Der Nord-Süd-Konflikt um „Umwelt und Entwicklung“
von Karin Stahl
Wie der Titel der für Juni dieses Jahres in Rio de Janeiro (Brasilien) geplanten UN-Konferenz „Umwelt und Entwicklung“ (UNCED) bereits suggeriert, steht diese Konferenz für den Versuch, die vielfältigen Beziehungen zwischen Entwicklungsstilen, Unterentwicklung und Überkonsumtion einerseits und Umweltzerstörung bzw. -erhaltung andererseits herauszuarbeiten. Allgemeines Ziel dieser Konferenz ist es, der fortschreitenden Umweltzerstörung und zunehmenden Verarmung Einhalt zu gebieten und einen politischen Konsens aller Regierungen der UN-Staatengemeinschaft über künftige „nachhaltige“ Entwicklungswege herzustellen. Angesichts der Vielzahl von divergierenden Interessen zwischen Nord und Süd, zwischen Ost, West und Süd und zwischen Staaten innerhalb der verschiedenen Interessenblöcke mutet dies allerdings als ein äußerst schwieriges Unternehmen an.
Mit dem Appell an das gemeinsame Interesse und die gemeinsame Verantwortung aller Völker und Staaten für die Erhaltung der Umwelt und für das Überleben der Menschheit war bereits die von der UN eingesetzte Brundtland-Kommission angetreten, einen solchen politischen Konsens in ihrem programmatischen Bericht von 1987 zu formulieren.1 Die eher harmonistische Eine-Welt-Vision des Brundtland-Berichts von der gemeinsamen Verantwortung für die gemeinsame Zukunft und die damit verknüpfte Konsens-Strategie wurden jedoch schon kurze Zeit später wieder in Frage gestellt. Sowohl die lateinamerikanische Kommission für Umwelt und Entwicklung wie auch die Südkommission stellten dem Brundtland-Bericht aus der Perspektive der Staaten der Dritten Welt ihre Agenda gegenüber und hoben die gegensätzlichen und konfligierenden Interessen zwischen Nord- und Süd in der Umwelt- und Entwicklungsproblematik hervor.2 (…) Zweifel sind angebracht, ob ein von allen getragener politischer Konsens überhaupt erreicht und globale Lösungsansätze gefunden werden können. (…)
Kernstücke der Vorverhandlungen für die geplante UN-Konferenz sind die Ausarbeitung von Prinzipien für den Schutz und die Nutzung von Wäldern, die als Grundlage für eine später zu erarbeitende Konvention zum Schutz von Wäldern dienen sollen. Weiterhin sollen ein umfassender Aktionsplan, die »Agenda 21«, mit prioritären Umwelt- und Entwicklungsprogrammen für das nächste Jahrhundert sowie eine sogenannte »Earth-Charta« ausgearbeitet werden, die eine Reihe von ethischen Prinzipien, Rechten und Pflichten erthalten und der »Agenda 21« zugrundegelegt werden soll.
Wesentliche Konfliktlinien und Interessenwidersprüche
Im Verlauf der Dritten Vorbereitungskonferenz (12.8.-4.9.1991 in Genf) wurden verschiedene Konfliktlinien, widerstreitende Interessen und Erwartungen deutlich, die sich gegen Ende der Konferenz zu wachsenden Nord-Süd-Spannungen verhärteten. Ein grundlegender Konflikt berührte die Gewichtung von umweltrelevanten und entwicklungsrelevanten Problemen und ihr Verhältnis zueinander. Die Dritte Vorbereitungskonferenz erlebte ein Wideraufleben der Nord-Süd Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung. Nord-Süd-Spannungen bestanden aber nicht nur auf Seiten der offiziellen Regierungsdelegationen, sondern ließen sich auch zwischen nördlichen und südlichen Nichtregierungsorganisationen beobachten. Im folgenden sollen die wichtigsten Konfliktlinien wiedergegeben werden.
Die Vernachlässigung der Entwicklungsproblematik
Auf den Vorbereitungskonferenzen wurden unterschiedliche Erwartungshaltungen zwischen Nord und Süd, vor allem was die anvisierten Ergebnisse betrifft, sichtbar. Den Industriestaaten (IL) geht es im wesentlichen darum, die globalen Umweltprobleme, die auch deren weitere Entwicklung bedrohen, einzudämmen, während die Entwicklungsländer (EL) auf eine Lösung ihrer gravierendsten Armuts-, Entwicklungs- und Umweltprobleme drängen. Die lateinamerikanische Kommission für Umwelt und Entwicklung weist in ihrem Bericht der Lösung der Entwicklungs- und Armutsprobleme klare Priorität zu.
„Es wird keine nachhaltige Entwicklung in Lateinamerika und der Karibik geben, solange fast die Hälfte seiner Bevölkerung unter den Bedingungen extremer Armut lebt. Die ökologische Tragfähigkeit unserer Entwicklung muß der menschlichen Entwicklung klare Priorität einräumen. Dies ist zusammen mit der rationellen Nutzung der natürlichen Ressourcen eine zentrale strategische Linie, der jedes weitere Engagement untergeordnet werden muß.3
In der Erklärung von Peking, die am 19. Juli 1991 in Vorbereitung von UNCED von 41 Ländern der Dritten Welt verabschiedet wurde, wird ebenfalls auf die Notwendigkeit verwiesen, den entwicklungsrelevanten Themen zumindest eine gleichrangige Bedeutung einzuräumen.4 (…)
Diese Appelle der Entwicklungsländer hatten bisher wenig Einfluß auf den Verlauf der Vorbereitungskonferenzen. (…)
Der Nord-Süd-Konflikt um die Gewichtung von Umwelt- und Entwicklungsfragen prägte den gesamten Konferenzverlauf und trat besonders deutlich in den Verhandlungen über die »Earth Charta«, die Inhalte und Zielsetzungen des Aktionsprogramms »Agenda 21« sowie in den Diskussionen der sektorübergreifenden Themen hervor. (…) Bisher wurde noch keine Einigung über einen Entwurf der »Earth Charta« erzielt. (…)
Die nur untergeordnete Bedeutung, die vor allem die Industriestaaten den Entwicklungsbedürfnissen der Dritten Welt zumessen, wurde auch in den Diskussionen um die Armuts- und Verelendungsproblematik während der Dritten Vorbereitungskonferenz deutlich. Zwar wurde in Übereinstimmung mit dem Konferenzdokument „Report on Poverty and Environmental Degradation“ eine Beziehung zwischen wachsender Verarmung und Umweltzerstörung in den Entwicklungsländern anerkannt, die tiefer liegenden Ursachen für Verelendung und Umweltzerstörung wurden jedoch in dem Dokument ausgeklammert.5 Mit dem Schlagwort der »armutsbedingten Umweltzerstörung« wird aus nördlicher Sicht die sich verschärfende Armuts- und Verelendungsproblematik in der Dritten Welt lediglich als ein weiterer Faktor betrachtet, der zur Umweltzerstörung beiträgt. Maßnahmen zur Beseitigung der Armut sind für den Norden daher vor allem in ihrer funktionalen Zuordnung zu Umweltzerstörung bzw. -erhaltung von Relevanz. In diesem Sinne forderten die USA die Konferenz auf, „sich auf spezifische Aktionsprogramme im Bereich Boden, Wasserzufuhr, Wälder und Ozeane zu konzentrieren, die den Druck der Armut, der eine so große Belastung für unsere Umwelt darstellt, abmildert“.6 Für den Norden steht offensichtlich nicht die Beseitigung der Armut und ihrer Ursachen (und damit auch der armutsbedingten Umweltzerstörung) im Vordergrund, sondern lediglich die Bekämpfung der Symptome der Armut, soweit sie die Umwelt belasten. Die vorgeschlagenen Programme zur Armutsbekämpfung beschränken sich lediglich auf bevölkerungspolitische und einkommensschaffende Maßnahmen, ohne die notwendigen Rahmenbedingungen und Strukturreformen für den Erfolg dieser Maßnahmen und für eine soziale und umweltgerechte Entwicklung zu benennen.
Aus der Sicht südlicher NGOs stellt sich die ökologische Krise nicht primär als eine Umweltkrise dar, die durch Armut verschärft wird, sondern als eine umfassende sozio-ökologische Krise, die auf eine grundlegende Krise des dominanten nördlichen Entwicklungsmodells mit seinen verzerrten Kopien im Süden und der diesem Modell zugrunde liegenden ungleichen Weltwirtschaftsordnung verweist.7
Internationale ökonomische Rahmenbedingungen
Aus diesem globalen Verständnis von sozialer und ökologischer Krise wird der zweite Konfliktpunkt von UNCED deutlich. Sowohl Regierungsdelegationen als auch NGO-Vertreter aus der Dritten Welt geben sich nicht damit zufrieden, nur die Symptome einer fehlgeleiteten Entwicklung, wachsende Umweltzerstörung und Verelendung, durch verschiedene Einzelmaßnahmen und »Schönheitsreparaturen« zu lindern, ohne auch nur ihre Ursachen zu benennen, geschweige denn verändern zu wollen. Die fehlende Analyse insbesondere der externen und weltwirtschaftlichen Ursachen von Massenelend und Umweltzerstörung (z.B. Bodenverseuchung, Entwaldung) in der Dritten Welt und der entsprechenden notwendigen Korrekturen wurde sowohl von der Gruppe 77 der Entwicklungsländer wie auch von verschiedenen südlichen und nördlichen NGOs kritisiert. (…)
Als Hauptursachen für die zunehmende Verarmung und Umweltzerstörung wurden von den EL benannt: Das Entwicklungsmodell des Nordens mit seinen verschwenderischen Konsumstandards, die makroökonomischen Rahmenbedingungen einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung, die Verschuldungskrise und der Nettokapitaltransfer von Süd nach Nord, sinkende »terms of trade«, die vom Weltwährungsfond und Weltbank geforderten Strukturanpassungsprogramme, ungerechte Handelsstrukturen etc.. Während die IL darauf bedacht waren und sind, diese Themen aus der Konferenz auszuklammern, da es ja andere Verhandlungsforen gebe (IWF, GATT, UNCTAD etc.), drängten die EL darauf, im Rahmen von UNCED die Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung wieder aufzunehmen.
„Es ist klar, daß es unter diesen Bedingungen (Verschuldung, sinkende terms of trade, Protektionismus der IL, Anm. d. Verf.) keine realistische Möglichkeit für die betroffenen Länder des Südens geben wird, Entwicklungsprogramme einzuleiten, die nachhaltig und umweltverträglich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß das, worauf es ankommt, nicht nur die Bildung eines globalen Umweltfonds oder anderer Fonds ist …, um Umweltprogramme zu finanzieren. Was auch und in erster Linie vonnöten ist, sind Maßnahmen aus der Agenda der traditionellen und festgefahrenen Nord-Süd-Verhandlungen, nämlich Maßnahmen a) zur Reduzierung der Schuldenlast … b) zur Erhöhung der offiziellen Entwicklungshilfe … c) zur Verbesserung des Zugangs des Südens zu internationalen Finanzmitteln … d) zur Verbesserung der Handeslpreise auf ein Niveau, das die ökologischen Kosten der Produktion im Süden in Rechnung stellt … e) zur Verbesserung des Zugangs der südlichen Länder zu den Märkten des Nordens.“ 8 (…)
Mit ihrem Gegenentwurf zum Aktionsprogramm »Agenda 21«, in den alle wesentlichen Punkte einer zu reformierenden Weltwirtschaftsordnung aufgenommen wurden, hat die Gruppe 77 die Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung zumindest wieder eröffnet. Sie kann sich in diesen Fragen der Unterstützung durch südliche NGOs versichern. Beide sind sich in ihrer Einschätzung einig, daß eine Lösung der Armuts- und Umweltprobleme nur unter veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und gerechten Verteilungsstrukturen von Macht und Reichtum möglich ist.
Dabei treffen südliche NGOs nicht immer auf Solidarität ihrer nördlichen Counterparts. Bei den NGOs des Nordens, vor allem den Umweltgruppen, fehlt aufgrund der oft nur punktuellen Orientierung auf ein spezifisches ökologisches Problemfeld (Erhaltung der Regenwälder, Schutz der Wale, Biotechnologie etc.) häufig ein themenübergreifendes Problembewußtsein für globalere Zusammenhänge. Aus der Perspektive des Südens werden aber gerade internationale Reformen als unerläßliche Voraussetzung angesehen, um dem Süden überhaupt erst einmal einen Handlungsspielraum zu eröffnen, Reformen auf nationaler Ebene im Sinne einer ökologisch und sozial tragfähigen Entwicklung einzuleiten. (…)
In Gegensatz zu vielen Regierungsvertretern aus der Dritten Welt haben die erdrückenden externen Abhängigkeiten und die Forderung nach Veränderung der externen Rahmenbedingungen von Entwicklung den südlichen NGOs nicht den Blick für notwendige interne wirtschaftliche und soziale Reformen verstellt.
„Für die Probleme, mit denen der Süden heute konfrontiert ist, können nicht nur der Kolonialismus, die post-kolonialen Ungerechtigkeiten des Weltsystems oder der Norden und seine multilateralen Entwicklungsagenturen verantwortlich gemacht werden. (…) so haben auch die Regierungen in vielen südlichen Ländern eine fehlerhafte Wirtschafts- und Sozialpolitik betrieben. (…) es gibt außerdem viel zu viele Beispiele von Machtmißbrauch, Habgier, Korruption und Größenwahn politischer Führer, die zur Abzweigung von Regierungsgeldern auf private Bankkonten von Politikern im Ausland, zu Prestigeprojekten statt zu Ausgaben, die die Bedürfnisse des Volkes befriedigen, und zu nationaler Mißwirtschaft geführt haben.“
Das Entwicklungsmodell des Nordens: Überfluß und Überkonsum
Neben den negativen makroökonomischen Rahmenbedingungen einer ungleichen Weltwirtschaftsordnung liegt aus der Perspektive des Südens die Hauptverantwortung für die globale sozio-ökologische Krise auch in dem dominierenden »nördlichen« Entwicklungs- und Zivilisationsmodell mit seinen verschwenderischen Produktions- und Konsummustern und seiner grenzenlosen Wachstumsorientierung.
Zur Stützung ihrer Argumentation verweisen die Entwicklungsländer zu Recht drauf, daß die IL mit nur 20% der Weltbevölkerung ca. 80% der Weltressourcen verbrauchen und auch 80% des Schadstoffausstoßes verursachen. Demnach liegt das Problem der Ressourcenerschöpfung und der Umweltverschmutzung zu vier Fünftel in dem ökonomischen Modell des Nordens und zu einem Fünftel in dem Entwicklungsmodell des Südens begründet. Nach Auffassung südlicher Regierungs- und NGO-Vertreter kann man daher nicht von einer »gemeinsamen« Verantwortung für die Umwelt sprechen, die gleiche Rechte und Pflichten für alle Staaten nach sich ziehe. (…) UNCED solle daher primär über eine grundlegende ökologische Strukturanpassung in den Industriestaaten verhandeln, da diese in erster Linie verpflichtet seien, ihr verschwenderisches Wirtschaftsmodell zu ändern.
Strukturanpassungsprogramm für den Norden
Folgende Elemente einer solchen »nördlichen« Strukturanpassungspolitik werden gefordert: eine drastische Reduzierung des Schadstoffausstoßes, der für den Treibhauseffekt verantwortlich ist; die Identifizierung und den Abbau von Konsummustern und Lebensstilen »nördlicher« Zivilisationen, die die globale Umwelt gefährden; eine drastisch reduzierte Produktion und Nutzung von toxischen Chemikalien und ein Exportverbot solcher Substanzen und radioaktiver Abfälle in Entwicklungsländer; Verabschiedung einer Konvention für Multinationale Konzerne, die diese weltweit zur Einhaltung umweltverträglicher Produktionsstandards verpflichtet; Transfer von umweltfreundlichen Technologien in die Dritte Welt zu Vorzugsbedingungen etc.9
Die IL zeigten auf den bisherigen UNCED-Vorbereitungskonferenzen allerdings nur wenig Bereitschaft, das westliche Industrialisierungs- und Konsummodell in Frage zu stellen. Unter dem Druck ihrer Industrie lehnen sie einschneidende Maßnahmen zur Begrenzung ihrer eigenen Produktion und des Konsums ab. (…) Die IL plädieren vorwiegend, was ihre eigenen Wirtschaften und Gesellschaften angeht, für den verstärkten Einsatz umweltfreundlicher Technologien und technischer Neuerungen, um die Umweltbelastung zu verringern und den Ressourcenverbrauch einzudämmen. Soweit einschneidendere umweltpolitische Maßnahmen vorgeschlagen werden (Schutz der Regenwälder, Erhaltung der Artenvielfalt, Wiederaufforstung etc.), sollen diese Maßnahmen vor allem in den Ländern der Dritten Welt durchgeführt werden, ohne diesen für den entgangenen wirtschaftlichen Gewinn Entschädigungen leisten zu wollen. Maßnahmen, die die eigene Industrie beeinträchtigen könnten (…) wurden bisher zurückgewiesen. (…)
Vertreter aus der Dritten Welt befürchten, daß im Sinne einer lediglich für den Süden propagierten »nachhaltigen Entwicklung« eine Welt mit zwei Lebensstilen festgeschrieben werde. (…) Die wenig kompromißbereite Haltung der IL, Abstriche an ihrem eigenen Entwicklungsmodell zu machen, bestärkte viele EL in ihrer Haltung, ihrerseits keine ökologischen Selbstverpflichtungen zu akzeptieren, die ihre weitere Entwicklung und ein wirtschaftliches Wachstum beeinträchtigen könnten. Diese Haltung wird durch die gravierende Wirtschafts- und Verschuldungskrise in vielen EL und die von IWF und Weltbank erzwungene Exportorientierung ihrer Wirtschaften sowie durch den Zwang der Devisenerwirtschaftung noch weiter unterstützt. Da die IL nicht über diese makroökonomischen Rahmenbedingungen verhandeln wollen, die den EL Raubbau an ihren eigenen Ressourcen quasi aufzwingen, wird sich an dieser Haltung wenig ändern. (…)
Die südlichen NGOs setzen dem dominanten Entwicklungsmodell ein eigenständiges Entwicklungsmodell der »self reliance« entgegen, das den Wachstumsmythos radikal in Frage stellt und sich, soweit wie möglich vom globalen Weltmarkt abgekoppelt, an den traditionellen Werten, Wirtschaftsweisen und Technologien orientiert und auf die Bedürfnisse lokaler Gruppen und Kommunen ausgerichtet ist.10 In ihrer Forderung nach einem radikalen Wandel von »Entwicklung« müssen sich auch die nördlichen NGOs den Vorwurf gefallen lassen, das nördliche Wirtschaftsmodell nicht wirklich ändern zu wollen, sondern allenfalls kosmetische Reparaturen vorzuschlagen. Wie schon im Bereich der internationalen Rahmenbedingungen wurden auch in der Frage künftiger Entwicklungswege die Nord-Süd-Spannungen in die Reihen der Nichtregierungsorganisationen übertragen. (…)
»Globale Commons« versus »Nationale Souveränität«
Angesichts der Hauptverantwortung der Industriestaaten für die globale Umweltzerstörung wiesen die Entwicklungsländer nicht nur das Konzept der »gemeinsamen Verantwortung« zurück, sondern stellten ebenfalls das Konzept der sog. »global commons« grundsätzlich in Frage.
Als »global commons« (globales Allgemeingut) werden die natürlichen Ressourcen klassifiziert, deren Erhaltung für das ökologische Gleichgewicht der Erde lebensnotwendig ist, und die daher einem besonderen internationalen Schutz und Kontrollregime unterliegen sollen. Zu diesen »Allgemeingütern« sollen nicht nur solche Ressourcen wie die Atmosphäre, die Luft und Meere gerechnet werden, die sich außerhalb nationaler Territorien befinden, sondern auch die (Regen-)Wälder und andere unberührte Gebiete, die als CO-2 Senken und als Pflanzen- und Tierreservoir für die Stabilisierung des Klimas und die Erhaltung des Artenreichtums von Wichtigkeit sind. Die Nord-Süd-Auseinandersetzungen um die »global commons« konzentrierten sich vor allem auf die letztgenannten Ressourcen, da sich diese fast nur noch auf den nationalen Territorien der Entwicklungsländer befinden und in den Industriestaaten bereits aufgebraucht oder zerstört wurden. Die Länder der Dritten Welt, offizielle Vertreter wie NGOs, befürchten, daß sich durch die Klassifizierung ihrer nationalen Ressourcen als »Gemeingüter« die Industriestaaten und Transnationale Konzerne den leichten Zugriff auf die natürlichen Ressourcen in der Dritten Welt sichern wollen. (…)
„Es ist der Versuch, Interesse für unsere Ressourcen zu erzeugen, um dadurch zu bestimmen und zu kontrollieren, wie diese Ressourcen genutzt und verwaltet werden. In gewisser Weise würde es einer Enteignung unserer Wälder und anderer biologischer Ressourcen durch die Hintertür und ohne `sofortige, adäquate und effektive` Entschädigung gleichkommen, indem wir als Verwalter die nominelle Kontrolle behalten.“ 11 (…)
Um ihre Rechte auf ihre natürlichen Ressourcen zu verteidigen, aber auch um Einschränkungen von Entwicklungsmöglichkeiten durch Umweltauflagen abzuwenden, wurde und wird von den EL das Prinzip der nationalen Souveränität über die natürlichen Ressourcen hochgehalten. (…) Sämtliche Formen einer Konditionalität werden als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abgelehnt.
Finanzielle Ressourcen
Eine der Hauptkonflikte zwischen Nord und Süd entzündete sich an der Frage, welche zusätzlichen finanziellen Leistungen die Industriestaaten bereit sind, den Entwicklungsländern für die ökologische Modernisierung und Armutsbekämpfung zur Verfügung zu stellen. (…)
Streitpunkte waren die Höhe, Art und die Mechanismen der finanziellen Hilfen. Während die USA auf der dritten Vorbereitungskonferenz die von der Gruppe 77 geforderten zusätzlichen, über die gewährte Entwicklungshilfe hinausgehenden finanziellen Mittel kategorisch ablehnten und auf die Bedeutung von Privatkapital und Auslandsinvestitionen für die Finanzierung einer ökologischen Modernisierung in der Dritten Welt verwiesen, zeigten sich die EG und die meisten OECD-Staaten bereit, zusätzliche Mittel aufzubringen.12
Zurückgewiesen wurde hingegen das von der Gruppe 77 in ihrem Vorschlag über „Finanzielle Ressourcen“ eingebrachte Konzept der Kompensationszahlungen. Dieses Konzept geht von einer »ökologischen Schuld« der Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern aus, die durch die jahrhundertelange Ausplünderung der Ressourcen im Süden, die Einführung umweltschädlicher Produktionsmethoden und Materialien, die Beeinträchtigung der Entwicklung im Süden durch die Zerstörung der globalen Umwelt und durch die zu errichtenden Naturschutzgebiete etc. entstanden ist. Die Gruppe 77 fordert daher von den IL weitere, zusätzliche finanzielle Aufwendungen, die quasi als Entschädigungsleistungen zu verstehen sind. Auch südliche, vor allem lateinamerikanische NGOs haben wiederholt auf die ökologisch-soziale Schuld der IL verwiesen und diese der ökonomisch-finanziellen Verschuldung der EL gegenübergestellt.
Umstritten ist ebenfalls die vorgeschlagenen institutionellen Mechanismen für die Verwaltung und die Vergabe der zusätzlichen Finanzierungsfonds. Der Norden tritt entschieden dafür ein, diese Finanzierungsfonds institutionell an die Weltbank anzugliedern und die in der Weltbank für die Finanzierung von Umweltprojekten neu eingerichteten »Global Environmental Facility« (GEF) aufzustocken. Vor dem Hintergrund ihrer negativen Erfahrungen mit der Auflagenpolitik der Weltbank, mit den Umweltfolgen von Weltbankprojekten, mit den sozial verheerenden Auswirkungen der von der Weltbank propagierten Strukturanpassungsprogramme und mit den undemokratischen Entscheidungsstrukturen innerhalb der Weltbank haben die Regierungsvertreter wie auch die NGOs aus der Dritten Welt dieses Modell abgelehnt. (…)
Die Entwicklungsländer, Regierungen wie NGOs, schlagen daher die Bildung eines gesonderten »Grünen Fonds« vor, der auf der Basis gleicher Repräsentation demokratisch kontrolliert und verwaltet werden soll.
„Jeder »Grüne Fond«, der aufgebaut wird, muß auf dem Prinzip des UN-Systems »ein Land, eine Stimme« basieren. … Die Demokratisierung von Finanzierungsmechanismen ist entscheidend für den Aufbau demokratischer Prinzipien, die die Art der Ressourcennutzung anleiten und den Schutz der Umwelt ermöglichen können.“ 13
Demokratisierung und Partizipation
Während die Interessengegensätze zwischen Nord und Süd in den beschriebenen Punkten von Anbeginn aufeinanderprallten, schien in den UNCED-Vorbereitungskonferenzen vorerst eine vordergründige Einigkeit hinsichtlich der politischen Rahmenbedingungen zu bestehen. Forderungen nach größerer Partizipation der Bevölkerung an umwelt- und entwicklungspolitischen Programmen und nach demokratischen Entscheidungsstrukturen wurden sowohl von nördlichen wie südlichen Regierungsvertretern und NGOs erhoben. Interessensgegensätze kamen jedoch darin zum Vorschein, was unter Demokratisierung und Partizipation zu verstehen sei und auf welche Bereiche sie sich beziehen sollten.
Vor allem die USA und die EG hoben das Prinzip der Demokratie als Grundlage einer »nachhaltigen Entwicklung« und als Voraussetzung für weitere Entwicklungshilfe an die Dritte Welt hervor. Die USA plädierten dafür, die Prinzipien der Demokratie und der Marktwirtschaft als grundlegende ethische Prinzipien in der »Earth Charta« zu verankern.14 Demgegenüber erhoben viele Entwicklungsländer die Forderung, partizipatorische und demokratische Entscheidungsstrukturen vor allem auf den Bereich der internationalen (Wirtschafts-) Beziehungen (IWF, Weltbank) auszudehnen. (…)
Während die IL vor allem den Forderungen der EL nach Demokratisierung der internationalen Finanz-Institutionen ihren Widerstand entgegensetzten, zeigten sich besonders afrikanische Staaten gegenüber den Forderungen nach interner Demokratisierung ihrer eigenen Gesellschaften reserviert. Dies kann angesichts der autoritären und unterdrückerischen Regime in vielen Staaten der Dritten Welt nicht verwundern. Afrikanische NGOs wiesen z.B. darauf hin, daß viele Vertreter von sozial-ökologisch engagierten Gruppen Repressionen seitens ihrer Regierungen ausgesetzt sind. NGOs aus Nord und Süd plädierten wiederholt für die Notwendigkeit einer umfassenden Partizipation der betroffenen lokalen und indigenen Bevölkerungsgruppen bei der Definition und Durchführung von entwicklungs- und umweltpolitischen Prioritäten und Programmen. Sie setzten sich damit auch von den nur formaldemokratischen Forderungen der Industriestaaten ab und gingen über diese hinaus. (…)
Ausblick
Die oben aufgeführten Grundmuster der Nord-Süd-Auseinandersetzungen um Umwelt und Entwicklung verdeutlichen, daß sich die in der Gruppe 77 zusammengeschlossenen Entwicklungsländer in den weiteren UNCED-Verhandlungen nicht mehr mit der nur untergeordneten Rolle entwicklungspolitischer Themen zufrieden geben werden. Sie drängen darauf, in dem Aktionsprogramm »Agenda 21«, die Umwelt- und Verelendungsproblematik in den Zusammenhang mit einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung und dem verschwenderischen nördlichen Wirtschaftsmodell zu stellen, da beide als wesentliche Ursachen für Umweltzerstörung und soziale Verelendung im Süden betrachtet werden. Damit stehen die Forderungen der Dritten Welt an eine Neue Weltwirtschaftsordnung, die die Nord-Süd-Debatte in den 70er Jahren beherrscht hatten und die in dem Bericht der Südkommission wieder aktualisiert wurden, erneut auf der Tagesordnung. In seinen Empfehlungen für eine weitere Verhandlungsstrategie der Entwicklungsländer rät das aus der Südkommission hervorgegangene South Centre:
„Der Süden sollte klarstellen, daß er keine der von der Konferenz empfohlenen Maßnahmen oder Vertragsentwürfe unterzeichnen wird, solange sie keine entsprechenden internationalen Maßnahmen und feste Zugeständnisse hinsichtlich der Nord-Süd Entwicklungsfragen und der globalen Wirtschaftsbeziehungen enthalten.“ 15
Ob die Staaten der Dritten Welt mit ihrer Konfrontationsstrategie Erfolg haben werden, ist angesichts ihrer eigenen Zerstrittenheit und der machtpolitischen Dominanz der führenden Industriestaaten allerdings zweifelhaft. „Den Kurs bestimmt auch in der internationalen Umweltpolitik die G7 – nicht die G 77.“ 16 Dennoch wird auch die G 7 gehalten sein, zumindest einige Zugeständnisse an die Entwicklungsbedürfnisse der Länder des Südens zu machen, wenn UNCED nicht an den zugespitzten Nord-Süd-Konflikten scheitern soll.
Anmerkungen
1) Vgl. Hauff, V. (Hrg.), Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987 Zurück
2) Vgl. Comisión de Desarrollo y Medio Ambiente de America Latina y el Caribe, Nuestra Propia Agenda, BID/UNDP, New York 1990; Die Herausforderung des Südens. Der Bericht der Südkommission. Über die Eigenverantwortung der Dritten Welt für dauerhafte Entwicklung, Bonn 1991. (…) Zurück
3) Comisión de Desarrollo y Medio Ambiente de America Latina y el Caribe, a.a.O., 53 Zurück
4) Beijing Ministerial Declaration on Environment an Development, United Nations General Assembly, A/CONF. 151/PC/85 Zurück
5) Vgl. United Nations General Assembly, A/CONF. 151/PC/45 Zurück
6) Statement by the US Delegation on Poverty, Environmental Degradation, Sustainability, Health and Education, Geneva, August 29, 1991 Zurück
7) Martin Khor, Third World Network, Intervention at UNCED Plenary Session on Agenda 21/Financial Resources, Genf, August 1991 Zurück
8) South Centre, Environment and Development, Towards a Common Strategy of the South in the UNCED Negotiations and Beyond, Genf 1991, 10 Zurück
9) Vgl. South Centre, Environment and Development, a.a.O. Zurück
10) Vgl. u.a. Green Forum Philippines, An Alternative Development Economics, Manila 1991 Zurück
11) Statement by the Representative of Ghana on behalf of the Group of 77 in the Plenary of the 3rd Session of UNCED Prepcom in Items 2(A) and 2(B), Geneva, 26th August 1991 Zurück
12) Vgl. OECD Press Release, Meeting of OECD Ministers on Environment and Development, Paris, 2nd-3rd December 1991, Policy Statement (…) Zurück
13) Vandana Shiva, Why the World Bank cannot be trusted with environment protection and sustainable development, Third World Network Briefing Papers For UNCED, No. 9, August 1991 Zurück
14) Vgl. Statement of U.S. Position, UnCED Prepcom III, Statement of General Principles (A/CONF. 151/PC/78) Zurück
15) South Centre, Environment and Development, a.a.O., 8 Zurück
16) H.H. Lembke, Umwelt in den Nord-Süd-Beziehungen. Machtzuwachs im Süden, Öko-Diktat des Nordens oder Globalisierung der Verantwortung? Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Berlin 1991 Zurück
Karin Stahl war Mitglied in der deutschen Delegation für die UNCED-Vorbereitungskonferenzen. Diesen Beitrag entnahmen wir in gekürzter Form dem epd-Entwicklungsdienst Dokumentation, Januar 1992.