W&F 2012/1

Der georgisch-russische Medienkrieg

von Jörg Becker

Kriege brechen nicht aus sondern werden gemacht, und bei den Vorbereitungen spielt die Einstimmung der Öffentlichkeit eine große Rolle. Im Gedächtnis haften blieb beispielsweise die Medienkampagne der PR-Agentur Hill & Knowlton, die 1990 nach dem Einmarsch des Irak in Kuwait im Auftrag der Gruppe »Bürger für ein freies Kuwait« die Stimmung in den USA und der Weltöffentlichkeit so anheizen sollte, das die USA dem Irak den Krieg erklären – was Anfang 1991 dann auch geschah. Im August 2008 führten Russland und Georgien einen kurzen Krieg. Der begleitende Medienkrieg, wieder unter Beteilung von PR-Experten, ist bis heute nicht beendet.

Der amerikanisch-französische Schriftsteller Jonathan Littell hat nicht nur den Bestseller »Die Wohlgesinnten« veröffentlicht, sondern auch ein »Georgisches Reisetagebuch« über seine Reise in den Kaukasus im August 2008 (Berlin-Verlag, Oktober 2008). Darin findet der Leser – quasi ganz nebenbei – auch die folgende Passage:

„Konkurrierende Versionen [über den Kaukasuskrieg vom August 2008], denen sehr reale politische Interessen zugrunde liegen, werden durch einen aufwendigen, mehr oder weniger raffinierten PR-Apparat – das, was man früher Propaganda nannte – unterstützt. Auf der russischen Seite bleiben die Methoden ziemlich primitiv: Während die Bürger, da der Kreml die Presse fast vollständig kontrolliert, kaum eine Alternative zur offiziellen Version der Ereignisse haben, ist diese für ausländische Beobachter wenig überzeugend, so wenig wie die ursprüngliche Anschuldigung des »Völkermords«. Auf der georgischen Seite dagegen bedient man sich modernster Methoden. So hat die Regierung eine belgische PR-Firma, Aspect Consulting, damit beauftragt, ihre Sicht der Außenwelt zur Kenntnis zu bringen. Der Firmengründer Patrick Worms, den die russischen Medien »den belgischen Meister der schwarzen PR« getauft haben, hat in jeder wichtigen europäischen Hauptstadt eine Arbeitsgruppe eingerichtet und setzt täglich eine Flut von Informationen und Schönfärbereien in die Welt, die die offizielle Version glaubhafter machen soll. Persönlich scheint er an das zu glauben, was er verbreitet.

»Hier draußen braucht man nicht aus Scheiße Gold zu machen.« Eines seiner größeren Projekte, das er zusammen mit Giga Bokeria [dem stellv. Außenminister Georgiens] realisierte, war eine offizielle Chronologie der Ereignisse, die Ende August an ausländische Journalisten und Diplomaten in Tiflis verteilt wurde. Nun wird aber in dieser so genannten Zeitschiene der Aggression ohne irgendeinen Beweis einfach festgestellt: »Ungefähr 150 Panzer- und Militärfahrzeuge der regulären russischen Armee drangen am 7. August in den Roki-Tunnel ein und rückten gegen Zchinwali vor.« Patrick Worms hat einigen Journalisten einen Entwurf dieses Dokuments vorgelegt, in dem er den von Bokeria vorgeschlagenen Text kommentiert. An dieser Stelle lautet seine Anmerkung vom 21. August: »Wann genau? Und woher wissen wir das? Und seit wann wissen wir es? Bevor sie in den Roki einfuhren oder seit sie ihn verlassen haben? Das ist der entscheidende Punkt, von dem alles, was wir sagen oder tun, abhängt!« Gute Fragen, die in der endgültigen Version unbeantwortet bleiben.“

Was ein Schriftsteller in dieser Passage quasi nebenbei erzählt, lässt sich auch wissenschaftlich recherchieren, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, da PR-Agenturen das Licht scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

PR-Agenturen für die georgische Regierung

Die georgische Regierung unter Micheil Saakaschwili hat alleine im Jahre 2008 eine größere zweistellige Millionensumme an amerikanischen Dollars für Medienmanipulation, Werbung und Public Relations ausgegeben, um ihr Image als junge westlich orientierte Demokratie bei der NATO, in den USA und in Westeuropa hoffähig zu machen. Im Jahre 2008 verteilten sich Lobbying und PR für Saakaschwili auf drei westliche Profis: Orion Strategies, Squire-Sanders Public Advocacy – beide mit Sitz in Washington – und Aspect Consulting in Brüssel, London, Paris und zeitweilig auch Tiflis. Die Orion-Gruppe war in der Hand des Lobbyisten Randy Scheunemann, dem früheren außenpolitischen Berater des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten John McCain, und bei Squire-Sanders hatte das Sagen Patrick O’Donnell, früher Rechtsberater der ehemaligen US-Präsidenten Nixon und Ford.

Der wichtigste PR-Partner für die georgische Regierung war aber bis vor kurzem die PR-Agentur Aspect. Der deutsche PR-Spezialist Patrick Worms, der zuvor unter der früheren Kommissarin Margot Wallström in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der EU-Kommission gearbeitet hatte, und der englische PR-Spezialist James Hunt sind Gründer und Senior-Partner von Aspect Consulting, einem Unternehmen mit rund 40 Mitarbeitern. Nach Eigenauskunft auf ihrer Homepage geht Aspect davon aus, dass „Kommunikation der wichtigste Schlüssel zu geschäftlichem und organisatorischen Erfolg“ ist. Ein spezielles Gebiet von Aspect sind politische Kommunikation und Krisenmanagement: „80 Prozent eines Krisenmanagements bestehen aus Vorbereitung und Planung. Das Aspect-Team entwickelt Systeme und Prozesse, um sich auf operationale und attitudinale Krisen vorzubereiten. Wir bieten Hilfe von außen und sichern zu, dass robuste Systeme dann zur Stelle sind, wenn es eine Krise gibt. Wir managen auch den schlimmsten Fall, sollte er denn eintreten.“ (Beide Zitate stammen von der Homepage 2008.) Zu den kommerziellen Kunden von Aspect zählen u. a. McDonald’s Europe, Kraft Foods, Akzo Nobel, die deutsche Linde AG, Pepsico, Unilever oder Kellogg’s; zu seinen politischen Kunden schweigt sich Aspect freilich aus. Von den beiden Aspect-Gründern gilt James Hunt in der PR-Branche als »Mann fürs Grobe«. In der globalen Medienöffentlichkeit hat er schon so manches Meisterstück abgeliefert: Während der Brent-Spar-Krise 1995 half er erfolgreich dem Öl-Multi Shell, in der BSE-Krise 2000 schaffte er es, McDonald’s aus den negativen Schlagzeilen heraus zu holen und in späteren Krisen wischte er gekonnt die Bedenken von Gegnern genetisch manipulierter Saatgüter vom Tisch der Öffentlichkeit. In Tiflis war Aspect seit November 2007 mit 50 georgischen Mitarbeitern aktiv, um im Auftrag des georgischen Präsidenten und der georgischen Regierung das Bild Georgiens im Westen zu verbessern und um den erwünschten EU- und NATO-Beitritt medial vorzubereiten. Insider schätzen, dass Aspect dafür einen Betrag von 750.000 US$ erhalten hat.

Während in der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008 bereits georgische Truppen und Panzer nach Süd-Ossetien einbrechen und schlafende Menschen töten, demonstriert die georgische Regierung das, was Aspect „robustes Krisenmanagement“ nennt: Am Morgen des 8. August 2008 veranstaltete der georgische Premierminister Lado Gurgenidze ein gut besuchtes Investorentreffen mit fünfzig wichtigen US-amerikanischen Bankern. Hier intonierte Aspect die Melodie, die dann in den nächsten Kriegstagen erfolgreich durch die globale Medienwelt ging: „Brutal erdrückt der grausame russische Bär ein kleines demokratisches Land!“ Und Staatspräsident Micheil Saakaschwili kann genau diese Botschaft in vielen Interviews mit CNN und BBC ein ums andere Mal wiederholen, findet sogar am 11. August 2008 – also mitten im Krieg – Zeit, unter dem Titel »Der Krieg in Georgien ist ein Krieg für den Westen« einen eigenhändigen Beitrag für das Wall Street Journal zu schreiben.

Allein am Sonntag den 10. August 2008 verschickte Aspect 20 Presseinformationen an alle wichtigen westlichen Medien – insgesamt 70 waren es an den gesamten fünf Kriegstagen. Die Sprache dieser Mitteilungen war klar und deutlich. „Russland attackiert nach wie vor Zivilbevölkerung“, „intensives“ Bombardement der Hauptstadt Tiflis, europäische „Energiezufuhr“ durch russische Bomben nahe an Pipelines gefährdet, russische Blockade eines „humanitären Schiffes mit Weizen“, „Besetzung Georgiens“. Saakaschwili unterrichtet den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag über die Gefahr „ethnischer Säuberungen“.

Zwar waren Aspect-Meldungen, dass russische Jets Tiflis intensiv bombardieren würden und dass russische Truppen Gori eingenommen hätten, krasse Lügen, doch bestand die Sprache der Pressemitteilungen aus genau den Wörtern und Begriffen, die die westlichen Medien aus den Balkankriegen kannten – zivile Opfer, humanitär, Besetzung, ethnische Säuberung – und die damals die psychologische Vorbereitung und Einstimmung der Bevölkerung für eine »humanitäre Intervention« der NATO waren. Nach Ende der Kampfhandlungen sagte James Hunt in einem Interview mit dem Fachmagazin »PR Week«: „Es gibt Agenturen, die für Russland arbeiten. Ich weiß nicht, wie man sich bei einem derartigen Auftraggeber wohl fühlen kann. Ich glaube, ich war einfach auf der Seite der Engel. Bei den Journalisten haben wir ganz einfach an das Gefühl von richtig und falsch appelliert.“

Inzwischen ist dieser reale Krieg vom August 2008 längst vorbei und eine von der EU-Kommission eingesetzte Untersuchungskommission, die so genannte Independent International Fact-Finding Mission on the Conflict in Georgia vom September 2009 unter Leitung der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini, hat eindeutig und unzweifelhaft auf Seite 19 im 1. Berichtsband festgestellt: „Die offenen Feindseligkeiten begannen mit einer großen georgischen Militäroperation gegen die Stadt Tskhinvali und Umgebung in der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008. Diese Operation begann mit einem massiven georgischen Angriff der Artillerie.“

Georgisch-russischer Medienkrieg

Diese beiden Sätze wurden bislang in keinem georgischen Massenmedium erwähnt, und wenn auch der reale Krieg längst vorbei ist, so geht der Medienkrieg zwischen Georgien und Russland unverdrossen weiter.

Medienmanipulation in Georgien

Das in Tiflis in Georgien erscheinende englischsprachige Magazin »Weekly Georgian Journal« zeigte auf dem Titelblatt seiner Ausgabe vom 12. bis 18. November 2009 einen jungen russischen Soldaten, der die vier georgischen Jugendlichen bewacht, die Anfang November die Grenze von Georgien nach Südossetien überquerten und dort seitdem widerrechtlich zurück gehalten werden. Doch der Leser traut seinen Augen kaum. Auf dem Ärmel der russischen Uniformjacke prangt ein großes Hakenkreuz! Wie bitte? Ein Hakenkreuz auf einer russischen Uniform? Eine Bildmontage, um die Russen medial mal wieder kräftig ins Reich des Bösen zu verdammen. Im Zeitalter digitaler Bildmanipulationen im übrigen eine recht plumpe Fälschung – hier wurde offensichtlich noch mit Schere und Klebstoff manipuliert.

Wer dieses Bild sieht und analysiert, wundert sich kaum, denn regierungsunabhängige Medien gibt es in Georgien nicht. Vielmehr drangen zum Beispiel Spezialeinheiten der Regierung Saakaschwili am 7. November 2007 in den Senderaum des oppositionellen TV-Senders »Imeti» (Hoffnung) ein und übernahmen ihn. Stattdessen gibt es seit 2007 mit »Sakartvelo« (Georgien) sogar ein staatliches Militärfernsehen, das die Bevölkerung mit martialischen Kriegsfilmen zu Patriotismus und Militarismus erziehen will, so wie das auch in den regierungsamtlichen Jugendcamps passiert, in denen allein von 2004 bis 2010 rund 100.000 georgische Jugendliche zu autoritärem Verhalten und Führerkult erzogen wurden. Und im staatlich kontrollierten TV-Kanal 1 gibt es durchaus auch mal eine Kinderstunde, in der Kinder im Kindergartenalter die Grenzen Georgiens mit Soldaten umstellen und dabei auch Schiffe an Georgiens Westküste im Schwarzen Meer einsetzen. Genauso wenig, wie es in Georgien unabhängige Medien gibt, genauso wenig gibt es eine unabhängige Opposition, da zum Beispiel die lang anhaltenden und großen Demonstrationen gegen Saakaschwili auf den Straßen von Tiflis im Frühjahr 2009 von der georgischen Mafia unter Leitung von Lascha Schuschanaschwili unterwandert worden waren.

Spielfilm »5 Days of War«

Im Juni 2011 hatte der Jubel- und Kriegsfilm »5 Days of War« des finnisch-US-amerikanischen Filmregisseurs Renny Harlin vom Filmstudio Rexmedia aus Los Angeles seine Premiere. Hier werden die Russen als Bestien und Wilde gezeigt und Saakaschwili wird nochmals als Opfer und Sieger abgefeiert – da ist es völlig egal, wie die historische Wahrheit aussieht. In den USA erhielt dieser Film bei der Altersfreigabe ein »R« (Restricted), da er extrem gewaltätige und blutige Kriegszenen und -verbrechen mit besonders obzönen Dialogen enthält..

Wer hat diesen Multi-Millionen-Film mit dem kubanisch-US-amerikanischen Hollywoodschauspieler Andy Garcia in der Rolle von Saakaschwili bezahlt? Befragt man Rexmedia, ob die georgische Regierung den Film bezahlt habe, wird das strikt zurück gewiesen, der Film werde völlig normal finanziert, nämlich durch „Private-equity-Kapital, Vorverkäufe und Bankenfinanzierung“. Wer sich nach dieser Auskunft freilich hinter dem Private-equity-Kapital verbirgt, muss offen bleiben – es könnte sowohl der georgische Staat als auch das International Republican Institute sein, in dem der US-amerikanische Georgien-Lobbyist Randy Scheunemann Sitz und Stimme hat. Im Kino ist der Film gefloppt.

Der Disput zwischen »First Caucasian TV« und Eutelsat

Im Januar 2010 warf der in Georgien ansässige russischsprachige TV-Sender »First Caucasian« der russischen Firma Gazprom-Media (www. gazprom-media.com) vor, die Ausstrahlung seines TV-Programms in Russland dadurch zu blockieren, indem sie alle entsprechenden Frequenzen des Eutelsat-Satelliten aufgekauft habe. Georgien beschuldigte Russland zum wiederholten Mal, einen Propagandakrieg zu führen und den Satellitenbetreiber Eutelsat unter Druck zu setzen, während Russland argumentierte, Eutelsat wende ausschließlich betriebswirtschaftliche Kriterien an. Die westlichen Medien thematisierten diesen Konflikt in aller Breite:

Georgian TV ’blocked by Russia‘“ (BBC, 1. Februar 2010)

„Georgia Russian-language TV channel has troubled start“ (BBC, 2. Februar 2010)

„Georgian TV Channel Says Russian Company Elbowed It Off the Air“ (The New York Times, 2. Februar 2010)

„First Caucasian TV takes Eutelsat to court“ (AFP, 4. Februar 2010)

„A Clear Signal From Eutelsat“ (WSJE, 4. Februar 2010)

„Kremlin’s reach – Letter to the Editor“ (The Times, 4. Februar 2010)

„Georgian TV channel loses French »censorship« case“ (BBC, 14. Juli 2010)

„Russian-language Georgian TV to start broadcasting“ (BBC, 25. Januar 2011).

Ausblick

Das Problematische am georgisch-russischen Krieg ist nicht so sehr, dass für Entscheidungen in der internationalen Politik erstens ein Medienkrieg wichtiger ist als ein realer Krieg und dass zweitens dieser Medienkrieg noch andauert. Nein, viel wichtiger und folgenschwerer sind folgende Zusammenhänge:

Während die Brüsseler PR-Agentur Aspect Consulting für Georgien arbeitet(e), war eine andere Brüsseler PR-Agentur für Russland aktiv, nämlich die Europa-Abteilung von Gplus. Mit anderen Worten: So mancher in den Medien porträtierte Konflikt hat nichts mit dem wirklichen Konflikt zu tun, sondern ist ein sozial konstruierter Konflikt von zwei ökonomisch miteinander konkurrierenden und um die mediale Aufmerksamkeit ringenden PR-Agenturen.

Bei allen wichtigen internationalen Konflikten geht es den mit der sozialen Konstruktion daran beteiligten PR-Agenturen primär und in allererster Linie darum, ihre Botschaften in US-amerikanischen Medien zu platzieren, um das Handeln der US-Regierung und der US-Abgeordneten im Senat und Abgeordnetenhaus im Sinne ihrer sie bezahlenden Auftraggeber zu beeinflussen. Diese US-amerikanische Komponente verdient mehr Aufmerksamkeit als bisher.

Galt die Presse einer kritischen Kommunikationstheorie früher stets als Manipulationsinstrument (wie differenziert oder simpel auch immer die Theoriebildung war: komplex bei Adorno und als Modell einer Konsensfabrik äußerst simpel bei Chomsky), so hat die Presse diese gesellschaftliche Funktion gegenwärtig weitgehend an die PR-Industrie abgegeben. Zwar kann man ihr zugute halten, »mitgehangen, mitgefangen« zu sein, doch fallen die Gewichtungen immer ungünstiger für die Presse aus, und inzwischen wurde sie weitgehend zum Manipulationsopfer der PR-Industrie.

Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag für die »Political Economy Section« der Konferenz der »International Association for Media and Communication Research«, die vom 13. bis 17. Juli 2011 in Istanbul/Türkei stattfand. Jörg Becker ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Universität Marburg. Arbeitsschwerpunkt: internationale Medienpolitik.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/1 Schafft Recht Frieden?, Seite 39–41