W&F 2017/1

„Deß armen Manns sehnliche Klag“

Friedensvisionen im Dreißigjährigen Krieg

von Anna Lisa Schwartz

Beim Stichwort »Pazifismus« denken wir wohl kaum an das 17. Jahrhundert, zu weit scheint diese Zeit entfernt für ein Konzept, das vermeintlich eher modern ist. Dieser Eindruck trügt. In dem Wort steckt das lateinische »pax«, Frieden, und die Friedenssehnsucht der Menschen ist eine Konstante der Geschichte. Das war im Dreißigjährigen Krieg nicht anders. Diese Sehnsucht schlug sich in den zeitgenössischen Quellen nieder, aus denen wir einiges über die Situation in dieser Zeit erfahren können.

Der Dreißigjährige Krieg erschütterte nicht nur erstmals gleichzeitig große Teile Zentraleuropas, sondern erfasste insbesondere auch alle Bevölkerungsschichten. Die großen Truppenkontingente im Deutschen Reich belasteten sowohl die städtische als auch die ländliche Bevölkerung. Kein Bild zeugt so deutlich von den Gräueltaten des Krieges wie Jaques Callots 18 Radierungen umfassende Serie »Die großen Schrecken des Krieges« von 1633. Besonders »die Gehängten« findet sich noch heute in vielen Geschichtsbüchern und Abhandlungen zum Dreißigjährigen Krieg.

Auch zeitgenössische Quellen lassen die desaströse Situation der Reichsbevölkerung in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erahnen. So schildert ein anonymer Bericht die Situation während des Zusammentreffens schwedischer und kaiserlicher Truppen in Norddeutschland im Januar 1632: „Es wird […] berichtet, daß […] daselbst einen Mann erstochen, einen erschossen […] und sonst die Ordinanz gehabt, alle Bauern niederzumachen, alle Weibsbilder, alt und jung, die angetroffen sind, geschändet, der ganze Flecken ausgeplündert, […] allen Vorrat an Getreide, Bier, Wein und andern Victualien verzehrt oder hinweg genommen.“ (Jessen 1963, S. 280-281)

Die Klage des »gemeinen Mannes«

Wie allein die nahezu unüberschaubare Menge an Flugblättern aus dem ersten Drittel des Jahrhunderts zeigt,1 dominieren Friedenssehnsüchte in Bild und Text die Medien der Zeit. Besonders in den 1630er Jahren formiert sich eine pazifistische Strömung innerhalb der Bevölkerung: Es stehen nicht mehr die konfessionellen und politischen Spannungen im Vordergrund, sondern die schlechten Lebensbedingungen der Menschen. Diese Schwerpunktverlagerung zeigt die Radierung »EUROPA QUERULA ET VULNERATA / Klage der Europen« von 1631 deutlich (Abb. 1). Die personifizierte Europa steht im Mittelpunkt und trennt die Darstellung in zwei Hälften: Links ist eine Gruppe Menschen zu sehen, rechts befinden sich Soldaten, die »Europa« mit Pfeilen beschießen. Andreas Wang identifizierte einen der Männer als Jesuiten und somit die Gruppe links als katholisch (Harms Bd. II, S. 392), der Text wird diesbezüglich aber nicht konkret. In der zweiten Textspalte wird weder die Protestantische Union noch die Katholische Liga angesprochen, sondern die Unfähigkeit der Obrigkeit und des Volkes. Da klagt »Europa«: „Wo ist die Einigkeit? Denn wo dieselbe wohnet / mit Unglück Raht und That man wird verschonet.“

Auch wenn die Verwendung des Kontinentnamens sich eigentlich nur auf die politische Mächtekonstellation, insbesondere auf das Deutsche Reich, bezieht (Tschopp 2004, S. 33-36), ist das Vorbild für den Flugblatttitel eindeutig. 1517 verfasste Erasmus von Rotterdam seine »Querela pacis« (Klage des Friedens), in der die Friedensgöttin »Pax« zu einer neuen Friedenszeit in Europa aufruft. Anlass der Schrift war eine geplante Friedenskonferenz, insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich, in Cambrai, die allerdings nie stattfand. Erasmus von Rotterdams Klagerede des Friedens aber gilt noch heute als Beginn eines humanistisch geprägten Pazifismus im vormodernen Europa. Umso mehr Bedeutung verleiht es dem Flugblatt von 1631, dass der Verfasser im Titel Bezug auf die erasmische Grundlagenschrift nimmt.

Was auf dem Flugblatt von 1631 lediglich im Text anklingt, konkretisieren weitere Beispiele aus der Zeit auch im Bild. Das Blatt »Deß armen Manns sehnliche Klag / gegen dem grossen KriegsGott/ über das verderbliche Kriegswesen / und umb Abwendung desselben« von 1636 (Abb. 2) greift abermals das Motiv der Klage auf, nun aber jenseits politischer und religiöser Handlungsbereiche. Vor dem Prospekt einer brennenden Stadt und eines kämpfenden Heeres sind Vertreter verschiedener Stände zu sehen. Sie richten ihre Bitten direkt an »Mars«, der als Kontrahent des Friedens in voller Rüstung und mit Kriegsgerät an einem Baum sitzt: „Sieh an das Leyd / Auch die Elendn In allen Ständn.“ Auch »Pax«, hier nach christlicher Symbolik als Lamm wiedergegeben, bittet um Frieden im Namen der unterschiedlichen Berufsstände. Weitere Personen auf dem Blatt sind ein Kaufmann (Nr. 3), ein Städter (Nr. 4) und ein betender Bauer (Nr. 5), die ihr Wort an den Kriegsgott richten. Im Text wird die Szene genauer ausgelegt: Nur im Streben nach einem sündenfreien christlichen Leben könne durch göttliche Hand Frieden gewahrt bleiben.

Neue Friedensmotive ab 1648

Der Verweis auf verschiedene Ständegruppen bleibt bis zur Aushandlung des Westfälischen Friedens als Thematik solcher Flugblätter erhalten und diente u.a. der Festigung eines bestimmten Motivkanons. Ein Beispiel dafür ist der Holzschnitt »Neuer Auß Münster vom 25. deß Weinmonats im Jahr 1648. abgefertigter Freud- und Friedenbringender Postreuter« (1648) (Abb. 3), der in mehr als der Hälfte des Textes schon nicht mehr die Folgen des Krieges, sondern die Segnungen des Friedens thematisiert. Der Postreiter zählt zu den bekanntesten Darstellungen des Westfälischen Friedens, was vor allem damit zusammenhängt, dass die Postwege im Rahmen der Gesandtenkongresse in Osnabrück und Münster besonders ausgebaut werden mussten und die Nachricht vor allem auf diesem Weg kommuniziert wurde (Fleitmann 1974). Die einleitenden Zeilen lassen den Reiter zu Wort kommen, der die Botschaft aus den beiden Kongressstädten in die Welt hinausträgt und explizit die Hauptstädte der beteiligten Vertragsmächte nennt. Im Anschluss nimmt der anonyme Verfasser ausführlich Bezug auf die einzelnen Berufe und somit die Stände des Reiches, die durch die neu angebrochene Friedenszeit wieder erfolgreich produktiv werden könnten. Dabei wird besonders der zu erwartende Wohlstand und Aufschwung des Handels betont, der durch die Unterzeichnung der Friedensverträge nun wieder florieren könne: „Der Schuster wird sein Geldt vor Schuh nicht können zehlen / Den Schneider wird das Volck umb neue Kleider quelen.“

Die Realität gestaltete sich komplexer: Auch noch nach 1648 befinden sich große Truppenkontingente im Reichsgebiet und belasteten die Bevölkerung, bis im Rahmen des Nürnberger Exekutionskongresses ein Plan zum Abzug der Truppen festgelegt wurde (Oschmann 1991, S. 418-435). Wie im Flugblatt zuvor schließt die Schilderung des Postreiters nicht, ohne den Grund für die Wiederherstellung des Friedens zu benennen: Es danct alles Gott / es danct Ihm frü und spat / was kreucht / fleugt / lebt und schwebt / und was nur Odem hat.“

Frieden schafft Wachstum

Die Wurzeln des Friedensmotivs liegen zwar nicht in einer völkischen Friedensbewegung im Dreißigjährigen Krieg, seine Verwendung hatte aber zu der Zeit Hochkonjunktur. Als Quelle fungierten antike Autoren, deren Stücke durch frühneuzeitliche Emblembücher wieder aufgegriffen wurden. Tibull und Ovid schrieben unter anderem über die unmittelbaren Folgen des Friedens, zu denen sie vor allem den Aufschwung von Handel, Landwirtschaft usw. zählen. Unter ein Motto – »ex pace urbertas« (aus Frieden Fruchtbarkeit) – wurden sie erst in Andrea Alciatis Emblembuch von 1531 gestellt (Kaulbach 1998).

Die Untersuchung verschiedener Friedensbilder im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg hat bisher gezeigt, dass solche Embleme häufig aus ihrer eigentlichen Struktur – bestehend aus Motto, Bild und Epigramm – herausgelöst und auf den Bildinhalt reduziert in die Friedensdarstellungen Eingang finden. Gleiches gilt für das zuvor genannte Motto in Alciatis Publikation. Das Aufblühen der verschiedenen wirtschaftlichen Tätigkeiten bleibt nach 1648 gängiges Motiv für viele Friedensdarstellungen, im Bild häufig durch einen kleinen ackerpflügenden Bauern im Hintergrund symbolisiert. Auch im Blatt des Postreiters taucht das Motiv bereits auf: „Ihr Bauren spannet an die starcken AckerPferde / klatscht mit der Peitschen scharff / die Pflugschar in die Erde.“

Warum wurde das Motiv, aus antiken Quellen bekannt und durch Embleme vermittelt, nicht bereits früher im Rahmen von Friedensdarstellungen verwendet? Das mag zum einen daran liegen, dass der Westfälische Friede erstmals ganz Europa und alle Medien und materiellen Kulturen erfasste. Die Einbindung der Ständeklage dürfte jedoch dazu geführt haben, dass sich gerade die Vorstellung einer aufblühenden Landwirtschaft, eines Handelsaufschwungs und des reichen Kaufmanns etablieren konnte. Auch wenn die Kriegsführung des 18. Jahrhunderts – teilweise aufgrund ihrer Verlagerung auf See – weniger die Bevölkerung in Mitleidenschaft zog als in der Mitte des 17. Jahrhunderts, blieb das Motiv des ackerpflügenden Bauern und der Verbesserung der Lebenszustände weiterhin erhalten. Eine Medaille auf den Frieden von Utrecht 1713 zeigt einen Bauer hinter »Britannia« (Abb. 4). Zusätzlich symbolisieren ein Sämann und eine Flotte zur See den Wohlstand, den England durch den Friedensvertrag mit Frankreich erwarten kann. Auf der Vorderseite der Medaille befindet sich ein Porträt von Königin Anna, in deren Regierungszeit die Vereinigung von Schottland und England fiel (Ohm 2015, S. 214, Nr. II.1.1). Zusammen mit den Verträgen von Rastatt und Baden beendete der Frieden von Utrecht den Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) und somit einen Konflikt zwischen mehreren europäischen Großmächten.

Diese Friedensikonographie etablierte sich in Folge des Westfälischen Friedens vor allem aufgrund der Betroffenheit der Bevölkerung, blieb danach aber von ­diesem Kontext losgelöst noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erhalten.

Anmerkung

1) Eine unvergleichliche Zusammenstellung, vor allem wegen der detaillierten Kommentare zu den Flugblättern, bildet die federführend von Wolfgang Harms herausgegebene Reihe (1980-2005): Deutsche und illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. 7 Bde., Tübingen: Max Niemeyer.

Literatur

Fleitmann, W. (1974): Postverbindungen für den Westfälischen Friedenskongreß 1643 bis 1648. Archiv für deutsche Postgeschichte 7, Heft 1, S. 3-48.

Griffiths, A. (1998): Callot – Miseries of war. In: Malbert, R.; Griffiths, A. (eds.): Disasters of war – Callot, Goya, Dix. Katalog einer Ausstellung, die 1998 u.a. in Kelvingrove Art Gallery and Museum in Glasgow gezeigt wurde; Manchester: National Touring Exhibitions, S. 11–24.

Harms, W. (Hrsg.) (1980-2005): Deutsche und illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. 7 Bde, Tübingen: Max Niemeyer.

Hannemann, B. (Hrsg.) (1985): Die Klage des Friedens von Erasmus von Rotterdam. München: Piper.

Jessen, H. (Hrsg.) (1963): Der Dreißigjährige Krieg in Augenzeugenberichten. Düsseldorf: Rauch.

Kaulbach, H.-M. (1998): Das Bild des Friedens – vor und nach 1648. In: Bußmann, K.; Schilling H. (Hrsg.): 1648 – Krieg und Frieden in Europa. Bd. 2, Kunst und Kultur. Ausstellungskatalog des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster, des Kulturgeschichtlichen Museums sowie der Kunsthalle Dominikanerkirche Osnabrück 1998–1999 (26. Europarat-Ausstellung). München: Bruckmann, S. 593-603.

Ohm, M. (2015): Am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges – Medaillen auf die Friedensschlüsse in Utrecht, Rastatt und Baden (1713/1714). In: Bayerische Numismatische Gesellschaft (Hrsg.): Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 65. München: R. Pflaum, S. 211-232.

Oschmann, A.S. (1991): Der Nürnberger Exekutionstag 1649-1650 – Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland. Dissertation an der Universität Bonn von 1988. Münster: Aschendorff, Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte Bd. 17.

Tschopp, S.S. (2004): Gegenwärtige Abwesenheit – Europa als politisches Denkmodell des 17. Jahrhunderts? In: Bußmann, K.; Werner E.A. (Hrsg.): Europa im 17. Jahrhundert – Ein politischer Mythos und seine Bilder. Stuttgart: Franz Steiner, S. 25-36.


Anna Lisa Schwartz M.A. ist Kunsthistorikerin. Sie promoviert an der Universität Trier zu den visuellen Repräsentationen des Friedens von Aachen (1748) in der niederländischen Republik und arbeitet im Projekt »Dass Gerechtigkeit und Friede sich küssen – Repräsentationen des Friedens im vormodernen Europa« im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2017/1 Facetten des Pazifismus, Seite 25–28