W&F 2022/1

Die Kinderschlacht bei Acosta-ñu

Der Tripelallianz-Krieg und die Rolle von Kindersoldaten

von Jörg Becker

Der Krieg der Tripelallianz gegen Paraguay von 1864-1870 ist gut aufgearbeitet, wenn auch in Europa wenig bekannt. Das Ende fand dieser Krieg mit einem Kampf, der als Kinderschlacht bei Acosta-ñu bekannt wurde. Sie ist eine der ersten dokumentierten Einsätze von Kindersoldaten auf einer größeren Maßstabsebene. Aus diesem historischen Beispiel zeigen sich Herausforderungen der Fassung von Kindern als Täter*innen, die noch heute thematisiert werden: die Freiwilligkeit des Handelns, die Tat an sich und der Umgang mit minderjährigen Kombattant*innen.

Von 1864 bis 1870 gab es in Südamerika einen sehr langen und besonders grausamen Krieg. Die drei Mächte Brasilien, Argentinien und Uruguay kämpften gegen Paraguay. Im historischen und gegenwärtigen Bewusstsein in Europa ist dieser Krieg kaum vorhanden. Das ist in Südamerika völlig anders. Zahlreiche Bücher aus allen vier an diesem Krieg beteiligten Ländern haben die Kriegsursachen, den Kriegsverlauf, das Kriegsende und die Kriegsfolgen für Paraguay, das diesen Krieg verlor, gut aufgearbeitet.1 Von deutschsprachiger Seite liegen zu diesem Krieg erst jüngst Arbeiten von Ralph Rotte (2011) und Barbara Potthast (2005) vor.

Kriegsursachen und Verlauf

Es gab mehrere Kriegsursachen: eine ­Divide-et-Impera-Politik von sowohl Großbritannien als auch den USA, territoriale Konflikte, innere Unruhen, für deren Beruhigung ein Ablenken auf äußere Feinde sinnvoll erschien, und ein starkes Modernisierungsgefälle zwischen einem modernen Paraguay und den rückständigen und halbfeudalen Republiken Argentinien und Uruguay sowie dem Kaiserreich Brasilien.

Im Laufe des Krieges war das kleine Paraguay im Oktober 1866 schon derartig geschwächt, dass die Armee „schließlich die gesamte männliche Bevölkerung in Anspruch“ nahm. „17-jährige Jungen dienten als Ochsenkarrenfahrer und Unter-14-Jährige sollten im öffentlichen Dienst die eingezogenen Männer ersetzen. Im März 1867 wurde die Mobilisierung aller 13- bis 16-Jährigen befohlen und im Mai wurden sogar Leprakranke eingezogen. Nach dem Fall von Humaitá, einer paraguayischen Kleinstadt, die nach dem Krieg an Brasilien fiel, wurden mangels Ersatz 14-Jährige zu Unteroffizieren befördert und 70-Jährige als Offiziere eingestellt. […] [Seit 1868] leisteten paraguayische Frauen nicht nur freiwillige Hilfsdienste im Heer, sondern nahmen bisweilen auch an den Kämpfen teil – insbesondere an der Seite ihrer minderjährigen Söhne. Hunderte Frauen sollen dabei getötet worden sein.“ (Rotte 2011, S. 175f.).

Paraguay war nicht nur bezüglich seiner Einwohner*innen völlig am Boden, sondern außerdem auch infrastrukturell. Epidemien, Hungersnöte und Krankheiten hatten das Land in die Knie gezwungen. Von allen Seiten umzingelt und vom Außenhandel abgeschlossen, musste Paraguay alles selbst produzieren: Kugeln für Geschütze, Gewehre, Kanonen und andere Waffen.

Kinder spielten in diesem Krieg und auf allen Seiten eine Rolle. Bei allen Truppen zogen »vivandières« mit, also Weinverkäuferinnen und Kellnerinnen der Feldküchen. Bei ihnen waren auch Kinder, deren Väter unbekannt waren. Es kam durchaus auch vor, dass Kinder mitten in einer Schlacht geboren wurden. Man nannte diese Kinder »regimental children« oder Truppenkinder. Sie wurden oft in kleine Uniformen gesteckt. Sie halfen ihren Müttern oder den Soldaten bei ihrer Arbeit.

Die Kinderschlacht von Acosta-ñu

Den Höhepunkt und das Ende des Tripel-Allianz-Krieges bildete die sogenannte Kinderschlacht von Acosta-ñu (auch »Campo Grande« oder »Los Niños«) am 16. August 1869 in Paraguay. Dafür hatte der in Europa als liberal und fortschrittlich angesehene brasilianische Kaiser Dom Pedro II. als Kriegsminister und Befehlshaber auf brasilianischer Seite Herzog Caxias, Luís Alves de Lima e Silva (1803-1880) ernannt, einen rücksichtslosen Militär. Dieser hatte verkündet, man müsse im Krieg gegen Paraguay „sogar den Fötus einer Frau im Mutterleib töten“ und danach trachten, „die gesamte paraguayische Bevölkerung in Rauch und Staub umzuwandeln“ (Chiavenatto 1979, S. 154).

Bei der Schlacht von Acosta-ñu stand auf der Seite des Dreierbündnisses eine gestandene und gut ausgebildete Armee aus 20.000 erwachsenen Männern – auf der Seite Paraguays standen 3.500 Kindersoldaten im Alter von neun bis fünfzehn Jahren, angeführt von 500 älteren Veteranen (siehe Abbildung 2). Die Kinder hatten sich zur Tarnung Bärte auf ihre Backen gemalt. Als sie in einem Kreis zusammenstanden, wurden sie von allen Seiten angegriffen.

„Entsetzte Kinder von sechs bis acht Jahren klammerten sich in der Hitze des Kampfes an die Beine der brasilianischen Soldaten, weinten und baten sie, sie nicht zu töten. Und sie wurden sofort geköpft. Die Mütter versteckten sich im nahen Dschungel und beobachteten, wie sich der Kampf abspielte. Einige von ihnen erhoben Speere und führten sogar den Widerstand der Kindertruppen an. (Chiavenatto 1979, S. 158)

Bei dieser Schlacht starben auf paraguayischer Seite 2.000 Soldaten und 1.400 wurden verwundet oder kamen in Gefangenschaft. Auf der Seite der brasilianisch-argentinischen Armee unter Leitung von Prinz Gaston von Orleans (1842-1922), einem Schwiegersohn des brasilianischen Kaisers Dom Pedro II., starben 182 Soldaten und 420 wurden verwundet. Nach dieser grausamen Kinderschlacht war der Tripel-Allianz-Krieg 1870 zu Ende.

Der Tripel-Allianz-Krieg war für das besiegte Paraguay verheerend. Für Paraguay war dieser Krieg ein „totaler Krieg“ gewesen, so die Bewertung von Rotte (2011, S. 170). Neben den Landabtretungen an Brasilien (Teile von Mato Grosso) und Argentinien (Region Misiones und Teile der Chaco-Region) war die zentrale verheerende Konsequenz, dass die gesamte Gesellschaft in Paraguay nach zehn Jahren des Krieges traumatisiert zurückblieb. Paraguay mit seiner kleinen Einwohnerzahl von 0,5 Mio. Menschen hatte etwa die Hälfte seiner Bevölkerung verloren – nicht wenige davon waren Kinder.2

Nicht nur ist dieser Krieg gut erforscht. Er ist außerdem fotografisch gut dokumentiert, war es doch nach dem Krim-Krieg (1853-1856) und dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) der erst dritte Krieg, an dem die neue Technologie aktiv zum Einsatz kam. Berühmt für diesen Tripel-Allianz-Krieg wurde die »Carte de visite«. Das war ein in einem eleganten Foto-Studio hergestelltes Porträtfoto auf Hartpappe. Im Mittelpunkt steht jeweils ein Offizier in Galauniform und mit Orden und Säbel. Eine Reihe dieser Fotos zeigen Offiziere zusammen mit Truppenkindern (vgl. Abbildung 1). Gegenüber diesen Reputationsfotos gibt es auch einige wenige Fotos aus dem realen Kriegsgeschehen (siehe erneut Abbildung 2).

Altes Bild – Kindersoldat und Soldat

Abbildung 1: »Carte de visite«

Altes Bild – Kindersoldaten im Gefecht

Abbildung 2: Kindersoldat im Gefecht (Quelle der Bilder: Nationalbibliothek, Montevideo)

Friedenswissenschaftliche Überlegungen zum Einsatz von Kindersoldat*innen

Vor dem Hintergrund dieses Krieges steht nun natürlich die Frage, wie der Einsatz der Kindersoldat*innen zu bewerten ist. Inwiefern sind diese Kinder Täter*innen? Kann ihrem kriegerischen Handeln, den Taten, die sie begehen, das gleiche Verständnis von Täter*innen zugrunde gelegt werden wie bei Erwachsenen?

Dass der Einsatz von Kindersoldaten in einem Krieg damals wie heute problematisch ist, lässt sich übereinstimmend festhalten. Außerhalb ethischer Bedenken steht zunächst einmal das reine Effizienzdenken: Der Einsatz von Kindersoldat*innen ist oft verlustreich, ohne entsprechende Erfolgsaussichten. Das Beispiel der Kinderschlacht von Acosta-ñu verdeutlicht das wie kaum eine andere Auseinandersetzung. Über 2.000 Kinder starben in dieser Schlacht, der politische Hass der Gegner auf die Paraguayer*innen scheint alle »moralischen« Bedenken überdeckt zu haben, diese Kinder nicht zu töten. Der schiere Umstand, dass so wenige erwachsene Soldaten zur Verfügung standen, dass tatsächlich Kinder rekrutiert wurden, muss über die ideologische Rahmung des »totalen Krieges«, wie oben erwähnt, verstanden werden. Der Effizienzgedanke stand für Paraguay nicht zur Frage, da die Rahmung der »Existenzfrage« alle Mittel zu rechtfertigen schien. Die Schlacht macht deutlich: Stehen sich ungleiche Kriegsgegner*innen gegenüber – hier also Erwachsene versus Kinder – dann verlieren die Kinder. Für die weitere Forschung zum Einsatz von Kindersoldaten muss aber auch gefragt werden können: Wie ungleich sind die Verhältnisse, wenn kleine Menschen schneller laufen können als große Menschen, wenn die Kleinen skrupelloser als die Großen sind? In vielen Kontexten im 20. Jahrhundert stellt sich diese Frage direkt und mit erschreckender Konkretion.

Nicht zu vernachlässigen ist die Ebene der Ökonomie des Einsatzes von Kindersoldat*innen. Kindersoldat*innen erhalten einen kleineren Sold als erwachsene Soldat*innen – wenn sie überhaupt einen erhalten. Besonders beim Einsatz von Söldner*innen – im Dreißigjährigen Krieg genauso wie jetzt beispielsweise in der Zentralafrikanischen Republik (CAR) – kommen den »warlords«, die die Söldner bezahlen müssen, Kindersoldat*innen billiger als erwachsene Soldat*innen. Das ist wichtig bei der Betrachtung der Gründe für die Anwesenheit von Kindersoldat*innen – diese sind keineswegs alle oder auch nur zu einem großen Teil aus eigenen niederen Motiven in diese Kriege eingetreten. Die Verpflichtung von Kindern geschieht auch oft aus schlicht ökonomischen Motiven. Dies scheint im Kontext von Acosta-ñu eine weniger bedeutsame Dimension gewesen zu sein.

Nicht zuletzt steht noch der schwierige Punkt der Moral im Raum. Auch wenn es zeit-, raum- und kulturübergreifend keine Einigkeit darüber gibt, ob Kinder schützenswertere Menschen seien als Erwachsene, so kann man aber normativ sagen, dass heute in einer globalisierten Welt eine solche Moral anzustreben ist. Ausfluss einer solchen globalen Moralvernunft ist die UN-Kinderrechtskonvention von 1989, die mit ihren Fakultativprotokollen den Einsatz von Menschen unter 18 Jahren verbietet. Eine interkulturelle Kommunikation ist nur dann friedensstiftend, wenn vor einer Kritik an Zuständen in anderen Ländern eine Selbstkritik zuhause vorangeht. So äußerte sich 2014 der UN-Kinderrechtsausschuss besorgt darüber, dass in Deutschland Jugendliche ab 17 Jahren eine militärische Ausbildung bei den Streitkräften beginnen können. Aber die Bundesregierung wies sämtliche Bedenken der UN zurück. Wer diese Kritik an Deutschland formuliert, kann sich in einem zweiten Schritt kritisch mit dem Brasilianer Luís Alves de Lima e Silva auseinandersetzen. Dieser Oberbefehlshaber der Kinderschlacht von Acosta-ñu aus Brasilien war ein ausgesprochen brutaler Militärbefehlshaber, der sich außerdem nach der Schlacht auf einem riesengroßen Ölgemälde hoch zu Ross verherrlichen ließ und das noch heute im Museu Nacional de Belas Artes in Rio de Janeiro einen herausragenden Platz einnimmt.

Dass Kinder in ihrem Tun – wie alle Menschen überhaupt – Opfer struktureller Bedingungen (Gewalt, Ausbeutung, staatlicher Zwang usw.) sind, versteht sich von selbst. Doch diese banal richtige analytische Einordnung kann die Verantwortung für individuelles Handeln nicht unberücksichtigt lassen. Selbstverständlich unterscheidet das Strafrecht zwischen der Schuld von Erwachsenen und Kindern nach Altersgrenzen. Gleichzeitig kennt die Pädagogik durchaus das Konzept von verantwortungsbewusstem Handeln auch bei Kindern. Verstöße gegen diese Verantwortung werden durch eine pädagogisch orientierte »Grenzziehung« ausgeglichen und schlimmstenfalls auch bestraft. Besser als Strafe ist Resozialisierung, aber Kindersoldat*innen sind (auch) Täter*innen – ihre Taten dürfen sozial und individuell nicht folgenlos bleiben.

Für Paraguay bedeutete dieser Krieg, dass das Land in vielen Dimensionen weit zurückgeworfen wurde. Das einst so moderne und früh industrialisierte Paraguay schneidet noch heute wegen dieses desaströsen Kriegs vor 150 Jahren auf dem Human Development Index sehr viel schlechter ab als die anderen kriegführenden Länder.

Die gesellschaftliche Dimension dieses Krieges war durchweg traumatisierend – für die Bewohner*innen Paraguays wie auch die hier beschriebenen Kinder. Niemals sollte vergessen werden, welche dramatischen Folgen ein Kriegseinsatz auf die psychische Gesundheit der Kinder hat – doch ebenso sollten die hier aufgeworfenen Fragen nach dem Handeln und den Hintergründen des Einsatzes von Kindersoldaten bei der Täter*innen-Forschung nicht ausgeblendet werden.

Was bleibt? Eine positive friedenswissenschaftliche Konsequenz aus dem Tripelallianz-Krieg und der Kinderschlacht zog der paraguayische Historiker Andrés Aguirre (Aguirre und Samaniego 1979). Ihm ist es zu verdanken, dass der 16. August jeden Jahres in Paraguay feierlich als »Tag des Kindes« begangen wird.

Anmerkungen

1) Ich danke María La Manna aus Montevideo für ihre Hilfe, mir diesen Krieg verständlich zu machen. In der Nationalbibliothek von Uruguay in Montevideo konnte ich Anfang Oktober 2019 viele originale Kindersoldatenfotos aus dem Tripel-Allianz-Krieg einsehen. Dieses mir unvergessliche Erlebnis verdanke ich den Archivarinnen Anilán Nievas, Adriana De León und Carla Fusaro. Gerade ihnen sei an dieser Stelle herzlich für ihre Hilfe gedankt und dafür, dass Fotos aus diesem Krieg kostenfrei veröffentlicht werden dürfen. Geisa Fernandes aus Rio de Janeiro danke ich für die Übersetzung des Kinderkriegskapitels aus dem Buch von Julio José Chiavenatto aus dem Portugiesischen ins Deutsche. Zu diesem Krieg sind vor allem die folgenden Bücher zu studieren: Chiavenatto, J. J. (1979): Genocídio americano: A Guerra do Paraguai. 5. Aufl., São Paulo: Ed. Brasiliense; Cuarterolo, M. A. (2000): Soldades de la Memoria. Imagenes y Hombres de la Guerra del Paraguay. Buenos Aires: Planeta.; Pino Menck, A., et al. (Hrsg.) (2008): La guerra del Paraguay en fotografías. Montevideo: Biblioteca Nacional; Esposito, G. (2017): Armies of the War of the Triple Alliance War 1864-1870. Oxford: Ospreys.

2) Anekdoten berichten, dass der Erzbischof von Asunción nach Kriegsende die Vielehe erlaubt haben soll, da es keine erwachsenen Männer mehr gab und die Obrigkeit soll ferner den Frauen Paraguays erlaubt haben, Männer auf im Hafen von Asunción einlaufenden Schiffen zu vergewaltigen. Anekdoten können – aber sie müssen es nicht – einen Kern von Wahrheit enthalten.

Literatur

Aguirre, A.; Samaniego, M. (1979): Acosta-ñu, epopeya de los siglos, Asunción: Municipalidad de Eusebio Ayala.

Chiavenatto, J. J. (1979): Genocídio americano: A guerra do Paraguai. 5. Aufl., São Paulo: Ed. Brasiliense.

Potthast, B. (2005): Niños soldados y niñas famélicas en la guerra del Paraguay. In: Potthast, B.; Carreras, S. (Hrsg.): Entre familia, sociedad y estado: Niños y jóvenes en América Latina (siglos XIX y XX), Madrid: Iberoamericana, S. 89-114; dem Autor stand das deutsche Originalmanuskript zu Verfügung.

Rotte, R. (2011): Paraguays „Großer Krieg“ gegen die Tripel-Allianz, 1864-1870. Österreichische Militärische Zeitschrift, Nr. 2/2011, S. 170-179.

Jörg Becker, Mitglied im Beirat von W&F, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg und lebt im Ruhestand in Solingen. Früher als Kommunikationswissenschaftler tätig, arbeitet er seit langem als Historiker.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/1 Täter*innen, Seite 25–27