W&F 2003/4

Der Markt wird’s schon richten?

von Christiane Lammers

Die Gründergeneration der bundesdeutschen Friedenswissenschaft tritt ab und es scheint an der Zeit Bilanz zu ziehen. Was sind die theoretischen Grunderkenntnisse, die als Fundament die zukünftige Friedensforschung tragen werden; welche Methoden haben sich als adäquat für den zu erforschenden Gegenstand erwiesen, welche Theorien und Modelle gelten als relativ sicher verifiziert? So wichtig eine inhaltlich-fachliche Review of the State of the Art ist, die bisher – leider – vor allem auf diversen Abschiedskolloquien en detail erörtert wird, so wichtig ist doch gerade für FriedensforscherInnen die Frage, was haben wir gesellschaftlich erreicht? Wirkungsforschung war schon immer eine heikle Sache, die Wirkung einer ganzen Wissenschaftsrichtung zu untersuchen, dürfte fast unmöglich sein, nur über Teilaspekte kann man sich vielleicht der »historischen« Wahrheit annähern. Ein solcher kann z.B. die Entwicklung und der Bestand von Wissenschaftsstrukturen sein.

Zur Geburtsstunde der bundesrepublikanischen Friedensforschung boomten die Sozialwissenschaften. Kritisches Denken war an den meisten Universitäten en vogue, der Ausbau der Universitäten gerade auch im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften schuf Arbeitsplätze auch für an Friedensfragen interessierte WissenschaftlerInnen: Ebert, Zellentin, Krippendorff, Gantzel, Ruf, Nuscheler, Senghaas, Jahn, Albrecht, Rittberger, Zoll usw. Etwa zur gleichen Zeit wurden Forschungszentren meist mit Unterstützung der Bundesländer geschaffen, die mit je eigenem Schwerpunkt Fragen des Friedens erforschen sollten: FEST, HSFK, IFSH. Nicht viel später gab es sogar eine bundesdeutsche Förderung für die Friedensforschung: die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK).

In den 80er und frühen 90er Jahren festigten sich die Strukturen, einige neue kamen durch »glückliche« politische Konstellationen hinzu, wie das INEF, das SCHIFF und das BICC; nur wenige mussten das Feld räumen aus »unglücklicheren« Konstellationen wie die DGFK. Von außen betrachtet waren es sichere Zeiten. Als Makel blieb allerdings, dass der Friedensforschung die Anerkennung durch den Bundesstaat versagt blieb. Der damals formulierte Ideologieverdacht zeigt selbst heute noch Wirkung.

Von den strukturellen Rahmenbedingungen her schien die Friedensforschung bis vor kurzem noch an ihrer sich dahinschleppenden aber doch stetigen Erfolgsstory zu schreiben: Die Institute entwickelten sich weiter, wurden quantitativ bedeutsamer, die neue Bundesregierung und vor allem auch die ihr unterstellte Administration zeigte sich aufgeschlossen, neue Instrumentarien zur Forschungsförderung wie die Deutsche Stiftung Friedensforschung wurden geschaffen.

Doch die Aufbruchstimmung, die zumindest noch bis zum Beginn der neuen Legislaturperiode reichte – trotz der Widersprüche, die sich mit dem Kosovo-Krieg auftaten – muss inzwischen einer Nüchternheit weichen. Manches Versprechen (z.B. die Koalitionsaussage zum weiteren Ausbau der Friedensforschung) wurden bisher nicht eingelöst, vor allem aber verschlechtern sich die strukturellen Grundvoraussetzungen im Zuge der veränderten Rahmenbedingungen für die (Sozial-)Wissenschaften überhaupt.

Der bisher geltende gesellschaftliche Grundkonsens, dass Wissenschaft und Forschung nicht nur nach ihrer direkten Verwertbarkeit zu beurteilen und zu fördert sind, wird nach und nach aufgekündigt. Wenn Wissenschaft nur noch an der Höhe der eingeworbenen so genannten Drittmittel gemessen wird, steht nicht nur die Freiheit der Wissenschaft auf dem Spiel.

Das wichtigste Standbein der Friedensforschung war jahrzehntelang die Landesunterstützung. Außenpolitische friedenswissenschaftliche Problemstellungen sind diesen Geldgebern aber inzwischen nur noch schwer vermittelbar (hier macht es inzwischen keinen Unterschied mehr, von welcher Koalition ein Land regiert wird). Der Verweis auf die miserable Haushaltssituation von den Ländern bis zum Bund ist nach wie vor ein schlechtes Argument bei gleichzeitgen Ausgaben für Gen- und Militärforschung in Milliardenhöhe.

Ad hoc profitiert die Friedensforschung von den zum Teil radikalen Umbrüchen an den Hochschulen – wohl kaum wären sonst sechs einschlägige Studiengänge in Vorbereitung. Es wird sich aber erweisen müssen, ob die Einbindung in das neue System insgesamt der Wissenschaft dienlich ist. Denn auch für dieses gilt: oberstes Prinzip ist die Orientierung an der zeitnahen Verwertbarkeit nicht nur des Wissens, sondern auch der Studierenden selbst. Die Änderungen im Hochschulrahmengesetz weisen zudem daraufhin, dass zukünftig nur noch ein Minimalprogramm an hochschulischer Forschung grundfinanziert wird und alles übrige sich den Marktmechanismen zu unterwerfen hat.

Es muss angesichts dieser Situation nicht mehr herausgestrichen werden, dass bisher kein einziger der Lehrstühle, die von der oben genannten Gründergeneration verlassen wurden, von einem/r FriedensforscherIn besetzt wurde.

Sicherlich können die WissenschaftlerInnen allein diese Entwicklung nicht aufhalten. Zwar ist eine von innen heraus – im eigenem Interesse handelnde – Gegenbewegung, etwa der AbsolventInnen der neuen friedenswissenschaftlichen Studiengänge, denkbar, hierauf zu warten wäre jedoch verantwortungslos. Eine Einmischung in die Wissenschaftspolitik auf breiter Ebene erscheint dringend geboten.

Christiane Lammers Stellv. Vorsitzende des Stiftungsrats der Deutschen Stiftung Friedensforschung

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2003/4 Friedensforschung, Seite