Der Wille zum Frieden entscheidet
von Paul Schäfer
Unser Heft 2-2015 befasste sich schwerpunktmäßig mit dem Thema »Friedensverhandlungen«. Unsere Leitfrage damals: Wie kann eine nachhaltige Beendigung von Gewalt in den heute vorherrschenden »asymmetrischen Kriegen«, also in Auseinandersetzungen zwischen Staaten und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, erreicht werden. Es ging um Fragen einer sozial gerechten Entwicklung, um demokratische Partizipation, ohne deren Lösung der Konflikt nicht beigelegt werden könne. Auf die Bedeutung von Vereinten Nationen und Völkerrecht wurde hingewiesen und – gerade mit Blick auf die ethnopolitisch, religiös, kulturell aufgeladenen Grundlagen des Konflikts – auf die größtmögliche Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Kräfte in den Friedensprozess. Ganz nüchtern mussten wir feststellen, dass Versuche, diese »neuen« Kriege diplomatisch zu lösen, oft in den Anfängen stecken bleiben.
Dies scheint für die »frozen conflicts«, mit denen wir uns im vorliegenden Heft beschäftigen, umso mehr zu gelten. Ihnen geht in der Regel eine gewaltförmige Auseinandersetzung voraus, die durch einen lang andauernden, fragilen Status quo abgelöst wird; der Grundsatzstreit bleibt ungelöst. Dabei stehen sich meist die Prinzipien »territoriale Integrität eines Staates« und »nationale/ethnopolitische Selbstbestimmung« unversöhnlich gegenüber. Die Rede ist von den bewaffneten Konflikten, die sich infolge des Zerfallsprozesses der ehemaligen Sowjetunion, aber auch Jugoslawiens, nach 1990 entwickelten. Vor allem im postsowjetischen Raum sind neue staatliche Gebilde (De-facto-Staaten) entstanden, deren Existenzberechtigung von den alten Machthabenden (Mutterstaaten) bestritten wird und denen die internationale Anerkennung bis heute versagt bleibt.
Bei der Erstellung des Heftes sind wir rasch darauf gestoßen, dass der Begriff nicht ganz eindeutig zu fassen und umstritten ist. Bei Zypern scheint es noch einfach zu sein, aber was ist mit Kaschmir (kein De-facto-Staat), was mit Nordirland (nach wie vor Teil Großbritanniens)? Und ab wann kann ein solcher Konflikt als eingefroren gelten? Die Erfahrung zeigt, dass diese Konflikte immer wieder in offene Gewalt umschlagen, zuletzt Ende des Jahres 2014 in Bergkarabach. Und kann der Streit um die Donbass-Region, in der immer wieder gekämpft wird, schon als eingefrorener Konflikt bezeichnet werden? Die W&F-Redaktion hat sich hier für einen breiten Ansatz entschieden.
Was man feststellen kann, ist: Es geht um komplizierte, fast unlösbar erscheinende Status- bzw. Territorialfragen. Zwischen Ethnien/Bevölkerungsgruppen wurden Feindbilder aufgebaut, die in den jeweiligen Gesellschaften tief verankert sind, die den Willen zu einem konstruktiven und kooperativen Neuanfang gar nicht entstehen lassen. Geopolitische Interessenlagen kommen erschwerend hinzu. Was kann man in solch verfahrenen Situationen überhaupt tun? Oder muss man sich einfach damit zufrieden geben, dass ein kalter Konflikt immer noch besser als ein heißer Krieg ist? Die Beiträge in diesem Heft enthalten zahlreiche Ideen und Vorschläge, über die es sich lohnt, weiter nachzudenken und zu diskutieren.
Selbst das Selbstverständliche ist hier keine Garantie für eine friedenstaugliche Lösung: So scheint es auf der Hand zu liegen, dass die grundlegenden, antagonistisch beurteilten Statusfragen zunächst zurückgestellt werden sollten und zuerst die Folgen territorialer Teilung (Vertreibungen) gemildert, Ansätze grenzüberschreitender humanitärer und wirtschaftlicher Kooperation entwickelt werden sollten. Aber wenn selbst solche Schritte blockiert sind, muss nicht doch der Gordische Knoten insgesamt durchschlagen werden? Aber wie könnten ausbalancierte Lösungen zwischen den widerstreitenden Prinzipien »nationale Selbstbestimmung« und »territoriale Integrität« überhaupt aussehen? Es ist zu Recht viel die Rede von »Referenden«, von »Autonomie«, von »Föderalisierung«. Aber der Teufel steckt im Detail. Wer darf abstimmen, worüber? Sofern es um die Selbstbestimmung bestimmter Bevölkerungsgruppen geht: Kann zu viel des Guten nicht auch nach hinten losgehen – und zu neuen Spaltungen und Konfrontationen führen? Und weiter: Als Erfahrung scheint zu gelten, dass ohne diplomatische Vermittlung externer Akteure kein Ausweg aus dem Konflikt zu finden ist. Zugleich stellen wir fest, dass der Konflikt durch Anrainerstaaten – besonders wenn es sich um Patronage-Staaten handelt – verfestigt oder gar angeheizt wird.
In diesem Kontext ist auch die Ausdehnungstendenz der Europäischen Union oder der NATO gen Osten kritisch zu beleuchten. Ein Hinweis muss an dieser Stelle genügen: Wenn es darum geht, Frieden zu stiften bzw. zu garantieren, muss internationalen Einrichtungen wie den Vereinten Nationen oder der OSZE die entscheidende Rolle zukommen! Zentrale Stichworte sind für uns außerdem: Entmilitarisierung, Vertrauensbildung, »Entfeindung« durch Aufarbeitung der Geschichte und zivilgesellschaftliche Versöhnungsprozesse. Eines ist so banal wie sicher: Ohne den Willen der Beteiligten, Frieden zu schließen, geht es nicht.
Ihr Paul Schäfer