Desert Power for the People – Sustainable Development by DESERTEC?
Workshop am 23.-24. Mai 2011, Berlin
von Franziska Piontek, Jana Platau-Wagner, Antje Schütz und Jürgen Scheffran
Das DESERTEC-Konzept sieht vor, die Sonnenenergie in den Wüsten der Erde zur nachhaltigen Energieversorgung der Menschheit zu nutzen und dadurch einen Beitrag zur Vermeidung des Klimawandels zu leisten. Konkret wird eine afrikanisch-europäische Energiepartnerschaft angestrebt, die den Anteil an erneuerbaren Energien in Europa erhöhen und zugleich der Energiearmut in Nahost und Nordafrika (Middle East and North Africa, MENA) begegnen soll, um zur Entwicklung dieser Region beizutragen. Die großflächige Installation von Kraftwerken zur Nutzung konzentrierter Solarenergie in der Sahara und anderen Wüstengebieten könnte nicht nur den wachsenden heimischen Energiebedarf decken, sondern nach Einschätzung einer Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt auch rund 15% des europäischen Elektrizitätsbedarfs bis 2050 sichern. Welche wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Visionen gibt es für DESERTEC? Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um die Nachhaltigkeit des Projektes und die gleichmäßige Verteilung der Gewinne und des Nutzens zu gewährleisten? Wie kann das Projekt zur sozio-ökonomischen Entwicklung in der Region beitragen? Kann es die voranschreitenden Demokratisierungsprozesse in den arabischen Ländern unterstützen, und welche Rolle werden die Zivilgesellschaften dabei spielen?
Zur Erörterung dieser und anderer projektbezogener Fragen hielt der DESERTEC-Gesprächskreis seine erste internationale Konferenz am 23. und 24. Mai 2011 in den Räumen des Naturschutzbundes in Berlin ab. Der Gesprächskreis wurde 2009 auf Initiative der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler gegründet, unterstützt durch das International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility und die Arbeitsgruppe Klimawandel und Sicherheit (CLISEC) am KlimaCampus der Universität Hamburg. Das Hauptziel des Gesprächskreises, eine kritische Projektbegleitung des DESERTEC-Projekts, wird durch regelmäßige Treffen umgesetzt, bei denen ein überregionaler Austausch zwischen Teilnehmern der wissenschaftlichen Gemeinschaft, Nichtregierungsorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen stattfindet. Die Konferenz wurde von rund 80 Teilnehmern aus verschiedenen disziplinären Hintergründen und kulturellen Kontexten besucht.
Die Ereignisse des »arabischen Frühlings« setzten neue Schwerpunkte in der Auseinandersetzung mit DESERTEC und warfen die Frage auf, was die Umbrüche in der MENA-Region für das Projekt bedeuten. Dies wurde in einer öffentlichen Abendveranstaltung unter dem Vorsitz von Hartmut Graßl (Vertreter der DESERTEC-Diskussionsgruppe) eingehend und lebhaft diskutiert.
Kirsten Westphal (Stiftung Wissenschaft und Politik) verwies auf die neuen Chancen, die durch die Schwächung eingefahrener Strukturen, Kurzzeit-Logiken und Machterhaltungstriebe eröffnet werden und stattdessen Raum für perspektivisches Denken geben. Sie erklärte, dass ein Atomausstieg unter demokratischen Regimen wesentlich wahrscheinlicher ist als unter anderen Regierungsformen. Ihrer Meinung nach seien die erneuerbaren Energien generell eine demokratischere Form der Energiegewinnung, wobei die Demokratie nicht die Voraussetzung für die Durchführung von Projekten sei, sondern eher werde die Demokratisierung durch die sozio-ökonomische Entwicklung vorangetrieben, die wiederum durch Investitionen gefördert wird.
Die politischen Veränderungen in der Region eröffnen auch neue Perspektiven für die Afrikanisch-Europäischen Beziehungen. Marc Jedliczka (HESPUL, Frankreich) betonte die Notwendigkeit eines Bottom-up-Ansatzes und einer Priorisierung der Deckung des regionalen Energiebedarfs, um ein solches Großprojekt anzugehen. Er machte deutlich, dass ein Projekt wie DESERTEC es sich nicht leisten könne, ausschließlich von einzelnen Staaten, nationalen Interessen und getrübten bilateralen Beziehungen abhängig zu sein. Vielmehr müsse man ein solches Projekt auf einer integrierten europäischen Ebene projektieren. Weiter bemerkte er, dass DESERTEC in der französischen Öffentlichkeit oder Politik nicht diskutiert wird, nicht zuletzt, weil Frankreich einen erheblichen Energieüberschuss aus Kernenergie produziert, den das Land langfristig zu seinen Nachbarn exportieren möchte. Deshalb, so argumentierte er, sei es eher unwahrscheinlich, dass Frankreich ein Konkurrenzprojekt zu seinem eigenen Energieexport unterstützen würde. Abdelaziz Bennouna (Unité et économie des Technologies des Energies Renouvelables [TEER], Marokko) bestätigte die Problematik des mangelnden Vertrauens durch schlechte Erfahrungen aus der kolonialen Vergangenheit, aber er erklärte auch, dass für Marokko der Energieexport Teil der ersten Projektphasen sein müsse, da die Entwicklung direkt von den Exporteinnahmen abhängig sei. Nach der Einschätzung von Stefan Schurig (World Future Council) wird der Einfluss der Geopolitik auf die Energiepolitik weiter zunehmen und damit das Interesse der Länder an Kernenergie steigen. Er betonte, dass schwache Legislative und abwesende Governance-Strukturen die Schaffung effektiver nationaler energiepolitischer Rahmenbedingungen behindern.
Das erste Konferenz-Panel zum Thema »Visions of DESERTEC« mit Gerhard Knies (DESERTEC Stiftung), Hani El Nokraschy (DESERTEC Stiftung) und Yasmine Elessawy (International Labour Organization [ILO], Ägypten) diente als Grundlage für die folgenden Diskussionsrunden. Besonders interessant war hier die Begegnung von globalen Visionen – Sicherheit für die Menschheit, geeignete Lebensbedingungen für zehn Milliarden Menschen Erdbevölkerung – mit lokalen Visionen auf der Ebene von Gemeinden und Einzelpersonen. Letztere Szenarien waren vorwiegend auf Beteiligung, Eigentum, Entwicklung und Nachhaltigkeit ausgerichtet. Ein weiteres wichtiges Thema war die enge Beziehung zwischen konzentrierter Solarenergie (Concentrated Solar Power, CSP) und Wasser, das sowohl für Betrieb und Wartung verwendet wird als auch für die Versorgung von Pumpen mit Energie und für spezifische Prozesse der Entsalzung. Es wurde deutlich, dass eine detaillierte Standortanalyse unverzichtbar ist. Aus der Diskussion wurde außerdem ersichtlich, dass die meisten Visionen und die sich daraus ergebenden Probleme bekannt sind, dass es jedoch tiefe Lücken in der Verbreitung von Informationen und Wissen in der MENA-Region gibt. Nun sei es zwingend erforderlich, klare Schritte und Kriterien, zu definieren, um die Probleme anzugehen und die Vision Wirklichkeit werden zu lassen.
Im zweiten Panel wurden Prinzipien, Kriterien und Indikatoren für die Nachhaltigkeit des DESERTEC-Projekts aus verschiedenen Blickwinkeln erörtert. Ausgehend von der Frage nach den Bedingungen für die Nachhaltigkeit eines solchen Projekts, stellte Jürgen Scheffran (KlimaCampus, Universität Hamburg) fest, dass technische, wirtschaftliche und ökologische Kriterien durch gesellschaftliche und politische Kriterien ergänzt werden müssen. Es seien geeignete institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine faire und partizipative interregionale Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure und Stakeholder aus Politik, Industrie, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Bevölkerung zwischen Europa und der MENA-Region ermöglichen. Jens Klawitter (Independent Researcher) präsentierte gemeinsam mit Boris Schinke (Germanwatch) Ergebnisse einer Studie über die Wirkung von DESERTEC auf die menschliche und soziale Entwicklung, insbesondere auf die Menschenrechte und Konzepte wie »Sustainable Livelihoods« und »Human Capabilities«. Dabei sei zwischen direkten und indirekten Auswirkungen zu unterscheiden. Marek Harsdorff (ILO, Genf) schlug vor, dass die DESERTEC Industrie-Initiative (DII) internationale Standards wie den »UN Global Compact«, die »ILO Principles of the MNU Declaration« sowie ISO- und EU-Standards unterzeichnen sollte.
Im Anschluss an das Panel folgte eine lebhafte Diskussion, die einige Probleme im Planungsprozess in Bezug auf Transparenz, Rechenschaftspflicht und Desintegration bestehender Forschungsstrukturen und deren Ergebnisse klar benennen konnte. Einerseits wurde deutlich, dass es Interessenskonflikte und Kommunikationsprobleme zwischen den verschiedenen Akteuren gibt. Andererseits wurde aber auch das Bedürfnis deutlich, bestehende Aktivitäten zu verbinden und verschiedene Plattformen zum Austausch zu schaffen, die angewandte und interdisziplinäre Forschung unterstützen.
Basierend auf den diskutierten Visionen und Kriterien wurden im dritten Panel praktische nächste Schritte im Bezug auf den »Beitrag des Projekts zu einer friedlichen, nachhaltigen und gerechten Entwicklung der Region« behandelt. Peter Höppe (Münchener Rück und DII), Andree Böhling (Greenpeace Deutschland), Marc Jedlizcka (HESPUL) und Abdelaziz Bennouna (TEER) diskutierten die sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen und ökologischen Aspekte des DESERTEC-Projekts. Die verschiedenen Akteure und die anstehenden Projekte haben unterschiedliche Schwerpunkte und Perspektiven, die unter Berücksichtigung der regionalen, nationalen und globalen Interessen integriert werden müssen. Aus der Diskussion wurde deutlich, dass die verschiedenen Beiträge der Diskussionsteilnehmer einander gut ergänzten. Um dieses Projekt demokratisch und zum Nutzen für die Region, ökologisch sinnvoll und langfristig wirtschaftlich nachhaltig zu gestalten, ist eine enge Abstimmung und Kommunikation der beteiligten Akteure wesentlich. Besonders dringlich ist die Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die Bereitstellung der notwendigen Investitionen in Stromnetze und die Einbeziehung der bis jetzt weniger aktiven Länder wie Frankreich. Daher sollten die diskutierten Ergebnisse auf der Grundlage der zu erarbeitenden Kriterien zügig in die Projektpraxis übersetzt werden. Anhand von Pilotprojekten könnten die Umsetzbarkeit der Kriterien überprüft und die Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden.
Die Konferenz zeigte einige Spannungen und Konfliktfelder auf, die in der bisherigen Diskussion um DESERTEC kaum berührt worden sind. Bei den Diskussionspartnern bestehen noch große Unsicherheiten, die weitere Untersuchungen und Diskussionen erforderlich machen. So wird den Betreibern der DII vorgehalten, es gehe vor allem um wirtschaftliche Interessen, während den europäischen Ländern eigennützige Interesse an den lokalen Ressourcen Afrikas unterstellt werden. Ein Kernproblem liegt in der Zusammenarbeit mit den lokalen Kommunen und der Notwendigkeit, einen direkten Nutzen für die Zielländer des DESERTEC-Projekts zu schaffen. Wichtige Voraussetzungen für die Durchführbarkeit des Projekts sind realisierbare Finanzierungsmodelle, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen sowie ein Austausch auf Augenhöhe. Angesichts konkurrierender Entwicklungspfade im Energiesektor (etwa die Bestrebung zum Ausbau der Kernenergie in der MENA-Region) sollte ein umfassender und überzeugender Ansatz zur großtechnischen Anwendung von konzentrierter Solarenergie bald vorliegen, der einhergeht mit der Schaffung neuer sozio-ökonomischer Perspektiven für die betroffenen Gesellschaften.
Abschließend zeigte die Konferenz auch, wie wichtig es ist eine Plattform zu schaffen, die den Austausch zwischen verschiedenen beteiligten Akteuren aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ermöglicht, mit einem starken Schwerpunkt auf den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung in der MENA-Region und unter ihrer engen Einbeziehung. Die Zusammenarbeit zwischen Teilnehmern aus den europäischen Ländern und der MENA Region ist in dieser Form einzigartig und eröffnet neue Horizonte und Chancen, sofern die absehbaren Problem- und Konfliktfelder in einem offenen Dialog- und Diskursprozess angegangen werden. Der vorherrschende Eindruck war, dass dieser Prozess mit weiteren Treffen fortgeführt werden müsse, die auch in der MENA Region stattfinden sollen.
Das Tagungsprogramm findet sich unter inesglobal.com/desertec-program.phtml.
Franziska Piontek, Jana Platau-Wagner, Antje Schütz, Jürgen Scheffran