W&F 2000/2

Die Gleichberechtigungsfalle

»Freiwilliger Waffendienst«: Gleiches Recht auf Unrecht

von Anne Rieger

Der Anti-Diskriminierungsausschuss der UN rügte vor einigen Tagen die Tatsache, dass Frauen in Deutschland nach wie vor in vielen Bereichen diskriminiert werden: Sie erhalten nur 77 Prozent des Durchschnittsverdienstes von Männern, haben mehr als 90 Prozent der prekären und unzureichend bezahlten Teilzeitjobs inne und, obwohl mehr Frauen als Männer ein Studium beginnen, besetzen sie nur neun Prozent aller ProfessorInnenstellen. 94 Prozent der höchstdotierten Posten in Wirtschaft und Wissenschaft sind von Männern besetzt. An dieser Situation hat sich seit zehn Jahren kaum etwas geändert.

Ja, es ist höchste Zeit, Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen auf allen Ebenen unserer Gesellschaft herzustellen. Aber waren das auch die Beweggründe des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV) als er 1996 Tanja Kreil seine Hilfe anbot? Wir erinnern uns: Frau Kreil hatte sich damals beim Elektronik-Instandsetzungsdienst der Bundeswehr beworben und war abgelehnt worden, da die damit verbundene Waffenausbildung für Frauen dem Grundgesetz widerspreche. Der DBwV stellte daraufhin Tanja Kreil Rechtsschutz und seinen Vertragsanwalt zur Verfügung. Mit dessen Unterstützung klagte sie vor dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) auf die Einhaltung der Gleichbehandlungsrichtlinie des Europäischen Rates aus dem Jahre 1976 bezüglich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg. Sie klagte mit Erfolg: Unter großer öffentlicher Beachtung sprachen sich die RichterInnen im Januar für einen Zugang der Frauen in Deutschland zum Dienst mit der Waffe aus.

Der Vorsitzende des DBwV, Oberst Bernhard Gertz, jubelte: „Hier ging es um die Beseitigung eines Berufsverbotes.“ Noch am gleichen Tag veranlasste Peter Wichert, Staatssekretär im Verteidigungsministeriums, die Bildung einer Steuergruppe »Frauen in den Streitkräften«, die bis zum 29. Februar einen Entwurf zum Handlungs- und Entscheidungsbedarf vorlegen sollte. Minister Rudolf Scharping, der bereits im Juli 1999 ankündigte Frauen auch im Wachdienst, also »mit der Waffe« einzusetzen, begrüßte das Urteil und versprach einen abgestimmten Gesetzentwurf zur Kabinettsbehandlung noch vor der Sommerpause. „Eine historische Entscheidung zugunsten der Frauen in Europa, insbesondere aber in Deutschland“, fasste Peter Dreist in »Bundeswehr aktuell« das Ergebnis zusammen.

Bei so viel männlicher Unterstützung in der Gleichberechtigungsfrage wundert frau sich! Noch immer sind die Beschlüsse des EUGH zur Lohngleichheit und gegen mittelbare Diskriminierung von Frauen in der Bezahlung in der Bundesrepublik nicht umgesetzt, noch immer kann von Chancengleichheit im zivilen Bereich, in Familie, Beruf und Gesellschaft keine Rede sein. Hier wird gemauert, doch wenn es um die Bundeswehr geht, werden »einflussreiche« Männer plötzlich schwach und entdecken die Gleichberechtigung. Das ist dann doch mehr als merkwürdig und legt den Schluss nahe, dass hier der Wunsch und das Recht von Frauen auf technisch anspruchsvolle Arbeitsplätze zur Legitimation der Bundeswehr und zur Militarisierung der Gesellschaft missbraucht werden sollen.

Ist der Zugang zum Dienst an der Waffe wirklich „die Nagelprobe auf die Akzeptanz der Unteilbarkeit von BürgerInnenrechten“ wie Christa Schenk (PDS) es sieht? Ist es wirklich ein „weiterer Schritt zum Abbau rechtlicher Benachteiligung von Frauen“ (Deutscher Frauenrat), liegen darin wirklich „neue berufliche Entwicklungsmöglichkeiten in technisch anspruchsvollen Jobs“ (Ursula Engelen-Kefer, DGB)? Ist denn SoldatIn sein – das abgerichtet werden zum Töten auf Kommando – ein Beruf wie jeder andere? Kann frau wirklich die gleichberechtigte »Lizenz zum Töten« als höchste Stufe weiblicher Emanzipation verstehen oder sollte nicht vielleicht doch den Frauen aus Parteien und Gewerkschaften angesichts dieses Schritts zur Gleichberechtigung der Jubel im Halse stecken bleiben? Emanzipation heißt doch nicht Nachahmung männlicher Dummheit, hat doch nichts mit Macho-Gleichstellung in Militärmaschinerien zu tun. Es ist schwer nachvollziehbar, dass es ein Fortschritt für die Frauen aus den USA gewesen sei soll, in Somalia, Haiti, Bosnien, am Golf und anderswo zu töten und getötet zu werden.

Emanzipation heißt Selbstbestimmung. Diesem Interesse dient aber kein Militär der Welt. Nach innen ist es undemokratisch, nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam organisiert, nach außen ist es ein Instrument der Unterdrückung, der Zerstörung von Mensch und Natur. Es dient der Aufrechterhaltung von Macht – auch der Aufrechterhaltung der Macht der Männer über die Frauen. Die US-Armee liefert hierfür den Beweis: Untersuchungen belegen, dass in der US-Armee, die mit 15 Prozent den höchsten Frauenanteil in der NATO hat, zwei Drittel der Frauen brutaler Unterdrückung durch sexuelle Belästigung, Nötigung bis zu Vergewaltigungen ausgesetzt sind.

Es hat auch wenig mit Gleichberechtigung zu tun, wenn frau als Lückenbüßerin Personaldefizite füllen soll. Seit dem ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr wollen sich immer weniger Zeitsoldaten für zusätzliche Jahre verpflichten. Glaubt man dem Verteidigungsministerium fehlen 1000 Unteroffiziere und 2000 Offiziere; die Zahl der Kriegsdienstverweigerer hat das historisches Hoch von 174.348 erreicht. Der Begriff »Reservearmee« bekommt da einen neuen, einen makabren Klang.

Viel zu tun hat die Frage »Frauen und der Dienst mit der Waffe« allerdings mit der sozialen Frage. Das wird deutlich, wenn mensch sich die US-Armee ansieht und feststellen muss, dass die schwarzen Frauen in der »Truppe« deutlich in der Mehrzahl sind, während angesichts einer florierenden Wirtschaft sich insbesondere die weißen Frauen vom Militär abwenden um sich im zivilen Bereich nach beruflichen Alternativen umzusehen. In Italien gibt das Verteidigungsministerium offen zu, dass bei den Bewerbungen der Frauen zur Armee die hohe Arbeitslosigkeit im Süden eine große Rolle spiele. Dass sich bei uns vor allem in Ostdeutschland zunehmend Frauen bei der Armee bewerben sagt denn auch weniger aus über die Berufswünsche von Frauen, als über ihre Perspektivlosigkeit auf dem zivilen Arbeitsmarkt angesichts der gewaltigen Massenarbeitslosigkeit.

„Frieden ist der Ernstfall“ hieß der Auftrag der Bundeswehr noch vor 10 Jahren. Doch spätestens seit den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1993 gehört zum »Ernstfall« „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“. Die militärische Ergänzung zum politischen und ökonomischen »Weltmachtstreben«. Die Bundeswehr soll weltweit eingesetzt werden können, auch um gegebenenfalls Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Dazu werden die sogenannten Krisenreaktionskräfte hochgerüstet.

Der „Zweck von Waffen ist es, genutzt zu werden“, erklärt Boeing-Sprecherin Karen Vanderloo. Wozu? Um Kriege zu führen, denn das ist die Aufgabe von Armeen, dazu werden Soldaten und Soldatinnen ausgebildet. Das gilt auch für die deutsche Armee und zwar jetzt »out of area«, d.h. unter Umständen weltweit und nicht nur zur Verteidigung. Ich wehre mich aber dagegen, dass in unserem Land Menschen zum Töten ausgebildet werden und dass in unserem Namen Angriffskriege geführt werden. Angesichts unserer Geschichte, angesichts der schrecklichen Sonderrolle, die Deutschland bei den Kriegen dieses Jahrhunderts gespielt hat, kann für mich der Waffendienst für Frauen in anderen Ländern kein Beispiel sein.

Natürlich bin ich für Gleichberechtigung. Der Zugang von Frauen zur Waffe ist aber für mich in erster Linie keine »Frauenfrage«, sondern eine friedenspolitische. Statt in die Gleichberechtigungsfalle zu tappen gilt es sich gegen die weitere Militarisierung der Gesellschaft zu wehren. Weder Frauen noch Männer in die Bundeswehr!

Anne Rieger ist 2. Bevollmächtigte der IG-Metall Waiblingen, aktiv in der VVN-Bund der Antifaschisten und Mitinitiatorin einer Unterschriftensammlung »Frauen ans Gewehr – wir sagen nein!«

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2000/2 Russland – Zerfall einer Supermacht, Seite