W&F 1999/2

Die Kosten und Folgekosten des Kosovo-Krieges

von Matthias Z. Karádi

Krieg kostet seit alters her viel Geld. Für die modernen Kriege gilt dies in besonderem Maße. Der Einsatz modernster Waffen und Technologie schlägt sich in entsprechenden Kriegskosten nieder. Während die NATO gegen Jugoslawien aus der Luft den High-Tech-Krieg des 21. Jahrhunderts führt, finden gleichzeitig auf dem Boden Metzeleien und Vertreibungen statt. Gegenwärtig ist noch nicht abzusehen, wie lange der Luftkrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien dauern wird. Mit Fortdauer des Krieges steigen nicht nur die sogenannten »Kollateralschäden«, sondern auch die Opfer. Je länger der Krieg dauert, umso deutlicher wird, dass es den – von der NATO propagierten – sauberen, chirurgischen Krieg nicht gibt. Gleichzeitig schwindet die Zustimmung innerhalb der NATO-Staaten. Nicht erst seit der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad, ist die Zielplanung der NATO in die Kritik geraten. Sollte bis zum Spätsommer des Jahres 1999 keine politische Lösung erzielt werden, dürfte die NATO den Einsatz von Bodentruppen in Erwägung ziehen.1 Mit anderen Worten: Die Kosten des Krieges sind stark von der weiteren Entwicklung abhängig, die veranschlagten Summen können deshalb nur ungenaue und vorläufige Schätzungen sein.

Bei der Schätzung der Kosten und Folgekosten des Krieges ist zu unterscheiden zwischen 1. den militärischen Kosten der kriegführenden NATO-Länder2; 2. den Kosten, die den Nachbar- und Anrainerstaaten als Folge des Krieges entstehen; 3. den Zerstörungen, die die NATO-Bomben in der Bundesrepublik Jugoslawien anrichten und 4. den zu erwartenden Kosten für Wiederaufbau- und Unterstützungsmaßnahmen für die Region, die derzeit unter den Begriffen »Stabilitätspakt für Südosteuropa« und »Marshallplan für den Balkan« diskutiert werden. Fest steht, dass die sozialen und wirtschaftlichen Lasten für das Kriegsgebiet und die direkt betroffenen Anrainerstaaten am höchsten sind.

Die Kriegskosten der NATO

Die unmittelbaren Kriegskosten für die beteiligten NATO-Staaten können nur ungefähr geschätzt werden. Mit der Intensivierung der Luftangriffe und der Verlegung von zusätzlichen Flugzeugen, Kampfhubschraubern und Soldaten in die Region steigen auch die Kosten. Sollte sich die NATO doch noch für den Einsatz von Bodentruppen entscheiden, würde dies nicht nur eine neue Qualität des Krieges, sondern eine weitere Kostenexplosion mit sich bringen. So würde ein Einsatz von Bodentruppen nach Schätzungen des Institute for Strategic Studiesin New York die Kriegskosten vervierfachen.3

Die bislang detaillierteste Auflistung der Kriegskosten findet sich in einer Studie der Universität der Bundeswehr München.4 Die entstehenden Kosten für die NATO-Staaten summieren sich aus folgenden vier Faktoren: 1. Munitionseinsatz, 2. Einsatz von Luftfahrzeugen, 3. Entstandene Verluste an Luftfahrzeugen und 4. Sonstige Zusatzkosten. Demnach setzten sich die täglichen Mindestkosten des NATO-Einsatzes wie folgt zusammen:

  • Munitionseinsatz: ca. 67 Millionen DM – davon 27 Millionen DM für Lenkflugkörper (Tomahawks und Cruise Missiles), 30 Millionen DM für Bomben5 sowie zehn Millionen DM »sonstiger Munitionseinsatz«.
  • Einsatz von Kampfflugzeugen und Drohnen: ca. 31 Millionen DM – davon 26 Millionen für Treibstoff, Wartung und Reparaturen sowie fünf Millionen DM für Verluste an Luftfahrzeugen. (Zu den zwei Drohnen und dem F-117 A Nighthawk ist mittlerweile noch ein Apache-Kampfhubschrauber dazugekommen.)
  • Sonstige Zusatzkosten: ca. 15 Millionen DM. Diese Zusatzkosten entstehen im Wesentlichen durch die Bereitstellung von Truppen in Mazedonien, Albanien und Italien, aber auch in Deutschland und England.

Damit summieren sich die täglichen Kosten der NATO-Einsätze auf ca. 120 Millionen DM pro Tag, d.h. 840 Millionen DM pro Woche. Zugleich räumt die Studie ein, dass die tatsächlichen Kosten wesentlich über diesen vorsichtigen Schätzungen liegen dürften.6 So sind beispielsweise die Kosten für die Satellitenaufklärung und die Kriegsschiffe in der Adria ebensowenig mit eingerechnet wie die Ausgaben für die humanitäre Nothilfe. Grob geschätzt kann deshalb für die ersten Kriegswochen von etwa einer Milliarde DM pro Wocheausgegangen werden. Die Erhöhung der Zahl der Kampfflugzeuge sowie die Verlegung von Apache-Kampfhubschraubern und zusätzlichen NATO-Truppen nach Mazedonien und Albanien wird die Kosten entsprechend steigen lassen. Auch das von EU und NATO beschlossene Ölembargo und dessen Überwachung durch Kriegsschiffe in der Adria werden mit weiteren Summen zu Buche schlagen.

Noch geht man innerhalb der NATO davon aus, dass jedes Land den jeweils eigenen Anteil der Kriegskosten bestreitet. Falls dem so wäre, käme Deutschland mit weniger als fünf Prozent der Kriegskosten davon, während die Vereinigten Staaten von Amerika mit ca. 75 Prozent den Hauptteil der Kriegskosten tragen müssten. Von den bislang 680 eingesetzten NATO-Flugzeugen stellen die USA 500, darunter insbesondere die teuren Systeme wie die F-117 A Nighthawk und die B-2-Tarnkappenbomber. Auch die meisten Bomben und Marschflugkörper stammen aus US-amerikanischen Arsenalen. Damit stehen zwei Kriegsgewinner jedenfalls schon fest: die beiden US-Rüstungskonzerne General Dynamics und Raytheon. Beide melden Kursgewinne von über 20 Prozent. Nach Berechnungen des Center for Strategic and Budgetary Assessment in Washington zahlen allein die USA für den Luftkrieg gegen Jugoslawien jeden Tag 20 bis 40 Millionen Dollar. Sollte der Krieg drei Monate dauern, würden die Kosten nach amerikanischen Berechnungen auf mindestens 20 Milliarden Dollar (36 Milliarden DM) steigen. Diese Zahl halten jedoch die meisten Experten für zu hoch gegriffen.

Je länger der Krieg dauert und je teurer er damit wird, um so wahrscheinlicher ist es, dass die USA bestrebt sein werden, den Anteil der Kriegskosten auf die NATO-Mitglieder umzulegen, womöglich nach dem jeweiligen Anteil eines jeden NATO-Landes am Gesamt-Bruttosozialprodukt der NATO-Länder. Dies wären im Falle Deutschlands zwölf Prozent. Ferner ist davon auszugehen, dass für das Kosovo und den gesamten Balkan das Prinzip gelten wird, dass auch schon bei Bosnien Anwendung fand: Die USA zahlen den Krieg, Europa den Wiederaufbau.

Die Kosten für die humanitäre Hilfe

Kaum abzuschätzen sind die Kosten für Versorgung und Unterbringung der Kosovo-Flüchtlinge. Die humanitären Hilfen stellen bislang lediglich einen Bruchteil der Kriegskosten dar. So rechnet das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mit 430 Millionen DM, um 650.000 Vertriebene fürs erste in der Region zu versorgen. „Ein Zelt des Technischen Hilfswerks für eine Flüchtlingsfamilie kostet 2.500 DM.“7 Bislang hat die Europäische Union 800 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt, davon finanziert Bonn rund 30 Prozent. Darüber hinaus haben das deutsche Entwicklungshilfeministerium 15 Millionen, das Außenministerium 23 Millionen und die privaten Hilfswerke über 30 Millionen DM für humanitäre Hilfslieferungen angesetzt.8

Das Bestreben europäischer PolitikerInnen, die Flüchtlinge nach Möglichkeit vor Ort zu belassen und »Hilfe zur Selbsthilfe« für Mazedonien und Albanien zu leisten, liegt vor allem in den hohen Kosten für die Unterbringung von Balkan-Flüchtlingen in Westeuropa begründet. So haben während des Bosnien-Krieges in Deutschland die Kommunen und Länder allein für die Versorgung und Unterbringung von 350.000 bosnischen Kriegsflüchtlingen zweistellige Milliardenbeträge ausgegeben, die Bundesregierung spricht von 20 Milliarden DM. Die unzureichende Aufnahmebereitschaft der EU-Länder für kosovo-albanische Flüchtlinge lässt jedenfalls den Schluss zu, dass der Westen die humanitäre Katastrophe zwar verhindern möchte, wenn möglich jedoch auf Kosten der Nachbarländer der Bundesrepublik Jugoslawien.

Die Folgekosten

Die eigentlichen Kriegskosten werden jedoch neben den Kosten für den Wiederaufbau der Region verblassen. Denn: Die Folgekosten des Kosovo-Krieges betreffen nicht nur die Bundesrepublik Jugoslawien, das in den Worten eines Militärs „in die Steinzeit zurückgebombt wurde“, sondern auch die Nachbarländer. Zerstörte Donaubrücken und Infrastruktur haben den Handel nahezu zum Erliegen gebracht. Nach Schätzungen der NATO betragen die Schäden in Jugoslawien durch die Luftangriffe allein an Gebäuden, Straßen und Brücken an die 20 Milliarden DM. Belgrad hingegen beziffert den Schaden auf mindestens 181 Milliarden DM.9

Neben der Bundesrepublik Jugoslawien sind auch die Anrainer durch den Krieg betroffen. Nach Schätzungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds belaufen sich die Kriegskosten für die Nachbarstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien und Rumänien auf mindestens zweieinhalb Milliarden Dollar für dieses Jahr. Darunter fallen vor allem die Lasten für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Ausfälle bei Handel und Tourismus.10

Der dickste Brocken kommt jedoch noch: Es ist der von EU und NATO angekündigte »Marshall-Plan für den Balkan«. Damit soll die gesamte Region nach Ende des Krieges stabilisiert und ihr eine Perspektive gegeben werden. Mit anderen Worten: Der Westen wird den Wiederaufbau des von ihm zerbombten Landes bezahlen müssen. Von Experten geschätzte Kosten: Über 100 Milliarden DM.11 Doch auch hier variieren die Zahlen: Während EU-Kommissar Yves Thilbaut de Silgui mit 60 Milliarden DM für den Wiederaufbau der Region rechnet, gehen andere Kalkulationen von 600 Milliarden DM für die Beseitigung aller Folgeschäden des Krieges aus.12 Darin enthalten wären auch die Kosten für NATO- und OSZE-Missionen, die nach Ende des Krieges vermutlich nicht nur im Kosovo, sondern auch in Albanien und Mazedonien über Jahre, vermutlich Jahrzehnte stationiert werden müssen. Zusammen mit Bosnien und Ostslawonien würde die internationale Gemeinschaft – d.h. in erster Linie der Westen – somit fünf Quasi-Protektorate auf dem Balkan unterhalten und finanzieren müssen. Bosnien-Herzegowina kann hier als Modell dienen. So kostet die internationale Präsenz in Bosnien pro Jahr etwa 15 Milliarden DM (SFOR, OSZE, EU, UNHCR, UNO etc). Darüber hinaus sind auf den Geberkonferenzen bislang fünf Milliarden Dollar für den wirtschaftlichen Wiederaufbau aufgebracht worden.

Die Gesamtrechnung wird also so oder so riesig werden, auch wenn die bereits vollmundig angekündigten Milliarden für einen Balkan-Marshallplan in der Realität um einiges niedriger ausfallen dürften. Angesichts der instabilen Verhältnisse ist davon auszugehen, dass eine friedliche Neuordnung des Balkans Jahrzehnte dauert, große Summen kostet und nur über die langfristige Aussicht auf Integration in die euro-atlantischen Strukturen Erfolg verspricht. Doch auch hier gilt: Abgerechnet wird zum Schluss.

Anmerkungen

1) Vgl. zu den Hintergründen und den aktuellen Entwicklungen des Kosovo-Krieges: Hans-Georg Ehrhart/Matthias Z. Karádi, Brennt der Balkan? Plädoyer für eine komplexe Präventionspolitik im Kosovo-Konflikt, Hamburger Informationen zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Ausgabe 23/1998, Hamburg, März 1998; sowie dies., Krieg auf dem Balkan. Lage, Interessen, Optionen, Lehren und Perspektiven, Hamburger Informationen zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Ausgabe 27/1998, Hamburg, Mai 1999.

2) Folgende zehn NATO-Staaten sind am Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien beteiligt: Die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Belgien, die Niederlande, Portugal und Spanien.

3) Vgl. International Herald Tribune, 25.4.1999.

4) J. Schnell/G.A. Straub, Kurzstudie der Universität der Bundeswehr »Abschätzung der militärischen Kosten des Kosovo-Einsatzes der NATO«. München 1999 (Stand: 15.04.1999).

5) Dabei geht die Studie von täglich 80 Bomben à 360.000 DM aus. Ebda, S. 5/6.

6) Ebda, S. 9.

7) Wolfgang Hoffmann, Offene Rechnungen. Wie die NATO-Partner die Kosten des Krieges kalkulieren, in: DIE ZEIT, 22.4.1999.

8) Vgl. Frankfurter Rundschau, 15.4.1999.

9) Vgl. Welt am Sonntag, 18.4.1999.

10) Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.4.1999.

11) Ludwig Greven, Rechnung folgt, in: DIE WOCHE, 16.4.1999.

12) Vgl. Alois Berger, Kassen-Sturz, in: DIE WOCHE 14.5.1999.

Matthias Z. Karádi ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1999/2 Wieder im Krieg, Seite