezialisiert sind, zu den SIPRI Top-100 (siehe Tab. 2) und machten zusammen 55 Mrd. US$ militär-relevante Umsätze, ein Wachstum von 147% seit 2002.10

Tabelle 2: Militärische Dienstleister unter den SIPRI Top-100 im Jahr 2010
Umsätze (preisbereinigt) in Millionen US$ der Firmen in der SIPRI-Liste der Top-100, die sich auf militärische Dienstleistungen spezialisieren; etliche weitere Top-100-Firmen bieten ebenfalls Dienstleistungen an.

Rang 2010 Firma Land Rüstungsumsatz
2002 2010
9 L-3 Communications USA 3.660 13.070
12 Science Applications USA 3.640 8.230
14 Computer Sciences Corp. USA 2.400 5.940
23 KBR USA 3.310
29 Babcock International GB 540 2.770
22 Hewlett-Packard USA 2.570
33 ManTech International USA 520 2.490
38 DynCorp International USA 1.650 2.390
39 CACI International USA 520 2.320
43 Serco GB 670 2.130
50 QinetiQ GB 1.150 1.730
58 Agility Kuwait 1.310
59 Fluor USA 1.300
67 Jacobs Engineering Group USA 600 1.020
78 Shaw Group USA 810
81 Cubic Group USA 380 810
86 Alion Science and Technology USA 770
88 Mitre USA 510 740
93 VSE Corporation USA 680
98 AAR Corp USA 650
Quelle: Jackson, S.T.J.: Arms production and military services. In: SIPRI Yearbook 2012, S.231.
Grundlage: SIPRI Arms Industry Database

Rüstungsfirmen als Investitionsobjekte

Mit Beginn der 1990er Jahre wurden Rüstungsfirmen in den USA und Westeuropa für Private-Equity-Gesellschaften (Kapitalbeteiligungsgesellschaften) interessant. Die Kapitalrenditen sind äußerst attraktiv. Die Wertsschöpfung wird mittels interner und externer Umstrukturierung der Firmen (Zerschlagung und Weiterverkauf) erzielt, dabei kommen den Private-Equity-Gesellschaften ihre Finanzkraft und ihre Kundenkontakte zugute.

Die Steigerung des Shareholder Value wird positiv befördert, wenn das Unternehmen enge Beziehungen zum Kunden hat. Daher weisen in den USA die Lebensläufe vieler Gründer, Manager und Aufsichtsratsmitglieder von Private-Equity-Gesellschaften berufliche Stationen in der US-Regierung, besonders im Verteidigungsministerium und im Weißen Haus auf, und sie verfügen über gute Kontakte in die Spitzen des Verteidigungs- und Sicherheitssektors der US-Regierung. Besonders aktiv in diesem Sinne ist die 1987 gegründete Carlyle Group. Frank C. Carlucci stieß 1989 als stellvertretender Vostandsvorsitzender zu Carlyle, 1993-2002 übernahm er den Vorstandsvorsitz. Zuvor war er 1986-1987 Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Ronald Reagan, dann zwei Jahre lang US-Verteidigungsminister.

In den 1990er Jahren wurde die Wertschöpfung federführend durch »Downsizing« der traditionellen Rüstungsindustrie erzielt, d.h. es wurden Überkapazitäten verkauft und Personal entlassen und so enorme Kapitalrenditen erzeugt. In den 2000er Jahren scheint sich der Finanzsektor im Militärbereich auf die inzwischen zahlreichen Militärdienstleister zu fokusieren, bei denen es ein großes Konsolidierungspotential gibt.11

Nach diesem Schema wickelte die Carlyle Group in den 2000er Jahren u.a. die folgenden Deals ab: 2000 kaufte Carlyle ein Drittel der Aktien von QuinetiQ, die durch Privatisierung aus der Forschungs- und Entwicklungsagentur der britischen Regierung hervorging, für 73 Mio. US$ und verkaufte den Anteil 2006 für mehr als 500 Mio US$ weiter. 2003 erwarb Carlyle die Triebwerksparte der italienischen Fiat Avio für 1,7 Mrd. US$ und verkaufte sie 2006 für 3,4 Mrd. US$ an die europäische Investmentfirma Cinven. Mit vergleichbaren Geschäften machten andere Private-Equity- bzw. Investmentfirmen wie Kohlberg Kravis Roberts (KKR), J.F. Lehman and One Equity Partners profitable Geschäfte im Verteidigungssektor.12

In jüngster Zeit wurden etliche große Militärdienstleister aufgekauft. So erwarb z.B. Carlyle 2008 die auf den Verteidigungssektor spezialisierte Consultingabteilung von Booz Allen Hamilton für 2,5 Mrd. US$.13 2009 kauften KKR und General Atlantic die entsprechende Abteilung TASC von Northrop Grumman für 1,6 Mrd. US$. Das Gewinnpotential, das im An- und Verkauf von Rüstungsfirmen steckt, lässt sich am Beispiel DynCorp gut illustrieren. DynCorp schloss riesige Verträge für Arbeiten im Irak und in Afghanistan ab; drei DynCopr-Unternehmenseinheiten wurden 2010 für eine Milliarde US$ von einer Private-Equity-Gesellschaft, Veritas Capital, an eine andere Private-Equity-Gesellschaft, Cerberus Capital Management, verkauft.14 Dabei verdiente nicht nur Vertitas Capital viele Millionen Dollar, sondern der Gründer und Vorstandsvorsitzende von Veritas kassierte für seinen eigenen Unternehmensanteil ebenfalls über 270 Mio. US$.15

Große Militärfirmen in anderen Regionen

Im Kontext von Politik und Rüstungsindustrie ist oft von der enormen Herausforderung durch Waffenentwicklungen in aufstrebenden BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) die Rede.16 Es wird aber nur selten spezifiziert, worin die Herausforderung eigentlich besteht und wie groß sie ist. Dies ist auch in diesem Beitrag nicht im Detail möglich, ein Blick auf die Entwicklung der SIPRI Top-100 ist aber recht aufschlussreich.

Die Liste wird weiterhin von Firmen aus den USA und Westeuropa dominiert, wobei die nordamerikanischen Firmen (44 aus den USA und eine aus Kanada) 61% des Umsatzes der Top-100 machen. 30 Firmen aus Westeuropa setzen weitere 29% um. Die 25 Firmen in der übrigen Welt (außer China) teilen sich die restlichen 10% des Rüstungsumsatzes der Top-10017: neun Firmen in Russland, elf in den OECD-Ländern Japan, Israel, Südkorea und Türkei und sechs in den nicht-OECD-Ländern Indien, Kuwait,18 Singapur und Brasilien. Seit 2002 hat sich an diesem Bild nicht viel geändert. Damals stammten 80% der Firmen aus den USA und Westeuropa; sie verbuchten 93% des Rüstungsumsatzes für sich.19 Die 20 anderen Firmen hatten ihren Sitz 2002 (in dieser Reihenfolge) in Russland, Japan, Israel, Indien, Südkorea, Singapur, Australien und Südafrika.

Ein Sonderfall sind die russischen Rüstungsfirmen, die in den 2000er Jahren wieder expandierten, nachdem sie infolge des Zerfalls der Sowjetunion 1991 und der damit einhergehenden plötzlichen Demilitarisierung und der tiefen Wirtschaftsrezession zunächst kräftige Umsatzeinbußen hinnehmen mussten.20 Allerdings war das Wachstum hier bislang eher moderat. 2002 machten sechs russische Top-100-Firmen einen Rüstungsumsatz in Höhe von 2,8 Mrd. US$ (das entsprach 1,5% des Top-100-Umsatzes),21 2010 machten acht russische Firmen 14,6 Mrd. US$ Rüstungsumsatz (das entsprach 3,6% am Gesamtumsatz der Top-100).22 Zu dieser Entwicklung trugen vor allem höhere Militärausgaben in Russland sowie ein Konzentrationsprozess in Forschung, Entwicklung und Produktion mit weniger, aber größeren Firmen bei. Im Februar 2011 verabschiedete die russische Regierung ein Aufrüstungsprogramm in Höhe von 19 Billionen Rubel (650 Mrd. US$), weitere drei Billionen Rubel sollen 2013-2020 in die Rüstungsindustrie fließen. Allerdings ist die Umsetzung des Programms aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten zur Zeit fraglich.23 Die russische Rüstungsindustrie ist weiterhin stark vom Export abhängig, auf dem internationalen Markt jedoch kaum konkurrenzfähig.

Andere Firmen außerhalb des euro-atlantischen Raums verzeichneten zwischen 2002 und 2010 hohe Zuwachsraten (um mehr als das Dreifache), beispielsweise Embraer (Brasilien), Hindustan Aeronautics (Indien) und LIG Nex1 (Südkorea).

Allerdings ist Technologie der wichtigste Faktor für die industrielle Konkurrenzfähigkeit, sie wird aber durch die quantitativen Messgrößen (Anzahl und Umsätze der Top-100-Firmen) in der SIPRI-Datenbank nicht erfasst. Bei den BRICS-Ländern sind China und Russland technologisch führend, während Brasilien und Indien viel von Importen abhängen.24

Die Kapazitäten der chinesischen Rüstungsindustrie abzuschätzen ist aufgrund mangelnder Transparenz schwierig, und westliche Quellen bleiben bezüglich der Primärquellen ihrer Daten oft sehr vage. Es scheint jedoch eine gewisse Übereinstimmung hinsichtlich einiger Aspekte zu geben: Erstens verzeichnen etliche chinesische Firmen sehr hohe Umsätze mit Rüstungsgütern. Wären die entsprechenden Zahlen bekannt, würden sie mit großer Wahrscheinlichkeit in der SIPRI Top-100-Liste auftauchen. Und zweitens ist zu beobachten, dass China aufgrund von Fortschritten in zivilen Technologien in verschiedenen Bereichen erhebliche Innovationsfortschritte macht und damit die Abhängigkeit von russischer und anderer ausländischer Technologie sinkt. Die Entwicklung der chinesischen Rüstungsindustrie schlägt sich in sinkenden chinesischen Importen konventioneller Waffen (58% weniger zwischen 2002-2006 und 2007-2011) und steigenden Rüstungsexporten (um 95% im gleichen Zeitraum) nieder.25

Künftige Entwicklungen

Verschiedene Faktoren legen nahe, dass die Rüstungsfirmen und Militärdienstleister der SIPRI Top-100 in nächster Zeit einer erneuten Schrumpfungsphase entgegen sehen, zumindest in Nordamerika und Westeuropa. Die Kriege in Afghanistan und Irak gehen ihrem Ende entgegen, und das Haushaltsdefizit der USA erzwang einen politischen Konsens über drastische Kürzungen im US-Militärhaushalt in den nächsten zehn Jahren. Die Finanzkrise in etlichen westeuropäischen Ländern führt ebenfalls zu Kürzungen bei den Militärausgaben. Das große russische Aufrüstungsprogramm ist mit finanziellen Engpässen konfrontiert, und die wirtschaftliche Rezession im Gefolge der globalen Finanzkrise in anderen Teilen der Welt setzt dem internationalen Waffenmarkt Grenzen. Deshalb ist von einer radikalen Kürzung der globalen Militärausgaben und dem Schrumpfen der Rüstungsindustrie auszugehen, ähnlich wie nach dem Ende des Kalten Krieges.

Doch es gibt auch mögliche Gegentrends. Die Nachfrage nach Waffen und militärischen Dienstleistungen für internationale Friedensmissionen könnte steigen, möglicherweise auch infolge internationaler militärischer Interventionen wie in Libyen und verschiedener Unterstützungsmaßnahmen für den Sicherheitssektor im globalen Süden. Außerdem hat in den USA die Ankündigung drastischer Kürzungen im Militärhaushalt die Rüstungsindustrie alarmiert, die eine intensive Lobbykampagne gestartet hat gegen automatische Kürzungen (sequestration) in den nächsten zehn Jahren, die Folge der fehlenden politischen Einigung über die Verringerung des Haushaltdefizits sind.26 In ihren Lobbykampagnen argumentiert die Rüstungsindustrie primär mit den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, wenn Entlassungen erfolgen. Aber selbst diese Auswirkungen würden nur mit zeitlicher Verzögerung eintreten, da die großen US-Firmen erhebliche Auftragspolster haben: Lockheed Martin 81 Mrd. US$, Boeing 46 Mrd. US$ und Northrop Grumman und General Dynamics jeweils 40 Mrd. US$.27

Anmerkungen

1) Die Veränderungen sind in geltenden Preisen und Wechselkursen angegeben und betreffen Rüstungsfirmen, die jeweils in der Liste der Top-100 aufgeführt wurden, d.h., es gab in jedem Jahr geringfügige Änderungen in der Zusammensetzung der Top-100. Jackson, S.T.: Arms production and military services. In: SIPRI Yearbook 2012. Oxford: Oxford University Press, S.220; Sköns, E., Bauer, S. und Surry, E.: Arms production. In: SIPRI Yearbook 2004. Oxford: Oxford University Press, S.390.

2) Perlo-Freeman, S. et al.: Military expenditure data 2002-11. In: SIPRI Yearbook 2012. Oxford: Oxford University Press, S.197 und 200.

3) Hartung, W.D.: The Military-Industrial Complex Revisited: Shifting Patterns of Defense Contracting in the Post-9/11 Period. New York, 14. Juni 2011; ebookbrowse.com.

4) Sköns, E.: The US defence industry after the Cold War. In: Tan, A. (ed.) (2010): The Global Arms Trade. London: Routledge, S.244-245.

5) Sköns, E. and Surry, E.: Arms production. In: SIPRI Yearbook 2007. Oxford: Oxford University Press, S.359.

6) Bilmes, L.: Who profited from the Iraq war? EPS Quarterly, vol. 24, Nr. 1 (March 2012), S.7.

7) Perlo-Freeman, S. and Sköns, E.: The private military services industry. SIPRI Insights on Peace and Security, Nr. 1, 2008, S.2. Weitere Definitionen für solche Firmen finden sich in Singer, P.W. (2003): Corporate Warriors – The Rise of the Privatized Military Industry. Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, Cornell Studies in Security Affairs; und Wulf, H. (2005): Internationalizing and Privatizing War and Peace. Houndsmill: Palgrave Macmillan.

8) Perlo-Freeman, S. and Sköns, E., 2008, op.cit., S.6-7.

9) Bilmes, L., op.cit., S.6.

10) Jackson, S.T., op.cit., S.231.

11) Siehe z.B.: Defense and private equity: perfect partners. Jane’s Defense Weekly, 5. Mai 2010, S.25.

12) Sköns, E.:, Acquisitions by the US financial sector in the European arms industry. In: Sköns, E. (2009): The Arms Industry and Globalisation, PhD Thesis, Bristol, S.194-201.

13) Carlyle to Acquire Booz Allen Unit for $2.54 Billion. Bloomberg, 16. Mai 2008.

14) Cerberus to Acquire DynCorp for About $1 Billion. The Wall Street Journal, 12 April 2010.

15) DynCorp Owner Cashes Out Of Wartime Investment. Forbes, 12 April 2010.

16) Siehe z.B.: European Economic and Social Committee: Opinion of the Consultative Commission on Industrial Change (CCMI) on the need for a European defence industry: Industrial, innovative and social aspects. CCMI/100, Brussels, 15 Juni 2012, S.4.

17) Jackson, S.T.J., op.cit., S.248.

18) Es handelt sich um eine kuwaitische Logistik- und Transportfirma mit großen Aufträgen der US-Armee im Kontext des Irakkrieges.

19) Sköns, E., Bauer, S. and Surry, E., op.cit., S.390.

20) Pikayev, A.: Defence spending and procurement in post-Communist Russia. In: Tan, A. (ed.), op.cit., S.151.

21) Sköns, E., Bauer, S. and Surry, E., op.cit., S.390.

22) Jackson, S.T., op.cit., S.248.

23) Zwei unterschiedliche Einschätzungen hierzu: Government rearmament program could be delayed. Moscow News, 2. Juli 2012; und Russia’s rearmament remains on schedule – Econ Minister. RIA Novosti, 2. Juli 2012.

24) Zu Untersuchungen für Brasilien und Indien siehe Bromley, M., and Guevara, I.: Arms modernization in Latin America, und Pant, H.V.: India’s arms acquisition – devoid of a strategic orientation. Beide in: Tan, A. (ed.), op.cit.

25) Holtom, P. et al., International Arms Transfers. In: SIPRI Yearbook 2012, op.cit., S.269 und 271. Siehe dazu auch den Beitrag von Siemon Wezeman im beiliegenden W&F-Dossier 72.

26) Informationen zu den Vereinbarungen zur Sequestration siehe Sköns, E. and Freeman, S.: The United States’ military spending and the 2011 budget crisis. In: SIPRI Yearbook 2012, S.162-166.

27) Rasor, D., Defense companies use Congress to save their profits, no matter what (part one). Truth-out, 2. Aug. 2012.

Dr. Elisabeth Sköns leitet das SIPRI-Programm zu Militärausgaben und Waffenproduktion; sie arbeitet und publiziert seit mehr als 20 Jahren zu diesen Themen. Seit 2009 beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit einem Projekt zu externen sicherheitsbezogenen Aktivitäten in der Subsahara.
Aus dem Englischen übersetzt von Herbert Wulf.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/4 Rüstung – Forschung und Industrie, Seite 20–24